Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
(ISSN 1430-6972)
IP-GIPTDAS=31.01.2016  Internet-Erstausgabe, letzte Änderung:  20.11.20
Impressum: Diplom-Psychologe  Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
E-Mail: sekretariat@sgipt.org  _ Zitierung  &  Copyright
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Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Psychiatrie und Umfeld, Bereich:
Nachrichten aus der Justiz- /Psychiatrie und Umfeld 2016 ff
Überblick Psychiatrie in der IP-GIPT.
Wie Überprüfungen von Maßregelvollzugs-Beweisfragen organisieren? - Empfehlungen.

von Rudolf Sponsel, Erlangen
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Inhaltsüberblick (nach 2015, 2013/14)

Editorial.
Aktuelles.
Hochstapler in der Psychiatrie.
Rechtsprechung.
     Beschränkung ärztlicher Zwangsbehandlung auf untergebrachte Betreute ... nicht vereinbar.
Beschwerdestellen.
Buchhinweise
    Neue Buchinformationen aus dem Anti-Psychiatrie-Verlag
Forensisch psychologisch-psychopathologische Gutachten.
    Steller: Beiträge der Psychowissenschaften zu Justizirrtümern.
    Aktuelles (2016) von den Mindesanforderungen an Prognosegutachten
    Psychometrie  und  Psychopathometrie in  der  forensischen, kriminalprognostischen  Begutachtung
    RuP 4, 2016 Neues aus der Zeitschrift Recht und Psychiatrie
    Neues aus der Zeitschrift Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminiologie 2, 2016.
    Neues aus der Zeitschrift Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminiologie 1, 2016.
    Neues aus der Zeitschrift Recht & Psychiatrie.
Forensische psychiatrische Gutachten.
    Bämayr (2016) Das psychiatrische Gutachten.
Forensisch-psychologische Gutachten.
   Qualitätssicherung in der familiengerichtlichen Begutachtung.
Rechtsprechung zur psychiatrischen Begutachtung.
Forensisch-psychopathologische Forschung.
  Terrorismus nicht psychiatrisieren (DGPPN).
  Gewalt und Psychosen.
  Wiederentdeckte Erinnerungen bei Zeugen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen
Psychiatrie, Kultur und Gesellschaft.
   Nachwuchsmangel in der forensischen Psychiatrie.
Alternative Psychiatrie.
Psychiatrie Reform:
   Die Rodewischer Psychiatrie-Revolution.
Psychiatrieverbände.
Privatisierung der Psychiatrie.
Psychisch Kranke vor Gericht.
Psychiatrie-Missbrauch.
Forensische Psychiatrie vor Gericht.
   Psychiater Dr. Marco A.  Sexual-Gutachter (47) missbraucht Mädchen.
Schutz vor Psychiatrie-Missbrauch.
Zum Diagnose-Dilemma. ... WHO bringt ICD-11 auf den Weg.
Wissenschaft und Forschung:
   Geschlossene oder offene Psychiatrie: Suizidrisiko bleibt gleich.
Psychiatrische Versorgung.
Psychiatrie und Psychotherapie.
  Fazit:  Willensstörungen in der Psychopathologie (Nervenarzt 88, 2017, 1252–1258)
Maßregelvollzug und Unterbringungseinrichtungen.
Menschenrechte im Maßregelvollzug.
Unterbringung.
Unfälle, Unglück, Katastrophen.
Literatur  * Links* Querverweise * Zitieren.
Glossar, Anmerkungen, Endnoten.
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Epidemiologie
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Komorbidität  (Treffliche Medizinerweisheit: "Man kann auch Läuse und Flöhe haben")
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Konstruktion der Seele aus psychologischer Sicht. (nach)


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Krankheit

Allgemeines und Integratives
Bio-Psycho-Soziales Krankheitsmodell
Krankheitsmodell GIPT  (12k)
Im allgemeinen Modell wird von einem Systemstörungsmodell ausgegangen, bei dem wir folgende Entwicklungsstadien unterscheiden: 1) Ursachen, Bedingungen und Auslöser der Störung. 2) die Bewertung einer Störung als Krankheit. Zum Wesen der Krankheit definiert man zweckmäßig eine - wichtige - (Funktions-) Störung (nach Gustav von Bergmann [1878-1955] 1932). 3) unterschiedliche Auswirkungen (lokale, zentrale, allgemeine, spezielle) der Störung. 4) Erfassen und Informationsverarbeitung der Störung und 5) aus Wiederherstellungsprozeduren: der Auseinandersetzung zwischen den Kräften der Störung und der Heilung. Störungen können exogener (ausserhalb des Systems) oder endogener (innerhalb des Systems) Natur sein. Störungen haben im allgemeinen Ursachen, womit sich in der allgemeinen Krankheitslehre die Ätiologie beschäftigt. Entwickelt sich eine Störung in der Zeit, wie meistens, heißt dieser Vorgang Pathogenese. Unklar ist meist der Symptombegriff, der eine dreifache modelltheoretische Bedeutung haben kann:
1) es ist ein Zeichen der Störung (z. B. bestimmte Antigene im Körper; Angst);
2) es ist ein Zeichen der Spontanreaktion auf die Störung (z. B. bestimmte Antikörper gegen die Antigene; Vermeiden);
3) es ist ein Zeichen der Wiederherstellungsprozedur, also Ausdruck des "Kampfes" zwischen Krankheit und Heilungsvorgängen (z. B. Fieber; Ambivalenzkonflikt zwischen Vermeiden und Stellen).
DasUrsachenproblem ist wissenschaftstheoretisch problematisch aus zwei prinzipiellen und aus einem vermeidbaren Grund: (1) Im Kausalitätskonzept gibt es streng betrachtet nur einen vielfach verzweigten Baum von Ursachen. Jede ausgemachte Ursache kann prinzipiell wiederum auf andere Ursachen zurückgeführt oder zumindest auf andere zurückgeführt gedacht werden. Welche dieser vielen Ursachen soll als die besondere ausgezeichnet werden? In der Wirklichkeit handelt es sich wohl meist um einen Ursachenkomplex, ein Netzwerk von Bedingungen. (2) Man muß zwischen Bedingungen (Rahmen- oder Randbedingungen), Anlässen oder Auslösern, Neben- und Begleiterscheinungen unterscheiden, was häufig sehr schwierig ist.

Hilfsbegriffe zur Ätiologie und Kausalität
Praktische Anwendung und Veranschaulichung: Das Buch Eva -Ticket ins Paradies.

(3) Die psychischen Ereignisse können mehrperspektivisch betrachtet werden: z. B. physikalisch, biologisch, chemisch, physiologisch, neurologisch, internistisch, psychopharmakologisch, immunologisch, kybernetisch, psychologisch, sozial-ökonomisch, sozialpsychologisch, sozial-rechtlich und kommunikativ. Hinzu kommt, daß in der Computermetapher Hardware als körperlich und Software als psychisch die Realisation im "Betriebssystem Mensch" vielfach miteinander verflochten und vernetzt ist. Man kann es den biokybernetischen Ereignissen im Körper nicht unbedingt ansehen, ob sie "Hardware" oder "Software" repräsentieren. So finden wir häufig in den Mitteilungen und Büchern drei Ebenen durcheinander gehend: a) Perspektive (z. B. physikalisch, chemisch, biologisch, medizinisch, psychologisch, sozial), b) Hard- oder Software-Repräsentation, c) Ursache, Neben- und Begleiterscheinung oder Wirkung. Unbeschadet der Probleme, ist die konzeptionelle Vorsehung einer oder mehrerer Ursachen (Bäume oder Zweige) natürlich sinnvoll und vernünftig. Die Neigung mancher SystemikerInnen und VulgärkonstruktivistInnen, das Ursachenproblem herunterzuspielen oder gänzlich für überflüssig zu erklären, können wir in der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie weder teilen noch akzeptieren.  > Krankheitsbegriff.

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Okkult, Okkultismus [W]
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Operationalisierung
Vieles, was wir Seele und Geist zurechnen, ist nicht direkt beobachtbar. Die Merkmale von Seele und Geist sind Konstruktionen. Daher sind Aussagen über Seele und Geist (befinden, fühlen, denken, wünschen, wollen, eingestellt sein, ...) besonders anfällig für Fehler. Damit man sich nicht in rein geistigen Sphären bewegt, ist es daher in vielen Fällen sinnvoll, ja notwendig, unsere Konstruktionen seelischer Merkmale und Funktionsbereiche an Konkretes, Sinnlich-Wahrnehmbares, Zählbareszu knüpfen. Damit haben wir die wichtigsten praktisches Kriterien für Operationalisiertes benannt (in Anlehnung an das test-theoretische Paradigma; Stichwort Operationalisierung bei Einsicht und Einsichtsfähigkeit)
    Ein Begriff kann demnach als operationalisiert gelten, wenn sein Inhalt durch wahrnehm- oder zählbare Merkmale bestimmt werden kann. Viele Begriffe in der Psychologie, Psychopathologie, in Gesetzen und in der Rechtswissenschaft sind nicht direkt beobachtbare Konstruktionen des menschliches Geistes und bedürften daher der Operationalisierung. Welcher ontologische Status oder welche Form der Existenz ihnen zukommt, ist meist unklar.
    Das Operationalisierungsproblem von Fähigkeiten. Ob einer etwas kann oder nicht, lässt sich im Prinzip leicht prüfen durch die Aufforderung, eine Fähigkeitsprobe abzulegen in der eine Aufgabe bearbeitet wird, z.B. die Rechenaufgabe 12 - 7 + 1 =  ? Hierbei gibt es eine ganze Reihe richtiger Lösungen, z.B.: (1) die Hälfte des ersten Summanden, (2) 5 + 1, 7 - 1 oder (3) die, an die die meisten zuerst denken: 6. Will man prüfen, ob jemand rechtmäßige von unrechtmäßigen Handlungen unterscheiden gibt kann, gibt man z.B. 10 Aufgaben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden vor und lässt diese bearbeiten, etwa als einfacher Ja-Nein-Test oder als Begründungs- oder Erörterungsaufgabe, wenn tiefere Einblicke gewünscht werden. Doch wie will man herausbringen, ob jemand vor drei Monaten, am TT.MM.JJJJ um 13.48 Uhr als man einen Gegenstand (z.B. einen Fotoapparat) in seiner Tasche wiederfand, wusste, dass dieser Gegenstand nicht in seine Tasche hätte gelangen dürfen?
    > Drei Beispiele Innere Unruhe, Angst, Depression (Quelle)
 
Merkmal (latente Dimension)
Operationalisierung(en)
(a) Innere Unruhe 
Ich bin innerlich unruhig und nervoes.
(b) Angst
Ich fuehle Angst.
(c) Depression
Nicht selten ist alles wie grau und tot und in mir ist nur Leere.
Zur Geschichte des Operationalisierungsbegriffs in der Psychopathologie
Kendell (1978) berichtet, S. 27f: "Vor einigen Jahren machte der Philosoph Carl Hempel einem Publikum von Psychiatern und klinischen Psychologen, die an Fragen der Diagnose und der Klassifikation interessiert waren, in taktvoller Weise den Vorschlag, sie sollten das Problem dadurch angehen, daß sie „operationale Definitionen" für alle die verschiedenen Krankheitskategorien in ihrer Nomenklatur entwickelten (Hempel 1961). Dies war wirklich der einzige Rat, den ein Philosoph oder Naturwissenschaftler überhaupt hätte geben können. Der Ausdruck operationale Definition wurde ursprünglich von Bridgman (1927) geprägt, der ihn folgendermaßen definierte:
    „Die operationale Definition eines wissenschaftlichen Begriffes ist eine Übereinkunft des Inhalts, daß S auf alle die Fälle — und nur auf die Fälle — anzuwenden ist, bei denen die Durchführung der Testoperation T das spezielle Resultat 0 ergibt.
    Wie Hempel selbst zugibt, muß im Rahmen der psychiatrischen Diagnose der Ausdruck „operational" sehr großzügig interpretiert werden, um auch noch bloße [>] Beobachtungen mit einschließen zu können. Im Grunde genommen sagt er nicht mehr, als dass die Diagnose S auf alle die Personen, und nur auf die, angewandt werden sollte, die das Merkmal Q bieten oder die dem entsprechenden Kriterium genügen, wobei nur die Voraussetzung erfüllt sein muß, daß O „objektiv" und „intersubjektiv verifizierbar" ist und nicht nur intuitiv oder einfühlend vom Untersucher erfaßt wird.
    Daraus ergibt sich die Schwierigkeit, wie man eine ganze Reihe klinischer Bilder, von denen viele quantitativ variieren und kein einzelnes gewöhnlich ausreicht, die fragliche Diagnose zu stellen, auf ein einziges objektives Kriterium 0 reduzieren kann. Dies ist offensichtlich eine schwierige und verwickelte Aufgabe. Ein großer Teil dieses Buches ist direkt oder indirekt mit der Art und Weise befaßt, wie dieses Ziel erreicht werden könnte. Deshalb ist es angezeigt, an dieser Stelle zwei allgemeine Prinzipien, die sich hierauf beziehen, aufzustellen. Erstens müssen Einzelsymptome oder Merkmale, die verschiedene Ausprägungsgrade haben können, in dichotome Variable umgewandelt werden, indem man ihnen bestimmte Trennungspunkte zuteilt, so daß die Frage nicht länger lautet: „weist der Patient das X auf? " oder auch „wieviel X weist er auf? sondern „weist er soviel X auf? ". Zweitens muß das traditionelle polythetische Kriterium in ein monothetisches umgewandelt werden. Dies läßt sich ganz einfach durchführen. Anstatt zu sagen, die typischen Merkmale der Krankheit S seien A, B, C, D und E, und die Mehrzahl von ihnen müßte vorhanden sein, bevor die Diagnose gestellt werden kann, müssen A, B, C, D und E algebraisch kombiniert werden, sodaß eindeutig festgelegt ist, welche Kombinationen dem Kriterium O genügen und welche nicht.
    Man könnte z.B. die Übereinkunft treffen, daß beliebige drei oder vier der fünf Merkmale dem Kriterium 0 genügen, aber andere, komplexere Kriterien wären ebenfalls zu akzeptieren unter der Voraussetzung, daß sich jede mögliche Kombination damit abdecken ließe."
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Pathogenese Entwicklung der Störung, > Krankheit.
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Störung > Norm, Wert, Abweichung (Deviation), Krank (Krankheit), Diagnose. "Normal", "Anders", "Fehler", "Gestört", "Krank", "Verrückt".
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Symptom
Kleinste Einheit für eine Störung, die aus Daten nach Regeln erschlossen und gedacht werden.
Symptomverzeichnis nach PSE, Wing et al. (1984).
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Syndrom
Name für eine als typisch gedachte Konfiguration von Symptomen, wobei nach dem medizinischen Krankheitsmodell einem Syndrom unterschiedliche Störungen mit Krankheitswert oder Erkrankungen zugeordnet sein sein können, so daß sich hier die Differentialdiagnose der Ätiologie stellt.
    Gross (1969, S. 15f) führt zur Geschichte des Syndrombegriffs aus:
    "Heute hat sich unter dem Eindruck des Standardwerkes von LEIBER und OLBRICH [84] sowie ähnlicher ausländischer Publikationen [33, 277] sozusagen zwischen Symptom und Krankheit das Syndrom (....... = zusammenlaufend, übereinstimmend) geschoben. Der Ausdruck Syndrom wurde bereits von Hippokrates sowie von Galen als Begriff für eine Gruppe von Krankheitszeichen benutzt. Werden Syndrome — wie das gelegentlich geschieht — als reine Symptomkombinationen verstanden, haben sie allenfalls Bedeutung im Sinne einer Vereinfachung. Symptomenkomplexe (oder „Syndrome" in diesem allgemeinen Sinn) dürfen nicht mit Diagnosen verwechselt werden.
    Eine Anämie oder ein Pleuraerguß sind z. B. solche Symptomenkomplexe, die allenfalls symptomatische Maßnahmen erlauben. Erst die Diagnosen: 'Perniciöse Anämie' bzw. 'Tuberkulöse Pleuritis' erlauben eine kausale Behandlung.
    In einigen neueren amerikanischen Arbeiten (z.B. [37]) wird Syndrom weitgehend identifiziert mit den Clusters  (Gruppen, Haufen) der Sets einer medizinischen Taxonomie (s. dazu auch Abschnitt 4.24).
    Ohne weiteres Eingehen auf die komplizierte Abgrenzung [84, 368] sei hier zusammengefaßt, daß die meisten Kliniker heute unter einer Krankheit eine Gruppe von Symptomen mit einheitlicher Entstehung (Pathogenese) und einheitlicher tieferer Ursache (Ätiologie, s. u.), unter einem Syndrom eine ähnliche Gruppe von Symptomen mit unbekannter der verschiedener Ursache verstehen. LEIBER [84] definiert in gleichem Sinn: „Ein symptomatologisch einheitliches Krankheitsbild, dessen Auslösungs- und Gestaltungsfaktoren unbekannt, vieldeutig oder plurikausal  (... polyätiologisch ... polypathogenetisch ...)  sind." Auch in der treffenden Formulierung wird man ihm folgen müssen, daß der Syndrombegriff ein erstes, großes, weit gefaßtes nosologisches Sammelbecken, ist, gewissermaßen für die „Krankheiten im Wartestand". Dagegen halte ich die Einbeziehung der individuellen physischen und psychischen Reaktionen in den Syndrombegriff für verfehlt. Hier wird die Polarität zwischen Krankheiten (in deren Vorfeld LEIBER mit Recht auch das Syndrom verlegt) und Kranken, zwischen nosologischer Typisierung und Berücksichtigung der individuellen Reaktion (s. Kap. 1.2) verwässert — gewiß zum Schaden der begrifflichen Klarheit. Auch sonst hat es nicht an Kritik des Syndrombegriffes gefehlt. So muß verlangt werden, daß die Kombination von Symptomen eine mehr als zufällige ist [361] — eine theoretisch einleuchtende, aber bei den oft seltenen Syndromen schwer zu erfüllende Forderung. Verständlicherweise ist die Tendenz zur Aufteilung von Krankheitseinheiten relativ groß, besonders wenn die Verknüpfung mit einem Eigennamen der per-[>16]sönlichen oder nationalen Eitelkeit entgegenkommt. Da viele Syndrome aber statt langatmiger Aufzählung der Merkmale mit einem Namen (oft: welchem von vielen?) ausreichend gekennzeichnet sind, werden wir wohl auch in Zukunft mit ihnen zu tun haben.
    LEIBER [368] gab neuerdings folgende Zahlen: Sein Buch enthält 1600 Syndrome, seine Kartei 3500 (auf deren Aufführung er zum Teil wegen ihrer Unbestimmtheit verzichtet hat). Er rechnet mit derzeit etwa 30 000 Krankheiten und Syndromen sowie mit mindestens einer Verdoppelung innerhalb der nächsten 10—12 Jahre. Vergleichsweise enthält der derzeit beste klinische Diagnosenschlüssel in deutscher Sprache von IMMICH [67] rd. 8000 nosologische und 750 topographische Begriffe, die parallel benutzt werden sollen. Eine amerikanische Schätzung kommt auf etwa 10 000 bekannte Krankheiten und 100 000 erfaßbare Befunde [409]. Alle diese Zahlen sind allerdings noch um einen gewissen Prozentsatz von Synonyma zu vermindern, die teilweise erst eine künftige taxonomische Klassifizierung aufdecken wird (s. auch Abschnitt 4.24).
    Die Diagnose als Verknüpfung von Symptomen und Krankheiten hat von der Tatsache auszugehen, daß die meisten Symptome bei mehreren Erkrankungen vorkommen und umgekehrt — ja, daß die bereits genannten unspezifischen Symptome bei einer Vielzahl von Krankheiten beobachtet werden. Ausgehend von einem Leitsymptom, wie z, B. Schwindel, wird man also eine Anzahl von Krankheiten unterscheiden müssen. Dieses Ziel nennt man Differentialdiagnose, den Weg dorthin Differentialdiagnostik.
    Streng genommen gibt es zwei Arten von Differentialdiagnostik: Eine allgemeine (semiologische), die von bestimmten Krankheitserscheinungen ausgehend die möglichen Ursachen katalogisiert, und eine spezielle (nosologische), die für die einzelnen Krankheiten aufzählt, von welchen ähnlichen sie mit welchen Mitteln abgegrenzt werden müssen. Tatsächlich sind die meisten Lehrbücher der Differentialdiagnostik Kombinationen aus beiden Ansprüchen. Es wird auch wenig beachtet, daß „Differentialdiagnose" ein schlechter Ausdruck, ein typisch lateinisch-griechischer [griechisch] ("Sag eines mit zwei Worten") ist: Differentiare heißt unterscheiden, [griechisch oder griechisch] ist die Unterscheidung, zusammen also: Die Unterscheidung des Unterschiedes oder des Unterscheidbaren. Auch der Gebrauch von "Differentialdiagnose" ist verschieden: Man gelangt zur Differentialdiagnose, d.h. zur Feststellung der tatsächlich vorliegenden Krankheit. Bei der systematischen Darstellung von Krankheiten werden andererseits deren Differentaldiagnosen, d. h. gerade die in diesem Fall nicht zutreffenden, abzugrenzenden Erkrankungen aufgezählt."
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Tests, psychologische, psychopathologische
Lienert (1979) schreibt S. 207: "Das Wort „Test", stammt bekanntlich aus dem englischen Sprachgebrauch und bedeutet soviel wie Probe. Obwohl unter Fachpsychologen meist noch die englische Pluralform verwendet wird, betrachten wir den Begriff als eingedeutscht und deklinieren ihn entsprechend. FN1.
    Das Wort „Test" hat in der Psychologie eine mehrfache Bedeutung. Man versteht darunter:
1. Ein Verfahren zur Untersuchung eines Persönlichkeitsmerkmals.
2. Den Vorgang der Durchführung der Untersuchung.
3. Die Gesamtheit der zur Durchführung notwendigen Requisiten.
4. Jede Untersuchung, sofern sie Stichprobencharakter hat.
5. Gewisse mathematisch-statistische Prüfverfahren (z. B. Chi2-Test).
Unter diesen Bedeutungen ist die erste die weitaus wichtigste; sie soll
in der folgenden Definition in ihren in diesem Zusammenhang wesentlichen Punkten festgelegt werden:
    Definition: Ein Test ist ein wissenschaftliches Routineverfahren zur Untersuchung eines oder mehrerer empirisch abgrenzbarer Persönlichkeitsmerkmale mit dem Ziel einer möglichst quantitativen Aussage über den relativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung. FN2"
> Grundlegende Voraussetzungen psychologischer Tests.
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Testpsychologische Gütekriterien Objektivität, Reliabilität, Validität
Die Welt der Wissenschaft ist Jahrtausende ohne die testpsychologischen bzw. testtheoretischen Kriterien Objektivität, Reliabilität und Validität ausgekommen. Man kann oder sollte sich deshalb sogar fragen: hat die Psychologie tatsächlich relevantes Neues mit diesen Kriterien geschaffen oder ist dies nur eine Besonderheit der Psychologie, speziell der Testpsychologie oder der psychologischen Testtheorie? Und falls: warum? Das Problem der Meßgenauigkeit ist den Menschen seit sie messen bekannt, wenn auch die persönliche Gleichung bei der Sternbeobachtung erst ziemlich spät entdeckt wurde (Bessel 1821). Dieser systematische Fehler betrifft die Objektivität der Beurteilung. Doch wie steht es um die sog. Validität. Die Kurzformel besagt, eine Beurteilung ist valide, wenn das beurteilt, was sie beurteilen soll. In einer Prüfung, anders vielleicht als bei einer Bewerbung, soll also Wissen und Können und nicht die Attraktivität oder die Sprachgewandtheit des Prüflings beurteilt werden. Wir alle wissen natürlich, dass in die Beurteilung von Menschen viele Faktoren einfließen, darunter auch solche, die mit dem interessierenden Sachverhalt kaum etwas zu haben.
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Objektivität, Reliabilität und Validität
Die drei wichtigsten testtheoretischen Kriterien, die man aber ganz allgemein auf Datenerhebungsmethoden anwenden kann. Objektivitätheißt, dass ein Ergebnis (Befund, Diagnose) unabhängig vom Untersucher bzw. Datenerheber gleich sein sollte. Reliabilität meint die Genauigkeit der Erfassung. Und Validität schließlich meint, dass das Datum für die Zuordnung richtig sein sollte. Ein Validitätsproblem liegt vor, wenn ein Verfahren nicht das feststellt, was es feststellen soll. Ein Reliabilitätsproblem ist gegeben, wenn die Erfassung dessen, was festgestellt werden soll, ungenau ist. Und ein Objektivitätsproblem liegt vor, wenn unterschiedliche Ergebnisse herauskommen, wenn unterschiedliche Untersucher die Datenerhebung betreiben. Früher hing die psychiatrische Diagnose oft davon ab, an welchen Psychiater oder an welche Einrichtung man geriet, d.h. die Feststellungen war sehr vom Untersucher oder der Einrichtung abhängig.
    Exkurs: Es ist ein völlig falscher Satz der sog. „Klassischen Testtheorie“ (KTT), wenn sich dort bereits formal aus dem Ansatz ergibt, dass die Validität von der Reliabilität abhängt. Genau gilt dort: Die Wurzel aus dem Reliabilitätskoeffizienten ist eine obere Schranke für den Validitätskoeffizienten (> Rosenhan, aber: Inzwischen sind Zweifel an der Studie geäußert geworden (22.6.2018, updated 2.11.2019 New York Post). Cahalan, Susannah  (2019) The Great Pretender: The Undercover Mission That Changed Our Understanding of Madness. Hachette Nashville: Grand Central Publishing.) Die richtige Relation müßte eher umgekehrt lauten, dass ein Test überhaupt nur dann reliabel (genau) messen kann, wenn er überhaupt das Richtige misst, weil es ja wohl keinen Sinn macht, zwar sehr genau, aber das Falsche zu messen. Aber man kann die Genauigkeit einer Messung unabhängig vom richtigen Objekt der Messung denken. Dann dürfte aber die Relation, dass die Wurzel aus dem (korrelativen) Reliabilitätskoeffizienten für die Validität eine obere Grenze darstellt, nicht gelten, das diese Relation ja gerade eine Abhängigkeit ausdrückt. Der zweite große Doppelfehler der KTT ist, dass die Reliabilität (Zuverlässigkeit) offenbar als Merkmal dem Test falsch zugeordnet wird, wobei der Einzelfall völlig untergeht. Die Psychologie "misst" am Menschen. Daher ist Meßgenauigkeit immer auch von dem Menschen, an dem gemessen wird, abhängig. In der sog. klassischen Testtheorie wird die Meßgenauigkeit aber als Test-Kennwert für eine Normgruppe definiert und nicht für einen Einzelfall, wie er uns in der Praxis immer begegnet.
Margraf (1994, S. 7, Mini-DIPS) berichtet: "Rosenhan (1973) ließ zwölf freiwillige Versuchspersonen ohne jegliche psychische Störungen in verschiedene psychiatrische Kliniken einweisen. Bei der Aufnahme sollten die Pseudopatienten lediglich ein Symptom berichten, ansonsten jedoch völlig zutreffende Angaben über sich und ihre Lebensumstände machen. Als Symptom wählte der Autor ein Verhalten aus, das noch nie in der Fachliteratur beschrieben worden war: Die Versuchspersonen sollten angeben, sie hörten Stimmen, die (in deutscher Übersetzung) "leer", "hohl" und "bums" sagten. Unmittelbar nach der Aufnahme berichteten die "Patienten" nicht mehr von diesem Symptom und verhielten sich auch ansonsten völlig normal. Trotzdem wurden alle Patienten als psychotisch diagnostiziert (elfmal als schizophren, einmal als manisch-depressiv). Es lag also ein außerordentlich hohes Ausmaß an diagnostischer Übereinstimmung vor. Dennoch waren alle Diagnosen falsch, sie besaßen also keine Validität."
    Inzwischen sind Zweifel an der Studie geäußert geworden (22.6.2018, updated 2.11.2019 New York Post). Cahalan, Susannah  (2019) The Great Pretender: The Undercover Mission That Changed Our Understanding of Madness. Hachette Nashville: Grand Central Publishing.
Objektivitäts-Paradigma
Eine Beurteilung heißt in dem Maße objektiv, wie unterschiedliche BeurteilerInnen einen Sachverhalt gleichermaßen beurteilen, schätzen oder messen.
Reliabilitäts-Paradigma
Eine Ausprägungsschätzung oder Messung einer Ausprägung eines Merkmals ist in dem Maße reliabel, wie sie gleiche Werte unter gleichen Bedingungen schätzt oder misst.
Validitäts-Paradigma
Eine Aussage zu einem Sachverhalt ist in dem Maßen valide, wie die Aussage den Sachverhalt erfasst.
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Vertrauen, Vertrauensbasis, Vertrauensbeziehung


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Wahn.
Definition: Wahn liegt vor, wenn mit rational unkorrigierbarer (Logik, Erfahrung) Gewissheit ein falsches Modell der Wirklichkeit oder ein falscher Erkenntnisweg zu einem richtigen oder falschen Modell der Wirklichkeit vertreten wird.
    Beispiel falsches Modell der Wirklichkeit: Ein Passant gähnt und das deutet ein fränkischer Proband als Zeichen Dr. Merks, worauf er in die Knie geht und laut ruft: „Allmächd, Allmächd“. Muss man so jemanden einsperren? Natürlich nicht.
    Beispiel falscher Erkenntnisweg eines richtigen Modells der Wirklichkeit: Ein Passant gähnt und ein Proband zieht daraus den Schluss, dass Banken in hohen Maße an Steuerbetrugsdelikten beteiligt sind. Passantengähnen ist keine in unserer Kultur und Wissenschaft anerkannte Erkenntnisquelle für Schwarzgeldschiebereien, die natürlich ein völlig reales Modell der Wirklichkeit sind.
    Gustl F. Mollath hat seine Erkenntnisse nicht aus dem Gähnen eines Passanten wahnhaft erschlossen, sondern seine Erkenntnisquellen entsprechen genau denen unserer Kultur und Wissenschaft. Es gibt auch keine Progredienz(Ausdehnung, Erweiterung, Fortschreitung), wenn man mit gesundem Menschenverstand hinschaut, was der forensisch-psychiatrischen Schlechtachterindustrie offenbar zu schwierig erscheint. Es ist ja völlig logisch und verständlich, dass, je mehr Menschen sein Anliegen und seine Erkenntnisse ablehnen, er entsprechend mehr AblehnerInnen sieht. Daher ist das vermeintliche Progredienzzeichen für einen angeblich sich ausdehnenden Wahn (wohin hat er sich denn in den letzten 10 Jahren ausgedehnt?) auch keines, sondern es erklärt sich ganz einfach aus der Natur des Sachverhalts.
    Infos zum Wahn in der IP-GIPT:

  • Wissenschaftliches Wahnsystem am Beispiel Mollath.
  • Einige Wahnbegriffe im AMDP-System.
  • Wahn in verschiedenen Störungen und Krankheiten (Diagnostik).
  • Wahnformen.
  • Wahnfälle.
  • Zur Etymologie von WAHN gegenüber WahnSINN (nach Scharfetter).
  • "Normal", "Anders", "Fehler", "Gestört", "Krank", "Verrückt".
  • Unterscheiden Wahn und Glauben.
  • Mehr zum Wahn > Überblick Wahn.
  • ___
    Zwei Beispiele (Identitäten geschwärzt)

    In beiden Fällen, erst aus der Forensik Straubing, dann aus Rosenheim, wird Wissenschaft beansprucht und versprochen
     

    Aus Rosenheim:

     
     


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    weise
    Standort: 2016 Nachrichten aus der Psychiatrie und Umfeld.
    *
    Links: Psychiatrie in der IP-GIPT.
    Gewaltanwendung und Zwang in der forensischen Psychiatrie.
    Potentielle Fehler in forensisch-psycho-pathologischen Gutachten.
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site: www.sgipt.org
    z.B. Organisation IP-GIPT site: www.sgipt.org. * 

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    Dienstleistungs-Info.
    *


    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Nachrichten aus der Psychiatrie und Umfeld 2016 ff. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/medppp/NadP2016.htm
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    __Ende_2016 ff  Nachrichten aus der Psychiatrie_Datenschutz_Überblick__Rel. Beständiges _Titelblatt_ Konzept_ Archiv_ Region_ English contents__ Service_iec-verlag__ Dienstleistungs-Info* Mail: sekretariat@sgipt.org_ Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    korrigiert:





    Änderungen wird gelegentlich überarbeitet, ergänzt und vertieft * Anregungen und Kritik willkommen
    20.11.20   Rechtssprechung > Mosbacher.
    07.12.19   Zweifel am Rosenhanversuch  vermerkt.
    31.01.19   Bremer Psychiatriereform.
    01.12.18   Steller: Beiträge der Psychowissenschaften zu Justizirrtümern.
    21.07.18   Bayerisches PsychKHG auf eigene Seite ausgelagert.
    09.07.18  „Wie gehen wir mit psychisch Kranken um?“ – mit Julika Sandt und Gustl Mollath
    07.04.18  Verjagt.
    12.1.117  Fazit: Willensstörungen in der Psychopathologie (Nervenarzt 88, 2017, 1252–1258)
    27.10.17  Hochstapler in der Psychiatrie.
    04.02.17  Psychiatrie Missbrauch Forschungsbericht.
    30.11.16  Aktuelles (2016) von Prognosegutachten.
    03.11.16  RuP 4, 2016 Neues aus der Zeitschrift Recht und Psychiatrie.
    25.08.16  Beschränkung ärztlicher Zwangsbehandlung auf untergebrachte Betreute ... nicht vereinbar.
    18.07.16  Bämayr (2016) Das psychiatrische Gutachten.
    02.07.16  PdRP QS familienrechtspsychologischer GA, Gewalt & Psychose, Borderline-Zeuginnen.
    09.03.16  Evaluation Straftäterbehandlung.
    21.02.16  Linkfehler geprüft und korrigiert.
    31.01.16  Neu angelegt, Linkfehler geprüft * Neues aus der Zeitschrift Recht & Psychiatrie 34,1, (2016).