Wahn-Fälle
[Vor dem Spiegel - Primäres
Wahnerlebnis, Gouache
Clinique des Maladies Mentales
et de l'Encéphale de la faculté de Médecine de Paris
Sekundärquelle Sandoz, 1966,
Ästhetische Ausdrucksformen des Wahns, Tafel 4]
ausgewählt und aufbereitet
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Querverweise.
Wahn liegt vor, wenn mit rational
unkorrigierbarer Gewissheit ein falsches Modell der Wirklichkeit oder ein
falscher Erkenntnisweg zu einem richtigen oder falschen Modell der Wirklichkeit
vertreten wird.
[> Zur Unmöglichkeit des Inhalts] > Peters (1984) Eintrag zum Wahn. > Abgrenzung Irrtum und Glaube. |
Unterscheidungen und Beispiele
Im Zweifel besinne man sich auf die Fallstricke
der Diagnostik oder wende die Begriffsregeln des Aristoteles an:
|
"Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; |
[Organisationsplan: Abstammungs-, Berufungs- und Größenwahn * Alkoholinduzierter Wahn * Anhaltende wahnhafte Störung (F22) * Beeinträchtigungswahn * Berufungswahn * Beziehungswahn (sensitiver) * Besessenheitswahn * Capgras-Syndrom * Cotard-Syndrom * Dermatozoenwahn * Drogen induzierter Wahn * Eifersuchtswahn * Eigengeruchswahn * Enterozoenwahn * Esoterischer, metaphysischer, religiöser und spiritueller Wahn * Exorzismus (extern) * Folie à deux * Fregoli-Syndrom * Fremdbeeinflussungswahn * Größenwahn * Haftpsychosen * Heiratswahn * Hypochondrischer Wahn * Ideologischer Wahn * Induzierte wahnhafte Störung * Intermetamorphose * Jerusalem-Syndrom * Lykanthropie * Körperdysmorpher Wahn * Kontaktmangelparanoid * Korsakow-Syndrom * Liebeswahn * Medikamenten- und stoff-induzierter Wahn * Metaphysischer Wahn * Minderwertigkeitswahn * Monoperceptose * Multiple- und komplexe Wahnsysteme * Nihilistischer Wahn * Normaler Wahn * Organisch bedingter Wahn * Positiver Wahn * Psychische Epidemien (extern) * Querulantenwahn * Religion als Wahn * Religiöser Wahn * Schuldwahn * Schwangerschafts- und Mutterschaftswahn * Sensorische Deprivation * Simulierter Wahn * Sozialer Wahn * Spiritueller Wahn * Sterbewahn * Strafwahn * Überwertige Idee * Verarmungswahn * Verfolgungswahn * Vergiftungswahn * Verhältnisblödsinn * Versündigungswahn * Wachstumswahn * Wahn bei sensorischer Beeinträchtigung * Weltuntergangs- und Katastrophenwahn * wissenschaftlicher Wahn *]
1. Wahn im klinischen Sinne: Klinische Wahn-Fälle. |
Die Einteilung ist manchmal schwierig und problematisch, wenn zwei oder
mehr wahnhafte oder andere Störungen vorliegen.
Multiple
und komplexe Wahnsysteme
Schreber, Wahnhafte
Glückspsychose ausgelöst durch die 5. Beethovens, Glückspsychose
bei Nerval, Verfolgungs-
und Groessenwahn bei einem 22-jährigen,
Schreber, D. P. (1903). Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, nebst Nachträgen und einem Anhang über die Frage: ›Unter welchen Voraussetzungen darf eine für geisteskrank erachtete Person gegen ihren erklärten Willen in einer Heilanstalt festgehalten werden?‹. Leipzig: Mutze.
Anmerkung: Am Fall Schreber
entwickelte Freud eines seiner "wissenschaftlichen"
Wahnsysteme (andere z.B. Ödipus- und Kastrationskomplex,
Junktimhypothese)
nämlich die anscheinend subjektiv gewisse und unkorrigierbare Theorie
von der angeblich verdrängten Homosexualität
als Ursache der Paranoia bei Männern.
Die extremen Erziehungsmethoden und Einstellungen von Schrebers Vater wurden von Freud bei seiner Analyse der Schizophrenie Schrebers nicht berücksichtigt. Sicher ein schwerer wissenschaft- licher und psychopathologischer Kunstfehler. Er war erfüllt von seiner fixen Idee, dass einer Paranoia verdrängte homosexuelle Strebungen zugrunde liegen müssten und kümmerte sich nicht - entgegen aller psychotherapeuti- schen, auch tiefenpsychologischen Gepflogenheiten - um die Fami- liendynamik. |
Eine gründliche und
kritische Untersuchung der Freud'schen Paranoiatheorie findet man z.B.
bei
Spitzer
(1989-2). Dieser Arbeit sei auch eine kurze Fall-Charakteristik (1989-2,
S. 72) entnommen: "SCHREBER beschreibt ausführlich sein Wahnsystem,
das darin besteht, daß er berufen sei, die Welt zu erlösen und
der Menschheit die verlorengegangene Seligkeit wiederzubringen. Ähnlich
wie die Propheten sei er zu dieser Aufgabe durch unmittelbar göttliche
Eingebung gekommen, die sich nur schwer sprachlich ausdrücken ließe,
weswegen eben nur ihm diese Offenbarung zuteil geworden sei. Damit die
Erlösung statthaben könne, sei zunächst eine Umwandlung
seines Geschlechts unbedingt notwendig. Dies geschehe durch ein Wunder,
und überhaupt vollzögen sich an ihm beständig göttliche
Wunder. So werde er bestrahlt und höre Stimmen, was ihn darin nur
bestätige. Seine inneren Organe seien in den letzten Jahren mehrfach
zerstört worden, und er habe beispielsweise ohne Magen, ohne Därme,
fast ohne Lungen, mit zerrissener Speiseröhre, ohne Blase, mit zerschmetterten
Rippenknochen oder aufgerissenem Kehlkopf gelebt, durch Wunder seien diese
Schäden jedoch immer wieder hergestellt worden. Bei seiner Umwandlung
zur Weiblichkeit handele es sich nicht um ein momentanes Geschehen, sondern
um eine langsame Entwicklung, wobei er das Gefühl habe, daß
in seinem Körper weibliche Nerven sproßten."
Es gibt inzwischen ein einfaches
empirisches Argument gegen die Homosexualitätstheorie Freuds: Seit
zunehmender Akzeptanz homosexueller Verfasstheit, sollte es zunehmend weniger
Gründe geben, homosexuelle Neigungen zu unterdrücken. Deshalb
sollte die männliche Paranoia nach ihrer Häufigkeit massiv abgenommen
haben.
Paranoia
aus Unglück: Ewalds Realschulprofessor H., 50 J.
Ewald, Gottfried (1925). Das manische Element in der Paranoia.
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, 665-763. Aus der Psychiatrischen
Klinik Erlangen [Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. G. Specht]. (S. 713-717)
"Keine manifeste erbliche Belastung. Großvater
Tabiker, Vater brutaler Mensch, Säufer, Mutter sensitive Persönlichkeit
mit Neigung zu paranoischer Verarbeitung von Erlebnissen. Pat. selbst von
Jugend auf ,,eine freudlose Erscheinung". Dabei begabt, fleißig,
gewissenhaft, strebsam, ehrgeizig, eitel, sehr empfindlich, gegen die Geschwister
herrisch, aufbrausend, selbst brutal. Nach außen zurückhaltend,
still, scheu, schüchtern, ängstlich bis zur Feigheit. Sehr leicht
in seinem Stolz verletzt, außerordentlich selbstbewußt, dünkte
sieh immer etwas Besseres. Dabei Schwarzseher und mißtrauisch von
Jugend auf. Wenig Neigung zu Geselligkeit, auch wenig Verkehr mit Mädchen.
Ein einziges Mal ein intimes Erlebnis. War im Alter von 29 J. in Hof als
Realschullehrer angestellt. Das sei eine wenig beliebte Stelle gewesen,
er sei ungern hingegangen und habe gehofft, bald wieder fortzukommen. Allein
alle möglichen Kollegen seien versetzt worden, er aber nicht. Das
habe ihn stutzig gemacht. Er glaubte auch, daß sein Direktor ihm
nicht wohl wollte, wenn er auch immer freundlich zu ihm war, bald meinte
er, daß sein Hausarzt, der auch mit dem Direktor befreundet war,
ihm ein gewisses Mitleid zeige, er mußte mit dem Direktor unter einer
Decke stecken, es mußte etwas gegen ihn vorliegen, er wußte
aber nicht recht was. Das alles, meinte er, habe ihn in eine gedrückte
Stimmung versetzt, aus derer sich nicht herausgefunden habe. Da, eines
Tages, fand er am Mittagstisch neben seinem Platz die Fliegenden Blätter
ausgeschlagen, und zwar ein Bild, wo ein im Regenwetter spazieren gehendes
Liebespärchen von Diogenes aufgefordert wird, in seiner Tonne Platz
zu nehmen. Mit einem Schlag war ihm jetzt klar: Sein einziges intimes Erlebnis
mit jenem
Mädchen war bekannt geworden - das hatte ja auch bei Regenwetter
stattgefunden - deshalb kam er nicht vorwärts, deshalb war der Direktor
zu ihm so besonders, deshalb schaute man ihn so bedeutungsvoll oder mitleidig
an, und seine Gegner
hatten ihm dies auf solch perfide Weise mit den Fliegenden Blättern
zu verstehen gegeben. Und nun häuften sich die Erlebnisse. An jenem
Ort, wo er das Mädchen getroffen hatte, traf er 2 Gendarmen, in der
Schule, im Wirtshaus, auf der Straße,
in den Zeitungen, überall fand er Anspielungen, ,,alles klappt
und stimmt". Sein körperliches Befinden wurde immer schlechter, der
Schlaf fehlte, der Stuhlgang wurde träge, der Appetit schwand. Er
wurde immer verzweifelter, dachte an Selbstmord
und wurde schließlich von seinen Angehörigen in ein Sanatorium
gebracht (1910). Am Abend vorher hatte er noch ein besonders schauriges
Erlebnis, das ihn in der Überzeugung, seine Verfolger hätten
seinen Tod beschlossen, bestärkte :
Ein Stammtischgenosse habe sieh vor dem Erscheinen des Entenbratens
die geschlachtete Ente hereinbringen lassen, ein anderer habe ihn aufgefordert,
mit ihm den ,,Hamlet" zu besuchen, und außerdem wurde das Licht 3
mal ausgedreht. In dem Sanatorium war er ein volles Jahr. Er machte einmal
einen schwächlichen Selbstmordversuch, war depressiv-hoffnungsloser
Stimmung. Langsam besserte sich sein Zustand etwas, und wenn er auch bis
zum Schlug mißtrauisch blieb und [>714] stets geneigt war, jeder
Äußerung und jeder Handlung die übelste Deutung zu geben,
so konnte er doch gebessert entlassen werden. Er machte dann erst eine
große Studien- und Erholungsreise nach Italien und Griechenland,
auf der es ihm sehr gut ging und auf der er unter Verfolgungsideen nicht
mehr zu leiden hatte. ... ... ...
Er kam nicht von dem Gedanken los, daß man
ihm überall absichtlich Schwierigkeiten mache, ihn absichtlich belästige.
Ganz unerträglich wurde er erst wieder 1918. ... ... ...
Zur Illustration nur einige Partien aus Briefen
und Schriften: ,,Pünktlich mit dem Essen stellte sich nämlich
wieder die Unmöglichkeit ein, tief aufzuatmen. Bald kam auch das schon
öfter beobachtete Druckgefühl in der Herzgegend hinzu. Dieser
ekelhafte Zustand, in dem man sich keinen großen Schritt zu machen
traut, könnte einen zur Verzweiflung treiben. Fühlt man doch
sozusagen mit jedem Atemzuge, daß man kein unabhängiger Mensch
ist. Ich [>715] sehreibe nämlich den unleidlichen Zustand, wie schon
früher erwähnt, auch diesmal gewissen schädlichen Mitteln
zu, die mir heimlich in die Speisen oder die Getränke gegeben werden,
und zwar gründet sich die Vermutung unter anderem darauf, daß
die Beschwerden, die übrigens das sonstige normale Funktionieren des
Organismus gar nicht stören, wie sonst so auch diesmal um die Monatswende
auftraten,
ferner, daß dieser Zeitpunkt zugleich mit einem bestimmten Personalwechsel
verbunden war."
Wahnerkrankung
bei schizoaffektiver Grundstörung mit sehr langsamer Progredienz
Leonhard, Karl (1950). Eine Sippe
affektvoller Paraphrenie mit gehäuften Erkrankungen aus Verwandten-Ehen.
Zugleich ein Beitrag zur Frage der Paranoia. Archiv fiir Psychiatrie und
Zeitschrift Neurologie, Bd. 184, S. 291-356
"A.H. bot erst 7 Jahre lang vorwiegend das Bild
einer agitierten Depression mit Angstideen, Selbstvorwürfen und Eigenbeziehungen,
während die Stimmen, die anfangs bestanden, später zurücktraten.
Die Eigenbeziehungen sind sehr deutlich und geben der Psychose von Anfang
an ein stark paranoisches Gepräge. Nach 7 Jahren kommt der Angstzustand
endlich zum Abklingen, es setzt aber kein normales Verhalten dafür
ein, sondern die Kranke zeigt sich jetzt querulatorisch, reizbar und feindselig
gegen ihren Mann und die Anstalt. Nach den Vor[>305]würfen, die sie
erhob, und den heftigen Affekten, die sich gegen den Mann entluden, hat
es sich weiter um eine Wahnkrankheit gehandelt. Schon die stark paranoische
Färbung der Angsterkrankung und die lange Dauer mußten den starken
Verdacht erwecken, daß es sich nicht mehr um eine heilbare Psychose
handle, der Ausgang bestätigte diesen Verdacht. Trotzdem kann gesagt
werden, dag die Progredienz des Leidens
sehr langsam erfolgte und der endgültige Defekt gering war. Damit
rundet sieh die Psychose zu einem sehr charakteristischen Gesamtbild."
Wahnhafte
Glückspsychose ausgelöst durch ein Konzert der 5. Beethovens
[ICD-10
F25.0 (V)]
"Wenn sich die manische Verstimmung auf einer Schizophrenie aufbaut,
kann es zu einem Grössenwahn kommen wie folgt:
Ein bescheidener, tüchtiger Angestellter
wird in einem Beethovenkonzert vom göttlichen Geist erleuchtet.
Er fühlt sich wie von einem höheren Hauch umweht und ein unendliches
Glücksgefühl durchrauscht seine Seele. Seine Frau ist überrascht,
dass er plötzlich so strahlend und schön aussieht. Die heilige
Inspiration befähigt ihn zum Dichten und zum Erfassen der letzten
Geheimnisse des Lebens. Er sagt, die 5. Symphonie von Beethoven hätte
ihm Antwort gegeben auf die brennenden Fragen «Warum sind wir?»,
«Gibt es ein Jenseits?». Er weiss es jetzt: der Mensch ist
ein Symbol Gottes. Weil er französisch spricht, kommt ihm der ideenflüchtige
Einfall, er sei Saint-Paul. Sein grosses Verhältnis zur Kunst — er
ist sehr belesen — erlebt er als göttliche Gnade, Er fragt, ob ich
nicht spüre, dass ein Fluidum von ihm ausgehe. Seinen Kindern, die
er heiss liebt, erzählt er, er sei schön, wie ein arabisches
Pferd; er besässe einen feinen Kopf, breite Schultern und kleine
Schuhe. Dabei behauptet er, er liebe die Natur und die Poesie mehr als
sich selbst. Doch hasst er seine Frau, denn er fühlt sich von ihr
nicht verstanden und nicht erkannt. Stets quält ihn das Gefühl,
kein Echo zu finden, keinen Freund zu besitzen, mit dem er zusammenklingt.
Er hat sich nie anpassen können und war früher Anarchist, worin
deutlich sein schizothymes Temperament zum Ausdruck kommt. In der Waldau
ist er gern; er findet sie das «Land des Lächelns».
Zum Fenster hinaus träumend schreibt er ganze Packpapiere
voll Verse auf die Ostermundigenallee, und wenn er Bücher liest, riecht
er darin den Geist Gottes. Seine Stimmung ist glänzend; er spricht
freudig bewegt und hat ein lebhaftes Gebärdenspiel. Dennoch ist seine
Gefühlsfülle nicht richtig tief; man weiss nicht, ob er jemanden
liebt oder hasst. Von seinem Beruf ist er begeistert und gleichzeitig verdammt
er ihn; er ist ambivalent.
Weil er die Familie häufig vernachlässigt,
kommt er sich in der Exaltation als die Lampe der Familie vor. Er erklärt,
er sei seinen Kindern Vater und Mutter zugleich und sein Mund sei wie ein
Herz."
Quelle (S. 55):
Keller, Franz (1938). Eitelkeit und Wahn. Eitelkeit als Charakterschwäche
und als Größen- und Verfolgungswahn mit einem Anhang: Eitelkeit
in Kindheit und Jugend. Bern: Francke.
Glückspsychose
bei Gerard de Nerval geschildert in Aurelia (1854-1855):
"Swedenborg nannte diese Visionen »Memorabilia«; er verdankte sie öfter der Träumerei als dem Schlaf; der »goldene, Esel« des Apulejus, die »göttliche Komödie« Dantes sind die dichterischen Vorbilder dieser Studien über die menschliche Seele. Ich will nach ihrem Beispiel versuchen, die Eindrücke einer langen Krankheit niederzuschreiben, die sich ganz in den Mysterien meines Geistes abgespielt hat; — und ich weiß nicht, warum ich mich des Ausdrucks »Krankheit« bediene, denn niemals habe ich mich, was mich selbst betrifft, wohler gefühlt. Mit-[>8]unter hielt ich meine Kraft und meine Fähigkeit für verdoppelt. Es schien mir, als wüßte und verstände, ich alles, die Einbildungskraft brachte mir unendliche Wonnen. Soll man bedauern sie verloren zu haben, wenn man das, was die Menschen Vernunft nennen, wiedererlangt hat?" |
Zitat, S. 7f, aus: Nerval, Gerard de (dt-fr. 1961 ). Aurelia. Frankfurt: Fischer (Exempla Classica). [W] [Bilder: 1,2,] Porträt: Wikipedia. |
Verfolgungs-
und Groessenwahn bei einem 22-jährigen.
ZPID: "Die zentralen Behandlungsschritte einer sich ueber
sieben Jahre erstreckenden psychoanalytischen Behandlung eines bei Therapiebeginn
22jaehrigen psychotischen Patienten, der unter Aengsten sowie Verfolgungs-
und Groessenwahn litt, wird beschrieben. Dabei wird die individuelle psychotische
Symptombildung als Kompromissloesung und als Ausdruck eines psychotischen
Konflikts interpretiert."
Quelle: Troje, Elisabeth (1992). Der Karatekaempfer. Symptombildung als Kompromissloesung und Ausdruck eines psychotischen Konfliktes. In (168-211): Mentzos Stavros (1992, Hrsg.). Psychose und Konflikt. Zur Theorie und Praxis der analytischen Psychotherapie psychotischer Stoerungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. |
Berufungswahn
Huber & Gross (1977,
S.73 ) teilen mit: "Ein Patient mit Berufungswahn gibt aus psychotischen
Motiven sein Medizinstudium auf und befaßt sich mit Parapsychologie.
In der Klinik bemüht er sich, die Mitpatienten von der Richtigkeit
seiner Lehre zu überzeugen. - Ein Patient mit Berufungswahn verkündet
im Krankenhaus gemäß seinem Auftrag Gottes Wort und versucht,
die Mitpatienten zu bekehren. - Eine Patientin mit religiösem Berufungswahn
segnet die ihr begegnenden Menschen und will sie bekehren. - Eine Kranke,
die sich im Besitz besonderer Fähigkeiten glaubt, versucht mit allen
Mitteln, andere zur Anerkennung ihrer ungewöhnlichen Gaben zu bringen.
- Eine Patientin fühlt sich dazu berufen, andere als "Künderin
Jesu" zu bekehren. Gemäß ihrer Mission fährt sie zum Bundeskanzler,
um auch ihn für ihre Ideen zu gewinnen. - Ein Patient, der sich für
das "geistige Haupt der Menschheit" hält, unternimmt alles mögliche,
um seine Mitmenschen zu bekehren. - Eine Patientin mit der wahnhaften Überzeugung,
daß sie sterben und dann wieder auferstehen werde, verlangt in der
Klinik sthenisch ihre Kreuzigung, da ihr vorher nicht geglaubt werde."
Größenwahn
und Sprachverwirrtheit.
ZPID: "Anhand von drei Fallbeispielen werden sprachliche Besonderheiten
beschrieben, die im Rahmen von Groessenwahn auftreten koennen. Dabei wird
gezeigt, dass Sprachstoerung und megalomanes Wahnbeduerfnis sich gegenseitig
ergaenzen und einander zur Verwirklichung verhelfen. Es wird die Ansicht
vertreten, dass Sprachverwirrtheit und Groessenwahn so haeufig gemeinsam
auftreten, dass man eine Affinitaet beider Symptome annehmen darf."
Quelle: Avenarius, Richard (1991).
Ueber Groessenwahn und Sprachverwirrtheit. In (105-116): Kraus, Alfred
& Mundt, Christoph (1991, Hrsg.). Schizophrenie und Sprache. Stuttgart:
Thieme.
Vergiftungswahn
Vergiftungswahn
Kurt Gödels, Vergiftungswahn,
induzierter,
Vergiftungswahn Kurt Gödels
Daten hauptsächlich nach Quelle: Dawson,
John W. jr. (dt. 1999). Kurt Gödel. Leben und Werk. Computerkultur
Band XI. Wien: Springer.
Ein paar Rahmendaten: Gödel gilt vielen als bedeu- tendster mathematische Logiker des 20. Jhds. Obwohl Finsler die Grundidee schon 5 Jahre vor Gödel ver- öffentlichte, wurde Gödel der Ruhm zuteil, vermutlich aufgrund der strikten formalen Kalkülisierung und seiner Anbindung an den Wiener Kreis. Hauptquelle Dawson unter Berufung auf das Tagebuch Morgensterns.
1. Stufe. Österreichische Staatsbürgerschaft. Systeme I. Krisen seien chronisch geworden. |
"GÖDELS MISSTRAUEN anderen gegenüber, gepaart
mit seinem unerschütterlichen Glauben an die Richtigkeit seines eigenen
Urteils, stellte eine ernste Bedrohung seiner körperlichen Gesundheit
dar. Als Hypochonder befaßte
er sich seit Jahren besessen mit der Beobachtung seiner Körpertemperatur und Verdauungsgewohnheiten, und er nahm nach eigenem Ermessen Medikamente, besonders Abführmittel. Er vertiefte sich in medizinische Literatur und besuchte zahlreiche Ärzte, obwohl er ihrem Rat mißtraute. Und trotz seines Intellekts hielt er an bizarren Ideen über Ernährung und die Ätiologie von Krankheiten fest. Er zögerte oft, medizinischen Rat zu befolgen, und das machte die Behandlung schwierig. Manchmal wurde seine Widerspenstigkeit sogar lebensbedrohlich." (D, S. 214). 1976, Mai bis Juni, wieder Wahnideen, seine Frau Adele
habe während seines Krankenhausaufenthaltes all sein Geld ausgegeben.
Schwere Erkrankung seiner Frau. 1977 starb - für Gödel überraschend
- sein wichtigster Freund Morgenstern. Gödel verfiel weiter.
D, S. 221: "GÖDELS TOD war voll tragischer Ironie: Er konnte der inneren Logik seiner Paranoia nicht entkommen - er konnte sich nicht auf einen "metatheore- tischen" Standpunkt stellen -, und so verhungerte er, besessen von der Angst, vergiftet zu werden. Wie ein Geschöpf in einer Zeitschleife eines Gödelschen Universums, das seine eigene Vergangenheit wiederholen muß, konnte er seinem Schicksal nicht entkommen."
|
Reflexionen zum Fall
Gödel
Kein Fall kann mehr beeindrucken, was die Hilflosigkeit rationalen Denkens betrifft als der Fall Gödel, weil es kaum jemanen geben dürfte, der in logischen Angelegenheiten mächtiger war als er. Und doch hat es ihm nicht helfen können. Vielleicht hätte Gödel eine Chance mit Watzlawick, Milton Erickson, der systemischen Kommunikationstherapie, gehabt. So zeigt uns der Fall Gödel gleichermaßen eindringlich wie erschütternd, dass Rationalität, exaktes Denken, strenge Logik und scharfsinnige Experimente mit der Mathematik an der Spitze zwar der Königsweg für die ungeheuren und bewundernswerten naturwissenschaftlichen Erfolge waren und sind, aber im Bereich des Menschlichen und Zwischenmenschlichen, des vermeintlich Irrationalen, im Reich der Affekte, Sehnsüchte, Leidenschaften und letztlich auch des Wahns anscheinend bislang weitgehend versagen. Vereinfacht gesagt, es fehlt zusätzlich eine Logik und echte Wissenschaft des Irrationalen - Freuds Psychoanalyse hatte zwar die richtige Idee, aber ihre Ausführung ist durch und durch inakzeptabel. Psychologie, Psychopathologie und Psychotherapie einerseits, Ethik, Metaphysik, Politologie, Soziologie und die Friedensforschung andererseits brauchen ein das Irrationale explizit umfassendes Paradigma. Und es hat ein wenig den Anschein, dass sich die Lösung des Wahnproblems als Modellparadigma bestens eignen könnte. |
Vergiftungswahn, induzierter
"Ein zweiter Fall: Am 16. Dezember 1951 wird der 54jährige Kranke
von seinen Angehörigen in die Klinik eingeliefert, weil er zu Hause
seit kurzer Zeit in der wahnhaften Befürchtung lebt, seine Frau und
deren Familie wolle ihn vergiften. Es hatte sich folgendes zugetragen:
Der Kranke und seine Frau mit ihren zwei Kindern, Flüchtlinge, leben
in einem kleinen Ort bei Frankfurt, in engen Wohnverhältnissen, zumal
sie die beiderseitigen Schwiegereltern noch bei sich haben. Schon seit
Monaten war der Vater des Patienten an einem abdominalen Krebs krank. Die
Pflege war schwer, besonders auch dadurch eine Zumutung an die Pflegenden,
daß der durch das Leiden allmählich kachektisch zerfallende
Körper des Kranken einen störenden Geruch verbreitete. In den
letzten Tagen seines Lebens scheint der Kranke psychisch beeinträchtigt
gewesen zu sein. Er soll von Vergiftung gesprochen haben. Schon einen Tag
nach dem Tode des Vaters, durch den das Ranggefüge der Familie verändert
wurde, wurde der Patient mißtrauisch [>191] und ängstlich, besonders
seiner eigenen Frau gegenüber. Er war überzeugt, man habe den
Vater vergiftet, in einem Fläschchen, das er nie gesehen zu haben
glaubte, sei Gift und seine Frau wolle ihn, weil er die verbrecherischen
Machenschaften durchschaut habe, beseitigen. Er suchte zunächst bei
der Polizei Schutz und kam auf diesem Wege zu uns in die Klinik. Bemerkenswerterweise
trat auch bei diesem Kranken eine wesentliche Beruhigung ein, nachdem die
nicht im gleichen Ort wohnende Schwester des Kranken zu Besuch gekommen
war, zunächst seine wahnhaften Befürchtungen gläubig angehört
hatte, um dann selbst kritisch zu korrigieren und den Bruder zu beruhigen.
Wir haben den Kranken schon nach Tagen wieder nach Hause entlassen. Er
bekam einen Rückfall, beruhigte sich dann aber und ist seitdem gesund
und unauffällig zu Haus."
Quelle (S. 190f, Wiederabdruck): Zutt,
J. (1953). Über Daseinsordnungen. Ihre Bedeutung für die Psychiatrie.
Nervenarzt 24, 177-. Wieder abgedruckt in (169-201): Straus,
E.; Zutt, J. & Sattes, H. (1963). Die Wahnwelten (Endogene Psychosen).
Frankfurt: AVA.
Verfolgungswahn,
situativ bedingter
"Ein heute 58jähriger selbständiger Arbeiter, aus einem kleinen
Ort aus der Umgebung Frankfurts stammend, ist vor 23 Jahren mit seiner
Frau nach Kanada ausgewandert. Er war dort erfolgreich, hat sich einen
eigenen Betrieb aufgebaut, von dem er und seine Kinder gut leben können.
Im Kriege hatte er, immer deutscher Staatsangehöriger, mancherlei
Schwierigkeiten zu bestehen. Es gelang ihm durch ruhiges und geschicktes
Verhandeln mit den Behörden die Internierung von sich fernzuhalten.
Überhaupt gilt er im ganzen als ein lebenstüchtiger und lebensmutiger
Mensch. Im Jahre 1951 beschloß er, zum erstenmal nach 23 Jahren seine
Verwandten, insbesondere seinen Bruder, auf dem Lande bei Frankfurt zu
besuchen. Er entschloß sich zu einer Flugzeugreise, der ersten seines
Lebens. Sorgfältig wurden die Vorbereitungen getroffen, alles streng
gemäß den bestehenden Verordnungen. Allerdings machte es ihm
Sorge, wie er das Geld, das er mitnehmen wollte, sicher verwahren könne.
Es wurde eigens ein Leibriemen angeschafft, in dem das Geld Platz fand.
Unter guten Vorzeichen wurde der Flug angetreten. Über dem Atlantik
saß neben ihm ein Mann des gleichen Standes wie er selbst, mit dem
er sich gut unterhielt, sie tranken nicht mehr, als es ihrer Gewohnheit
entsprach und rauchten. In England hatte er das Flugzeug zu wechseln. Er
trennte sich von dem angenehmen Begleiter. Während des mehrstündigen
Aufenthalts wußte er mit sich selbst und den dortigen Möglichkeiten
nichts Rechtes anzufangen, saß und lief eben umher und wartete. Schließlich
fragte er andere Wartende nach dem genauen Abflugstermin seines Flugzeuges.
Diese Leute sollen kurz zurückhaltend geantwortet haben und sich von
ihm abgewandt haben. So schien es ihm jedenfalls. In diesem Augenblick
erwachte in ihm das Mißtrauen. Er war überzeugt, daß man
ihn überwachte, daß man ihn, obschon er gar nichts Böses
vor oder getan hatte, wegen des Geldes verhaften wolle, er fühlte
sich beobachtet und [>190] verfolgt. Diese Angst verließ ihn nicht
mehr. Er bestieg das Flugzeug, in dem er von England direkt bis Frankfurt
flog. Andere Mitfliegende hielt er für Kriminalbeamte, die hinter
ihm her waren. Als er in Frankfurt das Flugzeug verlassen hatte und die
Stewardeß ihn aufforderte, zunächst mit seinem Paß zur
polizeilichen Kontrolle zu gehen, ergriff er ein Messer und durchschnitt
sich lebensgefährlich die Kehle. Er wurde in die Klinik gebracht,
wo er sich unter ärztlichem Zuspruch und Beruhigungsmitteln, vor allen
Dingen aber nach dem Besuch seines Bruders, beruhigte und erholte. Er blieb
wenige Wochen, bis seine Wunde geheilt war, verbrachte dann entsprechend
seiner Absicht Ferien bei seinem Bruder, verabschiedete sich in der Klinik
und ist dann gut und wohlbehalten wieder per Flugzeug zu seiner Familie
nach Kanada zurückgekehrt. Auf die rationale Sinnlosigkeit seines
Tuns angesprochen, gefragt, warum er, da er doch ein reines Gewissen hatte,
nicht ruhig zur Polizei gegangen war, um dieses reine Gewissen zu offenbaren,
sagte er: er habe die Schande, daß ihn die Polizei gefaßt hätte,
nicht ertragen können. In dieser Weise habe die Polizei noch nie etwas
mit ihm zu tun gehabt. Über die ganze psychotische Episode ging er
hinweg. In ein Gespräch, das seine Krankheitseinsicht erweisen sollte,
ließ er sich nicht ein. Er ging lachend darüber hinweg und begab
sich froh und zuversichtlich auf die Heimreise."
Quelle (S. 189 Wiederabdruck): Zutt,
J. (1953). Über Daseinsordnungen. Ihre Bedeutung für die Psychiatrie.
Nervenarzt 24, 177-. Wieder abgedruckt in (169-201): Straus,
E.; Zutt, J. & Sattes, H. (1963). Die Wahnwelten (Endogene Psychosen).
Frankfurt: AVA.
[Bildquellen: tws,
Wikipedia, Nervenarzt]
"Fall 66:
Vg, 54jährige Frau. Wahnähnliche Entwicklung
»Ich habe mich normal entwickelt. Vor 10 Jahren habe ich in Schlesien
einen Mann in Pension genommen und mit diesem zweimal intime Beziehungen
gehabt. Das quält mich nun mein ganzes Leben ! Ich glaube, er hat
es den anderen Leuten erzählt. Seit einem Jahr leide ich unter diesem
Verfolgungswahn. Ich habe sogar schon einen Detektiv für 100 Mark
angenommen, um dahinterzukommen. Ich bin sicher, daß meine Kollegen
auf der Arbeitsstelle Beseheid darüber wissen und über mich reden.
Alle verachten mich. Man spricht hinter meinem Rücken über mich,
daß ich mit jenem Mann Verkehr gehabt habe. Er hat sicher alles erzählt,
weil ich ihm schließlich den Verkehr verweigert habe. Das alles quält
mich so, daß ich jetzt Schlaftabletten eingenommen habe. Wo der Mann
jetzt ist, weiß ich nicht. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
ist er abgereist. Er hat mich aber schlechtgemacht. Ich habe 2 Söhne,
die gut zu mir sind. Ich will aber nicht mehr zu meiner Firma zurückkehren,
weil ich mich dort nicht sehen lassen kann.« Symptome ersten Ranges
lassen sich ebensowenig nachweisen, wie sonstige Hinweise auf eine Schizophrenie.
Insgesamt handelt es sich um eine selbstunsichere Persönlichkeit,
aus der heraus sich ein abnormes Beziehungssystem entwickelte."
Quelle, S. 360: Wieck, H.H. (1967).
Lehrbuch der Psychiatrie. Stuttgart: Schattauer.
Beziehungs-
u. Verfolgungswahn nach Berner (1965, S.136) [Pa-F16]
"Fall PaM 66/61: Subalterner Industrieangestellter.
Auslösung: Ehestreitigkeiten, bei denen sich der Patient während
des Krieges als Mischling nicht durchsetzen kann. [>137] Streng erzogen,
drei ältere Schwestern, Vorzugsschüler. Wird Artillerieoffizier,
erlernt jedoch nebenbei "auf alle Fälle" ein Handwerk. Muß aus
rassischen Gründen Beruf aufgeben.
Heiratet mit 20 Jahren „aus idealistischen Gründen" ein Mädchen
aus ärmlichen Verhältnissen. Mit 39 Jahren G"
Gefühl, die Gattin schmiede ein Komplott gegen ihn, um ihn loszuwerden.
Er werde deshalb im Büro boykottiert.
Nachuntersuchung mit 60 Jahren: Pykniker, redet
viel, hypomanisch, etwas aggressiv gefärbt. Ließ sich im Anschluß
an die Aufnahme mit 40 Jahren scheiden, heiratet neuerdings, wird nach
kurzer Zeit wieder geschieden, heiratet mit 43 Jahren die erste Gattin
nochmals und läßt sich ein Jahr später wieder scheiden
um mit 49 Jahren eine vierte Ehe einzugehen, in der er vorübergehend
Vergiftungsideen gegen die Schwiegermutter entwickelt. Deshalb nochmalige
Aufnahme mit 59 Jahren. Keine Einsicht in die seinerzeitigen Wahnideen.
Das sei jedoch alles vorüber, er fühle sich sehr wohl.
Nachdem er mit 49 Jahren als Naziopfer mit Herz- und Nervenbesdiwerden
pensioniert wurde, kaufmännische Tätigkeit.
Test: hypomanisches Bild."
Heiratswahn
Nach Tölle (2008, S. 3f); "Eine 53-jährige Frau kam in die
Psychiatrische Klinik, nachdem sie sich das Leben nehmen wollte, da sie
meinte festgestellt zu haben, dass man schlecht über sie rede und
Anzügliches und Unanständiges über sie verbreitet worden
sei. Im ärztlichen Gespräch und in der Psychotherapie stellte
sich Folgendes heraus:
In der Lebensgeschichte erschien wichtig, dass sie
im Alter von sechs Jahren ihre Mutter verlor. Von der Stiefmutter wurde
sie sehr strengreligiös erzogen. Die Kindheit sei wenig schön
gewesen, zumal sie ein zartes und kränkliches Kind war. Sie war und
blieb ein stiller und ernster Mensch, bedrückt und kaum in der Lage,
sich auszusprechen. Sie habe wenig Widerstands- und Durchsetzungskraft
und leide unter Minderwertigkeitsgefühlen. Nach der Schule arbeitete
sie in einem Industrieunternehmen. 28-jährig heiratete sie einen Arbeiter.
Nach drei Ehejahren wurde der Mann Soldat, ein Jahr später ist er
gefallen - kurz vor der Geburt eines Sohnes. Der inzwischen 25-jährige
Sohn hat sich in der letzten Zeit von der Mutter mehr und mehr unabhängig
gemacht.
Mit 40 Jahren, so berichtete die Patientin, hätte
sie sich vielleicht wieder verheiraten können. Sie hatte einen Mann
kennengelernt, aber eine Krankheit sei dazwischen gekommen. Beruflich arbeitete
sie in der Industrie, seit ca. 20 Jahren im gleichen Unternehmen, seit
drei Jahren bei einem bestimmten Meister. Dieser Meister, ein Junggeselle,
habe ein Auge auf sie geworfen. Es hätte sich eine Bekanntschaft mit
dem Ziel der Heirat entwickelt. Dann aber erfährt man, dass zwischen
ihr und dem Meister nie ein persönliches Wort gefallen sei. Dennoch
sei sie von seinen Absichten überzeugt: er sei so auffallend oft an
ihrem Arbeitsplatz erschienen und zu ihr besonders freundlich gewesen.
Mitarbeiter hätten das gemerkt, sie hätten getuschelt und gelacht.
Der Vorarbeiter hätte Bemerkungen gemacht. Bestimmtes und Genaues
hätte sie zwar nicht gehört, aber das Verhalten der Mit-[>4]arbeiter
sei eindeutig gewesen, alle hätten darauf gelauert, ob aus der Geschichte
zwischen ihr und dem Meister etwas werden würde. Das alles sei sehr
peinlich gewesen. Zwischenzeitlich meinte sie festzustellen, dass der Meister
das Interesse an ihr verloren habe, so wenigstens habe er sich ihrer Meinung
nach verhalten. Eindeutiges wisse sie nicht. Aber alle im Betrieb hätten
davon gewusst und sich lustig gemacht.
Drei Wochen bevor sie in die Klinik kam, fuhr sie
zur Erholung in ein Betriebsheim. Vor der Abfahrt des Busses habe der Meister
plötzlich ganz verwundert getan: ob sie wegfahre und wie lange sie
ausbleibe. Er habe so gesprochen, dass sie habe annehmen müssen, er
wolle ihr nachfahren. Der Meister habe in ganz eindeutiger Weise dagestanden:
ein wenig zurückgebeugt und die rechte Hand in der rechten Leiste.
Hierin sah sie eine sexuelle Anspielung. „Dass es nun schon soweit war,
brachte mich ganz durcheinander."
Im Erholungsheim war sie niedergeschlagen. Einmal
meinte sie etwas wie Hure gehört zu haben, ein andermal fand sie ein
Lied anstößig und auf sich gemünzt. Sie war überzeugt,
dass im Betrieb daheim schlecht über sie geredet werde. Nach der Heimkehr
war sie verzweifelt. In der Nacht vor dem ersten Arbeitstag versuchte sie
sich das Leben zu nehmen: sie sprang in einen See, wurde aber gerettet
und in die Klinik gebracht."
Eifersuchtswahn
nach Berner (1965, S. 143) [Pa-F22]
"Fall Ei. Pa. 30159: Hilfsarbeiterin. Beginn: 32 Jahre.
Auslösung: Verbringt Urlaub mit Gatten und eigener Mutter. Hat
eine um l Jahr ältere voreheliche Halbschwester, die von der Mutter
bevorzugt wird. Diese beiden hätten immer zusammengehalten, wobei
sie sich stets übervorteilt gefühlt habe. Hänge sehr am
Vater, dessen Liebling sie ist.
Verdächtigt den Gatten mit ihrer 55jährigen Mutter zu flirten.
Er habe einen roten Kopf sobald sie in seiner Nähe sei, die Mutter
ebenfalls. Beide seien unruhig und atmeten heftig, wenn sie beieinander
seien. Glaube nicht, daß der Gatte tatsächlich ein Verhältnis
mit der Mutter habe, sondern sich ein solches nur wünsche. Sie habe
schon vorher ähnliches bemerkt, wenn der Gatte neben älteren
Frauen im Kino sitze. Der Gatte tausche mit diesen Frauen auch Blicke,
sie habe das Gefühl daß die Leute auf der Straße darüber
reden und sie verächtlich anschauen.
Hat gewisse Tendenz zur Einsicht, meint jedoch, Mutter und Halbschwester
wollten ihre Ehe zerstören. Während des Urlaubs kommt es zu heftigen
Szenen und deshalb zur Aufnahme. — Elektroschockbehandlung. Wird mit dem
Verdacht auf Dissimulation entlassen.
Nachuntersuchung mit 36 Jahren: Leptosome Patientin, völlig gleiches
System: „Wenn ich Ihnen sage, daß er alte Frauen gerne sieht, werden
Sie sagen es sei Einbildung." Gedankenablauf etwas beschleunigt, völlig
geordnet.
Test: I. Q. 92 Cycloidie mit deutlichen organischen Zeichen. (Antworten:
11; B + : O; F + % : 75; V% : 25; P % 30; Stereotypie : 73; Fb: l)"
"Organische
Genese einer maniformen Psychose - Ein Fallbeispiel von progressiver
Paralyse.
"Der phantastische Größenwahn gilt zwar als klassisches
Symptom der Neurosyphilis, war aber seit jeher selten [7]. Im Zeitalter
der Antibiotika ist die progressive Paralyse als Ursache einer maniformen
Psychose eine Rarität, die übersehen zu werden droht [9]. ...
... Bei der Aufnahme 36jähriger Patient in altmodischem Anzug
und Baseballkappe, wach und orientiert, jedoch mit Schwierigkeiten, sich
in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Leichte Merkfähigkeits- und
Zeitgitterstörungen, erhebliche Konzentrationsminderung. Im formalen
Denken bis zur Ideenflucht assoziativ gelockert, inhaltlich multiple, nicht
korrigierbare, teilweise phantastische Größenideen, so z.B.
die Vorstellung, der uneheliche Sohn Hannelore Kohls zu sein oder von Gloria
von Thurn und Taxis das Schiller-Theater in Berlin geschenkt zu bekommen.
Es bestand eine euphorische Gestimmtheit, die aber zeitweise einer ansteckend-mitreißenden
Qualität entbehrte und sich in Albernheiten und einer leeren Betriebsamkeit
verlor. Bei einer Vielzahl von Ideen und Plänen war das Handeln zumeist
planlos und widersprüchlich, das Urteilsvermögen von Inkonsistenz
und weitgehender Kritiklosigkeit gekennzeichnet. Antrieb und Sprachproduktion
waren ziellos gesteigert.
Körperlich blasser, etwas müde und abgeschlagen wirkender
Patient von schlankem Körperbau. Die internistische und neurologische
Untersuchung ergab bis auf ein allseits sehr lebhaftes Reflexniveau keine
pathologischen Auffälligkeiten. ... Zusatzbefunde .... Lues-spezifisches
Labor. Konstellation wie bei aktiver Neurolues (Tabelle 1). ..."
Quelle(S. 54f): Nervenarzt (1995)
66: 54-56 © Springer-Verlag 1995
Albrecht Dürers Syphilis und
das Bakterium aus Wikipedia,
die Das Porträt von Antoine Laurent Bayle Carnet
Web de Généalogie, Nervenarzt Nr. 1/95 (Pinel
im Titel) mit dem hier zitierten Artikel eigener Bestand, Briefmarke Fleming
aus Wikipedia.
Info Illustration: Der Tod (1), die Melancholoie (4) von Dürer, das Bild von Paul Stevenson (3) aus Wikipedia [> Körperwelten] wie auch Turgenjew (5) und Nietzsche (6), die Bildungs-Popularisierer des Nihilismus. Titelblatt (2) Wulff eigener Bestand.
Nihilistischer
Wahn vom eigenen tot sein
"Während der ersten Tage seines Klinikaufenthaltes war R. sich
seiner »Bewegungsstörungen« noch bewußt. Seiner
Meinung nach hatten sie ihren Grund in der Tatsache, daß er nichts
»wirklich tun« konnte. Jedesmal, wenn ihm ein Bewegungsversuch
wieder mißlungen war, kommentierte er dies mit Wendungen wie: »Aber
was soll ich jetzt tun«, oder: »Ich kann doch jetzt nichts
tun.« Die »Wahrheit«, die sich ihm plötzlich verschlossen
hatte, trieb ihn aber dazu, es immer wieder zu versuchen. »Ich muß
doch was machen, wenn ich leben will«, sagte R., er wirkt dabei unglücklich
und zugleich innerlich geladen. Daß er dies nicht zustande brachte,
hing seiner Meinung nach mit seinem eigenen Körper zusammen, der ebenso
wie seine Sprache den Ansprüchen nicht mehr gerecht werden kann, die
jetzt an beide gestellt werden. »Der macht nicht mehr mit«,
sagte R., oder aber er beklagte sich: »Ich bin zu alt, ja, wenn ich
jünger wäre, wie [>57] Sie«;
dabei hielt er sich die Hand vor den Mund und entschuldigte sich für
den üblen Geruch, der diesem angeblich entströmen sollte, »Sie
müssen es ja riechen«, sagte er, »dieser Körper ist
ganz verfault.« In Wahrheit sei er lange schon tot, nur habe er es
jetzt erst richtig bemerkt. Im Zusammenhang mit dieser Äußerung
zeigte R. auch aufsein Gesicht und sagte dabei: »Das war ich nie,
es war alles falsch, nur ein mühseliger Versuch, das zu unterdrücken,
was immer schon in mir war, ich habe mich nur glauben gemacht, ich sei
es, ich habe mich auf Leistung angelegt, ich mußte, aber es war eine
Lüge.« In Wahrheit sei nichts, was er getan habe, »wirklich«
geschehen — weil er eben nie »wirklich« irgendetwas hätte
tun können."
Quelle S. 56f: Wulff, Erich (1995).
Wahnsinnslogik. Von der Verstehbarkeit schizophrener Erfahrung. Bonn: Psychiatrie-Verlag.
Wahn (Schizophrenie)
bei einer jungen Stenotypistin.
Quelle (S. 42f): Meyer, Adolf. (1909).
Die dynamische Interpretation der Dementia praecox. Vorlesung zum
20. Jahrestag der Clark-University. Deutsch neu abgedruckt in (38-60):
Straus,
E.; Zutt, J. & Sattes, H. (1963). Die Wahnwelten (Endogene Psychosen).
Frankfurt: AVA.
Haesslichkeits-
und Beeintraechtigungswahn bei einem jüngeren Ehepaar (Folie à
deux)
ZPID: "Der Fall einer Folie a deux bei einem juengeren Ehepaar wird
geschildert, das mit bereits praemorbiden Auffaelligkeiten und gemeinsam
entwickeltem Haesslichkeits- und Beeintraechtigungswahn nach Scheitern
von unterschiedlichen Kompensationsmechanismen psychotisch dekompensierte.
Dabei steht die Beschreibung der Symptomatik und der medikamentoesen Behandlung
im Mittelpunkt."
Quelle: Wormstall, H. & Krauter,
T. (1992). Reisen als Stabilisierungsfaktor bei einer Folie a deux? Psychiatrische
Praxis, 19 (3), 81-83
Abstammungswahn bei
Folie à deux
Schätzle, M. (2002). Ein bemerkenswerter Fall von Folie à
deux. Ergebnisse & Kasuistik. Der Nervenarzt 73, 11, 1100-1104.
"Zusammenfassung. Dieser Artikel berichtet den Fall eines Ehepaares,
das nach Eheschluss drei voneinander abgrenzbare wahnhafte Überzeugungen
entwickelte, die sie im Falle eines ausgearbeiteten Abstammungswahns miteinander
teilten, in den zwei anderen Fällen jedoch nicht. Wahrscheinliche
lebensgeschichtliche Zusammenhänge und diagnostische Probleme, vor
allem die in der Tendenz monokausale Denkweise hinter den entsprechenden
Kategorien für den geteilten Wahn in der ICD (und dem DSM), werden
diskutiert." [Q]
Mefloquin induzierter Wahn
ZPID: "Es wird ueber eine 41jaehrige Patientin berichtet, die nach
Einnahme von 750 Milligramm Mefloquin, einem neueren Malariaprophylaktikum,
eine Psychose mit Somnolenz, Desorientiertheit sowie Wahn entwickelte.
Die Symptomatik war intensiver ausgepraegt und hielt wesentlich laenger
an als bei den in der Literatur mitgeteilten Verlaeufen. Insgesamt sind
bislang 23 Patienten mit psychischen Stoerungen nach Einnahme von Mefloquin
bekannt. Mit psychotischen Komplikationen unter Mefloquineinnahme ist unzweifelhaft,
wenn auch selten zu rechnen."
Quelle: Folkerts, H. & Kuhs, H.
(1996). Psychotische Episode infolge Malariaprophylaxe mit Mefloquin. Eine
kasuistische Mitteilung. Der Nervenarzt, 63 (5), 300-302. Am 9.3.11: 79
Literaturquellen hier.
[W]
Beeinflussungswahn,
telepathischer
ZPID: "Die praktische Bedeutung des in der dynamischen
Psychiatrie Guenter Ammons vertretenen Konzepts vom gleitenden Spektrum
der Diagnosen wird anhand eines ausgewaehlten Fallbeispiels aufgezeigt.
Beschrieben wird der Therapieverlauf einer 47jaehrigen bislang isoliert
lebenden Patientin, die unter telepathischem Beeinflussungswahn litt und
die im Verlauf des therapeutischen Prozesses Uebertragungsbeziehungen aufbauen
konnte. Im Sinne nachholender Ich-Entwicklung und schliesslich erster Trennungsschritte
aus der Symbiose wurden oedipale Thematiken sichtbar, die eine weitere
Identitaetsentwicklung erlaubten. Die dargestellte Kasuistik einer paranoid-halluzinatorischen
Psychose demonstriert die psychotherapeutische Behandelbarkeit ohne psychopharmakologische
Medikation auch schizophren erkrankter Patienten."
Quelle: Pueschel,
Delia (1993). Zur Theorie des gleitenden Spektrums psychischer Stoerungen
am Fallbeispiel einer schizophren strukturierten Persoenlichkeit. Dynamische
Psychiatrie, 26 (1-4), 201-215.
Besessenheitswahn
einer koreanischen Patientin
ZPID: "Die klientenzentrierte Behandlung einer 41jaehrigen in Deutschland
lebenden koreanischen Patientin mit einem Besessenheitswahn wird beschrieben.
Dabei wird besonders auf den kulturellen Hintergrund der Wahnsymptomatik
eingegangen."
Quelle: Heise, Thomas (1992). Besessenheitswahn
einer koreanischen Patientin und seine Therapie. Psychiatrische Praxis,
19 (6), 225-228
"Schutzmaechte"
bei Altersparaphrenien
Fuchs, T.; Haupt, M. (1994). "Schutzmaechte" bei Altersparaphrenien.
Der Nervenarzt, 65 (5), 345-349.
ZPID: "Es wird ueber eine 75jaehrige Patientin berichtet, bei der sich
im Verlauf einer chronischen paraphrenen Psychose der Wahn entwickelte,
von einem unsichtbaren Zwergenwesen begleitet und beschuetzt zu werden.
Vor dem Hintergrund verwandter Erscheinungen im Verlauf der kindlichen
Entwicklung werden die Wahninhalte als Regressionsphaenomene interpretiert."
Ezechiel (Hesekiel) > [Def.
Religiösenwahn]
[W] "Das Buch
Ezechiel (Hesekiel) ist eine im Zeitraum von ca. 600–560 v. Chr. in
Babylonien entstandene Schrift des Alten Testaments der Bibel, die seit
dem Mittelalter in 48 Kapitel unterteilt wird. Es schildert die Visionen
und symbolischen Handlungen des Propheten Ezechiel, der zur ersten Gruppe
der im Rahmen des Babylonischen Exils verschleppten Israeliten gehörte.
Ezechiel war ein israelitischer Priester." Karl Jaspers
(1947) hat über Ezechiel eine pathographische Studie verfasst. Ich
zitiere hier die ersten Extrakte:
Kant zum
metaphysischen Wahn Swedenborgs.
Rauer
(2007, S. 206), gesperrt hier kursiv: "IV. Projektion und Paranoia. Mit
anderen Worten: die Swedenborgsche Geisiesvorstellung, nach welcher alles,
was hier auf Erden physisch wie meta-physisch geschieht, nichts anderes
als das Marionettenspiel eines pneumatisch die Fäden ziehenden homo
maximus sein soll, ist eine hochgradig paranoide Vorstellung. Zwar
hat Kant, im Unterschied etwa zur Projektion (und deren Analogie zur Amphibolie)
sowie zur Schizophrenie (und deren Analogie zum Paralogismus), keinen ebenso
ausgearbeiteten Begriff für die Paranoia (wenngleich diese später
ihre Analogie in der Antinomie linden wird), auch gesteht er offen ein,
daß ihn der Verfolgungswahn oder Größenwahn
(der Wahnsinn, worunter er hier die Paranoia versteht) bei Swedenborg
weniger interessiert (vgl. T II 974 A 100), doch denkt er an die Konsequenzen
der Paranoia gerade im ethischen Bereich. Denn - und dies ist ja doch der
letztendliche Grund, um dessentwillen Kant die Auseinandersetzung mit dem
Geisterseher überhaupt führt! - es ist in mehrerlei Hinsicht
auffallig, daß die paranoide Position Swedenborgs nicht nur unsittlich,
sondern sogar widersittlich erscheint. ... ..."
Enterozoenwahn
bei einer Patientin mit endogener Depression.
ZPID: "Eine 82jaehrige Patientin zeigte seit dem 50. Lebensjahr neun
Phasen einer monopolaren endogenen Depression mit abnormen intestinalen
Sensationen und einer hypochondrischen Wahnsymptomatik, die bei fuenf Phasen
unter dem Bild eines Enterozoenwahns auftrat. Differentialdiagnostische
und therapeutische Aspekte dieses Falls werden diskutiert."
Quelle: Podoll, K.; Bofinger, F.;
Stein, von der B.; Stuhlmann, W. & Kretschmar, C. (1993). Enterozoenwahn
bei einer Patientin mit endogener Depression. Fortschritte der Neurologie,
Psychiatrie, 61 (2), 62-66.
Wachstumswahn
bei einer körperdysmorphen Störung.
ZPID: "Der Fall eines 37jaehrigen Patienten, bei dem eine koerperdysmorphe
Entwicklung mit Umschlag in den Wahn koerperlichen Wachstums vorlag, wird
beschrieben. Dabei stehen Ueberlegungen zur Differentialdiagnose, Psychogenese
und Klassifikation koerperdysmorpher Stoerungen im Vordergrund."
Quelle: Fuchs, T. (1993). Ueber einen
Fall von "Wachstumswahn". Zur Genese und nosologischen Klassifikation der
koerperdysmorphen Stoerung. Der Nervenarzt, 64 (3), 199-203.
2. Wahn als überwertige Idee |
Beispiele: Chauvinistischer Wahn (Gruppen-, Nationalstolz), Geltungswahn, Gesundheitswahn, Jugendwahn, Publicitywahn, Schlankheitswahn, Schönheitswahn.
[ÜI-F01] Berner (1965),
S. 131:
"Fall Ü. Id. 8/63: Sanitätssoldat.
Auslösung: Nasenbeinbruch.
Einziges Kind, Liebling des Vaters, der höhere Erwartungen m ihn
setzt.
Mit 24 Jahren im Anschluß an die Nasenverlctzung Gefühl
jüdisch auszusehen. (Typisch sensitive Beziehungsideen.) Erzwingt
plastische Operation, ist aber von deren Ergebnis nicht befriedigt. Versucht
zahlreiche Ärzte zu einer neuerlichen Operation zu bewegen. Da ihm
das nicht gelingt, operiert er sich selbst. Einen Monat später verlangt
er, da der Erfolg ihn nicht überzeugt, weiterhin hartnäckig nach
einer Operation und wird deshalb zur Begutachtung an die Klinik verwiesen.
Klebrig, ins Detail gehend, etwas verlangsamt.
Anmerkung: Der Fall könnte evtl. besser dem köperdysmorphen Wahn zugeordnet werden.
3. Wahn in unklarer, auch mehrfacher Bedeutung. |
Beispiele: Der Rassenwahn kann sowohl als Wahn in klinischer Bedeutung als auch - z.B. bei den nationalsozialistischen Mitläufern - als überwertige Idee zur Erhöhung des Selbstgefühls aufgefasst werden. Auch ein Schlankheits- oder Jugendwahn kann klinische Formen annehmen. Auch Religion kann vielfach als Wahn interpretiert werden, wobei aber die Differentialdiagnose zum Betrug berücksichtigt werden muss. Sog. Querulanten haben gute Chancen, das Etikett "Wahn" verpasst zu bekommen,, wenn sie - teilweise völlig nachvollziehbar - um ihr Recht oder ihre Ehre kämpfen (Beispiel).
Querulanten.
Hier ist das Spektrum sehr weit und reicht vom völlig nachvollziehbaren
und gesunden Kampf bei erlittenem Unrecht bis hin zu ausgeprägten
klinischen Wahnformen. Ein wichtiges orientiertes Kriterium ist das Prinzip
der Verhältnismäßigkeit der Mittel, wenngleich es auch
viel Deutungsspielraum enthält, abhängig von der Betrachtungsweise,
Perspektive und Betroffenheit. Man sollte also mit der Bezeichnung "Querulantenwahn"
sehr vorsichtig sein, wie man natürlich überhaupt mit klinischen
Diagnosen, die erhebliche soziale Folgen haben können, vorsichtig
sein sollte. Ein schönes Beispiel, wie aus einem völlig gesunden,
angepassten und rechtschaffenen Menschen ein querulatorischer Wüterich
werden kann liefert Kleists
Kohlhaas.
Schlankheitswahn.
Das sich zu dick oder nicht schlank genug vorkommen, kann ein einfaches
ungutes Gefühl, einer überwertige Idee aber auch eine Wahnvorstellung
sein, wie sie z.B. bei Essstörungen vorkommen kann. Im Schönheits-
oder Modegewerbe kann es aber auch eine übliche berufliche Anforderung
sein
4. "Wahn" als Werbemittel, Interessantmacherei, Hochstapelei oder Betrug. |
Sternchen, Stars und solche die es werden oder bleiben
wollen, ersinnen mitunter Geschichten und produzieren Phantasien, die wahnhaftes
Erleben bedeuten würden, hätte es denn so stattgefunden, wie
es erzählt wird. So berichtet Shimada (S. 323) in Kaufmann,
M. (2003, Hrsg.): "Als weiteres Beispiel für eine Irritation bei
dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Wirklichkeitsauffassungen kann
ein Zeitungsartikel vom 29. Mai 2001 dienen: "Janet Jackson, Pop-Sängerin,
war nach eigenen Aussagen 'in einem früheren Leben die Tochter des
Kaisers von China'." (Frankfurter Rundschau) Ich denke, dass dieser Interviewausschnitt
deshalb für veröffentlichungswürdig erachtet wurde, weil
die Wirklichkeitsauffassung von Frau Jackson von der allgemein verbreiteten
Vorstellung abweicht. Hier liegt also eine intrakulturell-individuelle
Abweichung vor, und diesem Umstand entsprechend ist diese Aussage unterschiedlich
interpretierbar; Vielleicht glaubt sie tatsächlich daran oder sie
setzt diese Aussage bewusst zu Werbezwecken ein. Und gerade für diese
Zwecke ist eine gewisse Irritation zweckmäßig."
Die Werbung wurde schon 1965 sehr kritisch in Geerto Snyders Buch "Wunderglaube und Wahn" unter die Lupe genommen. Einen interessanten Reader finden Sie hier. |
Der allgemeine Esoterikboom wird auch vom privaten Fernsehen unermüdlich und durchgängig bedient und damit eine ungeheure Suggestivkraft für den geballten Esoterik-Wahn oder -Betrug gefördert. Es wird für den modernen Medienmenschen immer schwieriger, zu erkennen, was Wirklichkeit, Wunsch, Illusion und Traum ist. Und diese Situation kennzeichnet ein Titel von Hartmut von Hentig sehr trefflich: Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit. Und das genau ist die Bedingung, wo Suggestion am besten greift.
Esoterik, Religion, Verbrechen und Wahn liegen sehr nahe beieinander
und es scheint als würde die Aufklärung längst ins Hintertreffen
geraten sein.
Hinzu kommt der fundamentalistische Irrsinn und
die Religionspropaganda auf allen Medien und Kanälen. Das ist für
die Religionen und Kirchen auch wichtig: Denn eine Religion hat keine Chance
auf Beachtung, wenn sie nicht ungewöhnliche Ereignisse, Begegnungen
und direkte Kommunikation mit Gott und Wunder behauptet und propagiert.
Wir merken uns also: Wo Wahn geschildert wird, können
auch Publizitätswünsche, Hochstapelei
oder Betrug dahinterstehen.
5. Wahnzuschreibung als rhetorisches, sophistisches oder rabulistisches Mittel zur Beeinflussung oder Entwertung. |
Wir alle sind gelegentlich geneigt, etwas uns Unverständliches und Fremdes als Wahn zu klassifizieren, was im Regelfall auch eine Ab- oder Entwertung bedeutet. Flapsig im Alltag etwa: Du spinnst ja, der hat ja wohl einen Schuss, der tickt nicht richtig u.a.m. Früher sprach man etwas milder von "Grillen" oder "Schrullen" und brachte damit zuweilen zum Ausdruck, dass man etwas für harmlos wahnhaft hielt. Im Jugend- und heranwachsenden Alter spricht man auch von "Flausen".
6. Wahn als alltags- oder bildungssprachliche Floskel |
Hans-Jürgen Luderer (2003) in (S. 35) Kaufmann (2003, Hrsg.) beginnt seine Geschichte des Wahnbegriffs in der Psychiatrie:
Wahn der Devisenmärkte.
Die Fincial Times FDeutschland titelt am 7.11.11: "Enorme Schwankungen
Die richtige Medizin für den Wahn der Devisenmärkte. Mit
exotischen Optionsscheinen und Capped-Optionsscheinen lässt sich im
Devisenhandel ein attraktiver Mix aus Chance und Risiko basteln. Es gibt
sogar eine kleine, treue Fangemeinde. FTD.de zeigt mögliche Strategien.
..." [ftd
7.11.11]
Gleichstellungswahn.
Wahrheiten.org
10.3.2011.
7. Sonstige, bislang nicht bedachte Verwendung. |
Es ist eine gute wissenschaftliche Übung bei Klassifikationen, immer auch in Betracht zu ziehen, dass ein Gesichtspunkt übersehen wurde, noch unbekannt war oder falsch eingeschätzt wurde. Diese wissenschaftliche Grundhaltung bringt allerdings den BGH mit seiner "Ausschlusslogik" bei der Hypothesenprüfung in Not, weil der Hypothesenraum unter Berücksichtigung einer Rest- und Auffangklasse nie auf eine einzige Hypothese reduziert werden kann, es sei denn die letzte der Rest- und Auffangklasse - und die bedeutete: man weiß es nicht, es ist etwas anderes.
Zum Beispiel kann "Wahn" auch als bloßer Name vorkommen, etwa
"Schloss Wahn":
Kunst von psychisch Kranken und potentiell analog anmutende Kunst:
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Wissenschaft site:www.sgipt.org. |
korrigiert: irsf 13.03.2011