Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=09.03.2011 Internet Erstausgabe, letzte Änderung 21.3.13
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20  D-91052 Erlangen
    Mail: sekretariat@sgipt.org_Zitierung  &  Copyright

    Anfang_ Wahn-Fälle _ Rel. Aktuelles _Überblick_Überblick Wissenschaft _Rel. Beständiges_ Titelblatt_Konzept_Archiv_Region_Service iec-verlag___ _Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Wissenschaft, und hier speziell zum Thema:

    Wahn-Fälle

    [Vor dem Spiegel - Primäres Wahnerlebnis, Gouache
    Clinique des Maladies Mentales et de l'Encéphale de la faculté de Médecine de Paris
    Sekundärquelle Sandoz, 1966, Ästhetische Ausdrucksformen des Wahns, Tafel 4]

    ausgewählt und aufbereitet von Rudolf Sponsel, Erlangen
    Querverweise.



    Editorial: Es liegt nun eine umfangreiche Seite zum Wahn vor, die gelegentlich auch weiter ausgebaut, vertieft und fortentwickelt wird. Hierbei ist es aber auch wichtig, den Kontakt zur praktischen, klinischen und empirischen Realität nicht zu verlieren. Daher entsteht hier eine Fallsammlung, auf die bei der einen oder anderen Diskussion zurückgegriffen werden kann. Auch an einem Ordnungssystem wird gearbeitet. Wahn ist hierbei in der Hauptsache klinisch zu verstehen. Die alltags- oder auch bildungssprachliche Verwendung des Wahnbegriffs bedeutet oft nur eine überwertige Idee und keinen Wahn im eigentlichen Sinne. Es sind aber auch eine Reihe von Fällen möglich, wo sowohl ein klinischer Wahn als auch die Verwendung in der Bedeutung einer überwertigen Idee gemeint sein kann: Konsumwahn, Rassenwahn, Religiösenwahn, Wachstumswahn. Ähnlich wie im Bereich der Religionen gibt es auch Fälle, wo Wahnhaftes zur Interessantmacherei, als Werbe- und Beeinflussungsmittel "benutzt" wird, wo also narzisstisch-betrügerische Motive und Hochstapelei eine Rolle spielen (> Traktat über die drei Betrüger). Und endlich wird das Wort "Wahn" auch noch als rhetorisches Mittel zur Entwertung eingesetzt.
     
    Wahn liegt vor, wenn mit rational unkorrigierbarer Gewissheit ein falsches Modell der Wirklichkeit oder ein falscher Erkenntnisweg zu einem richtigen oder falschen Modell der Wirklichkeit vertreten wird. 
        [> Zur Unmöglichkeit des Inhalts] > Peters (1984) Eintrag zum Wahn. > Abgrenzung Irrtum und Glaube.

    Unterscheidungen und Beispiele

    1. Wahn im klinischen Sinne: Klinische Wahn-Fälle.
    2. Wahn als überwertige Idee.
    3. Wahn in unklarer, auch mehrfacher Bedeutung.
    4. "Wahn" als Werbemittel und Interessantmacherei.
    5. Wahnzuschreibung als rhetorisches, sophistisches oder rabulistisches Mittel zur Beeinflussung oder Entwertung.
    6. Wahn als alltags- oder bildungssprachliche Floskel.
    7. Sonstige, bislang nicht bedachte Verwendung.


    Im Zweifel besinne man sich auf die Fallstricke der Diagnostik oder wende die Begriffsregeln des Aristoteles an:

    "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander  austauschen wollen, etwas  voneinander verstehen; 
    denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaus- tausch möglich sein? 

    Es muß also jedes Wort bekannt sein 
    und etwas, und zwar eins und nicht mehreres, bezeichnen; hat es mehrere Bedeutungen, so muß man erklären, in welcher von diesen man das Wort gebraucht."

    > Terminologie.

        Aus: Aristoteles (384-322) Metaphysik. 11. Buch, 5 Kap., S. 244  (Rowohlts Klassiker 1966)
    _


    [Organisationsplan: Abstammungs-, Berufungs- und Größenwahn * Alkoholinduzierter Wahn * Anhaltende wahnhafte Störung (F22) * Beeinträchtigungswahn * Berufungswahn * Beziehungswahn (sensitiver) * Besessenheitswahn * Capgras-Syndrom * Cotard-Syndrom * Dermatozoenwahn * Drogen induzierter Wahn * Eifersuchtswahn * Eigengeruchswahn * Enterozoenwahn * Esoterischer, metaphysischer, religiöser und spiritueller Wahn * Exorzismus (extern) * Folie à deux * Fregoli-Syndrom * Fremdbeeinflussungswahn * Größenwahn * Haftpsychosen * Heiratswahn * Hypochondrischer Wahn * Ideologischer Wahn * Induzierte wahnhafte Störung * Intermetamorphose * Jerusalem-Syndrom * Lykanthropie * Körperdysmorpher Wahn * Kontaktmangelparanoid * Korsakow-Syndrom * Liebeswahn * Medikamenten- und stoff-induzierter Wahn * Metaphysischer Wahn * Minderwertigkeitswahn * Monoperceptose * Multiple- und komplexe Wahnsysteme * Nihilistischer Wahn * Normaler Wahn * Organisch bedingter Wahn * Positiver Wahn * Psychische Epidemien (extern) * Querulantenwahn * Religion als Wahn * Religiöser Wahn * Schuldwahn * Schwangerschafts- und Mutterschaftswahn * Sensorische Deprivation * Simulierter Wahn * Sozialer Wahn * Spiritueller Wahn * Sterbewahn * Strafwahn * Überwertige Idee * Verarmungswahn * Verfolgungswahn * Vergiftungswahn * Verhältnisblödsinn * Versündigungswahn * Wachstumswahn * Wahn bei sensorischer Beeinträchtigung * Weltuntergangs- und Katastrophenwahn * wissenschaftlicher Wahn *]



     
    1. Wahn im klinischen Sinne: Klinische Wahn-Fälle.

    Die Einteilung ist manchmal schwierig und problematisch, wenn zwei oder mehr wahnhafte oder andere Störungen vorliegen.
     

    Multiple und komplexe Wahnsysteme
    Schreber,  Wahnhafte Glückspsychose ausgelöst durch die 5. Beethovens,  Glückspsychose bei Nerval,  Verfolgungs- und Groessenwahn bei einem 22-jährigen,
     

    Schreber, D. P. (1903). Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, nebst Nachträgen und einem Anhang über die Frage: ›Unter welchen Voraussetzungen darf eine für geisteskrank erachtete Person gegen ihren erklärten Willen in einer Heilanstalt festgehalten werden?‹. Leipzig: Mutze.

        Anmerkung: Am Fall Schreber entwickelte Freud eines seiner "wissenschaftlichen" Wahnsysteme (andere z.B. Ödipus- und  Kastrationskomplex, Junktimhypothese) nämlich die anscheinend subjektiv gewisse und unkorrigierbare Theorie von der angeblich verdrängten Homosexualität als Ursache der Paranoia bei Männern.
     
    Die extremen Erziehungsmethoden und Einstellungen von Schrebers Vater wurden von Freud bei seiner Analyse der Schizophrenie Schrebers nicht berücksichtigt. Sicher ein schwerer wissenschaft- licher und psychopathologischer Kunstfehler. Er war erfüllt von seiner fixen Idee, dass einer Paranoia verdrängte homosexuelle Strebungen zugrunde liegen müssten und kümmerte sich nicht - entgegen aller psychotherapeuti- schen, auch tiefenpsychologischen  Gepflogenheiten - um die Fami- liendynamik. 

    • Schatzmann, Morton (dt. 1978). Die Angst vor dem Vater. Langzeitwirkungen einer Erziehungsmethode / Eine Analyse am Fall Schreber. Reinbek: Rowohlt.
    • Niederland, William G. (dt. 1978). Der Fall Schreber. Das psychoanalytische Profil einer paranoiden Persönlichkeit. Frankfurt aM: Suhrkamp.


        Eine gründliche und kritische Untersuchung der Freud'schen Paranoiatheorie findet man z.B. bei Spitzer (1989-2). Dieser Arbeit sei auch eine kurze Fall-Charakteristik (1989-2, S. 72) entnommen: "SCHREBER beschreibt ausführlich sein Wahnsystem, das darin besteht, daß er berufen sei, die Welt zu erlösen und der Menschheit die verlorengegangene Seligkeit wiederzubringen. Ähnlich wie die Propheten sei er zu dieser Aufgabe durch unmittelbar göttliche Eingebung gekommen, die sich nur schwer sprachlich ausdrücken ließe, weswegen eben nur ihm diese Offenbarung zuteil geworden sei. Damit die Erlösung statthaben könne, sei zunächst eine Umwandlung seines Geschlechts unbedingt notwendig. Dies geschehe durch ein Wunder, und überhaupt vollzögen sich an ihm beständig göttliche Wunder. So werde er bestrahlt und höre Stimmen, was ihn darin nur bestätige. Seine inneren Organe seien in den letzten Jahren mehrfach zerstört worden, und er habe beispielsweise ohne Magen, ohne Därme, fast ohne Lungen, mit zerrissener Speiseröhre, ohne Blase, mit zerschmetterten Rippenknochen oder aufgerissenem Kehlkopf gelebt, durch Wunder seien diese Schäden jedoch immer wieder hergestellt worden. Bei seiner Umwandlung zur Weiblichkeit handele es sich nicht um ein momentanes Geschehen, sondern um eine langsame Entwicklung, wobei er das Gefühl habe, daß in seinem Körper weibliche Nerven sproßten."
        Es gibt inzwischen ein einfaches empirisches Argument gegen die Homosexualitätstheorie Freuds: Seit zunehmender Akzeptanz homosexueller Verfasstheit, sollte es zunehmend weniger Gründe geben, homosexuelle Neigungen zu unterdrücken. Deshalb sollte die männliche Paranoia nach ihrer Häufigkeit massiv abgenommen haben.

    Paranoia aus Unglück: Ewalds Realschulprofessor H., 50 J.
    Ewald, Gottfried (1925). Das manische Element in der Paranoia.  Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, 665-763. Aus der Psychiatrischen Klinik Erlangen [Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. G. Specht]. (S. 713-717)

        "Keine manifeste erbliche Belastung. Großvater Tabiker, Vater brutaler Mensch, Säufer, Mutter sensitive Persönlichkeit mit Neigung zu paranoischer Verarbeitung von Erlebnissen. Pat. selbst von Jugend auf ,,eine freudlose Erscheinung". Dabei begabt, fleißig, gewissenhaft, strebsam, ehrgeizig, eitel, sehr empfindlich, gegen die Geschwister herrisch, aufbrausend, selbst brutal. Nach außen zurückhaltend, still, scheu, schüchtern, ängstlich bis zur Feigheit. Sehr leicht in seinem Stolz verletzt, außerordentlich selbstbewußt, dünkte sieh immer etwas Besseres. Dabei Schwarzseher und mißtrauisch von Jugend auf. Wenig Neigung zu Geselligkeit, auch wenig Verkehr mit Mädchen. Ein einziges Mal ein intimes Erlebnis. War im Alter von 29 J. in Hof als Realschullehrer angestellt. Das sei eine wenig beliebte Stelle gewesen, er sei ungern hingegangen und habe gehofft, bald wieder fortzukommen. Allein alle möglichen Kollegen seien versetzt worden, er aber nicht. Das habe ihn stutzig gemacht. Er glaubte auch, daß sein Direktor ihm nicht wohl wollte, wenn er auch immer freundlich zu ihm war, bald meinte er, daß sein Hausarzt, der auch mit dem Direktor befreundet war, ihm ein gewisses Mitleid zeige, er mußte mit dem Direktor unter einer Decke stecken, es mußte etwas gegen ihn vorliegen, er wußte aber nicht recht was. Das alles, meinte er, habe ihn in eine gedrückte Stimmung versetzt, aus derer sich nicht herausgefunden habe. Da, eines Tages, fand er am Mittagstisch neben seinem Platz die Fliegenden Blätter ausgeschlagen, und zwar ein Bild, wo ein im Regenwetter spazieren gehendes Liebespärchen von Diogenes aufgefordert wird, in seiner Tonne Platz zu nehmen. Mit einem Schlag war ihm jetzt klar: Sein einziges intimes Erlebnis mit jenem
    Mädchen war bekannt geworden - das hatte ja auch bei Regenwetter stattgefunden - deshalb kam er nicht vorwärts, deshalb war der Direktor zu ihm so besonders, deshalb schaute man ihn so bedeutungsvoll oder mitleidig an, und seine Gegner
    hatten ihm dies auf solch perfide Weise mit den Fliegenden Blättern zu verstehen gegeben. Und nun häuften sich die Erlebnisse. An jenem Ort, wo er das Mädchen getroffen hatte, traf er 2 Gendarmen, in der Schule, im Wirtshaus, auf der Straße,
    in den Zeitungen, überall fand er Anspielungen, ,,alles klappt und stimmt". Sein körperliches Befinden wurde immer schlechter, der Schlaf fehlte, der Stuhlgang wurde träge, der Appetit schwand. Er wurde immer verzweifelter, dachte an Selbstmord
    und wurde schließlich von seinen Angehörigen in ein Sanatorium gebracht (1910). Am Abend vorher hatte er noch ein besonders schauriges Erlebnis, das ihn in der Überzeugung, seine Verfolger hätten seinen Tod beschlossen, bestärkte :
    Ein Stammtischgenosse habe sieh vor dem Erscheinen des Entenbratens die geschlachtete Ente hereinbringen lassen, ein anderer habe ihn aufgefordert, mit ihm den ,,Hamlet" zu besuchen, und außerdem wurde das Licht 3 mal ausgedreht. In dem Sanatorium war er ein volles Jahr. Er machte einmal einen schwächlichen Selbstmordversuch, war depressiv-hoffnungsloser Stimmung. Langsam besserte sich sein Zustand etwas, und wenn er auch bis zum Schlug mißtrauisch blieb und [>714] stets geneigt war, jeder Äußerung und jeder Handlung die übelste Deutung zu geben, so konnte er doch gebessert entlassen werden. Er machte dann erst eine große Studien- und Erholungsreise nach Italien und Griechenland, auf der es ihm sehr gut ging und auf der er unter Verfolgungsideen nicht mehr zu leiden hatte. ... ... ...
        Er kam nicht von dem Gedanken los, daß man ihm überall absichtlich Schwierigkeiten mache, ihn absichtlich belästige. Ganz unerträglich wurde er erst wieder 1918.  ... ... ...
        Zur Illustration nur einige Partien aus Briefen und Schriften: ,,Pünktlich mit dem Essen stellte sich nämlich wieder die Unmöglichkeit ein, tief aufzuatmen. Bald kam auch das schon öfter beobachtete Druckgefühl in der Herzgegend hinzu. Dieser ekelhafte Zustand, in dem man sich keinen großen Schritt zu machen traut, könnte einen zur Verzweiflung treiben. Fühlt man doch sozusagen mit jedem Atemzuge, daß man kein unabhängiger Mensch ist. Ich [>715] sehreibe nämlich den unleidlichen Zustand, wie schon früher erwähnt, auch diesmal gewissen schädlichen Mitteln zu, die mir heimlich in die Speisen oder die Getränke gegeben werden, und zwar gründet sich die Vermutung unter anderem darauf, daß die Beschwerden, die übrigens das sonstige normale Funktionieren des Organismus gar nicht stören, wie sonst so auch diesmal um die Monatswende auftraten,
    ferner, daß dieser Zeitpunkt zugleich mit einem bestimmten Personalwechsel verbunden war."

    Wahnerkrankung bei schizoaffektiver Grundstörung mit sehr langsamer Progredienz
    Leonhard, Karl (1950). Eine Sippe affektvoller Paraphrenie mit gehäuften Erkrankungen aus Verwandten-Ehen. Zugleich ein Beitrag zur Frage der Paranoia. Archiv fiir Psychiatrie und Zeitschrift Neurologie, Bd. 184, S. 291-356
        "A.H. bot erst 7 Jahre lang vorwiegend das Bild einer agitierten Depression mit Angstideen, Selbstvorwürfen und Eigenbeziehungen, während die Stimmen, die anfangs bestanden, später zurücktraten. Die Eigenbeziehungen sind sehr deutlich und geben der Psychose von Anfang an ein stark paranoisches Gepräge. Nach 7 Jahren kommt der Angstzustand endlich zum Abklingen, es setzt aber kein normales Verhalten dafür ein, sondern die Kranke zeigt sich jetzt querulatorisch, reizbar und feindselig gegen ihren Mann und die Anstalt. Nach den Vor[>305]würfen, die sie erhob, und den heftigen Affekten, die sich gegen den Mann entluden, hat es sich weiter um eine Wahnkrankheit gehandelt. Schon die stark paranoische Färbung der Angsterkrankung und die lange Dauer mußten den starken Verdacht erwecken, daß es sich nicht mehr um eine heilbare Psychose handle, der Ausgang bestätigte diesen Verdacht. Trotzdem kann gesagt werden, dag die Progredienz des Leidens
    sehr langsam erfolgte und der endgültige Defekt gering war. Damit rundet sieh die Psychose zu einem sehr charakteristischen Gesamtbild."

    Wahnhafte Glückspsychose ausgelöst durch ein Konzert der 5. Beethovens [ICD-10 F25.0 (V)]
    "Wenn sich die manische Verstimmung auf einer Schizophrenie aufbaut, kann es zu einem Grössenwahn kommen wie folgt:
        Ein  bescheidener, tüchtiger  Angestellter wird in  einem  Beethovenkonzert vom göttlichen Geist erleuchtet. Er fühlt sich wie von einem höheren Hauch umweht und ein unendliches Glücksgefühl durchrauscht seine Seele. Seine Frau ist überrascht, dass er plötzlich so strahlend und schön aussieht. Die heilige Inspiration befähigt ihn zum Dichten und zum Erfassen der letzten Geheimnisse des Lebens. Er sagt, die 5. Symphonie von Beethoven hätte ihm Antwort gegeben auf die brennenden Fragen «Warum sind wir?», «Gibt es ein Jenseits?». Er weiss es jetzt: der Mensch ist ein Symbol Gottes. Weil er französisch spricht, kommt ihm der ideenflüchtige Einfall, er sei Saint-Paul. Sein grosses Verhältnis zur Kunst — er ist sehr belesen — erlebt er als göttliche Gnade, Er fragt, ob ich nicht spüre, dass ein Fluidum von ihm ausgehe. Seinen Kindern, die er heiss liebt, erzählt er, er sei schön, wie ein arabisches Pferd; er besässe einen feinen  Kopf, breite Schultern und kleine Schuhe. Dabei behauptet er, er liebe die Natur und die Poesie mehr als sich selbst. Doch hasst er seine Frau, denn er fühlt sich von ihr nicht verstanden und nicht erkannt. Stets quält ihn das Gefühl, kein Echo zu finden, keinen Freund zu besitzen, mit dem er zusammenklingt. Er hat sich nie anpassen können und war früher Anarchist, worin deutlich sein schizothymes Temperament zum Ausdruck kommt. In der Waldau ist er gern; er findet sie das  «Land des Lächelns». Zum Fenster  hinaus  träumend schreibt er ganze Packpapiere voll Verse auf die Ostermundigenallee, und wenn er Bücher liest, riecht er darin den Geist Gottes. Seine Stimmung ist glänzend; er spricht freudig bewegt und hat ein lebhaftes Gebärdenspiel. Dennoch ist seine Gefühlsfülle nicht richtig tief; man weiss nicht, ob er jemanden liebt oder hasst. Von seinem Beruf ist er begeistert und gleichzeitig verdammt er ihn; er ist ambivalent.
        Weil er die Familie häufig vernachlässigt, kommt er sich in der Exaltation als die Lampe der Familie vor. Er erklärt, er sei seinen Kindern Vater und Mutter zugleich und sein Mund sei wie ein Herz."

        Quelle (S. 55): Keller, Franz (1938). Eitelkeit und Wahn. Eitelkeit als Charakterschwäche und als Größen- und Verfolgungswahn mit einem Anhang: Eitelkeit in Kindheit und Jugend. Bern: Francke.
     

    Glückspsychose bei Gerard de Nerval geschildert in Aurelia (1854-1855):
     
    "Swedenborg nannte diese Visionen »Memorabilia«; er verdankte sie öfter der Träumerei als dem Schlaf; der »goldene, Esel« des Apulejus, die »göttliche Komödie« Dantes sind die dichterischen Vorbilder dieser Studien über die menschliche Seele. Ich will nach ihrem Beispiel versuchen, die Eindrücke einer langen Krankheit niederzuschreiben, die sich ganz in den Mysterien meines Geistes abgespielt hat; — und ich weiß nicht, warum ich mich des Ausdrucks »Krankheit« bediene, denn niemals habe ich mich, was mich selbst betrifft, wohler gefühlt. Mit-[>8]unter hielt ich meine Kraft und meine Fähigkeit für verdoppelt. Es schien mir, als wüßte und verstände, ich alles, die Einbildungskraft brachte mir unendliche Wonnen. Soll man bedauern sie verloren zu haben, wenn man das, was die Menschen Vernunft nennen, wiedererlangt hat?"
    Zitat, S. 7f, aus: Nerval, Gerard de (dt-fr. 1961 ). Aurelia. Frankfurt: Fischer (Exempla Classica). [W] [Bilder: 1,2,] Porträt: Wikipedia.

    Verfolgungs- und Groessenwahn bei einem 22-jährigen.
     
    ZPID: "Die zentralen Behandlungsschritte einer sich ueber sieben Jahre erstreckenden psychoanalytischen Behandlung eines bei Therapiebeginn 22jaehrigen psychotischen Patienten, der unter Aengsten sowie Verfolgungs- und Groessenwahn litt, wird beschrieben. Dabei wird die individuelle psychotische Symptombildung als Kompromissloesung und als Ausdruck eines psychotischen Konflikts interpretiert."
     

        Quelle: Troje, Elisabeth (1992). Der Karatekaempfer. Symptombildung als Kompromissloesung und Ausdruck eines psychotischen Konfliktes. In (168-211): Mentzos Stavros (1992, Hrsg.). Psychose und Konflikt. Zur Theorie und Praxis der analytischen Psychotherapie psychotischer Stoerungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.



    Abstammungs-, Berufungs- und Größenwahn

    Berufungswahn
    Huber & Gross (1977, S.73 ) teilen mit: "Ein Patient mit Berufungswahn gibt aus psychotischen Motiven sein Medizinstudium auf und befaßt sich mit Parapsychologie. In der Klinik bemüht er sich, die Mitpatienten von der Richtigkeit seiner Lehre zu überzeugen. - Ein Patient mit Berufungswahn verkündet im Krankenhaus gemäß seinem Auftrag Gottes Wort und versucht, die Mitpatienten zu bekehren. - Eine Patientin mit religiösem Berufungswahn segnet die ihr begegnenden Menschen und will sie bekehren. - Eine Kranke, die sich im Besitz besonderer Fähigkeiten glaubt, versucht mit allen Mitteln, andere zur Anerkennung ihrer ungewöhnlichen Gaben zu bringen. - Eine Patientin fühlt sich dazu berufen, andere als "Künderin Jesu" zu bekehren. Gemäß ihrer Mission fährt sie zum Bundeskanzler, um auch ihn für ihre Ideen zu gewinnen. - Ein Patient, der sich für das "geistige Haupt der Menschheit" hält, unternimmt alles mögliche, um seine Mitmenschen zu bekehren. - Eine Patientin mit der wahnhaften Überzeugung, daß sie sterben und dann wieder auferstehen werde, verlangt in der Klinik sthenisch ihre Kreuzigung, da ihr vorher nicht geglaubt werde."

    Größenwahn und Sprachverwirrtheit.
    ZPID: "Anhand von drei Fallbeispielen werden sprachliche Besonderheiten beschrieben, die im Rahmen von Groessenwahn auftreten koennen. Dabei wird gezeigt, dass Sprachstoerung und megalomanes Wahnbeduerfnis sich gegenseitig ergaenzen und einander zur Verwirklichung verhelfen. Es wird die Ansicht vertreten, dass Sprachverwirrtheit und Groessenwahn so haeufig gemeinsam auftreten, dass man eine Affinitaet beider Symptome annehmen darf."
        Quelle: Avenarius, Richard (1991). Ueber Groessenwahn und Sprachverwirrtheit. In (105-116): Kraus, Alfred & Mundt, Christoph (1991, Hrsg.). Schizophrenie und Sprache. Stuttgart: Thieme.



    Beeinflussungs-, Beeinträchtigungs-, Verfolgungs- und Vergiftungswahn

    Vergiftungswahn
    Vergiftungswahn Kurt Gödels, Vergiftungswahn, induzierter,

    Vergiftungswahn Kurt Gödels
    Daten hauptsächlich nach Quelle: Dawson, John W. jr. (dt. 1999). Kurt Gödel. Leben und Werk. Computerkultur Band XI. Wien: Springer.
     

    Ein paar Rahmendaten: Gödel gilt vielen als bedeu- tendster mathematische Logiker des 20. Jhds. Obwohl Finsler die Grundidee schon 5 Jahre vor Gödel ver- öffentlichte, wurde Gödel der Ruhm zuteil, vermutlich aufgrund der strikten formalen Kalkülisierung und seiner Anbindung an den Wiener Kreis. Hauptquelle Dawson unter Berufung auf das Tagebuch Morgensterns. 

    • 1906 in Brünn geboren
    • 1924 Studium in Wien. 
    • 1929 Beweis Vollständigkeit Prädikatenlogik 

    • 1. Stufe. Österreichische Staatsbürgerschaft.
    • 1930 6.2. Promotion. Sep: Bericht über Unvollständigkeitsergebnisse in Königsberg.
    • 1931 Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter 

    • Systeme I.
    • 1933 Privatdozent Universität Wien.
    • 1934 1. Depression 1934 nach der Rückkehr von Princeton.
    • 1935 2. Depression 1935 in Pricenton. Rückkehr.
    • 1936 Anhaltende Depression. Winter und Frühling Sanatorium. D, S.200: Anfälle von Hypochondrie und Paranoia.
    • 1938 Anschluss Österreichs. 3. Princeton Aufenthalt. 
    • 1939 Rückkehr. Aberkennung der Dozentur. Militärdienst drohte.
    • 1940 Auswanderung USA
    • 1948 Wird US-Bürger.
    • 1951 Stirbt beinahe an einem Zwölffingerdarmgeschwür
    • 1954  D, S. 200: Anfälle von Hypochondrie und Paranoia.
    • 1958 Konsistenzbeweis zur Arithmetik.
    • 1966 Tod seiner Mutter.
    • 1968: Morgenstern über Gödels abgezehrte Erscheinung alarmiert (D S. 201)
    • 1970: Morgenstern bringt Gödel ins Krankenhaus. Im Februar massive paranoide Zeichen. Im März Fantasien, sein Tod nahe. Unterernährung, Halluzinationen.  14.4. Verfolgungswahn. Dann Erholung.
    • 1975: Dawson (S. 200): die psychotischen 

    • Krisen seien chronisch geworden.
    • 1976 Ruhestand
    • 1978 Stirbt an Unterernährung infolge seines Vergiftungswahnes.
    "GÖDELS MISSTRAUEN anderen gegenüber, gepaart mit seinem unerschütterlichen Glauben an die Richtigkeit seines eigenen Urteils, stellte eine ernste Bedrohung seiner körperlichen Gesundheit dar. Als Hypochonder befaßte 
    er sich seit Jahren besessen mit der Beobachtung seiner Körpertemperatur und Verdauungsgewohnheiten, und er nahm nach eigenem Ermessen Medikamente, besonders Abführmittel. Er vertiefte sich in medizinische Literatur und besuchte zahlreiche Ärzte, obwohl er ihrem Rat mißtraute. Und trotz seines Intellekts hielt er an bizarren Ideen über Ernährung und die Ätiologie von Krankheiten fest. Er zögerte oft, medizinischen Rat zu befolgen, und das 
    machte die Behandlung schwierig. Manchmal wurde seine Widerspenstigkeit sogar lebensbedrohlich." (D, S. 214).

       1976, Mai bis Juni, wieder Wahnideen, seine Frau Adele habe während seines Krankenhausaufenthaltes all sein Geld ausgegeben. Schwere Erkrankung seiner Frau. 1977 starb - für Gödel überraschend - sein wichtigster Freund Morgenstern. Gödel verfiel weiter. 
       D, S. 220: "Außerhalb Princetons war Hao Wang beinahe der einzige, der versuchte, mit Gödel in Kontakt zu bleiben. ... Die zwei scheinen im Juli und August überhaupt nicht miteinander gesprochen zu haben, und von Mitte September bis Mitte November war Wang außer Landes [574]; aber er rief Gödel kurz vor seiner Abreise und nach seiner Rückkehr an, und bei einer 
    seiner Reisen nach Princeton brachte er Gödel ein Huhn, das seine Frau zubereitet hatte. Er hatte seinen Besuch zuvor angekündigt, aber, als er ankam, beäugte ihn Gödel mißtrauisch und weigerte sich, die Türe zu öffnen. Schließlich ließ Wang das Mitgebrachte an der Türschwelle zurück.
        Es gelang Wang, Gödel am 17. Dezember zu Hause zu besuchen, einige Tage vor Adeles Rückkehr. Zu Wangs Überraschung erschien Gödel nicht sonderlich krank, obwohl er sicherlich extrem ausgemergelt gewesen sein mußte, da er nur 29 Kilo wog, als er weniger als einen Monat danach starb. Auch sein Geist schien Wang unbeeinträchtigt. Gödel berichtete jedoch, er habe "die Kraft verloren, positive Entscheidungen zu fällen", er könne nur mehr negative treffen [FN575].
    Zu letzteren zählte wohl seine Weigerung, sich ins Krankenhaus einliefern zu lassen. Er konnte schließlich doch von Adele dazu überredet werden, aber die Ärzte konnten nicht mehr viel gegen die Folgen seiner langandauernden Auszehrung unternehmen.
    Gödel wurde am 29. Dezember ins Princeton Hospital eingeliefert, und Wang telephonierte mit ihm am 11. Januar: "Er war höflich, aber entfernt" [FN576]. Drei Tage danach starb Gödel an "Unterernährung und Auszehrung" als Resultat von "Persönlichkeitsstörungen" [FN577]." 

        D, S. 221: "GÖDELS TOD war voll tragischer Ironie: Er konnte der inneren Logik seiner Paranoia nicht entkommen - er konnte sich nicht auf einen "metatheore- tischen" Standpunkt stellen -, und so verhungerte er, besessen von der Angst, vergiftet zu werden. Wie ein Geschöpf in einer Zeitschleife eines Gödelschen Universums, das seine eigene Vergangenheit wiederholen muß, konnte er seinem Schicksal nicht entkommen."

     


     
    Reflexionen zum Fall Gödel
    Kein Fall kann mehr beeindrucken, was die Hilflosigkeit rationalen Denkens betrifft als der Fall Gödel, weil es kaum jemanen geben dürfte, der in logischen Angelegenheiten mächtiger war als er. Und doch hat es ihm nicht helfen können. Vielleicht hätte Gödel eine Chance mit Watzlawick, Milton Erickson, der systemischen Kommunikationstherapie, gehabt. So zeigt uns der Fall Gödel gleichermaßen eindringlich wie erschütternd, dass Rationalität, exaktes Denken, strenge Logik und scharfsinnige Experimente mit der Mathematik an der Spitze zwar der Königsweg für die ungeheuren und bewundernswerten naturwissenschaftlichen Erfolge waren und sind, aber im Bereich des Menschlichen und Zwischenmenschlichen, des vermeintlich Irrationalen, im Reich der Affekte, Sehnsüchte, Leidenschaften und letztlich auch des Wahns  anscheinend bislang weitgehend versagen. Vereinfacht gesagt, es fehlt zusätzlich eine Logik und echte Wissenschaft des Irrationalen - Freuds  Psychoanalyse hatte zwar die richtige Idee, aber ihre Ausführung ist durch und durch inakzeptabel. Psychologie, Psychopathologie und Psychotherapie einerseits, Ethik, Metaphysik, Politologie, Soziologie und die Friedensforschung andererseits brauchen ein das Irrationale explizit umfassendes Paradigma. Und es hat ein wenig den Anschein, dass sich die Lösung des Wahnproblems als Modellparadigma bestens eignen könnte. 

    Vergiftungswahn, induzierter
    "Ein zweiter Fall: Am 16. Dezember 1951 wird der 54jährige Kranke von seinen Angehörigen in die Klinik eingeliefert, weil er zu Hause seit kurzer Zeit in der wahnhaften Befürchtung lebt, seine Frau und deren Familie wolle ihn vergiften. Es hatte sich folgendes zugetragen: Der Kranke und seine Frau mit ihren zwei Kindern, Flüchtlinge, leben in einem kleinen Ort bei Frankfurt, in engen Wohnverhältnissen, zumal sie die beiderseitigen Schwiegereltern noch bei sich haben. Schon seit Monaten war der Vater des Patienten an einem abdominalen Krebs krank. Die Pflege war schwer, besonders auch dadurch eine Zumutung an die Pflegenden, daß der durch das Leiden allmählich kachektisch zerfallende Körper des Kranken einen störenden Geruch verbreitete. In den letzten Tagen seines Lebens scheint der Kranke psychisch beeinträchtigt gewesen zu sein. Er soll von Vergiftung gesprochen haben. Schon einen Tag nach dem Tode des Vaters, durch den das Ranggefüge der Familie verändert wurde, wurde der Patient mißtrauisch [>191] und ängstlich, besonders seiner eigenen Frau gegenüber. Er war überzeugt, man habe den Vater vergiftet, in einem Fläschchen, das er nie gesehen zu haben glaubte, sei Gift und seine Frau wolle ihn, weil er die verbrecherischen Machenschaften durchschaut habe, beseitigen. Er suchte zunächst bei der Polizei Schutz und kam auf diesem Wege zu uns in die Klinik. Bemerkenswerterweise trat auch bei diesem Kranken eine wesentliche Beruhigung ein, nachdem die nicht im gleichen Ort wohnende Schwester des Kranken zu Besuch gekommen war, zunächst seine wahnhaften Befürchtungen gläubig angehört hatte, um dann selbst kritisch zu korrigieren und den Bruder zu beruhigen. Wir haben den Kranken schon nach Tagen wieder nach Hause entlassen. Er bekam einen Rückfall, beruhigte sich dann aber und ist seitdem gesund und unauffällig zu Haus."
        Quelle (S. 190f, Wiederabdruck): Zutt, J. (1953). Über Daseinsordnungen. Ihre Bedeutung für die Psychiatrie. Nervenarzt 24, 177-. Wieder abgedruckt in (169-201): Straus, E.; Zutt, J. & Sattes, H. (1963). Die Wahnwelten (Endogene Psychosen). Frankfurt: AVA.
     



    Verfolgungswahn

    Verfolgungswahn, situativ bedingter
    "Ein heute 58jähriger selbständiger Arbeiter, aus einem kleinen Ort aus der Umgebung Frankfurts stammend, ist vor 23 Jahren mit seiner Frau nach Kanada ausgewandert. Er war dort erfolgreich, hat sich einen eigenen Betrieb aufgebaut, von dem er und seine Kinder gut leben können. Im Kriege hatte er, immer deutscher Staatsangehöriger, mancherlei Schwierigkeiten zu bestehen. Es gelang ihm durch ruhiges und geschicktes Verhandeln mit den Behörden die Internierung von sich fernzuhalten. Überhaupt gilt er im ganzen als ein lebenstüchtiger und lebensmutiger Mensch. Im Jahre 1951 beschloß er, zum erstenmal nach 23 Jahren seine Verwandten, insbesondere seinen Bruder, auf dem Lande bei Frankfurt zu besuchen. Er entschloß sich zu einer Flugzeugreise, der ersten seines Lebens. Sorgfältig wurden die Vorbereitungen getroffen, alles streng gemäß den bestehenden Verordnungen. Allerdings machte es ihm Sorge, wie er das Geld, das er mitnehmen wollte, sicher verwahren könne. Es wurde eigens ein Leibriemen angeschafft, in dem das Geld Platz fand. Unter guten Vorzeichen wurde der Flug angetreten. Über dem Atlantik saß neben ihm ein Mann des gleichen Standes wie er selbst, mit dem er sich gut unterhielt, sie tranken nicht mehr, als es ihrer Gewohnheit entsprach und rauchten. In England hatte er das Flugzeug zu wechseln. Er trennte sich von dem angenehmen Begleiter. Während des mehrstündigen Aufenthalts wußte er mit sich selbst und den dortigen Möglichkeiten nichts Rechtes anzufangen, saß und lief eben umher und wartete. Schließlich fragte er andere Wartende nach dem genauen Abflugstermin seines Flugzeuges. Diese Leute sollen kurz zurückhaltend geantwortet haben und sich von ihm abgewandt haben. So schien es ihm jedenfalls. In diesem Augenblick erwachte in ihm das Mißtrauen. Er war überzeugt, daß man ihn überwachte, daß man ihn, obschon er gar nichts Böses vor oder getan hatte, wegen des Geldes verhaften wolle, er fühlte sich beobachtet und [>190] verfolgt. Diese Angst verließ ihn nicht mehr. Er bestieg das Flugzeug, in dem er von England direkt bis Frankfurt flog. Andere Mitfliegende hielt er für Kriminalbeamte, die hinter ihm her waren. Als er in Frankfurt das Flugzeug verlassen hatte und die Stewardeß ihn aufforderte, zunächst mit seinem Paß zur polizeilichen Kontrolle zu gehen, ergriff er ein Messer und durchschnitt sich lebensgefährlich die Kehle. Er wurde in die Klinik gebracht, wo er sich unter ärztlichem Zuspruch und Beruhigungsmitteln, vor allen Dingen aber nach dem Besuch seines Bruders, beruhigte und erholte. Er blieb wenige Wochen, bis seine Wunde geheilt war, verbrachte dann entsprechend seiner Absicht Ferien bei seinem Bruder, verabschiedete sich in der Klinik und ist dann gut und wohlbehalten wieder per Flugzeug zu seiner Familie nach Kanada zurückgekehrt. Auf die rationale Sinnlosigkeit seines Tuns angesprochen, gefragt, warum er, da er doch ein reines Gewissen hatte, nicht ruhig zur Polizei gegangen war, um dieses reine Gewissen zu offenbaren, sagte er: er habe die Schande, daß ihn die Polizei gefaßt hätte, nicht ertragen können. In dieser Weise habe die Polizei noch nie etwas mit ihm zu tun gehabt. Über die ganze psychotische Episode ging er hinweg. In ein Gespräch, das seine Krankheitseinsicht erweisen sollte, ließ er sich nicht ein. Er ging lachend darüber hinweg und begab sich froh und zuversichtlich auf die Heimreise."
        Quelle (S. 189 Wiederabdruck): Zutt, J. (1953). Über Daseinsordnungen. Ihre Bedeutung für die Psychiatrie. Nervenarzt 24, 177-. Wieder abgedruckt in (169-201): Straus, E.; Zutt, J. & Sattes, H. (1963). Die Wahnwelten (Endogene Psychosen). Frankfurt: AVA.


    [Bildquellen: tws, Wikipedia, Nervenarzt]
     



    Beziehungswahn (sensitiver)

    "Fall 66: Vg, 54jährige Frau. Wahnähnliche Entwicklung
    »Ich habe mich normal entwickelt. Vor 10 Jahren habe ich in Schlesien einen Mann in Pension genommen und mit diesem zweimal intime Beziehungen gehabt. Das quält mich nun mein ganzes Leben ! Ich glaube, er hat es den anderen Leuten erzählt. Seit einem Jahr leide ich unter diesem Verfolgungswahn. Ich habe sogar schon einen Detektiv für 100 Mark angenommen, um dahinterzukommen. Ich bin sicher, daß meine Kollegen auf der Arbeitsstelle Beseheid darüber wissen und über mich reden. Alle verachten mich. Man spricht hinter meinem Rücken über mich, daß ich mit jenem Mann Verkehr gehabt habe. Er hat sicher alles erzählt, weil ich ihm schließlich den Verkehr verweigert habe. Das alles quält mich so, daß ich jetzt Schlaftabletten eingenommen habe. Wo der Mann jetzt ist, weiß ich nicht. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist er abgereist. Er hat mich aber schlechtgemacht. Ich habe 2 Söhne, die gut zu mir sind. Ich will aber nicht mehr zu meiner Firma zurückkehren, weil ich mich dort nicht sehen lassen kann.« Symptome ersten Ranges lassen sich ebensowenig nachweisen, wie sonstige Hinweise auf eine Schizophrenie. Insgesamt handelt es sich um eine selbstunsichere Persönlichkeit, aus der heraus sich ein abnormes Beziehungssystem entwickelte."
        Quelle, S. 360: Wieck, H.H. (1967). Lehrbuch der Psychiatrie. Stuttgart: Schattauer.

    Beziehungs- u. Verfolgungswahn nach Berner (1965, S.136) [Pa-F16]
    "Fall PaM 66/61: Subalterner Industrieangestellter.
    Auslösung: Ehestreitigkeiten, bei denen sich der Patient während des Krieges als Mischling nicht durchsetzen kann. [>137] Streng erzogen, drei ältere Schwestern, Vorzugsschüler. Wird Artillerieoffizier, erlernt jedoch nebenbei "auf alle Fälle" ein Handwerk. Muß aus rassischen Gründen Beruf aufgeben.
    Heiratet mit 20 Jahren „aus idealistischen Gründen" ein Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen. Mit 39 Jahren G"
    Gefühl, die Gattin schmiede ein Komplott gegen ihn, um ihn loszuwerden. Er werde deshalb im Büro boykottiert.
        Nachuntersuchung mit 60 Jahren: Pykniker, redet viel, hypomanisch, etwas aggressiv gefärbt. Ließ sich im Anschluß an die Aufnahme mit 40 Jahren scheiden, heiratet neuerdings, wird nach kurzer Zeit wieder geschieden, heiratet mit 43 Jahren die erste Gattin nochmals und läßt sich ein Jahr später wieder scheiden um mit 49 Jahren eine vierte Ehe einzugehen, in der er vorübergehend Vergiftungsideen gegen die Schwiegermutter entwickelt. Deshalb nochmalige Aufnahme mit 59 Jahren. Keine Einsicht in die seinerzeitigen Wahnideen. Das sei jedoch alles vorüber, er fühle sich sehr wohl.
    Nachdem er mit 49 Jahren als Naziopfer mit Herz- und Nervenbesdiwerden pensioniert wurde, kaufmännische Tätigkeit.
    Test: hypomanisches Bild."

    Heiratswahn
    Nach Tölle (2008, S. 3f); "Eine 53-jährige Frau kam in die Psychiatrische Klinik, nachdem sie sich das Leben nehmen wollte, da sie meinte festgestellt zu haben, dass man schlecht über sie rede und Anzügliches und Unanständiges über sie verbreitet worden sei. Im ärztlichen Gespräch und in der Psychotherapie stellte sich Folgendes heraus:
        In der Lebensgeschichte erschien wichtig, dass sie im Alter von sechs Jahren ihre Mutter verlor. Von der Stiefmutter wurde sie sehr strengreligiös erzogen. Die Kindheit sei wenig schön gewesen, zumal sie ein zartes und kränkliches Kind war. Sie war und blieb ein stiller und ernster Mensch, bedrückt und kaum in der Lage, sich auszusprechen. Sie habe wenig Widerstands- und Durchsetzungskraft und leide unter Minderwertigkeitsgefühlen. Nach der Schule arbeitete sie in einem Industrieunternehmen. 28-jährig heiratete sie einen Arbeiter. Nach drei Ehejahren wurde der Mann Soldat, ein Jahr später ist er gefallen - kurz vor der Geburt eines Sohnes. Der inzwischen 25-jährige Sohn hat sich in der letzten Zeit von der Mutter mehr und mehr unabhängig gemacht.
        Mit 40 Jahren, so berichtete die Patientin, hätte sie sich vielleicht wieder verheiraten können. Sie hatte einen Mann kennengelernt, aber eine Krankheit sei dazwischen gekommen. Beruflich arbeitete sie in der Industrie, seit ca. 20 Jahren im gleichen Unternehmen, seit drei Jahren bei einem bestimmten Meister. Dieser Meister, ein Junggeselle, habe ein Auge auf sie geworfen. Es hätte sich eine Bekanntschaft mit dem Ziel der Heirat entwickelt. Dann aber erfährt man, dass zwischen ihr und dem Meister nie ein persönliches Wort gefallen sei. Dennoch sei sie von seinen Absichten überzeugt: er sei so auffallend oft an ihrem Arbeitsplatz erschienen und zu ihr besonders freundlich gewesen. Mitarbeiter hätten das gemerkt, sie hätten getuschelt und gelacht. Der Vorarbeiter hätte Bemerkungen gemacht. Bestimmtes und Genaues hätte sie zwar nicht gehört, aber das Verhalten der Mit-[>4]arbeiter sei eindeutig gewesen, alle hätten darauf gelauert, ob aus der Geschichte zwischen ihr und dem Meister etwas werden würde. Das alles sei sehr peinlich gewesen. Zwischenzeitlich meinte sie festzustellen, dass der Meister das Interesse an ihr verloren habe, so wenigstens habe er sich ihrer Meinung nach verhalten. Eindeutiges wisse sie nicht. Aber alle im Betrieb hätten davon gewusst und sich lustig gemacht.
        Drei Wochen bevor sie in die Klinik kam, fuhr sie zur Erholung in ein Betriebsheim. Vor der Abfahrt des Busses habe der Meister plötzlich ganz verwundert getan: ob sie wegfahre und wie lange sie ausbleibe. Er habe so gesprochen, dass sie habe annehmen müssen, er wolle ihr nachfahren. Der Meister habe in ganz eindeutiger Weise dagestanden: ein wenig zurückgebeugt und die rechte Hand in der rechten Leiste. Hierin sah sie eine sexuelle Anspielung. „Dass es nun schon soweit war, brachte mich ganz durcheinander."
        Im Erholungsheim war sie niedergeschlagen. Einmal meinte sie etwas wie Hure gehört zu haben, ein andermal fand sie ein Lied anstößig und auf sich gemünzt. Sie war überzeugt, dass im Betrieb daheim schlecht über sie geredet werde. Nach der Heimkehr war sie verzweifelt. In der Nacht vor dem ersten Arbeitstag versuchte sie sich das Leben zu nehmen: sie sprang in einen See, wurde aber gerettet und in die Klinik gebracht."
     



    Eifersuchtswahn

    Eifersuchtswahn nach Berner (1965, S. 143) [Pa-F22]
    "Fall Ei. Pa. 30159: Hilfsarbeiterin. Beginn: 32 Jahre.
    Auslösung: Verbringt Urlaub mit Gatten und eigener Mutter. Hat eine um l Jahr ältere voreheliche Halbschwester, die von der Mutter bevorzugt wird. Diese beiden hätten immer zusammengehalten, wobei sie sich stets übervorteilt gefühlt habe. Hänge sehr am Vater, dessen Liebling sie ist.
    Verdächtigt den Gatten mit ihrer 55jährigen Mutter zu flirten. Er habe einen roten Kopf sobald sie in seiner Nähe sei, die Mutter ebenfalls. Beide seien unruhig und atmeten heftig, wenn sie beieinander seien. Glaube nicht, daß der Gatte tatsächlich ein Verhältnis mit der Mutter habe, sondern sich ein solches nur wünsche. Sie habe schon vorher ähnliches bemerkt, wenn der Gatte neben älteren Frauen im Kino sitze. Der Gatte tausche mit diesen Frauen auch Blicke, sie habe das Gefühl daß die Leute auf der Straße darüber reden und sie verächtlich anschauen.
    Hat gewisse Tendenz zur Einsicht, meint jedoch, Mutter und Halbschwester wollten ihre Ehe zerstören. Während des Urlaubs kommt es zu heftigen Szenen und deshalb zur Aufnahme. — Elektroschockbehandlung. Wird mit dem Verdacht auf Dissimulation entlassen.
    Nachuntersuchung mit 36 Jahren: Leptosome Patientin, völlig gleiches System: „Wenn ich Ihnen sage, daß er alte Frauen gerne sieht, werden Sie sagen es sei Einbildung." Gedankenablauf etwas beschleunigt, völlig geordnet.
    Test: I. Q. 92 Cycloidie mit deutlichen organischen Zeichen. (Antworten: 11; B + : O; F + % : 75; V% : 25; P % 30; Stereotypie : 73; Fb: l)"



    Organische bedingte Wahnbildungen

    "Organische Genese einer maniformen Psychose - Ein Fallbeispiel von progressiver Paralyse.
    "Der phantastische Größenwahn gilt zwar als klassisches Symptom der Neurosyphilis, war aber seit jeher selten [7]. Im Zeitalter der Antibiotika ist die progressive Paralyse als Ursache einer maniformen Psychose eine Rarität, die übersehen zu werden droht [9]. ...
    ... Bei der Aufnahme 36jähriger Patient in altmodischem Anzug und Baseballkappe, wach und orientiert, jedoch mit Schwierigkeiten, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Leichte Merkfähigkeits- und Zeitgitterstörungen, erhebliche Konzentrationsminderung. Im formalen Denken bis zur Ideenflucht assoziativ gelockert, inhaltlich multiple, nicht korrigierbare, teilweise phantastische Größenideen, so z.B. die Vorstellung, der uneheliche Sohn Hannelore Kohls zu sein oder von Gloria von Thurn und Taxis das Schiller-Theater in Berlin geschenkt zu bekommen. Es bestand eine euphorische Gestimmtheit, die aber zeitweise einer ansteckend-mitreißenden Qualität entbehrte und sich in Albernheiten und einer leeren Betriebsamkeit verlor. Bei einer Vielzahl von Ideen und Plänen war das Handeln zumeist planlos und widersprüchlich, das Urteilsvermögen von Inkonsistenz und weitgehender Kritiklosigkeit gekennzeichnet. Antrieb und Sprachproduktion waren ziellos gesteigert.
    Körperlich blasser, etwas müde und abgeschlagen wirkender Patient von schlankem Körperbau. Die internistische und neurologische Untersuchung ergab bis auf ein allseits sehr lebhaftes Reflexniveau keine pathologischen Auffälligkeiten. ... Zusatzbefunde .... Lues-spezifisches Labor. Konstellation wie bei aktiver Neurolues (Tabelle 1). ..."
        Quelle(S. 54f): Nervenarzt (1995) 66: 54-56   © Springer-Verlag 1995


    Albrecht Dürers Syphilis und das Bakterium aus Wikipedia, die Das Porträt von Antoine Laurent Bayle Carnet Web de Généalogie, Nervenarzt Nr. 1/95 (Pinel im Titel) mit dem hier zitierten Artikel eigener Bestand, Briefmarke Fleming aus Wikipedia.
     

    • Alsen, V. (1967). Eine chronische paranoid-halluzinatorische Psychose bei hirntraumatischem Anfallsleiden. Acta Psychiatrica Scandinavica 43, 1, 52–74.




    Eigengeruchswahn
    > Beispiel in Nihilistischer Wahn vom eigenen tot sein.



    Nihilistischer Wahn

        Info Illustration: Der Tod (1), die Melancholoie (4) von Dürer, das Bild von Paul Stevenson (3) aus Wikipedia [> Körperwelten] wie auch Turgenjew (5) und Nietzsche (6), die Bildungs-Popularisierer des Nihilismus. Titelblatt (2) Wulff eigener Bestand.

    Nihilistischer Wahn vom eigenen tot sein
    "Während der ersten Tage seines Klinikaufenthaltes war R. sich seiner »Bewegungsstörungen« noch bewußt. Seiner Meinung nach hatten sie ihren Grund in der Tatsache, daß er nichts »wirklich tun« konnte. Jedesmal, wenn ihm ein Bewegungsversuch wieder mißlungen war, kommentierte er dies mit Wendungen wie: »Aber was soll ich jetzt tun«, oder: »Ich kann doch jetzt nichts tun.« Die »Wahrheit«, die sich ihm plötzlich verschlossen hatte, trieb ihn aber dazu, es immer wieder zu versuchen. »Ich muß doch was machen, wenn ich leben will«, sagte R., er wirkt dabei unglücklich und zugleich innerlich geladen. Daß er dies nicht zustande brachte, hing seiner Meinung nach mit seinem eigenen Körper zusammen, der ebenso wie seine Sprache den Ansprüchen nicht mehr gerecht werden kann, die jetzt an beide gestellt werden. »Der macht nicht mehr mit«, sagte R., oder aber er beklagte sich: »Ich bin zu alt, ja, wenn ich jünger wäre, wie [>57] Sie«; dabei hielt er sich die Hand vor den Mund und entschuldigte sich für den üblen Geruch, der diesem angeblich entströmen sollte, »Sie müssen es ja riechen«, sagte er, »dieser Körper ist ganz verfault.« In Wahrheit sei er lange schon tot, nur habe er es jetzt erst richtig bemerkt. Im Zusammenhang mit dieser Äußerung zeigte R. auch aufsein Gesicht und sagte dabei: »Das war ich nie, es war alles falsch, nur ein mühseliger Versuch, das zu unterdrücken, was immer schon in mir war, ich habe mich nur glauben gemacht, ich sei es, ich habe mich auf Leistung angelegt, ich mußte, aber es war eine Lüge.« In Wahrheit sei nichts, was er getan habe, »wirklich« geschehen — weil er eben nie »wirklich« irgendetwas hätte tun können."
        Quelle S. 56f: Wulff, Erich (1995). Wahnsinnslogik. Von der Verstehbarkeit schizophrener Erfahrung. Bonn: Psychiatrie-Verlag.
     



    Wahn (Schizophrenie) bei einem jungen Mann.
        Quelle (S. 40ff): Meyer, Adolf. (1909). Die dynamische Interpretation der Dementia praecox.  Vorlesung zum 20. Jahrestag der Clark-University. Deutsch neu abgedruckt in (38-60): Straus, E.; Zutt, J. & Sattes, H. (1963). Die Wahnwelten (Endogene Psychosen). Frankfurt: AVA.


    Wahn (Schizophrenie) bei einer jungen Stenotypistin.
        Quelle (S. 42f): Meyer, Adolf. (1909). Die dynamische Interpretation der Dementia praecox.  Vorlesung zum 20. Jahrestag der Clark-University. Deutsch neu abgedruckt in (38-60): Straus, E.; Zutt, J. & Sattes, H. (1963). Die Wahnwelten (Endogene Psychosen). Frankfurt: AVA.



    Folie à deux (Wahn zu zweit).

    Haesslichkeits- und Beeintraechtigungswahn bei einem jüngeren Ehepaar (Folie à deux)
    ZPID: "Der Fall einer Folie a deux bei einem juengeren Ehepaar wird geschildert, das mit bereits praemorbiden Auffaelligkeiten und gemeinsam entwickeltem Haesslichkeits- und Beeintraechtigungswahn nach Scheitern von unterschiedlichen Kompensationsmechanismen psychotisch dekompensierte. Dabei steht die Beschreibung der Symptomatik und der medikamentoesen Behandlung im Mittelpunkt."
        Quelle: Wormstall, H. & Krauter, T. (1992). Reisen als Stabilisierungsfaktor bei einer Folie a deux? Psychiatrische Praxis, 19 (3), 81-83

    Abstammungswahn bei Folie à deux
    Schätzle, M. (2002). Ein bemerkenswerter Fall von Folie à deux. Ergebnisse & Kasuistik. Der Nervenarzt  73, 11, 1100-1104.
    "Zusammenfassung. Dieser Artikel berichtet den Fall eines Ehepaares, das nach Eheschluss drei voneinander abgrenzbare wahnhafte Überzeugungen entwickelte, die sie im Falle eines ausgearbeiteten Abstammungswahns miteinander teilten, in den zwei anderen Fällen jedoch nicht. Wahrscheinliche lebensgeschichtliche Zusammenhänge und diagnostische Probleme, vor allem die in der Tendenz monokausale Denkweise hinter den entsprechenden Kategorien für den geteilten Wahn in der ICD (und dem DSM), werden diskutiert." [Q]



    Medikamenten-, Drogen- und stoff- induzierter Wahn

    Mefloquin induzierter Wahn
    ZPID: "Es wird ueber eine 41jaehrige Patientin berichtet, die nach Einnahme von 750 Milligramm Mefloquin, einem neueren Malariaprophylaktikum, eine Psychose mit Somnolenz, Desorientiertheit sowie Wahn entwickelte. Die Symptomatik war intensiver ausgepraegt und hielt wesentlich laenger an als bei den in der Literatur mitgeteilten Verlaeufen. Insgesamt sind bislang 23 Patienten mit psychischen Stoerungen nach Einnahme von Mefloquin bekannt. Mit psychotischen Komplikationen unter Mefloquineinnahme ist unzweifelhaft, wenn auch selten zu rechnen."
        Quelle: Folkerts, H. & Kuhs, H. (1996). Psychotische Episode infolge Malariaprophylaxe mit Mefloquin. Eine kasuistische Mitteilung. Der Nervenarzt, 63 (5), 300-302. Am 9.3.11: 79 Literaturquellen hier. [W]



    Beeinflussungswahn

    Beeinflussungswahn, telepathischer
    ZPID: "Die praktische Bedeutung des in der dynamischen Psychiatrie Guenter Ammons vertretenen Konzepts vom gleitenden Spektrum der Diagnosen wird anhand eines ausgewaehlten Fallbeispiels aufgezeigt. Beschrieben wird der Therapieverlauf einer 47jaehrigen bislang isoliert lebenden Patientin, die unter telepathischem Beeinflussungswahn litt und die im Verlauf des therapeutischen Prozesses Uebertragungsbeziehungen aufbauen konnte. Im Sinne nachholender Ich-Entwicklung und schliesslich erster Trennungsschritte aus der Symbiose wurden oedipale Thematiken sichtbar, die eine weitere Identitaetsentwicklung erlaubten. Die dargestellte Kasuistik einer paranoid-halluzinatorischen Psychose demonstriert die psychotherapeutische Behandelbarkeit ohne psychopharmakologische Medikation auch schizophren erkrankter Patienten."
        Quelle: Pueschel, Delia (1993). Zur Theorie des gleitenden Spektrums psychischer Stoerungen am Fallbeispiel einer schizophren strukturierten Persoenlichkeit. Dynamische Psychiatrie, 26 (1-4), 201-215.



    Esoterischer, metaphysischer, religiöser und spiritueller Wahn
    Tölle (2008, S. 206) charakterisiert: „Die häufigsten Inhalte des religiösen Wahns sind die Überzeugung, mit Gott in direkter Kommunikation zu stehen, ein neuer Jesus zu sein, der die Welt erlöst, oder Maria usw.“ Diese Charakteristik kann man natürlich auch auf die Religionsstifter und ihre Propheten anwenden.

    Besessenheitswahn einer koreanischen Patientin
    ZPID: "Die klientenzentrierte Behandlung einer 41jaehrigen in Deutschland lebenden koreanischen Patientin mit einem Besessenheitswahn wird beschrieben. Dabei wird besonders auf den kulturellen Hintergrund der Wahnsymptomatik eingegangen."
        Quelle: Heise, Thomas (1992). Besessenheitswahn einer koreanischen Patientin und seine Therapie. Psychiatrische Praxis, 19 (6), 225-228

    "Schutzmaechte" bei Altersparaphrenien
    Fuchs, T.; Haupt, M. (1994). "Schutzmaechte" bei Altersparaphrenien. Der Nervenarzt, 65 (5), 345-349.
    ZPID: "Es wird ueber eine 75jaehrige Patientin berichtet, bei der sich im Verlauf einer chronischen paraphrenen Psychose der Wahn entwickelte, von einem unsichtbaren Zwergenwesen begleitet und beschuetzt zu werden. Vor dem Hintergrund verwandter Erscheinungen im Verlauf der kindlichen Entwicklung werden die Wahninhalte als Regressionsphaenomene interpretiert."

    Ezechiel (Hesekiel) > [Def. Religiösenwahn]
    [W] "Das Buch Ezechiel (Hesekiel) ist eine im Zeitraum von ca. 600–560 v. Chr. in Babylonien entstandene Schrift des Alten Testaments der Bibel, die seit dem Mittelalter in 48 Kapitel unterteilt wird. Es schildert die Visionen und symbolischen Handlungen des Propheten Ezechiel, der zur ersten Gruppe der im Rahmen des Babylonischen Exils verschleppten Israeliten gehörte. Ezechiel war ein israelitischer Priester." Karl Jaspers (1947) hat über Ezechiel eine pathographische Studie verfasst. Ich zitiere hier die ersten Extrakte:

          "1.  ,,Es ereignete sichv ..   am fünften des Monats ... (man errechnet das Jahr 593), da tat.sich der Himmel auf, und ich sah ein göttliches Gesicht .. Es kam .dort über ihn die Hand Jahwes ... Ich sah aber, wie ein Sturmwirid vom Norden her kam und eine große Wolke und zusammengeballtes Feuer, und rings um jene her waren Strahlen, und aus diesen heraus blinkte es wie Glanzerz. Und zwar schienen aus ihm die Gestalten von vier Wesen hervor ... .Und zwischen den Wesen sah es aus, wie wenn feurige Kohlen glühten ... und von dem Feuer gingen Blitze .aus. Und die Tiere liefen hin und her wie der Schein des Blitzes ... Und weiter sah ich, daß auf der Erde neben den vier Wesen je ein Rad war ... und als ich ihre Felgen ansah, da waren ihre Felgen ringsum voll Augen ... Und ich hörte das Rauschen ihrer Flügel, wie das Rauschen gewaltiger Wasser, .wenn sie gingen ... Es .war aber ein Getöse oberhalb der Veste, die sich über ihrem Haupte befand ... Oben über der Veste aber war es anzusehen wie ein Saphirstein ... ein Gebilde wie ein Thron ... auf dem Throngebilde war ein Gebilde anzusehen wie ein Mensch ... Ich .sehe es leuchten wie Glanzerz ... So war die Erscheinung der Herrlichkeit Jahwes anzusehen.
      Und als ich sie erblickte, da fiel ich auf mein Angesicht ... Da kam der Geist in mich ... der stellte mich auf meine Füße, und ich hörte die Stimme ... Und er sprach zu mir: Menschensohn, iß diese Buchrolle . . . Da öffnete ich meinen Mund, .. .und ich aß, und sie ward in meinem Munde so süß wie Honig ...
      Und der Geist Jahwes hob mich empor, und ich vernahm hinter mir das Getöse eines starken Erdbebens .. .und das Getöse der Flügel.der Tiere ..  und das Getöse der Räder ... Und ich ging traurig in der Erregung meines Geistes dahin, indem die Hand Jahwes auf mir lastete. Und so gelangte ich zu den Verbannten an dem Fluß Kebar ... und ich saß daselbst sieben Tage vor mich hinstarrend unter ihnen (l, 1ff).
          2.  „Im sechsten Jahr aber ... am fünften des Monats (man errechnet das Jahr 592) als ich in meinem Hause saß, und die Vornehmen von Juda vor mir saßen, fiel daselbst die Hand des Herrn Jahwe auf mich. Und ich sah hin, da war ein Gebilde, das sah aus wie. ein Mann; von seinen Hüften an abwärts wart Feuer ... aufwärts war es wie Lichtglanz anzusehen .. . Und er reckte etwas wie eine Hand aus und erfaßte mich bei den Locken meines Hauptes, und der Geist hob mich empor zwischen Himmel und Erde und brachte mich nach Jerusalem in einem göttlichen Gesicht ... (es folgt der dramatische Bericht der Wahrnehmung der Greuel im Tempel und in der Stadt, dann der Vernichtung von Stadt und Tempel und Menschen dort, durchsetzt mit pedantisch kleinlichen Schilderungen und mit Weissagungen durch die Stimme Jahwes, zum Abschluß) : Und der Geist hob mich empor und brachte mich im Gesicht, durch den göttlichen Geist, ins Chaldäerland zu den Verbannten. Und das Gesicht, das ich geschaut hatte, hob sich hinweg von mir" (8, l - 11, 24)."


    Swedenborg

      Christusvision 6./7.4.1744. > [Def. Religiösenwahn; Auserwählt-Syndrom]
      C. Waldemar (1959, S. 10): "Eine seiner entscheidendsten Visionen, die Christusvision, erlebte er in der Nacht vom 6. zum 7, April 1744: Er geht, nachdem er im Alten Testament die Wunder gelesen, die Gott durch Moses wirkte, gegen zehn Uhr abends zu Bett und vernimmt eine halbe Stunde später ein Geräusch über dem Kopf. Daraufhin wird er am ganzen Körper von heftigem Schütteln ergriffen. In dem Gefühl, daß etwas Heiliges über ihn gekommen sei, verfällt er in Schlaf und wacht plötzlich gegen ein Uhr nachts auf, wiederum von einem gewaltigen Zittern von Kopf zu Fuß ergriffen. Gleichzeitig vernimmt er rings um sich ein Sausen und Brausen, als ob viele aus dem Weltenall kommende Winde zusammenprallten. Dieses Geräusch ist derart stark, daß er sich erhebt und kurz darauf zu Boden geworfen wird. Als er nach einer Weile erwacht, liegt er lang ausgestreckt da, das Gesicht nach unten. Wie er nun zu Christus betet und heiß fleht, seiner Gnade würdig zu sein, kommt plötzlich aus dem Unsichtbaren eine Hand und drückt seine Hände heftig. Im nächsten Augenblick schon findet er sich an Seiner Brust und schaut Ihn an von Angesicht zu Angesicht.
          Swedenborg betont später, als er dieses Erlebnis beschreibt: „Er lächelte, und ich glaube wirklich, daß Sein Gesicht so war während Seines Erdenlebens. Zum Schluß sagte Er: ,Tue es also!' Dies bedeutet, wie ich in meinem Sinn verstand: ,Liebe mich wirklich! oder: ,Tue, was du versprochen hast!"
          Hiermit ist die große Wende in seinem Leben eingetreten; er hat Christus von Angesicht zu Angesicht gesehen, und was für ihn noch entscheidender ist, mit den Worten: ,Tue es also!' einen direkten Auftrag bekommen. Was kann dieser Auftrag anderes bedeuten, als seinem Leben eine neue Richtung, ein endgültiges Ziel zu geben? Nicht wissenschaftliches Forschen und Erkennen, sei es noch so tiefgehend und aufschlußreich, wird ihm die Krone des Lebens schenken; nein, alle empirische Erfahrung ist fortan nur Tand und Schein! Erfüllung und Seligkeit, Neugeburt und. Unsterblichkeit werden ihm - das hat ihm die unvergleichlich erhabene Vision klargemacht  - durch Christus allein zuteil."

      Kant zum metaphysischen Wahn Swedenborgs.
      Rauer (2007, S. 206), gesperrt hier kursiv: "IV. Projektion und Paranoia. Mit anderen Worten: die Swedenborgsche Geisiesvorstellung, nach welcher alles, was hier auf Erden physisch wie meta-physisch geschieht, nichts anderes als das Marionettenspiel eines pneumatisch die Fäden ziehenden homo maximus sein soll, ist eine hochgradig paranoide Vorstellung. Zwar hat Kant, im Unterschied etwa zur Projektion (und deren Analogie zur Amphibolie) sowie zur Schizophrenie (und deren Analogie zum Paralogismus), keinen ebenso ausgearbeiteten Begriff für die Paranoia (wenngleich diese später ihre Analogie in der Antinomie linden wird), auch gesteht er offen ein, daß ihn der Verfolgungswahn oder Größenwahn (der Wahnsinn, worunter er hier die Paranoia versteht) bei Swedenborg weniger interessiert (vgl. T II 974 A 100), doch denkt er an die Konsequenzen der Paranoia gerade im ethischen Bereich. Denn - und dies ist ja doch der letztendliche Grund, um dessentwillen Kant die Auseinandersetzung mit dem Geisterseher überhaupt führt! - es ist in mehrerlei Hinsicht auffallig, daß die paranoide Position Swedenborgs nicht nur unsittlich, sondern sogar widersittlich erscheint. ... ..."




    Hypochondrischer-,  Dermatozoen- und ähnlicher Wahn

    Enterozoenwahn bei einer Patientin mit endogener Depression.
    ZPID: "Eine 82jaehrige Patientin zeigte seit dem 50. Lebensjahr neun Phasen einer monopolaren endogenen Depression mit abnormen intestinalen Sensationen und einer hypochondrischen Wahnsymptomatik, die bei fuenf Phasen unter dem Bild eines Enterozoenwahns auftrat. Differentialdiagnostische und therapeutische Aspekte dieses Falls werden diskutiert."
        Quelle: Podoll, K.; Bofinger, F.; Stein, von der B.; Stuhlmann, W. & Kretschmar, C. (1993). Enterozoenwahn bei einer Patientin mit endogener Depression. Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie, 61 (2), 62-66.

    Körperdysmorpher Wahn

    Wachstumswahn bei einer körperdysmorphen Störung.
    ZPID: "Der Fall eines 37jaehrigen Patienten, bei dem eine koerperdysmorphe Entwicklung mit Umschlag in den Wahn koerperlichen Wachstums vorlag, wird beschrieben. Dabei stehen Ueberlegungen zur Differentialdiagnose, Psychogenese und Klassifikation koerperdysmorpher Stoerungen im Vordergrund."
        Quelle: Fuchs, T. (1993). Ueber einen Fall von "Wachstumswahn". Zur Genese und nosologischen Klassifikation der koerperdysmorphen Stoerung. Der Nervenarzt, 64 (3), 199-203.
     





     
    2. Wahn als überwertige Idee

    Beispiele: Chauvinistischer Wahn (Gruppen-, Nationalstolz), Geltungswahn, Gesundheitswahn, Jugendwahn, Publicitywahn, Schlankheitswahn, Schönheitswahn.

    [ÜI-F01] Berner (1965), S. 131:
    "Fall Ü. Id. 8/63: Sanitätssoldat.
    Auslösung: Nasenbeinbruch.
    Einziges Kind, Liebling des Vaters, der höhere Erwartungen m ihn setzt.
    Mit 24 Jahren im Anschluß an die Nasenverlctzung Gefühl jüdisch auszusehen. (Typisch sensitive Beziehungsideen.) Erzwingt plastische Operation, ist aber von deren Ergebnis nicht befriedigt. Versucht zahlreiche Ärzte zu einer neuerlichen Operation zu bewegen. Da ihm das nicht gelingt, operiert er sich selbst. Einen Monat später verlangt er, da der Erfolg ihn nicht überzeugt, weiterhin hartnäckig nach einer Operation und wird deshalb zur Begutachtung an die Klinik verwiesen. Klebrig, ins Detail gehend, etwas verlangsamt.

        Anmerkung: Der Fall könnte evtl. besser dem köperdysmorphen Wahn zugeordnet werden.





     
    3. Wahn in unklarer, auch mehrfacher Bedeutung.

    Beispiele: Der Rassenwahn kann sowohl als Wahn in klinischer Bedeutung als auch - z.B. bei den nationalsozialistischen Mitläufern - als überwertige Idee zur Erhöhung des Selbstgefühls aufgefasst werden. Auch ein Schlankheits- oder Jugendwahn kann klinische Formen annehmen. Auch Religion kann vielfach als Wahn interpretiert werden, wobei aber die Differentialdiagnose zum Betrug berücksichtigt werden muss. Sog. Querulanten haben gute Chancen, das Etikett "Wahn" verpasst zu bekommen,, wenn sie - teilweise völlig nachvollziehbar - um ihr Recht oder ihre Ehre kämpfen (Beispiel).

    Querulanten.
    Hier ist das Spektrum sehr weit und reicht vom völlig nachvollziehbaren und gesunden Kampf bei erlittenem Unrecht bis hin zu ausgeprägten klinischen Wahnformen. Ein wichtiges orientiertes Kriterium ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel, wenngleich es auch viel Deutungsspielraum enthält, abhängig von der Betrachtungsweise, Perspektive und Betroffenheit. Man sollte also mit der Bezeichnung "Querulantenwahn" sehr vorsichtig sein, wie man natürlich überhaupt mit klinischen Diagnosen, die erhebliche soziale Folgen haben können, vorsichtig sein sollte. Ein schönes Beispiel, wie aus einem völlig gesunden, angepassten und rechtschaffenen Menschen ein querulatorischer Wüterich werden kann liefert Kleists Kohlhaas.
     

      Ein entehrter und misshandelter Behinderter kämpft um sein Recht
      "Der strebsame und solide 55jährige Jean Büttel,  der infolge einer Polio-Enkephalitis im Kindesalter eine Atrophie, Verkürzung und Lähmung des linken Beines davontrug, entwickelte sich zum Prozesskrämer von dem Moment an, als ihm ein Vetter seiner trunksüchtigen Frau, der  ihn als Geschäftskompagnon mehrfach betrog,  in einer Wirtschaft als Krüppel öffentlich beschimpfte und anspuckte,  und er beim Gericht gegen diese schwere Kränkung seines Narzissmus nicht den ihm nach seiner Meinung gebührenden Schutz fand.  Er sprach in seinen formal korrekten Eingaben, die einem Advokaten alle Ehre gemacht hätten, von Justizmord, fühlte sich unter den Füssen in den Kot getreten, behauptete, man wolle ihm den Nacken unter die Todfeinde beugen und appellierte an den göttlichen Richter. Trotzdem er die Internierung in Königsfelden für ungerecht hielt, anerkannte er die genaue Prüfung und Würdigung des voluminösen Aktenmaterials durch die Anstaltsärzte und verzichtete nach der Entlassung auf weitere Querelen, als ihm auf Rat eines Pfarrherrn eine ganz minimale Geldentschädigung von seinem Hauptgegner überwiesen wurde. "
          Kritische Anmerkung: Hier ist ganz offensichtlich einem Menschen die rechtliche Anerkennung und Unterstützung verweigert worden - wie so oft in unseren angeblichen Rechtsstaaten im Namen des Volkes. Was ihn letztlich von seinen verständlichen Wunden in der Weise heilt, dass er Ruhe geben kann, ist ernst nehmen und die Anerkenntnis des widerfahrenen Unrechtes.
          Zitiert nach: Aschwanden (1978), Fall 1, S. 149 entnommen von Kielholz (1938).
       
      Zum Umgang mit Querulanten empfehlen Dinger, Koch & Stein (1991 , S.177) :
      "Das Bedürfnis vieler sog. Querulanten gegenüber der Justiz dürfte häufig gerade darin liegen, bei den Justizpersonen Aufmerksamkeit, Zuwendung und Verständnis für ihr Anliegen und ihre Person zu finden. Insofern überrascht es nicht, wenn erfahrene und für psychosoziale Aspekte offene Juristen berichten, daß es ihnen in einigen Fällen gelungen sei, durch ausführliche persönliche Gespräche eine schon lange andauernde Auseinandersetzung des Rechtsuchenden mit der Justiz zu beenden. Ein sorgfältiges vorheriges Studium der Akten des Betroffenen, Zeit, Geduld und Einfühlungsbereitschaft scheinen in solchen Situationen wichtige Voraussetzungen für eine von beiden Seiten dann als versöhnlich erlebte Entwicklung zu sein."


    Schlankheitswahn.
    Das sich zu dick oder nicht schlank genug vorkommen, kann ein einfaches ungutes Gefühl, einer überwertige Idee aber auch eine Wahnvorstellung sein, wie sie z.B. bei Essstörungen vorkommen kann. Im Schönheits- oder Modegewerbe kann es aber auch eine übliche berufliche Anforderung sein
     


      Süddeutsche Zeitung 25.6.2006.




     
    4. "Wahn" als Werbemittel, Interessantmacherei, Hochstapelei oder Betrug.
    Sternchen, Stars und solche die es werden oder bleiben wollen, ersinnen mitunter Geschichten und produzieren Phantasien, die wahnhaftes Erleben bedeuten würden, hätte es denn so stattgefunden, wie es erzählt wird. So berichtet Shimada (S. 323) in Kaufmann, M. (2003, Hrsg.): "Als weiteres Beispiel für eine Irritation bei dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Wirklichkeitsauffassungen kann ein Zeitungsartikel vom 29. Mai 2001 dienen: "Janet Jackson, Pop-Sängerin, war nach eigenen Aussagen 'in einem früheren Leben die Tochter des Kaisers von China'." (Frankfurter Rundschau) Ich denke, dass dieser Interviewausschnitt deshalb für veröffentlichungswürdig erachtet wurde, weil die Wirklichkeitsauffassung von Frau Jackson von der allgemein verbreiteten Vorstellung abweicht. Hier liegt also eine intrakulturell-individuelle Abweichung vor, und diesem Umstand entsprechend ist diese Aussage unterschiedlich interpretierbar; Vielleicht glaubt sie tatsächlich daran oder sie setzt diese Aussage bewusst zu Werbezwecken ein. Und gerade für diese Zwecke ist eine gewisse Irritation zweckmäßig."

    Die Werbung wurde schon 1965 sehr kritisch in Geerto Snyders Buch "Wunderglaube und Wahn" unter die Lupe genommen. Einen interessanten Reader finden Sie hier.

        Der allgemeine Esoterikboom wird auch vom privaten Fernsehen unermüdlich und durchgängig bedient und damit eine ungeheure Suggestivkraft für den geballten Esoterik-Wahn oder -Betrug gefördert. Es wird für den modernen Medienmenschen immer schwieriger, zu erkennen, was Wirklichkeit, Wunsch, Illusion und Traum ist. Und diese Situation kennzeichnet ein Titel von Hartmut von Hentig sehr trefflich: Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit. Und das genau ist die Bedingung, wo Suggestion am besten greift.

    Esoterik, Religion, Verbrechen und Wahn liegen sehr nahe beieinander und es scheint als würde die Aufklärung längst ins Hintertreffen geraten sein.
        Hinzu kommt der fundamentalistische Irrsinn und die Religionspropaganda auf allen Medien und Kanälen. Das ist für die Religionen und Kirchen auch wichtig: Denn eine Religion hat keine Chance auf Beachtung, wenn sie nicht ungewöhnliche Ereignisse, Begegnungen und direkte Kommunikation mit Gott und Wunder behauptet und propagiert.
        Wir merken uns also: Wo Wahn geschildert wird, können auch Publizitätswünsche, Hochstapelei oder Betrug dahinterstehen.





     
    5. Wahnzuschreibung als rhetorisches, sophistisches oder rabulistisches Mittel zur Beeinflussung oder Entwertung.

    Wir alle sind gelegentlich geneigt, etwas uns Unverständliches und Fremdes als Wahn zu klassifizieren, was im Regelfall auch eine Ab- oder Entwertung bedeutet. Flapsig im Alltag etwa: Du spinnst ja, der hat ja wohl einen Schuss, der tickt nicht richtig u.a.m. Früher sprach man etwas milder von "Grillen" oder "Schrullen" und brachte damit zuweilen zum Ausdruck, dass man etwas für harmlos wahnhaft hielt. Im Jugend- und heranwachsenden Alter spricht man auch von "Flausen".





     
    6. Wahn als alltags- oder bildungssprachliche Floskel

    Hans-Jürgen Luderer (2003) in (S. 35) Kaufmann (2003, Hrsg.) beginnt seine Geschichte des Wahnbegriffs in der Psychiatrie:

      "Zur heutigen Definition des Wahns
      Der Begriff des Wahns und noch mehr der des Wahnsinns wird häufig in einer sehr weiten Bedeutung verwendet. In Abhängigkeit vom Kontext kann das Wort "Wahnsinn", insbesondere in der Form des Ausrufs "Das ist ja Wahnsinn!" sowohl einen negativen als auch einen betont positiven Wertakzent erhalten.
          Im Gegensatz zur umgangssprachlichen Verwendung ist mit der Bezeichnung "Wahn" in der Psychiatrie eine Beeinträchtigung des Realitätsurteils einer Person und damit ein eng umgrenzter psychopathologischer Sachverhalt gemeint. Psychiatrische Wahndefinitionen dienen zur Abgrenzung des Wahns gegenüber dem Irrtum und gegenüber anderen psychopathologischen Symptomen, die den mangelnden Bezug zur Wirklichkeit beschreiben.
          Die "Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie" (AMDP 1995) definiert Wahn als "Fehlbeurteilung der Realität, die mit apriorischer Evidenz ... auftritt und an der mit subjektiver Gewissheit festgehalten wird, auch wenn sie in Widerspruch zur Wirklichkeit und zur Erfahrung der gesunden Menschen sowie zu ihrem kollektiven Meinen und Glauben steht." Wahn entsteht nach dieser Definition "auf dem Boden einer allgemeinen Veränderung des Erlebens."
          Kollektiv vertretene Auffassungen, die beispielsweise im Rahmen religiöser und politischer Überzeugungen vertreten werden, fallen ebenso wenig unter diese Definition wie Auffassungen bestimmter Kulturen und subkultureller Gruppierungen. So kennzeichnen Phänomene wie "Rassenwahn" oder "Schlankheitswahn" zwar Einstellungen zu anderen Menschen beziehungsweise zum eigenen Körper, die aus guten Gründen abzulehnen sind, sie entsprechen aber als kollektive Phänomene nicht den Kriterien, die für die Verwendung des Wahnbegriffs im Sinne der AMDP-Definition gelten. ..."

      Wahn der Devisenmärkte.
      Die Fincial Times FDeutschland titelt am 7.11.11: "Enorme Schwankungen Die richtige Medizin für den Wahn der Devisenmärkte. Mit exotischen Optionsscheinen und Capped-Optionsscheinen lässt sich im Devisenhandel ein attraktiver Mix aus Chance und Risiko basteln. Es gibt sogar eine kleine, treue Fangemeinde. FTD.de zeigt mögliche Strategien. ..." [ftd 7.11.11]

      Fußballwahn.


      Handelsblatt 17.6.2010.

      Gleichstellungswahn.

      Wahrheiten.org 10.3.2011.





     
    7. Sonstige, bislang nicht bedachte Verwendung.

    Es ist eine gute wissenschaftliche Übung bei Klassifikationen, immer auch in Betracht zu ziehen, dass ein Gesichtspunkt übersehen wurde, noch unbekannt war oder falsch eingeschätzt wurde. Diese wissenschaftliche Grundhaltung bringt allerdings den BGH mit seiner "Ausschlusslogik" bei der Hypothesenprüfung in Not, weil der Hypothesenraum unter Berücksichtigung einer Rest- und Auffangklasse nie auf eine einzige Hypothese reduziert werden kann, es sei denn die letzte der Rest- und Auffangklasse - und die bedeutete: man weiß es nicht, es ist etwas anderes.

    Zum Beispiel kann "Wahn" auch als bloßer Name vorkommen, etwa "Schloss Wahn":

     





    Literatur (Auswahl)
    Fall-Beispiele finden sich in den allermeisten Psychiatrielehrbüchern oder Monographien zum Thema Wahn. Hier ein paar ausgewählte Hinweise:
    • Aschwanden (1978) repliziert 7 Fälle aus der Literatur zu Querulanten.
    • Berner (1965) berichtet über 22 Paronia-Fälle. davon, besonders interessant, 15 mit Nachuntersuchung.
    • Binswanger, L. (1957) Schizophrenie (Wahndeutungen aus der Lebensgeschichte. Pfullingen: Neske.
    • Blankenburg, W. (1965) Die Verselbständigung eines Themas zum Wahn. Jajhrbuch Psychol. Psychother. med Anthropol. 12, 294ff.
    • Bock, Th. u.a. (1992). Stimmenreich. Mitteilungen über den Wahnsinn. Bonn: Psychiatrie.
    • Huber & Gross (1977) Wahn. Stuttgart: Enke. Stellen 119 Fälle vor.
    • Olbrich (1987, Hrsg.) Halluzination und Wahn. Berlin: Springer.
    • Spitzer (1989) stellt 3 Fälle und den Fall Schreber vor.
    • Wulff, E. (1995). Wahnsinnslogik. Von der Verstehbarkeit schizophrener Erfahrung. Bonn: Psychiatrie.




    Links (Auswahl: beachte)

    Kunst von psychisch Kranken und potentiell analog anmutende Kunst:

    • Adolf Wölflie Stiftung: Bild1, Bild2, Bild3, Bild4, Bild5, Bild6, Bild7, Bild8,
    • Department d'Art psychopathologique Clinique des Maladies Mentales et de l'Encéphale (Paris).
    • Espace freudien: Bild1, Bild2, Bild3, Bild4, Bild5, Bild6, Bild7, Bild8, Bild9, Bild10, Bild11, Bild12, Bild13, Bild14, Bild15,
    • Andere: Bild1, Bild2,
    • Robert Tatin à La Frênouse.
    • Sixtine à toutes les sauces.




    Glossar, Anmerkungen und Fußnoten
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
    ___
    Folie à deux: Abstammungswahn, Haesslichkeits- und Beeintraechtigungswahn,
    ___
    Materialien:
    Kant zum Fall Swedenborg (Metaphysischer Wahn).


    Querverweise
    Standort: Wahn Fälle.
    *
    Überblick Wahn in der IP-GIPT * Literatur zum Wahn.
    Überblick Arbeiten zur Theorie, Definitionslehre, Methodologie, Meßproblematik, Statistik und Wissenschaftstheorie besonders in Psychologie, Psychotherapie und Psychotherapieforschung.
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site:www.sgipt.org
    z.B. Wissenschaft site:www.sgipt.org. 
    *
    Dienstleistungs-Info.
    *

    Zitierung
    Sponsel, R. (DAS). Wahn-Fälle. Geschichte der Wissenschaften, hier Psychiatrie: Materialien und Dokumente zum Wahn. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT. Erlangen:  https://www.sgipt.org/wisms/geswis/psychiat/wahn/FaelleW.htm
    Copyright & Nutzungsrechte
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    korrigiert: irsf 13.03.2011



    Änderungen Kleinere Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet und ergänzt.
    21.01.13    Wahndefinition.
    28.12.12    Paranoia aus Unglück: Ewalds Realschulprofessor H., 50 J. * Wahnerkrankung bei schizoaffektiver Grundstörung *
    27.10.11    Heiratswahn.
    06.04.11    Ezechiel (Hesekiel).
    05.04.11    Neugruppierung: Esoterischer, metaphysischer, religiöser und spiritueller Wahn * Swedenborg * Kant zum metaphysischen Wahn Swedenborgs *
    27.03.11    Eifersuchtswahn nach Berner (1965, S.143), Beziehungswahn (Komplott der Ehegattin) nach Berner (1965, S.136).
    21.03.11    Schloss Wahn, Schlankheitswahn, Fußballwahn, Wahn von der zwanghaften Gleichstellung.
    17.03.11    Beziehungswahn (sensitiver).
    16.03.11    Fallbeispiel nihilistischer Wahn vom eigenen tot sein. * Organische Genese einer maniformen Psychose *
    13.03.11    Korrektur.