Zur Definition des Wahns
Abgrenzung von Irrtum und Glaube
Querverweise
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Zusammenfassende Wahn-Definition
Wahn liegt vor, wenn (1a) ein falsches geistiges Modell der Wirklichkeit ODER (1b) ein falscher Weg nach den Erkenntnisnormen der sozialen Bezugsgruppe zu diesem Modell, auch wenn es richtig ist, fuehrt UND (2) das geistige Modell der Wirklichkeit mit hoher subjektiver Gewissheit UND (3) das Modell mit Argumenten (Erfahrung und Logik) im wesentlichen nicht korrigierbar ist.
Krankheitswert hat der Wahn genau dann, wenn der Waehnende durch den Wahn unangemessen leidet oder zu leiden droht oder seine Mitwelt unter dem Wahn unangemessen leidet bzw. zu leiden droht. Wahn ist damit im wesentlichen eine Stoerung der Realitaetserfassung ohne Einsicht - was die Behandlung so schwierig macht -, dass eine solche Stoerung vorliegt. Daraus resultieren dann gewoehnlich zahlreiche Folgesymptome (Misstrauen, Wut, soziale Isolierung und Einsamkeit, neue Wahninhalte, 'Wahnarbeit', u.a.).
EXKURS: WAHN, IRRTIM, GLAUBE (w-Glaube, m-Glaube) Wahn und Irrtum haben einen Fehler gemeinsam. Beim Wahn stimmt das Wirklichkeitsmodell nicht oder der Erkenntnisweg ist nicht korrekt, das ist auch beim Irrtum der Fall. Der Wahninhalt umfasst gewoehnlich positive Aussagen. Das ist zwar ueblicherweise erfahrungsgemaess so, aber streng logisch muss das nicht so sein. Negationen ueber Wirklichkeiten muessten ebenfalls wahnfaehig sein, man nennt dies aber in der Psychologie und Psychopathologie Verleugnung (Abwehrmechanismus, der die Aufgabe hat, Wirklichkeitselemente auszublenden, nicht wahrzunehmen), "blinder Fleck", (hysterische) Verkennung u.a.m. Wenn ein Ehepartner offensichtlich betrogen wird und der Betrogene mit Gewissheit und Unkorrigierbarkeit von der Treue des Ehegatten ausgeht sind formal die Kriterien eines Wahns erfuellt, obwohl auch der wissenschaftliche Sprachgebrauch dies nicht Wahn nennt. Das ist hier aber ein Randproblem und daher nicht weiter zu verfolgen. Beim Irrtum gibt es auch Negationen (Verneinungen). Man trifft keinen Wahninhalt der Form "ich bin nicht..." oder "es ist nicht...", aber zahlreiche Irrtuemer dieser Art. Waehrend der Irrtum korrigierbar ist, ist das der Wahn gewoehnlich nicht oder nur sehr schwer und langsam.
Glauben
hat wenigstens zwei Hauptbedeutungen:
a) w-glauben als Fuer-wahr-halten, Fuer-richtig-halten,
w-glauben als Quasiwissen und b) m-glauben als Wert-, Sinnsetzung und Entscheidung
in Lebensbereichen, wo man grundsaetzlich nicht wissen kann: metaphysischer
m-Glaube im Bereich der Moral und Ethik, Weltanschauung, Ideologie und
Religion. Den einen nennen wir w-glauben (Quasi-Wissen), den andern m-glauben
(Metaphysik-Ebene).
Beim w-glauben kann gewoehnlich
ein Erkenntnisweg angegeben oder jemand benannt werden, der einen solchen
Weg angeben kann, der den Erkenntnisnormen der sozialen Bezugsgruppe entspricht,
wie w-glauben zu wissen wird. Das ist der wesentliche Unterschied zum Wahn.
Dort kann vom Waehnenden ein solcher von der sozialen Bezugsgruppe akzeptierter
Erkenntnisweg nicht angegeben werden. Der nicht-wahnhafte m-Glaeubige weiss
um die Relativitaet seines m-Glaubens, dass Menschen Unterschiedliches
m-glauben koennen und duerfen und dass m-Glauben kein Wissen ist. Weiss
er das nicht, ist er sich gewiss und in seiner Ueberzeugung unkorrigierbar,
liegt Religioesen-Wahn vor. m-Glauben richtet sich auf Gegenstandsbereiche,
wo man nicht wissen kann und dennoch ein Erkenntnisbeduerfnis vorherrscht,
z. B. bei all den metaphysischen Beduerfnissen, die der Mensch hat (woher
kommen wir, wohin gehen wir, was hat das Leben fuer einen Sinn, wonach
soll man sich richten, wie geht es weiter nach dem Tod, gibt es einen Gott?
usw.) und die auch voellig verstaendlich, akzeptabel und legitim sind (die
Religionen gaebe es nicht, wenn nicht maechtige metaphysische Beduerfnisse
der Menschen nach ihnen verlangten). m-Glaube und der Irrtum haben gemeinsam,
dass die Inhalte auch Negationen umfassen koennen, ansonsten sind es verschiedene
Grundbegriffe, ein m-Glaube kann letztlich nicht falsch sein wie es beim
irren der Fall ist. Die formale Gleichsetzung und Unentscheidbarkeit von
m-Glauben Typ Religion und Wahn, wie es z. B. Kurt Schneider ("Zum Begriff
des Wahns", Fortschr. Neurol. Psychiat. 1949) ein Klassiker der deutschen
Psychiatrie, meint ist m. E. unrichtig. Richtiger erkennt Spitzer (a.a.O.,
S.97): "Subjektive Gewissheit und Unkorrigierbarkeit koennen, aber muessen
nicht Merkmale des Glaubens sein. Wichtig ist indessen noch, dass der normale
Glaeubige, die Bedeutung der Glaubensinhalte fuer sich beansprucht und
gewoehnlich keine Wirklichkeitsaussage mit intersubjektivem Geltungsanspruch
macht. Religioeser Glaube wird dann zum Wahn, wenn die Inhalte mit intersubjektivem
Geltungsanspruch mit subjektiver Gewissheit und unkorrigierbar erhoben
werden. Solange der Religioese erkennt, dass es sein m-Glaube ist, der
fuer ihn gilt und dass andere anderes m-glauben koennen und auch tun handelt
es sich um keinen Wahn.
Ein m-Glaube bewaehrt sich oder nicht, erfuellt seinen Zweck oder nicht. Aberglauben gibt es im strengen Sinn nicht. m-Glaube ist gewoehnlich der herrschende, verbreitete m-Glaube mit dem Anspruch der "richtige" oder "wahre" zu sein, waehrend Aberglaube ueblicherweise Minderheiten-m-Glaube ist. Zwischen m-Glaube und Aberglaube ist nur ein soziologischer Unterschied.
Ein vernuenftiges Kriterium, ob ein m-Glaube "richtig"
oder "wahr" ist, kann sinnvollerweise nur darin bestehen, zu fragen, ob
der m-Glaube die metaphysischen Beduerfnisse der Glaeubigen angemessen
befriedigt und dem Nutzen der Gemeinschaft dient oder nicht, das allerdings
sind sehr wichtige Kriterien, womit der Wert einer Religion fuer den einzelnen
und die Gemeinschaft bestimmt werden kann.
*
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Wahn site:www.sgipt.org. * Psychopathologie Psychiatrie site:www.sgipt.org |