Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=13.09.1999 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 05.11.17
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20     D-91052 Erlangen  Mail: sekretariat@sgipt_ Zitierung  &  Copyright

    Anfang  Wahn: Abgrenzungen  Übersicht_ Relativ Beständiges_ Relativ Aktuelles_Titelblatt_ Konzeption_Archiv_
           Region_ Service_iec-verlag_ Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen


    Willkommen in unsere Internet-Publikation für Allgemeine und integrative Psychotherapie, Abteilung Geschichte der Psychopathologie, und hier speziell zum Thema:

    Zur Definition des Wahns
    Abgrenzung von Irrtum und Glaube
    Querverweise

    von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Zusammenfassende Wahn-Definition

    Wahn liegt vor, wenn (1a) ein falsches geistiges Modell der Wirklichkeit ODER (1b) ein falscher Weg nach den Erkenntnisnormen der sozialen Bezugsgruppe zu diesem Modell, auch wenn es richtig ist, fuehrt UND (2) das geistige Modell der Wirklichkeit mit hoher subjektiver Gewissheit UND (3) das Modell mit Argumenten (Erfahrung und Logik) im wesentlichen nicht korrigierbar ist.

    Krankheitswert hat der Wahn genau dann, wenn der Waehnende durch den Wahn unangemessen leidet oder zu leiden droht oder seine Mitwelt unter dem  Wahn unangemessen leidet bzw. zu leiden droht. Wahn ist damit im wesentlichen eine Stoerung der Realitaetserfassung ohne Einsicht - was die Behandlung so schwierig macht -, dass eine solche Stoerung vorliegt. Daraus resultieren dann gewoehnlich zahlreiche Folgesymptome (Misstrauen, Wut, soziale Isolierung und  Einsamkeit, neue Wahninhalte, 'Wahnarbeit', u.a.).

    EXKURS: WAHN, IRRTIM, GLAUBE (w-Glaube, m-Glaube) Wahn und Irrtum haben einen Fehler gemeinsam. Beim Wahn stimmt das Wirklichkeitsmodell nicht oder der Erkenntnisweg ist nicht korrekt, das ist auch beim Irrtum der Fall. Der Wahninhalt umfasst gewoehnlich positive Aussagen. Das  ist  zwar  ueblicherweise erfahrungsgemaess  so, aber streng logisch muss das nicht so sein. Negationen ueber Wirklichkeiten muessten ebenfalls wahnfaehig sein, man nennt dies aber in der Psychologie und Psychopathologie Verleugnung (Abwehrmechanismus, der die Aufgabe hat, Wirklichkeitselemente auszublenden, nicht wahrzunehmen), "blinder Fleck", (hysterische) Verkennung u.a.m. Wenn ein Ehepartner offensichtlich betrogen wird und der Betrogene mit Gewissheit und Unkorrigierbarkeit von der Treue des Ehegatten ausgeht sind formal die Kriterien eines Wahns erfuellt, obwohl auch der wissenschaftliche Sprachgebrauch dies nicht Wahn nennt. Das ist hier aber ein Randproblem und daher nicht weiter zu verfolgen. Beim Irrtum gibt es auch Negationen (Verneinungen). Man trifft keinen Wahninhalt der Form "ich bin nicht..." oder "es ist nicht...", aber zahlreiche  Irrtuemer dieser Art. Waehrend der Irrtum korrigierbar ist, ist das der Wahn gewoehnlich nicht oder nur sehr schwer und langsam.

    Glauben hat wenigstens zwei Hauptbedeutungen:
    a) w-glauben als Fuer-wahr-halten, Fuer-richtig-halten,  w-glauben als Quasiwissen und b) m-glauben als Wert-, Sinnsetzung und Entscheidung in Lebensbereichen, wo man grundsaetzlich nicht wissen kann: metaphysischer m-Glaube im Bereich der Moral und Ethik, Weltanschauung, Ideologie und Religion. Den einen nennen wir w-glauben (Quasi-Wissen), den andern m-glauben (Metaphysik-Ebene).
        Beim w-glauben kann gewoehnlich ein Erkenntnisweg angegeben oder jemand benannt werden, der einen solchen Weg angeben kann, der den Erkenntnisnormen der sozialen Bezugsgruppe entspricht, wie w-glauben zu wissen wird. Das ist der wesentliche Unterschied zum Wahn. Dort kann vom Waehnenden ein solcher von der sozialen Bezugsgruppe akzeptierter Erkenntnisweg nicht angegeben werden. Der nicht-wahnhafte m-Glaeubige weiss um die Relativitaet seines m-Glaubens, dass Menschen Unterschiedliches m-glauben koennen und duerfen und dass m-Glauben kein Wissen ist. Weiss er das nicht, ist er sich gewiss und in seiner Ueberzeugung unkorrigierbar, liegt Religioesen-Wahn vor. m-Glauben  richtet sich auf Gegenstandsbereiche, wo man nicht wissen kann und dennoch ein Erkenntnisbeduerfnis vorherrscht, z. B. bei all den metaphysischen Beduerfnissen, die der Mensch hat (woher kommen wir, wohin gehen wir, was hat das Leben fuer einen Sinn, wonach soll man sich richten, wie geht es weiter nach dem Tod, gibt es einen Gott? usw.) und die auch voellig verstaendlich, akzeptabel und legitim sind (die Religionen gaebe es nicht, wenn nicht maechtige metaphysische Beduerfnisse der Menschen nach ihnen verlangten). m-Glaube und der Irrtum haben gemeinsam, dass die Inhalte auch Negationen umfassen koennen, ansonsten sind es verschiedene Grundbegriffe, ein m-Glaube kann letztlich nicht falsch sein wie es beim irren der Fall ist. Die formale Gleichsetzung und Unentscheidbarkeit von m-Glauben Typ Religion und Wahn, wie es z. B. Kurt Schneider ("Zum Begriff des Wahns", Fortschr. Neurol. Psychiat. 1949) ein Klassiker der deutschen Psychiatrie, meint ist m. E. unrichtig. Richtiger erkennt Spitzer (a.a.O., S.97): "Subjektive Gewissheit und Unkorrigierbarkeit koennen, aber muessen nicht Merkmale des Glaubens sein. Wichtig ist indessen noch, dass der normale Glaeubige, die Bedeutung der Glaubensinhalte fuer sich beansprucht und gewoehnlich keine Wirklichkeitsaussage mit intersubjektivem Geltungsanspruch macht. Religioeser Glaube wird dann zum Wahn, wenn die Inhalte mit intersubjektivem Geltungsanspruch mit subjektiver Gewissheit und unkorrigierbar erhoben werden. Solange der Religioese erkennt, dass es sein m-Glaube ist, der fuer ihn gilt und dass andere anderes m-glauben koennen und auch tun handelt es sich um keinen Wahn.

    Ein m-Glaube bewaehrt sich oder nicht, erfuellt seinen Zweck oder nicht. Aberglauben gibt es im strengen Sinn nicht. m-Glaube ist gewoehnlich der herrschende, verbreitete m-Glaube mit dem Anspruch der "richtige" oder "wahre" zu sein, waehrend Aberglaube ueblicherweise Minderheiten-m-Glaube ist. Zwischen m-Glaube und Aberglaube ist nur ein soziologischer Unterschied.

    Ein vernuenftiges Kriterium, ob ein m-Glaube "richtig" oder "wahr" ist, kann sinnvollerweise nur darin bestehen, zu fragen, ob der m-Glaube die metaphysischen Beduerfnisse der Glaeubigen angemessen befriedigt und dem Nutzen der Gemeinschaft dient oder nicht, das allerdings sind sehr wichtige Kriterien, womit der Wert einer Religion fuer den einzelnen und die Gemeinschaft bestimmt werden kann.
     


    Querverweise
    Standort: Zur Definition des Wahns, Abgrenzung von Irrtum und Glaube.
    *
    Querverweise: Ueberblick Wahn
    "Normal", "Anders", "Fehler", "Gestört", "Krank", "Verrückt".
    *  Welten*Definition* Terminologie*

    *

    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site:www.sgipt.org
    z.B. Wahn site:www.sgipt.org. * Psychopathologie Psychiatrie site:www.sgipt.org
    *
    Dienstleistungs-Info.
    *

    Zitierung
    Sponsel, R. (DAS). Abteilung Allgemeine Psychopathologie: Zur Definition des Wahns, Abgrenzung von Irrtum und Glaube. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT.  Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/psypath/abg_wahn.htm
    Copyright & Nutzungsrechte
    Diese Seite darf von jeder/m in nicht-kommerziellen Verwertungen frei aber nur original bearbeitet und nicht  inhaltlich verändert und nur bei vollständiger Angabe der Zitierungs-Quelle benutzt werden. Das direkte, zugriffsaneignende Einbinden in fremde Seiten oder Rahmen ist nicht gestattet, Links und Zitate sind natürlich willkommen. Sofern die Rechte anderer berührt sind, sind diese dort zu erkunden. Sollten wir die Rechte anderer unberechtigt genutzt haben, bitten wir um Mitteilung. Soweit es um (längere) Zitate aus  ...  geht, sind die Rechte bei/m ... zu erkunden oder eine Erlaubnis einzuholen.


     Ende Wahn: Abgrenzungen  Übersicht_ Relativ Beständiges_ Relativ Aktuelles_Titelblatt_ Konzeption_Archiv_
           Region_ Service_iec-verlag_ Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen



    Änderungen wird gelegentlich überarbeitet, ergänzt und vertieft * Anregungen und Kritik willkommen
    24.02.15    Linkfehler geprüft, keine gefunden.
    01.11.06    Layout, Links, Impressum.