Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=13.08.2006 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 10.04.15
    Impressum: Dipl.-Psych. Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel *
    Stubenlohstr. 20  D-91052  Erlangen * Mail: sekretariat@sgipt.org

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    Willkommen ins unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Dokumentation, Evaluation, Qualitätssicherung, Epidemiologie, psychologische Testtheorie u.a., hier speziell zum Thema:

    Komorbidität
    Wort, Begriff, Bedeutung, Geschichte, Anwendung und Probleme
    in Psychodiagnostik und Psychotherapie

    von Rudolf Sponsel, Erlangen
    Querverweise.

    Man kann nicht nur Läuse und Flöhe in vielerlei Zusammenhängen oder Bedeutungen haben
    - es kann auch noch aus ganz anderen Gründen jucken und das alles ist auch gar nicht neu.


    Übersicht
    • Wort, Begriff und Begriffsumfeld.
    • Die richtige Idee im alten Ätiologiemodell der ICD.
    • Was ist nun der Sinn und Zweck von Komorbiditätsbetrachtungen?.
    • Die richtige Idee im alten Ätiologiemodell der ICD.
    • Die Standardsituation der Differential-Diagnostik und die Grundprobleme der Komorbidität.
    • Bio-psycho-soziales Krankheitsmodell. 
    • Kausalitätsbeziehungen verschiedener Symptome und Störungen.
    • Komorbide Zusammenhänge.
    • Literatur.
    • Links.
    • Anmerkungen und Endnoten.
      • das alles ist auch gar nicht neu: Komorbidität als neue Mode?
        • J. C. Reil 1803.
        • Friedreich 1832.
      • Ausdrücklich: der ICD-9 erlaubte Mehrfachdiagnosen.
      • Epidemiologische Studien wenig Praxisrelevanz.
      • 1991: Watzlawick zu überraschenden Therapiererfolgen ;-)
    • Querverweise.



    Wort, Begriff und Begriffsumfeld Komorbidität

    Komorbidität: Eine wenig ansprechende Wortschöpfung aus Ko in der Bedeutung mit und Morbus, die Krankheit. Komorbidität bedeutet also wörtlich die Mit-Krankheit. Kurz: all das, was jemand an Krankheiten oder Störungen mit Krankheitswert "hat". Über den Zusammenhang der Störungen ist damit zunächst noch gar nichts gesagt. Der einfachste und unkomplizierteste Komorbiditätsbegriff stellt daher schlicht und einfach zunächst einmal ein bloßes Zusammentreffen fest: S1 und S2 treten zusammen auf. Nachdem zwischen verschiedenen Störungen sehr vielfältige, sowohl einfache als auch sehr komplexe und komplizierte Verhältnisse bestehen können, gibt es entsprechend vielfältige, von einfachen bis hin zu sehr komplexen und komplizierten Komorbiditätsbeziehungen. Da gibt es Störungen, die haben nichts miteinander zu tun und beeinflussen sich auch nicht (z.B. ein Tic und Desorganisiertheit), und es gibt welche, die entstehen aus anderen und beeinflussen sich mehr oder minder.
        Der Komorbiditätsbegriff gehört zum Themenfeld Diagnostik, Differential-Diagnostik, Anamnese, Epidemiologie, und Krankheitslehre (Nosologie und Ätiologie: bio-psycho-soziales Krankheitsmodell). Bis zum Jahre 1991 wurde in der ICD-9 Diagnostik eine führende Hauptdiagnose vorgezogen, z.B. Depressives Syndrom bei Alkoholismus (Mombour & Sartorius). Dann wurde man wieder realitätsnäher und förderte auch gleichberechtigte Mehrfachdiagnosen. Im engen praktischen Zusammenhang mit der Komorbiditätsfrage steht das Kausalitätsproblem. ("Henne/Ei" oder weder-noch?).
        PraktikerInnen wußten schon immer um die Komorbidität (nicht neu) und müssen sie natürlich in der Behandlung notwendigerweise berücksichtigen. Jeder Mensch, selbst der eineiige Zwilling, noch dazu in seiner Lebenssituation, ist ein einmaliges Unikat, das einen individuellen Therapieplan verlangt, der am besten experimentell-empirisch evaluiert wird - daher haben epidemiologische Komorbiditätsstudien für die Praxis wenig Relevanz.

    Was ist nun der Sinn und Zweck von Komorbiditätsbetrachtungen ?
    Zunächst einmal können Diagnosen sehr wichtig für Behandlungen sein. Um Behandlungen also möglichst gut planen und durchführen zu können, ist es wichtig zu wissen, was jemand "hat". Das war im Grunde schon immer so, das weiß jede ÄrztIn und TherapeutIn und das ist daher auch keine neue Einsicht. Neu ist allenfalls, dass dieses Phänomen einen eigenen Namen bekommen hat und in den internationalen Diagnosesystemen seit Anfang der 1990er Jahre ausdrücklich mit dieser unglücklichen und schrecklich klingenden Wortschöpfung "Komorbidität" berücksichtigt wird.

    Die richtige Idee im alten Ätiologiemodell der ICD
    Zu vielen Grunderkrankungen können eine Vielzahl von Symptomen gehören, die, sofern sie von der Grunderkrankung herrühren, nicht als eigene (neudeutsch "komorbide") Störung betrachtet werden sollen. Soweit, so vernünftig und sicher richtig. Ein Schizophrener, der Angst hat, soll nicht Schizophrenie und eine Angststörung gesondert und zusätzlich diagnostiziert und verschlüsselt bekommen, sondern nur eine Schizophrenie, zu der in dem betrachteten Fall die Angst gehören mag. Noch einsichtiger mag es beim Wahn sein. Wenn jemand eine Schizophrenie diagnostiziert bekommt, so wird man ihm nicht zusätzlich eine Wahnerkrankung zuschreiben, weil Wahn oft zur Schizophrenie dazu gehört. Schwieriger ist es mit Angst und Depression. Gehört die Angst zur Depression dazu, entsteht sie aus ihr, oder ist im betrachteten Fall, die Angst unabhängig und als eigene Störung anzusehen? Eine Phobie (spezifische Furcht) könnte man formal auch als "Vermeidenszwang" ansehen, aber das tut man nicht und die Phobie hat sich in der Diagnostik als eigene Angstkategorie durchgesetzt. Anders betrachtet fallen Zwangsstörungen auch mit Angst zusammen und können sogar als Beruhigungsrituale gegen Angst und Unruhezustände interpretiert werden, der Zwang ist dann sozusagen ein Verhaltensheilmittel. Aber es kommen auch genügend Zwangsstörungen vor, wo die Angst nicht gefühlt wird. Es hat sich eingebürgert, die Zwangsstörungen nach ihrem äußerlichen Leit- und Hauptsymptom zu benennen. Hierbei darf man natürlich nicht übersehen, dass Zwänge wie viele andere Symptome auch ganz unterschiedliche Entstehungsgeschichten haben können so wie einem Syndrom unterschiedliche Krankheiten zugrundeliegen können.

    Die Standardsituation der Differential-Diagnostik und die Grundprobleme der Komorbidität
    Das Grundproblem von Komorbiditätsbetrachtung versteht man am besten, wenn man sich klar macht, womit sich (Differential-) DiagnostikerInnen konfrontiert sehen, wenn sie versuchen, herauszufinden, was jemand hat.

    Bio-psycho-soziales Krankheitsmodell [Quelle]

    Im allgemeinen Modell wird von einem Systemstörungsmodell ausgegangen, bei dem wir folgende Entwicklungsstadien unterscheiden: 1) Ursachen, Bedingungen und Auslöser der Störung. 2) die Bewertung einer Störung als Krankheit. Zum Wesen der Krankheit definiert man zweckmäßig eine - wichtige - (Funktions-) Störung (nach Gustav von Bergmann [1878-1955] 1932). 3) unterschiedliche Auswirkungen (lokale, zentrale, allgemeine, spezielle) der Störung. 4) Erfassen und Informationsverarbeitung der Störung und 5) aus Wiederherstellungsprozeduren: der Auseinandersetzung zwischen den Kräften der Störung und der Heilung. Störungen können exogener (ausserhalb des Systems) oder endogener (innerhalb des Systems) Natur sein. Störungen haben im allgemeinen Ursachen, womit sich in der allgemeinen Krankheitslehre die Ätiologie beschäftigt. Entwickelt sich eine Störung in der Zeit, wie meistens, heißt dieser Vorgang Pathogenese. Unklar ist meist der Symptombegriff, der eine dreifache modelltheoretische Bedeutung haben kann:
     

    1. es ist ein Zeichen der Störung (z. B. bestimmte Antigene im Körper; Angst);
    2. es ist ein Zeichen der Spontanreaktion auf die Störung (z. B. bestimmte Antikörper gegen die Antigene; Vermeiden);
    3. es ist ein Zeichen der Wiederherstellungsprozedur, also Ausdruck des "Kampfes" zwischen Krankheit und Heilungsvorgängen (z. B. Fieber; Ambivalenzkonflikt zwischen Vermeiden und Stellen).


    Kausalitätsbeziehungen verschiedener Symptome und Störungen [Quelle]
    Das Ursachenproblem ist wissenschaftstheoretisch problematisch aus zwei prinzipiellen und aus einem vermeidbaren Grund: (1) Im Kausalitätskonzept gibt es streng betrachtet nur einen vielfach verzweigten Baum von Ursachen. Jede ausgemachte Ursache kann prinzipiell wiederum auf andere Ursachen zurückgeführt oder zumindest auf andere zurückgeführt gedacht werden. Welche dieser vielen Ursachen soll als die besondere ausgezeichnet werden (Watzlawicks 3. Axiom)? In der Wirklichkeit handelt es sich wohl meist um einen Ursachenkomplex, ein Netzwerk von Bedingungen. (2) Man muss zwischen Bedingungen (Rahmen- oder Randbedingungen), Anlässen oder Auslösern, Neben- und Begleiterscheinungen unterscheiden, was häufig sehr schwierig ist.

    Hilfsbegriffe zur Ätiologie und Kausalität
    Praktische Anwendung und Veranschaulichung: Das Buch Eva -Ticket ins Paradies.

    (3) Die psychischen Ereignisse können mehrperspektivisch betrachtet werden - wobei die psychologische Perspektive grundlegend und unverzichtbar ist -: z. B. physikalisch, biologisch, chemisch, physiologisch, neurologisch, internistisch, psychopharmakologisch, immunologisch, kybernetisch, psychologisch, sozial-ökonomisch, sozialpsychologisch, sozial-rechtlich und kommunikativ. Hinzu kommt, dass in der Computermetapher Hardware als körperlich und Software als psychisch die Realisation im "Betriebssystem Mensch" vielfach miteinander verflochten und vernetzt ist. Man kann es den biokybernetischen Ereignissen im Körper nicht unbedingt ansehen, ob sie "Hardware" oder "Software" repräsentieren. So finden wir häufig in den Mitteilungen und Büchern drei Ebenen durcheinander gehend: a) Perspektive (z. B. physikalisch, chemisch, biologisch, medizinisch, psychologisch, sozial), b) Hard- oder Software-Repräsentation, c) Ursache, Neben- und Begleiterscheinung oder Wirkung. Unbeschadet der Probleme, ist die konzeptionelle Vorsehung einer oder mehrerer Ursachen (Bäume oder Zweige) natürlich sinnvoll und vernünftig. Die Neigung mancher SystemikerInnen und VulgärkonstruktivistInnen, das Ursachenproblem herunterzuspielen oder gänzlich für überflüssig zu erklären, können wir in der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie weder teilen noch akzeptieren, auch wenn es in vielen Fällen durchaus möglich ist, auch ohne genaue Kenntnis der Entstehungsgeschichte sinn- und wirkungsvoll therapeutisch zu handeln.

    Komorbide Zusammenhänge
    Zwischen einer Störung S1 und einer Störung S2 können folgende Beziehungen bestehen: S1 und S2 können unabhängig voneinander entstanden sein oder nicht. Sie können sich wechselseitig in ihrer Entstehung gefördert haben oder aber S2 ist eine direkte Folge von S1. Zwei Störungen S1 und S2 können sich verstärken, schwächen, anderweitig beeinflussen oder gar verschmelzen und ein neues Syndrom S3 erzeugen.



    Literatur (Auswahl): Siehe auch Lit-DiffDiag,

    Historische Beispiele komorbider Denkweise:

    • Friedreich, J. B. (1832). Allgemeine Diagnostik der psychischen Krankheiten. Würzburg: Strecker. [Zitat]
    • Reil, J. C. (1803). Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle: Curt’sche Buchhandlung. [Zitat]


    ICD, DSM u.a. Diagnosesysteme:

    • Degkwitz, R.; Helmchen, H.; Kockott, G. & Mombour, W. (1980). Diagnoseschlüssel und Glossar psychiatrischer Krankheiten. Deutsche Ausgabe der internationalen Klassifikation der Krankheiten der WHO ICD (International Classification of Deseases), 9. Revision, Kapitel V. Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde (DGPN). Fünfte Auflage, korrigiert nach der 9. Revision der ICD. Stand: Herbst 1979. Berlin: Springer.
    • Dilling, H.;  Mombour, W.; Schmidt, M. H. & Schulte-Markwort, E. (dt. 1991, engl. 1991). Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F) Klinisch-Diagnostische Leitlinien. Bern: Huber.
    • Dilling, H.;  Mombour, W.; Schmidt, M. H. & Schulte-Markwort, E. (dt. 1994, engl. 1993). Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F) Forschungskriterien. Bern: Huber.
    • Dittmann, V., Dilling, H., Freyberger, H. H. (1992, Hg.). Psychiatrische Diagnostik nach ICD-10 - klinische Erfahrungen bei der Anwendung. Ergebnisse der ICD-10-Merkmalslistenstudie. Bern: Huber.
    • DSM-III (dt. 1984, orig. 1980). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen. Deutsche Bearbeitung: K. Koehler  &  H. Saß, . Weinheim: Beltz.
    • DSM-IV (dt. 1996, orig. 1994). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen. Deutsche Bearbeitung: Henning Saß, Hans-Ulrich Wittchen, Michael Zaudig. Göttingen: Hogrefe.


    Einzelstudien (Auswahl)

    • Dahlke, Björn (2004). Persönlichkeit als Risikofaktor? Zum Einfluss der Persönlichkeit auf das Suchtverhalten bei Personen mit Alkoholabhängigkeit. Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor medicinae (Dr. med.) vorgelegt der Medizinischen Fakultät Charité der Humboldt-Universität zu Berlin [Download]
    • Driessen, Martin (1999). Psychiatrische Komorbidität bei Alkoholismus und Verlauf der Abhängigkeit [PPT]
    • Gouzoulis-Mayfrank, Euphrosyne (2003). Komorbidität Psychose und Sucht. Von den Grundlagen zur Praxis; mit Manual für psychoedukatives Training. Darmstadt: Steinkopff. [ISBN 3-7985-1376-7]
    • Granderath, Daniela (2004). Epidemiologie psychischer Störungen im Allgemeinkrankenhaus: unter besonderer Berücksichtigung dysthymer, neurotischer, belastungsreaktiver, funktioneller, psychosomatischer und persönlichkeitsbedingter psychischer Störungen. Univ.-Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik Fakultät:  Medizinische Fakultät / Universitätsklinikum DNB-Sachgruppe:  Medizin Dokumentart:  Dissertation. Hauptberichter:  Herzog, Th. (Dr.). Zitierung: URN: urn:nbn:de:bsz:25-opus-12694. URL: https://freidok.ub.uni-freiburg.de/volltexte/1269/.
    • Hegerl, Ulrich & Autor / Hrsg. Hoff, Paul (2003). Depressionsbehandlung unter komplizierenden Bedingungen. Komorbidität - Multimedikation - geriatrische Patienten. Bremen; Verlag UNI-MED-Verl. [ISBN 3-89599-459-6]
    • Helmchen, Hanfried u. Möller, Hans-Jürgen (1999, Hrsg.) Psychiatrie für die Praxis, Bd. 29 Urban & Vogel. Aus dem Inhalt u.a.: Komorbidität von Depressionen.
    • Klampfl, Karin Maria  (2003). Komorbidität bei Kindern und Jugendlichen mit einer Zwangsstörung.  Würzburg, Univ., Diss., 2004 [download]
    • Kröger, Christoph (2002). Komorbidität und Prädiktoren für den Therapieerfolg bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Bamberg, Univ., Diss., 2002 (Download: 1,2,3,)
    • Loew, Thomas (1999). Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden. Klinische Studien zum Stellenwert von Komorbidität, Krankheitserleben und Krankheitsverhalten. Band / Reihe Beiträge zur Medizin, Medizinsoziologie und klinischen Psychologie; 13. Erlangen-Nürnberg, Univ., Habil.-Schr. (1997): Pfaffenweiler: Verlag Centaurus-Verl.-Ges. [ISBN 3-8255-0256-2]
    • Moggi, Franz  (2002). Titel Doppeldiagnosen Zusatz zum Titel Komorbidität psychischer Störungen und Sucht. Bern: Huber. [ISBN 3-456-83699-6]
    • Paeßens, Daniela (2004). Komorbidität bei Studierenden: Eine empirische Analyse zu problematischem Substanzkonsum und psychischen Störungen im Studium. Diplomarbeit, Magisterarbeit. Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Köln. Zitierung: URN: urn:nbn:de:bsz:291-psydok-5317. URL: https://psydok.sulb.uni-saarland.de/volltexte/2005/531/
    • Schneider, Gudrun (1995). Langzeitkatamnese zu Symptomatik, Krankheitsverlauf, Komorbidität, Krankheitsverhalten und Persönlichkeitsprofil bei 132 Patienten mit Irritablem-Darm-Syndrom. Ausgabe Maschinenschr. Umfang 83 Bl. Erlangen-Nürnberg, Univ., Diss., 1995
    • Schweiger, Ulrich; Peters, Achim & Sipos, Valerija (2003). Essstörungen. Stuttgart: Thieme. [U.a.:  Management von Komorbidität mit weiteren psychischen Störungen, Zusammenarbeit mit anderen Fachgebieten, Fehlermöglichkeiten in der Behandlung von Essstörungen, Prävention von Essstörungen und Übergewicht.]
    • Wittchen, Hans-Ulrich (2005).  „Psychische Störungen in Deutschland und der EU“ Größenordnung und Belastung von Hans-Ulrich Wittchen, Professor der Klinischen Psychologie und Psychotherapie der Technischen Universität Dresden stellt am 1. Dezember 2005 anlässlich des 1. Deutschen Präventionskongresses die weltweit größte und umfassendste Bestandsaufnahme zur psychischen Gesundheit in Europa vor.


    Links (Auswahl: beachte)
    Geänderte URLs ohne eingerichtete Weiterleitung wurden entlinkt.
    • WHO (ICD). * WHO: History of ICD (PDF). * WHO Search comorbity *
    • Komorbiditätsbegriff: , Wikipedia. ,
    • Google <Komorbidität psychischer Störungen>.
    • Krankheit, Krankheitsbegriff, Krankheitsmodelle in der IP-GIPT.
    • ICD-Online bei DIMDI.
    • DIMDI: Verzeichnis von ICD-Ausgaben und anderen krankheits- und gesundheitsrelevanten Klassifikationen [Stand Februar 1997]: ICD-9.




    Anmerkungen und Endnoten:
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
    ___
    nicht neu. Es hat inzwischen den Anschein, als würde sich das Thema Komorbidität zu einer neuen (Wissenschafts-) Mode entwickeln. Und manche (Wissenschafts-) ModistInnen tun so als wäre die Erkenntnis, dass ein Mensch mehrere Störungen zugleich haben kann, etwas Neues. Tatsächlich dürfte kaum eine Erkenntnis älter sein als eben die, dass man eben auch Läuse und Flöhe haben kann. Die alten Psychodiagnostiker waren sicher nicht dümmer als die heutigen, und praktisch tätige KlinikerInnen  haben schon immer den ganzen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes gesehen. Und der ICD-9 bevorzugte zwar eine Hauptdiagnose, erlaubte aber vielfach auch Mehrfachdiagnosen ausdrücklich. Was ist also wirklich neu? Nun, neu ist, dass seit den 1970er Jahren erkannt wurde, dass es in der Psychodiagnostik mit der geringen Objektivität und Reliabilität nicht so weiter gehen kann. Dies führte zu dem grossen Aufschwung operationaler Psychodiagnosesysteme. Bereits Johann Christian Reil schrieb 1803 in seinem großen integrativen Wurf im § 13 (S. 123):

    Auch J. B. Friedreich spricht in einer der frühesten psychodiagnostischen Monographien der Psychiatriegeschichte bereits 1832 in einem eigenen Kapitel, dem vierten, von der "Diagnostik der Complicationen der psychischen Krankheiten" auf S. 150 im Punkt 1: "Häufig kompliziert sich eine Seelenkrankheit mit einer anderen."

    ___
    ausdrücklich. Bereits der ICD-9, der in 1970er Jahren entwickelt wurde, sah die Möglichkeit, mehrere Diagnosen zu vergeben, vor:

    Quelle:Degkwitz, R. et al. (1980), S. 14.
    ___
    wenig Relevanz. Die meisten Komorbiditätsstudien erheben, wie oft eine Störung S1 zusammen mit einer Störung S2, S3, ... usw. vorkommt. Das hat für den konkreten Einzelfall nicht die geringste Bedeutung. Zu dieser Beurteilung mag helfen, sich die extreme kombinatorische Vielfalt zwischenmenschlicher Beziehungen zu vergegenwärtigen (Beispiel 4-Personen-Familie). Sehr ernüchternd können auch kritische faktorenanalytische Betrachtungen sein, etwa die Kallinas (50-dimensionaler Raum mit 1000-Billionen-Zellen) einleitend zum Münchner Symposion Das Unbehagen in der Faktorenanalyse.
    ___
    Mombour & Sartorius (1992). Aktueller Stand bei der Entwicklung des Kapitels V. der ICD-10. In: Dittmann et al. (1992). (S.18):

    ___
    1991. In diesem Jahr wurde auch die "Homosexualität" als Krankheit abgeschafft, Störung mit Krankheitswert. Das veranlasste Watzlawick zu einem spöttisch-trefflichen Kommentar in seiner Arbeit »Berufskrankheiten« systemisch-konstruktivistischer Therapeuten (fett hervorgehoben von RS): »Berufskrankheiten« ist hier natürlich ironisch gemeint. Was ich in der ersten Hälfte anführen werde, sind die typischen Kritiken, die wir von seiten unserer orthodoxeren Kollegen erhalten. Grundsätzlich müssen wir uns darüber im klaren sein, daß wir als klinisch ausgebildete Therapeuten nicht auch Epistemologen sind, das heißt, daß wir nicht Fachleute m dem Bereich sind, der sich mit dem Erwerb und mit dem "Wissen von Wissen überhaupt befaßt. Da dem so ist, unterlaufen uns sehr leicht die banalsten Fehler, die eine gewisse Ausbildung in Epistemologie uns möglicherweise ersparen würde. Lassen Sie mich den meines Erachtens grundlegenden Fehler erwähnen, der in unserem Feld immer wieder sein Unwesen treibt: die Tatsache, daß wir kein allgemein akzeptiertes Kriterium der Normalität haben. Damit beginnt die ganze Problematik.
    Der Arzt ist in einer wesentlich besseren Situation, er hat eine einigermaßen klare und wissenschaftlich unterbaute Idee des normalen Funktionierens des menschlichen Körpers oder eines Organs. Da er das hat, ist es für den Mediziner sinnvoll, dann von Pathologien zu sprechen, d. h. von Abweichungen, von Störungen dieser Normalität. Wir Psychotherapeuten glauben naiverweise, daß wir das auch haben. Nur wenn man zu untersuchen beginnt, wer was für normal hält, kommt man in die größten und zum Teil auch lächerlichsten Probleme hinein. Zum Beispiel gibt es in Amerika das sogenannte DSM, Diagnostical and Statistic Manual. Damit ist man jetzt bei der dritten überarbeiteten Version angelangt, DSM-III-R. Das ist eine komplizierte, ausgeklügelte Auflistung aller nur möglichen seelischen und geistigen Störungen, auch psychosomatischer Art. Als man von DSM-II zu DSM-III überging, wurde aufgrund gesellschaftlichen Drucks die Homose-[<87]xualität nicht mehr als Störung aufgeführt. Man hat so mit einem Federstrich Millionen Menschen von ihrer »Krankheit« geheilt. Einen solchen therapeutischen Erfolg findet man wohl nur selten.
        Freud war sich dieser Problematik bewußt und postulierte das Kriterium der Arbeits- und Liebesfähigkeit. Auf den ersten Blick scheint das ein recht praktisches Kriterium zu sein, da diese zwei Aspekte der menschlichen Existenz meist beeinträchtigt sind. Nur hat auch dieses Freudsche Kriterium seine Grenzen, es versagt in gewissen Fällen. Demnach wäre auch Hitler normal gewesen: gearbeitet hat er und geliebt hat er zumindest seine Schäferhündin, wenn nicht gar Eva Braun. Andererseits versagt das Freudsche Kriterium gerade dort, wo wir es mit den bekannten Verhaltensweisen besonders begabter Personen zu tun haben. So ist man in unserem Feld seit etwa 30 Jahren dazu übergegangen, die sogenannte »Wirklichkeitsanpassung« als das Kriterium der menschlichen Normalität aufzufassen. Das scheint auf den ersten Blick sehr praktisch, sehr vernünftig, sehr brauchbar. Es hat nur den entscheidenden Fehler, daß es einem epistemologischen Irrtum erliegt, wie Gregory Bateson das genannt haben würde. Es setzt naiverweise voraus, daß es eine wirkliche Wirklichkeit gibt, deren sich die Normalen, vor allem wir Therapeuten, klar bewußt sind, während unsere Klienten ein verzerrtes Bild dieser Wirklichkeit haben. Was ist denn schon Wirklichkeit? Na ja, das ist so, wie die Dinge wirklich sind. Aber das hängt ganz davon ab, wie ich glaube, daß die Dinge wirklich sind oder sein sollten. Philosophisch ist die Annahme einer solchen Wirklichkeit spätestens seit Kant, Hume, Schopenhauer unhaltbar. Sie war es allerdings auch schon in der Antike; schon Epiktet verwies im 1. Jahrhundert nach Christus darauf, daß es nicht die Dinge sind, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Man könnte sagen, daß schon in der Gedankenwelt Epiktets eine sehr konstruktivistische Grundhaltung gegeben ist.
    Kommen wir zu den modernen Ansichten: Schopenhauer schreibt in seinem Werk »Über den Willen in der Natur« (1912, S. 346), daß die Teleologie, also die Annahme einer der Natur innewohnenden Ordnung und Zweckmäßigkeit, erst vom Verstand in die Natur gebracht wird, »der demnach ein Wunder anstaunt, das er selbst geschaffen hat. ...»"
        Quelle (S. 87f): Watzlawick, Paul (1994). »Berufskrankheiten« systemisch-konstruktivistischer Therapeuten. In: Schweitzer, Jochen; Retzer, Arnold & Fischer, Hans Rudi (1994). Systemische Praxis und Postmoderne. Frankfurt: Suhrkamp.
        Querverweis: Welten, Konstruktivismus und Vulgärkonstruktivismus.
    ___



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    tt.mm.jj


    Querverweise
    Standort: Komorbidität. Wort, Begriff, Bedeutung, Geschichte, Anwendung und Probleme.
    *
    Überblick Diagnostik und Differentialdiagnostik in der IP-GIPT.
    • Was-Ist-Fragen in der Diagnostik. WIF-Fallstricke, Tücken und Probleme.
    • Diagnostik, Komorbidität und das Problem der Differentialdiagnose
    • Testtheorie der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie
    • Krankheit, Symptom, Syndrom, Aufgabe der Heilkunde
    • Bio-Psycho-Soziales Krankheitsmodell
    • Norm, Wert, Abweichung (Deviation)
    • Kausalitätsproblem
    • Der Wissenschaftsbegriff und seine aktuelle Bedeutung
    • Welten und  die Konstruktion unterschiedlicher Wirklichkeiten in der GIPT.
    • Iatrogenie - Krank durch Behandlung. Fehler, Behandlungsfehler, Kunstfehler. Ein kritischer Beitrag zur Epidemiologie des Gesundheitssystems, das selbst ein wichtiger Faktor für Krankheit und Tod ist.
    • Allgemeine und integrative Epidemiologie.
    • Übersicht - Psycho-Moden, psychische Epidemien, Epidemiologie und systemimmanente Kunstfehler.
    • Potentielle Kunst-/ Fehler aus der Sicht der Allgemeinen und Integrativen Psychologischen Psychotherapie. Materialien zur Qualitätssicherung mit einer Literaturübersicht.
    • Über potentielle Kunst- oder Behandlungsfehler in der Psychotherapie aus allgemeiner und integrativer Sicht. Vortrag auf der Ersten Fachtagung des IVS am Samstag den 27. Juli 2002. Festsaal, Klinikum am Europakanal. (Kunstfehler 2)
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site:www.sgipt.org
    z.B. Komorbidität site:www.sgipt.org * Diagnostik site:www.sgipt.org. 
    *
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    *

    Zitierung
    Sponsel, R.  (DAS). Komorbidität. Wort, Begriff, Bedeutung, Geschichte, Anwendung und Probleme in Psychodiagnostik und Psychotherapie. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT.  Erlangen: https://www.sgipt.org/doceval/epidem/komorbid.htm
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