Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
(ISSN 1430-6972)
IP-GIPTDAS=13.02.2014 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 24.07.18
Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
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von Rudolf Sponsel,
Erlangen
_
Gemälde von Charles-Louis
Mullet (um 1840-50) Pinel befreit psychisch Kranke 1793 von ihren Ketten.
Sekundär-Bildquelle
Wikipedia.
An dieser Stelle soll aber auch nicht vernachlässigt
werden, dass die wohlverstandene forensisch-psycho-pathologische Behandlung
wahrscheinlich zu den schwierigsten überhaupt gehört. Gerade
deshalb wäre es aber an der Zeit, sorgfältige Auswahlverfahren
der ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen, PflegerInnen und der Sicherheitsbediensteten
einzuführen. Nicht vergessen wollen wir, all den anständigen
und kompetenten Bediensteten im Maßregelvollzug für ihre außerordentliche
schwierige Arbeit zu danken.
Ebenso wichtig wie gute Auswahlen sind natürlich
sorgfältige und wirksame Kontrollen, die in Bayern einfach unerträglich
oberflächlich, nachlässig und okkult organisiert sind. Deshalb
ist es auch sehr zu begrüßen, dass Prof. Dr. Henning Ernst Müller
unter beck-online einen blog zu dem brisanten Thema (Patient
60 Tage lang ununterbrochen ans Bett fixiert - Psychiatrie in der Kritik)
aufgemacht hat.
Exkurs Selbsterfahrung, Aufsicht,
Supervision,
Kontrolle. In der Psychotherapie (z.B. die Lehranalyse in der Psychoanalyse
und die Selbstmodifikation in der Verhaltenstherapie) gilt die Leitidee,
was man seinen PatientInnen angedeihen lässt, sollte man an sich selbst
schon erfahren haben, wenigstens stichprobenweise (> Selbsterfahrung
im Psychotherapeutengesetz). Ein Psychiater, der Zwangsmaßnahmen
verordnet, sollte selbst Erfahrung in dem Maße mitbringen,
wie er verordnet. Externe Supervision sollte zum Pflichtprogramm gehören.
Aufsicht und Kontrolle muss streng, gründlich und unvorhersehbar durchgeführt,
die Ergebnisse natürlich veröffentlicht werden.
Überblick Gewaltausübungsformen
Pressemitteilung Nr. 62/2018 vom 24. Juli 2018, Urteil vom 24. Juli 2018, 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16
"Die Fixierung von Patienten stellt einen Eingriff in deren Grundrecht auf Freiheit der Person dar. Aus dem Freiheitsgrundrecht sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben sich strenge Anforderungen an die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs: Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss hinreichend bestimmt sein und den materiellen und verfahrensmäßigen Anforderungen genügen. Bei einer nicht nur kurzfristigen Fixierung handelt es sich um eine Freiheitsentziehung, für die Art. 104 Abs. 2 GG den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung vorsieht. Aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität ist die nicht nur kurzfristige Fixierung sämtlicher Gliedmaßen auch im Rahmen eines bereits bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses als eigenständige Freiheitsentziehung zu qualifizieren, die den Richtervorbehalt abermals auslöst, von einer richterlichen Unterbringungsanordnung also nicht gedeckt ist. Aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG folgt ein Regelungsauftrag an den Gesetzgeber, verfahrensrechtliche Bestimmungen für die richterliche Anordnung freiheitsentziehender Fixierungen zu treffen.
Mit dieser Begründung hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts auf zwei Verfassungsbeschwerden hin mit heute verkündetem Urteil die einschlägige Vorschrift des Landes Baden-Württemberg für verfassungswidrig erklärt und bestimmt, dass der baden-württembergische und der bayerische Gesetzgeber – der bislang keine spezielle Rechtsgrundlage für Fixierungen erlassen hat – verpflichtet sind, bis zum 30. Juni 2019 einen verfassungsgemäßen Zustand herbeizuführen.
Sachverhalt:
I. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 502/16 betrifft die auf ärztliche Anordnung vorgenommene, acht Stunden dauernde 7-Punkt-Fixierung des Beschwerdeführers – das heißt die Fesselung an ein Krankenbett an beiden Armen, beiden Beinen sowie um Bauch, Brust und Stirn – während eines insgesamt gut zwölfstündigen Psychiatrieaufenthalts. Das Bayerische Unterbringungsgesetz (BayUnterbrG), welches Rechtsgrundlage für die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers war, sieht keine spezielle Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung von Fixierungen vor. Der Beschwerdeführer nahm den Freistaat Bayern erfolglos auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für die aufgrund der Fixierung erlittenen Verletzungen in Anspruch. Seine Verfassungsbeschwerde ist gegen die in dem Amtshaftungsverfahren ergangenen Entscheidungen gerichtet.
II. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 309/15 betrifft die 5-Punkt-Fixierung – das heißt die Fesselung aller Extremitäten und um den Bauch an ein Krankenbett – eines in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung Untergebrachten, die über mehrere Tage wiederholt ärztlich angeordnet worden war. Der Beschwerdeführer, der Verfahrenspfleger des Untergebrachten, wendet sich mit seiner zulässigerweise in eigenem Namen erhobenen Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen den die Fixierung anordnenden amtsgerichtlichen Beschluss sowie mittelbar gegen § 25 Abs. 3 des baden-württembergischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG BW), auf dessen Grundlage der Beschluss erging.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
I. Die Fixierung eines Patienten stellt einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG) dar.
1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als „unverletzlich“. Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen. Ob ein Eingriff in die persönliche (körperliche) Freiheit vorliegt, hängt lediglich vom tatsächlichen, natürlichen Willen des Betroffenen ab. Fehlende Einsichtsfähigkeit lässt den Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht entfallen; er ist auch dem psychisch Kranken und nicht voll Geschäftsfähigen garantiert. Gerade psychisch Kranke empfinden eine Freiheitsbeschränkung, deren Notwendigkeit ihnen nicht nähergebracht werden kann, häufig als besonders bedrohlich.
2. a) Der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG umfasst sowohl freiheitsbeschränkende als auch freiheitsentziehende Maßnahmen, die das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität des Eingriffs voneinander abgrenzt. Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich wäre. Die Freiheitsentziehung als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung liegt dann vor, wenn die – tatsächlich und rechtlich an sich gegebene – Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird. Sie setzt eine besondere Eingriffsintensität und eine nicht nur kurzfristige Dauer der Maßnahme voraus.
b) Jedenfalls eine 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung, bei der sämtliche Gliedmaßen des Betroffenen mit Gurten am Bett festgebunden werden, stellt eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG dar, es sei denn, es handelt sich um eine lediglich kurzfristige Maßnahme. Von einer solchen ist in der Regel auszugehen, wenn sie absehbar die Dauer von ungefähr einer halben Stunde unterschreitet. Die vollständige Aufhebung der Bewegungsfreiheit durch die 5-Punkt- oder die 7-Punkt-Fixierung am Bett nimmt dem Betroffenen die ihm bei der Unterbringung auf einer geschlossenen psychiatrischen Station noch verbliebene Freiheit, sich innerhalb dieser Station – oder zumindest innerhalb des Krankenzimmers – zu bewegen. Diese Form der Fixierung ist darauf angelegt, den Betroffenen auf seinem Krankenbett vollständig bewegungsunfähig zu halten.
3. Aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität ist die nicht nur kurzfristige Fixierung sämtlicher Gliedmaßen auch im Rahmen eines bereits bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses als eigenständige Freiheitsentziehung zu qualifizieren, die den Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG abermals auslöst. Zwar sind im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung von der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung grundsätzlich auch etwaige Disziplinarmaßnahmen wie etwa der Arrest oder besondere Sicherungsmaßnahmen wie der Einschluss in einem enger begrenzten Teil der Unterbringungseinrichtung erfasst, durch die sich lediglich – verschärfend – die Art und Weise des Vollzugs der einmal verhängten Freiheitsentziehung ändert.
Sowohl eine 5-Punkt- als auch eine 7-Punkt-Fixierung weisen jedoch im Verhältnis zu diesen Maßnahmen eine Eingriffsqualität auf, die von der richterlichen Unterbringungsanordnung nicht gedeckt ist und eine Einordnung als eigenständige Freiheitsentziehung rechtfertigt. Die Fortbewegungsfreiheit des Betroffenen wird bei dieser Form der Fixierung nach jeder Richtung hin vollständig aufgehoben und damit über das bereits mit der Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung verbundene Maß hinaus beschnitten.
Die besondere Intensität des Eingriffs folgt bei der 5-Punkt- und der 7-Punkt-Fixierung zudem daraus, dass ein gezielt vorgenommener Eingriff in die Bewegungsfreiheit als umso bedrohlicher erlebt wird, je mehr der Betroffene sich dem Geschehen hilflos und ohnmächtig ausgeliefert sieht. Hinzu kommt, dass der Eingriff in der Unterbringung häufig Menschen treffen wird, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung die Nichtbeachtung ihres Willens besonders intensiv empfinden. Des Weiteren sind Betroffene für die Befriedigung natürlicher Bedürfnisse völlig von der rechtzeitigen Hilfe durch das Pflegepersonal abhängig. Im Verhältnis zu anderen Zwangsmaßnahmen wird die Fixierung von den Betroffenen daher regelmäßig als besonders belastend wahrgenommen. Darüber hinaus besteht auch bei sachgemäßer Durchführung einer Fixierung die Gefahr, dass der Betroffene durch die längerdauernde Immobilisation Gesundheitsschäden wie eine Venenthrombose oder eine Lungenembolie erleidet.
II. Auch schwerwiegende Grundrechtseingriffe wie Fixierungen kann der Gesetzgeber prinzipiell zulassen. Aus dem Freiheitsgrundrecht sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben sich jedoch strenge Anforderungen an die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs: Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss hinreichend bestimmt sein und als materielle Voraussetzung vorsehen, dass eine Fixierung nur als letztes Mittel angewandt werden darf, wenn mildere Mittel nicht (mehr) in Betracht kommen. Zudem muss die gesetzliche Grundlage auch Verfahrensanforderungen zum Schutz der Grundrechte der untergebrachten Person vorsehen, die auf verfahrensmäßige Sicherungen ihres Freiheitsrechts in besonderer Weise angewiesen ist. Hierzu zählen die Anordnung und Überwachung der Fixierungsmaßnahme durch einen Arzt - in Fällen der 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierung grundsätzlich begleitet von einer Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal -, die Dokumentation der maßgeblichen Gründe hierfür, ihrer Durchsetzung, Dauer sowie der Art der Überwachung. Hinzu kommt die Verpflichtung, die Betroffenen nach Beendigung der Maßnahme auf die Möglichkeit hinzuweisen, die Zulässigkeit der durchgeführten Fixierung gerichtlich überprüfen zu lassen. Die durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention gefolgerten Anforderungen gehen über die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG entwickelten Maßgaben nicht hinaus. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention steht dem Ergebnis nicht entgegen.
III. 1. Art. 104 Abs. 2 GG fügt für die Freiheitsentziehung dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes, dem das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Freiheit in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG unterworfen ist, den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht. Aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG ergibt sich ein Regelungsauftrag, der den Gesetzgeber verpflichtet, den Richtervorbehalt verfahrensrechtlich auszugestalten. Die Effektivität des durch den Richtervorbehalt vermittelten Grundrechtsschutzes hängt maßgeblich von den Verfahrensregelungen in dem jeweiligen Sachbereich ab. Um den Besonderheiten der unterschiedlichen Anwendungszusammenhänge gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber ein Verfahren zu regeln, das auf die jeweils zur Entscheidung stehende Freiheitsentziehung abgestimmt ist, und sicherzustellen, dass dem Betroffenen vor der Freiheitsentziehung alle diejenigen rechtsstaatlichen Sicherungen gewährt werden, die mit einem justizförmigen Verfahren verbunden sind. Auch wenn Art. 104 Abs. 2 GG unmittelbar geltendes und anzuwendendes Recht ist, wird der Regelungsauftrag aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG nicht obsolet. Nimmt der Gesetzgeber diesen Auftrag nicht wahr, so führt dies zur Verfassungswidrigkeit der zu der Freiheitsentziehung ermächtigenden Norm.
2. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Er zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab. Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters – jedenfalls zur Tageszeit – zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen.
3. Die Freiheitsentziehung erfordert grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung ist nur dann zulässig, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Maßnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Dies wird bei der Anordnung einer 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung zur Abwehr einer von dem Betroffenen ausgehenden akuten Selbst- oder Fremdgefährdung allerdings regelmäßig der Fall sein.
4. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert in einem solchen Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss. Sachliche Gründe, die eine Verzögerung der richterlichen Entscheidung rechtfertigen, können sich etwa aus der Notwendigkeit verfahrensrechtlicher Vorkehrungen ergeben, die dem Schutz des Betroffenen dienen und für 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierungen in der Unterbringung entsprechend gelten (zum Beispiel die persönliche Anhörung des Betroffenen und die Beteiligung des Verfahrenspflegers). Wird zur Nachtzeit von einem Arzt zulässigerweise eine Fixierung ohne vorherige richterliche Entscheidung angeordnet, wird deshalb eine unverzügliche nachträgliche richterliche Entscheidung im Regelfall erst am nächsten Morgen ergehen können. Um den Schutz des Betroffenen sicherzustellen, bedarf es in diesem Zusammenhang eines täglichen richterlichen Bereitschaftsdienstes, der – in Orientierung an § 758a Abs. 4 Satz 2 ZPO – den Zeitraum von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr abdeckt.
IV. Nach diesen Maßstäben sind die Verfassungsbeschwerden begründet. Die gerichtlichen Entscheidungen verletzen den Betroffenen zu I. beziehungsweise den Beschwerdeführer zu II. jeweils in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG.
1. § 25 PsychKHG BW genügt zwar weitgehend den Anforderungen von Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Insbesondere regelt die Vorschrift die Einschränkung der persönlichen Freiheit aus einem wichtigen Grund, namentlich zum Schutz der Sicherheit in der anerkannten Einrichtung und des Betroffenen vor einer erheblichen Selbstgefährdung und bedeutender Rechtsgüter Dritter, begründet mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr eine hohe Eingriffsschwelle und sieht verfahrensrechtliche Regelungen vor, die den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht werden.
Allerdings enthält die Vorschrift keine Regelung dahingehend, dass der Betroffene nach Beendigung einer Fixierung oder funktionsäquivalenten Maßnahme auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit hinzuweisen ist. Außerdem ist der Gesetzgeber dem sich aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG ergebenden Regelungsauftrag nicht nachgekommen, soweit auch für eine 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung nur eine ärztliche Anordnung, aber keine richterliche Entscheidung vorgesehen ist. Für die an dem Betroffenen zu I. vorgenommene 5-Punkt-Fixierung fehlt es an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage.
Daher verletzt der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts Ludwigsburg den Betroffenen zu I. in seinem Freiheitsgrundrecht. Es ist zunächst Sache der Fachgerichte, die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen, gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren und bei negativem Ausgang der Prüfung die Sache im Verfahren der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann von den Fachgerichten überdies von Amts wegen – unabhängig von einer entsprechenden Rüge des jeweiligen Klägers – zu prüfen sein. Das Amtsgericht hat in der angegriffenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass der baden-württembergische Gesetzgeber die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen den Ärzten der anerkannten Einrichtung übertragen, jedoch keinen Richtervorbehalt normiert habe und die Fixierung daher nur daraufhin überprüft werden könne, ob die Ärzte den § 25 PsychKHG BW beachtet hätten. Damit hat das Amtsgericht lediglich die ärztliche Anordnung auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft, ohne die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage in Frage zu stellen.
2. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München im Amtshaftungsverfahren verletzt den Beschwerdeführer zu II. in seinem Freiheitsgrundrecht. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts stellt Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 BayUnterbrG keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Fixierung des Beschwerdeführers zu II. dar. Die Vorschriften genügen weder den Bestimmtheitsanforderungen von Art. 104 Abs. 1 GG, weil sie keine konkret auf die Anordnung von Fixierungen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung bezogene Regelung enthalten, noch verlangen sie eine richterliche Anordnung für die Freiheitsentziehung durch die erfolgte 7-Punkt-Fixierung.
V. Die teilweise Verfassungswidrigkeit des § 25 PsychKHG BW in Bezug auf Fixierungen führt nicht zu dessen Teilnichtigkeit. Die sofortige Ungültigkeit der Norm würde hier dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Betroffenen selbst und bedeutender Rechtsgüter Dritter vor erheblichen Gefahren die Grundlage entziehen, da Fixierungen unter keinen Umständen mehr zulässig wären, ohne dass dem Gesetzgeber oder der Praxis Gelegenheit gegeben würde, sich auf die neue Lage einzustellen und gleichwertige Handlungsalternativen zu schaffen. Hierdurch käme es zu einer Schutzlücke, weil grundrechtliche Belange sowohl der untergebrachten Person als auch des Klinikpersonals und der Mitpatienten jedenfalls gefährdet würden. Die Abwägung der verfassungsrechtlichen Mängel der Vorschrift mit den betroffenen Grundrechten führt dazu, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist, denn die Defizite des § 25 PsychKHG BW betreffen die an eine materiell grundsätzlich zulässige Maßnahme zu stellenden Verfahrensanforderungen, wohingegen im Fall der Teilnichtigkeit der Norm der materielle Schutz von Grundrechten des Betroffenen und Dritter selbst auf dem Spiel stünde.
VI. 1. In Baden-Württemberg ist der jedenfalls für 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierungen geltende Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 GG während eines Übergangszeitraums bis zum 30. Juni 2019 unmittelbar anzuwenden. Das Verfahren kann in dieser Zeit den §§ 312 ff. FamFG und §§ 70 ff. FamFG entsprechend durchgeführt werden. Zudem folgt in der Übergangszeit unmittelbar aus dem Freiheitsgrundrecht die Pflicht der behandelnden Ärzte, den Betroffenen nach Erledigung der Fixierungsmaßnahme auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine richterliche Entscheidung zu beantragen.
2. Dass es im Freistaat Bayern derzeit insgesamt an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für die Anordnung von Fixierungen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung fehlt, führt für eine Übergangszeit bis zum 30. Juni 2019 ebenfalls nicht zur Unzulässigkeit einer solchen Maßnahme.
a) Das Bundesverfassungsgericht kann einen verfassungswidrigen Rechtszustand vorübergehend hinnehmen, um eine Lage zu vermeiden, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch ferner stünde als der bisherige Zustand. Solange der bayerische Gesetzgeber keine Entscheidung darüber getroffen hat, in welcher Weise er einen verfassungsgemäßen Zustand herstellen und ob er an der Fixierung als besonderer Sicherungsmaßnahme festhalten will, würde auch im Freistaat Bayern eine Schutzlücke entstehen. Bei der erforderlichen Abwägung des festgestellten verfassungsrechtlichen Mangels mit den Konsequenzen eines sofortigen Verbots der Fixierung überwiegt, wie auch im Fall Baden-Württembergs, das Interesse an einer vorübergehenden Zulässigkeit der Fixierung zum Schutz der Rechtsgüter aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Anordnung von Fixierungen muss daher auch im Freistaat Bayern vorübergehend ohne die an sich erforderliche gesetzliche Grundlage hingenommen werden.
b) Dies bedeutet allerdings nicht, dass Fixierungen untergebrachter
Personen im Freistaat Bayern in der Übergangszeit beliebig zulässig
wären. Vielmehr ist angesichts des hohen Werts des Freiheitsgrundrechts
bei jeder Fixierung zu prüfen, ob und wie lange diese unerlässlich
ist, um eine gegenwärtige erhebliche Selbstgefährdung oder eine
gegenwärtige erhebliche Gefährdung bedeutender Rechtsgüter
anderer abzuwenden. Zudem gilt jedenfalls für die 5-Punkt- und die
7-Punkt-Fixierung der Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 GG unmittelbar.
Auch ist der Betroffene nach Beendigung der Maßnahme auf die Möglichkeit
einer gerichtlichen Überprüfung hinzuweisen.
Kommentar
von Heribert Prantl in der SZ vom 24. Juli 2018, 12:04 Uhr
Urteil des Bundesverfassungsgerichts "Die Psychiatrie
ist keine Entrechtungsanlage Das Bundesverfassungsgericht schützt
psychisch Kranke: Fixierung nur mit richterlicher Genehmigung. Ein gutes
Urteil, denn das Recht ist besonders für Schutzbedürftige da.
....
Das Urteil reagiert auf Urängste
Das Urteil sagt: Die Psychiatrie bedarf der Verrechtlichung.
Das Urteil sagt: Die Freiheitsbeschränkung, die Gefängnis und
Psychiatrie mit sich bringen, schließt nicht automatisch weitere,
zusätzliche, härtere und schärfere Formen der Freiheitsberaubung
mit ein. Das Urteil sagt: Über solche Freiheitsberaubung, über
die Fesselung, darf nicht allein der Arzt entscheiden, der dann die Fixierung
auch vollzieht. Da muss ein Richter entscheiden. Und wenn er, weil es ganz
schnell gehen muss, nicht so schnell entscheiden kann? Dann darf die Fixierung
nur sehr kurze Zeit dauern, dann muss vom Arzt ausgiebig dokumentiert und
der Kranke sehr sorgfältig überwacht werden. Dann muss die Fixierung
nachträglich überprüft werden. ..."
Statistik der Fixierung
"1. Zahlen zur Zwangsbehandlung? Begründung für Unterschiede
im Vergleich der Bundesländer / im internationalen Vergleich?
Eine Vergleichbarkeit der Zwangseinweisungen, bzw. Zwangsbehandlungen
ist im internationalen Vergleich kaum möglich. Beispielsweise sind
mechanische Fixierungen in England verboten. Die dortige Technik des Festhaltens
wird wiederum in Deutschland in der Regel nicht als Zwangsbehandlung dokumentiert,
sie
ist eher Teil einer anderen Maßnahme, wie der Vorbereitung zur
Fixierung oder Zwangsmedikation. In der Schweiz gibt es im Gegensatz zu
Deutschland ambulante Zwangsmaßnahmen, und schon eine „schwerwiegende
Störung des Gemeinschaftslebens berechtigt zum Ergreifen von Freiheitsbeschränkenden
Maßnahmen (Art 382 ff ZGB)“. Ähnlich heterogen ist die Situation
in den verschiedenen deutschen Bundesländern mit unterschiedlichen
PsychKG’s. Weiter heruntergebrochen
finden wir sehr unterschiedliche Interpretationen der gesetzlichen
Vorgaben auf institutioneller Ebene und letztlich sogar innerhalb eines
psychiatrischen Krankenhauses.
„Steinert et al. (2010) kommen in ihrer Untersuchung
für Deutschland zu dem Ergebnis, dass auf der Grundlage ihrer Daten
eine mechanische Fixierung im Durchschnitt 9,8 Stunden, eine Isolierung
im Mittel 6,6 Stunden andauert. Dabei kommen ihnen zufolge bei 100.000
Patientinnen und Patienten pro Jahr insgesamt etwa 314 Maßnahmen
der Fixierung und Isolierung vor. In einem Vergleich von sieben Schweizer
und sieben deutschen Kliniken (Martin et. al 2007) liegen die Zeiten bei
den betrachteten Kliniken in Deutschland für die Fixierung im Mittel
bei 9,4 Stunden und für die Isolierung im Mittel bei 5,2 Stunden (bezogen
auf die Diagnosegruppe ICD-10-Hauptdiagnosegruppe F2). Auf der Grundlage
ihrer Ergebnisse kommen Martin et al. zu der Aussage, dass an den beteiligten
deutschen Kliniken die mechanische Fixierung eher als die Isolierung zur
Anwendung kam. Als Erklärung für dieses unterschiedliche Vorkommen
beider Zwangsmaßnahmen vermuten sie einen Zusammenhang zwischen in
den Kliniken vorzufindende n Mustern bzw. Traditionen im klinischen Alltag,
der sich auch innerhalb beider Länder zeigte (Martin et al. 2007).“
(Nienaber 2012)
Insbesondere Menschen mit Demenz haben ein hohes
Risiko von Zwangsmaßnahmen betroffen zu sein. Insgesamt beträgt
die Prävalenz der Zwangsmaßnahmen in Alters- und Pflegeheimen
zwischen 41% und 64% (Hamers 2005, Bredthauer 2005).
Quelle: "Sachfragen an die Mitglieder der DGPPN/DGSGB/DFPP"
in Deutsche Fachgesellschaft für psychiatrische Pflege, Arbeitskreis
„Zwangsmaßnahmen in der psychiatrischen Versorgung“ der Zentralen
Ethikkommission bei der Bundesärztekammer Expertenanhörung am
Freitag, 04.05.2012." [PDF]
Vorstellungsunterstützung Fixierbett und Zwangsjacke
Fixierliege mit Zwangsjacke von Ciell
aus Wikipedia., Zwangsjacke Klaus witk K (vorne,
hinten)
Konsensbemühung mit dem psychisch Kranken
Zwangsmaßnahmen
und Folter in der forensischen Psychiatrie
Nach den folgenden Informationen zur Folter, unmenschlichen oder erniedrigenden
Behandlungen von Amnesty International und dem Karlsruher Kommentar
zum MRK Artikel 3 erfüllen die Fixierung und Zwangsmedikation ("Betonspritze")
in aller Regel dieser Kriterien. Damit gehört die Zwangspsychiatrie
und ihre Gewaltmaßnahmen nach meiner Bewertung vor den Europäischen
Menschenrechtsgerichtshof. Das möchte ich hier zur Diskussion stellen.
Amnesty International definiert:
Karlsruher
Kommentar zu MRK Artikel 3 Verbot der Folter
Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung von Schädler/Jakobs,
7. Auflage 2013, Rn 1-12,
Einzelfallprüfung Ob Handlungen als Folter qualifiziert werden können hängt nach der Rechtsprechung des EGMR (Rn 3) "von den Umständen des Einzelfalles ab, ob die schwere Misshandlung eines Menschen als Folter zu bewerten ist. Hierbei spielt die Dauer der Misshandlung und die Folgen beim Opfer eine Rolle, die ihrerseits vom Alter, Gesundheitszustand und vom Geschlecht abhängig sein können (EGMR 18.1.1978 „Irland“, EuGRZ 1979, 149 Nr 162)."
Folter und unmenschliche Behandlung Rn 4: "... Der EGMR definiert als unmenschlich eine Behandlung, die absichtlich schwere körperliche oder geistige Leiden verursacht und die in der besonderen Situation nicht zu rechtfertigen sind (EGMR 18.1.1978 „Irland“, EuGRZ 1979, 153). Die Abgrenzung zur Folter ist schwierig, wenn dem Opfer die Leiden vorsätzlich zugefügt werden (Meyer-Ladewig Rn 20 ff; LR-Esser Rn 66). Hinzu kommt, dass bei der Abgrenzung der Folter von der unmenschlichen Behandlung der EGMR die zunehmend höheren Anforderungen an den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten berücksichtigt und die Definition der UN-Antifolterkonvention im Sinne dieser höheren Anforderungen ausgelegt wissen möchte (EGMR 28.7.1999 „Selmouni“, NJW 2001, 56 Nr 101 mwN). Dies hat zur Folge, dass früher nur als unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen eingestufte Vorgehensweisen jetzt als Folter eingestuft werden können. Dieses hängt wiederum vom Mindestmaß der Schwere des jeweiligen Einzelfalles ab (EGMR aaO; EGMR 30.6.2008 „Gäfgen“, NStZ 2008, 699 Nr 69, der die Androhung einer Folter nur als unmenschliche Handlung qualifiziert)."
Folter und erniedrigende Behandlung Rn 6: "Eine Behandlung ist erniedrigend, wenn sie das Opfer demütigt und es unter Missachtung seiner Würde gröblich herabsetzt. So, wenn es gezwungen wird, gegen sein Gewissen und seinen eigenen Willen zu handeln (EKMR 7.3.1988 „E.“, bei Strasser EuGRZ 1990, 86 Nr 1). So kann eine Behandlung als erniedrigend angesehen werden, wenn sie beim Opfer Gefühle der Angst, des Schmerzes und der Unterlegenheit erweckt, die geeignet sind, es zu demütigen und möglicherweise seinen körperlichen und moralischen Widerstand zu brechen (EGMR 27.9.1999 „Smith u. Grady“, NJW 2000, 2089 Nr 120)."
Abgrenzungsprobleme Rn 7 "Die erniedrigende Behandlung ist der schwächste Verstoß gegen Art 3 MRK und in der Folter bzw der unmenschlichen Behandlung immer mit enthalten (LR-Esser Rn 71). Sie muss einen gewissen Schweregrad erreichen und das Opfer erheblich beeinträchtigen. Intensive körperliche oder seelische Schmerzen müssen im Gegensatz zur Folter und zur unmenschlichen Behandlung nicht mit einer Erniedrigung verbunden sein (LR-Esser aaO). Die Abgrenzung zu rechtskonformen, hoheitlichen Vorgehensweisen, die notwendigerweise mit einer Behandlung oder Bestrafung einhergehen, fällt nicht leicht."
Nach Dettmeyer (2006), S. 392:
"Übersicht 18.3. Mechanische Fixierung eines Patienten, §
20 PsychKG NW
Montiert aus dem "Anordnungsblatt Zwangsmaßnahmen - Fixierung"
der Frauenforensik Taufkirchen:
Nachbesprechung
von Zwangsbehandlungen (DGPPN-LL 12, 8.5.5)
Leitlinien der DGPPN zur Handhabung
von aggressivem Verhalten [Kurzversion
PDF]
Aus der Stellungnahme
der DGPPN zum Bundesverfassungsgerichtsurteil
zu mechanischen Zwangsmaßnahmen
Steinert,
Tilman (2011a), S. "Zusammenfassung
Hamers,
J. P. H. & Huizing, A. R. (2005), S. 19f: "Zusammenfassung
Der Tod von Holger Z
Am 27.2.2011 wurde Holger Z. stranguliert in seiner Zelle im ÖHK
Mühlhausen aufgefunden.
Nach Quelle: https://igelin.blog.de/2013/12/22/tod-holger-z-17450088/
MDR berichtet verzerrt über den Tod von Holger Z: https://www.meinungsverbrechen.de/index.php?s=zierd
EUMR: https://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-142884#{%22itemid%22:[%22001-142884%22]}
Dennis Stephan (jw 27.1.14): "In der Vitos-Klinik in Gießen ist dieser eine gekachelte Zelle mit angeschraubtem Tisch und Stuhl, Gummimatratze und Klo, Tag und Nacht grell beleuchtet und videoüberwacht."
Medizinisch-Psycho-Pathologische
Literatur
Behandlung
und Psychotherapie im Maßregelvollzug (Auszug)
Videos zur
Gewalt in der Psychiatrie
_
[Noch prüfen:
https://www.redufix.de/cms/website.php?id=/de/projekt.html&sid=ked3gaco28nfdld88fid204ok6
https://www.body-fix.de/
Mitteilungen der DGPPN 2006 zur
Gesundheitsreform
https://emedhan.bib.uni-erlangen.de/han/SECM/download.springer.com/static/pdf/159/art%253A10.1007%252Fs00115-006-2230-8.pdf?auth66=1393099699_cb591a3697a2ea7517d194468ff4bbad&ext=.pdf
]
. | einheitswissenschaftliche
Sicht. Ich vertrete neben den Ideen des Operationalismus, der Logischen
Propädeutik und einem gemäßigten Konstruktivismus
auch die ursprüngliche einheitswissenschaftliche Idee des Wiener
Kreises, auch wenn sein Projekt als vorläufig gescheitert angesehen
wird und ich mich selbst nicht als 'Jünger' betrachte. Ich meine dennoch
und diesbezüglich im Ein- klang mit dem Wiener
Kreis, daß es letztlich und im Grunde nur eine
Wissenschaftlichkeit gibt, gleichgültig, welcher spezifischen
Fachwissenschaft man angehört. Wissenschaftliches Arbeiten folgt einer
einheitlichen und für alle Wissenschaften typischen Struktur, angelehnt
an die allgemeine
formale Beweisstruktur.
Schulte, Joachim & McGuinness, Brian (1992, Hrsg.). Einheitswissenschaft - Das positive Paradigma des Logischen Empirismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Geier, Manfred (1992). Der Wiener Kreis. Reinbek: Rowohlt (romono). Kamlah, W. & Lorenzen, P. (1967). Logische Propädeutik. Mannheim: BI. |
Wissenschaft [IL] schafft Wissen und dieses hat sie zu beweisen, damit es ein wissenschaftliches Wissen ist, wozu ich aber auch den Alltag und alle Lebensvorgänge rechne. Wissenschaft in diesem Sinne ist nichts Abgehobenes, Fernes, Unverständliches. Wirkliches Wissen sollte einem Laien vermittelbar sein (PUK - "Putzfrauenkriterium"). Siehe hierzu bitte das Hilbertsche gemeinverständliche Rasiermesser 1900, zu dem auch gut die Einstein zugeschriebene Sentenz passt: "Die meisten Grundideen der Wissenschaft sind an sich einfach und lassen sich in der Regel in einer für jedermann verständlichen Sprache wiedergeben." |
Allgemeine
wissenschaftliche
Beweisstruktur
und beweisartige Begründungsregel
Sie ist einfach - wenn auch nicht einfach durchzuführen - und lautet: Wähle einen Anfang und begründe Schritt für Schritt, wie man vom Anfang (Ende) zur nächsten Stelle bis zum Ende (Anfang) gelangt. Ein Beweis oder eine beweisartige Begründung ist eine Folge von Schritten: A0 => A1 => A2 => .... => Ai .... => An, Zwischen Vorgänger und Nachfolger darf es keine Lücken geben. Es kommt nicht auf die Formalisierung an, sie ist nur eine Erleichterung für die Prüfung. Entscheidend ist, dass jeder Schritt prüfbar nachvollzogen werden kann und dass es keine Lücken gibt. |
Allgemeines und Integratives
Bio-Psycho-Soziales Krankheitsmodell
Im allgemeinen Modell wird von einem Systemstörungsmodell ausgegangen, bei dem wir folgende Entwicklungsstadien unterscheiden: 1) Ursachen, Bedingungen und Auslöser der Störung. 2) die Bewertung einer Störung als Krankheit. Zum Wesen der Krankheit definiert man zweckmäßig eine - wichtige - (Funktions-) Störung (nach Gustav von Bergmann [1878-1955] 1932). 3) unterschiedliche Auswirkungen (lokale, zentrale, allgemeine, spezielle) der Störung. 4) Erfassen und Informationsverarbeitung der Störung und 5) aus Wiederherstellungsprozeduren: der Auseinandersetzung zwischen den Kräften der Störung und der Heilung. Störungen können exogener (ausserhalb des Systems) oder endogener (innerhalb des Systems) Natur sein. Störungen haben im allgemeinen Ursachen, womit sich in der allgemeinen Krankheitslehre die Ätiologie beschäftigt. Entwickelt sich eine Störung in der Zeit, wie meistens, heißt dieser Vorgang Pathogenese. Unklar ist meist der Symptombegriff, der eine dreifache modelltheoretische Bedeutung haben kann:__
1) es ist ein Zeichen der Störung (z. B. bestimmte Antigene im Körper; Angst);
2) es ist ein Zeichen der Spontanreaktion auf die Störung (z. B. bestimmte Antikörper gegen die Antigene; Vermeiden);
3) es ist ein Zeichen der Wiederherstellungsprozedur, also Ausdruck des "Kampfes" zwischen Krankheit und Heilungsvorgängen (z. B. Fieber; Ambivalenzkonflikt zwischen Vermeiden und Stellen).
DasUrsachenproblem ist wissenschaftstheoretisch problematisch aus zwei prinzipiellen und aus einem vermeidbaren Grund: (1) Im Kausalitätskonzept gibt es streng betrachtet nur einen vielfach verzweigten Baum von Ursachen. Jede ausgemachte Ursache kann prinzipiell wiederum auf andere Ursachen zurückgeführt oder zumindest auf andere zurückgeführt gedacht werden. Welche dieser vielen Ursachen soll als die besondere ausgezeichnet werden? In der Wirklichkeit handelt es sich wohl meist um einen Ursachenkomplex, ein Netzwerk von Bedingungen. (2) Man muß zwischen Bedingungen (Rahmen- oder Randbedingungen), Anlässen oder Auslösern, Neben- und Begleiterscheinungen unterscheiden, was häufig sehr schwierig ist.
Praktische Anwendung und Veranschaulichung: Das Buch Eva -Ticket ins Paradies.(3) Die psychischen Ereignisse können mehrperspektivisch betrachtet werden: z. B. physikalisch, biologisch, chemisch, physiologisch, neurologisch, internistisch, psychopharmakologisch, immunologisch, kybernetisch, psychologisch, sozial-ökonomisch, sozialpsychologisch, sozial-rechtlich und kommunikativ. Hinzu kommt, daß in der Computermetapher Hardware als körperlich und Software als psychisch die Realisation im "Betriebssystem Mensch" vielfach miteinander verflochten und vernetzt ist. Man kann es den biokybernetischen Ereignissen im Körper nicht unbedingt ansehen, ob sie "Hardware" oder "Software" repräsentieren. So finden wir häufig in den Mitteilungen und Büchern drei Ebenen durcheinander gehend: a) Perspektive (z. B. physikalisch, chemisch, biologisch, medizinisch, psychologisch, sozial), b) Hard- oder Software-Repräsentation, c) Ursache, Neben- und Begleiterscheinung oder Wirkung. Unbeschadet der Probleme, ist die konzeptionelle Vorsehung einer oder mehrerer Ursachen (Bäume oder Zweige) natürlich sinnvoll und vernünftig. Die Neigung mancher SystemikerInnen und VulgärkonstruktivistInnen, das Ursachenproblem herunterzuspielen oder gänzlich für überflüssig zu erklären, können wir in der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie weder teilen noch akzeptieren. > Krankheitsbegriff.
Vieles, was wir Seele und Geist zurechnen, ist nicht direkt beobachtbar. Die Merkmale von Seele und Geist sind Konstruktionen. Daher sind Aussagen über Seele und Geist (befinden, fühlen, denken, wünschen, wollen, eingestellt sein, ...) besonders anfällig für Fehler. Damit man sich nicht in rein geistigen Sphären bewegt, ist es daher in vielen Fällen sinnvoll, ja notwendig, unsere Konstruktionen seelischer Merkmale und Funktionsbereiche an Konkretes, Sinnlich-Wahrnehmbares, Zählbareszu knüpfen. Damit haben wir die wichtigsten praktisches Kriterien für Operationalisiertes benannt (in Anlehnung an das test-theoretische Paradigma; Stichwort Operationalisierung bei Einsicht und Einsichtsfähigkeit)___
Ein Begriff kann demnach als operationalisiert gelten, wenn sein Inhalt durch wahrnehm- oder zählbare Merkmale bestimmt werden kann. Viele Begriffe in der Psychologie, Psychopathologie, in Gesetzen und in der Rechtswissenschaft sind nicht direkt beobachtbare Konstruktionen des menschliches Geistes und bedürften daher der Operationalisierung. Welcher ontologische Status oder welche Form der Existenz ihnen zukommt, ist meist unklar.
Das Operationalisierungsproblem von Fähigkeiten. Ob einer etwas kann oder nicht, lässt sich im Prinzip leicht prüfen durch die Aufforderung, eine Fähigkeitsprobe abzulegen in der eine Aufgabe bearbeitet wird, z.B. die Rechenaufgabe 12 - 7 + 1 = ? Hierbei gibt es eine ganze Reihe richtiger Lösungen, z.B.: (1) die Hälfte des ersten Summanden, (2) 5 + 1, 7 - 1 oder (3) die, an die die meisten zuerst denken: 6. Will man prüfen, ob jemand rechtmäßige von unrechtmäßigen Handlungen unterscheiden gibt kann, gibt man z.B. 10 Aufgaben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden vor und lässt diese bearbeiten, etwa als einfacher Ja-Nein-Test oder als Begründungs- oder Erörterungsaufgabe, wenn tiefere Einblicke gewünscht werden. Doch wie will man herausbringen, ob jemand vor drei Monaten, am TT.MM.JJJJ um 13.48 Uhr als man einen Gegenstand (z.B. einen Fotoapparat) in seiner Tasche wiederfand, wusste, dass dieser Gegenstand nicht in seine Tasche hätte gelangen dürfen?
> Drei Beispiele Innere Unruhe, Angst, Depression (Quelle)
Merkmal (latente Dimension) Operationalisierung(en) (a) Innere Unruhe Ich bin innerlich unruhig und nervoes. (b) Angst Ich fuehle Angst. (c) Depression Nicht selten ist alles wie grau und tot und in mir ist nur Leere.
Zur Geschichte des Operationalisierungsbegriffs in der Psychopathologie
Kendell (1978) berichtet, S. 27f: "Vor einigen Jahren machte der Philosoph Carl Hempel einem Publikum von Psychiatern und klinischen Psychologen, die an Fragen der Diagnose und der Klassifikation interessiert waren, in taktvoller Weise den Vorschlag, sie sollten das Problem dadurch angehen, daß sie „operationale Definitionen" für alle die verschiedenen Krankheitskategorien in ihrer Nomenklatur entwickelten (Hempel 1961). Dies war wirklich der einzige Rat, den ein Philosoph oder Naturwissenschaftler überhaupt hätte geben können. Der Ausdruck operationale Definition wurde ursprünglich von Bridgman (1927) geprägt, der ihn folgendermaßen definierte:
„Die operationale Definition eines wissenschaftlichen Begriffes ist eine Übereinkunft des Inhalts, daß S auf alle die Fälle - und nur auf die Fälle - anzuwenden ist, bei denen die Durchführung der Testoperation T das spezielle Resultat 0 ergibt.
Wie Hempel selbst zugibt, muß im Rahmen der psychiatrischen Diagnose der Ausdruck „operational" sehr großzügig interpretiert werden, um auch noch bloße [>28] Beobachtungen mit einschließen zu können. Im Grunde genommen sagt er nicht mehr, als daß die Diagnose S auf alle die Personen, und nur auf die, angewandt werden sollte, die das Merkmal Q bieten oder die dem entsprechenden Kriterium genügen, wobei nur die Voraussetzung erfüllt sein muß, daß O „objektiv" und „intersubjektiv verifizierbar" ist und nicht nur intuitiv oder einfühlend vom Untersucher erfaßt wird.
Daraus ergibt sich die Schwierigkeit, wie man eine ganze Reihe klinischer Bilder, von denen viele quantitativ variieren und kein einzelnes gewöhnlich ausreicht, die fragliche Diagnose zu stellen, auf ein einziges objektives Kriterium 0 reduzieren kann. Dies ist offensichtlich eine schwierige und verwickelte Aufgabe. Ein großer Teil dieses Buches ist direkt oder indirekt mit der Art und Weise befaßt, wie dieses Ziel erreicht werden könnte. Deshalb ist es angezeigt, an dieser Stelle zwei allgemeine Prinzipien, die sich hierauf beziehen, aufzustellen. Erstens müssen Einzelsymptome oder Merkmale, die verschiedene Ausprägungsgrade haben können, in dichotome Variable umgewandelt werden, indem man ihnen bestimmte Trennungspunkte zuteilt, so daß die Frage nicht länger lautet: „weist der Patient das X auf? " oder auch „wieviel X weist er auf? sondern „weist er soviel X auf? ". Zweitens muß das traditionelle polythetische Kriterium in ein monothetisches umgewandelt werden. Dies läßt sich ganz einfach durchführen. Anstatt zu sagen, die typischen Merkmale der Krankheit S seien A, B, C, D und E, und die Mehrzahl von ihnen müßte vorhanden sein, bevor die Diagnose gestellt werden kann, müssen A, B, C, D und E algebraisch kombiniert werden, sodaß eindeutig festgelegt ist, welche Kombinationen dem Kriterium O genügen und welche nicht.
Man könnte z.B. die Übereinkunft treffen, daß beliebige drei oder vier der fünf Merkmale dem Kriterium 0 genügen, aber andere, komplexere Kriterien wären ebenfalls zu akzeptieren unter der Voraussetzung, daß sich jede mögliche Kombination damit abdecken ließe."
Kleinste Einheit für eine Störung, die aus Daten nach Regeln erschlossen und gedacht werden.__
Symptomverzeichnis nach PSE, Wing et al. (1984).
Name für eine als typisch gedachte Konfiguration von Symptomen, wobei nach dem medizinischen Krankheitsmodell einem Syndrom unterschiedliche Störungen mit Krankheitswert oder Erkrankungen zugeordnet sein sein können, so daß sich hier die Differentialdiagnose der Ätiologie stellt.__
Gross (1969, S. 15f) führt zur Geschichte des Syndrombegriffs aus:
"Heute hat sich unter dem Eindruck des Standardwerkes von LEIBER und OLBRICH [84] sowie ähnlicher ausländischer Publikationen [33, 277] sozusagen zwischen Symptom und Krankheit das Syndrom (....... = zusammenlaufend, übereinstimmend) geschoben. Der Ausdruck Syndrom wurde bereits von Hippokrates sowie von Galen als Begriff für eine Gruppe von Krankheitszeichen benutzt. Werden Syndrome — wie das gelegentlich geschieht — als reine Symptomkombinationen verstanden, haben sie allenfalls Bedeutung im Sinne einer Vereinfachung. Symptomenkomplexe (oder „Syndrome" in diesem allgemeinen Sinn) dürfen nicht mit Diagnosen verwechselt werden.
Eine Anämie oder ein Pleuraerguß sind z. B. solche Symptomenkomplexe, die allenfalls symptomatische Maßnahmen erlauben. Erst die Diagnosen: 'Perniciöse Anämie' bzw. 'Tuberkulöse Pleuritis' erlauben eine kausale Behandlung.
In einigen neueren amerikanischen Arbeiten (z.B. [37]) wird Syndrom weitgehend identifiziert mit den Clusters (Gruppen, Haufen) der Sets einer medizinischen Taxonomie (s. dazu auch Abschnitt 4.24).
Ohne weiteres Eingehen auf die komplizierte Abgrenzung [84, 368] sei hier zusammengefaßt, daß die meisten Kliniker heute unter einer Krankheit eine Gruppe von Symptomen mit einheitlicher Entstehung (Pathogenese) und einheitlicher tieferer Ursache (Ätiologie, s. u.), unter einem Syndrom eine ähnliche Gruppe von Symptomen mit unbekannter der verschiedener Ursache verstehen. LEIBER [84] definiert in gleichem Sinn: „Ein symptomatologisch einheitliches Krankheitsbild, dessen Auslösungs- und Gestaltungsfaktoren unbekannt, vieldeutig oder plurikausal (... polyätiologisch ... polypathogenetisch ...) sind." Auch in der treffenden Formulierung wird man ihm folgen müssen, daß der Syndrombegriff ein erstes, großes, weit gefaßtes nosologisches Sammelbecken, ist, gewissermaßen für die „Krankheiten im Wartestand". Dagegen halte ich die Einbeziehung der individuellen physischen und psychischen Reaktionen in den Syndrombegriff für verfehlt. Hier wird die Polarität zwischen Krankheiten (in deren Vorfeld LEIBER mit Recht auch das Syndrom verlegt) und Kranken, zwischen nosologischer Typisierung und Berücksichtigung der individuellen Reaktion (s. Kap. 1.2) verwässert — gewiß zum Schaden der begrifflichen Klarheit. Auch sonst hat es nicht an Kritik des Syndrombegriffes gefehlt. So muß verlangt werden, daß die Kombination von Symptomen eine mehr als zufällige ist [361] — eine theoretisch einleuchtende, aber bei den oft seltenen Syndromen schwer zu erfüllende Forderung. Verständlicherweise ist die Tendenz zur Aufteilung von Krankheitseinheiten relativ groß, besonders wenn die Verknüpfung mit einem Eigennamen der per-[>16]sönlichen oder nationalen Eitelkeit entgegenkommt. Da viele Syndrome aber statt langatmiger Aufzählung der Merkmale mit einem Namen (oft: welchem von vielen?) ausreichend gekennzeichnet sind, werden wir wohl auch in Zukunft mit ihnen zu tun haben.
LEIBER [368] gab neuerdings folgende Zahlen: Sein Buch enthält 1600 Syndrome, seine Kartei 3500 (auf deren Aufführung er zum Teil wegen ihrer Unbestimmtheit verzichtet hat). Er rechnet mit derzeit etwa 30 000 Krankheiten und Syndromen sowie mit mindestens einer Verdoppelung innerhalb der nächsten 10—12 Jahre. Vergleichsweise enthält der derzeit beste klinische Diagnosenschlüssel in deutscher Sprache von IMMICH [67] rd. 8000 nosologische und 750 topographische Begriffe, die parallel benutzt werden sollen. Eine amerikanische Schätzung kommt auf etwa 10 000 bekannte Krankheiten und 100 000 erfaßbare Befunde [409]. Alle diese Zahlen sind allerdings noch um einen gewissen Prozentsatz von Synonyma zu vermindern, die teilweise erst eine künftige taxonomische Klassifizierung aufdecken wird (s. auch Abschnitt 4.24).
Die Diagnose als Verknüpfung von Symptomen und Krankheiten hat von der Tatsache auszugehen, daß die meisten Symptome bei mehreren Erkrankungen vorkommen und umgekehrt — ja, daß die bereits genannten unspezifischen Symptome bei einer Vielzahl von Krankheiten beobachtet werden. Ausgehend von einem Leitsymptom, wie z, B. Schwindel, wird man also eine Anzahl von Krankheiten unterscheiden müssen. Dieses Ziel nennt man Differentialdiagnose, den Weg dorthin Differentialdiagnostik.
Streng genommen gibt es zwei Arten von Differentialdiagnostik: Eine allgemeine (semiologische), die von bestimmten Krankheitserscheinungen ausgehend die möglichen Ursachen katalogisiert, und eine spezielle (nosologische), die für die einzelnen Krankheiten aufzählt, von welchen ähnlichen sie mit welchen Mitteln abgegrenzt werden müssen. Tatsächlich sind die meisten Lehrbücher der Differentialdiagnostik Kombinationen aus beiden Ansprüchen. Es wird auch wenig beachtet, daß „Differentialdiagnose" ein schlechter Ausdruck, ein typisch lateinisch-griechischer [griechisch] ("Sag eines mit zwei Worten") ist: Differentiare heißt unterscheiden, [griechisch oder griechisch] ist die Unterscheidung, zusammen also: Die Unterscheidung des Unterschiedes oder des Unterscheidbaren. Auch der Gebrauch von "Differentialdiagnose" ist verschieden: Man gelangt zur Differentialdiagnose, d.h. zur Feststellung der tatsächlich vorliegenden Krankheit. Bei der systematischen Darstellung von Krankheiten werden andererseits deren Differentaldiagnosen, d. h. gerade die in diesem Fall nicht zutreffenden, abzugrenzenden Erkrankungen aufgezählt."
__
Wahn.
Definition: Wahn liegt vor, wenn mit rational unkorrigierbarer
(Logik,
Erfahrung) Gewissheit ein falsches Modell der Wirklichkeit
oder ein falscher Erkenntnisweg zu einem richtigen oder falschen
Modell der Wirklichkeit vertreten wird.
Beispiel falsches Modell der Wirklichkeit: Ein Passant
gähnt und das deutet ein fränkischer Proband als Zeichen Dr.
Merks, worauf er in die Knie geht und laut ruft: „Allmächd, Allmächd“.
Muss man so jemanden einsperren? Natürlich nicht.
Beispiel falscher Erkenntnisweg eines richtigen
Modells der Wirklichkeit: Ein Passant gähnt und ein Proband zieht
daraus den Schluss, dass Banken in hohen Maße an Steuerbetrugsdelikten
beteiligt sind. Passantengähnen ist keine in unserer Kultur und Wissenschaft
anerkannte Erkenntnisquelle für Schwarzgeldschiebereien, die natürlich
ein völlig reales Modell der Wirklichkeit sind.
Gustl F. Mollath hat seine Erkenntnisse nicht aus
dem Gähnen eines Passanten wahnhaft erschlossen, sondern seine Erkenntnisquellen
entsprechen genau denen unserer Kultur und Wissenschaft. Es gibt auch keine
Progredienz
(Ausdehnung, Erweiterung, Fortschreitung), wenn man mit gesundem Menschenverstand
hinschaut, was der forensisch-psychiatrischen Schlechtachterindustrie offenbar
zu schwierig erscheint. Es ist ja völlig logisch und verständlich,
dass, je mehr Menschen sein Anliegen und seine Erkenntnisse ablehnen, er
entsprechend mehr AblehnerInnen sieht. Daher ist das vermeintliche Progredienzzeichen
für einen angeblich sich ausdehnenden Wahn (wohin hat er sich denn
in den letzten 10 Jahren ausgedehnt?) auch keines, sondern es erklärt
sich ganz einfach aus der Natur des Sachverhalts.
Infos zum Wahn in der IP-GIPT:
___- Wissenschaftliches Wahnsystem am Beispiel Mollath.
- Einige Wahnbegriffe im AMDP-System.
- Wahn in verschiedenen Störungen und Krankheiten (Diagnostik).
- Wahnformen.
- Wahnfälle.
- Zur Etymologie von WAHN gegenüber WahnSINN (nach Scharfetter).
- "Normal", "Anders", "Fehler", "Gestört", "Krank", "Verrückt".
- Unterscheiden Wahn und Glauben.
- Mehr zum Wahn > Überblick Wahn.
In beiden Fällen, erst aus der Forensik Straubing, dann aus Rosenheim,
wird Wissenschaft beansprucht und versprochen
Aus Rosenheim:
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site: www.sgipt.org
z.B. Organisation IP-GIPT site: www.sgipt.org. * |
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Mitteilung. Soweit es um (längere) Zitate aus ... geht,
sind die Rechte bei/m ... zu erkunden oder eine Erlaubnis einzuholen.
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