Psychologische Heilmittelanalyse
Alltag
Ein ganz normaler Tag und nichts
davon ist selbstverständlich
Übersicht Heilmittellehre und Heilmittel-Monographien_Literaturhinweis_
Wir versuchen, die Idee der Heilmittel im allgemeinen und der psychologischen im besonderen zu verstehen, indem wir uns einen ganz "normalen" Tagesablauf vergegenwärtigen. Nichts davon ist - genau betrachtet - selbstverständlich. In Klammern wollen wir die Funktionen oder Sachverhalte, die als Heilmittel interpretiert werden können, vermerken (HM = Heilmittel = J):
Mit dem Erwachen, Bewußtheit erlangen, klar werden und da sein beginnt der Tag (atomares HM J Bewußtheit). Ohne nachzudenken wissen wir gewöhnlich, wer wir sind und haben über Nacht unsere Identität bewahrt (atomares HM J Identität, Ichbewußtsein). Gewöhnlich weiß man, wo man ist, in welcher Zeit, an welchem Ort, in welcher Situation man lebt (komplexes HM J Orientierung). Wir fühlen uns mehr oder minder ausgeruht und frisch (atomares HM J Erholt_Gefühl, komplexes HM J Erholung, hier spezifiziert durch Einschlafen, Durchschlafen und Erholungswert des Schlafes). Vielleicht gehören wir zu den Glücklichen, die sich gesund und schmerzfrei fühlen und mit keinen Behinderungen zurecht kommen müssen, die sich frei und mühelos bewegen können (komplexe HM J Gesundheit, J körperliche Unversehrtheit, atomares HM J Schmerzfreiheit). Wir wissen, was zu tun ist und verrichten die alltäglichen Dinge ganz automatisch (komplexe HM J intuitives Wissen, J Gewöhnung, J automatische Lenkung), begeben uns ins Bad, kleiden uns an (komplexe HM J Einhalten sozialer Normen der Hygiene und Körperpflege, J Beweglichkeit) gehen in die Küche, machen Kaffee und bereiten das Frühstück zu (komplexes HM J Haben, hier J Wohnung, J Einrichtung, J Gerätschaften, J Energie, J Planung und J Vorratshaltung, J funktionsgerechten Haushalt). Vielleicht lesen wir zum Frühstück ein bißchen in der Zeitung, hören Nachrichten und informieren uns (atomares HM J Interesse, J Neugier, J Orientierung haben wollen: was ist los auf der Welt?) Vielleicht hören wir auch Musik und lassen uns anregen. Möglicherweise hören wir ein Lieblingslied, das uns in Freude und inneren Schwung versetzt (komplexe HM J Musik, J positive Anregung und J Stimmung).
Ohne Wecker wird uns bewußt (atomares HM J automatische Lenkung, J Supervision) daß es nun an der Zeit ist, das Haus zu verlassen, den Weg zur Arbeit aufzunehmen (komplexes HM J Arbeit haben, J Werterleben nachgefragt zu werden, J Selbständigkeit, J Selbstwertgefühl). Da fällt uns plötzlich ein, da wir einem Kollegen etwas mitbringen wollten (HM J automatische Lenkung, J Supervision und J Gedächtnis). Vielleicht fahre ich mit dem Auto (komplexes HM J Haben: J Führerschein(12) und J Auto haben; atomares HM J funktionstüchtige Wahrnehmung und J Orientierung). Wenn ich es nicht gestohlen habe, wenn Steuer und Versicherung bezahlt sind und das Prüfsiegel stimmt, wenn es Benzin hat und richtig gewartet ist, dann kann ich mich einigermaßen sorgenfrei auf den Weg machen (komplexe HM J soziale Anpassung, J Planung und J Sicherheit, J unbelastetes Gewissen, diesbezüglich sorgenfrei und gutes Gefühl). Vielleicht habe ich sogar Lust auf den Tag und finde ihn einen lebenswerten (atomare HM J Lust, J Lebensfreude, J Bewußtheit, komplexes HM die J "richtige" Einstellung zum Leben und von diesem Tag; etwas haben zu wollen und glauben, daß ich es bekommen kann). Ich irre nicht ziellos von einem Ort zum andern, aufgedreht, aber ohne zu wissen, was ich tun möchte und was mir gefällt (HM J Synchronisation von J Antrieb und J Affekten, die bei agitierten Depressionen und Psychosen gestört sein kann). Auf dem Weg schließlich treffe ich NachbarInnen, Bekannte und KollegInnen und erkenne sie auch (HM J Erkennen, keine Agnosie). Wir grüßen uns, nicken und winken uns zu (HM J Sozialkontakt, J soziale Einbindung und J Anpassung, J Wahrnehmung, J automatische Lenkung und J Supervision; HM J Bewegungslenkung: auch das Nicken und Winken gelingt: keine Apraxie). Ich suche halbautomatisch die Worte "Guten Morgen" und finde sie auch (HM J Wortfindung, keine Aphasie). Der Berufsverkehr gestaltet sich etwas schwierig. Es gibt eine Umleitung und die Ampeln stehen oft auf rot (HM J Hindernisse bewältigen). Es macht mir nicht aus, ich bin innerlich ruhig, gelassen, fahre halbautomatisch und hänge einigen Gedanken und Phantasien nach (HM J Gelassenheit, J Ausgeglichenheit). Die Arbeit läßt sich unproblematisch an. Ich komme heute gut mit den KollegInnen, KundInnen und Anforderungen zurecht (HM J Umgangskompetenz, J Leistungsfähigkeit, J Arbeitskompetenz). Mittags gehen wir, wie oft, gemeinsam essen, unterhalten uns und machen anschließend einen kleinen Spaziergang, wenn das Wetter paßt (HM J Sozialkontakt, J Bewegung, J Pause, J Abschalten, J Entspannen).
Am Nachmittag telefoniere ich mit zwei Freunden und wir verabreden
zwei Freizeitaktivitäten (HM J
persönliche
Kontakte, J
Freunde, J
Freizeitaktivitäten,
J
Freizeit-Planung).
Nach der Arbeit gehe ich noch Einkaufen, um für den Abend
einen griechischen Bauernsalat machen zu können (HM J
Alltagsbewältigung,
J
Selbständigkeit).
Endlich daheim ziehe ich mich um, mache mich etwas frisch und
anschließend erst mal einen Kaffee, lasse mich auf Couch fallen,
drehe die Musik auf und freue mich auf den Feierabend (HM J
Umschaltung,
J
Hygiene,
J
Entspannung,
J
Genußfähigkeit).
"So, was könnte ich mir denn heute abend Gutes tun?" (HM J
positive
Einstellung, J
Selbstverantwortung) Eine feste
Verabredung liegt nicht an. Aber es könnte sein, da meine Partnerin
früher als gedacht von ihrer Reise zurück ist und mich überascht.
Diese Phantasie hält mich davon zurück, wegzugehen, es könnte
ja sein (HM J positive Phantasie). Ich schaue
ins Fernsehprogramm, ob etwas kommt, das ich sehen möchte. Tatsächlich,
um 22.50 bringen sie eine Sendung über Lebensträume und alternatives
Leben. Fünf Varianten und Wege werden vorgestellt. Da ich ohnehin
kaum vor 12 ins Bett gehe, ist die Zeit kein Problem. Nachdem ich mir einen
opulenten Bauernsalat einverleibt habe, beschäftige ich mich ein bißchen
mit meinem Italienischkurs, prüfe einen Vokabeltrainer (HM J
Interesse,
J
Beschäftigungskompetenz)
am Computer und mache dann das Geschirr weg (HM J
Alltagsbewältigung,
J
Überwindung).
Ich sehe später dann noch Nachrichten (HM J Interesse an Information) und die Horrorgeschichten aus Jugoslawien versetzen mich wie so oft in ein Gemisch aus Betroffenheit, Empörung und hilfloser Wut (HM J Anteilnahme, J Mitgefühl, J Betroffenheit, J Wutfähigkeit über schlimme Zustände). Dann ruft meine Freundin (HM J Partnerin, J Beziehung, J Bindung, J Liebe) noch überraschend an, um mitzuteilen da es doch noch zwei Tage dauert, was mir natürlich nicht so gut gefällt. Wir turteln ein wenig, da fällt mir ein, daß der Film anfängt, was ich ihr noch kurz erzähle, wir versichern uns, da wir aneinander denken und wünschen uns eine gute Nacht (HM J guter partnerschaftlicher Umgang). Der Film fasziniert (HM J Faszinationsfähigkeit, J Begeisterungsfähigkeit) mich und ich gerate ein wenig ins Grübeln, ob dieses, mein Leben, schon alles sein soll oder ob ich nicht auch noch ein bi chen mehr Pfeffer und Überraschungen in mein Leben bringen möchte (HM J Prüfen der Lebenssituation, J in Frage stellen können, J kritische Reflexion). Mein Thema für den nächsten Freundestreff ist klar (HM J gute Problemlösung: J Auseinandersetzung mit Freunden).
Ich schlafe durch die Vielzahl der angeregten Gedanken und Phantasien schlechter und später ein als sonst (HM J Hingabe an ein Thema, J Einschlafen), finde das aber ganz normal und natürlich und so gleite ich denn allmählich hinüber. Am nächsten Tag fällt mir ein Traum (HM J Traum) ein, daß ich mit dabei war im Luftballon: in 80 Tagen um die Welt. Das amüsiert mich. Der neue Tag beginnt gut. (HM J Glück, J guter Start in den neuen Tag) Sollte das ein Wink des Schicksals gewesen sein? (HM J Sinnzuordnung, J Sinnzusammenhänge deuten und kreieren können).
Kommentar: Alltag, Leben, Lebenskunst in der Arbeitslosen- und (Früh-) RentnerInnengesellschaft
Einen Tag und den Alltag gestalten zu können ist eine wenig beachtete Lebenskunst und wichtiges Heilmittel. Arbeitslose, Kranke, Behinderte, RentnerInnen und VorruheständlerInnen, die urplötzlich die gesellschaftlich vorgegebene Zeitstruktur verloren haben, erleben oft sehr überraschend und schmerzlich, was es bedeutet keine Alltagsstruktur mehr zu haben. Wenn sie dann womöglich noch hören müssen, wie schön sie es denn haben, sind sie verständlicherweise oft "restlos bedient". Das Nichtmehr-gebraucht-werden ist für manche Menschen eine Katastrophe. Hier hilft nur eine neue kognitive Attribuierung, man darf sich das eben nicht "auf sein persönliches Brot schmieren" und sein Selbstwertgefühl zu sehr davon abhängig machen. Wunderbare Worte. Aber wie geht das? Wie macht man das psychologisch-psychotherapeutisch, wenn ein Mensch ein Leben lang, ohne es eigentlich zu bemerken, von den sozikulturellen Normen seines Ökosystems geprägt wurde. Zugleich sind die alten Bindungen und Familienstrukturen zerschlagen, und besonders in der Stadt Familienmitglieder oft in alle möglichen Richtungen zerstreut. Die Wirtschaft treibt ihre Mobilitätsanforderungen auf immer neue Gipfel. Die Familien und Kinder müssen sich diesen Anforderungen in der postpatriarchalischen Gesellschaft häufig beugen. Was haben die Therapieschulen hier anzubieten? Nichts! Hier sind Probleme angesprochen, die überhaupt nur interdisziplinär und integrativ zu lösen sind. Eine völlig neue Dimension kollektiven Leidens verlangt auch eine völlig neue Dimension von Psychotherapieverständnis und Anforderungen, die an die psychosozialen Berufe, Organisationen und Wissenschaften zu richten sind.
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