Wahn in den Diagnose Systemen
aufbereitet von Rudolf Sponsel, Erlangen
Wahn liegt vor, wenn mit rational unkorrigierbarer Gewissheit
ein falsches Modell der Wirklichkeit oder ein falscher Erkenntnisweg zu
einem richtigen oder falschen Modell der Wirklichkeit vertreten wird.
[> Zur Unmöglichkeit des Inhalts] > Peters (1984) Eintrag zum Wahn. > Auch wahre Inhalte können wahnhaft sein und was wahnhaft ist muss nicht falsch sein. |
Wahn: Symptome,
Syndrome und Störungen mit Krankheitswert
Ganz wichtig ist es, Paranoia, paranoide Symptome, paranoide Persönlichkeitsstörung,
paranoide Schizophrenie und schiziaffektive Psychose auseinander zu halten.
Man kann nun, was den Krankheitswert von paranoiden Erscheinungen betrifft,
verschiedene Ausprägungen und Formen unterscheiden. Wir berichten
zunächst auch die Vorgängerversion des ICD -10, die ICD-9 - Revision
und ein neueres, zwar auch nicht überzeugendes, teilweise aber etwas
besseres System zur Klassifikation der psychiatrischen Krankheiten, das
DSM III (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen
DSM III, Weinheim 1984).
DIMDI- Aktuelle ICD-Diagnostik zum Paranoiden
Die verschiedenen Erscheinungen des Wahns oder des Paranoiden
(1) Einzelne paranoide Gedanken bei sonst Gesunden; im ICD und DSM III aus verständlichen Gründen nicht erfaßt.
(2) Paranoide Episoden bei sonst Gesunden im ICD und DSM III nicht erfaßt.
(3) Formal paranoide Syndrome, die von der Psychiatrie und Gesellschaft als nützlich, zumindest aber nicht als schädlich oder behandlungsbedürftig toleriert werden (aus den Reihen der Erfinder, Heiler, Propheten, Religiösen, Ideologen, Grenzwissenschaften und andere, sich besondere Fähigkeiten zuordnende), im ICD und DSM III nicht vorgesehen.
(4)
Paranoide Persönlichkeit im ICD 9. Rev. 301.0
"Eine Persönlichkeitsstörung mit starker Empfindlichkeit
für Mißerfolge und vermeintliche Demütigungen und Zurückweisungen
mit einer Tendenz, Erlebtes zu verdrehen, indem neutrale oder freundliche
Haltungen als feindlich oder verächtlich mißdeutet werden. Die
Patienten bestehen streitbar und beharrlich auf dem eigenen Recht, sie
können zu Eifersucht oder überhöhtem Selbstwertgefühl
neigen. Diese Personen können sich hilflos gedemütigt und ausgenutzt
fühlen, andere dagegen, obwohl genauso empfindlich, sind aggressiv
und beharrlich. In allen Fällen besteht eine starke Selbstbezogenheit.
Dazugehörige Begriffe: Fanatische Persönlichkeit; Paranoide Charakterzüge;
Paranoide Persönlichkeitsstörung. Ausschließen: Akute paranoide
Reaktion (ICD-9 298.3); Alkoholparanoia (ICD-9 291.5); Paranoide Schizophrenie
(ICD-9 295.3); Paranoide Syndrome (ICD-9 297. )
(5)
Akute Paranoide Reaktion im ICD-9 298.3
"Paranoide Syndrome, offenbar hervorgerufen durch ein als emotionale
Belastung wirkendes Ereignis, das als Angriff oder Bedrohung fehlgedeutet
wird. Solche Zustände treten besonders bei Gefangenen auf oder als
akute Reaktion auf eine fremde oder bedrohliche Umgebung, z.B. bei Immigranten.
Dazugehöriger Begriff: Bouffee delirante. Ausschließen: Paranoide
Syndrome."
(6) Psychogene Psychose mit paranoider Symptomatik im ICD-9 298.4
"Psychogene oder reaktive paranoide Psychose jeder Typologie, die länger
anhält als die akuten Reaktionen, die zu 298.3 gehören. Diese
Schlüsselnummer sollte auch verwendet werden, wenn die Diagnose einer
psychogenen Psychose mit paranoider Symptomatik nicht ausdrücklich
als 'akut' bezeichnet ist. Dazugehöriger Begriff: länger dauernde
paranoide Psychose."
(7) Einfache paranoide Psychose im ICD-9 297.0
"Eine akute oder chronische Psychose, die nicht als Schizophrenie oder
affektive Psychose klassifizierbar ist. Wahnideen, vor allem beeinflußt,
verfolgt oder in besonderer (negativer) Weise behandelt zu werden, sind
die Hauptsymptome. Die Wahnideen sind ziemlich fixiert, ausgearbei-tet
und systematisiert."
(8) Paranoia im ICD-9 297.1
"Eine seltene chronische Psychose, bei der sich ein logisch konstruierter
systematischer Wahn langsam entwickelt hat, ohne Halluzinationen oder schizophrene
Denkstörungen. Meistens handelt es sich um Größenwahn (paranoischer
Prophet oder Erfinder), Verfolgungswahn oder hypochondrischer Wahn. Ausschließen:
Paranoide Persönlichkeit 301.0."
(9) Paraphrenie im ICD-9 297.2
"Paranoide Psychose mit auffälligen Halluzinationen, die oft in
verschiedenen Sinnesgebieten auftreten. Wenn affektive Symptome und Denkstörungen
vorhanden sind, dominieren sie nicht das klinische Erscheinungsbild, und
die Persönlichkeit ist gut erhalten. Dazugehörige Begriffe: Paranoide
Psychose im Involutionsalter [=nach den Wechseljahren, um 48. Lebensjahr]
Spätparaphrenie"
(10) Induzierte Psychose im ICD-9 297.3
"Eine vorwiegend wahnhafte Psychose, meist chronisch und oft ohne floride
[=blühend, stark ausgeprägt] Symptomatik. Sie scheint sich aus
einer engen oder sogar abhängigen Beziehung mit einer anderen Person
entwickelt zu haben, bei der sich bereits eine ähnliche Psychose manifestiert
[=eingestellt] hat. Die Wahnideen werden zumindest z.T. übernommen.
Die seltenen Fälle, in denen mehrere Personen von der Störung
befallen sind, sollten auch hier verschlüsselt werden. Dazugehörige
Begriffe: Folie à deux.; Induzierte paranoide Psychose; Symbiontische
Psychose."
(11) Schizophrenie, Paranoide Form im ICD-9 295.3
Die Form der Schizophrenie, in der relativ dauerhafte Wahnideen, die
von Halluzinationen begleitet sein können, das klinische Bild beherrschen.
Es handelt sich häufig um Verfolgungswahn, aber auch andere Wahnformen
kommen vor (z.B. Eifersuchtswahn, Abstammungswahn, Sendungswahn oder Wahn
körperlicher Veränderung). Halluzinationen und unberechenbares
Verhalten können vorkommen; in einigen Fällen ist das Verhalten
von Anfang an schwer gestört, die Denkstörung kann grob auffällig
sein, und Affektverflachung mit abortiven [ = unfertigen] Wahn ideen und
Halluzinationen kann sich entwickeln. Dazugehörige Begriffe: Paraphrene
Schizophrenie; Paranoid halluzinatorische Schizophrenie. Ausschließen:
Paraphrenie, paranoide Psychose im Involutionsalter 297.2, Paranoia 297.1."
Differentialdiagnose
des Wahns (Paranoiden)
Mit Differentialdiagnose
bezeichnet man die Aufgabe, aus einer Reihe von Syndromen, die gemeinsame
Symptome (Zeichen) haben, dasjenige zu finden, das das zu diagnostizierende
vorliegende Syndrom am besten trifft.
Im DSM III finden wir (S. 197) hierzu folgende Regelanweisung
zur Differentialdiagnose gegenüber Schizophrenie: "Paranoide Störungen
unterscheiden sich von Schizophrenie durch das Fehlen von auffallenden
Halluzinationen [ = Wahrnehmungen ohne äußere Wahrnehmungsquelle],
Inkohärenz [formale Denkstörung: unzusammenhängende Denkinhalte
werden aneinandergeknüpft, Sprünge im Ablauf des Denkens, fehlende
Ordnung], Lockerung von Assoziationen oder bizarren Wahninhalten wie etwa
dem Gefühl des Gemachten oder der Gedankenausbreitung."
Kritische Anmerkung: Das widerspricht den Ausführungen
zur "klassischen" Paranoia (ICD F22), bei der es gerade einen umschriebenen
paranoiden Kern beo sinst intakter Persönlichkeit gibt, was die Diagnose
ja oft so schwer macht, wobei die meisten ICD F22 gar nicht in den Kliniken
auftauchen dürften.
Psychische
Störungen bei denen paranoide Symptome vorkommen im ICD-10 (Ausgabe
1991)
Quelle: DIMDI- Aktuelle ICD-Diagnostik zum Paranoiden. Neu ICD-10 German
2006, deutsche Fassung vom 1.10.2005 nach der Internetquelle: https://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2006/fr-icd.htm
Fette Hervorhebung im Text, nicht der Überschriften und Ausschlüsse (Exkl.), durch Sponsel. Auszüge aus Kapitel V, Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99)
Organische,
einschließlich symptomatischer psychischer Störungen (F00-F09)
(ICD-10
G 2006. [Fehler 404])
F03 Nicht näher bezeichnete Demenz
Präsenil:
F06.2
Organische wahnhafte [schizophreniforme] Störung (ICD-10
G 2006. [Fehler 404])
Eine Störung, bei der anhaltende oder immer wieder auftretende
Wahnideen das klinische Bild bestimmen. Die Wahnideen können von Halluzinationen
begleitet werden. Einige Merkmale, die auf Schizophrenie hinweisen, wie
bizarre Halluzinationen oder Denkstörungen, können vorliegen.
Paranoide und paranoid-halluzinatorische organisch bedingte Zustandsbilder
Schizophreniforme Psychose bei Epilepsie
Exkl.: Akute vorübergehende psychotische Störungen
( F23.- )
Schizophrenie,
schizotype und wahnhafte Störungen (F20-F29) (ICD-10 G 2006. [Fehler
404])
In diesem Abschnitt finden sich die Schizophrenie als das wichtigste
Krankheitsbild dieser Gruppe, die schizotype Störung, die anhaltenden
wahnhaften Störungen und eine größere Gruppe akuter vorübergehender
psychotischer Störungen. Schizoaffektive Störungen werden trotz
ihrer umstrittenen Natur weiterhin hier aufgeführt.
F20.- Schizophrenie
Die schizophrenen Störungen sind im allgemeinen durch grundlegende
und charakteristische Störungen von Denken und Wahrnehmung sowie inadäquate
oder verflachte Affekte gekennzeichnet. Die Bewusstseinsklarheit und intellektuellen
Fähigkeiten sind in der Regel nicht beeinträchtigt, obwohl sich
im Laufe der Zeit gewisse kognitive Defizite entwickeln können. Die
wichtigsten psychopathologischen Phänomene sind Gedankenlautwerden,
Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, Wahnwahrnehmung,
Kontrollwahn, Beeinflussungswahn oder das Gefühl des Gemachten, Stimmen,
die in der dritten Person den Patienten kommentieren oder über ihn
sprechen, Denkstörungen und Negativsymptome.
Der Verlauf der schizophrenen Störungen kann entweder kontinuierlich
episodisch mit zunehmenden oder stabilen Defiziten sein, oder es können
eine oder mehrere Episoden mit vollständiger oder unvollständiger
Remission auftreten.
Die Diagnose Schizophrenie soll bei ausgeprägten depressiven oder
manischen Symptomen nicht gestellt werden, es sei denn, schizophrene Symptome
wären der affektiven Störung vorausgegangen. Ebenso wenig ist
eine Schizophrenie bei eindeutiger Gehirnerkrankung, während einer
Intoxikation oder während eines Entzugssyndroms zu diagnostizieren.
Ähnliche Störungen bei Epilepsie oder anderen Hirnerkrankungen
sollen unter F06.2 kodiert werden, die durch psychotrope Substanzen bedingten
psychotischen Störungen unter F10-F19, vierte Stelle .5.
Exkl.: Schizophrene Reaktion ( F23.2 )
F20.0
Paranoide Schizophrenie
Die paranoide Schizophrenie ist durch beständige, häufig
paranoide Wahnvorstellungen gekenn-zeichnet, meist begleitet von akustischen
Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen. Störungen der Stimmung,
des Antriebs und der Sprache, katatone Symptome fehlen entweder oder sind
wenig auffallend.
Paraphrene Schizophrenie
Exkl.: Paranoia ( F22.0 )
F22.-
Anhaltende wahnhafte Störungen
Diese Gruppe enthält eine Reihe von Störungen, bei denen
ein langandauernder Wahn das einzige oder das am meisten ins Auge fallende
klinische Charakteristikum darstellt, und die nicht als organisch, schizophren
oder affektiv klassifiziert werden können. Wahnhafte Störungen,
die nur wenige Monate angedauert haben, sollten wenigstens vorläufig
unter F23.- kodiert werden.
F22.0 Wahnhafte
Störung
Eine Störung charakterisiert durch die Entwicklung eines einzelnen
Wahns oder mehrerer aufeinander bezogener Wahninhalte, die im allgemeinen
lange, manchmal lebenslang, andauern. Der Inhalt des Wahns oder des Wahnsystems
ist sehr unterschiedlich. Eindeutige und anhaltende akustische Halluzinationen
(Stimmen), schizophrene Symptome wie Kontrollwahn oder Affektverflachung
und eine eindeutige Gehirnerkrankung sind nicht mit der Diagnose vereinbar.
Gelegentliche oder vorübergehende akustische Halluzinationen schließen
besonders bei älteren Patienten die Diagnose jedoch nicht aus, solange
diese Symptome nicht typisch schizophren erscheinen und nur einen kleinen
Teil des klinischen Bildes ausmachen.
Paranoia
Paranoid:
F22.8
Sonstige anhaltende wahnhafte Störungen
Hierbei handelt es sich um Störungen, bei denen ein Wahn oder
Wahnsysteme von anhaltenden Stimmen oder von schizophrenen Symptomen begleitet
werden, die aber nicht die Diagnose Schizophrenie (F20.-) erfüllen.
Paranoides Zustandsbild im Involutionsalter
Querulantenwahn (Paranoia querulans)
Wahnhafte Dysmorphophobie
F22.9 Anhaltende wahnhafte Störung, nicht näher bezeichnet
F23.3
Sonstige akute vorwiegend wahnhafte psychotische Störungen
Es handelt sich um eine akute psychotische Störung, bei der verhältnismäßig
stabile Wahnphänomene oder Halluzinationen die hauptsächlichen
klinischen Merkmale darstellen, aber nicht die Kriterien für eine
Schizophrenie erfüllen (F20.-). Wenn die Wahnphänomene andauern,
ist die Diagnose in anhaltende wahnhafte Störung (F22.-) zu ändern.
Paranoide Reaktion
Psychogene paranoide Psychose
F24
Induzierte wahnhafte Störung
Es handelt sich um eine wahnhafte Störung, die von zwei Personen
mit einer engen emotionalen Bindung geteilt wird. Nur eine von beiden leidet
unter einer echten psychotischen Störung; die Wahnvorstellungen bei
der anderen Person sind induziert und werden bei der Trennung des Paares
meist aufgegeben.
Folie à deux
Induziert:
F25 Schizoaffektive
Störungen
Episodische Störungen, bei denen sowohl affektive als auch schizophrene
Symptome auftreten, aber die weder die Kriterien für Schizophrenie
noch für eine depressive oder manische Episode erfüllen. Andere
Zustandsbilder,
bei denen affektive Symptome eine vorher bestehende Schizophrenie überlagern,
oder bei denen sie mit anderen anhaltenden Wahnkrankheiten gemeinsam auftreten
oder alternieren, sind unter F20-F29 zu kodieren. Parathyme psychotische
Symptome bei affektiven Störungen rechtfertigen die Diagnose einer
schizoaffektiven Störung nicht.
F25.0
Schizoaffektive Störung, gegenwärtig manisch
Eine Störung, bei der sowohl schizophrene als auch manische Symptome
vorliegen und deshalb weder die Diagnose einer Schizophrenie noch einer
manischen Episode gerechtfertigt ist. Diese Kategorie ist sowohl für
einzelne Episoden als auch für rezidivierende Störungen zu verwenden,
bei denen die Mehrzahl der Episoden schizomanisch ist.
Schizoaffektive Psychose, manischer Typ
Schizophreniforme Psychose, manischer Typ
F25.1
Schizoaffektive Störung, gegenwärtig depressiv
Eine Störung, bei der sowohl schizophrene als auch depressive
Symptome vorliegen und deshalb weder die Diagnose einer Schizophrenie noch
einer depressiven Episode gerechtfertigt ist. Diese Kategorie ist sowohl
für einzelne Episoden als auch für rezidivierende Störungen
zu verwenden, bei denen die Mehrzahl der Episoden schizodepressiv ist.
Schizoaffektive Psychose, depressiver Typ
Schizophreniforme Psychose, depressiver Typ
F25.2
Gemischte schizoaffektive Störung
Gemischte schizophrene und affektive Psychose
Zyklische Schizophrenie
F25.8 Sonstige schizoaffektive Störungen
F25.9 Schizoaffektive Störung, nicht näher
bezeichnet
Schizoaffektive Psychose o.n.A.
F60.0
Paranoide Persönlichkeitsstörung
Diese Persönlichkeitsstörung ist durch übertriebene
Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung, Nachtragen von Kränkungen,
durch Misstrauen, sowie eine Neigung, Erlebtes zu verdrehen gekennzeichnet,
indem neutrale oder freundliche Handlungen anderer als feindlich oder verächtlich
missgedeutet werden, wiederkehrende unberechtigte Verdächtigungen
hinsichtlich der sexuellen Treue des Ehegatten oder Sexualpartners, schließlich
durch streitsüchtiges und beharrliches Bestehen auf eigenen Rechten.
Diese Personen können zu überhöhtem Selbstwertgefühl
und häufiger, übertriebener Selbstbezogenheit neigen.
Persönlichkeit(sstörung):
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