Zweckangemessenheit
    Wenn Definitionen nicht wie Aussagen wahr oder falsch sind, sondern nach dem Kriterium zweckangemessen oder zweckunangemessen beurteilt werden müssen, stellt sich die Frage, wie das geht bzw. gehen sollte? Im Prinzip ist die Antwort einfach: Wenn Definitionen Mittel für die Zwecke, die man damit verfolgt sind, dann muss man seine Zwecke angeben und zeigen, dass sie als Mittel geeignet sind. Die beiden elementaren Urzwecke einer Definition sind die  Unterscheidung  und Bedeutungsklärung. Damit einher geht eine Auswahl ("Auszeichnung"): Ein Sachverhalt wird für so wichtig erachtet, dass man ihn auswählt und abgrenzt von allen anderen. Darin ist im Grunde enthalten, dass es diesen Sachverhalt geben, dass er existieren muss, womit ein kompliziertes und umstrittenes Gebiet der Methodologie beschritten wird, das in die Ontologie hineinreicht: nämlich die Frage der Referenz(>Hauptseite  Referenzieren) oder: in welcher Weise, in welcher  Welt, existiert das Definierte (Existenzweise des Definierten) und wie lässt sich das kontrolliert auffinden und kommunizieren? Ohne klare, operationale Referenzangaben sind Definitionen meist sinnlos und bloße Worthülsen. Weiter knüpft sich unmittelbar die grundsätzliche Frage an: wozu braucht man eine solche Auswahl, Unterscheidung, Bedeutungsklärung und Abgrenzung und im Anschluss: warum so und nicht anders? Dass Definitionen ihre ausgewiesenen Zwecke erfüllen, sollte belegbar und nachweisbar sein. Aber die Zweckmäßigkeitsnachweise spielen merkwürdigerweise in der Wissenschaftstheorie, Methodologie und Definitionslehre so gut wie keine Rolle. Beweis: In all den Artikeln und Lehrbüchern, die sich mit Definitionen beschäftigen, findet man kein Kapitel, das sich ausführlich und gründlich mit der Zweck-un-angemessenheit von Definitionen beschäftigt.
    Beispiel aus Eike von Savignys lehrreichem und interessantem Buch "Grundkurs im wissenschaftlichen Definieren", aus Kapitel 1, S. 25, der Abschnitt Wozu Definitionen?


    Im folgenden erläutert er und gibt an (S. 25f):
        (1) Abkürzung: "Eine häufige Situation ist die, daß man für einen umständlichen Ausdruck, den man sehr häufig gebrauchen muß, einen einfacheren, also kürzeren Ausdruck einführen möchte. So hat man im Strafrecht an vielen Stellen damit zu tun, daß eine Handlung, soweit sie zur Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs erforderlich war, keinesfalls rechtswidrig ist. Man kürzt das ab und spricht von einer Notwehrhandlung: das ist dann eben eine zur Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs erforderliche Handlung. Oder man möchte in der Logik nicht dauernd davon sprechen müssen, daß ein Satz aus der leeren Prämissenklasse ableitbar ist, und sagt deshalb einfach, er sei ableitbar. Man spricht in diesen Fällen von Nominaldefinitionen; sie sind der reinste Fall der Festsetzung für die Sprache."
       (2) Bedeutungsklärung: "Eine zweite wichtige Gruppe von Fällen hat es demgegenüber mit einem vorhandenen Sprachgebrauch zu tun. Zum Beispiel kommt ein Wort, welches man benutzen möchte, in verschiedenen Wissenschaftssprachen oder in verschiedenen Teilsprachen einer Wissenschaftssprache mit verschiedenen Bedeutungen vor, und in einer dieser Bedeutungen möchte man das Wort gebrauchen. Dazu muß man sie - und wenn das didaktisch nützlich ist, zum Kontrast auch die anderen - erläutern. Auf einem Kongreß über mathematische Probleme der Soziologie könnte es zum Beispiel am Platze sein, das Wort »Gruppe«, ehe man es benutzt, auf die mathematische oder die soziologische Bedeutung festzulegen. Der gleiche Fall ist gegeben, wenn man die Bedeutung eines Terminus erklären muß, weil er den Hörern - etwa Nichtfachleuten - ganz unbekannt ist. Und ganz Ähnliches tut man auch, wenn man herauszubringen versucht, was ein anderer mit einem Ausdruck gemeint haben könnte. Zum Beispiel möchte man zeigen, daß eine unklare Aussage bei Kant falsch ist, und zwar in welcher Interpretation auch immer. Man muß dann sagen, wie er etwa »a priori« und »a posteriori« gemeint haben könnte; und indem man das sagt, gibt man für die beiden Ausdrücke - vorläufige - Erläuterungen an."
        (3) Erweiterung: "Eine Kombination der Tätigkeiten aus der ersten und der zweiten Gruppe von Fällen liegt vor, wenn man, von einem existierenden Sprachgebrauch ausgehend, für diesen zusätzliche Feststellungen trifft."
        (4) Grundbegriffsanalysen: "Schließlich gibt es den wissenschaftstheoretisch recht interessanten Fall, daß man eine sprachliche Erläuterung nur zu dem Zweck sucht, den Nachweis zu erbringen, daß ein Ausdruck mit Hilfe von anderen Ausdrücken definierbar ist, obgleich das nie festgelegt worden ist. Zum Beispiel kann man zeigen, daß 26 sich sämtliche bei uns üblichen (Bluts-) Verwandtschaftsbegriffe mit Hilfe von »Sohn« und »Tochter« erklären lassen oder auch mit »Elter« und »männlich« oder auch mit »Kind« und »weiblich«. Das ist ein Nachweis dafür, daß sich ein und dieselbe Menge von Begriffen mit ganz verschiedenen Grundbegriffen gewinnen läßt. Oder man möchte zeigen, daß man mit einem ? sehr viel sparsameren Grundvokabular auskommen kann als mit den zahlreichen Verwandtschaftsbegriffen, die wir haben - nämlich mit zwei Grundbegriffen. Die sprachliche Erläuterung hat hier die Stellung einer reinen Feststellung über die Sprache."
    Beispiel Dubislav: Im Sachregister der Arbeit von Dubislav Die Definition wird das Wort "Zweck" gar nicht aufgeführt. In der Zusammenfassung, S. 148, wird ausgeführt:


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    Werkzeugkasten der Definitionslehre
    Wissenschaftstheoretische Analysen haben, sein und zuerkennen, zuordnen, zuschreiben, zurechnen, zuweisen.

    Ein zentraler Sinn der Kommunikation ist die Verständigung. Dazu gehört, dass man mentale Objekte wie Begriffe nachvollziehen kann. Im Zweifelsfall ist daher eine dialogische Erörterung nötig oder hilfreich, wobei man einige Regeln, die in der Geschichte der Definitionslehre entwickelt wurden, nutzen kann.
     


    Beim Definieren kann man nun einige Fehler - die sich auch überschneiden können - machen, z.B.:

    Fehler beim Definieren

    1. Ungenau: Definitionen können zu ungenau, unklar und schwammig sein, z.B.: (1) Gott ist gnädig und allmächtig. (2) Zwang heiße, wenn man etwas tun müsse, was man nicht mag. (3) Angst heiße das Gefühl, das sich bei Gefahr einstellt (gilt in der Regel nur, wenn die Gefahr auch wahrgenommen, was hier nicht ausdrücklich genannt wird). (4) Trauma Definition von Fischer & Riedessser. Ungenaue und unklare Definitionen sind eine absolute Domäne der Psychoanalyse, Esoterik, Religion; besonders gefährdet sind die Geistes- und Sozialwissenschaften.
    2. Unangemessen: Definitionen können unangemessen sein, z.B.: (1) gegen Zwänge kann man sich nicht wehren. (2) Panische Angstreaktionen können nicht beeinflußt werden. [Beide Formulierungen zu einseitig streng].
    3. Zu weit: Definitionen können zu weit sein, z.B. ein Schimmel heiße ein weißes Tier; Trauma Definition von Fischer & Riedesser.
    4. Zu eng: Definitionen können zu eng sein, z.B. ein Schimmel heiße ein weißes Fohlen.
    5. Informationslos: Definitionen können tautologisch (gleichbedeutend) sein, z.B.: (1) ein leidenschaftlicher Mensch heiße einer, der von seinen Leidenschaften getrieben werde. (2) Impulsive reagieren impulsiv.
    6. Zirkulär (circulus vitiosus): Definitionen können zirkulär sein, d.h. das was definiert werden soll (Definiendum) kommt im Material der Definition (Definiens) schon vor, z.B.:  (1) Kreise heißen runde geometrische Figuren. (2) Eine Störung liegt vor, wenn etwas nicht richtig funktioniert. (3) Ein Mensch heißt schön, wenn er den meisten gefällt. (4) Die Erklärung der Äquivalenz in Dorsch Psychologisches Wörterbuch (1994, S. 48)  ist zirkulär: "Eine Relation heißt Äquivalenzrelation, wenn sie folgenden Gesetzen gehorcht: Jedes Objekt ist äquivalent mit sich selbst (Reflexivität) ... ", weil im Definiens das Definiendum gebraucht wird, wie auch hier [Abruf 14.02.22]: (5) "Weitere Indikatoren der Struktur des S[elbst]. sind die S.[elbst]komplexität und die Klarheit des S[elbst].konzepts. ... Ein S[elbst].konzept weist hingegen eine hohe Klarheit auf, wenn es klar def., intern konsistent und zeitlich". (6) Wikipedia [Relation (Mathematik) Abruf 28.07.23] "Eine Relation (lateinisch relatio „Beziehung“, „Verhältnis“) ist allgemein eine Beziehung, die zwischen Dingen bestehen kann. "
    7. Impredikativ, imprädikativ. Eine Sonderform von zirkulärer Begriffsbildung. Esser (1964, S. 26) schreibt: "Denn bei einer impredikativen Begriffsbildung wird vorausgesetzt, dass der zu definierende Begriff mittels einer Gesamtheit von Begriffen definiert wird, in der er selbst vorkommt." > Nicht-prädikative Begriffsbildung (Russell, Poincaré).
    8. Widersprüchlich (contradictio in adjecto): Definitionen können in sich widersprüchlich sein, z.B.: ein Kreis heiße ein unendlich kleines regelmäßiges Vieleck.
    9. Abwegig: Definitionen können abwegig sein, indem sie etwas anderes beantworten als die Frage nach Merkmalskombination und ihrer Unterscheidung, z.B. Fundamentalisten sind schlechte Menschen.
    10. Mehrfach fehlerhaft: Definition können mehrfach fehlerhaft sein, z.B. eine Kreis heiße ein Vieleck, das sich einer Kreisform nähert (unklar, zirkulär, in sich widersprüchlich, abwegig).
    11. Sonstige hier bislang noch nicht berücksichtigte
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    Fehler in der Auffassung vermeintlicher Definitionen
    1. Man kann etwas als Definition auffassen, das gar keine Definition sein soll.
    2. Man kann etwas als Definition auffassen, daß nur eine Prädikation sein will, also nur ein Merkmal für eine potentielle Definition sein soll, z.B. (1) Könige rangieren an oberster gesellschaftlicher Stellung in einem Volk). (2) Intrusionen sind zwanghaft wiederkehrende und überwältigende Erlebnisinhalte einer traumatisch erlebten Situation.
    3. Man kann etwas als Definition auffassen, das eine Metapher oder ein Gleichnis meint.
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    Beispiele für brauchbare Definitionen:


    Probleme beim Definieren:

    Leben

    Küppers  geht in seinem Buch "Der Ursprung biologischer Information", S. 198f, auf die Schwierigkeiten, den Begriff Leben zu definieren ein:
        "Auf der Grundlage der vorausgegangenen Plausibilitätsbetrachtung können wir nun das Phänomen »Leben« eingrenzen. Danach zeichnet sich ein (evolutionsfähiges) lebendes System offenbar durch folgende dynamische Eigenschaften aus:
    (1) Metabolismus,
    (2) Selbstreproduktivität,
    (3) Mutabilität.
    Die vorstehenden Kriterien sind in der Tat geeignet, ein primitives Lebewesen zu charakterisieren. Sie wurden zum ersten Mal von Alexander Oparin [Anm226]  herangezogen, um belebte und unbelebte Systeme voneinander abzugrenzen.
        Als zusätzliches Merkmal lebender Systeme wird in der Literatur häufig das Phänomen der natürlichen Selektion angegeben. Wir werden diesem Beispiel jedoch nicht folgen, da die natürliche Selektion für die Definition eines lebenden Systems kein weiteres unabhängiges Kriterium liefert. Vielmehr wird sich zeigen, daß sich in einem Materiesystem, welches Metabolismus, Selbstreproduktivität und Mutabilität als inhärente Materieeigenschaften einschließt, eine Selektion im Sinne Darwins automatisch einstellt (siehe unten).
        Es drängt sich nun die Frage auf, ob die obigen drei charakteristischen Merkmale eines lebenden Organismus nur notwendige, das heißt unabdingbare, oder bereits hinreichende, das heißt von ihrem Umfang her vollständige Abgrenzungskriterien darstellen.
        Die Frage nach der Vollständigkeit der Definitionskriterien läßt sich offenbar nur durch die Angabe von Gegenbeispielen entscheiden, das heißt, wir müssen nach einem realen Objekt Ausschau halten, das einerseits die genannten Merkmale besitzt, andererseits aber eindeutig ein unbelebtes Objekt ist.
    Findet sich ein solches Objekt, dann ist die Liste der Definitionskriterien eben unvollständig.
        Betrachten wir einmal einen Kristall: Bei der Kristallisation in einer gesättigten Lösung müssen mehrere Moleküle zunächst in einer ganz bestimmten Ordnung zusammentreten und einen Kristallisationskeim bilden. An der Oberfläche dieser Struktur lagern sich dann weitere Moleküle an, wobei die vom Kristallisationskeim vorgegebene Gitterstruktur aufgrund ihrer Matrixeigenschaften vielfach reproduziert wird. Auf diese Weise gelangt die einfache, periodische Mikrostruktur des Kristallgitters makroskopisch zur Abbildung. Dies ist bereits eine einfache Form von »Selbstreproduktivität«. Die mit der Kristallisation einhergehende örtliche Zunahme an molekularer Ordnung wird mit der Überführung thermischer Energie aus der kristallinen Phase in die Lösung beglichen. Den »Energieumsatz« könnte man auch als »Metabolismus« bezeichnen. In Analogie zur Reproduktion lebender Strukturen kommt es auch bei der Kristallbildung zu »Mutationen«, das heißt zu Fehlern im Gitter aufbau. [Anm227]
        Das soeben diskutierte Beispiel zeigt, daß die drei Definitionskriterien für das Phänomen »Leben« bereits von unbelebten Kristallstrukturen erfüllt werden und demnach nur notwendige, nicht aber schon hinreichende Kriterien sein können, um das Belebte vom Unbelebten abzugrenzen. Hierzu paßt eine weitere Tatsache: Die einfachsten biologischen Objekte, die wir kennen, sind die Viren. Diese erfüllen, da sie keinen autonomen Stoffwechsel besitzen, die Kriterien eines lebenden Systems nur innerhalb ihrer Wirtszelle. Außerhalb ihrer Wirtszelle verhalten sie sich dagegen ganz wie unbelebte Kristallstrukturen. [Anm228] Die Viren nehmen damit eine typische Zwitterstellung unter belebten und unbelebten Systemen ein, so daß die Vermutung naheliegt, daß der Übergang vom Unbelebten zum Belebten fließend ist. [Anm229]"
     



    Exkurs Homonyme: Die Mehrdeutigkeit der Worte
     
    "... Nun müssen diejenigen, 
    welche ihre Gedanken untereinander  austauschen wollen, 
    etwas voneinander verstehen; 
    denn wie könnte denn,
    wenn dies nicht stattfindet,
    ein gegenseitiger Gedankenaustausch (...)
    möglich sein? 
    Es muß also jedes Wort (...) bekannt sein
    und etwas, und zwar eins
    und nicht mehreres, bezeichnen;
    hat es mehrere Bedeutungen, 
    so muß man erklären, 
    in welcher von diesen man das Wort gebraucht. ..."

     Aus: Aristoteles (384-322) Metaphysik. 11. Buch, 5 Kap., S. 244 (Rowohlts Klassiker 1966)

    Die Worte sind die "Kleider" der Begriffe. Verschiedene Menschen werden meist mit den gleichen Worten unterschiedliche Bedeutungen verknüpfen, je nach ihren Erfahrungen, Wissen und Kenntnissen, Interessen und Kommunikationssituationen. D.h., aus der bloßen Tatsache, dass Menschen das gleiche Wort verwenden, kann leider nicht geschlossen werden, dass sie auch den gleichen Begriff meinen. Die Problematik betrifft auch keineswegs nur die Alltagskommunikation, die Geistes- und Sozialwissenschaften, sondern auch die Naturwissenschaften und die Mathematik, wenngleich es gerade bei Begriffen, die psychisches Erleben beschreiben besonders schwierig ist, einen auch nur annähernd gleichen Begriff zu normieren (> nur_empfinden,fühlen,spüren, > Terminologie).

korrigiert: 03.03.2025 irs Rechtschreibprüfung


Änderungen Kleinere Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet und ergänzt.
05.03.2025  Begriffe > Brainstorming Begriffskriterien - Begriffsmerkmale.
03.03.2025  irs Rechtschreibprüfung.
27.02.2025  Sammellinks oben und unten aktualisiert (synchronisiert).
26.02.2025  Kleine Ergänzungen, Verbesserungen.
02.10.2024  Durchgeschaut. Hintergrund Überlegung, ob die Definitionen bzw. Erläuterungen, die sich in der gesichteten Literatur finden, mit Hilfe der hier entwickelten Kriterien näher beurteilt werden sollen? Das wäre noch einmal sehr viel Arbeit.
09.09.2024  Neuordnung der Kriterien. 5 Unterscheidungen statt 4: 1) Sachverhalt, 2)erleben, 3) Begriff/Wiedererkennen, 4) Name/Wort für den Begriff, 5) Kommunizieren.
30.08.2024
00.08.2024   Fortführungen, speziell Erleben.
24.08.2024   Angelegt.