Handlungsprinzip Kontrolle
Handlungsprinzipien in der Allgemeinen und Integrativen
Psychotherapie
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Quelle - Querverweise.
Gemäß Arbeitsprinzip 10 soll die PatientIn wieder- und vorwärts kommen. Wir dürfen sie daher nicht überfordern, damit sie wiederkommt. Und wir dürfen sie nicht unterfordern, damit sie vorwärts kommt. Die Kontrolle des Arbeitsprinzips Therapie-Prozeß-Bewußtheit ist sehr wichtig, um eine jeweils optimale Anpassung an die Situation zu gewährleisten.
(0) Definition Evaluation in der Psychotherapie:
Evaluieren in der Psychotherapie heißt, die Vermutungen, Eindrücke, Ideen, Interpretationen oder die Modelle, die man von den PatientInnen und dem Psychotherapieprozeß hat, zu überprüfen und abzusichern, um den Psychotherapieprozeß und die Entwicklung der PatientInnen entsprechend kontrollieren und beeinflussen zu können.
Untrennbar verbunden mit der Evaluation ist die ständige Psychodiagnostik und Differentialdiagnose psychologischer Funktionen, Dysfunktionen, Störungen und ihrer Veränderungen, der psychotherapeutischen Arbeitsbeziehung, des Psychotherapieprozesses und der äußeren Faktoren, die die Psychotherapie beeinflussen.
Praktische Evaluationsfragen in der Auto-Supervision des Psychotherapieprozesses
sind z. B.:
(1) Was geschieht jetzt?
(2) Was bedeutet das?
(3) Im Hinblick auf unsere Ziele und unseren Therapieplan?
(4) Greife ich ein?
(5) Falls ja, womit, wozu?
(6) Wie prüfe (evaluiere) ich das Ergebnis meines
Eingriffs, meines Tuns und Lassens?
Für praktische Evaluationsfragen können Kenntnisse der psychologisch-psychotherapeutischen
Heilmittel,
Wirk- oder Heilwirkfaktoren sehr hilfreich sein (Sponsel,
R. (1995), besonders Lexikon Heilmittel, Heilwirkfaktoren und Fallbeispiele).
(1) Praxeologisches "Testen" (Querverweis: Zur Allgemeinen und Integrativen Testtheorie)
Das praxeologische Testen - auch eine ganz bedeutsame Qualitätssicherung - ist sehr wichtig, um eine klare Information darüber zu erhalten, wie der tatsächliche psychotherapeutisch-relevante Sachverhalt ist.
(a) Worte sind wie Papier geduldig, vieldeutig und nicht selten auch nichtssagend. Was die Dinge wirklich bedeuten, erkennt man am besten an Handlungen, am besten an solchen, bei denen man selbst dabei und lebendiger Zeuge ist. Genau dieses leistet der "praxeologische Test". Ist man auf Berichte und Erzählungen angewiesen, ist es günstig, wenn man ein bißchen forensisches Aussagewissen und damit Kriterien für stimmige Berichte hat. Das ist natürlich nur dort von Bedeutung, wo der psychotherapeutische Sachverhalt wirklich wichtig ist, etwa ob und wie und mit welchem Resultat eine unangenehme Übung draußen im Feld durchgeführt wurde. Aber auch, um die Therapie zu evaluieren, ist man auf praxeologische Tests angewiesen. D. h. auch, in der GIPT wird das, was und wie PatientInnen erzählen und wo der Wirklichkeitsstatus relevant ist, kritisch hinterfragt und ausgetestet. Einfache Standardmethoden sind das Nachfragen, genau und detailliert schildern lassen, "Columbo-Technik" (nicht verstehen, dumm stellen), was, wie wann, unter welchen Bedingungen, mit welchen Ergebnissen wo geschehen ist oder auch ganz aktuell in der Stunde geschieht. Unübertroffen ist natürlich der praxeologische Realtest, wenn direkt in der Stunde oder im nahen Feld durch eine Aufgabe life studiert werden kann, wie es um den relevanten psychotherapeutischen Sachverhalt steht.
(b) In gewisser Weise ist hier eine Taxonomie psychotherapierelevanter Sachverhalte und wie man sie praxeologisch testen kann, hilfreich. Solche psychotherapierelevanten Standardsachverhalte sind z. B.: KLÄREN von psychotherapierelevanten Sachverhalten (Anamnese, Syndromanalyse, problemspezifische Exploration); kognitives Schema, wie Therapie funktioniert und geschieht; Einstellung zur Therapie; Beziehung zur PsychotherapeutIn; phantasierte Beziehung PsychotherapeutIn zur PatientIn; Selbstverantwortung; echter Wille versus bloßer Wunsch (MAZOKA-Kriterium); klare Bewußtheit über die Bedeutung einer Zielauswahl, z. B. wie geht KLÄREN von [...], wie geht KOMPETENZ - ERWERB von [...], wie geht VERÄNDERN von [...]; Symptomausprägung; Fähigkeiten und Grenzen.
(c) Vereinbarungen, Übungen, Aufgaben müssen immer kontrolliert werden, damit sich keine Demoralisierung und Oberflächlichkeit einschleicht.
(2) Reflexion (Pause, Rückzug)
Mit Reflexion bezeichnen wir die kleine, spontane, sitzungsimmanente und -begleitende Autosupervision. Reflektiere ich über das, was in der Therapie geschieht, befinde ich mich auf der Meta-Ebene. Ist man sich darüber einmal klar geworden, ergibt sich zwanglos, da jede Psychotherapie sozusagen einen ständigen Wechsel zwischen Objektebene (therapeutisches Geschehen) und Reflexion darüber auf der Meta-Ebene bedeutet: "Warum sagt sie das jetzt? Warum spricht sie nicht weiter? Warum nestelt sie nun mit den Händen? Was sage ich jetzt? Wie machen wir nun weiter?" sind alles Meta-Fragen. Zugleich sagen mir meine Antworten etwas über den Stand meiner Therapie-Prozeß-Bewußtheit. Viel Reflexion geschieht unausgesprochen, selbstverständlich. Wenn es schwierig, unübersichtlich und man selbst konfus wird, sollte man sich die Freiheit nehmen, den Therapieprozeß zu unterbrechen und eine kleine Pause (1, 2, 3 ... Minuten) einlegen. In Gruppentherapien wurde früher eine Übung kreiert, die man "Blitzlicht" nannte. Mit der Ankündigung der GruppenleiterIn ein "Blitzlicht" durchzuführen, wurde ganz explizit gemeinsam die Meta-Ebene betreten. "Blitzlicht" hieß: innehalten, gewahr werden: Was ist jetzt mit mir, mit uns, was tun wir, was geschieht, was ist los?
(3) Autosupervision ("große" Reflexion) und Supervision
In unserer Praxis und Gemeinschaftspraxis war von Anfang an die Therapiestunde auf den Faktor 1.5 im Durchschnitt zeitlich (und finanziell natürlich) kalkuliert. Das bedeutet, für eine Therapiezeiteinheit wurde 50 % Vor- und Nacharbeit im statistischen Mittel vorgesehen (das bedeutet manchmal, wenn es gut geht und glatt läuft, daß TherapeutIn weniger Vor- und Nacharbeit braucht, manchmal zwei Bücher liest und manchmal eine ganze Integrative Balintgruppe für die Bearbeitung eines Therapie- Problems braucht), für die "große" Reflexion oder, wie wir es nun nennen wollen, für die Autosupervision). Hier wird in aller Ruhe außerhalb der Sitzung meta-psychotherapeutisch reflektiert: Wo stehen wir, wie läuft es, wo ist es schwierig, wie steht es um die Beziehung, die Einstellung zur Therapie, gibt esFortschritte, was ist mit Abwehr und Widerstand, weicht PatientIn aus, kriselt die Therapie, "dümpelt sie vor sich hin"? Wie sieht es mit meiner Gegenübertragung aus (wichtiger differential-terminologischer Hinweis: Im Unterschied zu manchen psychoanalytischen AutorInnen bedeutet in der GIPT Gegenübertragung nicht die Reaktion der Psychotherapeutin auf die Übertragung der PatientIn, sondern völlig analog die Übertragung der PsychotherapeutIn auf die PatientIn (die ja grundsätzlich davon unabhängig ist, ob die PatientIn überträgt oder nicht)?
Zu den großen Errungenschaften der klinischen
PsychologInnen/ PsychotherapeutInnen BDP (Berufsverband Deutscher Psychologinnen
und Psychologen) gehört es, das Fachteam zur kollegialen Pflicht-Supervision
gemacht und damit den PatientInnenschutz optimiert zu haben, obwohl Supervision
ohnehin für viele PsychotherapeutInnen ganz selbstverständlich
schon immer zu ihrer Arbeit dazugehört hat. Kommt man mit einer Autosupervision
nicht weiter, ist es ein Fall für die große Supervisionsgruppe:
das Fachteam, das in unserem Fall als eine integrative Modifikation der
Balintgruppe konzipiert ist.
Struktur der GIPT-Balint-Supervision in unserer Gruppe
1. Vortragsphase. Die Vortragende trägt den Fall und ihre Probleme damit vor (ca. 30 Minuten). Die Gruppe hält sich zurück, unterbricht nicht, sondern paßt auf und nimmt aufmerksam wahr, was sie, wie sie, in welcher Reihenfolge sie berichtet, achtet auch auf die nonverbalen Signale der Vortragenden.
2. Nachfragephase. Nach dem Vortrag hat die Gruppe 5 - 10 Minuten Gelegenheit, wichtige Informationen, die die Vortragende nicht mitgeteilt hat, nachzufragen. Dauert die Nachfrage-Phase zu lange, kann es sein, daß die Gruppe aktuell nicht sehr gut funktioniert oder daß mit dem Fallvortrag und den Problemen, die er aufgibt, etwas nicht stimmt.
3. Phantasiephase. Dann tritt die Vortragende für ca. 30 - 45 Minuten zurück und muß während der Phantasiephase der Gruppe über sie und ihren Vortrag schweigen. Sie hält alle Phantasien ohne Kommentare oder "Richtigstellungen" aus. Sie nimmt aufmerksam wahr, wie sie die Gruppe erlebt hat, wie sie Tonfall, Stimme, Haltung, Reihenfolge und Inhalte, wie die Sprache aufgefaßt hat und welche Schlüsse sie daraus zieht. Die Gruppe phantasiert, welche Probleme sie sieht, wie sie entstanden sein und aufrechterhalten werden könnten und wie die TherapeutIn damit umgeht. Gegen die Phantasiephase besteht manchmal ein gewisser Widerstand, was man daran erkennt, daß die Informations- und Nachfragephase kein Ende nehmen will. Dabei ist es wichtig, daß ein bißchen Phantasie gewagt wird, weil dadurch jeder persönlich teilnimmt und auch etwas über sich erfährt; fehlende Informationen werden durch persönliche Phantasie ersetzt.
4. Feedbackphase. Nach den Phantasien der Gruppe hält sich die Gruppe nun wieder zurück und die Vortragende gibt der Gruppe in ca. 5 Minuten eine Rückmeldung, wie es ihr "ergangen" ist, wie die Phantasien auf sie gewirkt haben und was sie damit anfangen kann, was die Supervision sozusagen auf den ersten Blick "gebracht" hat.
5. Konstruktive Phase. Die verbleibende Zeit versuchen Vortragende und Gruppe gemeinsam ein Verständnis der Probleme, suchen und entwickeln gemeinsam Lösungsansätze für die erkannten Probleme und ihre Hintergründe. Diese Phase haben wir dem "klassischen BALINT" hinzugefügt. Von speziellen psychoanalytischen Vorannahmen ist die GIPT-Balint-Supervisionsgruppe befreit. Meist wird in einer der folgenden Sitzungen dann berichtet, was die GIPT-Balint-Arbeit gebracht hat und nahezu immer wurde diese Art Fallarbeit als förderlich und hilfreich erlebt und bewertet.
Bemerkung: Hintergrund und Wert des BALINT-GESCHEHENS
Teilweise wird in der Gruppe induziert, was sich im "Fall" abspielt,
so daß aus dem Geschehen in der BALINT-Gruppe der Fall selbst "sichtbar"
werden kann. Der Hauptwert der Methode besteht darin, daß sie wirkt
(seit 1979), ohne daß wir genau sagen könnten, wie genau und
weshalb. Probleme werden meist klarer und Lösungsansätze zeigen
sich. Verschiedene Therapie-Schulen und Ansätze bewähren sich.
Es gibt keinen "Leiter". Gemeinsam sind wir für die Einhaltung der
Regeln verantwortlich. "Neue" wachsen einfach hinein.
(4) Dokumentation: Aufzeichnungen, Tonbänder, Videos
Alles fließt (HERAKLIT), interferiert, überlagert und verändert sich. Schon aus diesem Grund ist Dokumentation wirklich wichtig. Selbst wer nur wenige Stunden tätig ist und nur ein paar Termine pro Woche hat, dürfte sich schwer merken können, was genau in den Stunden vorgegangen ist und bearbeitet wurde. Als ich 1977 anfing, selbständig psychotherapeutisch zu arbeiten, gab es noch keine integrative psychologische Psychotherapie und jeder Integrative war hauptsächlich auf seine eigene Kreativität und Autosupervision angewiesen. Um möglichst schnell eine profunde Grundlage zu bekommen, habe ich alle Sitzungen, sofern die PatientInnen damit einverstanden waren, auf Bänder aufgenommen. In unseren Gruppen, in denen immer eine Ko-TherapeutIn dabei war, wurde viel gefilmt, immer auf Band aufgenommen und teilweise sehr zeitintensiv und mühsam nach Interaktions-Kategorien ausgewertet. Obwohl sehr aufwendig, habe ich doch sehr viel mit diesen mikroanalytischen Feed-Back-Verfahren gelernt. Bei bestimmten Therapiesegmenten empfiehlt sich ohnehin ein Band- oder Videomitschnitt, etwa wenn man jemandem Focusing beibringen möchte, damit man in aller Ruhe kontrollieren kann, an welchen Stellen es hapert oder hakt. Oder wenn es um Lernen, um Kompetenzerwerb in der Therapiestunde geht. Man kann die Bänder dann auch mitgeben, um Übung und Training für die PatientIn daheim zu erleichtern und zu fördern. Ganz unverzichtbar ist die Dokumentation aber für den nächsten Punkt:
(5) Evaluation des Einzelfalles, der Gruppe, Familie ...
Prinzip der Evaluation: Es werden Kriterien, die eine Entwicklung
zu einem Therapieerfolg bzw. zu einem Teilziel anzeigen, ersonnen bzw.
auch während des Therapieprozesses erfaßt und in der Dokumentation
der Stunden vermerkt. Besonders ist auf kriterienvalide Heilmittel (z.
B. Stellen, Können, Tun, Lenken, Denken bzw. bestimmte Kognitive_Schemata,
Empfinden_Fühlen_Spüren)
zu achten. Am erfolgreichsten ist der Erfolg, heißt es. Nach dieser
Sentenz ist es sinnvoll, sich auch kleine, näherungsweise Erfolgskriterien
zu überlegen. Alle diese Kriterien bilden zugleich den Kern des praxeologischen
"Testens" (Evaluierens) und sagen uns, worauf wir besonders achten müssen.
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