4 Analyse einiger Phantasieeinträge
in Büchern, Wörterbüchern und Lexika
In geschweiften Klammen {} werden die Kriterien von mir eingefügt.
Zur Philosophie-Geschichte
des Phantasiebegriffs.
Darüber informiert Eislers Wörterbuch der Philosophie [Online]
Arnold, Eysenck, Meili (1987), Bd. 2, Sp.
1603-05.
gk
{}
"Phantasie. GESCHICHTLICHER ÜBERBLICK. Der Begriff „Phantasie"
(gr.) bedeutet soviel wie Vorstellungskraft. Trevisa (1398) schreibt, daß
bei Nacht häufiger P.n auftreten als am Tag. Newton erwähnt die
Kraft der P., die es möglich macht, farbig zu träumen. Der Begriff
bezieht sich auf subj. >Vorstellungen (keine >Erinnerungsbilder) {K08m},
seien es >Wachträume und Träume {Q02} im Schlaf oder >Halluzinationen
{Q03,
Q04}, in denen visuelle, auditive, taktile und andere Sinnesmodalitäten
(deren Kombinationen) enthalten, sein können. Hume (1883) trennt Vorstellungen
von >Empfindungen; letztere seien eindringlicher und lebhafter. Er meint
aber, daß die Vorstellungen den Empfindungen im >Schlaf {Q02},
im Fieber {Q03} und bei >Geisteskrankheiten {Q04} an Lebendigkeit
nahekommen können. Maury (1861) verwendete den Begriff . „hypnagog"
(wie S. Freud in seiner „Traumdeutung") für die Vorstellungsbilder,
die im Halbschlaf {Q05} auftauchen. Freud beschäftigte sich
mit P. unter dem Konzept der „Primärprozesse" im Ggs. zu den „Sekundärprozessen"
des zielgerichteten Denkens. Die Primärprozesse äußern
sich selbst in Träumen und Tagträumereien {Q02} durch
Wunscherfüllungsphantasien
{K04h}.
Eine weitere Bezeichnung für P. hat Bleuler in seinem Konzept des
>Autismus eingeführt. Autistisches (im Ggs. zu realistischem) Denken
kann Sekunden oder ein ganzes Leben lang dauern und die Realität vollständig
verdrängen (z. B. bei der >Schizophrenie). „Ergebnisse autistischen
Denkens werden nicht durch realistische und logische Kritik geprüft
... es interessiert sich nicht für die Wirklichkeit, sondern für
die Erfüllung seiner Wünsche" {K04h} (Bleuler, 1922; s.
Rapaport, 1951). Bleuler fügt hinzu, daß das normale Denken
eine Mischung aus realistischem (R-Denken) und autistischem (A-Denken)
ist (McKellar, 1957). Das A-Denken kann die Persönlichkeit zerstören,
was bei den >Psy[>1604]chosen vorkommt, oder es kann zeitweilig überhandnehmen,
wie z. B. im Traum, in hypnagogen Zuständen, unter dem Einfluß
von halluzinogenen Stoffen und bei sensorischer Deprivation. Ebenfalls
taucht es bei Tagträumereien auf, in der Mythologie und im Aberglauben.
Einige >projektive Verfahren
{K05h}, wie z. B. der >TAT, enthalten
Standardbilder, die die P. anregen sollen; je nach der vom Pbn gegebenen
(phantasievollen, -armen) Interpretation dieser Bilder werden dann Informationen
über die >Persönlichkeit gewonnen.
In seinen frühen Untersuchungen über Vorstellungsbilder
fand >Galton (1883) „eine ausreichende Verschiedenheit von Fällen,
um beweisen zu können, daß die Stärke von Vorstellungsbildern
kontinuierlich zunimmt, angefangen mit fast völligem Fehlen von Vorstellungen
bis zu ausgeprägten Halluzinationen". Er beobachtete, daß kulturelle
Einflüsse die P.tätigkeit unterdrücken oder verstärken
(anregen) können, z. B. dann, wenn „die nur schwach wahrgenommenen
P.n der Durchschnittsmenschen von hochgestellten Autoritätspersonen
als von großer Bedeutung betrachtet werden ... dadurch, daß
man sich in solchen Fällen regelmäßig mit ihnen beschäftigt,
gewinnen sie immer mehr an Präzision".
NEUERE ERGEBNISSE. Das Konzept des A-Denkens wurde
widerlegt, als man entdeckte, daß registrierbare Phänomene,
auch die schnellen Bewegungen der Augen (REM's = rapid eye movements),
Begleiterscheinungen der Träume zu sein scheinen (>Traum; >Schlaf)
(Aserinsky & Kleitmann, 1958). Durch die Registrierung der REM-Phasen
kann die Traumdauer bestimmt und die Zahl der Träume in einer Nacht
festgestellt werden. Träumen scheint ein allgemein verbreitetes Phänomen
zu sein, und Kleitmann (1963) unterscheidet weniger zwischen Träumern
und Nicht-Träumern als zwischen solchen Menschen, die sich an die
Träume erinnern, und solchen, die sich nicht erinnern können.
Singer und Craven (1961; vgl. Singer, 1966), die Tagträumereien und
allgemeinere P.n mit Hilfe der REM-Phasen untersucht haben, finden einen
Höhepunkt der Tagträumereien in der Gruppe von 18-29 Jahren,
und sie berichten, daß [>1605] 96 % ihrer Versuchspersonen täglich
Tagträume hatten.
Holt (1964) betont die Bedeutung der Erforschung
der P. und der Vorstellungstätigkeit für die der Praxis sehr
nahen Probleme der modernen >Verkehrs- und Betriebspsychologie. Der Test
von R. Gordon (1949), der die Beweglichkeit von Vorstellungsbildern prüft,
und der Test von Bett (1909) für deren Lebhaftigkeit werden immer
mehr verwendet (Richardson, 1969). Synästhesien wurden intensiv von
Luria (1969) an einer Vp untersucht, die diese Art von Vorstellungen hatte.
Heute kennt man viele Pflanzen und deren Extrakte, die das A-Denken hervorrufen;
Untersuchungen der Ethnobotanik lassen vermuten, daß es noch viele
unerforschte Quellen von halluzinogenen Stoffen gibt. Hierin ist ein vielversprechendes
Gebiet für die Erforschung der chemisch stimulierten P. zu sehen (Efron,
Holmstedt & Kline, 1967). Auf diesem Gebiet, ebenso wie bei der Erforschung
der sensorischen Deprivation, wurde der Begriff >„Halluzination" (wie auch
P.) viel zu weit ausgedehnt. Der allgemeinere Begriff >Vorstellung
ist eine zutreffendere Bezeichnung für viele der hier erwähnten
Phänomene.
Lit.: Efron, D. H, Holmstedt, B. & N. S.
Kline (Eds.): Ethnopharmacologic search for psychoactive drugs. Washington,
1967; Galton, F.: Inquiries into human faculty. London, 1883; Holt,
R. R.: Imagery: the return of the ostracized. Amer. Psychologist, 1964;
Kleitman,
N.: Sleep and wakefulness. Chicago, 1963; Luria, A. R.: The
mind of a mnemonist. London, 1969; McKellar, P.: Imagination and
thinking: London, New York, 1957; Rapaport, D.: Organization and
pathology of thought. New York, 1951; Richardson, A.: Mental imagery.
London, 1969; Singer, J. L.: Daydreaming: an introduction to the
experimental study of inner experience. New York, 1966. P. McKellar"
Vollzitat mit freundlicher Genehmigung
des Herderverlages vom 07.08.2017.
Kriterien Diskussion: Es werden folgende
Kriterien genannt: {K04h, K05h, K08m} und an Quellen {Q02, Q03,
Q04, Q05}. Nicht genannt werden: {K01h, K02h, K03h, K06h, K07m}.
Bertelsmann (1995) Lexikon der Psychologie
(1995). {}
"Phantasie [griech.], Einbildungskraft (> Imagination); die
Fähigkeit, etwas nicht sinnlich Gegebenes und auch nicht erinnerungsmäßig
Vergegenwärtigtes anschaulich {K08m} vorzustellen, gleichviel,
ob das Ergebnis dieser Vorstellung nur eine neue {K03h} Kombination
früherer Wahrnehmungen ist oder eine völlig neuartige Schöpfung,
ob es auch in der Wirklichkeit existieren könnte oder nicht {K02h}.
- Die Ph. wird oft (neben der > Inspiration) als Hauptbedingung der künstlerischen
Produktivität angesehen; andererseits sind auch Traumbilder echte
Ph.-Vorstellungen. Die Ph.-Inhalte sind meist durch triebhafte oder emotionale
Momente mitbestimmt.
Die biologische Funktion der Ph. wird in der durch die Vorstellungskraft
geschaffenen Möglichkeit eines inneren Probehandelns gesehen, das
es erlaubt, verschiedene Verhaltensalternativen durchzuspielen, ohne in
der Wirklichkeit ein Risiko eingehen zu müssen. Psychologisch gilt
die Ph. als ein Intelligenzfaktor, weil sie zum Finden von Problemlösungen
{K01h}
beitragen
kann. Bei S. Freud ist die Ph. den > Primärprozessen zugeordnet."
Kriterien Diskussion: Es werden genannt:
{K01h,
K02h, K03h, K08m}. Nicht genannt werden: {K04h, K05h, K06h, K07m}.
Boreas (1939) Phantasiebegriff. S. 248:
{}
"Phantasie nennen wir die psychische Fähigkeit, die auf Grund
von im Bewußtsein vorhandenen Elementen neue {K03h} Vorstellungen
{K08m}
und
neue Bilder schafft. Man unterscheidet zwei Erscheinungsarten der Phantasie,
die anschauliche {K08m} und die schöpferische. Die erstere
äußert sich in der genauen Erfassung und der deutlichen Darstellung
der Bilder, die andere mehr in der vielfachen Verbindung und in der Schöpfung
neuer {K03h} Gestalten."
Kriterien Diskussion: Es werden genannt:
{K03h,
K08m}. Nicht genannt werden: {K01h, K02h, K04h, K05h, K06h, K07m}.
Dorsch "Fantasie {}
(= F.) [engl. fantasy, imagination; gr. ... (phantasia)
Vorstellung
{K08m}, Erscheinung, Gespinst], gleichbedeutend mit
Vorstellungskraft, [KOG, PER], ebenso die Vorstellungen, die neu {K03h}
in
unser Bewusstsein treten und sich mit den vorhandenen Bewusstseinsinhalten
verbinden. Entscheidend ist das Neuartige der F.kombinationen. Sie enthalten
meist weder Erinnerung noch Wiedererkennen, wenn sie auch die Neuorganisation
von Erfahrenem sein können. Die F. kann absichtlos schweifen {K06h}
(passiv)
oder planvoll (aktiv), mehr reproduzierend oder rein kombinatorisch geartet
sein. Sie kann im Traum {Q02}, durch Drogen {Q04} erzeugt,
bei sensorischer Deprivation {Q05}, im Aberglauben {Q07}
und
vor allem bei Psychosen {Q04} überhandnehmen und die Persönlichkeit
beeinträchtigen. Freud ordnete die F. den Primärprozessen (Primärvorgang)
zu." [Quelle: https://portal.hogrefe.com/dorsch/fantasie/]
Kriterien Diskussion: Es werden genannt:
{K03h,
K06h, K08m} und es fehlen: {K01h, K02h, K04h, K05h, K07m}. Als
für mich neue Quelle wird Aberglaube genannt, deshalb habe ich Quelle
Q07 eingeführt.
Anmerkung: In dem Text erkennt man die Handschrift
des Vorläufers (> Giese).
Aus der Enzyklopädie der Philosophie
und Wissenschaftstheorie, Mittelstraß (2016, Hrsg.), 2. Auflage,
Bd. 6, S. 184f: {}
"Phantasie ... Im heutigen Sprachgebrauch Bezeichnung
sowohl für den Vorgang der Einbildung und > Vorstellung {K08m}
als
auch für das entsprechende Vermögen, und zwar im Sinne
der Produktion neuer wie der Neukombination {K03h} erinnerter Denk-
und Vorstellungsgehalte.
P. gilt als unabdingbar für alltagspraktische, künstlerische,
technische und wissenschaftliche Kreativität und > Spontaneität
(>spontan / Spontaneität). Auf Grund ihres möglichen antizipatorischen
(>Antizipation) Charakters können P.n motivationale Bedeutung haben
(> Motiv), auf Grund ihrer wirklichkeitsignorierenden {K02h} und
wirklichkeitsüberbietenden Tendenz Realitätsflucht begünstigen
(>Leben in der bloßen P.<). Dieser möglichen negativen Funktion
entsprechend werden P.n psychopathologisch
{Q04}
nach dem Grad unterschieden,
in dem sie das Realitätsbewußtsein eines Menschen einschränken
(von gesteuerten und ungesteuerten P.n
{K06h}
im Wachzustand und
bei vollem Bewußtsein ihrer Irrealität bis zu Träumen
{Q02}wahrend
des Schlafs und Trug- und Wahnvorstellungen bei Psychosen).
{Q04}
...
..."
Kriterien Diskussion: Es werden genannt:
{K02h,
K03h, K06h} und es fehlen: {K01h, K04h, K05h, K07m}.
Giese (1920) Psychologisches Wörterbuch
"Phantasie [gr. phantasia Vorstellung] Vorst., die als neu {K03h},
fremd in unser Bew, treten und sich mit dem vorhandenen Bew.Inh.
verbinden. Sie zeigen weder Erinnerung, noch Wiedererkennen, sondern stellen
neue, spielerisch verknüpfte Gedankenverbindungen dar, die meist lustbetont
sind. Ph. kann absichtslosschweifend {K06h} = (passiv), planvoll-zielbewußt
(= aktiv), mehr *reproduzierend oder rein *kombinatorisch geartet sein.
Ihr Inhalt ist *konkret oder *abstrakt, vorst.-reich oder -arm, abstrahierend
oder determinierend, subj. oder obj. Die höchste Art der Ph. zeigt
sich erlebt vom Künstler. Sie ist in bescheidener Weise erforschbar
durch Beob. künstlerisch schaffender Menschen, Sammlung von Selbstzeugnissen,
durch Stellen von Erfindungsaufgaben, Ausdeutenlassen von Bildern und sinnlosen
Figuren (s. Intelligenzprüf.), Analyse der Träume"
Kriterien Diskussion: Es werden genannt:
{K03h,
K06h, K08m} und es fehlen: {K01h, K02h, K04h, K05h, K07m}. Interessant
ist, dass Giese auch unanschauliche Inhalte für phantasieren zulässt.
Spektrum Lexikon der Psychologie {}
"Phantasie 1) Produktionskraft des Bewußtseins, wie Märchen
oder Mythen als eine besondere Verarbeitungsform der Wirklichkeit. Der
Entwurf von Alternativen {K03h} im Gegensatz zur Realität kann
unterschiedliche Bedürfnisse {K04h} erfüllen: a) ästhetische
Bedürfnisse, um den persönlichen Erlebnisraum zu vergrößern;
b) praktische Bedürfnisse, um Konsequenzen in der Zukunft {K07m}
gedanklich
vorwegzunehmen (Problemlösen). c) Ersatzbefriedigung
{K04h},
indem das durch den Alltag beschädigte Selbstbewußtsein durch
Tagträume und Utopien ausgeglichen wird. Das Phantasieren hilft, Wohlbehagen
und narzißtisches Gleichgewicht zu stabilisieren, und Bedrohungen
oder beschämende Erfahrungen abzuwehren. Es ist außerdem eine
Quelle kreativer Handlungen (Kreativität). 2) Zentraler, mehrdeutiger
Begriff der Psychoanalyse: a) Phantasie im Sinne von Einbildungskraft,
d.h. als Vermögen zu imaginieren; b) Phantasien als Inhalte der phantasierten,
imaginären Welt {K02h}; c) Phantasie als schöpferische
Aktivität, die diese Phantasie-Inhalte belebt. Nach Freud sind Phantasien
auf die stimulierende Funktion von Triebimpulsen zurückzuführen.
Phantasietätigkeit sei der Gegensatz zum realitätsgerechten Denken,
die Fortsetzung des Kinderspiels, sie sei mit Träumen verwandt und
würde aus Wunschvorstellungen {K04h} heraus gebildet. Ihre
Funktion sei, in der Wirklichkeit nicht gegebene Befriedigungsmöglichkeiten
{K02h}
auszumalen
und Lustwünsche unabhängig vom Triebobjekt zu befriedigen {K04h}.
Im Gegensatz zur Vorstellung beinhalte Phantasie eher eine Szenen- oder
Handlungsabfolge, bei der die Realitätsprüfung weitgehend ausgeschaltet
wird."
Kriterien Diskussion: Es werden genannt:
{K02h,
K03h, K04h, K07m} und es fehlen: {K01h, K05h, K06h, K08m}.
Husserl (1980),
S. 4: Zum Phantasiebegriff {}
"15 ... ...
... ...
Sicherlich spielt
im gewöhnlichen Wortsinn der Phantasie ein
Moment seine Hauptrolle: Das Phantasieren
ist gegenübergesetzt
dem Wahrnehmen und dem anschaulich Für-wahr-Ansetzen
des
20 Vergangenen und Künftigen, kurz, allen Akten, die individuell
Konkretes als seiend ansetzen. Die Wahrnehmung
lässt uns eine
gegenwärtige Wirklichkeit als gegenwärtig
und als Wirklichkeit
erscheinen, die Erinnerung stellt uns
eine abwesende Wirklichkeit
vor Augen, nicht zwar als selbst gegenwärtig,
aber doch als
25 Wirklichkeit. Der Phantasie hingegen fehlt das auf
das Phan-
tasierte bezogene Wirklichkeitsbewusstsein
{K01h}.
Ja noch mehr. Ge-
meiniglich drückt das Wort, zumal
das parallele Wort „Einbil-
dung”, die Un-Wirklichkeit{K01h},
die Vorspiegelung aus, das
Phantasierte ist bloss Einbildung, d.h.
bloss Schein {K01h}. Freilich
30 merken wir auch, dass nicht jeder Schein, auch nicht jeder
sinn-
lich-anschauliche Schein als Einbildung,
als Phantasieschein gilt.
Die Quelle des Scheins muss im Subjekt
liegen, der Schein muss
dem Subjekt, seinen Tätigkeiten,
seinen Funktionen, seinen
Dispositionen zugerechnet werden. Wird
er physikalischen Grün-
35 den zugerechnet, gründet er in der äusseren Natur,
wie der ge-
brochene Stab im Wasser, der wundermächtig
aufgehende Mond
u.dgl., dann spricht man nicht von einer
Phantasieerscheinung."
Kriterien Diskussion: Das grundlegend
wichtige Kriterium {K01h}, wonach es darauf ankommt, dass ein Geschehen
nur im Geiste und nicht in der realen Wirklichkeit stattfindet, das bei
den meisten Definitionsversuchen fehlt, hat bei Husserl den gebührenden
zentralen Stellenwert. Und er bestimmt auch sehr klar: "Die Quelle des
Scheins muss im Subjekt liegen." Es fehlen in dieser Zitatstelle alle anderen:
{K02h,
K03h, K04h, K05h, K06h, K07m, K08m}.
Kritik: Husserl
analysiert zwar sorgfältig, aber nur sein eigenes Bewusstsein
- das er damit zum Maßstab aller Wissenschaft macht - und sein Wissen
(auf das er nach seiner eigenen Reduktions-Lehre verzichten müsste)
und das er auch nicht belegt. Auf konstruktive
Definitionen verzichtet er, weil er seine Phänomenologie
und Wesensschau fundamental für vorgeordnet hält. Es ist natürlich
völlig klar, dass man um sein Vorverständnis, seine Erfahrungen
und Vorurteile zu kontrollieren - eine große Stärke der Phänomenologen
- , dieses explizit heranziehen und untersuchen muss. Damit wird aber -
wenn auch naive und unkritische - Psychologie betrieben, der Husserl eigentlich
sagen möchte, wie sie seiner Meinung nach zu betreiben ist. Seine
Behauptung, Wesensschau sei keine Tatsachenwissenschaft ist völlig
falsch. Um zum Wesen vorzustoßen, muss er vergleichen,
nämlich was er - besser wäre auch noch andere - erlebt, erfahren
hat und weiß. Wie will er denn herausfinden, dass es das Wesen des
Dreiecks
ist, drei Ecken zu haben, wenn er nicht viele Dreiecke miteinander vergleicht?
Mit diesen Vergleichen befindet sich in der Welt der Tatsachen. Das nicht
erkennen ist sein Grundwiderspruch.
James, William Phantasie aus der Psychologie
(1909) > ausgelagert, da zu umfangreich.
Obwohl nicht ausdrücklich methodisch erläutert, beginnt James
mit Definitionscharakteristiken (Abbilder neu kombiniert := Phantasie).
Er hat viele Selbstversuche gemacht und empirisches Material zusammengetragen,
was ihn wohltuend hervorhebt. {}
Einige Extrakte
-
"Die Fähigkeit, solche Abbilder früher erlebter Originale zu
reproduzieren, wird Phantasie oder Einbildungskraft genannt. {K08m}
Wir
heißen die Phantasie „reproduktiv", wenn die Abbilder dem Original
genau entsprechen; „produktiv", wenn Elemente von verschiedenen Originalen
zusammengefügt werden, so daß ein neues Ganzes {K03h}
entsteht.
Werden diese Bilder {K08m} mit Begleitumständen
vorgestellt, die konkret genug sind, um ein Datum zu konstituieren, dann
bilden sie, wenn sie erweckt werden, Erinnerungen. Den Mechanismus der
Erinnerung haben wir soeben kennen gelernt. Wenn diese geistigen Bilder
sich aus frei kombinierten Gegebenheiten zusammensetzen und keine frühere
Kombination genau wiedergeben, dann haben wir es mit eigentlichen Akten
der Phantasie zu tun.
Die Menschen unterscheiden sich hinsichtlich
ihrer optischen Phantasie. — Unsere Ideen oder Bilder von vergangenen
sinnlichen Erlebnissen können entweder deutlich und genau oder dunkel,
verwischt und unvollständig sein. " (S. 303)
-
"Galton begann im Jahre 1880 eine statistische Untersuchung, von der man
sagen kann, daß sie eine neue Phase in der Entwicklung der deskriptiven
Psychologie herbeigeführt hat. Er schickte an eine große Anzahl
von Leuten ein Zirkular mit der Aufforderung, das optische Erinnerungsbild,
ihres Frühstückstisches an einem gegebenen Morgen zu beschreiben.
Die dabei beobachteten Verschiedenheiten waren enorm; und sonderbarerweise
zeigte es sich, daß wissenschaftlich hervorragende Menschen im Durchschnitt
eine geringere Fähigkeit zur Visualisierung bezeugten, als jüngere
und unbedeutendere Personen." (S. 304)
-
Im weiteren (304-309) geht es um Erinnerungs- und Vorstellungstypen bis
James S. 309 unten auf Pathologische Verschiedenheiten zu sprechen kommt,
wobei er zunächst feststellt: "Das Studium der Aphasie (Seite 111)
hat in den letzten Jahren gezeigt, wie über alle Erwartung groß
die Verschiedenheit der Individuen im Gebrauch [>310] ihrer Phantasie ist."
Kriterien Diskussion: In diesen Extrakten
werden genannt: {K03h, K08m}. Bemerkenswert ist, dass James anschauliche
Reproduktionen von Erinnerungen der Phantasie zuordnet. Im übrigen
betont James die enorme Vielfalt, die bereits damals bei Untersuchungen
(z.B. Aphasie-Studien) festgestellt wurde.
Lucka, Emil (1908) Die Phantasie.
Eine psychologische Untersuchung. Leipzig: Braumüller.
Lucka 1908 Inhaltsverzeichnis
Lucka: Verlagerung {}.
Quelle Lucka (1908), S. 63: "Eine interessante Abart der Bildkombination
findet sich besonders im Traume {Q02} häufig. Ein Gebilde wird
in eine ganz neue Umgebung {K03h} versetzt, durch die es selbst
in seiner Gestalt verändert wird. So kann z. B. das gutmütige
Gesicht eines Bekannten auf dem eisengepanzerten Leib eines Condottiere
gesehen {K08m} werden, der unbewegt über ein Leichenfeld reitet.
Die neue Umgebung wirft ihren blutigen Reflex auf das vertraute, anders
gewordene Gesicht."
Kriterien Diskussion: In dem kurzen Ausschnitt
werden genannt: {K03h, K08m} und die Quelle {Q02}.
Lucka: Kombinationen
durch Wiederholung {}.
Quelle Lucka (1908), S. 63: "Oder die Kombination {K03h} entsteht
durch eine Wiederholung des gleichen Gebildes. Das gesehene und
später wiedererinnerte Bild {K08m} eines römischen Soldaten
kann vielleicht zur Vorstellung einer ganzen Legion werden. Auch hier ist
Kombination {K03h} im Spiel: die Vorstellung einer geordneten Menschenmenge
tritt gewissermaßen mit der des Söldners in Beziehung und formt
sie um {K03h}."
Kriterien Diskussion: In dem kurzen Ausschnitt
werden genannt: {K03h, K08m}.
Lucka: Überlagerungen {}.
Quelle Lucka (1908), S. 63: "2. Ein ganz typisches Gebilde der
Traumphantasie ist es, daß verschiedene Bilder {K08m} nicht
wie in der Kombination zu einem gegliederten Neuen verschmelzen, sondern
sich gewissermaßen übereinander lagern, ohne doch ein neues
Bild entstehen zu lassen. Etwas Unbestimmtes, Unfaßbares haftet diesen
Gebilden an. Die unklare Vorstellung eines Menschen ist da, der aber doch
wieder ein wildes Tier, dann ein Berg zu sein scheint {K05h}. Verschiedene
Vorstellungen {K08m} fallen wie halbdurchsichtige Bilder übereinander,
hemmen sich gegenseitig und bilden doch nichts geformtes Neues."
Kriterien Diskussion: In dem kurzen Ausschnitt
werden genannt: {K05h, K08m}.
Ribot, Theodule
(dt. 1902; orig 1900) Die Schöpferkraft der Phantasie. >
Inhaltsverzeichnis.
Phantasie bei einer
Begegnung {}.
Quelle Ribot (1902), S. 224: "... Von vielen Beispielen gebe ich nur
eins. Einer meiner Gewährsmänner schreibt mir, wenn seine Aufmerksamkeit
sich in der Kirche, im Theater, auf Plätzen ober Bahnhöfen auf
irgend eine Person, Mann oder Frau, richte, stelle er sich sogleich nach
ihrem Aussehen, ihrer Kleidung und ihrem Benehmen ihre augenblickliche
und frühere Lage, ihre Lebensweise und Beschäftigung vor und
sogar das Stadtviertel, in dem sie lebe, ihre Wohnung mit Einrichtung u.s.w.,
eine in den meisten Fällen irrige {K02h} Konstruktion, wofür
ich mannigfache Beweise habe. Sicherlich ist diese Veranlagung normal;
sie entfernt sich vom Durchschnitt nur durch eine ungewöhnliche Phantasiekraft,
die bei anderen durch eine übermäßige Neigung zur Beobachtung
und Analyse, zur Kritik, zum logischen Denken oder zu Spitzfindigkeiten
ersetzt ist. Um den entscheidenden Schritt zu tun, um anormal zu werden,
muß eine weitere Bedingung hinkommen, die Intensität der Vorstellungen.
{K08m}"
Anmerkung: Ribot geht von der Phantasie direkt zu Vorstellungen über,
als ob das für ihn das Gleiche sei.
Kriterien Diskussion: In dem Beispiel werden
genannt: {K01, K02h, K08m}.
Bilder als Kriterium bei Rubinstein
(1968), S. 410 {}
"DAS WESEN DER EINBILDUNGSKRAFT
Die Bilder {K08m}, mit denen der Mensch operiert, bleiben
nicht auf die Reproduktion des unmittelbar Wahrgenommenen beschränkt.
Der Mensch kann auch das in Bildern vor sich sehen, was er nicht unmittelbar
wahrgenommen hat. Er kann auch etwas sehen, was es überhaupt nicht
gibt, und auch etwas, was es gerade in dieser konkreten Form in der Wirklichkeit
nicht gibt {K02h}. So kann nicht jeder in Bildern verlaufende Prozeß
als ein Reproduktionsprozeß verstanden werden. Eigentlich ist jedes
Bild in irgendeinem Maße sowohl Reproduktion — wenn auch eine ganz
entfernte, mittelbare, modifizierte — als auch Umbildung {K03h} des
Wirklichen. Diese beiden Tendenzen, die immer in einer gewissen Einheit
vorliegen, divergieren gleichzeitig. Während die Reproduktion der
Grundzug des Gedächtnisses ist, ist für die Einbildungskraft
die Umbildung {K03h} des Reproduzierten charakteristisch. Sich etwas
einbilden heißt, es umbilden. {K03h}"
Kriterien Diskussion: Es werden genannt:
{K02h,
K03h, K08m} und es fehlen: {K01h, K04h, K05h, K06h, K07m}.
Sanders Phantasietest (Fortsetzung
einer angefangenen Zeichnung) {}.
"Bei diesem Test wurden die Probanden dazu aufgefordert eine Zeichnung
fortzusetzen, die bereits mit ein paar Linien und Kurven auf einem Blatt
begonnen wurde. Er wurde nur 1955 und nur bei den Kriegskindern verwendet."
[Q]
Kriterien Diskussion: Diesem kurzen Text
sind zwei Kriterien zu entnehmen: {K05h, K06h}. Wichtig ist hier
noch, dass die Phantasieäußerung auf der Handlungsebene erfolgt
(wie im kindlichen Spiel).
Berger (1939), führt S. 500f zum Sander'schen
Phantasietest aus:
"A. Problem und Methode
Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zur Methodik der psychologischen
Eignungsuntersuchung 14-jähriger Schulabgänger liefern. Es wird
untersucht, in welcher Weise hierbei der SANDERsche Phantasietest als diagnostisches
Hilfsmittel verwendet werden kann.
Der Phantasietest, wie ihn F. SANDER seit 1920 im
psychologischen Praktikum anwendet und 1927 zum erstenmal an einem Beispiel
beschrieben hat [FN1]), besteht aus Vorlagen, die in einem rechteckigen
Rahmen „zusammenhanglose Teilgestalten" aufweisen, die als „Glieder in
ein gestalthaftes Ganzes einzubauen" sind [FN2]). Der Test diente ursprünglich
der Untersuchung struktureller Angelegtheiten des Gestalterlebens. Es erwies
sich bald, daß damit auch andere Seiten des seelischen Gesamtgefüges
erfaßt werden. „Die meisten dieser Lösungen leuchten blitzartig
auf in einem ausgesprochen gefühlsartigen Vorgestalterlebnis und gewähren
Einblick in wesentliche Züge schöpferischer Phantasie, in die
individuelle
Struktur ihres Urhebers und die durch individuelle Erlebnisniederschläge
gestifteten Einstellungen" [FN2]). Das Problem dieser Art Phantasietest
erscheint in der Literatur noch in zwei Arbeiten E. WARTEGGS [FN3]). WARTEGG
berichtete erstmalig 1934 über Ergebnisse, die er mit dem Zeichentestverfahren
erzielt hat. WARTEGGS Zeichentest zeigt genau dasselbe [>501] Prinzip wie
der von F. SANDER und unterscheidet sich von diesem nur in der Anordnung
der Gegebenheiten und in der Bearbeitungsweise. WARTEGG gibt eine Vorlage,
die in 8 kleine Teilflächen eingeteilt ist. Jede dieser Teilflächen
enthält eine besondere Anordnung der Ausgangsfiguren. Diese sollen,
wie es auch in F. SANDERS Instruktion verlangt wird, von der Vp. zu einem
Ganzen ergänzt werden, jedoch besteht hier bei F. SANDER der Vorzug,
daß die Vorlage beliebig gedreht werden kann, während sie bei
WARTEGG in einer bestimmten Lage gegeben wird. ..."
FN1) F. SANDER, Experimentelle Ergebnisse der Gestaltpsychologie.
Bericht über den X. Kongreß für experimentelle Psychologie
in Bonn, Jena 1928. S. 64 ff.; ders., Zur neueren Gefühlslehre. Bericht
über den XV. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie
in Jena 1937. S. 43.
FN2) F. SANDER, Exp. Ergebn., a. a. 0. S. 66.
FN3) E. WARTEGG, Gefühl. Neue Psychologische Studien,
Bd. XII, Leipzig 1934. S. 121—127; ders., Gefühl und Phantasiebild.
Bericht über den XV. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für
Psychologie in Jena, Jena 1937. S. 70—81."
Segals Phantasiebegriff (1916)
.
Das Buch Segals ist eine hochinteressante und reiche
Sammlung mit sehr vielen Fundstellen von 12 hochprofessionellen Versuchspersonen
(studierte PsychologInnen) für viele Phantasien. Diese Arbeit ist
echter empirischer Schatz für die Phantasieforschung.
Letztes und 11. Kapitel Zum Begriff der Phantasie,
S. 490-492: {}
"... Überall [>491] sehen wir hier, daß die „alte" Situation
und die „alte" Umgebung, in der wir uns wirklich befinden, zurücktritt
und daß die neue, sei es vorgestellte oder wahrnehmungsmäßig
gegebene und dargestellte ihre Stelle einnimmt. Überall ist die Folge,
daß unser Ich in die neue Situation versetzt wird und zwar entweder
als bloßer Zuschauer oder als handelnde, fühlende und denkende
Persönlichkeit {K01h}. Wenn wir uns auf die Fälle
beschränken, in welchen die neue Situation nur vorstellungsmäßig
{K08m}
gegeben
wird, so werden wir das Gemeinsame des Traumes
{Q02}, des Wachträumens
{K06h}
und
des ästhetischen Verhaltens während der Lektüre darin sehen,
daß wir in den vorgestellten Situationen, welche den Wirklichkeits-
und den Gegenwartscharakter tragen, uns passiv oder aktiv verhalten, daß
wir von einem idealen Standort aus sie betrachten, in ihnen handeln, denken
und fühlen. Dieses Gesamtverhalten, welches verschiedene Grade der
Kompliziertheit von dem bloßen „unpersönlichen Sehen" einer
Situation „irgendwo" bis zu dem persönlichen Handeln, Fühlen
und Denken in der vorgestellten
{K08m} Situation, die sich im „realen
Raum", d. h. in einer bekannten Umgebung oder auch „irgendwo" befinden,
glauben wir Phantasievorgang nennen zu dürfen {K01h}.Und zwar
können wir von einem Phantasievorgang im engeren Sinne sprechen, wenn
wir den Nachdruck auf das vorstellungsmäßige Gegebensein
{K08m}
der
Situation legen, und von Phantasievorgang im weiteren Sinne, wenn wir auch
das ähnliche Verhalten in den dargestellten und wahrnehmungsmäßig
zugänglichen Situationen in Betracht ziehen. Wenn wir den Phantasiebegriff
in so weitem Sinne nehmen, finden wir uns in Übereinstimmung mit dem
Sprachgebrauche, der zur Phantasietätigkeit nicht nur die Träume
und das Wachträumen, sondern auch das ästhetische Verhalten und
das Spiel. rechnet. Jetzt sehen wir, daß dieser Sprachgebrauch auf
einer richtigen psychologischen Beobachtung beruht.
Wir verhehlen uns freilich nicht, daß im Sprachgebrauche
noch vieles andere Phantasie heißt und daß es einfach unmöglich
ist, einen einheitlichen Phantasiebegriff zu finden, welcher mit alledem,
was der Sprachgebrauch Phantasie nennt, im Einklang stehen würde.
Wir glauben aber nicht, daß ein solcher Einklang das Ziel wissenschaftlicher
Begriffsbildung ist. Wir dürfen nicht vergessen, daß auf die
Bildung des populären Phantasiebegriffs [>492] viele heterogene und
auch manchmal völlig einander entgegengesetzte und widersprechende
Gesichtspunkte zusammengewirkt haben. Da macht sich einmal der Gesichtspunkt
der Neuheit der Vorstellungen {K03h} und der „Produktivität"
(„neue Kombination aus früheren Wahrnehmungselementen", z.B. eine
grüne Schultafel), also der des Ursprungs der Vorstellungen {K08m}
geltend, dann der Gesichtspunkt der phänomenologischen Eigenart der
Gegebenheitim Unterschied zu anderen Gegebenheiten, dann wiederum der erkenntnistheoretische
Gesichtspunkt der Unwirklichkeit im Gegensatz zur Realität (z. B.
Vorstellung von dem Zentaur, der nur „Phantasie" ist) {K02h},
der Gesichtspunkt der Deutlichkeit und der Lebhaftigkeit der Vorstellungen
{K08m},
der Gesichtspunkt der Originalität der Leistungen auf allen Gebieten
des seelischen Lebens (so spricht man von wissenschaftlicher Phantasie
des Mathematikers und des Philosophen) und noch manche andere. Allen diesen
Gesichtspunkten in einem Begriffe Rechnung tragen zu wollen, wäre
ein erfolgloses Unternehmen.
Unser Begriff der Phantasie, die wir ganz allgemein
als ein Denken, Fühlen und Wollen in vorgestellten Situationen mit
Wirklichkeits- und Gegenwartscharakter {K01h} definieren können,
berücksichtigt das charakteristische psychische Gesamtverhalten des
Individuums, die phänomenologische Eigenart der Vorstellungsgegebenheit,
mag die letztere eine originelle produktive Leistung sein, oder bloß
ein Nacherleben einer Situation, die man schon einmal erlebt hat und an
die man sich erinnert. Die wichtige Tatsache, daß die Vorstellungsgegebenheiten,
die ursprünglich mit dem Erinnerungscharakter auftreten, im weiteren
Verlauf sich in Vorstellungsgegebenheiten mit dem Gegenwartscharakter verwandeln,
gibt uns ein Recht dazu. Wir richten uns hier nicht nach dem Ursprung der
Gegebenheit, sondern bloß sozusagen nach ihrem Aussehen im Bewußtseinsquerschnitt.
Und in dieser Beziehung unterscheidet sich das Phantasieren über ein
neues Thema von dem Phantasieren, das sich mehrere Male wiederholt, gar
nicht. Dafür sprechen nicht bloß Tatsachen, die wir unseren
Versuchen entnehmen, sondern auch viele Tatsachen aus dem täglichen
Leben. So geschieht es. nicht selten, daß man während des Wachträumens
{K06h,
Q02}, das das typische Beispiel des Phantasierens ist, zu denselben
Situationen und Ereignissen zurückkehrt: ..."
Kriterien Diskussion: Es werden genannt:
{K01h,
K02h, K03h, K05h, K06h, K08m} und es fehlen nur: {K04h, K05h, K07m}.
Anmerkung zu den Versuchspersonen,
S. 302: "An den Versuchen beteiligten sich die Vpn.: Miss Tucker und die
Herren: Dr. Behn, Dr. Bühler, Dr. Grünbaum, Prof. Külpe,
stud. phil. Noltein, cand. phil. Pohl, cand. phil. Rangette, cand. phil.
Rüster, Dr. Silberstein und Dr. Wirtz. Ihnen allen soll auch an dieser
Stelle ein herzlicher Dank ausgesprochen werden. Außer diesen Vpn.
fungierte auch der Verfaßer als Vp. Die Vpn. sind im Folgenden mit
den Zahlen I—XII bezeichnet, wobei zu bemerken ist, daß die Zahlen
nicht der Reihenfolge entsprechen, in der die Vpn. oben genannt worden
sind. Wir möchten hier betonen, daß manche Vpn. die Anonymität
ausdrücklich gewünscht haben. Vp. XII ist der Verfasser. Alle
Vpn. zusammen reagierten auf 1977 Reizwörter, nämlich die Vp.
I auf 182, II auf 200, III auf 76, IV auf 200, V auf 182, VI auf 188, VII
auf 181, VIII auf 157, IX auf 206, X auf 212, XI auf 90 und XII auf 103
Rw."
Stern, William (1950) 18. Kap.: Phantasie und
19. Kap.: Sonderfunktionen der Phantasie (Träumen, Spielen Schaffen)
in Allgemeine Psychologie auf personalistischer Grundlage. in
Arbeit. Im Netz als PDF.
Titchener (1912) § 119 Die Phantasievorgänge.
Volltext
ausgelagert. {}
Einige Extrakte hieraus:
S. 422, Neues Kriterium {K-Titm}: von einem
Gefühl der Neuheit oder Fremdheit umgeben
"Soviel scheint aber klar zu sein, daß eine Vorstellung {K08m}
nur
dann für uns eine Phantasievorstellung sein kann, wenn sie als eine
unbekannte {K03h} in unser Bewußtsein eintritt und von
einem Gefühl der Neuheit oder Fremdheit {neues, von mir bislang
nicht erfasstes Kriterium} umgeben ist; dieses Gefühl der Fremdheit
ist für die Phantasie ebenso wichtig wie das der Bekanntheit für
das Gedächtnis. Die Bewußtseinslage bei der Phantasievorstellung
kann dann entweder die der aktiven oder der passiven Aufmerksamkeit sein
(S. 275 f.), und wir sprechen je nachdem von passiver oder reproduktiver
und von aktiver, schöpferischer oder konstruktiver Phantasie. In beiden
Fällen ist das Bewußtsein eher synthetisch als diskursiv. Der
Umfang der Aufmerksamkeit ist begrenzt, das Spiel der Assoziationen geregelt.
Die schöp[>423]ferische Phantasie geht in Denken über und vollendet
so den psychologischen Entwicklungsgang von S. 414."
S. 424, "Nach der ersteren Hypothese ist das mit
Phantasie begabte Individuum der Träumer der Träume {Q02}
und
der Seher der Visionen {Q04?};
S. 424f: "Welches sind nun die fokalen Vorgänge?
Es liegt natürlich nahe zu sagen — Vorstellungsbilder {K08m}.
Und die Antwort ist wahrscheinlich richtig, wenn es gestattet ist den Ausdruck
„Vorstellungsbild" entsprechend zu definieren. In vielen Fällen sind
es Bilder im wörtlichen Sinne, visuelle, akustisch-kinästhetische,
kinästhetische. In vielen Fällen sind es Wortvorstellungen. Aber
der Name muß auch auf Vorgänge ansgedehnt werden, die nur noch
Symbole für ein Wahrnehmungserlebnis sind, und der Wahrnehmung selbst
nicht ähnlicher als etwa der gedruckte Bericht über eine Theateraufführung
dieser Aufführung selbst. Wenn wir die Phantasievorstellungen jenseits
des Stadiums der wahr[>425]nehmungsartigen Zusammengesetztheit |§
118) verfolgen, so finden wir, daü sie eine Übertragung und eine
Vereinfachung erfahren: eine Übertragung von einem Sinnesgebiet in
ein anderes entlang der Linie des kleinsten nervösen Widerstandes;
und eine Vereinfachung von der expliziten Abbildung zur symbolischen. Vereinfachung
bedeutet nicht Annäherung an einen Typus; vielmehr tritt eine Schematisierung
ein, eine Teilansicht oder ein Fragment des Ganzen vikariiert für
das Ganze selbst wie ein stenographisches Zeichen. Dies scheint das einzig
wahre an der herkömmlichen Behauptung zu sein, daß die
Phantasievorstellungen dazu neigen, sich ins allgemeine und abstrakte zu
verflüchtigen und zu Schatten ihres einstigen Selbst herabzusinken.
Sie verflüchtigen sich überhaupt nicht in dem gewöhnlichen
Sinne des Wortes, im Gegenteil behalten sie alle, die eigentlichen Reproduktionen,
die Wörter und Symbole, eine beinahe sensorische Beständigkeit
und Realität; das ist der Punkt, den wir schon betont haben, und den
wir vor allem im Auge behalten müssen; aber sie werden einfach und
konventionell, und werden aus Abbildern zu bloßen Symbolen.
Der Leser bedenke, daß diese Darstellung nur
ein Versuch ist und über die experimentellen Tatsachen weit hinaus
geht. Sie hat das Verdienst die zwei oben erwähnten Hypothesen zu
vereinheitlichen und stimmt mit den bisherigen Befunden der Selbstoeobachtung
überein. Sie kann indessen durch zukünftige Untersuchungen erheblich
verändert werden"
Kriterien Diskussion: Es werden genannt:
{K03h,
K08m, K-Titm} und es fehlen: {K01h, K02h, K04h, K05h, K06h, K07m}.
Das Kriterium K-Tit := von einem Gefühl der Neuheit oder Fremdheit
umgeben ist eine Neukreation von Titchener, die ich in meinen bisherigen
Literaturrecherchen nicht gefunden hatte. Ich werde es nicht übernehmen,
da es bestensfalls hin und wieder, eher selten als Gefühl
- als eine Art Gegenstück zum Déjà-vu - vorkommen
dürfte.
Wundt (1918) zur Phantasie
> Gesamttext ausgelagert, da zu umfangreich.
{}
Wundt erkennt zwar zu Beginn des § 17 den konstruktiven Charakter
der Analyse der Bewusstseinsvorgänge, aber er verfolgt ihn nicht konsequent
und redet so, als entsprächen seine Interpretationen DER Wirklichkeit,
DIE es so nicht gibt, weil sie notwendigerweise konstruiert werden muss.
Die konstruktive Notwendigkeit der Begriffsunterscheidungen für die
Teile des Bewusstseinsstroms ist aber vielfach auch heute von der akademischen
Psychologie nicht verstanden. Unser Erleben - nach Wundt zutreffend eine
"Gesamtvorstellung" - gibt es natürlich, aber wie wir es wissenschaftlich
erfassen, dafür gibt es mindestens mehrere, wenn nicht viele Wege
und damit Konstruktionen. Ohne konsensorientierte Normierung wird die wissenschaftliche
Psychologie nicht weiter kommen.
Einige Extrakte zunächst aus § 17 Apperzeptionsverbindungen:
-
"14. Insofern die Vorstellungsbestandteile {K08m} eines durch apperzeptive
Synthese entstandenen Gebildes als die Träger des übrigen Inhaltes
betrachtet werden können, bezeichnen wir ein solches Gebilde allgemein
als eine Gesamtvorstellung."
-
"praktisch kaum eine scharfe Grenze zwischen Phantasie- und Erinnerungsbild
zu ziehen." (§ 17)
-
"Man kann daher in Phantasiebildern {K08m} sich ergehen wie in wirklichen
Erlebnissen. Bei Erinnerungsbildern ist das nur dann möglich, wenn
sie zu Phantasiebildern werden, d. h. wenn man die Erinnerungen nicht mehr
bloß passiv in sich aufsteigen läßt, sondern bis zu einem
gewissen Grade frei {K06h} mit ihnen schaltet, wobei dann freilich
auch willkürliche Veränderungen {K03h} derselben, eine
Vermengung erlebter und erdichteter Wirklichkeit, nicht zu fehlen pflegt.
Darum bestehen alle unsere Lebenserinnerungen aus "Dichtung und Wahrheit".
Unsere Erinnerungsbilder wandeln sich unter dem Einfluß unserer Gefühle
und unseres Willens in Phantasiebilder um, über deren Ähnlichkeit
mit der erlebten Wirklichkeit wir meist uns selbst täuschen. {K02h}"
(§ 17)
-
"18. Phantasie- und Verstandestätigkeit sind nach allem dem nicht
spezifisch verschiedene, sondern zusammengehörige, in ihrer Entstehung
und in ihren Äußerungen gar nicht zu trennende Funktionen, die
in letzter Instanz auf die nämlichen Grundfunktionen der apperzeptiven
Synthese und Analyse zurückführen." (§ 17)
Einige Extrakte zunächst aus § 20 Die psychische
Entwicklung des Kindes:
-
"Indem sich diese ungehemmte Beziehung und Verknüpfung {K03h} der
Phantasiebilder mit Willensantrieben verbindet, die den Vorstellungen {K08M}
gewisse,
wenn auch noch so dürftige Anhaltspunkte in der unmittelbaren Sinneswahrnehmung
zu schaffen suchen, entsteht der Spieltrieb des Kindes. Das ursprüngliche
Spiel des Kindes ist ganz und gar Phantasiespiel, während umgekehrt
das des Erwachsenen (Kartenspiel, Schachspiel, Lotteriespiel u. dgl.) fast
ebenso einseitig Verstandesspiel ist. ... " (§ 20)
-
"10. Aus der ursprünglichen phantasiemäßigen Form des Denkens
entwickeln sich nun sehr allmählich die Verstandesfunktionen, indem
in der früher (§ 17, 16 f.) angegebenen Weise die in der Wahrnehmung
gegebenen oder durch kombinierende {K03h} Phantasietätigkeit
gebildeten Gesamtvorstellungen in ihre begrifflichen Bestandteile, wie
Gegenstände und Eigenschaften, Gegenstände und Handlungen, Verhältnisse
verschiedener Gegenstände zueinander, gegliedert werden. ..." (§
20)
Kriterien Diskussion: Es werden genannt: {K02h, K03h, K06h,
K08m} und es fehlen: {K01h, K04h, K05h, K07m}.
Literaturbelege in Teil 8 Anhang:
Literatur.
Gesamt-Inhaltsverzeichnis Psychologische Analyse
des Phantasiebegriffs.
Querverweise
Standort: Psychologische Analyse des Phantasiebegriffs
Teil 4 Beispiel-Analysen einiger Phantasieeinträge in Büchern,
Wörterbüchern und Lexika
*
*
*
Dienstleistungs-Info.
*
Zitierung
Sponsel, Rudolf (DAS).
Psychologische Analyse des Phantasiebegriffs, Teil 4 Fachliteratur: Beispiel-Analysen
einiger Phantasieeinträge in Büchern, Wörterbüchern
und Lexika. Ein Ansatz und Entwurf aus integrativer
Perspektive zur Weiterentwicklung. Internet
Publikation - General and Integrative
Psychotherapy
IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/allpsy/phantas/APBFP4.htm
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... geht, sind die Rechte bei/m ... zu erkunden oder eine Erlaubnis
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Ende
Psychologische Analyse des Phantasiebegriffs Teil 4: Fachliteratur _Datenschutz__Überblick_
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korrigiert: 25.08.2017 irs
Änderungen Kleinere
Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet
und ergänzt.
30.10.17 Zur
Philosophie-Geschichte des Phantasiebegriffs (Links zu Eislers Wörterbuch
der philosophischen Begriffe).
06.09.17 Kritik Husserl.
31.08.17 Boreas Arbeiten erfasst.
30.08.17 Titchener
(1912) § 119 Die Phantasievorgänge.
28.08.17 Segals Phantasiebegriff (1916)
im Teil 4 erfasst.
26,08,17 IRS Korrektur
24.08.17 1. Version ans Netz.
23.08.17 rs Rechtschreibprüfung.
07.08.17 Nach Vorarbeiten angelegt.
Materialien