Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=00.08.2017 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung TMJ
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20  D-91052 Erlangen
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    Titchener (1912) Die Phantasievorgänge

    Titchener, Edward Bradford (1912) Die Phantasievorgänger.
    In (422-425) Titchener, Edward Bradford (1912) Lehrbuch der Psychologie.
    Zweiter Teil. Leipzig: Barth.
     
    Reader zur Psychologischen Analyse des Phantasiebegriffs.
    Einige Extrakte.

    Aufbereitet von  Rudolf Sponsel, Erlangen


    "§ 119. Die Phantasievorgänge. — Über die Phantasie ist viel geschrieben worden; tatsächlich aber wissen wir noch sehr wenig über die psychologische Natur der Phantasievorgänge. Die meisten psychologischen Darstellungen bewegen sich in den Begriffen irgend einer psychologischen Theorie, und die zur Stützung dieser Theorien mitgeteilten Aussagen der Selbstbeobachtung stammten meistens von ungeübten Beobachtern und entbehrten einer genügenden Kontrolle der Beobachtungsbedingungen.
        Soviel scheint aber klar zu sein, daß eine Vorstellung nur dann für uns eine Phantasievorstellung sein kann, wenn sie als eine unbekannte in unser Bewußtsein eintritt und von einem Gefühl der Neuheit oder Fremdheit umgeben ist; dieses Gefühl der Fremdheit ist für die Phantasie ebenso wichtig wie das der Bekanntheit für das Gedächtnis. Die Bewußtseinslage bei der Phantasievorstellung kann dann entweder die der aktiven oder der passiven Aufmerksamkeit sein (S. 275 f.), und wir sprechen je nachdem von passiver oder reproduktiver und von aktiver, schöpferischer oder konstruktiver Phantasie. In beiden Fällen ist das Bewußtsein eher synthetisch als diskursiv. Der Umfang der Aufmerksamkeit ist begrenzt, das Spiel der Assoziationen geregelt. Die schöp[>423]ferische Phantasie geht in Denken über und vollendet so den psychologischen Entwicklungsgang von S. 414.
        Zwei völlig entgegengesetzte Hypothesen über die Beschaffenheit der Phantasievorgänge stehen gegenwärtig zur Diskussion. Nach der einen entsteht die Phantasievorstellung oder deren Verbindung von außen, gleichsam durch Inspiration; das Gedicht ererklingt von selbst vor dem inneren Ohr; die Bilder und Farben des Malers leuchten von selbst vor dem inneren Auge. Phantasie ist eine angeborene Gabe oder Veranlagung, die ihren Ausdruck findet, nicht sucht. Nach der zweiten sondern sich die Phantasievorgänge aus einer Fülle von Reproduktionen heraus; Assoziationen ketten sich an die durch die Aufmerksamkeit bevorzugten Vorgänge, und das schließliche Ergebnis entsteht auf Grund einer Auswahl und Verknüpfung dieser assoziierten Vorstellungen. Nach der ersteren Hypothese ist das mit Phantasie begabte Individuum der Träumer der Träume und der Seher der Visionen; nach der .letzteren ist es derjenige der plant, gestaltet, auswählt. So erscheint die Phantasie bald als typisch passives, bald als typisch aktives Temperament: genau so wie das Genie hier als die Fähigkeit großes ohne Anstrengung zu vollbringen, dort als die Fähigkeit unbegrenzte Mühe auf sich zu nehmen geschildert wird. Beide Behauptungen lassen sich geistreich stützen.
        Wir haben keine Anhaltepunkte um eine endgültige Entscheidung zu treffen. Dem Verf. scheint aber eine Psychologie der Phantasie etwa die folgende Form annehmen zu müssen. Überall liegt eine kortikale Bedingung, eine nervöse Veranlagung zugrunde, die vielleicht vererbt und dauernd oder erworben und vergänglich ist. Dieser Hintergrund kann für das Bewußtsein überhaupt verborgen bleiben oder er kann als eine unbestimmte Bewußtseinslage (passive Phantasie) oder auch mehr oder minder bestimmt als Aufgabe oder Plan erscheinen (aktive Phantasie). Ob sie nun bewußt wird oder nicht, jedenfalls bestimmt die nervöse Disposition den Verlauf des Bewußtseins. Sie hilft auch den Phantasievorgang einzuleiten, dessen Beginn in der Tat für gewöhnlich als eine Art Inspiration, ein glücklicher Gedanke erscheint: irgend eine äußere Situation oder eine Gruppe von Assoziationstendenzen, die in diesem Augenblicke erregt werden, löst die Disposition aus und die einleitende Vorstellung blitzt im Bewußtsein auf. Ob diese Vorstellung verschwommen oder vollständig ist, ob die folgenden Bewußtseinsvorgänge eng oder breit sind, sich auf einige Reproduktionen konzentrieren oder ausstrahlen, [>424] alles das hängt ganz von den Umständen ab. Wenn wir uns mit der aktiven Phantasie beschäftigen, ist das folgende Stadium, in dem eine Vorstellung weiter bearbeitet wird — obgleich es hier und da durch andere glückliche Einfälle unterbrochen werden kann —, im Wesen das Stadium einer gewohnten Arbeit, nämlich der sekundären Aufmerksamkeit, nur daß sie mit dem Ausdruck der Vorstellung in objektiver Form endet. Inzwischen sind verschiedenartige Gefühle im Bewußtsein abgelaufen. Die Phantasievorstellungen bringen das Gefühl der Fremdheit mit sich. Aber genau so wie die Annehmlichkeit des Wiedererkennung in der stärkeren Unannehmlichkeit des wiedererkannten Objektes verloren gehen kann, kann sich auch die Fremdheit der Phantasievorstellung in der Annehmlichkeit des Erfolges verlieren, oder in der noch stärkeren Unannehmlichkeit des Mißglückens untertauchen; und diese Gefühle können miteinander wechseln, so daß das Bewußtsein zwischen entgegengesetzten Polen des Gefühls hin und her pendelt. In der Zwischenzeit ist ferner die Einfühlung am Werke gewesen und hat die Teilergebnisse jener schöpferischen Tätigkeit belebt und beseelt. In jedem Falle ist das Gesamtbewußtsein durch die zugrunde liegende nervöse Disposition bedingt und geregelt. Beim Gedächtnis ist der Beobachter durch die Unverrückbarkeit der Vergangenheit auf bestimmte Grenzen beschränkt, die er nicht überschreiten kann; aber innerhalb dieses Zusammenhanges kann er sich nach Belieben bewegen; das Bewußtsein ist diskursiv. Bei der Phantasie geht das Bewußtsein als ganzes aus dem Quell der Disposition hervor, keine Grenzen stehen ihm entgegen, außer denen der individuellen Veranlagung und Erfahrung; aber dieser Strom fließt unabhängig von seinem Volumen immer in einer bestimmten Richtung; das Bewußtsein ist, wie wir gesagt haben, synthetisch.
        Welches sind nun die fokalen Vorgänge? Es liegt natürlich nahe zu sagen — Vorstellungsbilder. Und die Antwort ist wahrscheinlich richtig, wenn es gestattet ist den Ausdruck „Vorstellungsbild" entsprechend zu definieren. In vielen Fällen sind es Bilder im wörtlichen Sinne, visuelle, akustisch-kinästhetische, kinästhetische. In vielen Fällen sind es Wortvorstellungen. Aber der Name muß auch auf Vorgänge ansgedehnt werden, die nur noch Symbole für ein Wahrnehmungserlebnis sind, und der Wahrnehmung selbst nicht ähnlicher als etwa der gedruckte Bericht über eine Theateraufführung dieser Aufführung selbst. Wenn wir die Phantasievorstellungen jenseits des Stadiums der wahr[>425]nehmungsartigen Zusammengesetztheit |§ 118) verfolgen, so finden wir, daü sie eine Übertragung und eine Vereinfachung erfahren: eine Übertragung von einem Sinnesgebiet in ein anderes entlang der Linie des kleinsten nervösen Widerstandes; und eine Vereinfachung von der expliziten Abbildung zur symbolischen. Vereinfachung bedeutet nicht Annäherung an einen Typus; vielmehr tritt eine Schematisierung ein, eine Teilansicht oder ein Fragment des Ganzen vikariiert für das Ganze selbst wie ein stenographisches Zeichen. Dies scheint das einzig wahre an der herkömmlichen  Behauptung zu sein, daß die Phantasievorstellungen dazu neigen, sich ins allgemeine und abstrakte zu verflüchtigen und zu Schatten ihres einstigen Selbst herabzusinken. Sie verflüchtigen sich überhaupt nicht in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes, im Gegenteil behalten sie alle, die eigentlichen Reproduktionen, die Wörter und Symbole, eine beinahe sensorische Beständigkeit und Realität; das ist der Punkt, den wir schon betont haben, und den wir vor allem im Auge behalten müssen; aber sie werden einfach und konventionell, und werden aus Abbildern zu bloßen Symbolen.
        Der Leser bedenke, daß diese Darstellung nur ein Versuch ist und über die experimentellen Tatsachen weit hinaus geht. Sie hat das Verdienst die zwei oben erwähnten Hypothesen zu vereinheitlichen und stimmt mit den bisherigen Befunden der Selbstoeobachtung überein. Sie kann indessen durch zukünftige Untersuchungen erheblich verändert werden."
     


    Hauptartikel: Psychologische Analyse des Phantasiebegriffs.


    Literatur (Auswahl) zur Phantasie.
    • Titchener, Edward Bradford (1912) Die Phantasievorgänger. In Titchener, Edward Bradford (1912) Lehrbuch der Psychologie. Zweiter Teil. Leipzig: Barth.




    Links(Auswahl: beachte)



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten: Eigener wissenschaftlicher Standort.

    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Titchener (1912) Die Phantasievorgänge. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/allpsy/phantas/Tit1912.htm

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    30.08.17    Angelegt und ins Netz gestellt.