Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=00.08.2017 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung TMJ
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
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    Phantasie und Denken
    Busemann, Adolf (1951) Kapitel Psychologie der späteren Kindheit und des Jugendalters.
    In (278-280) Katz, David (1951, Hrsg.) Handbuch der Psychologie. Basel: Schwabe & Co.

    von  Rudolf Sponsel, Erlangen


    "5. Phantasie und Denken

        Das natürliche reproduktive Leben des Schulkindes ist vorwiegend ein im wesentlichen noch unverbindliches und thematisch wechselreiches Phantasieren. In Verlegenheitssituationen findet das Kind bedenkenlos konfabulöse Ausreden (kindliche «Lüge»); auch Wunscherfüllungen (z. B. Besitz eines Geschwisters) werden konfabulös phantasiert. Kindliche Aussagen vor Gericht bedürfen darum in allen wichtigeren Fällen fachpsychologischer Begutachtung. Urteile, die andere Personen äußern, übernimmt das Kind in der Regel ohne Kritik, zumal wenn es vor dem Sprechenden Respekt hat (Suggestibilität des Kindes). Man darf jedoch nicht vergessen, daß auch der Erfolg des Unterrichts im Kindesalter größtenteils auf kritikloser Übernahme der vom Lehrer geäußerten Urteile beruht (Beiehrbarkeit des Kindes). - Der eigenen phantastischen Produktion des Kindes entspricht als beliebter Lesestoff das Märchen durch Verwandlungen und durch Steigerung ins Große oder Kleine; dem kindlichen Weltverständnis entspricht es durch die Rolle der Kinder, der Tiere und der natürlichen Landschaft sowie durch die Naivität der auftretenden Personen; dem kindlichen Wertleben entspricht es durch das Fehlen moralischer Gesichtspunkte; dem kindlichen Lebensgefühl durch das häufigste Motiv: Verlust der Geborgenheit im Elternhaus, Gefährdung durch Tiere oder magische Mächte, glücklicher Ausgang. Das reife Kind bevorzugt schon Sagen; diese unterscheiden sich (im hier interessierenden Sinn) vom Märchen dadurch, daß Erwachsene im Mittelpunkt stehen, Persönlichkeiten charakteristisch handeln, Konflikte zwischen ihnen durch Leistungen eines Teils gelöst werden. Den Übergang zum später bevorzugten Abenteuerbuch bietet der «Robinson».
        Der Fortschritt von phantastischem zu denkendem Leben in der nur repräsentierten Welt knüpft an Wahrnehmungen an, indem zunächst die Verarbeitung des sensorischen Materials zu gedanklichem Handeln mit und am Wahrgenommenen und noch präsenten Gegenstande, also zu ihn betreffenden Überlegungen, überleitet. Später werden Operationen an nur (mehr oder minder anschaulich, also vorstellungsmäßig oder gedanklich) repräsentierten Gegenständen häufiger, die im Unterschied zur Phantasie als verbindlich erlebt werden, d. h. unter dem Gesichtspunkt geschehen, daß sich ihr Resultat an den Wahrnehmungsgegenständen bewähren muß. Während also das Kleinkind eine einfache technische Aufgabe (etwa ein begehrtes Objekt hinter einem Gitter zu bewegen) manuell probierend löst, löst sie das reife Kind «innerlich» [<278] probierend. Dabei spielt der Fortschritt von einer Steuerung des Verhaltens die sensorische Gestalt der Gegebenheiten zu einer Steue-f durch die auf den Wahrnehmungen gründende Kenntnis der Gegenstände, ihrer Qualitäten und Relationen usw. eine sehr bedeutsame Rolle. Fortschritt des Denkens liegt also in folgenden Dimensionen: f x. Steigendes Bedürfnis nach Verbindlichkeit, d. h. Harmonie der Denkresultate mit der Realität (Realismus). 2. Verlagerung des Handelns aus der Wahrnehmungswelt in die nur repräsentierte (Denk-)Welt. 3. Verlängerung der durch Denken überbrückten Spanne zwischen Wahrnehmungen. 4. Fortschritt in Richtung von Gestaltsteuerung (Tendenz zu geschlossener bzw. guter Gestalt) zur Sachgemäßheit (zu gegenständlicher Erlebnisweise). In gewissen Grenzen gilt 5. ein Fortschritt zu kretischem Denkgeschehen (Denkakte, als solche im Sprechdenken innerlich vollzogen). Dagegen gelangt das Kind selten zu reflexiver Kontrolle des eigenen Denkens (zu selbstkritischem Denken).
        Die Begriffe gewinnen an systematischer Ordnung, und zwar zugleich von der Basis und der Spitze der Begriffspyramide her: Das Kind beginnt mit vagen Allgemeinbegriffen und anschauungsnahen Individualbegriffen. Definiert wird anfangs durch Nennung eines Beispiels oder bloße Tautologie, dann durch Angabe des Zwecks, am Ende des Zeitraumes in etwa 25% der Fälle durch Angabe eines Oberbegriffes. Gänzlich versagen Kinder bis zu zehn Jahren in der Erklärung abstrakter Begriffe. Die Begriffe des Kindes gewinnen in der Regel an Schärfe durch Aufteilung des vom Namen gemeinten Bereichs, nicht durch Ableitung höherer Klassenbegriffe aus Artbegriffen. Hinsichtlich des Urteilens und Schließens ist sehr zu unterscheiden, wessen das Kind bei geeigneter Aufgabestellung fähig ist, und wie weit es spontan von seinen nicht geringen Fähigkeiten Gebrauch macht. Die Spontanantriebe zum «Nachdenken» sind durchwegs schwach, das Kind begnügt sich meist mit dem,, was die Erwachsenen übermitteln. Seine Deutung von Naturerscheinungen haftet eng am sinnlich gegebenen Zusammenhang, zu eigenem Nachforschen fühlt es sich nicht veranlaßt. Ausnahmen gehen meist auf Vorbilder der Erwachsenen zurück. Das spontane Schließen des Kindes beschränkt sich auf Transduktionen (W. Stern), d. h. auf Ableitung eines Urteils aus schon bekannten, gestaltlich analogen Sachverhalten. Darüber hinaus kommen noch echte Analogieschlüsse und gelegentlich Schlüsse, nach der ersten Aristotelischen Schlußfigur vor. [<279]
     

    6. Situation, Lebensgrundstimmung und Lebensform
    In niedriger Kulturlage trägt das Kind dieses Alters zunehmend zu eigenem Unterhalt bei und erreicht unter günstigen Umständen bereits das Ziel, durch primitive Arbeit (Sammeln) sich selbst zu ernähren. In höherer Kulturlage lebt es zwar noch ganz auf Kosten der Eltern, wird aber zur Schule geschickt, um die fundamentalen Techniken höherer Zivilisation zu erlernen (Lesen, Schreiben, Rechnen), also die spätere wirtschaftliche Selbständigkeit vorzubereiten. Damit aber tritt auch in sein Leben neben das Spiel die Arbeit, die von fremder Seite gestellte, nur in willentlichem Einsatz lösbare Aufgabe. Trotzdem herrscht als das alles Erleben tragende Grundgefühl die unbeschwerte, spezifisch kindliche Heiterkeit vor, im neunten Lebensjahr nur für kurze Zeit gestört.
        Auch die ihm aufgetragene Arbeit erlebt das Kind, wenn irgend möglich, als Spiel, worauf die pädagogische Regel für den Elementarunterricht gründet, das Kind im Spiel lernen zu lassen. Diese lange Dauer der Spielhaltung ist spezifisch menschlich, gründet in seiner Gelöstheit aus dem Schematismus instinktiver Reaktionen (wodurch der Spielraum des Verhaltens unendlich erweitert wird), in der freien Verfügbarkeit von Deutungen für die Erlebnisgegenstände (Phantasie), die seine Erlebniswelt unbegrenzt erweitert, und ist erforderlich zur Aneignung der aus solchen Umständen hervorgegangenen, also im «Spiel» geschaffenen Kultur. Nur in freiem, «spielend» nachschaffendem Umgang mit den Kulturgütern können wir uns diese wahrhaft aneignen; eine andere Art der Übernahme von Sprache, Schrift, Wissen, Kunst würde Dressur und das Ende der Kultur sein. Da wir die Geformtheit des Individuums, die durch frei nachschaffenden Umgang mit Kulturgütern entsteht, «Bildung » nennen, beginnt mit der mittleren Kindheit neben dem Entwicklungsprozeß vorwiegend naturbedingter Gesetzlichkeit ein Bildungsprozeß, dessen Fortgang durch den Sinnzusammenhang innerhalb der Kulturgüter bestimmt wird. Das Kind lernt z. B. erst zählen, dann addieren, dann subtrahieren, usw., diese Abfolge ist nicht umkehrbar und gründet im Auf baugesetz des Zahlenraumes, nicht in Gesetzen der psychischen Entwicklung."
     

    Anmerkungen:


    Hauptartikel:
    Analyse des Phantasiebegriffs unter besonderer Berücksichtigung der Forensischen Psychologie.



    Literatur (Auswahl) zur Phantasie.



    Links(Auswahl: beachte)



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten: Eigener wissenschaftlicher Standort.
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Konfabulation konfabulieren konfabulös.
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    Transduktionen
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Busemann 1951: Phantasie & Denken.  IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/allpsy/phantas/Bus1951.htm

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