Was ist ein wissenschaftliches forensisch-psychopathologisches
Gutachten?
Wissenschaftliches Arbeiten in
der forensischen Psychologie, Psychopathologie und Psychiatrie
> Das Meinungsachten in
der forensischen Psychiatrie.
Zu:
Potentielle Fehler in forensisch psychiatrischen
Gutachten, Beschlüssen und Urteilen der Maßregeljustiz
Eine methodenkritische Untersuchung illustriert
an einigen Fällen u. a. am Fall Gustl
F. Mollath
mit einem Katalog
der potentiellen forensischen Gutachtenfehler sowie einiger Richter-Fehler.
von Rudolf
Sponsel, Erlangen
Eigene
wissenschaftliche Position.
_
Paul H. Bresser (1990). Die Krise des Sachverständigenbeweises, S. 41 |
Abstract
- Zusammenfassung - Summary
In der Medizin, Psychiatrie, psychologischer Beratung, Psychotherapie
und im Rechtswesen geht es um Einzelfälle und nur um diese.
Es interessiert nicht, ob z.B. 72% der Männer zwischen 32 und 38 Jahren
zufrieden mit ihrem Beruf sind, sondern es interessiert der 35jährige
Mann X.Y., der Einzelfall, um den es z.B. geht. Einer der häufigsten
Fehler ist daher, aus gruppenstatistischen
Kennwerten auf die Merkmalszugehörigkeit im Einzelfall schließen
zu wollen. Eine idiographische Wissenschaftstheorie des Einzelfalles ist
bislang nicht ausgearbeitet - auch meine eigene existiert erst im Ansatz
(Grundzüge einer idiographischen
Wissenschaftstheorie) - geschweige denn allgemein akzeptiert. Am weitesten
entwickelt und angewandt, jedenfalls was die Strenge der Aussagen im Einzelfall
betrifft, ist das Einzelfallprinzip im Rechtswesen, aber auch dort gibt
es viele grundlegende und ungelöste Probleme (1,2,3,4,).
Ich muss und werde mich daher im folgenden auf das derzeit schulenübergreifend
Machbare, Mögliche aber auch Notwendige beschränken, nämlich
auf eine:
Praktische Kurzversion wissenschaftlicher Gutachtenarbeit
Die forensische Datentheorie ergibt sich zu einem großen Teil
aus der juristischen Beweislehre, die bereits 1834 mit Mittermaiers
Lehre vom Beweise hoch entwickelt war. Die hauptsächlichen Datenquellen
für die GutachterIn können wie folgt klassifiziert werden:
Exkurs: Was heißt eigentlich und ganz konkret "Akte", "Aktenanalyse" ?
Der bloße Verweis auf eine Akte ist nichtssagend und daher unwissenschaftlich.
"Akte", das ist eine Hülle, ein Sammelbecken. Sie enthält nicht
selten sehr viel: Dokumente, Aussagen (Z1, Z2, Z3) und Vernehmungen, Atteste,
Vorgutachten, Beschlüsse, Urteile, Verfügungen, Berichte, Ermittlungsergebnisse,
Anträge, ...
Wer sich auf einen Akteninhalt beruft, sollte ihn
daher ganz konkret benennen, belegen und ausführen, welche Funktion
die Berufung haben soll. Im Allgemeinen sollte der Akteninhalt einen wichtigen
Sachverhalt für die Begutachtung repräsentieren. Bloße
amorphe
Aneinanderreihungen von Akteninhalten (> Konrad)
gehören nicht zu einem wissenschaftlichen Arbeitsstil.
Forensisch-psychopathologische
Gutachtenfehler
Schuldfähigkeit,
Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit
Stellungnahmen
zu Gustl F. Mollath
Andere Themen Forensische Psychologie
Psychodiagnostik - wohlgemerkt: in der forensischen Begutachtung
- beruht also auf „wissenschaftlichen Hypothesen" (Hypo-These = Unterstellung),
sie rekonstruiert „mögliche Bedingungen" und läßt sich
von der Hoffnung leiten, daß es zu einem „Konsens" über die
Grundlage der Hypothesenbildung kommt, um dann (auch nur!) mit „Wahrscheinlichkeit"
zu erwarten, daß es zugleich zur „Übereinstimmung" der gegenseitigen
Verständigung kommt. Die Einigung über „Unterstellungen" (Hypothesen)
macht einen Konsens selbstverständlich möglich. Aber was wird
unterstellt: psychologischer Determinismus. Die Frage nach „richtigen und
falschen" Gutachten (Rasch 1982) wird zu einer Frage nach den „richtigen
oder falschen" Unterstellungen. Nicht immer sind Gutachten mit höherem
(hypothetisch) wissenschaftlichem Anspruch die richtigeren oder die besseren
Beweismittel."
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gruppenstatistische Kennwerte.
Hierzu (fett-kursiv RS): König, Andrej (2010)
Der Nutzen standardisierter Risikoprognoseinstrumente für Einzelfallentscheidungen
in der forensischen Praxis. Recht und Psychiatrie (R&P), 28, 67-73,
S. 72: "Falls keine oder eine geringe Vergleichbarkeit zwischen der Normierungsstichprobe
des angewendeten Risikoprognoseinstrumentes und dem zu beurteilenden Einzelfall
besteht, ist die Bestimmung eines individuellen Risikoscores aus methodischer
Sicht nicht zu rechtfertigen; In diesem Fall können Risikoprognoseinstrumente,
wie kürzlich von BOETTICHER et al. (2009) formuliert, lediglich als
Checklisten dienen, da eine unkritische Übernahme gruppenstatistischer
Erkenntnisse keine empirisch begründete Wahrscheinlichkeitsaussage
für den Einzelfall zulässt. Neben der Vergleichbarkeit
müssen auch die Basisraten für die vorherzusagenden Delikte berücksichtigt
werden. Je geringer die Basisrate eines bestimmten Delikts ist, desto stärker
fällt die Falsch-Positiv-Rate, also der Anteil an Probanden, der fälschlicherweise
als rückfällig klassifiziert wird, ins Gewicht."
Siehe bitte auch: Buchpräsentation
Hake: Statistische Falschschlüsse
Gruppe/Einzelfall.
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Katalog
der potentiellen forensischen Gutachtenfehler
Fehler in forensisch-psychologischen, forensisch-psychopathologischen,
forensisch-psychiatrischen Gutachten.
Vorbemerkung: Das Einzelfallprinzip gebietet sicherheitshalber
nur von potentiellen Fehlern zu sprechen. Der Katalog enthält also
überwiegend nur potentielle Fehler. Ob ein potentieller
Fehler im spezifischen Einzelfall wirklich ein Gutachten-Fehler ist, sollte
nicht absolut-allgemein, sondern im Realitätsrahmen und Situationskontext
des Einzelfalles untersucht und entschieden werden. Und natürlich
hängt die Fehler-Diagnose und das Gewicht, das ihr zukommt, auch sehr
davon ab, aus welcher wissenschaftlichen Perspektive oder Basis die Betrachtung
erfolgt. PsychoanalytikerInnen haben z.B. ein sehr lockeres Verhältnis
zu Fantasie und Vermutungen und verwechseln diese oft mit Wissenschaft,
Empirie oder Objektivität.
Wichtig ist vielleicht auch, dass man sich eingesteht:
fehlerlose Gutachten gibt es nicht. Aber: die Problemlösung beginnt
bekanntlich mit der Problemwahrnehmung. Deshalb ist es sinnvoll, sich seinen
möglichen Fehlern grundsätzlich zu öffnen. Manche Fehler
mögen auch keine ernste Bedeutung haben, andere aber im jeweiligen
Einzelfall vielleicht schon. Und es gibt fatale Fehler, die ein Gutachten
nicht verwertbar machen (z.B. Oder-Diagnosen, Verfassung und Befinden zu
den Tatzeiten nicht exploriert oder, bei keinem Ergebnis hierzu, die Beweisfrage
als nicht beantwortbar erklärt, nicht persönlich untersucht,
unzulängliche Mittel und Methoden angewendet, ... ... ...)
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Konrad, Norbert
(2010). Schlechtachten trotz Einhaltung der »Mindestanforderungen
an Prognosegutachten« Recht und Psychiatrie, 28,1,.30-32. Der Autor
führt S. 31 aus: "Mit einer Gesamtlänge von 243 Seiten enthält
es 189 Seiten Aktenmaterial. Nach der über drei Seiten geführten
Einleitung wird von Seite (künftig S.) 4 bis 59 wörtlich aus
dem die Unterbringung gem. § 63 StGB anordnenden Urteil zitiert. Diese
Darstellung entspricht nur scheinbar dem in den »Mindestanforderungen«
verlangten »umfassenden Aktenstudium«. Eine wirkliche Auseinandersetzung
mit dieser Erkenntnisquelle ist jedoch dadurch nicht belegt. Wörtliches
Zitieren ohne Begründung (z.B. zusammenfassende Darstellung der Diagnosen,
Herausarbeitung eines kriminologisch relevanten Tatmusters, Herausdestillieren
der vom erkennenden Gericht für die Annahme einer negativen Legalprognose
entscheidenden Faktoren) und ohne verbindenden Kontext bedeutet letztlich
die Wiederholung von bereits Bekannten und ist unter Verweis darauf, dass
von dem Urteil Kenntnis genommen wurde, verzichtbar."
> amorphe
Strukturen. Extreme Beispiele für amorphe Gutachten - neben
zahlreichen anderen schweren Fehlern - sind z.B. die Gutachen von Dr. Leipziger
und Prof. Dr. Kröber über Gustl F. Mollath.
Kritik eines Prognose-Gutachtens
weitgehend ohne eigenen Inhalt und anderen grundlegenden Fehlern, die sehr
an die Mängel der Mollath-Gutachter erinnern, hat das OL
Rostock 2011 vorgenommen.
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Sachverhalte
des Erlebens
SENS-RE
Sensorspezifische Repräsentationsebene
Geschehen,
wie es sich in speziellen sensorischen Systemen abbildet, z. B. in lichtempfindlichen
Systemen wie Augen, Kameras.
LEIT-RE
Leitungsspezifische Repräsentationsebene
Signale, wie
sie von einem Ort zu einem anderen Ort transformiert werden, z. B. vom
sensorischen Empfangsorgan zum Zentralverarbeitungsorgan = Zentralnervensystem,
Gehirn.
ZENT-RE
Zentrale Repräsentationsebene
Wie die Signale
zentral codiert oder abgebildet werden.
GEDÄ-RE
Gedächtnismäßige Repräsentationsebene
Geschehen,
wie es im Gedächtnis codiert oder abgebildet und gespeichert wird.
Hier kann noch weiter differenziert werden: Eingangsspeicher, Kurzzeitgedächtnis,
Langzeitgedächtnis.
MENT-RE
Mentale Repräsentationsebene
Geschehen,
wie es im Denken abgebildet wird.
HYPO-RE
Hypothetische Repräsentationsebene
Geschehen,
wie es möglich sein kann, für möglich gehalten wird. Das
ist eine spezifische Variante des mentalen Repräsentationssystems.
VOLU-RE
Voluntative Repräsentationsebene
Geschehen,
wie es gewünscht oder gewollt wird.
KOMM-RE
Kommunikativ-Sprachliche Repräsentationsebene
1) Phonetisch
(Laute, Lautgestalten, Lautworte, ...)
2) Visuell
(Bilder, Zeichen, Buchstaben, Worte, Sätze, Texte, ...)
3) Taktil
(Formen und Zeichengestalten, Modelle, Kopien, ...)
Wichtig für
neuropathologische Ausfallerscheinungen z. B. der verschiedenen Aphasien,
Agnosien und Apraxien.
Bemerkung: Es sind natürlich weitere Differenzierungen und Konstruktionen möglich.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site: www.sgipt.org
z.B. Forensische Psychologie site: www.sgipt.org. |
[Potentielles Material prüfen:
https://www.gwg-gutachten.de/]