Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=26.03.2002 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 28.06.15
    Impressum: Dipl.-Psych. Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil.Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen Tel: 09131-27111 *
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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychologie, hier speziell  zum Thema:

    Axiome - Grundannahmen
    der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie (GIPT)

    nach Sponsel 1995, S. 128-145  (Arbeitsversion, unkorrigiert)
    Erstausgabe 10.9.2000, Letztes Update 29.6.2002

    TOP-10 Arbeitsprinzipien der GIPT_ Handlungsprinzipien:_ Intuition_ Heuristik_ Flexibilität_ Kontrolle_ Außendarstellung GIPT

    "Es braucht Mut und vielleicht ein Stück Narrheit, zu versuchen, ein Architekt von Systemen zu sein; aber wir hoffen, daß am Horizont für Psychologie und Psychotherapie einige solcher mutigen 'Narren' auftauchen."

      Ford, D. H., Urban, H. B.  (1967). Systems of Psychotherapy: A Comparative Study. New York: Wiley, p. 690
      _
    Freiheit !

    Was für ein Wort 
    Welch ein Duft   Was für ein Gefühl 
    Welch ein Klang   Was für ein Leben

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    • Vorbemerkung: Zum Aufbau von Theorien ....

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    • A01   Leib-Seele-Axiom 1:  Biologischer Primat
    • A02   Leib-Seele-Axiom 2: Eigene Wirklichkeit  der Psyche 
    • A03   Leib-Seele-Axiom 3: Wechselwirkung
    • A04   Leib-Seele-Axiom 4: Entsprechungen 
    • A05   Axiom: Multiple Repräsentationen
    • A06   Axiom verschiedener Bewußtheitsmöglichkeiten 
    • A07   Axiom der systematischen Stellung des Unbewußten
    • A08   Axiom: Evolutionärer Sinn des Bewußtseins
    • A09   Unabhängigkeit der Wahrnehmung vom Bewußtsein
    • A10   Fünf qualitativ unterschiedliche Bewußtseinszustände
    • A11   Konstruktives Modell der Psyche  
    • A12   Introspektive Differenzierung als Grundlage jeder    Psychotherapie, die das Medium der Sprache benutzt 
    • A13   Gesundheit, Störung, Krankheit und ihre Maße
    • A14   Systemregulierungs- und Veränderungs-Axiom:       Homöostase & actio et reactio 
    • A15   Relativitätsaxiom des grundsätzlichen Doppelcharakters
    • A16  Unspezifische und allgemeine Heilmittelwirkungen
    • A17  Glaubensheilung oder Placeboeffekte 
    • A18  Potentiell unendlich viele Heilmittel & Störungen 
    • A19  Symptomverschiebungen
    • A20  Relativitätsprinzip der Symptombedeutung 
             
    Vorbemerkung

      Zum Aufbau von Theorien, Modellen muß man irgendwelche ersten Annahmen treffen, die nicht weiter zurückgeführt werden können, ohne in einen unendlichen Regreß zu gelangen. Erste Annahmen, die besonders geeignet sind, viele andere Phänomene, die wir beobachten und sichern können, und die selbst nicht oder nur sehr umständlich und sehr schwierig bewiesen werden können, wollen wir Axiome nennen. Es sind so etwas wie Anfangssätze, Basissätze, Grundannahmen. Mit Hilfe logischer Analysen, kreativer Einfälle und empirischer Erkenntnisfortschritte kann es sein, daß Axiome aufgelöst und in Sätze übergeführt werden können. Sätze wollen wir beweisbare bzw. empirisch gut begründ- und belegbare Behauptungen nennen, z. B. es gibt Glaubensheilungen, d. h. einige Menschen wurden dadurch geheilt, weil sie fest daran glaubten, geheilt zu werden. Kann man zeigen, daß es tatsächlich Glaubensheilungen gibt, erübrigt sich ein entsprechendes Axiom. Axiome sind gefährlich und müssen daher stets kritisch betrachtet und hinterfragt werden.

      Von den folgenden Axiomen sind einige, glauben wir, als Sätze beweisbar. Da wir die Beweise in diesem Buch nicht führen, die Gültigkeit dieser Aussagen andererseits bei wichtigen Argumentationen voraussetzen, möchten wir sie als Axiome einführen. Die präzise Abklärung, Untersuchung und Ausarbeitung mag - in der Hauptsache - den psychologischen WissenschaftstheoretikerInnen vorbehalten bleiben.

    A-I    Leib-Seele-Axiom:  Biologisches Primat

      Biologische Ereignisse und Prozesse können psychologische Repräsentationen haben, müssen sie aber nicht haben und haben sie vielfach auch nicht. Psychologische Prozesse und Ereignisse hingegen müssen eine biologische Repräsentation haben. Psychologische Ereignisse und Prozesse sind an Leben und Funktionsfähigkeit des Gehirns gebunden. Sei R(P(Wa)) die psychologische Repräsentation eines Wirklichkeitsausschnittes und R(B(Wa)) die biologische Repräsentation eines Wirklichkeitsausschnittes, dann gelte: alle R(P(Wa)) basieren auf einer R(B(Wa)), aber nicht alle R(B(Wa)) haben eine R(P(Wa)).

    A-II  Leib-Seele-Axiom Eigene Wirklichkeit  der Psyche

      Falls biologische Prozesse psychologische Repräsentationen haben, sind Bild und Abbild nicht identisch. Das psychologische Erlebnis ist zwar in physikalisch-chemischen Ereignissen und Prozessen repräsentiert und fundiert, es ist aber nicht mit diesen Prozessen gleich zu setzen, das psychologische Erlebnis oder das Seelisch-Geistige ist neben dem Materiellen eine eigene, spezifisch menschliche Wirklichkeit, die auch für das menschliche Dasein, Erleben und Selbstverständnis in der Welt wesentlich und durch naturwissenschaftliche Betrachtungen nicht ersetzbar ist.
    Bemerkung: Wir können daher der Identitätstheorie des Leib-Seele-Problems im Sinne von Feigl (dt. 1973) nicht zustimmen. Argumentatives Analog-Beispiel: Die menschliche Farbwahrnehmung ist das Ergebnis einer Lichtreflexion relativ zum "sensorischen System Auge" und relativ zum verarbeitenden System "Gehirn". Diese Farbwahrnehmung ist eine eigene Wirklichkeit, die zwar abhängig vom Phänomen Licht und seiner Reflexion ist, aber natürlich keineswegs mit ihm identisch (dem ästhetischen Empfinden ist es auch völlig gleichgültig, ob man Licht als Korpuskel oder Welle betrachtet). Und so verhält es sich auch mit dem Bewußtsein und seinen Inhalten: natürlich liegen ihm physikalische, chemische, biochemische und physiologische Vorgänge zugrunde, aber meine Idee der Liebe, meine Bewertung des Mutes, mein Lebensgefühl in diesem Augenblick ist etwas anderes, nämlich meine psychologische Wirklichkeit.
    Zu den verschiedenen Welt-Konzepten hier.

    A-III    Leib-Seele-Axiom: Wechselwirkung

      Biologische Ereignisse und Prozesse können psychologische Ereignisse und Prozesse beeinflussen und umgekehrt. Exakt betrachtet kann auch das psychologische Ereignis aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive betrachtet werden, dann bewegt man sich in einer homogenen (ontologischen) Wirklichkeitsebene. Von daher dürfte es kein Problem mehr darstellen, zu verstehen, wieso es Wechselwirkungen gibt. Umgekehrt: sofern naturwissenschaftliche Ereignisse im Betriebssystem "Mensch" eine psychologische Projektion haben, können diese Projektionen von anderen psychologischen Funktionen natürlich beeinflußt werden, was wiederum zu einem Rückkopplungseffekt führen kann. Die Wirkung des Psychischen auf das Organische erfolgt über den organischen Träger des Psychischen. Und die Wirkung des Organischen auf das Psychische erfolgt über die psychische Repräsentation des Organischen im Psychischen.

    Zusatz Axiom III: In der Computer-Metapher bedeutet dies, daß zwischen Hard- und Software vielfache Wechselwirkungen bestehen. Der Hardware-Metapher entspricht die biologisch-materielle Basis der Seele, also die Perspektive Repräsentationssystem Körper. Das Betriebssystem organisiert und verwaltet den Betrieb "Mensch". Begabung und Anlagen werden in einem sogenannten "Anlage-Chip" gedacht. Einige Programme verändern sich mit den zunehmenden Erfahrungen und Veränderungen des Lebens. Die Programme sind nicht perfekt, sondern fehlerhaft; teilweise sind sie fast unveränderlich ("ROM"), teilweise können sie völlig neu gestaltet werden. Man kann "löschen", erweitern, modifizieren, spezifizieren. In der Programmzentrale "Gehirn" denken wir uns einen Programmgenerator, der ganz neue Programme entwickeln kann: die Metapher für das Lernen (und die Konditionierung). Lernt man, generiert der Programmgenerator ein neues Programm oder aktualisiert ein altes. Wird das Lernen selbst verändert, z. B. optimiert, wird das Programmgeneratorprogramm angesprochen.

    A-IV   Leib-Seele-Axiom: Entsprechungen

    A-IV   Leib-Seele-Axiom IV: Entsprechungen
    (a) Die gleiche biologische Repräsentation kann zu unterschiedlichen Zeiten und Bedingungen unterschiedliche psychologische Repräsentationen bewirken (wahrscheinlich aber einander ähnliche).
    (b) Die gleiche psychologische Repräsentation kann zu unterschiedlichen Zeiten und Bedingungen auf unterschiedlichen (aber wahrscheinlich ähnlichen) biologischen Repräsentationen beruhen.

    Zwischen Biologie und Psychologie gibt es keine zwingenden eindeutigen oder eineindeutigen Relationen. Anschauungsbeispiel:  eine unmittelbare überzeugende Anwendung liefern die Gestaltgesetze von Figur und Hintergrund. Das "objektiv gleiche" Grau wirkt auf schwarzem Hintergrund ganz anders als auf weißem.

    A-V    Axiom: Multiple Repräsentationen

        Was für eine Wissenschaft ist die Psychologie?

      Vorbemerkung: Die Psychologie kann je nach Perspektive als Naturwissenschaft (Physik, Chemie, Biochemie, Biologie, Medizin) oder als Geistes& Sozialwissenschaft, eben als Psychologie im originären Sinne, verstanden werden. Die Frage, was für eine Wissenschaft die Psychologie "ist", hängt davon ab, welche Perspektive man einnimmt. Wie bei allen Definitionsfragen gibt es letztlich keine Entscheidung vom Typ wahr oder falsch, sondern man wird relativ zu den Zielen und Zwecken, der Perspektive die Frage so oder so beantworten. Eines ist allerdings sicher: während die  genuin psychologische Betrachtung ohne die naturwissenschaftliche Perspektive auskommen kann, geht das umgekehrt nicht.
      Das Seelenleben kann in unterschiedlichen Repräsentationsebenen beschrieben werden: chemisch-physikalisch, biologisch-physiologisch, psychologisch-erlebnismäßig, begrifflich-symbolisch, sprachlich-symbolisch, usw. So repräsentiert Angst einen Begriff als geistige oder gedankliche  Repräsentation, ein Erlebnis als bewußte psychologische Repräsentation, eine emotionale Repräsentation, eine physiologisch-biologische Erscheinung und ein hysikalisch- chemisches Geschehen, ein geschriebenes oder gesprochenes Wort, eine Erfahrung, die im Gedächtnis gespeichert werden und mit anderen Gedächtnisinhalten vernetzt sein kann,  eine Erinnerung, die im Bewußtsein präsent sein kann, ein Erlebnis, das kommuniziert werden kann - wie so oft in der Psychotherapie.

    Anhang A-V: Die wichtigsten Repräsentationsebenen (siehe auch Welten)

    Aus psychologisch-menschlicher Perspektive ist folgende Einteilung zweckmäßig:

    OBJE-RE  Objektive Repräsentationsebene
    Geschehen wie es unabhängig von speziellen sensorischen Systemen existiert (näherungsweise das KANTsche "Ding an sich", das letztlich aber auch nur relativ zu sensorischen Systemen erfaßt werden kann). Damit beschäftigen sich die Naturwissenschaften, vor allem Physik und Chemie. Man könnte die Wissenschaften, die die so verstandenen objektiven Gegebenheiten erforschen, auch objektive Wissenschaften nennen.

    SENS-RE  Sensorspezifische Repräsentationsebene
    Geschehen, wie es sich in speziellen sensorischen Systemen abbildet, z. B. in lichtempfindlichen Systemen wie Augen, Kameras.

    LEIT-RE  Leitungsspezifische Repräsentationsebene
    Signale, wie sie von einem Ort zu einem anderen Ort transformiert werden, z. B. vom sensorischen Empfangsorgan zum Zentralverarbeitungsorgan = Zentralnervensystem, Gehirn.

    ZENT-RE  Zentrale Repräsentationsebene
    Wie die Signale zentral codiert oder abgebildet werden.

    GEDÄ-RE Gedächtnismäßige Repräsentationsebene
    Geschehen, wie es im Gedächtnis codiert oder abgebildet und gespeichert wird. Hier kann noch weiter differenziert werden: Eingangsspeicher, Kurzzeitgedächtnis, Langzeitgedächtnis.

    MENT-RE  Mentale Repräsentationsebene
    Geschehen, wie es im Denken abgebildet wird.

    HYPO-RE  Hypothetische Repräsentationsebene
    Geschehen, wie es möglich sein kann, für möglich gehalten wird. Das ist eine spezifische Variante des mentalen Repräsentationssystems.

    VOLU-RE  Voluntative Repräsentationsebene
    Geschehen, wie es gewünscht oder gewollt wird.

    KOMM-RE  Kommunikativ-Sprachliche Repräsentationsebene
    1) Phonetisch (Laute, Lautgestalten, Lautworte, ...)
    2) Visuell (Bilder, Zeichen, Buchstaben, Worte, Sätze, Texte, ...)
    3) Taktil (Formen und Zeichengestalten, Modelle, Kopien, ...)
    Wichtig für neuropathologische Ausfallerscheinungen z. B. der verschiedenen Aphasien,  Agnosien und Apraxien.

    Bemerkung: Es sind natürlich weitere Differenzierungen und Konstruktionen möglich.
     

    A-VI  Axiom verschiedener Bewußtheitsmöglichkeiten

      Es gibt bewußtes, unbewußtes und nichtbewußtes, vorbewußtes, unbewußtes und gar kein Seelenleben, d. h. "in" der Seele geschieht etwas bewußt, unbewußt, nichtbewußt oder es geschieht nichts. y Unbewußtes kann bewußt werden, y Nichtbewußtes ist per definitionem nicht bewußtseinsfähig. Viele seelisch-geistige Prozesse sind dem bewußten Erleben verborgen. Und viele, ja die meisten biologischen Prozesse sind y Nichtbewußt.  Zu den griechischen Zeichen y
     

    A-VII   Axiom der systematischen Stellung des Unbewußten

      "DAS" Unbewußte im Sinne FREUDs und der Tiefenpsychologien als eigenes Funktionssystem mit eigenen Aufgaben und Zielen gibt es im Allgemeinen und Integrativen Ansatz nicht. Das ganze Seelenleben ist zwar von vielen unbewußt ablaufenden Prozessen durchsetzt und natürlich auch - teilweise maßgeblich - beeinflußt, wird hier aber nicht als eigenes Homunculus System (ES) konstituiert und gedacht. TiefenpsychologInnen und PsychoanalytikerInnen haben hier wahrscheinlich einen anderen Inhalt des Axioms.

    A-VIII   Axiom: Evolutionärer Sinn des Bewußtseins

      Das Bewußtsein bedeutet Wissen um das seelische Geschehen. Das seelische Geschehen wird auf den Ort, den wir y Bewußtsein nennen, projiziert und  zum Zwecke optimierender Lenkung dort wahrgenommen. Dadurch, daß das seelische Geschehen am Ort des Bewußtseins gespiegelt wird - Perzeption wird zur Apperzeption (ich nehme wahr, daß ich wahrnehme)- kann bewußt lenkend eingegriffen werden. Die evolutionären Möglichkeiten der Kontrolle und Lenkung (Steuerung, Regelung) wurden damit sehr stark erweitert. Das ist der biologisch-evolutionäre Sinn des Bewußtseins: eine viel höhere Anpassung, Reagibilität und Lernen wird dadurch ermöglicht bzw. optimiert. Bewußtheit schafft mehr Freiheitsgrade und Wahlmöglichkeiten. D. h. bewußte Wesen haben auch eine bessere Überlebenschance in der Natur, weil sie nicht nach einem starren Programm gelenkt werden, sondern durch die reflexive "Spiegelung" im Bewußtsein jederzeit vom "Standardprogramm" abweichen, also lernen und sich entwickeln können. Mit der Möglichkeit des Bewußtseins wurde auch die Möglichkeit und Grundlage einer relativen Freiheit und Verantwortung geschaf-
    fen (denken, vorstellen, erinnern, phantasieren, wollen, machen und tun).

    A-IX  Unabhängigkeit der Wahrnehmung vom  Bewußtsein

      Die Wahrnehmung ist - wenigstens teilweise - unabhängig vom Wach-Bewußtsein (ein simples Argument ist schon die Tatsache der Weckbarkeit: wie sollte der Mensch weckbar sein, wenn er den Weckreiz nicht wahrnehmen könnte?). Gelangt Wahrnehmung ins Bewußtsein, so weiß ich, daß ich wahrnehme, das nannten die Alten trefflich y Apperzeption (aber wir nehmen gewöhnlich vieles wahr, ohne uns dessen - besonders - bewußt zu sein), dies nennen wir in Anlehnung an die klassische  deutsche Psychologie y Perzeption. Auch dieses Axiom ist mit Einschränkungen wahrscheinlich in einen Satz überführbar, wofür die Arbeit von Perrig et al. (1993) zahlreiches empirisches Material liefert, was von den psychologischen WissenschaftstheoretikerInnen abgeklärt werden kann.

    A-X Fünf qualitativ unterschiedliche Bewußtseinszustände

    Wachzustand, Schlafzustand, Trancezustand, Bewußtlosigkeit, Grenzzustände (Graphik ausführlich siehe bitte)
     

    A-XI   Konstruktives Modell der Psyche und ihrer Funktionen (Persönlichkeitsmodell des Menschen) in der GIPT

      Zu den psychischen Elementarfunktionen gehören sowohl existenzbejahend (gegeben sein) als auch existenzverneinend (nicht gegeben sein): empfinden, spüren, fühlen; wahrnehmen; filtern und abwehren; erkennen und wiedererkennen;  denken (geistige Modelle bilden und zueinander in Beziehung setzen); vorstellen; phantasieren; erinnern, merken, lernen; bewußt sein; wünschen, begehren, bedürfen, mögen; Antrieb und Energie; wollen, beabsichtigen; lenken: anfangen, dabeibleiben, unterbrechen, kontrollieren, aufhören oder beendigen (lassen), bewerten, wählen, entscheiden, planen, koordinieren und abstimmen; optimieren; Anlage und Begabung; Können, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Kompetenzen; Haben, sein und gelten; Werte, Vorlieben, Neigungen und Abneigungen; Beziehungen, Bindungen, soziale Vernetzung; Kommunikation; Befinden und Verfassung, gestimmt sein; Handeln, machen, tun, Verhalten; Erscheinung. Aus diesen Elementarfunktionen werden die elementaren psychischen Heilmittel abgeleitet, entwickelt und aufgebaut. Zu den Beziehungen der höheren Funktionseinheiten (Sponsel 1995, > 3.4.1, Modelle).

    A-XII Introspektive Differenzierung als Grundlage jeder Psychotherapie, die das Medium der Sprache benutzt

      Schon die Frage: "Wie geht es Ihnen heute?" ist eine Aufforderung zur Introspektion. "Wie war das damals?" animiert PatientInnen zur Erinnerung, Repräsentation im Bewußtsein und Ausdrücken in der Sprache. "Warum wollten Sie das?" setzt voraus, daß PatientInnen den Willensbegriff verstehen und den Bewußtseinsinhalt <Wollen> von anderen Bewußtseinsinhalten abgrenzen und differenzieren können. Jede vernünftige, ergiebige und stimmige Anamnese und Exploration setzt voraus, daß PatientInnen über differenzierte introspektive Fähigkeiten verfügen. Eine solche Voraussetzung ist aber ohne besondere Prüfung naiv und unkritisch.

        Bemerkung: Sprachnormierungs-Training für PatientInnen:

      Damit eine vergleichende Psychotherapieforschung überhaupt sinnvoll ist, müssen wir verlangen, daß die elementarpsychologischen Funktionstermini intersubjektiv verbindlich operational (nicht nur sprachdefinitorisch) normiert werden, und zwar so, daß PatientInnen auch einfacher Herkunft und Bildung, diese sprachliche und introspektive Differenzierung leicht lernen können. Hierzu sind die Psychotherapieschulen bislang nicht in der Lage, schon weil sie häufig die Notwendigkeit gar nicht einsehen, was zum Teil auch an der empiristisch-positivistischen Ausrichtung der Wissenschaft liegt. In der GIPT haben wir diesen Dualismus überwunden und die Einheit von Wissenschaft und Praxis, die gerade für die Psychologie und ihre Tochter, die psychologische Psychotherapie,  so wichtig und typisch ist, wieder hergestellt.

    A-XIII  Gesundheit, Störung, Krankheit und ihre Maße

        (1) Unter einer y Störung verstehen wir eine y Abweichung von einer y Norm. y Störungen können Krankheitswert erlangen, d. h. die Folgen und Konsequenzen, die sich aus einer Störung ergeben, können die gleichen sein, wie wenn die Störung eine Krankheit wäre, sie kann also wie eine Krankheit behandelt werden.

        (2) y Krankheit_ökologisch_soziale_Dimension: Der Mensch ist wesentlich durch seine zwischenmenschlichen, sozialen und ökologischen Erfahrungen in seiner individuellen Persönlichkeit beeinflußt und bestimmt. Gesundheit, Störung, Krankheit kann daher nicht - zumindest nicht immer oder ausschließlich - unabhängig von seiner zwischenmenschlichen, sozialen und ökologischen Umwelt gesehen werden [F2].
        Die Abstraktion von der zwischenmenschlichen, sozialen und ökologischen Dimension in der Psychotherapie ist daher als ein gravierender Kunstfehler zu bewerten.

    (3)  Allgemeiner wissenschaftlicher Krankheitsbegriff
      Vorklärung: Das Problem der nosologischen Einheiten, also die Idee, Krankheiten als im Prinzip intersubjektiv, relativ gleichförmig wiederkehrende Phänomene zu verstehen, haben wir bewußt ausgelassen. Solche Krankheiten gibt es zwar, aber es gibt auch sehr viele a) sich überschneidende und b) individuell gestaltete, die sich einer solchen nosologischen Einheitsvorstellung zumindest praktisch häufig entziehen. Eine dogmatische Festlegung oder Einengung würde weder der Praxis gerecht werden noch dem wissenschaftlichen Fortschritt dienen.

      Am Krankheitsgeschehen können wir verschiedene Repräsentationsebenen unterscheiden: (a) y Krankheit_latent: hier entsteht und entwickelt sich eine Krankheit, ohne daß äußere manifeste Zeichen erkennbar sind (z. B. Krebs); (b) y Krankheit_manifest: hier ist die Krankheit ausgebrochen und an manifesten Zeichen erkennbar; (c) y Krankheit_subjektiv: hier wird eine Erkrankung auch subjektiv als solche bewußt wahrgenommen. Die zeitliche Differenz zwischen (a) und (b) heißt y Inkubations-zeit_objektiv; die zeitliche Differenz zwischen (b) und (c) heißt y Inkubationszeit_subjektiv. Im psychopathologischen Bereich gibt es massenhaft das Phänomen, daß viele Kranke sich subjektiv nicht so erleben.
      y Krankheit_subjektiv bedeutet inhaltlich eine Störung der natürlichen Funktionsfähigkeit eines oder mehrerer Funktionssysteme in einem  solchen Umfang über die Zeit, daß das "Gesamtbetriebssystem Mensch" in seiner natürlichen Funktionsfähigkeit so relevant beeinträchtigt wird, daß in der Regel eine Heilfachkundige als hilfreich erlebt bzw. notwendig wird, um die Funktionsfähigkeit wieder herstellen zu helfen.
      y Krankheit_latent bedeutet demnach, daß mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine y Krankheit_manifest und eine  y Krankheit_subjektiv  d r o h t.

    Zusatz zu Axiom-XIII: Endogen, Organisch, Funktionell, Psychisch

      Zwischen den verschiedenen Schulen und Berufsgruppen  gibt es einige Kontroversen und Sprachverwirrung darüber, wie die Ätiologie einiger Krankheiten oder Syndrome rekonstruiert und verstanden werden sollte.
      In der Computer-Metapher bedeutet eine organische Störung einen Hardwareschaden, während eine funktionelle Störung durch einen Softwarefehler repräsentiert wird. Bei der Software brauche ich SystemanalytikerInnen und ProgrammiererInnen (PsychotherapeutInnen), bei der Hardware IngenieurInnen oder TechnikerInnen (MedizinerInnen). Um die Interpretation etwas anschaulicher zu machen,  ist die Vergegenwärtigung eines Beispiels sinnvoll. Nehmen wir die agitierte Depression. Hier befindet sich der Mensch in großer Unruhe und wechselt in rascher Folge seinen Ort. Er wirkt ziellos, aber voller Energie, der die Richtung fehlt. Dieses Unruhesyndrom kann durch die Modellvorstellung ANTRIEB EINGESCHALTET, AFFEKTE ABGESCHALTET gut begriffen werden. Hier klappt die Koordination oder Synchronisation nicht und das therapeutische Problem besteht darin: was kann getan werden, um die Synchronisation oder Koordination wieder herzustellen? Was kann getan werden, um das affektive System synchron zu schalten, also ANTRIEB EIN = AFFEKTE EIN, ANTRIEB AUS = AFFEKTE AUS? Die Psychopathologie hat hier einige Kreativität entwickelt und interessante Handlungsanweisungen vorgeschlagen und erprobt [F3]: (1) Heliotherapie, also ca. 30 - 90 Minuten Bestrahlen durch Tageslicht; (2) Überspringen eines Nachtschlafes. Bei (1) nutzt man aus, daß die Einstellung der biologischen Synchronisationsparameter vom Licht abhängt, im Fall (2), daß der Schlaf-Wach-Rhythmus eine Rolle spielt. Es werden also Maßnahmen ergriffen, die die Synchronisationsparameter stark reizen und beeinflussen. Eine mechanische Analogie wäre wie bei einem Wackelkontakt ein starkes Durchschütteln oder Beklopfen des Gerätes, um eine "heilsame" Erschütterung herbeizuführen, die den Kontakt wieder schließt.
      Ein anderes Beispiel wäre die Umkehrung dieser Synchronisationsstörung, also: ANTRIEB AUS = AFFEKTE EIN. Hier fehlt die Energie, der Mensch ist müde, erschöpft, aber die Affekte bewegen ihn noch so, daß er nicht zur Ruhe kommt, nicht einschlafen und sich erholen kann. Obwohl er müde ist und sich erholen, schlafen möchte, kann er es nicht. Das ist oft dann der Fall, wenn der Mensch sehr bewegt ist oder große Sorgen hat, für die er nach Lösungen sucht.
      Während man beim Beispiel des Unruhesyndroms bei der agitierten Depression eher die Phantasie einer Hardwarestörung hat, ist es bei dem Einschlafproblem eher die Phantasie einer Softwarestörung.

    A-XIV  Systemregulierungs- und Veränderungs-Axiom, Homöostase &  actio et reactio  und das grundlegende psychotherapeutische Heilungsprinzip

      (1) Systemregulierung. Jedes System sucht einen ihm gemäßen Gleichgewichtszustand zu erreichen und zu erhalten. (2) Veränderung und Widerstand: Jede nicht natürlich vorgefundene und gewünschte [F4] Veränderung (actio) ruft daher einen natürlichen Widerstand [F5]  (reactio) hervor. (3) Psychotherapeutisches Heilungsprinzip: (3a) In der Psychotherapiestunde erfolgt die Heilung oder Besserung gewöhnlich nicht [F6] , aber die Arbeit dort liefert den Anstoß. (3b) Entscheidend für das Gelingen einer Psychotherapie ist daher, ob der Transfer der in der Therapie  initiierten Prozesse auf den Lebensalltag gelingt und (3c), ob "das Leben" diese Veränderungen so belohnt, daß sie sich dauerhaft festigen können. (3d) Daraus folgt auch: man sollte die Umgebung  explizit - wenigstens mental - berücksichtigen und nach Möglichkeit in den Therapieplan und, falls für günstig befunden, auch in die Psychotherapie selbst direkt mit einbeziehen (GIPT- Systemik Postulat)

    A-XV  Relativitätsaxiom [F7] des grundsätzlichen Doppelcharakters der Heilmittel (und ihrer Negationen) und die vier möglichen Wirkungen der Heilmittel  (und ihrer Negationen)

      Vorbemerkung: Dieses Axiom ist sehr radikal und drückt eine extreme Komplexität, Kompliziertheit und Relativität aus. Aber es repräsentiert die Realitätserfahrungen vieler Heilkundiger und PatientInnen. Es hat aber auch sein Gutes: es bewahrt vor unzulässigen, vereinfachenden und falschen Verallgemeinerungen und entsprechend fragwürdigen Diagnose- wie Therapieschemata: es hält wach, offen, kritisch und stellt uns auf Flexibilität ein.

      (1) Grundsatz des Doppelcharakters: Eine Heilmittelwirkung kann durch Anwesenheit oder Abwesenheit (Negation) eines Heilmittels oder eines Quantums davon entstehen.

      (2) Grundsätzliche Relativität der Wirkungen: Heilmittel bzw. Quanta davon sind nur potentielle Heilmittel und können im Prinzip vierfach wirken: Positiv, negativ, neutral, ambivalent, d. h. sowohl positiv als auch negativ.

      (3) Grundsatz Individuelle Relativität: Ob ein Heilmittel oder ein Quantum (Paracelsus: Die Dosis macht das Gift) davon als solches wirkt, kann von Mensch zu Mensch verschieden sein.

      (4) Grundsatz Situative Relativität: Ob ein Heilmittel oder ein Quantum davon auch bei ein und demselben Mensch wirkt, kann sehr von der Situation abhängen, d. h. ein und dasselbe Heilmittel oder ein Quantum davon, kann in der einen Situation positiv, in einer anderen negativ, in einer dritten gar nicht oder ambivalent wirken.

    Aus A-XV, (1) - (4) folgt eine strenge Einzelfallprüfung sowohl des Individuums als auch der in Frage kommenden Situation. In diesem Axiom stecken Legionen von potentiellen Kunstfehlern.

    A-XVI  Unspezifische und Spezifische Heilmittelwirkungen

      Im Einklang mit der Psychotherapieforschung (Bergin & Garfield 1994, p. 8) nehmen wir sowohl unspezifische, allgemeine als auch spezielle, besondere Heilmittelwirkungen an, die durch die Anwendung von Psychotherapien ausgelöst, angeregt oder erzeugt werden, die sich ergänzen. Obwohl sich die Psychotherapieforschung sehr schwer tut, spezifische Nachweise zu sichern (Sponsel 1995, > 6.3.1), gehen wir in der GIPT davon aus, daß der ausgiebige und überzeugende Nachweis noch gelingen wird. Unseres Erachtens ist hierzu aber eine strenge Normierung der Erfolgsforschung nötig, damit nicht ständig Birnen mit Balkonen oder Quecksilberscheren verglichen werden. Unspezifische und spezifische Wirkungen können auch negativen oder schädlichen Charakter haben.
      y Common_factors, so heißen die Heilwirkfaktoren, wie sie fast allen Psychotherapien eigentümlich sind und wie sie von Frank (dt. 1981, orig. 1961) in seiner epochalen Studie untersucht wurden. y Specific_factors nennen wir entsprechend die nur speziellen Psychotherapien häufiger zugeordneten Heilwirkfaktoren.

    A-XVII  Glaubensheilung oder Placeboeffekte

      Vorbemerkung: Mit der Postulierung von Glaubensheilungen und Placeboeffekten betreten wir ein Gebiet, das großen Teilen der Wissenschaft sehr suspekt ist. Nun, die Menschen können zwar logisch denken, aber sie sind nicht logisch organisiert; sie sind in ihrem Leben öfter mehr oder minder das, was man "irrational" nennt, wenn sie sich z. B. (anscheinend) nicht zweckrational verhalten. Psychologie, Klinische Psychologie und Psychologische Psychotherapie haben es oft mit dem sog. "Irrationalen" zu tun. In der GI PT sehen wir das nicht negativ. "Irrationalität" mit seinen Geheimnissen und seinem Überraschungswert birgt eine besondere Spannung und Herausforderung. Wir glauben auch, daß sich die sog. "Irrationalität" wissenschaftlich verstehen und erklären läßt. Je nach Bezugssystem mutet im
    übrigen auch manche sog. "Rationalität" außerordentlich "irrational" an. Fast alles ist eben relativ.

      (0) Es gibt Vorbeugung, Linderung, Besserung, Heilung und Bewältigung, die durch den Glauben, Hoffnung, Erwartung ausgelöst werden. Das ist unseres Erachtens durch die Wirkung des Placeboeffektes nachgewiesen. Glaubensheilungen: (1) y Glaubensheilungen sind psychologische Heilungen aufgrund von Glaube, Hoffnung oder Erwartung. (2) Durch Glaube, Hoffnung, Erwartung werden Selbstheilungsmechanismen aktiviert, die (3) ihrerseits den Heilungsvorgang aktivieren. Die y Glaubensheilung ist die Grundlage des Placeboeffektes. [F8].

      Bemerkung: Unseres Erachtens setzt die Akzeptanz von Glaubensheilungen, die Postuliuerung von Selbstheilungskräften voraus, da  Glaube, Hoffnung, Erwartung nicht (immer) unmittelbar direkt wirken. Die Glaubensheilung ist von großer Bedeutung bei allen Störungen unklarer, schwer bestimmbarer Herkunft, für Störungen gegen die es keine Therapie zu geben scheint und für die sog. "unheilbaren" Störungen. Zu einer Therapie lege artis gehört es unserer Auffassung nach auch, daß die mächtigen Placeboeffekte wenn möglich zugunsten der Vorbeugung, Linderung, Besserung, Heilung oder Bewältigung von Störungen eingesetzt werden.

      Zusatz: Gibt es Wunder? Wir denken ja (und nein), und zwar in folgender Weise: y Wunder_1 bedeutet: in Widerspruch zur Erfahrung, zum gesunden Menschenverstand und zum derzeitigen Erkenntnisstand der Wissenschaft. Solche Pänomene gibt es, aber sie gehören zu den eher unwahrscheinlichen Ereignissen. Da unser Wissen sehr begrenzt, sehr endlich ist, ist es völlig unmöglich, alle Varianten und Kombinationen der realen Möglichkeiten zu übersehen. In diesem Umstand liegen y Wunder_1 begründet. An y Wunder_2, die Naturgesetze außer Kraft setzen können, glauben wir nicht. y Wunder_1 sind Wunder relativ zu unserem Kenntnisstand und sonst nichts. y Wunder_2 gehören ins Reich der Religion und Metaphysik.

    A-XVIII Potentiell unendlich viele Heilmittel & Störungen

      Es gibt potentiell unendlich viele Heilmittel. Das folgte schon aus relativ wenigen, die immer auf praktisch potentiell unendliche Weise in der Zeit kombiniert werden können. Gleiches gilt für die Störungen und Umweltkontexte.
      Bemerkung: Die Fixierung auf bestimmte, einheitliche, immer wiederkehrende Krankheiten mit typischem Erscheinungsbild ist weniger wissenschaftlich begründet als es einem zwanghaften Ordnungs- und Orientierungsbedürfnis der Wissenschaft entspricht. Hier zeigen die oftmals so auf Rationalität pochenden WissenschaftlerInnen ein seltsam irrationales Verhalten, das seine Wurzeln in der Magie hat: Namen geben und klassifizieren beruhigt die WissenschaftlerIn psychomental. Haben die Erscheinungen erst einmal einen Namen, kann auf sie eingewirkt werden. Für WissenschaftlerInnen ist Unordnung, Nichtwissen, Unsicherheit ein Dissonanzerlebnis. Also werden sie versuchen, die Dissonanz zu mindern. Und heraus kommt dann so etwas wie der ICD oder das DSM-III. Das Klassifikationsmotiv der Wissenschaft ist gefährlich, weil es eine Ordnung vortäuscht, die es in Wirklichkeit so gar nicht gibt. Das ist nicht der iatrogene, sondern der szientogene Faktor der Heilkundefehler: man starrt nur auf die vorgegebenen Klassen, statt frei, kritisch und kreativ jeden Einzelfall anzugehen. Dieser Fehler könnte leicht minimiert werden, wenn man sich entschlösse, Diagnosesysteme auf kleinster phänomenologisch-operationaler Basis zu entwickeln, wie wir das in der GIPT tun. Zumal wir wissen, daß die Störungen und Krankheiten, ja selbst die Symptome einer großen Fluktuation und Veränderung unterliegen [F9]  Die Fixierung auf feststehende, unveränderliche Klassen behindert daher auch den Erkenntnisfortschritt. Mit Hilfe von Konfigurations-, Cluster- und Diskriminanzanalyse ist es ja gar kein Problem, Regelhaftigkeiten in Mustern und Konfigurationen zu erkennen.

    A-XIX   Symptomverschiebungen

      (1) Intrapsychische Symptomverschiebungen sind möglich und bedürfen daher der Kontrolle. Es ist also möglich, daß ein Symptom verschwindet und durch ein anderes ersetzt wird. Es kann auch therapeutisch sehr erwünscht sein, ein lästiges und schädliches Symptom durch ein vergleichsweise harmloses und erträgliches zu ersetzen (z. B. statt zu rauchen Kaugummi zu kauen). Symptomverschiebung kann so gesehen eine sehr nützliche und wertvolle Therapie sein. Symptomverschiebungen können durch Globalmaße kontrolliert werden. Globalmaße, wie z. B. der von Sponsel (1984) auf der Basis der Toman'schen Motivationstheorie entwickelte homöostatische Lebenszufriedenheitsmittelwert schließen in einem bestimmten Bereich (60 < Mittelwert < 80) mit einem kalkulierbaren Risiko Symptomverschiebungen aus (erst recht die gesamte Befindlichkeitsanalyse) (Sponsel, 1984).

      (2) Interpsychische Symptomverschiebungen, d. h. die Genesung des einen bewirkt die Erkrankung eines anderen, sind möglich und bedürfen daher der Kontrolle. Dies bedeutet, daß man das relevante nähere soziale Umfeld eines Menschen erfassen und überlegen muß, wie man die interpsychische Symptomverschiebung kontrollieren kann.

      Anmerkungen: Ehrlicherweise müssen wir an dieser Stelle bekennen, daß uns zur interpsychischen Symptomverschiebung keine Forschungsarbeiten bekannt sind. Wir kennen das Phänomen aus eigener und kollegialer Erfahrung und hier bevorzugt aus der familien- und partnertherapeutischen Arbeit. Wir sind auch durch globale psychopathologische und soziologische Überlegungen auf dieses Phänomen gestoßen, insbesondere durch die Auseinandersetzung mit dem Psychopathen-Konzept der klassischen deutschen Psychiatrie. In der psychotherapeutischen Praxis findet sich meist "der Neurotiker" mit starkem Überich, mit skrupulösem Gewissen und relativ starken Anpassungsmotiven. Versteht man unter PsychopathInnen bevorzugt starke Persönlichkeiten mit schwachen Anpassungsmotiven, gering ausgeprägtem Gewissen oder Überich, so sind das unserer Erfahrung nach oft Menschen, die andere "krank machen". Diese Ideen lassen sich als Kontinuum ausgeweitet denken: Die soziale Durchsetzung des einen bedeutet zwangsweise eine soziale Anpassung oder Schwächung eines anderen. Diese Überlegung macht sofort klar, was wir damit meinen, daß die Genesung des einen die Erkrankung des anderen nach sich ziehen kann. Das ist sicher evaluierbar für alle Sozialbeziehungen mit Machtproblemen, wenn die Macht umkippt, wie so oft in (pathologischen) Partnerschaften. Unsicher sind wir, ob dieses Konzept verallgemeinert werden kann, darf oder soll. Sponsel (1984) hat schon in seiner Dissertation die Vermutung geäußert, daß, gesamtgesellschaftlich gesehen, die Rate an Kranken, Gesunden und gerade Wandernden relativ konstant sein könnte (1/3, 1/3, 1/3). Gerechtigkeit könnte, so gesehen, darin bestehen, daß die Menschen im Laufe ihres Lebens mal diesem, mal jenem Drittel angehören, also diffundieren.

    A-XX    Relativitätsprinzip der Symptombedeutung

      (1) Allgemein: Zwischen Symptomen und ihrer kausalen Störungsbedeutung gibt es keine eindeutige und schon gar keine eineindeutige Beziehung, also Verdauungsprobleme bedeuten nicht immer Ärger, Migräne heißt nicht immer "verkopft, intellektuell und überbeherrscht" oder umgekehrt. Auch hier postulieren wir ein strenges idiographisches Einzelfallprinzip.
      (2) Einzelfall: Nicht einmal bei ein und demselben Individuum muß es eine Entsprechung (Äquivalenz) geben.


    (Ende 10.9.2000 wird kritisch ergänzt)
     TOP-10 Arbeitsprinzipien der GIPT Handlungsprinzipien:IntuitionHeuristikFlexibilitätKontrolle Außendarstellung GIPT

    Fußnoten
    (2)  Das ist im wesentlichen auch die berechtigte Kritik der VerhaltenstherapeutInnen (DGVT, Hg., 1995, Redaktionskommission, 12 - 14) am medizinischen Krankheitsbegriff, dem die soziale und ökologische Dimension völlig fehlt, stattdessen beinhaltet er die Gefahr negativen Labelings. Die Verhaltenstherapie hat keine allgemeine Krankheitslehre und nur einen unverbindlichen pragmatischen Störungsbegriff; schon von daher ist es verwunderlich, wie sie in das System der Krankenkassenversorgung aufgenommen werden
    konnte. Wir halten die Kritik der Verhaltenstherapie am medizinischen Krankheitsbegriff jedoch bei weitem für wichtiger als die praktisch nicht unbedingt sehr ergiebige Konstruktion einer allgemeinen Krankheitslehre - noch dazu, wenn sie unangemessen ist.
    Quelle: Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (1995, 7A., Hg.). Verhaltenstherapie. Theorien und Methoden. Forum 11. Tübingen: DGVT.
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    (3)   beide Verfahren mit vielen kontrollierten Wirksamkeitsnachweisen.
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    (4)   Hier wird berücksichtigt, daß Aktivitäten und Veränderungen, die aus Lust, Interesse, aus einem Bedürfnis hervorgehen, anscheinend keine Energie erfordern, sondern eher umgekehrt, die Unterdrückung kostet Energie. Bei einigen psychischen Störungen, insbesondere Psychosen schizophrenoformen Typs fehlt das natürliche Interesse, die Lust, ein Bedürfnis. PatientInnen mit solchen Störungen müssen sich zum Handeln überwinden. Das fällt Laien und Angehörigen oft sehr schwer zu verstehen; und hier kann Angehörigenarbeit, Information und Aufklärung sehr viel zur Entlastung des jeweiligen Mikro-Sozialsystems (meist Familie) beitragen.
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    (5)   Das Phänomen "reactio" ist in seiner zentralen Bedeutung zuerst von der Psychoanalyse mit dem Konzept der Abwehr und der Abwehrmechanismen (S. Freud 1894 ff. und eingehend von seiner Tochter A. Freud 1936) beschrieben und studiert worden. Psychologiesystematisch gehört es heute zum Gebiet der allgemeinen, differentiellen, klinischen und der Sozialpsychologie zum Überbegriff BEWÄLTIGUNG von DISSONANZ. Eine spezielle Theorie zur kognitiven Dissonanz ist von L. Festinger (1957) vorgelegt worden.  Anna Freud und Leon Festinger scheinen ihren Literaturverzeichnissen nach nichts von ihrem ähnlichen Interessengebiet gewußt oder es anders interpretiert zu haben. Quellen: Festinger, L. (dt. 1978, orig. 1957). Theorie der kognitiven Dissonanz. Bern: Huber. Freud, A. (dt. o. J., orig. 1936). Das Ich und die Abwehrmechanismen. München: Kindler.
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    (6)   Die GIPT stellt daher die psychoanalytische Grundannahme von der Heilkraft der Übertragungsneurose in Frage und betont die soziale interaktive Verknüpfung und konkrete Erfahrung als wichtige Bezugskategorien der psychotherapeutischen Heilung. Psychotherapeutische Heilung ist in der GIPT mit der Umgebung und dem sozialen Lebensraum verbunden und kann nach unserem Verständnis grundsätzlich nicht im Separee einer Psychotherapie erfolgen, sondern dort nur initiiert werden.
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    (7)  D. Wyss (1982, S. 87 f) hat in seiner anthropologisch- integrativen Psychotherapie ganz explizit ein "allgemeines Relativitätsprinzip" eingeführt (Sponsel 1995, > Reader), wenn auch nicht so spezifisch differenziert wie wir. Quelle: Wyss, D. (1982, Hg.). Der Kranke als Partner. Lehrbuch der anthropologisch-integrativen Psychotherapie. Band 1. Dokumentation und diagnostisch-therapeutischer Fragenkatalog. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
    Die Idee der Relativität der Heilmittel findet sich bei vielen PsychotherapeutInnen und ForscherInnen, der Doppelcharakter aller Heilmittel jüngst erst wieder recht klar bei Kriz  (1994, S. 236). Grundkonzepte der Psychotherapie. Weinheim: Beltz.
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    (8)   Das Wort Placeboeffekt ist eine wissenschaftlich anmutende Verbrämung der y Glaubensheilung, ein Wort, das die Wissenschaft in unserer Deutung nicht sehr schätzt. In der GIPT nennen wir die Dinge aber gern beim Namen, so wie wir auch versuchen, blinde Flecke zu minimieren und die Realität zu sehen.
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    (9) Wo sind Hysterie und Neurasthenie geblieben? Wo kommen auf einmal die Bulimie, die Alexithymie oder die multiple Persönlichkeit her? Es wäre wirklich eine Untersuchung wert, die die anscheinend "modische" Epidemiologie aufklärt. Oder heißen die neuen NeurasthenikerInnen "Alexithyme" und die neuen HysterikerInnen "Bulimie" und "multiple Persönlichkeit"?
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    Perrig, W. J., Wippich, W., Perrig-Chiello, P. (1993). Unbewußte Informationsverarbeitung. Bern: Huber.
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    Garfield, S. L., Bergin, A. E. (1994, Eds.). Handbook of Psychotherapy and Behavior Change. New York: Wiley.
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    Frank, J. D. (dt. 1981, orig. 1961). Die Heiler. Wirkungsweisen psychotherapeutischer Beeinflussung. Vom Schamanismus bis zu den modernen Therapien. Stuttgart: Klett-Cotta.
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    Sponsel, R. (1984). Lebens- und Selbstzufriedenheit als Psychotherapieerfolgskontrolle. Praktische Systematik psychologischer Behandlungsforschung. Dissertation, Erlangen: IEC-Verlag.

    Querverweise
    Standort: Axiome der GIPT
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    Psychologie des Bewußtseins und der Aufmerksamkeit. Zur Psychotherapie der Bewußtseins- und der Aufmerksamkeits-Lenkung.
    Überblick Psychologie des Bewußtseins. Literatur- und Linkliste.
    Konzepte Idealer Psychologischer Grundlagen Experimente zur operationalen Normierung psychischer Elementarfunktionen.
    Definition und definieren * Terminologie * Was-ist-Fragen in der Diagnostik *
    Überblick Allgemeine Psychologie.
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    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site:www.sgipt.org
    z.B. Integrative Psychotherapy site:www.sgipt.org. * ADEIS site:www.sgipt.org
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    Dienstleistungs-Info.
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    Zitierung
    Sponsel, R. (1998). Axiome - Grundannahmen der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie (GIPT). Indikations-Paradigmata. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/axiome.htm
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