Die Grundlegenden Probleme und die Aporie jeglicher Einzelfall- und damit Therapieforschung
Grundzüge einer idiographischen Wissenschaftstheorie
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Überblick
Die Wissenschaft vom Einzelfall führt an den Universitäten, dort, wo die Wahrheit eigentlich ihre Heimat haben sollte, ein trauriges Dasein. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß die große Mehrzahl der. sog. "WissenschaftlerInnen", wir nennen sie manchmal etwas verächtlich "SzientistInnen", die Grundprobleme überhaupt nicht begriffen haben. Wie sollten sie dann aber zur Lösung beitragen können, wenn sie gar nichts verstanden haben und nichts verstehen, möglicherweise sogar nicht einmal verstehen wollen?
Die WissenschaftlerInnen geben - meist in Anlehnung
an die Naturwissenschaften vor - vor, sie wollen Gesetze und Regelhaftigkeiten
erkennen. Bereits an dieser Stelle beginnt das Problem, weil der Begriff
der Wissenschaft schon unzulässig eingeschränkt wird.
Wissenschaft bedeutet Wissen lehr-, lern- und evaluierbar schaffen 1) In diesem Sinne sind alle Menschen Wissenschaftler, die ein Wissen haben, das sie so lehren, dass andere es lernen und kontrollieren können. Hierzu zählt jedes Wissen, auch das Berufswissen, das Handwerk, z. B. auch der Gärtner, der Bauer, die Hausfrau. Wissenschaftliches Wissen in diesem Sinne entsteht nicht unbedingt an Universitäten, dort wird sogar meist nur ein sehr kleiner Teil gepflegt. UniversitätswissenschaftlerInnen sind oftmals in konkreten, praktischen Problemlösungen auch völlig überfordert, weil sie weder Einzelfallkonzepte entwickelt oder keine Erfahrung in der Anwendung haben. Wissenschaftsprinzip
der GIPT
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Worum geht es z. B. in der Praxis der ÄrztIn,
der PsychotherapeutIn, des Steuerberaters, des Rechtsanwaltes, des Richters,
der medizinischen BademeisterIn, der BäuerIn auf genau ihrem Land,
der KFZ-MechanikerIn mit genau diesem Auto in ihrer ganz konkreten Arbeit?
Nun geht es in aller Regel in der Praxis um einen ganz konkreten individuellen
Einzelfall, der, genau genug betrachtet, als idiographisch einzigartig
und einmalig zu betrachten ist. Jedes Individuum gehört bei genauer
Betrachtung zu einer unbeschreiblich
großen astronomischen Zahl, ja wir können ruhig sagen, einer
potentiell unendlichen Vielfalt von Möglichkeiten, wovon in
seinem konkreten und individuellen Leben, in seiner spezifischen Lebens-
und aktuellen Situation, eine realisiert ist.
Die Frage ist auch gar nicht, ob die idiographische
eine gültige und wissenschaftliche Methode ist, und ob man sie deshalb
anwenden dürfe, solle oder nicht. Die Realität hat diese Frage
längst entschieden, indem sie so ist, wie sie ist. Und sie
ist eben so, daß vor uns, in unserer Arbeit, in unserer Praxis ein
individueller Einzelfall auftaucht. Was hat uns nun die Wissenschaft für
eben diesen Einzelfall anzubieten? Was sagt uns die Wissenschaft,
wie wir die einzigartigen und einmaligen individuellen Einzelfälle,
mit denen wir es in der Praxis immer zu tun haben, behandeln müssen
oder was wir auf keinen Fall tun dürfen?
Wenn man wissen will, wie die idiographische Wissenschaft,
wir nennen sie einfach Praxeologie, aussieht, dann darf man nicht in die
Universitäten gehen [Ausnahme Universitätskliniken: die Medizin
hat eine jahrtausendealte Einzelfalltradition], sondern man muß die
Stätten der Praxis aufsuchen und praktischen KönnerInnen bei
ihrer Arbeit zusehen.
Unter idiographischer Wissenschaftstheorie (SPECK 1980, 2. Bd. S. 292 - 294) verstehen wir das Regelwerk zur Erforschung des Individuellen, Einmaligen, der singulären Ereignisse und Sachverhalte wie sie bevorzugt in folgenden Wissenschaftsbereichen von Bedeutung sind: Praktische Medizin, Psychopathologie, Psychotherapie und psychologische Beratung von Individuen, Anamnestik, Biographie- und Lebenslaufforschung, Differentielle Psychologie, Jurisprudenz als Tatsachen-, Tatbestands- und Wahrheitsforschung, Kriminalistik, Forensische Psychologie, Geschichtswissenschaft, Ökonomie (z. B. in welcher Phase des Konjunkturzyklus befindet sich die Gesellschaft G.?) und Sozialwissenschaften. Aber auch in den Naturwissenschaften gibt es singuläre Fragestellungen, z. B. wie diese, unsere Erde, sich entwickelt hat, Entwicklung ihrer Kontinente, was ein bestimmtes ökologisches System in einer ganz bestimmten Umgebung braucht ("Waldsterben, Ozonloch"), die Wetter-, Klima- und Erdbebenvorhersage für singuläre Zeiten und geographische Gebiete, Exploration von Bodenschätzen (z. B. ist hier Öl zu finden?) etc.
Nomothetische Wissenschaft sucht
nach allgemeinen Gesetzen, idiographische Wissenschaft versucht, besondere,
individuelle, einzelne Ereignisse und Sachverhalte zu erklären und
zu verstehen oder vorherzusagen. Der Konstruktion eines Gegensatzes
zwischen "Verstehen" versus "Erklären" erteilen wir eine Absage.
"Verstehen" und "Erklären" [FN01]
meinen Verschiedenes. "Verstehen" ist hauptsächlich ein Kommunikationsbegriff
und verlangt wenigstens einen Sender (mag auch ein Ereignis oder Sachverhalt
sein) und einen Empfänger. "Erklären" ist ein wissenschaftstheoretischer,
methodologischer Begriff vom Typ B weil A oder vom Typ Wenn A, dann B,
nun B, vermutlich weil A. [FN02]
Natürlich geht es in der idiographischen Wissenschaftstheorie und
Praxis um Erklären, wenn wir Syndromgenese und Ätiologie betreiben,
um was denn sonst. Und es geht natürlich um Prognose, wenn wir einen
Therapieplan erstellen, von dem wir natürlich annehmen, da die
dort zusammengestellten Methoden und Maßnahmen zu einer Linderung,
Besserung und idealiter Heilung führen. Wir idiographischen WissenschaftstheoretikerInnen
sind gar nicht gegen die NomothetikerInnen: wir sind nur dagegen, da
sich die NomethetikerInnen über uns zu erheben versuchen und zugleich
unsere Belange nicht nur nicht angemessen berücksichtigen, sondern
sogar noch verleugnen.
Der Idiographie-Begriff wird gewöhnlich dem
Nomothethie-Begriff gegenübergestellt, was zwar historisch richtig,
aber faktisch falsch ist. Idiographische und nomothetische Fragestellungen
repräsentieren unterschiedliche Ziele und daher auch Perspektiven.
Idiographie und Nomothetik sind kein Gegensatz, sondern anders, verschieden;
sie schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. Die abwertende
Haltung mancher NomothetikerInnen gegenüber den IdiographInnen ist
keineswegs gerechtfertigt. Das Unvermögen vieler NomothetikerInnen,
die idiographische Problematik zu begreifen, zeigt sich auch in den nicht
vorhandenen Veröffentlichungen. Selbst W. STEGMÜLLER läßt
in seinem großem wissenschaftstheoretischen Werk die Grundfrage des
singulären Sachverhalts weitgehend außer Acht und reduziert
die Probleme auf das für uns doch eher nebensächliche Gleis,
wie "verstehen" auf "erklären" zurückgeführt werden und
in das HO-Schema integriert werden kann (Bd. I, Kap. VI, Berlin 1969).
Im Gegensatz zur nomothetischen Wissenschaftstheorie
gibt es aber - auf den ersten Blick - keine solche idiographische, jedenfalls
keine explizit als solche ausgewiesene. Praktisch ist die idiographische
Wissenschaftstheorie aber als Beweistheorie und Tatsachenforschungs-Methodologie
in der Jurisprudenz hoch entwickelt, aber noch weitgehend ohne systematisches,
methodologisches, theoretisches Fundament; erste Ansätze im Strafrecht
(SCHULZ 1992 > Sponsel 1995, Reader). So ist auch "Die Ermittlung des Sachverhalts
im Prozeß" (DÖHRING 1964, S. 3 ff > Sponsel 1995, Reader), eine
immer noch wichtige Arbeit zur Tatsachenforschung singulärer Ereignisse,
wenn auch immer noch - leider - kaum Gegenstand der juristischen
Ausbildung [FN03].
HERZOG (1980, S. 266) [FN04]
beklagt, daß es keine ausgearbeitete psychologische Wissenschaftstheorie
gibt. Und noch viel weniger gibt es natürlich eine systematische idiographische
Wissenschaftstheorie - Ansätze: SCHNEEWIND (1977, Hg.); ASCHENBACH
(1984); GROEBEN (1986). PERREZ (1972), dem es um die Rechtfertigung der
Psychoanalyse als wissenschaftliches Verfahren geht, berührt das Idiographieproblem
ebenso wenig wie auch den Klassiker FEIGL, H., SCRIVEN, M. (1956: "Minnesota
Studies in the Philosophy of Science. Vol. 1, The Foundations of Science
and the Concepts of Psychology and Psychoanalysis"). Das mag verwundern,
weil doch einige wichtige Psychologen W. STERN (1911, S. 318 ff), G. W.
ALLPORT (1959, S. 4 - 25), A. A. MASLOW (1977, besonders S. 26 - 31 > Reader),
G. JÜTTEMANN, H. THOMAE (1987, Hg.) auf die Bedeutung der idiographischen
Methodik aufmerksam machten. Wie dem auch sei: es kann nicht den geringsten
Zweifel geben, daß für die PraktikerIn in erster Linie idiographische
Probleme von Interesse sind; und hier hilft in aller Regel die Wissenschaftstheorie
nicht; sie verwirrt, vernebelt mit immer neuen endlosen Problemdebatten,
statt einmal Nägel mit Köpfen vorzulegen [FN05].
Die idiographische Perspektive hat in der Regel ein "Einzelfallproblem"
zu lösen. Das ist regelmäßig in der psychologischen Beratungs-
und Therapiesituation der Fall. Jeder Therapieplan hat für einen ganz
konkreten individuellen Einzelfall Hypothesen zur Problemgenese und Problembeseitigung
zu entwickeln. Wie kommt es z. B., daß bei Y. im März ZZZZ ein
Angstsyndrom ausgebrochen ist und wie kann man es vor allem zum Verschwinden
bringen?
In der psychologischen Einzelfallforschung ist denn auch das
Idiographieproblem sowohl bekannt als auch anerkannt (HUBER, H. P. 1973.;
PETERMANN, F., HEHL, F.-J. (Hg.) 1979; PETERMANN, F. 1982. PLAUM, E. 1992
> Reader; PLESSEN 1982), aber die meisten der erwähnten Autoren
- Ausnahme Plaum - gehen allerdings methodologisch traditionelle und unserem
Gegenstand mehr oder weniger nicht angemessene, sondern szientistische
Wege.
Sie verwechseln wissenschaftliche mit praxeologischer Sicherheit und haben
kein praxeologisches Konzept. Daher erklären wir sie auch für
uns nicht zuständig. Sie haben uns nichts zu sagen, weil sie von unseren
Problemen nichts verstehen.
Pragmatische Zwischen-Ideale. Wir können nicht warten, bis die WissenschaftstheoretikerInnen eine einwandfreie normierte begriffliche Basis für die Psychologie und Psychologische Psychotherapie geschaffen haben. Das Programm der "Erlanger-Schule" [FN06] ist ohnehin sehr theoretisch- idealnormorientiert und für die Praxis noch nicht anwendbar entwickelt. STEGMÜLLER ist völlig ausgeufert und für die Praxis auch nicht anwendbar. Statt Probleme zu lösen, werden ständig neue kreiert, entwickelt, erfunden. Die ganze Wissenschaftstheorie krankt m. E. am Theoretisieren. Diese Leute arbeiten nicht mit richtigen Menschen in einer richtigen Lebenssituation an einem richtigen Problem. Und daher erklären wir sie auch für uns als SupervisorInnen für nicht zuständig. Wir PraktikerInnen müssen eine eigene Wissenschaftstheorie entwickeln, eine, die für unsere Arbeitswelt und Lebensrealität taugt. Einen interessanten praktisch grundsätzlich anwendbaren Ansatz zeigt WESTMEYER (1987) auf ( > Reader, Sponsel 1995). Zwischen Wissenschaft und Praxis brauchen wir eine neue Schnittstelle, ich nenne sie Praxeologische Wissenschaft, die Wissenschaft so aufbereitet, daß die Praxis etwas damit anfangen kann und die Praxis so aufbereitet, daß die Wissenschaft etwas damit anfangen kann. Das sollten eigentlich die klinischen Lehrstühle leisten. Sieht man sich hier jedoch genauer um, stellt man mit Entsetzen fest, daß die medizinischen Psychologie-Lehrstühle alle mit Psychoanalytikern - die von der Macht sehr viel und von Wissenschaft noch nie sehr viel verstanden haben - besetzt sind und die klinischen Lehrstühle bei den PsychologInnen fast alle fest in den Händen der Therapieschulen sind, meist VerhaltenstherapeutInnen, die selbst nicht innovativ, interessiert oder auch nur mutig genug sind, die allgemeine und integrative Psychotherapie vorwärts zu treiben - Ausnahme: GRAWE und inzwischen FIEDLER; sie haben sich eingerichtet und drohen sich mit der Medizin ebenso zu arrangieren wie die Psychoanalyse. Die "Arrangiermittel" könnten hier wie dort mit Macht und Geld [FN07] verwandt sein.
Die allgemein-pragmatischen und vorläufigen GIPT'schen Wissenschaftstheorie Regeln
(1) Konstruktive-Liberalitäts-Regel
Da die Wissenschaftstheorie nicht fähig war, allgemein anerkannte
Normen und Regeln für die Praxis zu entwickeln und evaluieren, möge
jeder vorgehen, wie er will, wenn er nur Schritt für Schritt und möglichst
urdaten-dokumentiert erklärt, was er wozu tut und wie die Gründe
hierfür aussehen.
(2) Sprach- und Konstruktionsnormierungen
Die Begriffe sollten wenigstens klar definiert und idealiter auch eine
Konstruktionsnormierung ausgearbeitet oder wenigstens skizziert sein.
(3) Reproduzierbarkeit der Ergebnisse
Untersuchungen, die nicht prinzipiell-tendenziell replizierbar sind,
können nicht den Status von Wissenschaftlichkeit beanspruchen.
(4) Theorie- und hypothesengeleitete Empirie
Man möge seine empirischen Untersuchungen in den Rahmen einer
Theorie stellen, seine Hypothesen klar vor der Untersuchung formulieren
und nicht "blind" in der Gegend herumkorrelieren.
(5) Wissenschaftsethik in den Verfahren
Es sollen grundsätzlich keine Verfahren angewendet werden, deren
Voraussetzungen nicht erfüllt sind, z. B. Zufallsauswahl, Verteilungsannahmen,
Paramteräquivalenz, Ergodizität (Parameterkonstanz), Skalenniveau.
(6) Einfache, direkt interpretierbare Maße & Kennwerte
Von den Maßen sollten solche bevorzugt werden, die einfach und
direkt interpretierbar sind.
Skizze mit Beispielen einer idiographischen Wissenschaftstheorie
Zentralparadigma idiographischer Wissenschaftstheorie und Praxis ist stets die Frage, ob ein singuläres Ereignis mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit bzw. Sicherheit stattgefunden hat (Perspektive der Erklärung, Anwendung: Syndromgenese) oder stattfinden wird (Perspektive der Prognose: Anwendung z. B.: vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug oder einer forensischen Psychiatrieeinheit). Beispiele: (1) PatientIn erklärt, daß sie dann und dann Angstzustände bekam, als sie an der Kasse im Supermarkt anstand; (2) PatientIn klagt über Einschlafstörungen; (3) PatientIn klagt über Konzentrationsstörungen; (4) PatientIn klagt über Prüfungsangst; (5) PatientIn klagt über Zwänge; (6) PatientIn lernt die Anwendung eines psychologischen Heilmittels, wendet es an und klagt, keinen Erfolg damit zu haben; (7) PatientIn führt bei TherapeutIn eine Psychotherapie durch und wird nach zwei Jahren nachuntersucht; (8) TherapeutIn gewinnt den Eindruck, daß es der PatientIn deutlich besser geht; (9) PatientIn soll FOCUSING lernen und der TherapeutIn will sicherstellen, daß er das Verfahren beherrscht; (10) PatientIn bekommt als Hausaufgabe, zwei Mal FOCUSING durchzuführen und TherapeutIn möchte wissen, wie gut die Aufgabe bewältigt und durchgeführt wurde.
Man erkennt unschwer, da die meisten Fragen für die meisten PsychotherapeutInnen kein Problem repräsentieren. Und die SystemikerInnen interessieren sich ganz bewußt nicht für "die Wahrheit", die es für sie meist sowieso gar nicht gibt. Ihnen geht es darum, ein Problem zu lösen. Die Tatsachenfeststellung ist hierbei nebensächlich oder gar störend. Die Welt der Menschen ist eine subjektive Konstruktion. Für (6), (9) und (10) wird sich TherapeutIn näher interessieren. (8) wird TherapeutIn willkommen heißen und meist wohl nicht näher absichern. (1) bis (5) wird TherapeutIn näher explorieren, um es besser zu verstehen und um einen Therapieplan entwikkeln zu können, aber es gibt bei (1) bis (5) gewöhnlich nicht das Problem der Tatsachenfeststellung. Unreflektiert wird die TherapeutIn der PatientIn meist glauben und hiervon oft wohl zurecht. Sind PatientInnen psychodynamisch vorbelastet, meinen sie oft, man müsse immer die Ursachen von Störungen wissen, bevor man helfen könne. Glücklicherweise stimmt diese Lehre nicht. Es gibt ganze Klassen von Störungen und Problemen, wo man helfen kann, ohne die Ursache zu kennen. Solchen PatientInnen kann man einfach erklären, wenn sie daheim eine eingeschlagene Fensterscheibe vorfinden, so nutzt die Klärung der Ursache für die Problemlösung nichts, aber ein Glaser sehr viel. Zur komplizierten Ursachenproblematik siehe bitte Sponsel 1995 Kap. 2 (S. 95 f "Sprachliche Kausalitätswirren" und besonders "Checkliste Kausalitätsfeld") und Kap. 5.6.2.6, S. 317 - 319).
Wir wollen nun aber einmal so tun, als ob es uns darum ginge, die Tatsächlichkeit eines singulären Ereignisses - wie es forensische AussagepsychologInnen ständig tun müssen - zu ermitteln und zu begründen. Dann stellt sich die Frage: auf welche Prinzipien, Regeln, Methoden könnten wir zurückgreifen?
Quelle Sponsel Handbuch (1995), S. 337.
Prinzip Maximale Wahrscheinlichkeit. Wenn es im Zimmer zieht, ist die Wahrscheinlichkeit, da ein Fenster oder eine Tür auf ist, größer, als daß eine Zimmerwand verschwunden oder ein Zugluftgenerator heimlich installiert wurde. Sind die Wahrscheinlichkeiten für ein singuläres Ereignis gegenüber alternativ-hypothetischen relativ groß, läßt sich hieraus das Prinzip Maximaler Wahrscheinlichkeit, eine Art praktische Maximum Likelihood, gewinnen.
Prinzip Maximaler Erklärungswert. Dieses Prinzip wählt denjenigen Sachverhalt als den wahrscheinlichsten aus, der die meisten anderen Sachverhalte zu erklären imstande ist. Sei das diagnostische Problem Neurose oder Psychose. Und seien die Symptome "Verwirrung", "Desorientierung", "Angst", "seltsame Gebärden", "unzugänglich", so würde eine Psychose die Symptome eher "erklären" als eine Neurose. Dieses Prinzip dürfte beim Problem des Rückschlusses von Symptomen auf eine bestimmte Diagnose sehr oft zur Anwendung gelangen.
Prinzip Logische Folgerung [aus Bewährtem] (Axiomatisierung) Läßt sich ein Sachverhalt aus einer Reihe anderer, empirisch gesicherter Sachverhalte, also von Tatsachen ableiten oder schlußfolgern, so kommt diesem abgeleiteten Sachverhalt ein relativ hoher Beweiswert zu. Beispiel: Fraglich sei, wie ein Lebenszufriedenheitsmittelwert von LZS = 67 % zu beurteilen ist. Als empirisch gesichert gelten folgende Sachverhalte: S1: ProbandIn ist nicht maniform; S2: ProbandIn ist nicht übertrieben zwanghaft. S3: ProbandIn hat eine integrative Therapie von 28 Sitzungen wegen einer sog. "Herzneurose" durchgeführt. Es gelte folgende diagnostische Schlußregel DSR: Gesunde, relativ zufriedene und symptomfreie Menschen produzieren in der Regel Lebenszufriedenheitsmittelwerte zwischen 60 und 80%. Solche Mittelwerte sprechen gegen eine intrapsychische Symptomverschiebung. Daraus können wir ableiten, daß ProbandIn sehr wahrscheinlich symptomfrei ist und die Integrative Psychologische Psychotherapie als voller Erfolg bezeichnet werden kann.
Prinzip
Widerspruchsfrei zu Feststehendem. Hier geht es darum, eine Vermutung
so lange aufrecht zu erhalten, so lange nichts gegen sie spricht. Das Nicht-Dagegen-Sprechen
wird als schwache Stützung verwendet. Steht ein zu beurteilender Sachverhalt
Sb in Relation zu bestehenden Sachverhalten S1, S2, ..., Si, ..., Sn und
nicht in Widerspruch mit diesen, so können diese Sachverhalte als
schwaches Beweisindiz dienen. Der Sachverhalt Sb wird zwar von den anderen
nicht gestützt, aber er bekommt auch kein "Widerspruchssperrfeuer".
Beispiel: Eine PatientIn ist an Sb = Selbstsicherheit interessiert. S1
= PatientIn spricht Selbstsicherheit nicht als Problem an; S2 = PatientIn
vermittelt nicht den Eindruck, als sei sie besonders selbstsicher, S3 =
PatientIn wirkt zurückhaltend. Alle drei Sachverhalte S1, S2, S3 sind
mit Sb verträglich, sprechen nicht dagegen; sie liefern damit eine
schwache Stützung der Vermutung: hier könnte ein
Selbstsicherheitsproblem vorliegen.
Prinzip Indirekter Beweis. Das ist ein bekanntes Beweisverfahren aus der (nicht-konstruktivistischen) Mathematik und Logik. Man bilde die Kontradiktion zu einem zu beurteilenden Sachverhalt Sb, also -Sb. Man zeige nun, da aus den wahren Sätzen S1, S2, ..., Si, ..., Sn und -Sb ein Widerspruch folgt, dann folgert man zurück, daß -Sb nicht wahr sein kann, also falsch sein muß. Gilt nun der Satz vom ausgeschlossenen Dritten - der in der konstruktiven Logik nicht gilt -, so folgt, daß Sb wahr sein muß, weil -Sb falsch ist. Beispiel: P zeige die Symptome S1 = "versteinerter Gesichtsausdruck", S2 = "eingesunkene Haltung", S3 = "nicht ansprechbarer Eindruck", alles in allem Verdacht auf Depression früher sogenannten endogenen Typs. Diskutiert sei die Frage, ob Motivation und Interesse intakt ist. Sei Sb = "Interesselos", dann wäre -Sb = "NICHT(interesselos)" = "Interessiert". Angenommen, man kann zeigen, da [(S1, S2, S3) UND (-Sb)] empirisch unverträglich ist, dann folgt [(S1, S2, S3) UND (Sb)]. Man kann nach diesem Schema von bestimmten Symptomen oder Syndromen zu anderen übergehen, auf diese schließen.
Prinzip Augenschein & Beobachtung. Ist strittig, ob ein bestimmtes Verhaltensmuster an den Tag gelegt wird oder nicht, so kann hierüber eine Verhaltensbeobachtung schnell Aufschluß geben. Möglicherweise mu sie aber verdeckt erfolgen, weil das Wissen um die Beobachtung und um das Beobachtungsmotiv das Verhalten beeinflussen kann. Bei vielen forensischen Fragestellungen empfiehlt sich z. B. eine Inaugenscheinnahme, etwa des Tatortes. Im pychotherapeutischen Bereich kann es sehr nützlich sein, PartnerInnen oder Angehörige persönlich kennenzulernen, um einen Eindruck von der Beziehung zu gewinnen.
Prinzip Herstellung, Modell, Experiment. Kann ein strittiger Sachverhalt hergestellt werden, ist das ein Beweisindiz für seine Existenzmöglichkeit. Das ist z. B. sehr wichtig, bei Augenzeugenexperimenten: konnte jemand aus einer gewissen Entfernung bei gewissen Beleuchtungsverhältnissen eine Person identifizieren [FN09]? Das Prinzip spielt in der Kriminalistik aber auch in der wissenschaftlichen Forschung eine bedeutende Rolle. Ein Streßsyndrom hat zwei ätiologische Hauptquellen: (1) Stressoren werden gar nicht apperzipiert (bewußt wahrgenommen) und können infolgedessen auch gar nicht berücksichtigt und beachtet werden; (2) Stressoren werden zwar apperzipiert, aber nicht berücksichtigt und beachtet. Eine Entscheidung kann ein psychotherapeutisches Experiment liefern, indem Streß hergestellt wird und sodann eine Exploration stattfindet, ob die Stressoren bemerkt wurden. Wofür ein Alkoholmi brauch ätiologisch stehen kann, kann man möglicherweise erst dann vernünftig beurteilen, wenn eine zeitlang Abstinenz herrscht. Symptome, die dann auftreten, könnten eine Erklärungshypothese für die "heilende Wirkung" des Alkoholmi brauchs liefern. Hergestellt wird also Abstinenz. Das wäre zugleich ein Beweis dafür, daß es ohne Alkohol - zumindest kurz- bis mittelfristig - auch geht. Ob jemand angstfrei geworden ist, kann letztlich nur ein Experiment beweisen: jemand muß sich der vormals angstbesetzten Situation stellen, sie ohne Symptomproduktion aushalten und bewältigen, dann kann zumindest auf der Symptom-Ebene von einem klaren Therapieerfolg gesprochen werden.
Prinzip Plausibilität nach Allgemeiner Erfahrung. Ruft jemand an und möchte eine Psychotherapie machen, ist anzunehmen, daß es dem Betreffenden nicht besonders gut geht und da KandidatIn Probleme hat, die sie selbst meint, nicht so wirkungsvoll bekämpfen zu können wie mit einem Fachkundigen. Theoretisch könnte es natürlich auch jemand sein, der sich in seiner Bezugsgruppe wichtig machen möchte, nur neugierig ist, was PsychotherapeutInnen für Menschen sind oder einen Test macht, ob PsychotherapeutIn merkt, da es sich nur um einen Test handelt; es könnte auch eine JournalistIn sein, die darüber schreiben möchte, wie Psychotherapie abläuft oder eine AgentIn, die testen möchte, wie leicht man PsychotherapeutInnen verführen kann. Am plausibelsten ist wohl die Annahme, daß es sich um eine echte PatientIn handelt.
Prinzip Wissenschaftlicher Erfahrungssatz. Zerreißt es einen Wasserkanister im Auto, so hat es wahrscheinlich Nachtfrost gegeben und das frierende, zu Eis werdende Wasser hat sich ausgedehnt. Findet man einen solchen Kanister in einer verlassenen Wohnung, bieten sich zwei Möglichkeiten an: a) er ist dorthin verbracht worden oder b) die Wohnung war nicht beheizt und streckenweise relativ frostig, wonach vermutet werden darf, da die Wohnung - zeitweise - nicht bewohnt wurde.
Prinzip Brückenkopferweiterung [FN10]. Hier bildet man eine solide Basis B1 sicherer Aussagen. Aus den noch nicht sicheren Aussagen A1, A2, ..., Ai, ..., An, wähle man diejenige Ab, die sich am besten begründen läßt, womit die neue Basis B2 = (B1 UND Ab) erzeugt wurde. Nun suche man wieder diejenige Ab, die sich am besten begründen läßt, womit die neue Basis B3 = (B2 UND Ab) erzeugt wird usw. usf. Man geht also sukzessive, Schritt für Schritt vor und erweitert so ständig den Bereich, die Basis der relativ sicheren Aussagen. Beispiel: Zu erklären sei ein phobischer Ausbruch. Wir haben an sicheren Aussagen: (B1) ProbandIn hat sich vor einigen Jahren selbständig gemacht. (B2) ProbandIn hat sehr viel gearbeitet. (B3) ProbandIn hat in den letzten Jahren öfter und länger anhaltend fiebrige Erkrankungen bekommen. (B4) ProbandIn lebte in latenter Angst und Sorge, ob sich der geschäftliche Erfolg dauerhaft einstellt. (A1) ProbandIn hat sich chronisch überfordert. (A2) Das Abwehrsystem wurde zusehends schwächer. (A3) Als Kulmination der chronischen Überforderung bei zunehmender Abwehrschwäche kam es zum phobischen Ausbruch. (A2) läßt sich aus (B3) mutmaßen. Und (A1) läßt sich aus (B1, B2, B4) gewinnen. Aus (B1, B2, B3, B4, A1, A2) kann (A3) gemutmaßt werden (Sponsel 1995, > Kap. 7 Fälle Herz_01).
So viel zu den Prinzipien. Insgesamt wollen wir festhalten: (1) Eine idiographische Wissenschaftstheorie ist praktisch durch die Tatsachenfeststellungs- Methoden vor Gericht entwickelt. (2) Viele Probleme sind noch nicht angemessen gelöst. Insbesondere (3) Erklärung (Ätiologie) und Prognose (Therapieerfolg) in der Heilkunde repräsentieren komplizierte und komplexe Probleme, wie im folgenden noch deutlicher werden wird.
Die grundlegende Forschungsaporie der Heilmittelprüfung
Die grundlegende Forschungs-Aporie besteht in dem unlösbaren Dilemma der Übertragbarkeit der Ergebnisse. Genau betrachtet gibt es keine zwei gleichen Psychotherapien und keine zwei gleichen Heilmittelsituationen. Die Fälle unterscheiden sich immer, es ist nur eine Frage der genauen Betrachtung. Das ist ein wesentlicher Kritikpunkt KIESLERs (In: PETERMANN 1977): der Uniformitätsmythos - allerdings nicht nur in der Psychotherapieforschung. Das grundlegende methodologische Problem besteht in Kriterien, die besagen, unter welchen Bedingungen eine Übertragung von einem Evaluationsergebnis auf eine Behandlung zulässig sein soll. Das Finden von solchen bislang fehlenden Kriterien, würde eine ziemlich umfassende Klassifikationstheorie einerseits und eine Ähnlichkeitstaxonomie von Heilmitteln, Situationen, Menschen, TherapeutInnen, Therapie-Settings andererseits voraussetzen. Das ist aber nicht nur ein Problem der Psychotherapieforschung, sondern jeder Wirkforschung vom Typ Kontext K, Objekt O, Mittel M, Wirkung W. Der Kontext K und das Objekt O unterscheiden sich immer, selbst bei eineiigen Zwillingen (von denen ich einige untersucht habe).Das Problem wird sofort klar, wenn man die Vielzahl der wirksamen Faktoren mit ein bißchen Rechnen untersucht:
Exkurs Rechnerische Modellüberlegung: 150 Billionen Dyadenmöglichkeiten [FN11]
Gehen wir aus von 100 relevanten Methoden (M=100), die jeweils dreifach technisch (T=3) variiert werden können; von jeweils 10 relevanten Persönlichkeitsstrukturen bei PatientIn und PsychotherapeutIn (P = 10 * 10 = 100); von nur 100 verschiedenen Störungsbildern (S=100); von nur 100 unterschiedlich relevanten sozialen Kontexten (K=100), in denen die Therapie stattfindet; von nur 10 relevanten fördernden oder hemmenden Einstellungs- und Beziehungsfaktoren zur Psychotherapie (E=10); und von nur 10 relevanten äußeren Ereignissen, die die Psychotherapie beeinflussen (persönliches Umfeld & Angehörige, Beruf, Freizeit; Ä=10); und nehmen wir an, daß es nur 50 Lenkungsmittel (L=50) gibt, die in nur 100 Zeitintervallen (Z=100) zum Einsatz kommen können; so ergeben sich an unterschiedlichen Möglichkeiten für jede Psychotherapiedyade:
PT-Dyade = M * T * P * S
* K * E * Ä * L *
Z
= 100*3 *100 * 100 * 100 * 10 * 10 * 50 * 100
= 1,5 * 1014
= 150.000.000.000.000
Eine Psychotherapie-Dyade (PatientIn, PsychotherapeutIn, Psychotherapie-
Konfiguration) enthält also nach dieser Modellüberlegung rund
150
Billionen Möglichkeiten an Konfigurationen. Faßt man mehrere
PatientInnen in einer Evaluationsgruppe zusammen, so ergeben sich für
diese Gruppe, wenn sie N PatientInnen enthält 150.000.000.000.000
Möglichkeiten. Vergleicht man mehrere Gruppen, muß dieser Wert
wieder entsprechend multipliziert werden. Diese Überlegungen mögen
zeigen, daß wir mit den traditionellen und "klassischen" Forschungsmethoden
nicht weiterkommen, das führt in einen praktisch unendlichen Regress
mit zunehmend verwässerteren und nichtssagenderen Ergebnissen. Wir
brauchen
völlig neue Ideen, wie wir mit solch hochkomplexen Phänomenen
umgehen können. Für die Gruppen- Evaluation weiß
ich keine Lösung, aber vielleicht ist DÖRNERs (> Reader, Sponsel
1995) Ansatz, mit hochkomplexen Systemen und Unsicherheit umzugehen der
richtige Weg - lineare Variable für Variable Design führt wahrscheinlich
zu nichts, außer daß die traditionelle SozialwissenschaftlerIn
nicht arbeitslos wird. Wir brauchen völlig neue Forschungsparadigmata,
neue Methoden und wenn Mathematik, dann eine, die für die Psychologie
entwickelt und nicht eine, unter die die Psychologie gepreßt wurde.
Die Psychologie ist keine kleine Ausgabe der Physik, sie ist etwas ganz
anderes und eigenes. Es gibt wahrscheinlich nur einen einzigen Ausweg und
nur eine einzige ziemlich sichere Methode, das ist die Einzelfall- Evaluation
während,
am Ende und nach der Therapie (Katamnese). Alle anderen Methoden
sind immer mit vielen und unkontrollierbaren methodischen Unsicherheiten
und Fragwürdigkeiten behaftet. Die bislang erfolgten Wirksamkeitsprüfungen
können nach diesen Erkenntnissen nicht überzeugen. Die traditionelle
Psychotherapieforschung [FN12]
muß grundsätzlich überdacht werden.
In der GIPT werden wir daher den Weg bevorzugen, während
des Therapieprozesses eine fortlaufende Evaluation durch Therapiedokumentation
durchzuführen wie es in 5.6.2.10 (Durchführung der GIPT) dargelegt
wird (> 6.4). Einzelfall-Evaluation ist der beste, sicherste und praxisnächste
Weg. Sie ist allen anderen Methoden überlegen, besonders dann, wenn
kriterienvalide Heilmittel zur Anwendung gelangen.
Kritik der Methoden, Paradigmen und Designs der traditionellen Psychotherapieforschung
Das Problem der unspezifischen Effekte
Wenn die Psychotherapieforschung keine spezifischen Effekte herausfinden kann und allen, Erfahrenen und Unerfahrenen, Kurz- und Langtherapierten, lange und intensiv gegenüber kurz oder gar nicht Ausgebildeten, ja sogar Laien (GARFIELD dt. 1982), letztlich dieselbe mehr oder minder unspezifische allgemeine Wirkung zuerkennt, sind mehrere Schlüsse möglich:
(1) Es gibt gar keine spezifischen Therapieeffekte, sondern nur allgemeine, die sozusagen in allen Psychotherapien mehr oder weniger enthalten sind und praktiziert werden (> Sponsel 1995, Reader: von FRANK, J. D. dt. 1981, orig. 1961, wurden die allgemeinen Faktoren, die allen Psychotherapien mehr oder weniger gemeinsam sind, ausgearbeitet)
(2) Die Psychotherapieforschung ist nicht angemessen entwickelt, wird ungenau oder / und fehlerhaft angewandt mit den möglichen Hauptfehlerquellen:
(2.1) Es wurde nicht genau differenziert, welches spezifische Heilmittel untersucht werden soll, so daß ein "Gemisch", ein "Gesamt" untersucht wurde. Die verschiedenen Ansätze und Methoden sind mit vielen Heilmitteln, die in einer Psychotherapie zum Tragen kommen, konfundiert. Da jedes Heilmittel prinzipiell auch negativ wirken kann, können Kompensationseffekte eingetreten sein, die nicht kontrolliert wurden. Die Vielfalt der Heilmittel ist in der traditionellen Psychotherapieforschung gar nicht gesehen worden und ein Novum unserer Arbeit.
Beispiel (2.1): Eine mögliche Erklärung
Eine Psychotherapie, die bei spezifischen Ängsten das kriterienvalide Heilmittel Stellen nicht fördert, wird in aller Regel auf dieser wichtigen Symptomebene nicht den Erfolg vorweisen können wie Psychotherapien, die das Heilmittel Stellen explizit fördern und den kriterienvaliden Heilmittelwert erkennen und daher auch verlangen. Es ist klar, daß in der Psychotherapieforschung, um diese Effekte leicht beweisen zu können, ein Extremgruppenvergleich das optimale Versuchsdesign liefert, z. B.: [FN13]
Störung: spezifische Phobie
In diesem Fall sind z. B. die Gesprächspsychotherapie und die Verhaltenstherapie Psychotherapeutische Extremgruppen. Der Psychotherapieerfolg muß, wenn unsere Theorie richtig ist, bei Verhaltenstherapien wesentlich besser ausfallen als bei Gesprächspsychotherapien nach Rogers.
Umgekehrt: Die Gesprächspsychotherapie und das Focusing von GENDLIN müßte bei allen Störungen, bei denen das Heilmittel Empfinden_Fühlen_Spüren eine wichtige Rolle spielt, z. B. beim Streßsyndrom, erfolgreicher sein als z. B. die Verhaltenstherapie oder die Psychoanalyse, die hierfür überhaupt kein explizites Heilmittelkonzept hat [FN14].
(2.2) Es wird nicht genau analysiert und gesichert, was die TherapeutInnen wirklich tun und was genau in der Therapie geschieht, weil das, was PsychotherapeutInnen über ihre Arbeit sagen, oft etwas anderes ist als das, was sie wirklich tun. Hier spielt auch Schuldogmatismus und Schulpolitik eine unglückselige Rolle [FN15].
(2.3) Andere Faktoren, die auch negativ wirken können und mit der Therapie konfundiert sind (positive und negative Lebensereignisse, äußere Bedingungen und Ereignisse), werden nicht genügend kontrolliert. Für dieses Problem ist natürlich der Gruppenversuch bei sorgfältiger Kontrolle der wirksamen Variablen dem Einzellfallversuch überlegen, weil man annehmen darf, daß sich diese Faktoren im statistischen Mittel "herausmitteln". Bedenkt man aber die astronomischen Zahlen an Variablenkombinationen, ist auch dieser Ansatz erst noch mathematisch gründlich zu untersuchen. Denn bei solchen astronomischen Möglichkeiten ist die "Herausmittelungs-Hypothese" nicht so ohne weiteres aufrecht zu erhalten.
(2.4) Das spezifische Heilmittel, dessen Wirksamkeit untersucht werden soll, wird (feld-) experimentell nicht genügend vergleichend abgesichert (Mangel an externer Validität, "Labor-Evaluation")
(2.5) Die Meßverfahren und -Anwendungen sind nicht genügend repräsentativ, vernünftig und valide oder vergleichbar.
(2.6) Statistische Artefakte etwa bei Mittelwertsvergleichen verwischen die Unterschiede und unterschiedliche Effekte gleichen die Werte aus.
(2.7) Auf unterschiedliche Streuungen in den Me werten und ihre Quellen wird nicht genügend geachtet.
(2.8) Intra- und interpsychische Verschiebungsphänomene werden nicht kontrolliert.
(2.9) Design oder / und Methode sind der Fragestellung nicht genügend angemessen.
(2.10) Idiographische Faktoren wurden nicht
angemessen berücksichtigt bei der Gruppenbildung. Eine theoretische
Problematisierung und Rechtfertigung, weshalb gerade die PatientInnen in
einer Forschungsgruppe zusammenfaßt wurden, ist nicht erfolgt (man
wirft in einen Topf, was man eben hat; für eine Stichprobentheorie
existiert gar kein Pro-
blembewußtsein - der Regelfall in der empirischen Praxis).
(2.11) Einzelfall-Evaluationen sind gar nicht erwogen worden.
(2.12) Die Forschung ist von den Interessen der AuftraggeberInnen oder der Erforschten beeinflußt worden ("Parteiengutachten")
(2.13) Die unterschiedlich ausgeprägten Selbstheilungskräfte der PatientInnen wurden weder erhoben noch kontrolliert.
(2.14) Fördernde bzw. hinderliche Einflüsse in den PatientInnen, PsychotherapeutInnen und der P-P-Beziehung wurden nicht berücksichtigt.
(2.X) Andere Fehler (Rest- und Auffangkategorie).
(3) Allgemeine,
spezielle Faktoren und Fehler wirken zusammen: vermutlich der wahrscheinlichste
Fall.
Keine Kontrolle von Symptomverschiebungen
Von einem Psychotherapieerfolg im wirklichen Sinne kann nur gesprochen werden, wenn keine intra- oder interpsychischen Symptomverschiebungen eingetreten sind. Den "normalen" Psychotherapieforschungsstudien ist im allgemeinen nicht zu entnehmen, ob eine Kontrolle der Symptomverschiebungen stattgefunden hat - wahrscheinlich in den allermeisten Fällen nicht. Auch das kann ein Grund für die meist nur allgemeinen Effekte sein, die gefunden wurden. Von daher betrachtet, ist die Validität von Studien, mögen sie auch mit Kontrollgruppen gearbeitet haben, in Frage gestellt, wenn solch wichtige Variablen wie Symptomverschiebungen nicht kontrolliert wurden.
Keine Kontrolle äußerer
Faktoren
Das Problem hat schon FRANK (dt. 1981, orig. 1961, S. 455) klar
gesehen: "Ein schwierigeres Problem im Hinblick auf Besserungen ist, zu
bestimmen, wieviel davon tatsächlich durch die Therapie bedingt ist.
Die Psychotherapiesitzungen machen nur einen winzigen Bruchteil der Begegnung
des Patienten mit anderen aus; also könnten die der Psychotherapie
zugerechneten Ergebnisse in Wahrheit durch gleichzeitig andere Ereignisse
in seinem Leben verursacht sein, zum Beispiel wenn der Patient Hilfe von
jemand anders als vom Therapeuten erlangt. Aufs Konto der Therapie kann
verbucht werden, was tatsächlich durch eine Änderung in der Lebensweise
des Patienten bedingt ist, zum Beispiel durch eine Heirat; oder umgekehrt
können therapeutische Erfolge durch eine persönliche Katastrophe
ausgelöscht werden."Es ist also folgendes Kontrolldesign anzulegen,
wenn wir von folgenden Fällen ausgehen: Therapie = (+,-,o), äußere
Faktoren wirken (+,-,o):
Äußere Faktoren
1+ 2- 3o
Therapie +
- o
1+ ++
+- +o
2- -+
-- -o
3o o+
o- oo
In Zelle 21 werden negative Effekte der Therapie durch positiv wirkende äußere Faktoren ausgeglichen. Umgekehrt werden in Zelle 12 positive Effekte der Therapie durch negative äußere Faktoren zunichte gemacht. Zelle 31 besagt, obwohl die Therapie keinen Effekt hat, ergibt sich infolge positiver äußerer Wirkungsfaktoren ein insgesamt positiver Effekt, der zu Unrecht der Therapie angerechnet würde.
Keine Kontrolle der Selbstheilungskräfte
Aus den sog. "Spontanremissionen" - (zur EYSENCK-Debatte siehe
BASTINE 1992, S. 287 ff) -, aber auch durch ganz alltägliche Beobachtung
wissen wir, daß Symptome, ja sogar schwere Krankheitsbilder "von
selbst" verschwinden können. "Von selbst" verschwindet natürlich
in Wirklichkeit gar nichts. Wenn Krankheiten ohne die Behandlung eines
Fachkundigen heilen, so heißt das nur, daß man ihn nicht unbedingt
braucht. Kein Geringerer als E. BLEULER (1919, S. 17 > Reader, Sponsel
1995) thematisiert gar die - von ihm so benannte - Udenustherapie
[FN16], worunter eine Heilung
verstanden wird, wenn der Arzt nichts tut. Und voller bösem
Spott zitiert er den großen SYDENHAM (1624 - 1689), "die Ankunft
eines Hanswurstes in einem Städtchen sei nützlicher für
die Gesundheit als die Ankunft von 20 mit Medikamenten beladenen Eseln.
... Von unserer Medikamentengroßindustrie hat er noch nichts gewußt,
sonst hätte er vielleicht statt von Eseln von Fabriken gesprochen."
(S. 18). Verschärfend möchte ich fast noch hinzufügen: und
so mancher wird gesund - trotz Psychotherapie, um uns an unserer eigenen
Nase zu packen.
Obwohl die Literatur zur Selbstheilung offensichtlich
angewachsen ist (MAEDER 1949; BECK 1981; COUSINS 1981; JAFFE 1983; SPONSEL
1984; GEIGER-DOLD 1986; WEIL 1988), wurden keine Meßinstrumente
oder Operationalisierungsleitfäden vorgelegt. Ich selbst habe
deshalb 1983 - 1984 einen Pilottest LGWS [FN17]
mit 50 Items entwickelt und pilot-evaluiert (PR-Normen für die Idealstichprobe
relativ Zufriedene und Gesunde). Das
Verfahren hat sich für die Therapieplanung und zur indirekten
Erfolgskontrolle auch bewährt; die Studien sind aber infolge vieler
anderer Verpflichtungen und Interessen noch nicht abgeschlossen. GENDLIN
(1981, S. 16 > Reader) behauptet, daß die Fähigkeit, die Bedeutungen
seiner Affekte erlebnismäßig zu kennen, darüber entscheidet,
ob jemand ein Therapieerfolg wird oder nicht. Das wäre demnach ein
sehr wichtiger Selbstheilungsfaktor.
Die traditionelle Psychotherapieforschung scheint
sich - mit Ausnahme der Gesprächspsychotherapie, deren Krankheitslehre
ja direkt auf dem Selbstheilungsaxiom und der Kongruenzhypothese aufbaut
- für das Phänomen
der Selbstheilung und wie ihre Kraft operational geschätzt werden,
nicht zu interessieren. Daher kann sie diesen auch nicht kontrollieren.
Keine Kontrolle therapie-förderlicher Faktoren in PatientIn, PsychotherapeutIn, P-P-Beziehung und im Psychotherapie-Prozeß
Hier ist, da schon als eigener Punkt oben behandelt, die Selbstheilungskraft, ausgenommen. Die Beziehungshaltungs- Variablen sind dank der Gesprächspsychotherapie ziemlich gut erforscht, wenn auch zu ROGERs Zeiten und von TAUSCH und anderen überschätzt worden. Ich denke an Variable wie z. B. Leidensdruck, Motivation, Einsichtsfähigkeit, Experimentierbereitschaft, Verarbeitungsfähigkeit der psychotherapeutischen Ereignisse, Selbstverantwortung, Aktivität. Das alles sind Faktoren, von denen ich meine, daß sie den therapeutischen Erfolg günstig beeinflussen. Andere Prozeßfaktoren wären z. B. frühe Erfolgserlebnisse, Einstellung und Umgang mit Abwehr und Krisen, Strukturierung, zeitliche Limitierung, von der z. B. bekannt ist, daß sie wichtig ist (zusammenfassend BASTINE 1992 S. 250).
Zusammenfassung
Die Psychotherapieforschung gibt mehr Rätsel auf, als daß
sie aufklärt. Viele Phänomene wirken wunderlich und wenig überzeugend.
Dies läßt grundlegende Zweifel aufkommen, ob die PsychotherapieforscherInnen
ihr Geschäft wirklich richtig verstehen und genügend praktische
Erfahrung haben, um diesen hochkomplexen und komplizierten Phänomenen
angemessen zu begegnen. Wir werden in der GIPT daher in der Hauptsache
einen ganz anderen und sicheren Weg gehen: die Einzelfall-Psychotherapieevaluation
über gründliche Dokumentation und Kontrolle bevorzugt - wenn
möglich - mit kriterien-validen Heilmitteln. Damit ist einerseits
der PraktikerIn sehr gedient. Andererseits kann die GruppenforscherIn aus
solchen Einzelfällen ja jederzeit Gruppen und Klassen bilden.
Ende
FN00 GIPT= General and Integrative
Psychotherapy,
internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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FN01 Zur
Wissenschaftstheoriediskussion siehe die Monographie von WRIGHT, G. H.
v. (1974).
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FN02
Sicher wäre der Rückschluß nur bei der Äquivalenz
oder der Replikation (notwendige Bedingung = Umkehrung der Implikation,
Wahrheitswerte 1101 -> MENNE & BOCHENSKI 1965, S. 28), d. h. nur dann,
wenn A folgt B. Nun aber B, also A. Weder Äquivalenz noch Replikation
taugen für die klinische Alltagspraxis - wohl aber für die Evaluationsforschung
-, da viele psychologische und psychotherapeutische Ereignisse eine Vielzahl
von Quellen (wenn ... A,) haben können, z. B. gibt es viele Möglichkeiten
und Ereignisse, die mir Freude oder Ärger bereiten können. Hingegen
wird man in der Therapieerfolgskontrolle eine ganze Reihe von notwendigen
Bedingungen für sinnvoll erachten, z. B. da das quälende
Symptom verschwunden oder in seinem quälenden Charakter deutlich gebessert
ist.
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FN03 Als forensischer
Aussagepsychologe
kann ich mich nur wundern, mit welchem Kenntnisstand zur Wahrheits- und
Tatsachenforschung JuristInnen - neben anderen selbsternannten Fachleuten
- auf Sexuellen Mißbrauch und Vergewaltigung im wahrsten Sinne des
Wortes "losgelassen" werden. Die Diskussion ist derzeit sehr aktuell. Man
möge aber erinnern, daß der in der deutschen forensischen Aussagepsychologie
so oft falsch dargestellte W. STERN bereits 1910 klare und deutliche Kritik
am Verfahren übte. Die Krokodilstränen, die Justiz, Politik und
Öffentlichkeit über die mißhandelten Kinder nun vergießen
- eine vermeidbare Folge-Mißhandlung ist das Verfahren der Strafprozeßordnung
-, sind nicht überzeugend und historisch provokant, denn PsychologInnen
fordern seit 1910 (!) eine fach- und kindangemessene
Behandlung im Strafverfahren.
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FN04 Ganz so radikal
stimmt es nicht. Immerhin ist die Arbeit von GROEBEN, N. und WESTMEYER,
H. "Kriterien Psychologischer Forschung" aus dem Jahre 1975, der man wohl
nicht absprechen kann, da sie die Wissenschaftstheorie auf die Psychologie
anwendet und die HERZOG ja auch in seinem Literaturverzeichnis erwähnt.
Und WESTMEYERs "Logik der Diagnostik" ist von 1972.
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FN05 Exkurs:
Damals in Erlangen: Ich kann ein Lied davon singen, denn als ich in Erlangen
studierte - 1971 - 1976 - war die Wissenschaftstheorie neben Rasch-Modell
und Meßtheorie gerade "in". So wurden wir einerseits SpezialistInnen
in Ratten- und Affenpsychologie, perfekte HochstaplerInnen in allen methodologischen
Disziplinen, aber ein Seminar über die Liebe, die Freundschaft, Lebenskonzeption
oder über den Mut, offensichtlich völlig unwichtige Dinge für
die akademische Psychologie, das brachten sie nicht zustande. Kein Wunder,
daß die StudentInnen in Hundertschaften zur humanistischen Psychologie
überliefen, einige besonders Engagierte und Begabte wandten sich völlig
enttäuscht von der Psychologie ab. Heute haben wir "den Salat" und
die allergrößte Mühe, uns gegen die Therapieschulen zu
behaupten. Das hat uns die Deutsche Gesellschaft für Psychologie eingebrockt,
die völlig unfähig war, zu begreifen, daß die klinische
Psychologie eine Alternative zu den Therapieschulen hätte aufbauen
müssen. Und ein Narr, der seinen Beruf verfehlt hat, wenn er den Konflikt
zwischen Theorie und Praxis aus dieser historischen Perspektive nicht nachvollziehen
kann. Wir hatten nicht nur STEGMÜLLER, Statistik und "Testheorie"
neben der auch nicht einfachen Physiologie zu verkraften, sondern auch
den logischen Konstruktivismus, dessen Hauptvertreter Paul LORENZEN einen
Lehrstuhl innehatte. Auch heute noch, wenn ich ans Studium zurückdenke,
kommt mir die Galle hoch. Nicht etwa, weil ich Wissenschaftstheorie, Statistik
oder Methodologie ablehnen würde. Ganz im Gegenteil. Aber mich erregt
nach wie vor die "Schizophrenie" zwischen Lehre und praktischer Forschungswirklichkeit.
Ich kann Leute nicht ernst nehmen, die ihre im Theorieseminarraum proklamierten
Normen ein paar Meter weiter im Übungsraum völlig vergessen haben.
Ich verlange Konsistenz, Kongruenz, Echtheit, Glaubwürdigkeit.
_______________
FN06
z. B. INHETVEEN, JANICH, KAMBARTEL, LORENZ, LORENZEN, MITTELSTRAß
, SCHWEMMER, THIEL, WERBIK. Der Aufbau einer psychologischen Orthosprache
wurde von Dirk HARTMANN (Marburg) angepackt: Philosophische Grundlagen
der Psychologie. Darmstadt: WBG. Das Problem ist aber so grundsätzlich,
daß die Föderation der Psychologischen Gesellschaften
unter Einbeziehung wissenschaftstheoretischer SpezialistInnen, wie z. B.
Dirk HARTMANN, einen ständigen Konstruktiven Normierungsausschu
einrichten sollten. Die Evaluation und Validierung der konstruktiven Sprachnormierung
muß sich an der Praxisfront bewähren; daher ist die Hinzuziehung
von PraktikerInnen unerläßlich. Prof. WERBIK in Erlangen habe
ich ebenfalls angeregt, seine alten Ideen einer konstruktiven Sprachnormierung
wieder aufleben zu lassen. Ich bin allerdings streng dagegen, daß
hier wieder nur TheoretikerInnen beisammensitzen. Wenigstens die praxisrelevanten
Begriffe müssen so normiert werden und evaluierbar sein, daß
sie für x-beliebige Menschen ab einem IQ von 85 lehr- lernbar sind.
[aktualisiert 1.7.2].
______________
FN07 D. h. in
der Situation des Psychotherapeutengesetzes 1995 aus Sicht der unheiligen
Allianz Psychoanalyse und Verhaltenstherapie: die anderen müssen draußen
bleiben, was den medizinischen StandesvertreterInnen nur recht ist, denn
beide haben sie an der Leine des Delegationsverfahrens (d. h. die PsychologIn
arbeitet unter der Fachaufsicht und in Abhängigkeit von der delegierenden
ÄrztIn), eine unwürdige Situation für selbstbewußte
Psychologische PsychotherapeutInnen - leider keine Theodor
REIKs.
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FN08
Die Einzelfall Reliabilität und Validität wird von der Testtheorie
nicht oder nicht angemessen geleistet. Eine vernünftige einzelfallorientierte
Testtheorie hat die Psychologie bislang nicht hervorgebracht (SPONSEL 1994).
Hierzu müßte erst die längst überfällige Zerschlagung
der sog. "klassischen" Testtheorie vollendet werden. Die "RASCHianerInnen"
haben hier wertvolle Arbeit geleistet, aber es ist still geworden um sie.
Und was lehrt uns das: die SzientistInnen wollen "messen", wollen in der
Illusion der Wissenschaftlichkeit schwelgen und dann wird halt gemacht,
was geht, was da ist. Und "da" sind eben klassisch konstruierte Tests.
Im Prinzip ist die Alternative, die kriterienorientierte Testtheorie, im
Ansatz und in der Grundlage schon entwickelt (KLAUER 1987), aber sie wird
in der Psychologie nicht konsequent vorangetrieben. Die Testheorie des
21. Jahrhunderts wird kriterien- und einzelfallorientiert sein. Wir werden
nicht mehr subsummieren, ProbandInnen und uns selbst bei der Abnahme und
Auswertung verbiegen müssen. Wir werden jedes einzelne Kriterium so
exakt wie nur möglich für den konkreten Einzelfall erfassen.
Diagnostik, Ätiologie, Therapieplanung und die Therapie selbst
werden dann nahtlos ineinander übergehen.
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FN09
Vgl. das brillante forensisch-experimentelle Gutachten "Tatsituation oder
Fahndungsfotos" von H. Schindler und M. Stadler (1991). Strafverteidiger
(1). Das ist wissenschaftliche und praktische Psychologie vom allerfeinsten.
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FN10
Prinzip, das ich im Rahmen der forensischen Psychologie, vor allem im Bereich
der Aussagepsychologie entwickelt habe, um sukzessive sichere Aussagen
systematisch aufzubauen.
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FN11 Vgl. auch
die Modellrechnungen (1) die Möglichkeiten in einer Rogers-Therapiestunde
bei angenommenen 50 Interaktionen sind 850 und (2) Kap. 4.3.1, wo die qualitativen
Beziehungs-Möglichkeiten in einer Vierpersonenfamilie mit Selbstbeziehungen
mehr als 4 Billionen und ohne Selbstbeziehungen immerhin noch fast 17 Millionen
betragen. Diese Zahlen demonstrieren eindrucksvoll, da wir neue Wege
gehen müssen.
_________________
FN12
Im Grunde ist die gesamte Heilmittelprüfung, Medizin und Pharmazie
davon betroffen. Der sog. "exakte", naturwissenschaftliche Ansatz ist bei
genauer Betrachtung alles andere als exakt, weil es nämlich immer
um relativ einzigartige Individuen und relativ einzigartige Lebenssituationen
geht.
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FN13
Selbst solche einfachen Überlegungen scheinen der Psychotherapieforschung
relativ fremd zu sein, anders ist nicht erklärbar, weshalb solche
differenzierten Heilmittel-Wirkungsvergleichsstudien nicht durchgeführt
werden. Selbst im GRAWE et al. (1994) findet sich noch keine einzige richtige
differentielle Extremgruppen-Vergleichsstudie. Es hat aber auch damit zu
tun, daß die Psychotherapieforschung über keine allgemeine Heilmittellehre
verfügt, mit der beliebige Methoden und Schulen bequem analysiert
werden können. Einen solchen Mißstand gibt es in der GIPT nicht
mehr, da sich unser Ansatz gerade durch seine extreme Differentialanalyse
der psychologischen Heilmittel vor jeder Psychotherapieschule auszeichnet.
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FN14 Obwohl sie neuerdings
eine hervorragende historische Arbeit zur Empathie durch PIGMAN (1995)
vorgelegt hat.
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FN15
So ergibt sich z. B. aus einer Aufzeichnung von FERENCZI (1919, veröff.
1927, 19642, S. 59 - 60), der wegen der Symptomhartnäckigkeit seiner
Angsthysterien eine Supervision bei FREUD nahm, da dieser schon vom praktischen
Wert der Konfrontationstherapie wußte und FERENCZI diese auch mit
Erfolg empfahl. Aber diese als direktiv abgelehnte Methode hat niemals
den Status eines psychoanalytischen Heilmittels bekommen und ist aus schuldogmatischen
Gründen im Supervisionsseparee abgehandelt worden. So gehen also einige
angsthysterische Therapieerfolge FERENCZIs nicht auf die Anwendung der
Psychoanalyse, sondern auf die Verabreichung des Heilmittels STELLEN (Konfrontation)
- das GOETHE schon erfolgreich bei sich anwandte - zurück. Extrem
sind die Differenzen zwischen Theorie und Praxis bei der Gesprächspsychotherapie.
Hier wissen wir von HOWE (1982 a, S. 7), da 80 % der GesprächspsychotherapeutInnen
Methoden aus anderen Therapieschulen hinzunehmen. Ein solches Problem haben
wir zum Nutzen unserer PatientInnen nicht, weil unser Ansatz keine Dogmen
kennt.
________________
FN16 Einstellung der
Wiener Schule im 19. Jahrhundert: Oudenotherapie
= Verzicht auf jede Arzneitherapie infolge übermäßiger
Kritik. Nach: HABERMANN & LÖFFLER (1979, S. 1).
________________
FN17 der LGWS ist im EDV-Auswertungsdienst
des CST-Systems enthalten, aber als Manual zur Selbstauswertung noch nicht
veröffentlicht.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Psychotherapieforschung site:www.sgipt.org. * Metaanalyse site:www.sgipt.org |
Änderungen Kleinere
Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet
und ergänzt.
14.03.15 Linkfehler
geprüt und korrigiert.