Psychotherapieforschung,
Evaluation und Qualitätssicherung
in der GIPT(1)-Praxis
English
(June, 3.,1998)
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Erster Teil
Neuere klinisch-psychologische Psychotherapieforschung und Qualitätssicherungs-Konzepte:
Die APA-Entwicklungsstudie 1994
Dritter Teil:
Therapie-Evaluation in der GIPT
Exkurs: Kurzer Abriß der Geschichte
der "ADEIS"(2)-Bewegung
1. Die Vorgehensweise in der GIPT
I)
Wissenschaftliche Basis der GIPT
II)
Wie sieht die Arbeitsweise der GIPT aus?
1) Arbeitsbeziehungs- &
Kompetenzprüfung
2) Anamnese, spezifische
Syndromanalyse,
kausale (ätiologische) Diagnose
3) Behandlungsplan
4) Kontrolle und Evaluation
5) Qualitätskontrolle
III) 1) Das Allgemeine und Integrative
(GIPT)
Bio-Psycho-Soziale
Krankheitsmodell
2)
Das
Kausalitäts- und Ätiologieproblem
3) Probleme
des Symptombegriffs und seine dreifache
modelltheoretische Bedeutung
2. Entwicklung des Begriffs
des Heilmittels und besonders
der kriterien-validen Heilmittel in der
GIPT
Heilmittel-Axiom
XV
Kombinatorik
der Heilmittel und Methoden
3. Exkurs: Zur Geschichte
des Heilmittelbegriffs (Heilwirkfaktorbegriffs)
4. Praktische
Beispiele zum Verständnis der Heilmittelidee
5. Aus der GIPT-Therapieforschung
5.1 Konstruktion und Beschreibung verschiedener
spezifischer
und globaler Kriterienmaße
CST-System,
Ziele und Hintergrund
01
Statistische Kopfkarte
02
CST-Charakter-Struktur-Test (nach Fritz Riemann)
03
VS-Vitalitäts-Skala ("Ich-Stärke")
04
PSBS-Psychosomatische-Belastungs-Skala
05
GVS-Gefühlsverhältnis-Skala
06
SKS-Selbstkritik-Skala
07
LZS-Lebenszufriedenheits-Skala
08
SZS-Selbstzufriedenheits-Skala
09
FBS-Familienbild-Skala
10
LGWS-Lebensgrundsätze und Wertsystem
11
GTT-Grübeltyp-Test
5.2
Empirische Ergebnisse und Evaluation
(1)
Die Zufriedenheits-Globalmaße
Norm- und Kontrollgruppen Mittelwerte
Behandlungsgruppen Mittelwerte
Abbrecherstudien Mittelwerte
Gewichte
der Lebensbereiche: Hauptsatz
Psychotherapierelevante
Hauptergebnisse
Standardverfahren
zur Symptomverschiebungskontrolle
(2)
Empirische Untersuchung zur Freudschen Triashypothese
6. Zusammenfassung Praktisches Vorgehen zur Evaluation und
Erfolgskontrolle: Ein
12-Punkte-Leitfaden
Ausblick
Literatur
Über
den Autor
Querverweis: Überblick Arbeiten zur Definitionslehre, Methodologie, Statistik und Wissenschaftstheorie in der GIPT.
Im ersten Teil wird die klinisch-psychologische Psychotherapieforschungs- Konzeption nach einem Bericht der APA (1994; siehe Hahlweg 1995) vorgestellt und kurz kritisch diskutiert. Im zweiten Teil wird zunächst die Psychotherapieevaluation als zehnstelliges Relationsmodell dargestellt: TE = f (Umgebung, ProbandIn, Störung, Methoden, Technische Realisation, AnwenderIn, Kriterien, BeurteilerIn, Evaluationsmethoden, Sonstige Faktoren) und es wird die traditionelle Psychotherapieforschung einer Kritik unterzogen. Sodann wird dargestellt, wie Psychotherapieforschung im Rahmen der Evaluation und Qualitätssicherung in der Allgemeinen und Integrativen Psychologischen Psychotherapie (GIPT) verstanden, angewendet und bewertet wird. Unter anderem wird der Satz begründet: Jede reflektiert-differenziert und dokumentierte Ausübung von Psychotherapie ist zugleich auch genuine Psychotherapieforschung. Daher ist jede nur nomothetisch orientierte wissenschaftliche Forschung als einseitig, verkürzt und oft auch viel zu allgemein nichtssagend abzulehnen. Im dritten Teil wird ein praktisch-empirisch erprobter und robuster Leitfaden zur kriterienorientierten Therapieplanung und Therapieerfolgsabschätzung vorgestellt, der auch geeignet ist, intra- und interpsychische Symptomverschiebungen zu kontrollieren. Es wird ein kurzer Abriß zur Geschichte der GIPT und des Heilmittelbegriffs mit Fallbeispielen gegeben, das Krankheitsmodell und das Kausalitätsproblem zur Ätiologie dargelegt. Es wird ausgeführt, daß es zur Allgemeinen und integrativen Psychotherapie keine wissenschaftliche Alternative gibt. Schulischer Dogmatismus ist ein Kunstfehler, und hierfür gilt nach Mallach et al. (1993, 2): "Übersieht der Arzt veröffentlichte neue Behandlungsmethoden und hält er an Überholtem fest, so handelt er pflichtwidrig (BGH NJW 1978 587, OLG Bamberg VerR 1977 436)." Das gilt natürlich auch für die PsychotherapeutIn. |
Erster Teil: Neuere klinisch-psychologische
Psychotherapieforschung und Qualitätssicherungs-Konzepte:
Die APA-Entwicklungsstudie 1994
Die Sektion Klinische Psychologie der American Psychological Association (APA) hat Mitte März 1994 einen Bericht (siehe Hahlweg 1995) der "Arbeitsgruppe zur Förderung und Verbreitung psychologischer Verfahren" vorgelegt, der das Problem der Qualitätssicherung wie folgt zu lösen versucht hat. Zunächst werden drei Qualitätsklassen unterschieden:
(1) Therapien mit gut belegter Wirksamkeit
(2) Wahrscheinlich wirksame Therapien
(3) Experimentelle Therapien
Hierbei ist sehr wichtig, daß die Evaluation nach Meinung dieser Arbeitsgruppe immer nur relativ zu einem umschriebenen Problem geprüft werden kann oder soll, was dem integrativen idiographischen Ansatz zwar noch nicht weit genug geht, aber tendenziell schon recht nahe kommt (a. a. O. Tabelle 1: 277, Tabelle 2: 278).
"Tabelle 1: Kriterien für empirisch validierte Therapien:
Therapieformen mit
gut belegter Wirksamkeit
I. Mindestens zwei fundierte Gruppenuntersuchungen, die von verschiedenen Forschern bzw. Forschergruppen durchgeführt wurden und die Wirksamkeit der Therapie durch mindestens einen der folgenden Nachweise belegen:
A. Die Therapie ist einer anderen Behandlung oder einer Placebo-Behandlung (in Form von Tabletten oder zwischenmenschlicher Zuwendung) überlegen.
B. In Studien mit adäquater statistischer Power (N > 30 pro Gruppe, siehe Kazdin & Bass, 1989) wird die Vergleichbarkeit mit einer bereits als gesichert geltenden Therapieform nachgewiesen.
ODER
II. Eine große Anzahl von Einzelfallstudien, welche die
Wirksamkeit der Therapie belegen. Die Studien müssen:
III. Die untersuchten Therapien müssen auf Behandlungsmanualen basieren.
IV. Die Charakteristika der jeweiligen Stichproben müssen klar spezifiziert sein."
"Tabelle 2: Kriterien für empirisch validierte Therapien:
wahrscheinlich wirksame Therapieformen
I. Zwei Studien, die belegen, daß die Therapie effektiver
ist als eine
Wartelisten-Kontrollgruppe.
II. Zwei Studien, die auf andere Weise die Kriterien I, III und
IV für ausreichend
gesicherte Therapieformen erfüllen, aber von
den gleichen Forschern bzw.
Forschergruppen durchgeführt wurden, oder eine fundierte Studie,
welche die
Effektivität der Therapie aufgrund dieser Kriterien belegt.
ODER
III. Mindestens zwei fundierte Studien, welche die Effektivität der Therapie belegen, durch die Heterogenität der untersuchten Stichproben in ihrer Aussagekraft jedoch eingeschränkt sind.
IV. Eine geringere Anzahl von Einzelfallstudien, welche die Kriterien II, III und IV für gut belegte Therapieformen erfüllen."
Verhaltenstherapie(3)-Dominanz im Belegteil. Einen "experimentellen Versuchsplan" im Einzelfall zu fordern ist extrem praxisfremd und real abwegig, umso mehr, als noch nicht einmal expliziert wird, was genau darunter zu verstehen ist. Viel wichtiger wäre es, eine nachvollziehbare Dokumentation zu fordern, damit man überprüfen kann, was wirklich gemacht wurde. Die Arbeit ist konzeptionell rein pragmatisch orientiert und scheint kritische Probleme nicht zu kennen. Erfreulich ist, daß Einzelfallforschung nicht nur als Anfang einer vermeintlich "richtigen" Forschung mißverstanden, sondern im Grunde als gleichwertig anerkannt wird.
Zweiter Teil
Die kombinatorische Explosion der Variablenvielfalt
in der wirklichen Welt
Darstellung des Problems. In den Behandlungsprozeß (Beratung, Therapie) spielen viele Faktoren hinein. Selbst wenn man nur wenig differenziert, fällt man schon bei einfachen Konfigurationen sehr schnell in die kombinatorische Explosion. Dieser Sachverhalt ist die Grundlage für Kieslers (dt. 1977) nach wie vor berechtigte und wichtige Kritik am Uniformitätsmythos in der Psychotherapieforschung. Die traditionelle Psychotherapieforschung zeigt sich bislang ziemlich unfähig, aus diesem Sachverhalt den einzig richtigen Schluß zu ziehen, daß nur ein idiographisches Evaluationskonzept des Einzelfalles aus dem Dilemma herausführen kann (Sponsel 1995, 342). Die wenigstens zu berücksichtigenden relevanten Variablenklassen eines Therapieergebnisses TE sind:
(1) Umgebungen, Situationen, Kontexte der TrägerInnen U1, U2, ... Ui ... Un und Einflüsse dieser Umgebungen mit den beiden Hauptumgebungen Beziehungsumgebung (Partnerschaft, Familie, FreundIn, Bekannte, NachbarIn) und Arbeitsumgebung (Arbeit und Beruf, Stellung, KollegIn, GeschäftspartnerIn). Eine andere Perspektive betrachtet den individuellen Realitätsrahmen und die spezifischen Bedingungen. Betrachtet man nur eine 4-Personen-Gruppe, etwa eine Familie, unter dem Aspekt der vier grundsätzlich möglichen affektiven Beziehungen, ergeben sich bereits über vier Billionen (!) mögliche Konstellationen (Sponsel 1995, 247).
(2)
TrägerIn (ProbandIn) von Problemen, Störungen, Krankheiten
P1, P2, ... Pi ... Pn,
z. B. Individuen (Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Alte), Paare, Familien,
Gruppen, Teams, Organisationen (Systeme) mit ihren spezifischen Persönlichkeitsausstattungen,
genetischen Dispositionen und aktuellen Lebenssituationen mit ihrem spezifisch-individuellen
Hintergrund.
(3) Probleme, Störungen, Krankheiten S1 , S2 , ... Si ... Sn, also Symptome, Syndrome, Krankheiten und Störungsbilder, Beschwerden und Behinderungen.
(4) Angewandte Methoden M1, M2, ... Mi ... Mn zur Lösung der Probleme, Störungen und Krankheiten z. B. Autogenes Training, Verordnung von Sport und Spiel, Einüben der Progressiven Muskelrelaxation für Störungen des Typs fehlende oder mangelnde Entspannung. Zum Methodenbegriff in der GIPT Sponsel (1995, 103): "Mit Methode bezeichnen wir den grundsätzlichen Weg, mit dem ein Ziel angestrebt wird."
(5) Technische Realisation der Methoden T1 , T2 , ... Ti ... Tn Technik bedeutet in der GIPT die spezifische Art und Weise einer methodischen Realisation (Organisation, Präsentation, der Weg und Anwendungsmodus der Methode). Die technische Realisation wird oft in ihrer Bedeutung - besonders in technikkritischen Therapiekreisen - nicht genügend erkannt. Die Verpackung und das "Wie" sind aber oft sehr wichtig.
(6) AnwenderIn (BehandlerIn: PsychotherapeutIn,
BeraterIn) der Methoden
A1, A2, ... Ai ... An,
z. B. Laien, Studierende, KandidatInnen, Fachkundige mit unterschiedlichen
Therapieausbildungen.
(7) Kriterien K1, K2, ... Ki ... Kn der Veränderungen, des Therapieerfolgs oder Mißerfolgs, z. B. Symptommaße (Skalierung der Schwere der Symptome z. B. nach Qualität des Symptoms, Intensität, Häufigkeit, Beeinträchtigungsgrad), globale Gesundheitsmaße (z. B. Freudsche Trias erfüllt, Wohlbefinden im Normbereich - nicht valide bei maniformen Prozessen und bei zwanghaften Symptomisolierungen - , Lebenszufriedenheitsmittelwert im Normbereich), Kriterienmaße, z. B. Reduktion der Krankheitstage, Ziel <PartnerIn gefunden> oder <Trennung überwunden> oder <Ent-Lieben gelungen> erreicht, Medikamentenverbrauch halbiert, keine stationäre Einweisung seit x-Zeiteinheiten, Symptome gebessert, <Einstellung E gewandelt>. Wichtiger Zusatz: Hierher gehört auch das intra- und interpsychische Symptomverschiebungsproblem. Es genügt natürlich keineswegs, nur Symptomreduktion festzustellen, obschon dies vielfach eine notwendige und kriterienvalide Heilmittelbetrachtung ist. Zur Problematik des Messens im Flüchtigen und Unscharfen im Idiographischen vgl. Sponsel (In Vorbereitung).
(8) BeurteilerInnen-Quellen B1, B2, ... Bi ... Bn , z. B. Selbstauskünfte der ProbandInnen, Auskünfte von Angehörigen oder MitarbeiterInnen, Eindrücke der BehandlerInnen, Eindrücke unabhängiger GutachterInnen auf der Datenbasis DB[...].
(9) Evaluationsmethoden ET1, ET2, ... ETi ... ETn der Beurteilungsergebnisse, z. B. wie gut und zuverlässig sind die angewandten Methoden (Objektivität, Validität, Reliabilität, Stabilität, Fairneß, Nützlichkeit). T= Typ. Bei der Evaluation müssen wenigstens drei Ebenen unterschieden werden: (T=1) Einzelfall, (T=2) Zusammenfassung von Einzelfällen zu einer Gruppe (Gruppenstudie), (T=3) Zusammenfassung von Gruppenstudien als Meta-Analyse (qualitativ oder quantitativ). Zur Problematik der Evaluation, insbesondere quantitativer vgl. Sponsel (In Vorbereitung b).
(10) Sonstiges Einflüsse Xi (Rest- und Auffangkategorie).
Qualitätssicherung und Psychotherapieergebnisfeststellung kann nach diesem Ansatz grob als zehnstellige Relation dargestellt werden: TE = f (U_mgebung, P_robandIn, S_törung, M_ethoden, T_echnik, A_nwenderIn, K_riterien, B_eurteilerIn, E_valuations-methoden, X_Rest_und_Auffangkategorie). Für jede Störung S gibt es eine tragende ProbandIn P, eingebettet in eine spezifische Umgebung U. Eine Therapiemethode M wird von einer AnwenderIn A in einer bestimmten technischen Realisation T praktiziert mit diesem oder jenem Ergebnis nach den Kriterien K, gesehen von den BeurteilerInnen B, erhoben mit den Evaluationsmethoden E.
Man erkennt ohne Mühe, daß die Variablenkombinationen problemlos weit über den Trillionenbereich hinausgehen. Um dennoch traditionell forschen zu können, muß man extrem vereinfachen und abstrahieren und landet dann aber sofort wieder in Kieslers Uniformitätsmythos und damit bei sehr fragwürdigen Forschungsergebnissen. Der Versuch Kieslers andererseits, mit den astronomischen Variablenkombinationen mit seinem grid-Modell (1969) fertig zu werden, muß ebenfalls scheitern, wie Grawe (1988, S. 2) feststellte.
Die traditionelle Psychotherapieforschung ist im Grunde überfordert und kann das Einzelfallproblem aus Sicht der PraktikerInnen bislang nicht angemessen lösen. Die Hauptgründe sind: (1) die meisten ForscherInnen haben keine oder nur sehr geringe Therapieerfahrung und wissen gar nicht, was da wirklich vor sich geht; (2) in aller Regel sind sie statistisch-methodologisch sehr fragwürdig aus- und idiographisch wenig gebildet, weil die meisten Ausbildungs- und Studiengänge hierfür auch gar kein Konzept haben; (3) es fehlt ihnen oft auch an kreativen Ideen. Das hindert viele "WissenschaftlerInnen" allerdings nicht, sich über idiographisch erfahrene PraktikerInnen zu erheben. Tatsächlich ist jede PsychotherapeutIn, die ihre Therapie differenziert-reflektierend (metatherapeutisch) konzipiert und ausübt, eine genuine PsychotherapieforscherIn, und dies umso kontrollierbarer, je besser sie ihre therapeutische Arbeit dokumentiert. Das Grundproblem jeder Forschung, die nicht idiographisch am Einzelfall ansetzt, ist die grundlegende Aporie der Übertragbarkeit der Ergebnisse, d. h. wann und unter welchen Bedingungen darf von einem Evaluationsergebnis auf die Anwendung in einem neuen Fall bzw. umgekehrt, wann darf von einem Einzelfallergebnis auf eine verallgemeinernde Anwendbarkeit geschlossen werden. Streng traditionell wissenschaftstheoretisch gesehen handelt es sich in beiden Fällen - deduktiv wie induktiv - letztlich immer um logisch nicht begründbare Analogieschlüsse. Schon diese Überlegung zeigt, daß die traditionelle Wissenschaftstheorie im allgemeinen nicht hilfreich ist. Zur Kritik der traditionellen Wissenschaftstheorie Sponsel (1995, 328-352), speziell zum liberalen Wissenschaftstheoriekonzept der GIPT (a. a. O. 335).
Die extremen astronomischen Möglichkeiten, die auch nur in einer einzigen Psychotherapie liegen, sind auch der tiefere wissenschaftliche Grund dafür, daß die traditionellen Psychotherapieschulen mit ihren engen dogmatischen Konzepten in der Tat mehr Konfession als Profession repräsentieren und der Vielfalt und Komplexität der Wirklichkeit überhaupt nicht gewachsen sind. Zur allgemeinen und integrativen Psychotherapie gibt es daher keine wissenschaftliche Alternative. Schulischer Dogmatismus ist ein Kunstfehler, und hierfür gilt nach Mallach et al. (1993, 2):
"Übersieht der Arzt veröffentlichte neue Behandlungsmethoden und hält er an Überholtem fest, so handelt er pflichtwidrig (BGH NJW 1978 587, OLG Bamberg VerR 1977 436)."
Das gilt natürlich auch für die PsychotherapeutIn.
1. Exkurs: Kurzer Abriß der Geschichte der ADEIS(4)-Bewegung.(5)
Vor Freud war fast die gesamte Psychiatrie und die damals in ihr enthaltene
Psychotherapie - von Freud und seinen Nachfolgern ignoriert(6)
und verdrängt - Allgemein, Differentiell, Eklektisch, Integrativ und
Schulen- und methodenübergreifend ("ADEIS"), was auch die vielen psychologisch-psychopathologischen
Magazine(7) ab 1780 belegen. Damals begann die empirische
Psychologie sich zu entwickeln. Die ersten Messungen zu den Nachempfindungen
wurden von Nikolaus Tetens(8) (vermutlich um 1770)
berichtet und C. C. E. Schmid(9) erkannte bereits 1791
- bald 200 Jahre vor der systemischen Bewegung -, daß der menschliche
Leib z. B. ein organisiertes und ein sich selbst organisierendes
Wesen ist. Und bereits 1751 hatte Johann Christian Bolten, Arzt in Halle,
festgestellt, daß die Grundlage jeder Psychotherapie auf der gründlichen
Kenntnis der Psychologie beruht. Das erste große und systematische
Werk zur Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie wurde 1803 von Johann
Christian Reil verfaßt. J. A. C. Heinroth (1773-1843), der 1811 in
Leipzig den ersten Lehrstuhl für psychische Therapie bekam, hat bereits
1818 in seinem Lehrbuch der psychischen Störungen die große
Bedeutung der Heuristik(10) im heilkundlichen
Handeln erkannt. Behandeln ist nach Heinroth ein heuristisches "Geschäft".
Selbst der als Begründer der naturwissenschaftlichen Psychiatrie geltende
Wilhelm Griesinger (1817-1868) schrieb in seiner Pathologie und Therapie
der psychischen Krankheiten von 1861 im § 205 (S. 471): "Zunächst
auch von der Thatsache des empirisch constatirten Erfolges ist auszugehen,
indem für die psychische und somatische Heilmethode eine absolut gleiche
Berechtigung in Anspruch genommen wird." Griesinger scheute sich auch
nicht, das Wort Eklektizismus in den Mund zu nehmen und für eine "ecclectische
Concession beider Partheien" (S. 471) einzutreten, wie vor ihm schon
in Erlangen Leupoldt in seinem Lehrbuch von 1837 (S. 27). 1897 legt Leopold
Löwenfeld, der in den 1870iger Jahren ein paar Jahre in den USA weilte,
sein Lehrbuch der gesammten Psychotherapie vor. Es folgt kein Geringerer
als Hugo Münsterberg 1909 mit seiner Psychotherapy und 1914
mit einem entsprechenden Abschnitt in Grundzüge der Psychotechnik.
Auch Dornblüth, der Begründer des Klinischen Wörterbuchs,
heute bekannt unter Pschyrembel, schrieb 1911 eine Allgemeine Psychotherapie.
1936 erscheint Saul Rosenzweigs Arbeit Some Implicit Common Factors
mit dem berühmten statement:
"At last the Dodo said, 'Everybody has won, and all must have prices."
Schon 1940(11) gab es erste
Bemühungen der verschiedenen Psychotherapierichtungen, sich
an einen Tisch zu setzen (hierzu ein Reader in Sponsel 1995, S. 587f),
u. a. unter Mitwirkung von Carl R. Rogers - damals völlig unbekannt,
heute weltberühmt - und dem der Psychoanalyse nahestehenden Psychotherapieforscher
Saul Rosenzweig, der von Freud so peinlich und unangemessen brüskiert
wurde. Noch weiter zurück bis ins Jahr 1910 reicht der Zweig der Psychosynthese(12),
die Roberto Assagioli erstmals in seiner kritischen Dissertation zu Freud
skizzierte. Der SEPI-Historiker Arkowitz rechnet noch Kubie (1934), Sears
(1944), Shoben (1948,49) zu den frühen Ansätzen (im 20. Jahrhundert!).
1950 erscheint dann die berühmte Arbeit von Dollard & Miller Personality
and Psychotherapy: An Analysis in Terms of Learning, Thinking and Culture.
Auch um etwa diese Zeit beginnt Thorne mit seinen Veröffentlichungen.
J. D. Frank bringt 1961 (dt.1981) seine bahnbrechende Arbeit zu den allgemeinen
Heilwirkfaktoren vom Schamanismus bis zur modernen Psychotherapie heraus.
Lazarus beginnt seine Entwicklung des technischen Eklektizismus und der
mulitmodalen Therapie nach eigenen Angaben ca. 1967. Von der humanistischen
Psychotherapie her entwickelt Hilarion Petzold in Deutschland ab den 70er
Jahren sein großes und anhaltendes Werk: ab 1975 - im gleichen Jahr
veröffentlicht Bastine einen wichtigen Artikel in Psychologie Heute
- erscheint erstmals die Zeitschrift Integrative Therapie; sein
dreibändiges theoretisches Hauptwerk erscheint 1993. 1967 erscheint
Neissers Buch zur berühmten kognitiven Wende, die aber im Psychotherapiebereich
von Ellis schon 1956 (veröffentlicht 1962) vorweggenommen war. Im
gleichen Jahr erscheint Systems of Psychotherapy: A comparative study von
Ford & Urban. 1977 erscheint P. Wachtels Buch Psychoanalyse und
Verhaltenstherapie: Ein Plädoyer für ihre Integration.
Ein besonders Jahr wurde 1979 als Renaud van Quekelberghe das erste moderne und grundlegende Werk zur Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie vorlegte (1977 geschrieben): Systematik der Psychotherapie, womit die theoretischen Grundlagen für den schulen- und methodenübergreifenden Klinischen Psychologen /Psychotherapeutin BDP(13) geschaffen wurden.
Die Konzeption der schulen- und methodenübergreifenden Psychotherapie spielte in der Zertifizierung durch den Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologinnen für den Klinischen Psychologen / Psychotherapeutin auch eine wichtige und zentrale Rolle(14).
1980 (dt. 1982) erschien Garfields Psychotherapie: Ein eklektischer Ansatz. Nun ging es rasant wieter und es entstanden in den 70iger und 80iger Jahren die ersten internationalen "ADEIS"-Organisationen:
Die International Academy of Eclectic Psychotherapists (IAEP(15)), in der z. B. auch Ellis Mitglied ist, hat sich 1982 gegründet und veranstaltet seither Weiterbildungen, (auch internationale Welt-) Kongresse und gibt eine Zeitschrift (JIEP) heraus.
Die Society for Exploration of Psychotherapy Integration (SEPI) wurde 1983 gegründet und seither werden regelmäßig Weiterbildungen in vielen Ländern der Welt durchgeführt und in der Zeitschrift "Journal of Psychotherapy Integration" dokumentiert. Ihr gehören derzeit ca. 900 Mitglieder, u. a. auch viele prominente PsychotherapeutInnen und PsychotherapieforscherInnen an (z. B. Lazarus, Beck, Mahoney, Wachtel, Garfield). Die SEPI versteht sich als eine Einrichtung, die das Gespräch zwischen den Schulen und schulenübergreifende Entwicklungen fördert.
Aus dem Academy und SEPI Umfeld erscheinen viele Aufsätze und Bücher (z. B. Norcross 1986, 1987; Norcross & Goldfried 1992; Stricker & Gold 1993) zur allgemeinen, differentiellen, eklektischen, integrativen und schulen- und methodenübergreifenden Psychotherapie, die aber den grundlegenden und allgemeinen Ansatz von van Quekelberghes Werk nicht wieder erreichen.
Am 18.11.1993 benannte sich die DGGK (Deutsche Gesellschaft für Gestalttherapie und Kreativitätsförderung) nach 20 Jahren in DGIK (Deutsche Gesellschaft für Integrative Therapie, Gestalttherapie und Kreativitätsförderung e. V.) um (ca. 700 Mitglieder). Zahlreiche Veröffentlichungen zur Theorie und Praxis der Integrativen Therapie sind erschienen, nicht nur im zugehörigen Junfermann-Verlag.
Der Lehrstuhl Grawe in Bern betreibt seit 1992, inzwischen mit jährlichem Beginn, eine Allgemeine Psychotherapieausbildung. Im inzwischen wohl berühmt-berüchtigten Buch "Psychotherapie im Wandel"(16) heißt es auf S. 787:
"Wir sind der Überzeugung, dass es
schon heute möglich ist, in Psychotherapieausbildungen und in der
Psychotherapiepraxis eine Annäherung an eine solche Allgemeine Psychotherapie
zu verwirklichen.
Wir müssen damit nicht warten, bis
ein noch besser ausgearbeitetes und besser empirisch überprüftes
Konzept vorliegt."
(fett kursiv von mir)
Inzwischen haben sich zwei vormals verhaltenstherapeutische Ausbildungsinstitute (München und Bamberg) in CIP, Centrum für Integrative Psychotherapie umbenannt und bilden auch "integrativ" aus, allerdings wohl mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt und entsprechender Einengung.
Die Schweizer Gruppe Blaser, Heim, Ringer und Thommen legte nach 8-jähriger Arbeit 1992 ihr eklektisch-integratives Werk einer effektiven Kurzzeitpsychotherapie vor, das in der Berner Psychiatrischen Universitätspoliklinik entwickelt wurde. Dort wird auch ausgebildet. In Freiburg (Deutschland) bildet Kollegin Schramm unter Prof. Berger in IPT (Klerman & Weissman) aus und Berger selbst bildet ebenfalls integrativ, inclusive Psychoanalyse und Verhaltenstherapie, aus. Die MedizinerInnen sind überhaupt dabei, sehr stark integrativ auszubilden und damit in Richtlinienverfahren Doppelqualifikationen zu erwerben.
Ich habe in meinem Buch (Sponsel 1995) rund 800
Arbeiten (von geschätzten 1000) zur Allgemeinen und Integrativen Therapie
recherchiert und dokumentiert. Und bereits 1984 habe mit einer Stichprobe
von N=1091 ProbandInnen eine umfassende integrative Psychotherapieerfolgskontrollstudie
mit vielen Kontrollgruppen durchgeführt.
1. Die Vorgehensweise in der GIPT. Sie wird kurz und bündig auf der Rückseite unserer Psychotherapieanträge - nachvollziehbar für Kostenträger und PatientInnen - dargelegt:
I)
Wissenschaftliche Basis der GIPT(17)
Abkürzungen und Literaturbelege
bei Sponsel 1995
Historisch (Sponsel 1997) beruht die allgemeine und integrative Psychotherapie (GIPT) auf den psychologischen, psychiatrischen und psychotherapeutischen Arbeiten Johann Christian Reils (1803, 1805, 1808, 1812), und später z. B. auf den Arbeiten von Otto Binswanger (1896), Leopold Löwenfeld (1897), Otto Dornblüth (1911) und Hugo Münsterberg (1909, 1914).
Die neuere Entwicklung der allgemeinen und integrativen psychologischen Psychotherapie (GIPT) beruht wissenschaftlich auf der Grundlagenwissenschaft Psychologie, der Verarbeitung der internationalen schulen- und methodenübergreifenden Psychotherapieentwicklung(18) und Evaluation (Van Quekelberghe(19) 1979, Garfield dt. 1982, Petzold 1993, der DGIK [seit 1993], EAG [seit 1989], IAEP [seit 1982], SEPI [seit 1983], SEPI Deutschland [seit 1995], Glatzel 1995 und Grawe et al. (1994), Grawe 1995, Hummitzsch 1995, Sponsel 1995ff und der seit Jahrzehnten erprobten Arbeitsweise der schulen- und methodenübergreifenden Klinischen Psychologischen PsychotherapeutInnen des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen (KLIPSinnen) in der praktischen Ausgestaltung z. B. nach Blaser et al. 1992, Rahm et al. 1992 oder Sponsel 1995.
1) Arbeitsbeziehungs- & Kompetenzprüfung. Zunächst wird über probatorische Begegnungen geklärt, ob eine erfolgreiche Arbeitsbeziehung erwartet werden darf, ob PatientIn Vertrauen in die Kompetenz der GIPTin hat und die GIPTin sich der Krankheit gewachsen fühlt und einen Erfolg für wahrscheinlich hält. Von Anfang an wird das ökosoziale Umfeld der PatientIn berücksichtigt und eine mögliche Einbeziehung abgeklärt.
2) Anamnese, spezifische Syndromanalyse, kausale (ätiologische) Diagnose. (a) Eine umfangreiche und ausführliche Allgemeine Anamnese (AAA) sichert ab, daß keine krankheitsrelevanten Faktoren übersehen, der Hebel optimal angesetzt (z. B. Herzneurose Sponsel 1995, 461-463) und die positiven Ressourcen erfaßt werden. (b) Sodann wird gründlich und spezifisch untersucht, wie die Störungen entstanden, ausgelöst, verursacht und aufrechterhalten werden könnten. (c) Der Kausalgenese ist in all den Fällen stärker und vertiefter nachzugehen, in denen eine Therapie ohne kausales Verständnis nicht erfolgversprechend erscheint.
3) Behandlungsplan. Auf der Basis ätiologischer Fachkenntnisse werden durch heilkundige Erfahrung, Überlegung und Intuition ein heuristischer (Heuristik = Problemlösungs-Wissenschaft) Behandlungsplan entworfen, wie diese Störung(en) oder Krankheit unter diesen Rahmen- und Randbedingungen für diese PatientIn und ihr ökosoziales Umfeld behandelt werden soll und kann, damit eine wesentliche Besserung, Heilung oder bessere Bewältigung wahrscheinlich ist. Die entsprechenden Heilmittel, Methoden und Techniken werden benannt, sofern sie als bekannt vorausgesetzt werden dürfen oder beschrieben. Werden therapieschulspezifische Methoden importiert wird gegebenenfalls dargelegt, wie die Passung erfolgt.
4) Kontrolle und Evaluation. Der Behandlungsplan wird zum Zwecke der Kontrolle und Evaluation schriftlich ausgearbeitet und durch die Arbeitsprotokolle ergänzt, modifiziert und auf die aktuelle Situation zugepaßt.
5) Qualitätskontrolle. Die GIPTin ist zertifiziert als Klinische PsychologIn / PsychotherapeutIn - hier der schulen- und methodenübergreifenden Variante - des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen BDP und unterliegt den berufsethischen Verpflichtungen, Supervisions- und Fortbildungsauflagen des Berufsverbandes.
In der GIPT pflegen wir eine ähnliche Auffassung der Therapieevaluation wie sie etwa von Kanfer, Reinecker & Schmelzer (1991) in der Selbstmanagementtherapie entwickelt wurde (Phase 6 und 7). Diagnostik und Therapie bedingen sich in unserer Auffassung wechselseitig und permanent. Diagnostik ist demnach Bestandteil jeder Therapie, die ständig zu erbringen ist.
Allgemeines und Integratives
Bio-Psycho-Soziales
Krankheitsmodell
1) es ist ein Zeichen der Störung (z. B. bestimmte Antigene im Körper; Angst);
2) es ist ein Zeichen der Spontanreaktion auf die Störung (z. B. bestimmte Antikörper gegen die Antigene; Vermeiden);
3) es ist ein Zeichen der Wiederherstellungsprozedur, also Ausdruck des "Kampfes" zwischen Krankheit und Heilungsvorgängen (z. B. Fieber; Ambivalenzkonflikt zwischen Vermeiden und Stellen).
Das Ursachenproblem ist wissenschaftstheoretisch problematisch aus zwei prinzipiellen und aus einem vermeidbaren Grund: (1) Im Kausalitätskonzept gibt es streng betrachtet nur einen vielfach verzweigten Baum von Ursachen. Jede ausgemachte Ursache kann prinzipiell wiederum auf andere Ursachen zurückgeführt oder zumindest auf andere zurückgeführt gedacht werden. Welche dieser vielen Ursachen soll als die besondere ausgezeichnet werden? In der Wirklichkeit handelt es sich wohl meist um einen Ursachenkomplex, ein Netzwerk von Bedingungen. (2) Man muß zwischen Bedingungen (Rahmen- oder Randbedingungen), Anlässen oder Auslösern, Neben- und Begleiterscheinungen unterscheiden, was häufig sehr schwierig ist.
Praktische Anwendung und Veranschaulichung:
Das
Buch Eva -Ticket ins Paradies.
(3) Die psychischen Ereignisse können mehrperspektivisch betrachtet werden: z. B. physikalisch, biologisch, chemisch, physiologisch, neurologisch, internistisch, psychopharmakologisch, immunologisch, kybernetisch, psychologisch, sozial-ökonomisch, sozialpsychologisch, sozial-rechtlich und kommunikativ. Hinzu kommt, daß in der Computermetapher Hardware als körperlich und Software als psychisch die Realisation im "Betriebssystem Mensch" vielfach miteinander verflochten und vernetzt ist. Man kann es den biokybernetischen Ereignissen im Körper nicht unbedingt ansehen, ob sie "Hardware" oder "Software" repräsentieren. So finden wir häufig in den Mitteilungen und Büchern drei Ebenen durcheinander gehend: a) Perspektive (z. B. physikalisch, chemisch, biologisch, medizinisch, psychologisch, sozial), b) Hard- oder Software-Repräsentation, c) Ursache, Neben- und Begleiterscheinung oder Wirkung. Unbeschadet der Probleme, ist die konzeptionelle Vorsehung einer oder mehrerer Ursachen (Bäume oder Zweige) natürlich sinnvoll und vernünftig. Die Neigung mancher SystemikerInnen und VulgärkonstruktivistInnen, das Ursachenproblem herunterzuspielen oder gänzlich für überflüssig zu erklären, können wir in der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie weder teilen noch akzeptieren.
2. Entwicklung des Begriffs des Heilmittels (Heilwirkfaktor) und besonders der kriterien-validen Heilmittel in der GIPT
Mikroüberlegungen zum Therapieprozeß führen zu dem grundlegenden Begriff des Heilmittels. Unter einem Heilmittel verstehen wir einen Sachverhalt, dessen Ereignen potentiell, d. h. relativ zu bestimmten Bedingungen eine positive, negative, neutrale oder ambivalente Wirkung gänzlich oder partiell mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zur Folge haben kann.
Den Sachverhalt, der potentiell heilt, nennen wir Heilmittel (Heilwirkfaktor); den Weg, ihn herzustellen oder herbeizuführen, Methode und die spezifische Art und Weise, wie die Herstellung erfolgt, heißt Technik. Verschiedene Methoden werden zum Begriff Verfahren zusammengefaßt.(20)
Autogenes Training ist also z. B. eine Methode, das Heilmittel (Heilwirkfaktor) Entspannung herbeizuführen. Die spezifische Anwendung und Verpackung: allein oder in der Gruppe, fraktioniert oder in einem Block, im Liegen oder in der Droschkenkutscherhaltung, ist eine Frage der Technik. Die verschiedenen Entspannungsmethoden bilden zusammen die Klasse der Entspannungsverfahren, z. B. Autogenes Training; Progressive Muskelrelaxation; Funktionelle Entspannung; Hypnose; Meditation; Naturmethoden wie Sport, Spiel, Kunst und Kultur; Schlaf, Faulenzen und Erholung. Bekannte und bewährte Heilmittel (Heilwirkfaktoren) können natürlich keiner Therapieschule gehören, mögen sie auch von ihr erfunden oder entdeckt worden sein, sondern sie gehören der allgemeinen Heilkunde und sind für alle Menschen da.
Positive Heilmittel verbessern, negative Heilmittel verschlimmern einen Störungs- oder Krankheitszustand, neutrale haben keine und ambivalente haben sowohl positive als auch negative Wirkungen. Bedeutende allgemeine Heilmittel sind etwa Aktivität, Aufgeben (Loslassen), Bewußtheit, Denken, Durcharbeiten, Einstellung, Empfinden_Fühlen_-Spüren, Energie zuweisen oder bereitstellen für ..., Erfahrung, Können (Fähigkeiten, Kompetenz), kognitive Schemata (Begriffe), Lenken, Lernen, Stellen, Tun, Überwinden, Vermeiden, Wappnen, Werten_primär, Werten.
Man kann die Heilmittel auch unter der Perspektive wichtiger Lebensthemen ordnen, womit zugleich eine therapiebezogene Anamnese-Checkliste erzeugt wird, etwa: Wettbewerb, Rivalität, Umgang mit MitbewerberInnen, Leistung, Anstrengung, Können, Fähigkeiten, Kompetenzen, Lernen, Begabung, Anlagen; Bewältigung, Aushalten, Ertragen, Fertig werden mit, Hinnehmen, in Kauf nehmen; Gelten, Stellung, Rang, Status; Haben: z. B. Arbeit, Wohnung, Geld, Soziale Sicherheit, PartnerIn, FreundIn; Lebensziele, Lebensfreude, Achtung, Anerkennung; Kommunikation, Klarheit, Echtheit, Ausdruck; Interessen, Neigungen, Vorlieben, Abneigungen; Beziehung, Distanz, Nähe, Intimität, Vertrauen, Bindung, Liebe, Haß, PartnerIn, FreundIn, Verwandte, Nahestehende, Kontakt; Kampf, Sieg, Niederlage, Gewinnen, Verlieren, Stellen, Flüchten; Behaupten, Durchsetzen, Streiten, Beharren; Entspannung, Ruhe, Erholung, Schlaf; Ausgleich: Muse, Muße, Spiel, Freizeit, Vergnügen; Gesundheit, Unversehrtheit.
Theoretisch gibt es potentiell unendlich viele Heilmittel; die praktisch relevanten können jedoch auf ein paar Dutzend reduziert werden (Übersicht Sponsel 1995, 193-200). Es scheint, als ob es ganz elementare und nicht weiter zerlegbare Psychologische Heilmittel gäbe, wir nennen sie atomare Heilmittel, weil sie auf der psychischen Erlebnis- oder Bewußtseinsebene nicht weiter zerlegbar sind. Empfinden_Fühlen_Spüren scheint auf der Erlebnisebene nicht weiter zerlegbar, während der Vorgang des Erinnerns durch unterschiedliche Aktivitäten zumindest unterstützt werden kann und von daher eher ein molekulares oder komplexes Heilmittel repräsentiert. Im Moment können wir nicht abschätzen, wie bedeutsam die Unterschiede sind. Wir möchten aber eher vor einer Überbetonung dieser Differenzierungen warnen. Lernen oder Lenken sind sicher keine atomaren, sondern sehr allgemeine Heilmittel, Programme oder gar wegen ihrer sehr allgemeinen Bedeutung so etwas wie Meta-Heilmittel (z. B. APLS in Sponsel 1995, 293). Die folgenden Ausführungen hingegen erscheinen uns aber sehr wichtig. Es könnte sein, daß in diesen Überlegungen die Auflösung einiger grundsätzlicher Therapieforschungsproblematik enthalten ist.
Die wichtigsten Psychotherapieschulen und Hauptheilmittelklassen können in einem Psychotherapiebaum veranschaulicht werden:
Die Heilmittel- (Heilwirkfaktor-) Klasse Empfinden_Fühlen_Spüren spielt z. B. eine wichtige Rolle in der Gesprächspsychotherapie, beim Focusing, in der Körpertherapie, in Gestalt und in allen Entspannungstherapien. Das Heilmittel (Heilwirkfaktor) Entspannen ist daher eine ganz wichtige Spezies dieser Heilmittel- (Heilwirkfaktor-) Klasse. Alexithymien, Orientierungslosigkeit, psychosomatische Symptommasken, Streß und Überforderungssyndrome haben oft mit gestörtem Empfinden_Fühlen_Spüren zu tun. Die Heilmittel-(Heilwirkfaktor-) Klasse Empfinden_Fühlen_Spüren ist schwer zu überschätzen; sie liefert im übrigen auch die psychologische Grundlage für die wichtige Heilmittel- (Heilwirkfaktor-) Klasse des Wertens.
Einsicht, Bewußtheit und Katharsis sind die Kernheilmittel (Kernheilwirkfaktoren) der Psychoanalyse, aber auch von Gestalt und Gesprächspsychotherapie.
Lernen und Verhalten sind die Grundklassen der verhaltenstherapeutischen Heilmittel (Heilwirkfaktoren).
Denken, Einstellungen und Kognitive Schemata sind wichtige Heilmittel (Heilwirkfaktoren) in der kognitiven Therapie.
Durcharbeiten und Klären sind wichtige Spezies der Heilmittel- (Heilwirkfaktor-) Klasse Kommunikation, die in allen Psychotherapien eine zentrale Rolle spielt.
Regeln - die Beziehungen lenken, gestalten und verändern - sind wichtige Heilmittel (Heilwirkfaktoren) der interpersonellen Therapien, der Transaktionsanalyse, der Systemischen, Strategischen und Kommunikationstherapie, speziell auch in der Anwendung Gruppen- und Familientherapie.
Konfrontieren als Stellen sind Spezies mehrerer Heilmittel- (Heilwirkfaktor-) Klassen, besonders aber des Tuns, das eine zentrale Rolle in der Verhaltens- und Systemischen Therapie spielt.
Lenken ist wahrscheinlich das wichtigste allgemeine Heilmittel (Heilwirkfaktor) überhaupt. Eine offensichtliche Rolle spielt es bei Zwängen, Impulsneurosen, bei den Süchten und Abhängigkeiten, beim Vermeidungsverhalten und allen Störungen vom Typ Beherrschung einerseits und Überwindung von Passivität, Desinteresse und Trägheit andererseits.
Je nachdem welche Therapieziele bzw. Therapiezielklassen betrachtet werden, kann nun ein Heilmittel zu einem notwendigen, hinreichenden oder notwendigen und hinreichenden (äquivalenten) Heilmittel werden. Heilmittel, die relativ zu Therapiezielklassen solche Eigenschaften haben, nennen wir Kriterienvalide_Heilmittel. Sie sind damit Evaluationskriterium. Das ist insofern von größter Bedeutung, weil damit die Evaluation einer Methode determiniert oder zumindest doch sehr stark eingegrenzt wird.
Stellen ist sicher ein notwendiges Heilmittel für alle Störungen und Probleme vom Typ Vermeiden, aus dem Wege oder Felde gehen, sich drücken, Unangenehmes umgehen, also z. B. zur Evaluation aller Phobien notwendig.
Lernen und Üben sind Kriterienvalide_Heilmittel für alle Störungen und Probleme vom Typ mangelnde Fähigkeit oder Kompetenz bei entsprechender Begabungsgrundlage.
Die Fähigkeiten Empfinden_Fühlen_Spüren und Beachten sind wahrscheinlich notwendige und hinreichende Heilmittel zur Vermeidung oder zum Abbau aller psychisch bedingten Störungen und Probleme vom Typ Überforderung und Streß, aber auch um Werte, Wünsche, Ziele zu erkennen.
Abreagieren (Katharsis) ist wahrscheinlich ein notwendiges Heilmittel für alle Störungen und Probleme vom Typ "Affektstau". Soll nicht immer wieder ein solcher Affektstau aufgebaut werden, wird man zusätzliche Überlegungen anstellen, wie ein solcher Affektstau-Aufbau künftig verhindert werden kann.
Ich denke, daß die Erforschung der kriterienvaliden Heilmittel relativ zu bestimmten Störungs-, Problem- und damit Therapiezielklassen die Psychotherapieforschung entscheidend vorwärts bringen wird.
In der GIPT ist die Bedeutung der Heilmittel in Axiom XV niedergelegt (Sponsel 1995, 140): Vorbemerkung: Dieses Axiom ist sehr radikal und repräsentiert aber in seiner Radikalität die extreme Komplexität, Kompliziertheit und Relativität der Wirklichkeit. Und es repräsentiert damit die Realitätserfahrungen vieler Heilkundiger und PatientInnen. Es hat aber auch sein Gutes: es bewahrt vor unzulässigen, vereinfachenden und falschen Verallgemeinerungen und entsprechend fragwürdigen Diagnose- wie Therapieschemata: es hält wach, offen, kritisch und stellt uns auf Flexibilität ein. Die Idee der Relativität aller Heilmittel ist alt, sie findet sich im Grunde schon bei Hippokrates, bei Moritz (1783-1793) und in der frühen Psychotherapiegeschichte in Deutschland bei Reil (1803; Sponsel 1997). Auch in jüngerer Zeit ist diese Idee mehrfach aufgegriffen worden: Wyss (1982, 87 f) hat in seiner anthropologisch-integrativen Psychotherapie ganz explizit ein "allgemeines Relativitätsprinzip" eingeführt, wenn auch nicht so spezifisch differenziert wie wir. Die Idee der Relativität der Heilmittel findet sich bei vielen PsychotherapeutInnen und ForscherInnen, der Doppelcharakter aller Heilmittel jüngst erst wieder recht klar bei Kriz (1994, 236).
(1) Grundsatz des Doppelcharakters: Eine Heilmittelwirkung kann durch Anwesenheit oder Abwesenheit (Negation) eines Heilmittels oder eines Quantums davon entstehen.
(2) Grundsätzliche Relativität der Wirkungen: Heilmittel bzw. Quanta davon sind nur potentielle Heilmittel und können im Prinzip vierfach wirken: Positiv, negativ, neutral, ambivalent, d. h. sowohl positiv als auch negativ.
(3) Grundsatz Individuelle Relativität: Ob ein Heilmittel oder ein Quantum davon als solches wirkt, kann von Mensch zu Mensch verschieden sein.
(4) Grundsatz Situative Relativität: Ob ein Heilmittel oder ein Quantum davon auch bei ein und demselben Mensch wirkt, kann sehr von der Situation abhängen, d. h. ein und dasselbe Heilmittel oder ein Quantum davon, kann in der einen Situation positiv, in einer anderen negativ, in einer dritten gar nicht oder ambivalent wirken.
Aus A-XV, (1) - (4) folgt eine strenge Einzelfallprüfung
sowohl des Individuums als auch der in Frage kommenden Situation. In diesem
Axiom stecken Legionen von potentiellen Kunstfehlern (Sponsel 1997).
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3. Exkurs:
Zur Geschichte
des Heilmittelbegriffs (Heilwirkfaktorbegriffs)
In der frühen Psychiatrie und Psychotherapiegeschichte des 19. Jahrhunderts waren Wort und Begriff des psychischen Heilmittels (Heilwirkfaktors) völlig geläufig (Sponsel 1997,). Ja es erschienen sogar regelrechte Monographien zu dem Thema: So veröffentlichte Dr. F. G. Bräunlich (? -1875), Direktor der Privat-Heilanstalt Wackerbarthsruhe bei Dresden 1839 ein Buch mit 352 Paragraphen auf 240 Seiten mit dem vielsagenden Titel: Psychische Heilmittellehre für Ärzte und Psychologen. Er beginnt sein Buch in der ersten Abteilung mit dem Untertitel: "Geschichte der psychischen Heilmittel", die er wie folgt untergliedert: Erste Periode bis 600 vor Christus(21), Zweite Periode bis Christus, Dritte Periode bis zur Reformation und die Vierte Periode bis zur neuesten Zeit. Noch früher ist das Werk Schneiders, P. J. (1824)(22). Eine umfassende Geschichte hat auch Friedreich (1830) vorgelegt. Eine der ersten großen und grundlegenden Arbeiten zur psychischen Heilmittel- (Heilwirkfaktor-) Lehre reicht aber noch weiter zurück als Bräunlich und stammt von Johann Christian Reil (1759-1813), dem Vater der allgemeinen und integrativen Psychiatrie(23) und psychologischen Psychotherapie. Er hat in seinem Hauptwerk (Rhapsodieen ... § 3) eine höchst modern anmutende allgemeine Heilmittel- (Heilwirkfaktor-) Lehre (chemisch, physikalisch, psychisch) entwickelt, die drei fundamentale Grundprinzipien damals bereits vorwegnahm: (1) Die nur potentielle Natur aller Heilmittel (Heilwirkfaktoren), (2) die potentiell unendliche Vielfalt der Heilmittel (Heilwirkfaktoren) und (3) das idiographische Relativitätsprinzip (Reil 1803; Löwenfeld 1897; Wyss 1982; Sponsel 1995). Reil wußte 1803 bereits klar, daß alle Stoffe für verschiedene Zwecke mehr-perspektivisch betrachtet werden können, ja müssen und daß die heilkundliche Perspektive eben nur eine ist. Da diese Erkenntnisse von größter Bedeutung für die praktische Psychotherapie, aber auch für die Psychotherapieforschung sind, möchte ich sie noch einmal aufführen in den zwei Hauptsätzen:
(1) Nahezu alle Sachverhalte können unter heilkundlicher Perspektive gesehen werden, aber natürlich auch unter anderen Perspektiven (1. Hauptsatz).
(2.1) Alle Heilmittel (Heilwirkfaktoren) sind nur potentielle Heilmittel (Heilwirkfaktoren).
(2.2) Es gibt eine potentiell unendliche Vielfalt der Heilmittel (Heilwirkfaktoren).
(2.3) Das idiographische Relativitätsprinzip, d.h. ob ein Sachverhalt oder Stoff als Heilmittel (Heilwirkfaktor) wirkt, hängt ganz vom Realitäts- und Situationsrahmen, von den Zielen und Zwecken, Fähigkeiten und Möglichkeiten der am therapeutischen Prozeß Beteiligten ab.
Wir haben diese außerordentlich bedeutungsvolle Tatsache im allgemeinen psychologischen Heilmittel- (Heilwirkfaktor-) Emblem zum Ausdruck gebracht:
Die Schwarz-Weiß-Symbolik drückt aus, daß sowohl die Funktion als auch ihr Gegenteil(25) Heilmittel- (Heilwirkfaktor-) Wirkung haben können. Das pfeilartige Kippbild drückt aus, daß die Heilmittel (Heilwirkfaktoren) von Fall zu Fall, Situation zu Situation ganz unterschiedlich wirken können.
Erst mit der Entwicklung der sog. "modernen" Psychotherapie und der Psychoanalyse verschwand der wertvolle Begriff des Heilmittels aus der Literatur, um rund 75 Jahre später wieder als Heilwirkfaktor bzw. als Wirkfaktor in der jüngeren Psychotherapieforschung(26) aufzutauchen. Die Rezeption der Psychotherapiegeschichte ist teilweise ausgesprochen tendenziös, oberflächlich und meist falsch, leider auch innerhalb der akademischen klinisch-psychotherapeutischen Literatur. Obwohl ich die SEPI-Autoren im allgemeinen sehr schätze, muß der Titel des Buches von Freedheim (1992, Ed.) - History of Psychotherapy - das gerade mit Freud anfängt doch ein bißchen erstaunen; trefflicher wäre wohl der Titel History of Psychotherapy in the 20th Century gewesen.
Beginnen wir mit einem "Kassiker" in mehrfacher Hinsicht:
Wie wir sehen hat Goethe hier, wie viele andere auch, die Heilmittel (Heilwirkfaktoren) Stellen, Aushalten und Üben für sich entdeckt, was heute Konfrontationstherapie, Flooding oder Expositionsbehandlung heißt. Und rund 150 Jahre später lesen wir bei Ferenczi (21984, Bd. II, 1927, orig. 1919, S. 59-60):
Man erkennt heute unschwer, wodurch die Angsthysterischen Ferenczis wirklich geheilt wurden. Und Sie mögen sich mit mir wundern, weshalb eine solche Erkenntnis nicht zur Veränderung der psychoanalytischen Grundregel geführt hat. Nun, die meisten psychischen Heilmittel (Heilwirkfaktoren) sind ohnehin allgemein bekannt und gehören zur Alltagskulturgeschichte. Betrachten wir hierzu noch einen "Fall":
Was sind hier die Heilmittel (Heilwirkfaktoren)? Offensichtlich eine drastische direktive Maßnahme der Freunde gegen die elterliche Weisung und für berufliche Selbstverwirklichung. Deren Bedeutung kannte Reil schon. In dem zusammen mit dem Philosophen Kayßler 1805 herausgegebenen Magazin für die psychische Heilkunde entwickelt er in dem einzigen von ihm darin enthaltenen Aufsatz Medicin und Pädagogik die Jungsche Selbstentfaltungs- und die humanistische Selbstverwirklichungsidee:
Es "... kann die Erziehung nicht Mittheilung, sondern bloße Veranlassung zur Selbstentwickelung dessen seyn, was als Anlage schon in ihm ist" (S. 418). Und S. 422: "Die wahre Methode der Erziehung und des Unterrichts ist diejenige, durch welche das ganze Innere des Menschen erregt und lebendig gemacht wird."
Glaube, Illusion(28) und Vertrauen sind z. B. sehr wichtige allgemeine psychische Heilmittel (Heilwirkfaktoren) und die Grundlage des heilkundlich so bedeutsamen Placeboeffektes. Das folgende Beispiel aus dem wirklichen Leben demonstriert auf sehr eindrucksvolle Weise wie wirkungsvoll die geniale Idee Reils einer theatralischen Therapie angewendet werden könnte. Ellenberger berichtet (dt. 1973, Bd. 2, S. 889):
Carl Gustav hatte ein traumatisches Erlebnis, welches der Anlaß ist, neurotisches Verhalten, hier Ohnmachtsanfälle, das ihm einen sekundären Krankheitsgewinn bringt, zu entwickeln. Ermahnungen fruchten nichts. Da hört er nebenbei die ernsthafte Sorge seines Vaters. Was sind hier die psychischen Heilmittel (Heilwirkfaktoren)? Das Nebenbei, die Bewußtheit, der Vater weiß nicht, daß er mithört, veranlaßt ihn, seinem Vater die ernsthafte Sorge wahrscheinlich erstmals wirklich zu glauben. Ganz plötzlich(29) gewinnt er Einsicht in den Ernst seiner Situation und es kommt zu einem urplötzlichen Einstellungswandel, der zu verändertem, positiven und konstruktiven schulischen Verhalten führt.
Das große Heilmittel (Heilwirkfaktor) der Ära Janet (1859-1947), Breuer und Freud um die vorige Jahrhundertwende hieß Katharsis. Gelingt es, verdrängte Traumata wieder bewußt zu machen, also die Spaltung von Affekt und kognitivem Sachverhalt durch die provozierte Übertragungsneurose aufzuheben, hat Heilung stattgefunden, so die psychoanalytische Hypothese. Wir glauben das so allgemein nicht und halten dies für nur manchmal zutreffend.
Beispiel: Durcharbeiten der Kindheit. Gehen wir von relativ unabhängigen Methoden aus, d. h. von solchen, bei denen die Reihenfolge keine besondere Rolle spielt. Z. B. sei das Therapiesegment "Aufarbeiten der Kindheit", dann gehören hierzu verschiedene Standardbearbeitungen, etwa folgende: (1) Erfahrungen mit und Beziehung zur Mutter, (2) Erfahrungen mit und Beziehung zum Vater, (3) Erfahrungen mit und Beziehungen zu den Geschwistern, (4) bedeutungsvolle Erlebnisse und Erfahrungen, (5) Verarbeitung dieser Erfahrungen, (6) Beziehungen heute, (7) mögliche Therapieziele in Bezug auf die kognitiv-affektiven Kindheitsschemata. Spontan werden uns die meisten zustimmen, daß die Segmentteile (1) bis (4) relativ unabhängig angeordnet sein können, während es für (7) wohl günstig ist, wenn man (1) bis (6) schon kennt.
Spielt die Reihefolge des Durcharbeitens der Segmente eine Rolle, was in der Psychotherapie sicher öfter der Fall ist, errechnen sich die Möglichkeiten nach der einfachen Permutationsformel N = Fakultät (n), wenn n die Anzahl der zu kombinierenden Segmente oder der Methoden ist. Für n = 10 ergibt sich N = 4.037.932, also rund vier Millionen. Spielt die Reihenfolge keine Rolle, gilt die vereinfachte Formel für Möglichkeiten der Kombinationen 2n - 1. Bei 10 Heilmitteln oder zu kombinierenden Methoden ergibt das immer noch 210 - 1 = 1024 - 1 = 1023 Integrierungsaufgaben. 100 verschiedene Methoden erfordern ca.
1 267 650 000 000 000 000 000 000 000 000 Integrationen (!),
dieser Weg kann es also nicht sein.
5. Aus der GIPT-Therapieforschung
5.1 Konstruktion und Beschreibung verschiedener
spezifischer
und globaler Kriterienmaße
CST-System. Zwischen 1980 und 1985 habe ich eine Reihe von Verfahren entwickelt und empirisch-praktisch evaluiert (Sponsel 1982, 83, 84), die unter dem Namen CST-System-Diagnostik zusammengefaßt worden sind.
Ziele & Hintergrund. Die Verfahren sollten sich zum Verständnis eines Menschen, für die Therapieplanung und speziell für die Therapieerfolgskontrolle (Befindlichkeits-Analyse) in der niedergelassenen Praxis eignen (schnell, einfach, robust). Testtheorie: Kriterienorientiert, d. h. die Verfahren sind auch ohne statistischen Normbezug inhaltlich und sinnvoll interpretierbar. Für alle Verfahren - Ausnahme bislang: Familien-Bild-Skalen FBS - sind aber Prozentrangnormen im Regelfall für drei Vergleichsgruppen (Fälle, Normgruppe, Idealgruppe relativ Gesunde und Zufriedene) erstellt worden. Für die zahlreichen Einzelfallanalysen wurde ein eigenes Reliabilitätsmaß entwickelt, das die Mängel und Schwächen des Korrelationskoeffizienten (Sponsel 1994, 1, 24-33) nicht hat. Für alle Verfahren gibt es einen EDV-Auswertungs- und Wissenschaftsdienst. Derzeit sind rund 6000 Tests erfaßt. Die Verfahren 01-08 sind im CST-System-Handbuch (2 Bde. ca. 1400 Seiten) beschrieben und dokumentiert. Für die FBS-Skala gibt es ein Bearbeitungs-Manual. Verfahren 10 und 11 sind derzeit nur über den Auswertungsdienst verfügbar.
01 Statistische Kopfkarte. Sie dient der Forschung, wenn man z. B. die Charakterstrukturen aller ältesten Schwestern mit Mittlerer Reife, die Lebenszufriedenheit von Arbeitslosen, die Persönlichkeitsstruktur und Eingangswerte von Therapie-AbbrecherInnen oder von AsthmatikerInnen studieren möchte, so erlaubt die Verschlüsselung der statistischen Kopfkarte gezieltes Suchen in der EDV.
02 CST-Charakter-Struktur-Test
[PDF-Download] (nach Fritz Riemann). Der Test ist konstruiert nach dem
Werk von Fritz Riemann ("Grundformen der Angst"). Es werden die vier Grundstrukturen
Z (zwanghaft), H (hysteroid), S (schizoid), D (depressiv) in Riemanns persönlichkeitstypischer,
nicht klinischer, Bedeutung zu je 20 Items erhoben. Die vier Strukturen
wurden in 17 Motivgruppen übersetzt und paarweise auf ihre Verträglichkeit
und Beeinflussung (Verstärkung, Behinderung, Erleichterung oder Begünstigung,
Färbung) in 136 Vergleichsanalysen untersucht. Aus den wechselseitigen
Behinderungen wurde ein Spannungsmaß für die Persönlichkeitstruktur
entwickelt, das sich auch klinisch valide zeigte. Das Spannungsmaß
hat zwei Hauptbedeutungen: (1) reichhaltige, vielseitige, spannungsreiche
Motivation, wobei die Integration geglückt ist (Typ Goethe) oder (2)
reichhaltige, vielseitige, spannungsreiche Motivation, wobei die Integration
nicht geglückt ist und Symptome produziert werden. Die Differentialdiagnose:
geglückt - nicht geglückt wird über die Werte der Befindlichkeitsanalyse
(BA), der Therapieerfolgskontrollwerte, operationalisiert nach der einfachen
Regel vollzogen: BA-Werte ok, Spannung ok, BA-Werte nicht ok, Spannungswerte
symptomproduktiv.
Eine Kurzvariante mit 20 Items
wurde in den Integrativen Persönlichkeitsfragebogen integriert [PDF-Download]
Die Charakterstrukturen,
die nicht klinisch, sondern allgemein motivationspsychologisch interpretiert
wurden, sind in folgende Motivgruppen "übersetzt" worden: Z (zwanghaft):
Z-Perfektion, Z-Leistung, Z-Kontrolle, Z-Sicherheit. H (hysteroid): H-Anspruchshaltung,
H-Freiheit, H-Erlebnishunger, H-Lebendigkeit, H-Beeindruckung. S (schizoid):
S-Distanz, S-Beherrschung (die etwas anderes als die zwanghafte Kontrolle
erfaßt), S-Aggression (indirekte), S-Identität (Ganzheit, Homogenität).
D (depressiv): D-Geborgenheit, D-Anpassung, D-Harmonie, D-Hingabe.
03 VS-Vitalitäts-Skala ("Ich-Stärke"). [BA-PDF-Download] Hier gibt es zwei Varianten: eine in den CST eingebaute mit 20 Items und eine in die Befindlichkeitsanalyse eingebaute mit 22-Items. Psychodynamisch kann man die VS als Ich-Stärken-Schätzung interpretieren, da 20 Lebenskennwerte abgefragt werden, die im allgemeinen dann positiv geglückt sind, wenn ein Mensch über genügend Ich-Stärke verfügt. Zugleich ist damit natürlich eine operationale Definition der Ich-Stärke gegeben: Lebenszufriedenheit; Selbstvertrauen; Widerstandskraft; Selbständigkeit (2 Items); Zuversicht; Selbstwertgefühl; Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten; Liebe, Anerkennung & Verständnis bekommen; echte Kontakte haben; Leistungsfähigkeit; Entspannungsfähigkeit; Lebenskraft (3 Items); Durchsetzungskraft; Zielgewißheit; Arbeitszufriedenheit; Lebensfreude; Wissen um die eigenen Grenzen. Die BA-Version erfaßt zusätzlich: Genußfähigkeit, Probleme anpacken. Statistisch hat sich ein Grenzwert von 14 / 20 Items für relativ Zufriedene und Gesunde ergeben. Die VS eignet sich sowohl zur Therapieplanung als auch zur validen Erfolgskontrollschätzung. Zur Summen-Score-Funktion (Kardinal-Skala) der VS Sponsel (1In Vorbereitung a) .
04 PSBS-Psychosomatische-Belastungs-Skala. [BA-PDF-Download] Hier werden 29 Items nach vier Häufigkeiten (Nie, Selten, Manchmal, Oft) erhoben, denen die Roh-Scores 0, 2, 5, 10 zugeordnet wurden (Sponsel In Vorbereituing b). Nicht selten äußern sich seelisch-geistige Konflikte in relativ psychosomatischer Symptombildung. Es werden erfaßt: Zittern, Erröten, Durchfall, Verstopfung, Schweißausbruch, Magenbeschwerden, Schwitzen, Herzklopfen, Herzschmerzen, Bauchschmerzen, Migräne, Kopfschmerzen, Erbrechen, Rückenschmerzen, Kreislaufstörungen, Atembeschwerden, Asthma, Erschöpfung, Verkrampfung, Schlaflosigkeit, Müdigkeit, Erkältungen, Krampfanfälle, Unruhe, Fieberhafte Infekte, Alpträume, Hautkrankheiten, Allergien, Sexuelle Beschwerden. Die Skala eignet sich sowohl zur Therapieplanung als auch zur Therapieerfolgskontrolle, speziell natürlich der psychosomatischen Belastung.
05 GVS-Gefühlsverhältnis-Skala. [BA-PDF-Download] Hier wurden 13 positive und 13 negative Gefühle und Stimmungen repräsentativ für den gesamten Gefühls- und Stimmungshaushalt ausgewählt und nach vier Häufigkeitskategorien (Nie, Selten, Manchmal, Oft) mit den Roh-Scores 0, 2, 5, 10 verrechnet (Sponsel In Vorbereitung b). Es wird dann der relative Anteil der positiven Gefühle (G+%) am Gefühlsgesamt bestimmt, wobei die kriterienorientierte Normwertbereichserwartung zwischen 60 - 80 % liegt. Höhere Werte deuten eine ungewöhnlich geglückte Lebensphase, maniforme Prozesse oder eine ungewöhnlich starke Verleugnung negativer Affekte an. Die positiven Gefühle und Stimmungen: Freude, Wohlbehagen, Gute Laune, Liebe, Kraft, Vertrauen, Lust, Fröhlich, Zuversicht, Beschwingt, Zuneigung, Achtung, Stärke. Die negativen: Angst, Ärger, Hemmung, Wut, Mißtrauen, Traurig, Depression, Neid, Enttäuschung, Spannung, Haß, Ablehnung, Krankheitsgefühl. Die Skala eignet sich sowohl zur Therapieplanung als auch zur Therapieerfolgskontrolle, speziell natürlich der Gefühls- und Stimmungsverfassung. Die Idee wurde durch das Studium der Arbeiten von Flugel (1925) und der polnischen Emotionsschule um Reykowski (dt. 1973) gefördert.
06 SKS-Selbstkritik-Skala. [BA-PDF-Download] Mit der SKS werden traditionell allgemein menschliche Mängel und Schwächen erfragt. Als selbstkritisch gilt, wer die allgemein menschlichen Schwächen bei sich wahrnehmen und zugeben kann. Eine Piloterhebung wurde an 100 Fällen validiert. Die erhobenen Item-Sachverhalte sind: Ärger eingestehen; Geheimnisse haben; Fehler eingestehen; Aufschieben; Antipathien haben; Notlügen; Neid auf andere; Schlechte Laune; Gelegentlich faul; Zuweilen Unvernunft; Schadenfreude; Unwohl bei Kritik; Zuweilen Diplomatie. Befunde: Mit 11 Items wird in der Normgruppe ein PR von 81, in der Fallgruppe (ohne Maniforme) ein PR von 63 erreicht. PsychotherapiepatientInnen sind offenbar häufig skrupulöser, selbstkritischer, gewissens-belasteter (Überich-dominant).
07 LZS-Lebenszufriedenheits-Skala. [BA-PDF-Download] Der Ansatz beruht auf dem Tomanschen (1968, 1978) homöostatischen Motivationsmodell. Die simple Heilidee ist: Relativ gesunde und zufriedene Menschen werden keine oder weniger Symptome ausbilden. Also: der Zufriedenheitswert ist ein indirekter Indikator für wahrscheinliche oder tatsächliche Symptomproduktion. Damit muß sich ein Normwert bestimmen lassen, der als Globalmaß für Gesundheit taugt und auch zur Schätzung von Symptomverschiebungs-Risiken. Erhebt man über mehrere Bereiche, lassen sich auch Kompensations- und Ausgleichsmechanismen studieren. Das Verfahren ist mit 08 (SZS-Selbstzufriedenheits-Skala) im Rahmen meiner Dissertation sehr sorgfältig und ausführlich untersucht, dokumentiert und evaluiert worden. Zusätzlich zur realen Zufriedenheit wird außerdem das Anspruchsniveau miterhoben, so daß sich auch hieraus interessante Informationen gewinnen lassen. Erhoben wird auf einer natürlichen Prozent-Skala mit sieben verbalen Ausprägungsschätzungen nach 17 Lebensbereichen: Arbeit & Beruf; Freundschaften; Anerkennung; Geld & Besitz; Entspannung; Interessenverwirklichung; Einfluß & Geltung; Gesundheit; Liebe geben; Liebe bekommen; Sexuelle Erfüllung; Familienklima; Wohnen; Nachbarschaft; Selbstverwirklichung; Lebensqualität; Mitmenschen. Die Skala eignet sich sowohl zur Therapieplanung als auch zur Therapieerfolgskontrolle, und ganz speziell zur Kontrolle der interpsychischen Symptomverschiebung: In ökosozialen Systemen, in Familien und bei Paaren kann sie von mehreren Personen bearbeitet werden, hierbei darf der Zuwachs an Zufriedenheit einer Person nicht auf Kosten der Abnahme einer anderen gehen.
08 SZS-Selbstzufriedenheits-Skala. [BA-PDF-Download] Während die LZS viel mehr Komponenten einschließt, die einem das Leben "gibt" (oder nicht), ist die SZS hauptsächlich auf das Selbst bezogen. Gewöhnlich sind die SZS-Werte höher als die LZS-Werte. Das macht Sinn: wir sind mit uns gewöhnlich zufriedener als mit der Welt und dem Leben. Manchmal ist dieses Verhältnis invertiert und deutet ein spezifisch selbst- und überkritisches Problem der PatientIn an. Es werden 20 wichtige Dimensionen der realen Selbstzufriedenheit und das Anspruchsniveau erhoben: Äußere Erscheinung; Sinnliche Genußfähigkeit; Positive Gefühle zeigen; Negative Gefühle zeigen; Wünsche äußern; Meinung ehrlich vertreten; Intelligenz; Wissen & Bildung; Berufliches Können; Umgang mit Geld; Begabungen; Offenheit; Selbstvertrauen; Vertrauen; Aktivität; Toleranz; Taktgefühl; Menschenliebe; Verantwortungsbereitschaft; Sexuelle Lust.
09 FBS-Familienbild-Skala. [PDF-Download] Die FBS-Familien-Bild-Skala ist 1980 über eine sog. kompetente BeurteilerInnen-Skalierung (Klinische PsychologInnen) entwickelt worden. Sie erlaubt einerseits die Beurteilung der Qualität eines Bildes, zum anderen ist bei Vergleichen zwischen zwei Bildern die Bestimmung der Ähnlichkeiten oder Identifikationen, der Gegensätze und der Unterschiede möglich. Damit können also Fragen untersucht werden wie z. B.: Identifikation wer mit wem, PartnerInwahl nach der oder gegen die Mutter, Vaterbild problematisch oder nicht, wird BeraterIn / TherapeutIn mit einem Elternteil identifiziert (Übertragungsanalyse), ist das PartnerIn-Bild positiv, wie gut kennt A B usw. ?
Die Qualität eines Bildes: Der qualitativ wichtigste Wert ist das P%= Positivprozent. Es errechnet sich wie folgt: 100 * [Rohwert positiv : (Rohwert positiv + Rohwert negativ)]; P% gibt also den positiven Prozentanteil am Gesamtbild an. Bilder mit einem P% kleiner als 60 sind als bedeutungsvoll und potentiell problematisch einzuordnen. Als schwierig haben sich erfahrungsgemäß "ambivalente Qualitäten" (40-59) erwiesen. Manchmal ist es leichter, mit einem klar negativen Bild fertig zu werden, als mit einem "halb-und-halb-Bild". Extremwerte, Randextreme und Mittenwahlen werden zusätzlich bestimmt. Mit einem Therapieerfolg sollte auf jeden Fall ein positives Selbstbild (mindestens >= 60 % Positivanteil) einhergehen. Die Standarderhebung beruht auf Selbstbild, PartnerInbild, Vaterbild, Mutterbild. In der Partnerschaftstherapie liegen dann jeweils 8 Bilder vor, die insgesamt 28 Vergleiche ermöglichen. Aus dem Vergleich der jeweiligen Selbst- und Partnerbilder lassen sich die 16 Kombinationen von Harris (dt. 1975) (A: ich bin [nicht] ok, du bist [nicht] ok gekreuzt mit B: ich bin [nicht] ok, du bist [nicht] ok) operational erfassen.
10
LGWS-Lebensgrundsätze und Wertsystem. [PDF-Download]
LG: Lebensgrundsätze. Die Lebensgrundsatzskala
soll die Selbstheilungskräfte als Problemlösefähigkeit und
Lebensklugheit interpretiert schätzen. Im Modell wird hierbei angenommen,
daß es zu einer guten Lebensbewältigung und Ich-Stärke
kommt, wenn eine ganze Reihe, zum Teil und im einzelnen sich widersprechender
Lebensprinzipien simultan im Handlungsrepertoire eines Menschen verfügbar
ist, um sich aus diesem Repertoire situationsgerecht nach den jeweiligen
Zielen und Zwecken zu bedienen. Also: Manchmal ist es gut, echt zu sein,
manchmal ist genau das falsch und man wäre besser zurückhaltend
gewesen. Oft ist es gut, sich zu stellen, manchmal wäre aber vermeiden
besser gewesen usw. Relativ gesunde und zufriedene Menschen beherzigen
solche Relativitätsprinzipien der Heilmittel intuitiv, ohne, daß
sie dessen richtig bewußt sind. Sie sind echt und taktvoll, sie setzen
sich durch und passen sich an, sie sind realistisch und sie träumen.
Die Vielzahl der Prinzipien, ihre Angemessenheit und ihre Ausgewogenheit
machen sozusagen einen relativ lebenstüchtigen Menschen aus. Im einzelnen
erhebt die LG 5 vitale (Echtheit, Entscheidung, Problemlösung, Verzicht
auf Rationalisierung, Selbstverantwortung) und 5 soziale (Anpassung, Differenzierung,
Lebensklugheit, Realismus, Soziale Einsicht) Ich- Funktionen. Der LG-Score
wird um so besser, je ausgewogen höher die Rohwerte in den 10 Subskalen
sind. Jede Subskala wird komprimiert von +++ bis --- signiert, so daß
man auf einen Blick sofort sieht, wo problematische Bereiche sind.
WS: Wertsystem. Mit den Wertsystem-Items werden die persönlichen Wertungen (Rangfolge) und das Menschenbild (Rangfolge Projektionen) erhoben und in der Auswertung zueinander in Beziehung gesetzt. Es werden 6 Wert-Klassen bestimmt: SKGM: Sinne, Körper, Genuß, Muße. GLKO: Gefühl, Liebe, Kontakt. KÖBI: Können und Bildung. LEAK: Leistung, Erfolg, Aktivität. SICH: Sicherheit (materiell und immateriell). WEIS: Weisheit.
11 GTT-Grübeltyp-Test. [PDF-Download] Grübeln nennen wir das Denken, das immer zum gleichen Problem zurückkehrt, ohne zu einer Lösung zu gelangen. Es ist schwer von der letztlich schöpferischen und kreativen Problemlösung abzugrenzen, die auch lange brauchen kann, bis eine Lösung gefunden wird. Die Abgrenzung ist dann nicht schwer, wenn psychologisch klar ist, wie der Problemlösungsalgorithmus aussehen muß. Es gibt eine ganze Reihe von Störungen, die stärkere Grübelphänomene bei den betroffenen Menschen hervorrufen können (denken Sie an Depressive, Zwanghafte, NarzißtInnen, OptimiererInnen, Sorgenvolle und ProblemlöserInnen). Zur etwas genaueren Unterscheidung und damit auch zur gezielten therapeutischen Planung wurden 7 Grübel"Typen"-Skalen (mit je 5 Items) konstruiert: Prognose-GrüblerInnen (gehäufte Vorstellung negativ besetzter zukünftiger Ereignisse), Ziel-GrüblerInnen (Wie erreiche [vermeide] ich X?), Entscheidungs- GrüblerInnen (es soll / muß entschieden werden mit Risiko), Sicherheits-GrüblerInnen (Wie kann ich ganz sicher sein, daß ...?), Behauptungs-GrüblerInnen (Ich kann mich [nicht] behaupten oder beweisen, wenn ich gefordert werde.), Wirkungs-GrüblerInnen (besonderes Interesse an der eigenen Wirkung auf andere), Gewissens-GrüblerInnen (Was ist geboten, verboten oder erlaubt?). Die 35 Items werden nach realer Einschätzung und wie ProbandIn es für wünschenswert und gesund erachtet, erhoben.
Die Verfahren 03 - 08 sind hier speziell für den Zweck Therapieplanung und Therapieerfolgskontrolle zur Befindlichkeitsanalyse (BA) zusammengefaßt worden.
(1) Die Zufriedenheits-Globalmaße.
Im Rahmen meiner Dissertation (Sponsel 1984) habe ich die begriffliche
Basis und wichtige Teile des technischen Instrumentariums für die
Psychotherapieerfolgskontrolle speziell in der niedergelassenen Praxis
geschaffen und in das CST-System integriert. Im technischen Teil der Dissertation
wurden zwei Globalmaße - die Schätzung der Lebens- (LZS, 17
Items, mit Anspruchsniveau 34) und der Selbstzufriedenheit (SZS, 20 Items,
mit Anspruchsniveau 40) entwickelt und evaluiert (streng symptom- und kriterienbezogen
nach Integrativer Psychologischer Psychotherapie). Speziell wurde das Skalenniveau
von Zufriedenheitsschätzungen untersucht. Außerdem wurde gezeigt,
daß der Mittelwert unabhängig vom Gewicht der Merkmalsbereiche
ist. Die Evaluation bezog insgesamt N = 1091 Erhebungen ein und es wurden
folgende Behandlungs- und Kontrollgruppen gebildet:
Norm- und Kontrollgruppen (Sponsel 1984, 301 ff) Mittelwert(30)
Norm- und Kontrollgruppen Alle N=403 ..................
LZS= 59,9
(563 mit Wiederholung zur Reliabilität
& Kontrolle)
Alle Auffälligen (Symptomträger)
N=72 (a. a. O. 313)... LSZ= 53,0
Auffällige (Symptomträger) ohne
nähere ................ LZS= 53,4
Spezifikation N=44 ((a. a. O. 317)
Auffällige (Symptomträger) unbehandelt
N=28 .
(a. a. O. 321).........................................
LZS= 52,4
Unauffällige (Idealnormgruppe relativ
Gesunde
und Zufriedene) N=46 (a. a. O. 325) ...................
LZS= 66,9
Behandlungsgruppen Alle N=337 (528 mit
Wiederholungen
zu Verlauf, Reliabilität und Kontrolle)
Mittelwert
Anfangsphase N=52 (a. a. O. 329) ......................
LZS= 46,6
Zwischenphase bis 1 Jahr N=33 (a. a. O. 333)
.......... LZS= 50,0
Zwischenphase länger als 1 Jahr N=24
(a. a. O. 337) ... LZS= 54,9
Behandlungsgruppen Alle bis 1 Jahr N=69 (a.
a. O. 341) LZS= 48,7
Nachuntersuchungsgruppe länger als ein
Jahr nach
Abschluß der Behandlung N=27 . (a.
a. O. 345) ......... LZS= 64,1
Evaluationsgruppe nach Kriterienorientierung,
d. h. auf breiter Front Störungen verschwunden
bzw. stark zurückgegangen.
Abbrecherstudien (a. a. O. 266 - 268) Mittelwert
Abbrecherstudie bis 1 Jahr nach Abbruch N=14
.......... LZS= 48,1
Abbrecherstudie bis 1 - 2 Jahre nach Abbruch
N=16 ..... LZS= 57,0
Abbrecherstudie ohne nähere Spezifikation
N=28 ........ LZS= 57,0
Abbrecher weiterhin unbehandelt N=19 ..................
LZS= 54,5
Gewichte der Lebensbereiche: Hauptsatz: der Lebenszufriedenheitsmittelwert ist vom persönlichen Gewicht rechnerisch unabhängig, d. h. seine Bedeutung wird bereits beim Ankreuzen von den ProbandInnen berücksichtigt (a. a. O. 132; die Korrelation zwischen gewichtetem und ungewichtetem Lebenszufriedenheitsmittelwert für N=30 betrug r= .96 (Ähnlichkeitsmaß = 95 %). Im einzelnen ergaben sich für die verschiedenen Lebensbereiche folgende Rangordnungen (Polung: höhere Zahl = höherer Rang, R=Rang, Ergebnisse Ränge a. a. O. 126):
Liebe bekommen ...... R 10
Liebe geben ............... R 9
Selbstverwirklichung .. R 9 Freundschaften
............ R 8
Gesundheit ............ R 8
Sexuelle Erfüllung ........ R 8
Familienklima ......... R 8
Arbeit & Beruf ............ R 7
Anerkennung ........... R 7 Interessenverwirklichung...
R 7
Entspannen ............ R 5
Wohnen .................... R 5
Lebensqualität ........ R 5
Mitmenschen ............... R 5
Geld & Besitz ......... R 4 Einfluß
& Geltung ......... R 4
Nachbarschaft ..........R 3
Am wichtigsten ist also Liebe bekommen, am unwichtigsten wird Nachbarschaft bewertet.
Zusätzlich wurden noch eine Reihe von Sonderstudien durchgeführt, deren Themen nur informativ aufgeführt werden:
Die Bedeutung der Arbeitszufriedenheit (a. a.
O. 157)
Die Bedeutung der Zufriedenheit mit der Liebe
(a. a. O. 203)
Zusammenhänge Vertrauen und Liebe (a. a.
O. 194)
Die Bedeutung der Selbstverwirklichung (a. a.
O. 172; 262)
Die Bedeutung des Selbstvertrauens (a. a. O.
192)
Die Bedeutung der Lebensqualität (a. a.
O. 174)
Durchbruchanalyse und Echtheit (a. a. O. 264)
Bemerkung: Über alle Gruppen wurde auch das Anspruchsniveau der Zufriedenheiten analysiert.
Normen: Prozentränge, nach drei Bildungsständen, fünf Alterszyklen und nach dem Geschlecht. Reliabilität: Es wurde ein Reliabilitätsmaß für den Einzelfall, das die Schwächen (Sponsel 1994, 24-33 ) des Korrelationskoeffizienten nicht hat, Verlaufs- und Langzeitanalysen entwickelt und evaluiert (Ä[LZS] = 94.4 % Ähnlichkeit und r = .934; Ä[SZS] = 95.5 % Ähnlichkeit und r = .89). Trennschärfe, Regressions- und Korrelationsanalysen wurden durchgeführt.
1) Nonparametrisch: 81 % der Behandlungsgruppe sind unzufrieden gegenüber der Vergleichskontrollgruppe der "Unauffälligen" mit nur 24 %.
2) Parametrisch: Der Lebenszufriedenheitsmittelwert liegt in den Behandlungsgruppen (Anfangsphase) bei 46,6 % und bei den "Unauffälligen" bei 66,9 %.
Es konnte gezeigt werden, daß der Lebenszufriedenheitsmittelwert als globales Maß valide ist und zur Therapieerfolgskontrollschätzung und damit auch zur Kontrolle von Symptomverschiebungen herangezogen werden kann.
3) Das homöostatische Motivationsmodell Tomans, das eine vernünftige pychologische Interpretation des Freudschem Libidobegriffs zuläßt - und damit die Psychoanalyse in die Gemeinschaft der wissenschaftlichen Methoden zu integrieren versucht - wird durch diese Ergebnisse empirisch bestätigt: der Mensch braucht auf längere Sicht ein Mindestmaß an Motivbefriedigung, sonst bekommt er Störungen oder er wird krank.
4) Symptomverschiebungen. Eine der wichtigsten praktischen Anwendungen könnte darin bestehen, daß sich das globale Gesundheitsmaß Lebenszufriedenheitsmittelwert zur Kontrolle der Symptomverschiebung eignet. Hierzu sind folgende Überlegungen und daran anknüpfende Schlußfiguren hilfreich:
Gegeben sei das Globalmaß G, das besage,
daß Werte, die G annehmen kann mit G > K (K = Kriterium) globale
psychische Gesundheit anzeige. Zu Beginn der Therapie habe PatientIn ein
GAnfang = 45 gehabt. K sei 59.
G-Fall 2) GEnde = GAnfang
G-Fall 3) GEnde
> GAnfang
S-Fall 2) SEnde = SAnfang
S-Fall 3) SEnde > SAnfang
Die Kombination Globalmaß-Fälle
mit den Syndromausprägungs-Fällen ergibt dann neun Möglichkeiten:
Syndromausprägungen
Interpretationen:
Die Freudsche Trias-Hypothese, wonach gesund ist, wer arbeiten, lieben und entspannen kann, ist von mir empirisch 1983 über Items der Vitalitäts-Skala (Ich-Stärke-Skala) untersucht und bestätigt worden (Sponsel 1982-1984, 1. Erg., 08AV:02, 3,4,5-UV: V8,V11,V15-01 bis 10). Unter der Bedingung, daß die drei Items bejaht werden, ist die bedingte Wahrscheinlichkeit das Kriterium 14 oder mehr Vitalitätsitems zu bejahen p = 0.88, die pathologische Grenze bei der Psychosomatikproduktion zu überschreiten fällt von p=.16 bei den Auffälligen auf 0.018, also um den Faktor 9. Auch die bedingte Wahrscheinlichkeit ein positives Gefühlsverhältnis >= 60% zu erzielen ist unter der Freudschen Triasbedingung ca. 2,5 mal größer als bei den Auffälligen. Der Konflikt- oder Spannungswert für PR = 50 (Median) bei Triaserfüllung ist in der Persönlichkeitsstruktur nur 400 (N = 228), in der Normgruppe 690 (N = 635) und bei den Auffälligen gar 1030 (N = 187), also außerordentlich valide. Nebenbei ergibt die Validierung und Evaluation des im CST konstruierten Spannungsmaßes ein klares Argument für die Nützlichkeit inhaltlich begründeter methodischer Verfahren gegenüber artifiziellen formalen Verfahren, wie z. B. Faktorenanalysen.
6. ZusammenfassungPraktisches
Vorgehen zur Evaluation und
Erfolgskontrolle: Ein 12-Punkte-Leitfaden
(1) Exploration Kriterienvalide Heilmittel
Exploration & Veränderungen in
Lebensraum
und Lebensqualität:
(2) Beziehungsraum (PartnerIn, FreundIn,
Familie, NachbarIn, Bekannte)
(3) Leistungswelt (Arbeit, Beruf, Bildung,
Lernen, Leistung, Karriere)
(4) Erholung, Freizeit, Genuß &
Vergnügen
(5) Persönliches
CST-System-Skalen
(6) Persönlichkeitsstruktur im CST,
besonders die Spannungswerte
(7) Vitalität oder Ich-Stärke
(8) Verhältnis positiver Gefühle
und Stimmungen
(9) Psychosomatische Belastung
(10) Lebens- und Selbstzufriedenheit
(11) Familienbilder, insbesondere Selbstbild
(12) Sonstige individuelle Besonderheiten
Ausblick. Große Aufmerksamkeit werden wir in der GIPT künftig der Entwicklung kriterien-valider Heilmittel und ihrer permanenten diagnostischen Anwendung im Therapieprozeß widmen und einer Methodologie, die sich wirklich wissenschaftlich versteht - jenseits der szientistischen Zahlenmystik, wie sie an den Universitäten so falsch tradiert wird (Sponsel 1994, In Vorbereitung a und b).
1. GIPT=General
and Integrative Psychotherapy, das internationale Kürzel für
Allgemeine und Integrative Psychotherapie. GIPT ersetzt die frühere
Bezeichnung IPPT.
2. ADEIS
=: A_llgemeine, D_ifferentielle, E_klektische, I_Integrative, S_chulen-
und Methodenübergreifende Psychotherapie.
3. Der
Etikettenschwindel, der z. B. mit den Richtlinienverfahren in Deutschland
betrieben wird, erfährt keinerlei Problematisierung. Für die
Verhaltenstherapie zitieren wir Wittchen (1996, 165): "Trotz Tausender
sich verhaltenstherapeutisch nennender niedergelassener Psychologen ist
es fast unmöglich, Kollegen zu finden, die eine lege artis durchgeführte
Angsttherapie mit kognitiven oder Exposuretechniken durchführen."
Ähnliche Ergebnisse soll auch Margraf in einer repräsentativen
Umfrage erzielt haben.
4.
ADEIS =: A_llgemeine, D_ifferentielle, E_klektische, I_Integrative, S_chulen-
und Methodenübergreifende Psychotherapie. Die Auswahl ist notwendigerweise
sehr verkürzt und subjektiv. Ich bitte alle um Entschuldigung, die
hier nicht genannt wurden.
5. Siehe
bitte auch weiter unten den Exkurs Zur Geschichte des Heilmittelbegriffs.
6. Ausnahmen:
Ellenberger und die Gebrüder Hart, die besonders die Leistungen Janets
erkennen.
7. Die
erste interdisziplinäre, allgemeine und integrative Fachzeitschrift
wird von Karl Philipp Moritz 1783 -1793 herausgegeben mit dem Titel "Erkenne
dich selbst - Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde", das bereits im ersten
Band eine klare allgemeine und integrative Psychotherapiekonzeption enthält5,
die auf den Arzt Marcus Herz zurückgehen soll. Die Zeitschrift war
in fünf Haupt-Kategorien gegliedert: (1) Seelenkrankheitskunde, heute
Psychopathologie, (2) Seelennaturkunde, heute Psychologie, (3) Seelenzeichenkunde,
heute Diagnostik, (4) Seelendiätetik, heute Prophylaxe und (5) Seelenheilkunde,
heute Psychiatrie und Psychotherapie. Sowohl die Psychiatrie als auch die
Psychologie und Psychotherapie beziehen sich zu Recht auf diese erste empirisch
interdisziplinäre Fachzeitschrift. Nicht "moralisches Geschwätz",
sondern "Fakta" soll dieses Magazin bringen, heißt es im Vorwort
(I, S. 8).
8. Wir
folgen hier dem Psychologiehistoriker Max Dessoir (1902, S. 367) der der
Meinung widerspricht, vor Herbart habe es keine "mathematische" - gemeint
ist wohl messende - Psychologie gegeben. Und er meint die empirischen Messungen
zur Zeitdauer der Nachempfindungen, die Tetens (1777, S. 32-33) in seinem
Werk erwähnt. Wählt man für das Geburtstdatum der Empirischen
Psychologie systematisches Messen oder Experimentieren, beginnt sie nicht
mit dem Arzt, Philosophen und Psychologen Wilhelm Wundt, sondern mit der
Vermögenspsychologie Nikolaus Tetens, der zur Messung der Nachempfindungen
(1777, S. 32-33) ausführt: "Man kann sogar die Länge dieser Dauer
in den Nachempfindungen bestimmen. Wenn man solche nimmt, die am geschwindesten
wieder vergehen, aber auch stark genug gewesen sind, um gewahrgenommen
zu werden; so ist die kleinste Dauer in den Gesichtsempfindungen 6 bis
7 Terzen, bey den Nachempfindungen des Gehörs nur 5 Terzen und noch
kürzer bey den Nachempfindungen des Gefühls." Und in der Fußnote
No. 1 (S. 33) vermerkt er: "Die Gefühlseindrücke dauern kaum
halb so lange, als die Eindrücke auf das Gehör, wie ich aus einigen
Versuchen weiß, die ich hierüber angestellet habe, deren weitere
Anzeige hier aber nicht her gehöret."
9. Daß
der menschliche Leib z. B. ein organisiertes und ein sich selbst organisierendes
Wesen ist, kann man bereits in der Empirischen Psychologie C. C. E. Schmids
(Jena 1791, S. 425) nachlesen.
10. Heinroth
spricht von Hevristik. Ich danke dem Germanisten Prof. Dr. Naumann, Universität
Erlangen, für die Erläuterung und Belege, daß die Heinrothsche
Formulierung dem Wort und Begriff Heuristik äquivalent ist.
11. Zum
Vergleich: Das Geburtsjahr der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie
beginnt im Jahr 1803 als Reil sein grundlegendes 500seitiges Werk veröffentlicht.
Vor Freud arbeiteten alle allgemein und integrativ.
12.
Psychosynthese. Positiv ressourcen-orientierter und integrativer Psychotherapieansatz
von dem italienischen Psychiater und Psychotherapeuten Roberto Assagioli
(1888 - 1974) erstmals 1910 in seiner kritischen Dissertation zur Freudschen
Psychoanalyse skizziert. Auf dem internationalen Philosophie-Kongreß
in Bologna 1911 stellte Assagioli seine Ansichten zum Unbewußten
dar. 1926 wurde das Instituto di Psicosintesi in Rom gegründet, das
1938 von den Faschisten geschlossen wurde (Wiederöffnung 1944 in Florenz).
1927 erschien der Artikel "A New Method of Healing - Psychosynthesis".
1965 erschien das 1. Hauptwerk "Psychosynthesis: A Manual of principles
and techniques" und 1973 das 2. Hauptwerk "The act of will". 1957 Gründung
der Psychosynthesis Research Foundation in New York. Grundlegend für
den Ansatz ist die Bedeutung, die dem Gesunden und Positiven beigemessen
wird und eine offene und undogmatische Haltung gegenüber der Vielfalt
der international und (alltagskultur-) geschichtlich entwickelten Verfahren,
Methoden und Techniken (Übersicht der ca. 40 "Techniken" [in unserer
Terminologie "Methoden"] dt. 31993, S. 63 - 65). Krankheit ist nur ein
- meist vorübergehender - Aspekt, ein Merkmal, ein Teil des ganzen
Menschen, der auch viele gesunde Anteile und Kräfte hat. Symptome
werden in einer Forschungshypothese als Blockierungen angesehen, deren
Sinn und Funktion exploriert werden muß. Mit der Freisetzung konstruktiver
Kräfte verschwinden nach der Psychosynthese häufig die Symptome.
Die Psychosynthese korrespondiert sehr stark mit der Hauptheilwirkfaktorklasse
Ressourcenaktivierung der Forschungsgruppe Grawe et al. (1994). Assagioli
gebührt auch das Verdienst, die alte psychische Grundkategorie des
Willens wieder für die Psychotherapie erschlossen und nutzbar gemacht
zu haben. Er ist überhaupt der einzige bedeutendere Vertreter eines
Psychotherapiemodells, der eine explizite und praktische Willenspsychologie
entwickelt hat. Auch die grundlegende Bedeutung der Werte und Ziele wird
zu Recht betont. Im Gegensatz zu Freud - im Einklang mit den humanistischen
Ich-PsychoanalytikerInnen und der Humanistischen Psychotherapie - betont
Assagioli 1) die Bedeutung des Bewußten, 2) die Bedeutung der positiven
Ressourcen und 3) die Bedeutung der Gegenwart und Zukunft. Die wissenschaftliche
Bedeutung, die der Parapsychologie zugesprochen wird, bewerten wir aus
GIPT-Sicht kritisch. Lit: Assagioli, R. (dt. 1993, orig. 1965; dt. 1982,
orig. 1973); Crampten, M. in Corsini, R. J. (dt. 1983, 1052 - 1073).
13.
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen.
14. Von
1971-jetzt. Hierbei wurde von FunktionärInnen oft ebenso wenig wie
von den therapieschulorientierten LehrstuhlinhaberInnen erkannt, wie dieses
Konzept bereits in der frühen Psychiatrie und Psychotherapie des 19.
Jahrhundert entwickelt und verbr war eitet (Reil 1803), um die Jahrhundertwernde
einen zweiten Kulminationspunkt erreichte (Löwenfeld, Münsterberg,
Dornblüth) und war und in den 70iger Jahren des 20. Jahrhunderts eine
extrem stürmische Entwicklung nahm. Mit van Quekelberghes, Garfields
und Petzolds Arbeiten war praktisch bereits seit 1980 ein umfassendes Fundament
gelegt.
15. Die
Kommunikation mit der IAEP gestaltet sich nach meiner Erfahrung nicht einfach.
16. Das
Werk sollte man differenziert bewerten. Es besteht im Prinzip aus drei
Teilen: 1) Metaanalyse ohne Effektstärken kontrollierter Studien;
2) Wirksamkeitsnachweis mit Effektstärken zugunsten der Verhaltenstherapie
(dieser Teil hat viel Ärger und Kritik hervorgerufen) und 3) der Entwicklung
der Allgemeinen Psychotherapie - auch aufgrund der Forschungsergebnisse.
Die Metaanalysen sind natürlich methodisch problematisch ebenso wie
das szientistische Konzept der kontrollierten Studie. Ich berufe mich daher
in erster Linie auf den 3) Teil.
17.
Darstellung nach: Sponsel, R. (1995, 289-290).
18. AutorInnenbezogen
geben wir hier in erster Linie deutsche Arbeiten an.
19. Die
Systematik der Psychotherapie ist das erste große moderne grundlegende
Werk zur Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie. Es wurde 1977 bereits
geschrieben und 1979 veröffentlicht.
20. Ausführlich
in Sponsel (1995, S. 102-107), Sponsel 1997.
21. Für
diese Periode benennt er als wichtigste psychische Heilmittel (Heilwirkfaktoren):
Kunst, Kultur, Musik und die Placebo-Tetraede: Gespannte Erwartung, Hoffnung,
Glauben, Vertrauen.
22. Enthält
auf S. XIV die Wortschöpfung "psychologisch-therapeutisch". Organisiert
in drei Abteilungen: "Materia medica", "Materia diaetetica", "Materia psychica".
23.
Von Reil (1808) stammt auch der Begriff Psychiaterie, in: Ueber den Begriff
der Medicin und ihre Verzweigungen, ... (S.161), vgl. hierzu auch Mechler,
A. (1966).
Fußnote 24 über Link ausgelagert (Reil Heilmittel-Hauptsatz).
25.
im Einklang mit der klassischen Logik unterscheiden wir hier kontradiktorisch
(weiß - nicht weiß; fühlen - nicht fühlen, etwa bei
Schmerz erwünscht) und konträr (schwarz-weiß), manchmal
fallen kontradiktorisch und konträr auch zusammen, z. B. beim Heilmittel
(Heilwirkfaktor) Lenken ist die Kontradiktion Nicht lenken und das Konträre
Lassen (Sponsel 1995, S. 188).
26. Mertens
(1993, Bd. 3, S. 192) muß 100 Jahre (!) nach den "Vorläufigen
Mitteilungen" (Freud 11.1.1893) allerdings bekennen, daß "keine elaborierte
Theorie über diese wichtige Thematik" (Heilwirkfaktoren in der Psychoanalyse)
existiert. Aber "Richtlinienverfahren" wollen sie schon sein.
27.
zitiert nach Schipkowensky (1966, S. 236).
28. Reils
phantastisch anmutende Vorschläge wie z. B. einer perfekten theatralischen
Illusionstherapie beruhten immer auf empirischen Berichten und Falldarstellungen,
der Ausgang all dieser kühnen und kreativen Ideen war immer die Beobachtung,
z. B.: Wahn kann manchmal geheilt werden, wenn man dem Wahnsinnigen die
Illusion der Erfüllung seiner Wahnidee in perfekter Hollywoodmanier
vermittelt, wenn man z. B. eine eingebildete Schwangere - scheinbar, aber
für sie überzeugend und glaubhaft - entbindet.
29. zu
den schlagartigen Heilungen > Corsini's "Konfrontative Therapie" Corsini,
R.. J. (1983) Bd. 1, S. 555 ff.
30. Zufriedenheit
auf einer Prozentskala mit natürlichem Minimum und Maximum (Sponsel
In Vorbereitung b).
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Psychotherapieforschung site:www.sgipt.org * Evaluation site:www.sgipt.org. * |