Bin ich wirklich schizophren?
Die unsicheren Diagnosen der Psychiatrie und ihre Folgen
für die Patienten
Buchinweis von Rudolf Sponsel, Erlangen
Bewertung * Zentraler Kritikpunkt * Zentrale Arbeitshypothesen * Inhaltsverzeichnis * Aus dem Vorwort * Fallbeispiele zu Fehldiagnosen * Ausblick * Querverweise *
Burkhardt-Neumann, Carola (1999).
Bin ich
wirklich schizophren? Die unsicheren Diagnosen der Psychiatrie und ihre
Folgen für die Patienten. München: Zenit.
Bewertung: Ein kritisches, mutiges und damit auch wichtiges und nützliches Büchlein, das die Schwächen des "normalen" Psychiatriebetriebes und der Wissenschaft von der Schizophrenie aufzeigt und zu Recht eine grundlegende Veränderung fordert, ohne in antipsychiatrische Dummheiten oder Unterstellungen zu verfallen. Die Autorin, praktizierende Fachärztin für Psychiatrie, weiß, wovon sie spricht. Sie plädiert einerseits konsequent und überzeugend für eine einzelfallorientierte und menschenzentrierte Neubesinnung und andererseits auch für eine neue Wahrhaftigkeit und Qualitätsprüfung in der Beobachtung, Behandlung, Klassifikation und Theorie. Damit werden auch die modernen pragmatischen Diagnosesysteme DSM und ICD zu Recht in Frage gestellt. Es scheint an der Zeit, daß die Psychiatrie sich endlich anschickt, eine echte Wissenschaft zu werden, um eine menschlich und fachlich überzeugende Praxeologie zu verankern, die auch das unnütze Gefälle zwischen PatientIn und Heilfachkundigen zu Gunsten eines partnerschaftlich orientierten Arbeitsbündnisses (Compliance) überwindet, wo es der Bewältigung, Linderung, Besserung oder Heilung im Wege steht. Die Autorin wendet sich zu Recht gegen voreilige Einsortierung in äußerst fragwürdige Schizophrenieschubfächer. Stattdessen spricht sie sich für unvoreingenommenes, sorgfältiges und patientInnen-zentriertes Zuhören und Explorieren aus. |
Zentraler und berechtiger Kritikpunkt des Buches ist, daß unter das Wort "schizophren" eine solch außerordentliche Vielfalt von psychopathologischen (klinischen) Erscheinungen gefaßt wird, daß der Begriff damit zu einem unverbindlichen, nichtssagenden aber im Grunde schon zu einem gefährlichen Etikett verkommen ist. Damit wird auch begründet bestritten, daß es eine Krankheit Schizophrenie gibt. Und damit wird am wissenschaftlichen Status und Niveau der Psychiatrie und Psychopathologie gerüttelt. |
Anmerkung: Wie eine wissenschaftliche psychopathologische Diagnostik konzipiert sein müßte, finden Sie hier.
1) Es ist beim derzeitigen Forschungsstand
nicht sinnvoll, Schizophrenie als eine Krankheit
zu betrachten.
2) Sinnvoll ist es, die verschiedenen schizophrenen Syndrome zu unterscheiden. 3) Sinnvoll ist es weiter, für ein schizophrenes Syndrom stets unterschiedliche Grunderkrankungen zu berücksichtigen. |
Kapitel 1: Ist die Psychiatrie ein Fachgebiet der Medizin? 13
Kapitel 2: Wozu braucht die Psychiatrie Diagnosen? 22
Kapitel 3: Wie entstehen und wozu führen psychiatrische Fehldiagnosen?
31
Kapitel 4: Haben alle Schixophrenen die gleiche Krankheit? 50
Kapitel 5: Wer hört Stimmen? Und wer hat sonstige besondere
Fähigkeiten? 68
Kapitel 6: Wer braucht und wer hat Krankheitseinsicht? 90
Kapitel 7: Wie wirkt Placebo? Und wem helfen Psychopharmaka? 102
Kapitel 8: Wie werden Psychiater am zweckmäßigsten behandelt?
119
Kapitel 9: Was und wer hilft Psychosekranken? 130
Literaturverzeichnis 141
"Dieses Buch will Menschen Mut machen,
die an einer eher gutartigen Form der Schizophrenie erkrankt sind.
Gutartig hat hier nichts mit "leicht" oder "harmlos" zu tun. Vielleicht haben Sie schreckliche und höchst gefährliche Zustände erlebt, die Ihr ganzes Leben erschüttert haben. Trotzdem finden viele Menschen mit ähnlichen Erfahrungen nach der Erkrankung wieder ganz zu sich zurück und dürfen sich als gesund betrachten. Genau dies ist mit einer gutartigen Verlaufsform gemeint. Schwerwiegendere Verlaufsformen einer Krankheit führen hingegen zu bleibenden Beeinträchtigungen. Wenn Sie wissen, daß Sie krank waren und weiterhin gefährdet bleiben, können Sie viel dazu tun, sich mit Ihrer Besonderheit besser zu verstehen, drohende Krisen selbst [<7] im Voraus erkennen und Schutzmaßnahmen ergreifen. Dazu kann auch die vorübergehende Einnahme von Medikamenten gehören. Dauernd Medikamente einzunehmen ist für Menschen mit eher gutartigen Psychosen eine zwiespältige Empfehlung. Der Rückfallschutz, den die Medikamente versprechen, wird teuer erkauft mit der Einschränkung der seelischen Lebendigkeit. Wer nach dem Abklingen der Psychose wieder gesund ist, braucht logischerweise keine Medikamente mehr, sondern schadet sich womöglich. In den letzten Jahren hat es sich weitgehend eingebürgert, allen Patienten sofort nach dem ersten Auftreten einer Psychose eine Langzeitmedikation von mindestens einem, eher sogar zwei Jahren zu verordnen. Das war nicht immer so. Eine ältere Empfehlung lautete, die Entscheidung für eine Langzeitbehandlung erst nach etwa zwei Jahren zu treffen. Zweifellos war dies logischer, weil man vorher ja gar nicht wissen kann, ob die Krankheit einen eher gutartigen Verlauf nimmt oder schwerwiegend ist. In der Psychiatrie wie in allen medizinischen Disziplinen gehen die herrschenden Lehrmeinungen immer wieder hin und her. Gerade in diesem Fach sollten aber die Patienten/innen als Experten in eigener Sache ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Bei Psychosen geht es um das ganz persönliche innere Erleben, das sich nicht durch Laborbefunde, Fragebögen und dergleichen objektiv feststellen läßt. Nur Menschen mit Psychoseerfahrung können helfen, gewisse wissenschaftlich umstrittene Fragen der Psychiatrie zu klären. Die Zusammenschlüsse der Psychiatrie-Erfahrenen haben sich dieser wichtigen Aufgabe in den letzten Jahren bereits gestellt." |
"Als erstes will der kranke Mensch wissen:
'Was habe ich? Wo kommen meine Bauchschmerzen her?' Die Diagnose gibt ihm
die Sicherheit, daß der Arzt seinen Zustand wiedererkennt als eine
Gesundheitsstörung, die auch schon bei anderen Menschen aufgetreten
ist und deshalb einen Namen hat, beispielsweise "Gastritis". Für den
geplagten Patienten hat bereits diese Namensgebung in der Regel eine entlastende
Wirkung, bekannt als 'Rumpelstilzchen-Effekt.'
Als nächstes will die Krankenkasse wissen, daß der Patient rechtmäßig krankgeschrieben wird. Anspruch auf diese Vergünstigung besteht nur bei einer anerkannten Krankheit, die eine entsprechende Bezeichnung trägt. Bei häufigen, leicht und sicher behandelbaren Bagatellerkrankungen ist der psychologische und soziale Zweck einer Diagnose oft wichtiger als ihre medizinische Bedeutung. [<22] Bei ernsten oder unklaren Gesundheitsproblemen ist die Diagnose jedoch die Voraussetzung der Behandlung. Deshalb muß ieder Mediziner sich zunächst klar werden 'Vor die Theranie hahen die Götter die Diagnose gestellt.' Im günstigsten - und eher seltenen - Fall ergibt die Diagnose sogleich die Behandlungsanweisung." |
Wie
entstehen und wozu führen psychiatrische Fehldiagnosen ?
Fall 1: Eifersuchtswahn bei nicht erkanntem Hirntumor
Fall 2: Schizoaffektive Psychose statt Cannabispsychose
Fall 3: Paranoid-halluzinatorische Schizophrenie statt akute vorübergehende
psychotische Störung
Fall 4: Paranoide Schizophrenie statt Schizophreniforme Störung
mit günstigen prognostischen Mermalen
Fall 5: Paranoide Schizophrenie statt Schizophreniforme Störung,
vermutlich induziert durch Malariaprophylaxe, Rezidiv nach Absetzen der
Langzeitmedikation
Fall 6: Hebephrenie statt Zustand nach Adoleszenzpsychose.
Kritische Anmerkung: Obgleich die Autorin S. 29 meint: "'Psychose' ist sowenig eine Diagnose wie das oben erwähnte Beispiel 'akuter Bauch'" weicht sie selbst mehrfach auf diesen noch allgemeineren Begriff der 'Psychose' aus und widerspricht sich damit ein bißchen selbst.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Diagnostik site:www.sgipt.org * Fehldiagnosen site:www.sgipt.org * Psychiatrie site:www.sgipt.org. oder <Psychopathologie site:www.sgipt.org> |