Psychologische Analyse des Phantasiebegriffs
Teil 7
Forensische Aussagepsychologie und Phantasie
Ein Ansatz und Entwurf aus integrativer Perspektive zur Weiterentwicklung
Originalarbeit (1. Version) von
Rudolf
Sponsel, Erlangen
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7 Forensische Aussagepsychologie und Phantasie.
Man kann der Übersichtsgraphik entnehmen, dass es eine ganze Reihe
von Fehlermöglichkeiten für nicht tatsächlich
realerlebnis-begründete Aussagen gibt. In sämtlichen Fehlleistungen,
auch bei der Lüge, kann Phantasie eine Rolle spielen. Mit dieser bloßen
Zuordnung ist aber noch nicht viel gewonnen. Psychologisch interessanter
ist die Frage, wie man das unterscheiden, begründen und erklären
kann?
Auch beim Irrtum gibt es noch weitere Fallunterscheidungen. Die beiden
hauptsächlichsten Varianten beim Irrtum sind: wird ein Irrtum für
möglich erachtet, erwogen oder nicht? Wird ein Irrtum gar nicht möglich
erachtet, dann kann die Aussage mit Gewissheit vertreten werden, was dann
oft besonders überzeugend wirkt.
Potentielle Quellen für Phantasieantworten
bei Aussagen
Eine Phantasie ergänzt oder erzeugt einen Sachverhalt, der nicht
tatsächlich realisiert wurde.
Die Gretchenfrage lautet: warum geschieht das? Warum erzeugen oder
ergänzen Menschen Sachverhalte, die (so) nicht stattgefunden haben?
In der Regel geschieht dies nicht bewusst. Geschieht es mit Wissen und
Absicht, liegt eine Lüge vor. Es sind aber auch Zwischen- oder Grenzzustände
möglich, wo der Erzählende Phantasieanreicherungen für möglich
hält.
Hypothesen zur Frage, was kann hinter der
Phantasieproduktion bei Aussagen stecken?
Diese Frage ist m.W. bislang noch nicht systematisch untersucht worden.
Als erstes möchte ich daher eine Reihe von Hypothesen aufstellen,
die die Phantasieproduktion in Aussagen aufklären können. Hierbei
sind natürlich die Haupthypothesen (> Theorie),
wie es überhaupt zu Phantasien im Bewusstseinsstrom kommen kann, zu
berücksichtigen.
Hierbei die die Kant'schen Hypothesen zur
phantasmatischen
Selbstaffektion - ein fürchterliches akademisches Wortungetüm
- von grundsätzlicher Bedeutung. Gemeint ist kurz und bündig,
dass unsere erfahrungsgegebenen Vorstellungen in die Wahrnehmung mehr oder
minder einfließen können
H2 Erwartungsdruck
Der Befragte nimmt an, das der Vernehmende etwas hören will. Der
Befragte fühlt so etwas wie "Lieferdruck". Ich muss etwas sagen, das
erwartet man von mir. Ich will brav sein., Ich will gefällig sein.
Ich darf nicht enttäuschen.
H3 Ergänzungsdruck
Der Befragte nimmt an, dass seine Erinnerungen so nicht vollständig
sind, Lücken haben. Der Befragte möchte nach seinen Vorstellungen
eine ganze Geschichte liefern.
H4 Assoziierte
Merkmale, die sich in Vergegenwärtigung mischen
Aus anderen Zusammenhängen und früheren Erfahrungen können
sich mit den aktuellen Bewusstseinselementen assoziierte Merkmale hineinmischen,
die mit dem eigentlichen Erleben, um das es geht, nichts zu tun haben.
H5 Motivbedingte
Assoziationen
Wünsche, Bedürfnisse, Interessen, zusammengefasst motivbedingte
Gründe können Assoziationen, die nicht dem Wirklichkeitsgeschehen
entsprachen, hinzufügen.
H6 Wissensbedingte
Assoziationen
Das Wissen kann insofern einen Streich spielen, dass etwas erinnert
und ausgesagt wird, das gar nicht stattgefunden hat. Beispiel: Danach
hat er die Hose zugeknöpft. Das kann aus mehreren Gründen
mehrfach falsch sein: (1) weil er es nicht gemacht hat; (2) weil er gar
keine Hose mehr anhatte (nur die Unterhose); (3) weil die Hose gar nicht
zum Knöpfen war, sondern einen Reissverschluss hatte. Das kann durch
suggestive Vorgaben - was hat er dann gemacht - oder Bedrängen?
- wiederholen oder verstärken der suggestiven Vorgabe - na sag
schon, was hat er dann gemacht, als er die Hose wieder anzog? Das lässt
sich durch anschließende Wissenprüfung weiter erkunden: Was
macht ein Mann alles, wenn er sich nach dem Aufwachen anzieht?
Hierzu kann man auch die Erfahrungen und Einstellung
rechnen > phantasmatische
Selbstaffektionen nach Kant. Man projiziert Normalerfahrungen
auch in Objekte und Geschehnisse, wenn sie gar nicht oder nicht vollständig
gegeben sind.
H7 Suggestive Vorgaben
Eine häufige und gefährliche externe Quelle für Phantasieantworten
sind Suggestivfragen
der Explorierenden oder Vernehmenden. Je mehr diese als Autorität
anerkannt werden, desto stärker sind diese Fehlerquellen.
Phantasien, die auf suggestive Vorgaben zurückgehen
können, sind grundsätzlich leicht erkennbar, wenn wortwörtliche
Fragen oder Vorgaben erfasst sind.
H8 Bedrängen
Bedrängen ist mehr als eine suggestive Vorgabe. Beispiele: Sag,
war es nicht nicht so? Noch massiver: Sag doch endlich, war es nicht so?
Oder: Das hast Du schon einmal zugegeben!
H9 Eingeredet
Einreden hat vor der Aussage stattgefunden. Durch das Einreden wird
der eingeredete Sachverhalt Teil der - dann falschen oder verfälschten
- Erinnerung. Was man meinte erlebt zu haben, hat man gar nicht so erlebt,
sondern durch das Einreden in die Erinnerung (falsch) eingearbeitet.
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Struktur der Aussage | ||||
Merkmalsanalyse | ||||
Handlungssequenz-Analyse | ||||
Konstanzanalyse | ||||
Anzahl Elementar-Sachverhalte | ||||
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Wenn sich herausstellen sollte, dass die vier Aussagetypen im jeweiligen Einzelfall keine wesentlichen Unterschiede erkennen lassen, kann dieser Forschungsansatz eingestellt und geschlossen werden.
Der Phantasiebegriff
in Begabung (1976), S. 132f:
"1. Begriff der Phantasie und des kreativen Denkens
Wenn die Gedanken (z. B. Problemlösungen) und Vorstellungen
eines Menschen nicht von anderen übernommen, vielmehr für ihn
und die Population, in der er lebt, neu sind, sprechen wir von
kreativen Gedanken bzw. von Phantasieprodukten.
Die Phantasieleistungen und kreativen Denkleistungen
enthalten jeweils als ganze ein Moment des Neuen, oft des Originellen,
auch wenn die einzelnen Teile desselben („Elemente") schon vorher bekannt
waren. Schon Existierendes wird also neu verknüpft {K03h},
neu gestaltet.
...
Den Begriff „produktives" Denken vermeiden
wir hier, weil wir ihn im System unserer Arbeitsbegriffe als Gegensatz
zum rezeptiven und zum reproduktiven Denken benötigen — das Moment
des „Neuen" ist für unseren Begriff des produktiven Denkens
nicht so entscheidend wie die Tatsache, daß der Denkende seine Gedanken
selbst
entwickelt, sie selbst hervorbringt und sie nicht etwa nur aufnimmt, auffaßt,
nachdem sie von anderen dargeboten worden sind. Kreatives Denken ist
nach dieser Begriffsbestimmung immer produktiv, aber nicht jedes produktive
Denken ist kreativ.
Unser Begriffsumschreibung sei im folgenden
noch erläutert: Der Begriff der Phantasie soll sich in
unserem System der Arbeitsbegriffe nur auf den Bereich der Vorstellungen,
das kreative Denken auch auf den Bereich der abstrakten Gedanken
beziehen."
Phantasie bei Arntzen in der Psychologie
der Zeugenaussage (1993, 3. A.)
Es finden sich folgende Sachregistereinträge: Phantasieeinfälle
und -produkte 28, 34, 49, 53, 114, 121, 123 —, Wiedererinnerung von 54,
Phantasieprüfung 34, 72, 128.
Phantasie bei Undeutsch Handbuch
der forensischen Psychologie (1967)
Undeutsch hat in seinem Artikel Beurteilung der Glaubhaftigkeit
von Aussagen keinen eigenen Abschnitt zur Phantasie, aber eine Reihe
von Sachregistereinträgen zum Stichwort Phantasie : 34f., 46, 72-78,
81, 154.
Phantasie bei Trankell
Das Thema Phantasie hat bei Trankell in seinem Buch Der Realitätsgehalt
von Zeugenaussagen, keinen eigenen Abschnitt. Das Wort wird auch im
Glossar nicht erfasst, auch nicht die früher gern gebrauchte "Einbildungskraft".
Folgender Abschnitt, S. 22f, betrifft aber in der Sache auch die Phantasie
("Wunschträume"), obwohl sie nicht ausdrücklich genannt wird:
Phantasie bei Stern (im Bereich
Aussagepsychologie)
Allerdings muss man bedenken, dass es in der aussagepsychologischen
Untersuchung nur auf den Einzelfall ankommt (> Methode).
Dennoch sind allgemeine Informationen, was hinsichtlich Phantasieneigungen
zu erwarten und damit zu berücksichtigen ist, hilfreich und sinnvoll.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site: www.sgipt.org
z.B. Definition definieren site: www.sgipt.org. |
korrigiert: 24.08.2017 irs