Persönlichkeitsstörungen schon bei Kindern und Jugendlichen?
Kritische Fragen an die Leitlinien in der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie und Anregung zur Diskussion
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Mit Erstaunen und einem gewissen Entsetzen lese ich in den Leitlinien
zur Persönlichkeitsstörung bei KiJugs folgenden unverständlichen,
weil im Kontext widerspruchsvollen Text:
Ich möchte gegen diese Version Grundsätzliches einwenden:
I.
Es ist grundsätzlich falsch, weil logisch widerspruchsvoll, Kindern oder Jugendlichen oder auch sogar Heranwachsenden die Diagnose Persönlichkeitsstörung zuzuordnen, da eine solche Diagnose nach ICD und DSM überhaupt erst ab dem heranwachsenden Alter auftreten kann, weil sich da die Persönlichkeit ja erst bildet und auch erst bilden kann. So sehen es jedenfalls die allgemeinen Kriterien für Persönlichkeitsstörungen. Wollte man das Konzept schon bei Kindern oder Jugendlichen einführen, müsste das gesamte bisherige Konzept überarbeitet werden. |
II.
Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung verlangt im ICD und DSM - im Gegensatz zu Neurosen, Psychosen Anpassungs- und Belastungs- oder auch rückbildungsfähigen organisch bedingten Störungen - eine zeitliche Konstanz, quasi einen symptomatischen "roten Faden", der sich durch das Leben zieht. Dies muß bei Persönlichkeitsstörungen sozusagen retrospektiv (rückblickend) aufgezeigt werden können. Eine solcher Rückblick ist aber faktisch und per definitionem erst im Erwachsenenalter möglich (kaum vor 24). |
III.
Eine Stabilität ist entweder da oder nicht da. Es gibt keine mehr oder minder Stabilität, bei KiJugs etwa "deutlich geringere Stabilität" - erst recht nicht, wenn noch nicht einmal klare Operationalisierungen für dieses gummi-nebulöse Mehr oder Weniger angegeben werden. |
Damit (I, II, III) ergibt sich summa summarum der zwingende Schluß, daß es nach den ICD und DSM-Kriterien unmöglich ist, für Jugendliche oder gar Kinder die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung zu stellen.
Es entsteht der Eindruck, als ob hier zwanghaft versucht würde, alle Syndromem, Störungen und Krankheiten, die ICD und DSM für Erwachsene ausweisen, auch bei KiJugs zu etablieren, und zwar ohne umfangreiche epidemiologische_Evaluation - jedenfalls nicht ausgewiesene. Durch welche unanbhängigen, mehrfachen und empirischen Längsschnitt- Untersuchungen wurde belegt, daß bei Kindern und Jugendlichen schon eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden darf?
Ich frage mich, was die Verantwortlichen für die diagnostischen
Leitlinien dazu bringt, solche fragwürdigen und gefährlichen
Leitlinien so schnell in die Öffentlichkeit zu bringen? Umsomehr,
wenn man sich vergegenwärtigt, welche fatalen Folgen das Labeln einer
schon Kindern zugewiesenen "Persönlichkeitsstörung" haben, also
auch ethisch bedenklich sein kann.
Was für fragwürdige Auswirkungen solche Leitlinien haben,
läßt sich aktuell z.B. nachlesen bei:
"Persönlichkeitsstörungen beginnen in der Kindheit und Jugend, nehmen eine lebenslange Entwicklung und manifestieren sich in typischer Form auf Dauer im frühen Erwachsenenalter. Aufgrund des Entwicklungsaspektes einer psychischen Störung im Kindes- und Jugendalter darf in der ICD-10 die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vor Abschluß der Pubertät, d.h. vor dem 16. – 17. Lebensjahr nur dann gestellt werden, wenn die geforderte Mindestzahl der Kriterien für die jeweilige Störung erfüllt ist und die Verhaltensmuster bereits in diesem Alter andauernd, durchgehend und situationsübergreifend auftreten. Die Stabilität der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung im Jugendalter ist deutlich geringer als im Erwachsenenalter. Die Zustandsbilder der Persönlichkeitsstörungen dürfen nicht auf andere psychiatrische Störungen zurückzuführen sein und nicht als Folge einer organischen Schädigung oder Erkrankung auftreten. Sie sind gekennzeichnet durch:
Quelle: Persönlichkeitsstörungen: uni-duesseldorf
ll kipp033. AWMF meldet 2008, dass die Gültigkeit abgelaufen sei und
überprüft werde. Es wird angegeben "Zitierbare Quelle: Dt.Ges.f.
Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u.a. (Hrsg.): Leitlinien
zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-,
Kindes- und Jugendalter. Deutscher Ärzte Verlag, 3. überarbeitete
Auflage 2007 - ISBN: 978-3-7691-0492-9, S. 141 - 152.
Die Definitionen "Persönlichkeit" und "Persönlichkeitsstörung" sowie der Kriterien sind wie meist unscharf und unklar. Das liegt vor allem am methodologisch so gut wie nicht vorhandenen Niveau psychiatrischer Diagnostik und in der Hauptsache an der fatalen Fehleinschätzung, die Grundlage aller Psychiatrie sei das Symptom. Die Grundlage aller Psychologie und Psychologie waren, sind und bleiben die Daten des Erlebens und Verhaltens - sowie der Körperdaten. Diese sind das Fundament, sozusagen das Erdgeschoss, auf das man alles aufbauen könnte - wenn es denn vorhanden wäre. Nicht einmal im - zu Unrecht - viel gerühmten DSM-5. Fairerweise muss gesagt werden, dass sich auch die PsychologInnen
Die Arbeit
von Schmeck und Schlueter-Mueller (2009)
Hier fragt sich natürlich jeder halbwegs mit gesundem Menschenverstand
ausgestattete Mensch, ob man diese Frage nicht an den Anfang des Buches
stellen muss und wenn man sie nicht positiv beantworten kann, nicht besser
auf ein solches Buch verzichten sollte.
Nicht minder merkwürdig ist die eingangs, S. 12, Mitteilung:
Die Mitteilung erscheint insofern absurd, als ja völlig klar
ist, dass die Mindestzahl der Kriterien erfüllt sein muss, weil sonst
ja nach den Regeln gar keine Persönlichkeitsstörung vorliegt.
Das gilt natürlich genauso für das 2. Kriterium (S. 13) der durchgehenden
und situationsübergreifenden Kontinuität der Verhaltensmuster.
Anmerkung zum ersten Irrtum ("Es wird von der Vorstellung ausgegangen,
dass sich Entwicklung in Kindheit und Jugend abspielt und mit dem 18. Lebensjahr
weitgehend abgeschlossen ist. ..."): Diesen Irrtum kann nur jemand begehen,
der in Entwicklungspsychologie nicht ausgebildet wurde.
Obwohl also Kontinuität als 2. Kriterium gefordert wird, teilen
die AutorInnen im 7. Kapitel, S. 112, mit:
Die großen Widersprüche in dieser Arbeit deuten sehr
stark darauf hin, dass das gesamte Konzept der Persönlichkeitsstörung
sehr fragwürdig ist und damit erst Recht für Kinder und Jugendliche.
Auch das spricht nicht für die Kompetenz psychiatrischer Psychodiagnostik,
wie schon die Klassifikationssysteme ICD und besonders wieder DSM-5
nahelegen.
Diagnostik
und Differentialdiagnostik
Diagnostik
und Differentialdiagnostik
Änderungen Kleinere
Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet
und ergänzt.
16.07.20 LitErg.
31.03.15 Restlinkfehler korrigiert.
10.03.15 Methodologische
Fehlleistungen: die
Arbeit von Schmeck und Schlüter-Müller.
09.03.15 Linkfehler geprüft
und korrigiert. Layoutaktualisierung.