Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=25.09.2000 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung 29.5.3
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20     D-91052 Erlangen * Mail:_sekretariat@sgipt.org_ Zitierung  &  Copyright

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    Willkommen in der Buchbesprechungs- & Rezensions-Abteilung der GIPT:

    "Integrative Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen"

    Fiedler, Peter (2000). Integrative Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen. Göttingen: Hogrefe.
          373 Seiten. ISBN 3-8017-1355-5  DM 69.00  Eingang des Rezensionsexemplars am 3.3.2000.

     Engagierte Rezension in 10 Teilen von Rudolf  Sponsel, Erlangen (09.00-11/01)

    Fiedler 0-3:  Teil 0  Teil 1   Teil 2   Teil 3
    Fiedler 4-6:   Teil 4   Teil 5   Teil 6
    Fiedler 7-9:   Teil 7    Teil 8 Teil 9   Anhang: Materialien, Belege, Querverweise

    Teil 0   gleich zum Inhaltsverzeichnis

    Einführung: Dem Inhaltsverzeichnis nach, daran kann wohl kaum ein Zweifel bestehen, ist das Buch von Peter Fiedler ein wichtiges und interessantes Buch für PsychotherapeutInnen aller Schulen - trotz verschiedener Mängel und Schwächen, auf die ich jeweils themabezogen eingehen möchte. Nicht zuletzt deshalb, weil das Thema Psychotherapie der PS (Persönlichkeitsstörungen) sehr nahe und damit pragmatisch an den internationalen Diagnosekatalogen (DSM und ICD) ausgerichtet ist. Persönlichkeitsstörungen sind - auf Grund zahlreicher Komorbidäten - nicht nur schwierig zu (differential) diagnostizieren, sondern auch die Psychotherapie und - möglicherweise auch eine interdisziplinäre - Therapie sind nicht gerade einfach. Besonders verdienstvoll ist es daher auch, die Stärken und Schwächen der verschiedenen und hauptsächlichen Therapieschulen vergleichend zusammengestellt zu haben und damit einer evaluativen Bewertung zugänglich zu machen. Ein Highlight ist zweifellos auch das Aufgreifen und die Diskussion des "Stigmatisierungsproblems" im 2. Kapitel, das mit der Etikettierung einer Persönlichkeitsstörung einhergehen kann und daher von nicht wenigen TherapeutInnen zum Leidwesen der EpidemiologInnen gern vermieden wird. Das Problem wird aber durch ein radikales Zitat des großen Psychopathologen Karl Jaspers ethisch noch einmal verschärft, wenn Jaspers (1913) sagt: "Menschlich aber bedeutet die Feststellung des Wesens eines Menschen eine Erledigung, die bei näherer Besinnung beleidigend ist und die Kommunikation abbricht." [F00]

    Inhaltsverzeichnis "Integrative Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen"
     
    1 Einführung  S.1 
    1.1 Die Indikationsfrage in der Psychotherapie S. 3
    1.2 Integrative Psychotherapie S. 9

    2 Prolog: Das Stigmatisierungsproblem  11 
    2.1  Begründung der Stigmatisierungshypothese  11 
    2.1.1  Diagnose 12 
    2.1.2  Stigmatisierung  14 

    2.2  Einschränkung der Stigmatisierungshypothese  15 
    2.2.1  Briefe  15 
    2.2.2  Persönlichkeitsprofil  18 
    2.2.3  Therapeutische Konsequenzen  20 

    3   Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörung 
       Zwei Seiten einer Medaille  22 
     3.1  Persönlichkeit  23 
     3.2  Persönlichkeitsstörungen 26 
     3.3  Vom persönlichen Stil zur Persönlichkeitsstörung 
       Die Dimensionierung der Typologie 29 
     3.4  Persönlichkeitsstile und Persönlichkeitsstörungen  34 
            3.4.1   Misstrauisch-scharfsinnige Persönlichkeit 
                Paranoide Persönlichkeitsstörung  34 
            3.4.2   Zurückhaltend-einzelgängerische Persönlichkeit 
                Schizoide Persönlichkeitsstörung  35 
           3.4.3    Ahnungsvoll-sensible Persönlichkeit 
                Schizotypische Persönlichkeitsstörung  36 
            3.4.4   Abenteuerlich-risikofreudige Persönlichkeit 
               Dissoziale Persönlichkeitsstörung  36 
            3.4.5   Spontan-sprunghafte Persönlichkeit
               Borderline-Persönlichkeitsstörung  37 
            3.4.6   Expressive und selbst darstellende 
                       Persönlichkeit. Histrionische 
                       Persönlichkeitsstörung  38 
            3.4.7   Ehrgeizige und sich selbst bewusste 
                       Persönlichkeit 
                Narzisstische Persönlichkeitsstörung  39 
            3.4.8   Selbstkritisch-vorsichtige Persönlichkeit 
               Ängstlich vermeidende Persönlichkeits-
                      störung  40 
            3.4.9   Anhänglich-loyale Persönlichkeit 
                Dependente Persönlichkeitsstörung  41 
            3.4.10 Sorgfältig-gewissenhafte Persönlichkeit 
                Zwanghafte Persönlichkeitsstörung  42 
            3.4.11 Passiv-pessimistische Persönlichkeit 
                Depressive Persönlichkeitsstörung  43 
            3.4.12 Kritisch-zögerlichePersönlichkeit 
                Negativistische Persönlichkeitsstörung  44 
     3.5 Störungsübergreifende Merkmale 45 
     3.6 Komorbidität und Prognose 47 
           3.6.1   Komorbidität mit spezifischen psychischen 
                      Störungen 48 
           3.6.2   Komorbidität der Persönlichkeitsstörungen 
                      untereinander 50 

    4  Integrative Psychotherapie 
       Von der selektiven zur differenziellen Indikation  55 
    4.1  Therapieschule: Nachsitzen ohne Ende, und immer die 
           gleichen Lehrer  56 
    4.2  Schulübergreifende Perspektiven  58 
           4.2.1   Common-Factor-Forschung: 
                      Wirkvariable, Veränderungsprinzip 58 
           4.2.2   Differenzielle Indikation: 
                      Phänomenorientierung, Störungsspezifität 63 
    4.3  Integrative Psychotherapie 65 
           4.3.1   Störungsspezifität und Phänomenorientierung 66 
           4.3.2   Von der Ätiologie zur integrativ.  Behandlg.  67 
           4.3.3   Blick über die Grenzen  68 
    4.4  Therapieplanung 71 
           4.4.1   Exploration und Problemanamnese  72 
           4.4.2   Phänomenordnung und Differenzialdiagnose 74 
           4.4.3   Vom allgemeinen zum individuellen 
                      Erklärungsmodell  76 
           4.4.4   Vom allgemeinen zum individuellen 
                      Behandlungsplan 77 
    4.5  Integrative Psychotherapie in der Praxis  80 
           4.5.1  Patientenschulung: Aufklärung und Inform.  80 
           4.5.2  Problemaktualisierg: Klärung und Bewältigung 84 
           4.5.3  Ressourcen-Orientierung (a): Aktivierung
                     persönlicher Stärken und Qualitäten 86 
           4.5.4  Ressourcen-Orientierung (b):  Aktivierung 
                     sozialer  Stützsysteme und Sozialberatung 88 
           4.5.5  Transfersicherung: Stabilisierung der 
                     Behandlungserfolge 89 
    4.6  Therapie-Schule bereitet auf das Leben vor 
       Was kommt danach?  89 

    5   Grundkonzepte der Psychotherapie 
       Gemeinsamkeiten und Unterschiede  91 
    5.1  Psychoanalyt. u. tiefenpsychologische Therapie  92 
    5.2  Interpersonelle Psychotherapie 97 
    5.3  Verhaltenstherapie  101 
    5.4  Gesprächspsychotherapie 105 
    5.5  Therapieschulen im Vergleich: Mehr Unterschiede als 
           Gemeinsamkeiten   108 

    6   Selektive Indikation: Welches Grundkonzept passt zu 
          welcher Persönlichkeit?  113 
    6.1  Persönlichkeitstheoretische Grundlagen:  Nicht jedes 
           Grundkonzept passt zu jeder Persönlichkeit   114 
    6.2  Struktur: Selbstkontrolle versus Selbstaktualisierung
    6.3  Beziehung: Bindung versus Autonomie  122 
    6.4  Existenzielle Orientierung: Wohlbefinden versus 
           Schmerz  127
    6.5  Temperament: Aktivität versus Passivität 129
    6.6  Gesunde Persönlichkeit und funktionaler 
           Persönlichkeitsstil 131 
           6.6.1  Sozial bezogene Autonomie  131 
           6.6.2  Erfahrungsoffene Selbstsicherheit  132 
           6.6.5  Therapieziele 133 
    6.7  Markante Persönlichkeitsstile und 
           Persönlichkeitsstörungen 134 
           6.7.1 Komorbiditätsanalyse: Validierung der 
                    Ordnungsmuster 134 
           6.7.2 Ambivalenz und Konflikt  136 
           6.7.3 Beziehung und Struktur 137 
           6.7.4 Persönliche Stile als Ausweg 138 
           6.7.5 Einübung in Selbsttäuschung 140 
    6.8  Selektive Indikation: Welche Therapieziele und 
           Grundkonzepte für welche Persönlichkeitsstör?  141 
           6.8.1 Strukturierte und zielorientierte Therapieangebote: 
             Selbstkontrolle und Selbstvertrauen  142 
           6.8.2 Einsichts- und beziehungsorientierte 
                    Therapieangebote: Selbstaktualisierung und 
                    Offenheit gegenüber Erfahrungen  145 
           6.8.3 Training sozialer Fertigkeiten: 
             ProsozialeAutonomie  147 
           6.8.4 Interpersonell orientierte Therapieangebote: 
             Vertrauen in soziale Beziehungen  150 
           6.8.5 Fokusbildung: 
            Psychosoziales Konflikmanagement   153 
           6.8.6 Ressourcen-Orientierung: 
            Persönliche Stile als Kompetenzen    155 

     7  Differenzielle Indikation: 
       Störungsspezifische Psychotherapie  158 

     7.1 Borderline-Persönlichkeitsstörung 160 
           7.1.1   Störungsbild und Ätiologie 160 
           7.1.2   Erste therapeutische Ziele 166 
           7.1.3   Therapeutische Beziehung 167 
           7.1.4   Krisenmanagement  169 
           7.1.5   Thema Missbrauch 170 
           7.1.6   Problemaktualisierg. u. Problembewältigung 172 
           7.1.7   Das False-Memory-Syndrom 175 
           7.1.8   Selbstkontrolle und Selbstmanagement 176 
           7.1.9   Strukturierung des psychosozialen Umfeldes 179 
           7.1.10 Überlegungen zum Transfer 179 
     7.2 Dissoziale Persönlichkeitsstörung  181 
           7.2.1  Störungsbild  181 
           7.2.2  Allgemeine Therapieziele 183 
           7.2.3  Ein Therapie-Pessimismus ist ungünstig! 185 
           7.2.4  Verhaltenstherapeutische Trainingsprogr. 188 
     7.3 Schizotypische Persönlichkeitsstörung 191 
           7.3.1  Störungsbild 191 
           7.3.2  Therapieziele 193 
           7.3.3  Therapeutische GesprächsBührung  195 
           7.3.4  Patientenschulung als vorrangiges Psychothera-
                     pieziel 195 
           7.3.5  Aufbau v. Selbstsicherheit u. Selbstvertrauen  199 
    7.4  Schizoide Persönlichkeitsstörung 201 
           7.4.1  Störungsbild 202 
           7.4.2  Therapieziele 203 
           7.4.3  Behandlungskonzepte  204 
           7.4.4  Aktivierung persönlicher Ressourcen 205 
           7.4.5  Aktivierung sozialer Ressourcen und Transfer 206 
     7.5 Zwanghafte Persönlichkeitsstörung 207 
           7.5.1  Störungsbild 207 
           7.5.2  Therapieziele 208 
           7.5.3  Behandlung: selektive Indikation  208 
           7.5.4  Psychosoziales Konfliktmanagement  212 
     7.6 Dependente Persönlichkeitsstörung  214 
           7.6.1  Störungsbild 2l4 
           7.6.2  Therapieziele 215 
           7.6.3  Therapeutische Beziehung  216 
           7.6.4  Patientenschulung  217 
     7.7 Selbstunsichere und ängstlich-vermeidende 
           Persönlichkeitsstörung  219 
           7.7.1  Störungsbild 219 
           7.7.2  Therapieziele  220 
           7.7.3  Training sozialer Kompetenzen 222 
           7.7.4  Parallelisierung von Gruppentraining und 
                     Einzeltherapie 231 
     7.8 ParanoidePersönlichkeitsstörung 232 
           7.8.1  Störungsbild 232 
           7.8.2 Therapieziel: Konfliktberatung 234 
           7.8.3 Psychosoziales Konfliktmanagement  236 
     7.9 Negativistische Persönlichkeitsstörung 240 
           7.9.1 Störungsbild 240 
           7.9.2 Therapieziele 241 
           7.9.3 Komorbidität: Grundlage für die konkrete 
                    Therapieplanung  243 
           7.9.4 Therapeutische Beziehung 244
     7.10 Histrionische Persönlichkeitsstörung 246 
             7.10.1  Störungsbild   246 
             7.10.2  Konkrete Therapieziele und klare Struktur 248 
     7.11 Narzisstische Persönlichkeitsstörung  255 
             7.11.1  Prolog  255 
             7.11.2  Störungsbild   257 
             7.11.3  Therapeutische Ziele   260 
             7.11.4  Analyse   262 
             7.11.5  Supervision und Beratung von Patienten  268 
             7.11.6  Epilog   270 

     8 Adaptive Indikation 
       Krisenprophylaxe und Krisenmanagement   272 
     8.1   Behandlungsbeginn 
       Flexibilität bereits bei der Planung  274 
             8.1.1 Solitäre symptom. psychische Störungen  274 
             8.1.2 Komorbidität 275 
             8.1.3 Persönlichkeitsstörung als Hauptdiagnose 279 
     8.2   Behandlungsverlauf 
       Schweregrad der akuten Störungen  281 
             8.2.1  Selbst- bzw. Fremdgefährdung, Verlust der 
                       Impulskontrolle u. gefahrv. Lebenskontexte 282 
             8.2.2  Emotionale Traumatisierung, Hilflosigkeit 
                       und Verlust der Selbstkontrolle  286 
             8.2.3  Störungen des Beziehungsverhaltens, 
                       psychische  Störungen, Konflikte und 
                       Belastungen  289 
             8.2.4  Insuffizienzerleben: 
                       Unzufriedenheit und Unerfülltheit  290 
             8.2.5  Therapeutische Flexibilität  291 
     8.3 Krisenprophylaxe
       Therapeutische Basisvariablen  292 
           8.3.1  Komplementarität in der Beziehungsgestaltg.  294 
           8.3.2  Zieltransparenz 296 
           8.3.3  Ermöglichen von Widerspruch 297 
           8.3.4  Verbindlichkeit  298 
     8.4 Die Auflösung therapeutischer Krisen 
       Herkömmliche Ansätze  299 
           8.4.0  Indikatoren für Krisen  301 
           8.4.1  Sind die Krisenindikatoren Ausdruck persönlicher 
                     Probleme?  303 
           8.4.2  Informations- und Kompetenzdefizite auf Seiten 
                     der Patienten   306 
           8.4.3  Zielkonflikte zwischen Patient und Therapeut  307 
     8.5 Krisenmanagement 
       Der therapeutische Dreisatz  310 
           8.5.1  Sinnsetzung und Ziel-Transparenz 
                     für die inhaltliche Position des Patienten   312 
           8.5.2  Ziel-Transparenz 
                     für die inhaltliche Position des Therapeuten  312 
           8.5.3  Personzentrierte Verantwortungszuweisung  314 
     8.6 Antithetische Auflösung therapeutischer Krisen
       Ungewöhnliche Beziehungsmuster  320 
            8.6.1  Die Struktur-Analyse sozialer Beziehungen 
                      (SASB)  324 
            8.6.3  Komplementarität der Beziehung  326 
            8.6.4  Die Antithese zur Auflösung ungünstiger 
                      Interaktionsmuster  330 
            8.6.5  Antithese in der SASB-Track-Version   336 

    Anhang: 

    Die Struktur-Analyse Sozialer Beziehungen (SASB; Track-Version)  339 

    Literatur  343 

    Namenverzeichnis  363 

    Sachwortverzeichnis  368 
     

    Teil 1  Einführung   [in eckigen Klammern kritische Anmerkungen / Fußnoten von RS]

    "Nach wie vor herrscht im Bereich der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen ein eigenwilliger 'Omnipotenzanspruch' vor: Der sieht - etwas überspitzt - so aus, dass sich nicht nur Verhaltenstherapeuten und Psychoanalytiker, sondern auch die Gesprächspsychotherapeuten sowie die Interpersonellen Psychotherapeuten für persönlichkeitsbedingte Probleme von Menschen grundsätzlich, und zwar über alle Persönlichkeitsstörungen hinweg, für zuständig halten. Das spricht für ein gesundes Selbstbewußtsein der Wortführer und ihrer Anhänger in den Therapieschulen. Nicht jedoch entspricht eine solche Sicht der Empirie. Für die Patienten können solchermaßen überzogene Fehleinschätzungen von Therapeuten hinsichtlich der Wirksamkeit ihrer Verfahren fatale Folgen haben."  (S.1)

    Die folgenden Beobachtungen des Autors zeigen, daß die Beziehung zwischen praktizierenden PsychotherapeutInnen und ForscherInnen nach wie vor sehr zu wünschen übrig läßt, woran sich aber unbedingt etwas ändern sollte:

    "Nun sollte man eigentlich annehmen, dass Forschungsergebnisse über Therapieerfolge in der Praxis zur Kenntnis genommen werden und dass möglichst viele Institutionen und Therapeuten sich das jeweils bessere Therapieverfahren möglichst schnell zu eigen machten. Das jedoch ist mitnichten der Fall.
        Im Ringen um Behalt und Erweiterung von Marktanteilen und unter grober Vernachlässigung überprüfbarer und überprüfter Erfolgszahlen wird innerhalb der Therapieschulen immer noch viel zu häufig 'an Treu und Glauben' festgehalten - nicht gerade selten (wie die obigen Zahlen andeuten) in unbedachter Verantwortungslosigkeit den Patienten gegenüber.
        Und genau wegen dieser Konkurrenz der Therapieschulen ergibt sich denn heute eine hochgradig unbefriedigende Situation: Fragen nämlich Patienten einen Psychotherapeuten, ob und welche Therapieart bei ihren persönlichen Problemen besonders zu empfehlen sei (also: ob beispielsweise eine Verhaltenstherapie, eine Gesprächspsychotherapie oder Psychoanalyse) und ob diese als Einzel- oder Gruppentherapie durchgeführt werden sollte, oder wann besser mit der Gesamtfamilie oder mit dem  Partner, dann werden diese Patienten häufig keine klare Antwort bekommen. Eigentlich ein Grund zur Empörung: Denn dieser unbefriedigende Zustand besteht jetzt schon mehr als 100 Jahre! Solange ist es nämlich her, seit Bernheim (publiziert: 1891) in Frankreich für die psychologische Behandlung von Patienten "Psychotherapie" [F01] als Begriff einsetzte.
        Psychotherapie, wie sie Bernheim, Janet [F02] und viele Kollegen gegen Ende des vorigen Jahrhunderts verstanden, war übrigens ein Prototyp fiir integratives Denken und Handeln, was etwas in Vergessenheit geraten ist. Denn leider haben Sigmund Freud und seine Schüler versucht, aus der damals bestehenden Verfahrensvielfalt eine Glaubensgemeinschaft mit strikten Methodenvorschriften zu formen. Sie legten damit den Grundstein für jene ungute Situation der Konkurrenz der Therapieschulen gegeneinander, vor der wir heute stehen und die nach wie vor schwer zu überwinden  ist.
        Wann ist endlich Schluss mit der abgrenzenden Konkurrenz psychotherapeutischer Richtungen und Schulen? Angesichts der bestehenden Vielfalt von mehr oder weniger wirksamen Psychotherapieverfahren wäre es endlich an der Zeit, Bilanz zu ziehen.
         Gerade jetzt?
         Warum nicht?
     Wenn man genau hin schaut, kann man bei Durchsicht der in den letzten Jahren erschienenen Publikationen in zunehmender Zahl sogenannte schulübergreifende Perspektiven entdecken.
         Viele Anzeichen sprechen dafiir, dass das Vorhaben Integrative Psychotherapie in  den kommenden Jahren endlich zu einem Mainstream-Thema wird, mit dem sich nicht mehr nur einige wenige Außenseiter in der Psychotherapieszene beschäftigen." (S.2)

    Die Indikationsfrage in der Psychotherapie

    "Integrative Psychotherapie (bei Persönlichkeitsstörungen) zielt ausdrücklich auf einen Blick über die eigene Therapieschule hinaus. Fast zwangsläufig ergibt sich die Notwendigkeit des Therapieschulenvergleichs. Genau in diesem Zusammenhang berührt das Thema eine der wichtigsten Fragen in der Psychotherapie überhaupt. Dabei handelt es sich um die Indikationsfrage der Psychotherapie, wie sie von Paul (bereits 1967) als die wichtigste Aufgabe der Psychotherapieforschung überhaupt herausgestellt wurde:
     

      Welches Psychotherapiekonzept und von wem durchgeführt ist bei welchen Personen mit welchen psychischen und Persönlichkeitsstörungen und welchen weiteren spezifischen Problemen und unter welchen Rahmenbedingungen am effektivsten?"
        Der Satz wirkt harmlos. Aber diese Frage ist ganz sicher falsch gestellt und es zeigt auch ein wenig, weshalb die praktizierenden PsychotherapeutInnen die Komptenz der Wissenschaft in ihren Angelegenheiten zu Recht kritisch bis skeptisch sehen. Denkt man sich das Indikationsparadigma wie ausgeführt konsequent logisch durch, landen wir notwendigerweise in der kombinatorischen Explosion, aus der es kein methodisches Entrinnen gibt. Dieser Weg muß falsch sein, wie Sponsel 1995 (S. 219-221) und 1999 (S. 117, Internet-Ausgabe hier) vorgerechnet hat.

    Aktueller Exkurs: Aus diesem Grunde stellen wir angesichts der aktuellen Diskussion um das Problem der sog. Qualitätssicherung fest: Eine Psychotherapieforschung und Lehre, die sich über die praktizierenden PsychotherapeutInnen erhebt und diese nicht gleichberechtigt in die Forschung einbezieht, wird zu Recht von den Praktizierenden abgelehnt und kann auch letztlich weder zu einer wirklichen Forschungsentwicklung noch zu einer angemessenen Qualitätssicherung beitragen. Genau diese Überhebung ist es, die mit zu dem Graben zwischen Forschung und Praxis, wie er oben beklagt wurde, beiträgt. Während Freud 1927 mit seinem unhaltbaren Junktim-Dekret weit über unsere Forderung grundsätzlich gleichberechtigter Einbeziehung der Praktizierenden in alle Psychotherapieforschungsfragen hinausschoß, hat sich in der Wissenschaft das andere Extrem des Dünkels der Erhebung über die Praxis weitgehend zum Standard eingebürgert.

    Es folgen (S. 3-9) die speziellen Indikationsfragen - die in den Kapiteln 5-8 ausführlich behandelt werden:

        "Selektive Indikation (1)
    Welches Psychotherapiekonzept und von wem durchgeführt ist bei welchen Personen mit welcher Persönlichkeitsstörung und welchen weiteren spezifischen Problemen und unter welchen Rahmenbedingungen am effektivsten?
    ...
        Selektive Indikation (2)
    Bei welcher Persönlichkeitsstörung welcher Person mit weiteren spezifischen Problemen ist welches Behandlungskonzept und von wem durchgeführt, unter welchen Rahmenbedingungen am effektivsten?
    ...
        Differenzielle Indikation (1)
    Bei welcher Persönlichkeitsstörung und bei Vorliegen welcher weiteren spezifischen Probleme ist welche Art der Komposition oder Zusammenstellung unterschiedlicher Behandlungsmaßnahmen und unter welchen Rahmenbedingungen durchgeführt am effektivsten?
    ...
        Differenzielle Indikation (2)
    Bei welchen weiteren spezifischen Problemen von Personen mit Persönlichkeitsstörungen und von wem durchgeführt ist eine Behandlung unter welchen Rahmenbedingungen am effektivsten?
    ...
        Differenzielle Indikation (3)
    Sollten Persönlichkeitsstörungen überhaupt behandelt werden - oder sollten sie nicht besser als markante persönliche Stile betrachtet werden, von denen zum Beispiel eine Ressourcen-Orientierung in der Psychotherapie ausgehen könnte?
    ...
        Adaptive Indikation(1)
    Mit welchen, möglicherweise wechselnden Zielen ist welche Behandlung bei Personen mit Persönlichkeitsstörungen und weiteren spezifischen Problemen und von wem durchgeführt am effektivsten?
    ...
        Adaptive Indikation(2)
    Unter welchen Rahmenbedingungen ist welche Behandlung bei Personen mit Persönlichkeitsstörungen und weiteren spezifischen Problemen und von wem durchgeführt am effektivsten?
    ...
        Indikation zur Supervision
    Welche Probleme der Psychotherapeuten sollten bei welchen Patienten mit welchen persönlichkeitsbedingten und weiteren spezifischen Problemen von wem und wie behandelt werden?"

        Speziell zur Supervision bei Persönlichkeitsstörungen macht Peter Fiedler innovative und weitreichende Vorschläge, die für die Praktizierenden besonders wichtig und interessant sind, weshalb sie hier noch etwas ausführlicher dargestellt werden sollen (hervorgehobene Fettungen von RS), wobei vor allem auch mitbedacht werden sollte, daß die Umsetzung solcher Vorschläge eine besonders wirksame und sinnvolle Qualitätssicherungsmaßnahme wäre - und zwar voraussichtlich viel besser als alle Psy-BaDo zusammen genommen. (Querverweis Evaluation in der GIPT)

        "Inzwischen scheint es an der Zeit, herkömmliche Supervisionsformen zu überdenken und durch neue Möglichkeiten anzureichern. Supervision - insbesondere bei Persönlichkeitsstörungen - dient nicht mehr nur der Besprechung von Problemen in der Behandlung. Sie dient der Prävention therapeutischer Risiken und bekommt damit häufig die Qualität der Krisenintervention und des Krisenmanagements. Als solche dient sie kontinuierlich der Erhöhung therapeutischer Kompetenzen, wozu schlichte Besprechungen nicht immer hinreichend sind. Balintgruppen und andere Supervisi-[ S. 9]ons- bzw. Intervisionsgespräche sind zwar unverzichtbar, kommen als ausschließlich praktizierte Form aber langsam "in die Jahre"!
        Neue Möglichkeiten wie Audio- und Video-Techniken beispielsweise bieten heute den Vorteil einer detaillierten Verhaltensbeobachtung. Sie erlauben eine gezielte Einflussnahme und Anreicherung der therapeutischen Kompetenz. Inzwischen kann nurmehr sehr bedingt davon die Rede sein, dass Ton- oder Video-Aufzeichnungen zu Supervisions- oder Forschungszwecken die Vertraulichkeit der Therapiebeziehung stören. Das Gegenteil scheint eher zuzutreffen, wie sich empirisch gut belegen lässt. Patienten können nämlich sicher davon ausgehen, dass eine video-supervidierte Therapie bessere Erfolgsaussichten zu garantieren vermag. Gegenübertragungsprobleme der Therapeuten können besser geklärt werden. Und ein emotionaler oder gar sexueller Missbrauch der Patienten durch ihre Therapeuten ist vor laufender Kamera gleichfalls kaum zu erwarten. Oder umgekehrt: Auch Manipulationsversuche durch Patienten werden bei Ton- und Video-Aufzeichnungen eingeschränkt zu erwarten sein. Einige Therapeuten gehen inzwischen sogar so weit, den Patienten Tonaufzeichnungen der Therapie mit nach Hause zu geben, damit diese ihrerseits die Therapiesitzung nochmals gründlich nachbearbeiten können ( -> Kapitel 8).
        Weiter sollte in der Supervision zusätzlich zur Fallbesprechung stärker die Möglichkeit des direkten Trainings der Therapeuten im Umgang mit schwierigen Therapiesituationen genutzt werden. Supervisionsformen wie das Micro-Teaching haben sich inzwischen in Therapie- und Forschungsprojekten als wesentliche Quelle der Fortentwicklung therapeutischer Kompetenz erwiesen (übrigens nicht nur für angehende Therapeuten). Videoanalysen, Verhaltenstraining und Micro-Teaching sollten ganz allgemein mehr und mehr in herkömmliche Supervisionsformen integriert werden. Wir werden auf Fragen, die mit Schwierigkeiten der Therapeuten zusammenhängen, kontinuierlich im Buch eingehen."

    Integrative Psychotherapie   (hervorgehobene Fettungen von RS)

    "Begonnen wird in diesem Buch jedoch mit zahlreichen Argumenten, weshalb es sich zukünftig lohnen könnte, die Therapieschulenperspektive zugunsten einer Integrativen Psychotherapie weiter zu entwickeln. Der Kurzcharakterisierung von Persönlichkeitsstörungen ( -> Kapitel 2 und 3) folgend steht das ->  Kapitel 4 in dieser Hinsicht im Mittelpunkt. Dort soll ein Rahmenmodell für die schulenübergreifende Integration unterschiedlicher Therapiekonzepte entwickelt werden. Das vorgeschlagene Konzept gilt nicht nur für Persönlichkeitsstörungen, sondern auch darüber hinaus. Dazu gibt es bereits einige Vorläufer, auf die wir eingehen werden (z.B. Grawe, 1998; Wagner & Becker, 1999 [F02] ). Diese bereits vorhandenen Integrationsvorschläge haben [Seite 10] bisher allerdings nur in Ansätzen Akzeptanz gefunden. Dies lag u.a. daran, dass sie gegenüber den herkömmlichen schulenspezifischen Ansätzen zu große, zumeist nur schwer überwindbare Diskrepanzen aufgebaut haben."

    Es kommt nun ein konstruktiver Vorschlag zu den Therapieschulen (gefettet von RS):

    "Die in diesem Buch entwickelte und vorgeschlagene Integrationsperspektive setzt jedoch ausdrücklich auf die besonderen Vorteile der bisherigen Therapieschulen, die - wenn sie denn schon Vorteile darstellen - bei der Suche nach Integrationspunkten nicht vorschnell aufgegeben werden brauchen.

    Andererseits: Dass sich trotz Betonung und Erhalt grundsätzlicher Vorteile der bisherigen Therapiekonzepte dennoch die Notwendigkeit zum Umdenken ergibt (oder besser: die Notwendigkeit zum Weiterdenken über das Gewohnte hinaus), das lässt sich nicht vermeiden. Dass dem Leser, der einer Therapieschule eng verbunden ist, bei der Lektüre dieses Buches viele Vorschläge etwas fremdartig anmuten werden, weil sie auf den ersten Blick mit den eigenen Denkgewohnheiten schwer vereinbar scheinen, lässt sich nicht umgehen. Hätte ich dieses Buch mit Blick auf eine grundsätzliche Akzeptanz über alle Schulen hinweg schreiben wollen, hätte ich es nicht schreiben können.

    Integrativ arbeitende Psychotherapeuten kommen nicht daran vorbei: Sie müssen zukünftig kritisch um- und weiterdenken. Wäre das nicht der Fall, würde Integrative Psychotherapie lediglich das Festhalten an der gewohnten psychotherapeutischen Praxis beinhalten. Das jedoch kann mit Integration nicht gemeint sein. Die nach wie vor vorhandenen Misserfolge, Rückfallzahlen und Dropout-Raten verlangen geradezu nach Innovation. Gleichzeitig fordere ich alle Leser zur hochgradig kritischen Lektüre auf. Für jede begründete Verbesserung meiner Vorschläge bin ich dankbar. Auch jede grundsätzliche Alternative zu meiner Integrationsidee ist sehr erwünscht. Andererseits sollte jede prinzipielle Zurückweisung möglichst gleichzeitig Vorschläge enthalten, wie Integrative Psychotherapie zukünftig besser, als von mir hier vorgedacht, aussehen könnte. Kritik und Vorschläge, die in die Richtung zielen, in den ausgetretenen Pfaden nur einer einzigen Therapieschule weiter zu wandern, gehen einer ernsthaften Frage nach den Möglichkeiten einer Integration therapeutischer Ansätze aus dem Weg."

        Nun, dem Wunsch nach "hochgradig kritischer Lektüre" dieses Buches komme ich gern nach. Und es ist trotz der vielen Vorzüge dieses Buches auch notwendig. Denn sehr ärgerlich ist es, daß von den mindestens 1000 Arbeiten, die seit Johann Christian Reil (1803) zur allgemeinen und integrativen Psychotherapie veröffentlicht wurden, Peter Fiedler, selbst von der Verhaltenstherapie kommend, wiederum nur zwei Werke von Autoren mit verhaltenstherapeutischem Hintergrund zitierwürdig findet. Das haben alle anderen nicht verdient: Fair, kollegial?  [F02]



    Teil 2  "Prolog: Das Stigmatisierungsproblem
     
        "Menschlich aber bedeutet die Feststellung des Wesens eines Menschen eine Erledigung, die bei näherer Besinnung beleidigend ist und die Kommunikation abbricht."  (Karl Jaspers 1913)" "  [F00]
     
        Mit diesem Kapitel beweist Peter Fiedler Mut, Verantwortungsbewußtsein und Umsicht. Er greift das heiße Eisen der Stigmatisierung auf, das im Grunde aller psychopathologischen Diagnostik notgedrungen innewohnt und worauf die Humanistische Psychotherapiebewegung eine radikale Antwort gefunden hat: die Ablehnung und damit den Verzicht. Obgleich das Kapitel nur 11 Seiten (S. 11-21) hat, ist das Thema von einer solch grundlegenden diagnostisch- ethisch-  praktischen Relevanz, daß ein eigenes Kapitel vollkommen gerechtfertigt und angemessen ist.
     
    Scharf gestellt lautet die Problem-Trias - z. B. für die Antisoziale Persönlichkeitsstörung -  dieses Kapitels:
     
    1. Übersehen wir die vielfältigen Wirkungen unserer psychopathologischen Diagnosen?
    2. Haben wir überhaupt die Fähigkeiten zu einer solcher Diagnostik und Differentialdiagnostik? Können wir das wirklich verantwortlich und solide?
    3. Was berechtigt uns zu solchen Diagnosen und Differentialdiagnosen?


    Mögen Sie, werte LeserIn, diese Problem-Trias bei den nun folgenden Überlegungen Peter Fiedlers im Hinterkopf behalten:
     
        "Viele Jahre habe ich jetzt schon über diese pointierte Feststellung von Karl Jaspers nachgedacht. Bereits in den siebziger Jahren war sie Leitschnur für mich, als viele in meinem Alter im Kontext der Antipsychiatrie-Bewegung gegen jedwede vorschnell stigmatisierende psychiatrische Diagnose ins Feld zogen. Schließlich war sie wesentlicher Grund und Motor, ein Buch über Persönlichkeitsstörungen zu schreiben  (Fiedler, 1994 a) - also etwas zu tun, was ich mir gerade wegen dieses Satzes bis weit in die achtziger Jahre hinein überhaupt nicht hätte vorstellen können. Wenn die Stigmatisierung oder das Labeling im Bereich psychischer Störungen ein Problem ist, dann galt und gilt dies insbesondere für eine Diagnose im Bereich der Persönlichkeitsstörungen.
        Inzwischen bin ich mir da jedoch nicht mehr so sicher. Über das, was mich zunehmend verunsichert und was mich inzwischen zu einer differenzierteren Position geführt hat, möchte ich gern einleitend zu diesem Buch berichten. Doch zunächst zum wichtigen und nach wie vor berechtigten Kern in dieser Feststellung von Karl Jaspers."

    2.1 Begründung der Stigmatisierungshypothese
    ... "Eine diagnostizierte Persönlichkeits-Abweichung bezieht sich immer auf die Person als Ganzes - eben als eine Verallgemeinerung über konkretes Handeln hinaus.  [S.11f]

    2.1.1  Diagnose
    Die diagnostische Feststellung einer Persönlichkeitsstörung markiert einige für die betreffende Person und für ihre sozialen Beziehungen entscheidenden Veränderungen: Bis zu diesem Zeitpunkt vollzogen sich Fremdzuschreibungen von Persönlichkeitseigenschaften im Rahmen sozialer Erwartungen. Sie begründeten damit wesentlich die Berechenbarkeit und Beständigkeit einer Person ("zuverlässiger Mensch"; "kreative Person"; "linker Typ"). In dem Perspektivenwechsel solcher oder ähnlicher Persönlichkeitseigenschaften in Richtung Persönlichkeitsstörung drückt sich nun einerseits eine zunehmende Beunruhigung des sozialen Systems aus ("zwanghafte Person", "dissozialer Mensch", "paranoider Typ"). Die Person-Handlungen haben offensichtlich wiederholt ein tolerierbares Maß überschritten. Und die Bezugspersonen antizipieren einen möglichen Verlust kollektiver Kontrolle über das erreichte Ausmaß sozialer Devianz.

    Erklärung
    Das Stigmatisierungsproblem setzt nun genau dort ein, wo sich ein Konsens über die Notwendigkeit der Korrektur oder Beendigung wiederholt gezeigter Verhaltensdevianz mit den Betroffenen nicht mehr herstellen lässt. "Persönlichkeitsstörung" ist nämlich auf eine eigenwillige Weise nicht nur Diagnose. Die Feststellung, dass die "Person" gestört ist, beinhaltet zugleich eine Erklärung.
        Es ist offensichtlich ab Diagnose nicht mehr so sehr die soziale Systemik oder die Interaktion, die gestört ist. Es ist die Person: Persönlichkeitsstörung. Die Person ist gestört. Folglich und plötzlich ist die Person "Ursache" für Schwierigkeiten, die man mit ihr hat, und damit - etwas überspitzt gesagt - "Täter". Eine solche Sicht kann zunächst beruhigen, hat der Diagnostizierende selbst doch offensichtlich mit den Problemen, die er sieht, weniger oder gar nichts mehr zu tun.
        "Person" ist gestört. Und genau da setzt Jaspers Kritik an: Dasjenige, was den Bezugspersonen wie den professionellen Helfern für die bis dahin bestehenden eigenen Schwierigkeiten wegen der "anderen Person als Störungsursache" Erklärung, damit Entlastung und Beruhigung eröffnet, birgt für den Betroffenen selbst die Gefahr einer überdauernd fixierenden Merkmals-, Person- und Identitätszuschreibung in sich. Das genau meint Stigmatisierung."
     
        Die nun folgende Differenzierung des Autors erscheint mir sehr hilfreich und praktisch für die alltägliche diagnostisch- differentialdiagnostische Tätigkeit (allein schon deshalb könnte sich ein Kauf dieses Buches lohnen):

        "Persönlichkeit
               Persönlichkeitsstil
                            Persönlichkeitsabweichung
                                                      Persönlichkeitsstörung

    Es ist wirklich hochbedeutsam, was die Diagnose einer Personstörung interaktionell bewirken kann. Mit der Diagnose „Personstörung" wird nämlich zugleich auch noch [S. 13] die Möglichkeit zur Konsensfindung mit den Betroffenen über die ihnen zugeschriebenen Persönlichkeitsstörungen eingeschränkt."
     
        Nun werden die Persönlichen Stile und das sehr wichtige Phänomen der Ich-Syntonie erörtert, um sodann das terminologische Highlight einzuführen:
     
    "2.1.2 Stigmatisierung

    Stigmatisierung ist der soziale Prozess einer eigentümlichen Wandlung von Interaktionsproblemen zu Persönlichkeitsstörungen — also konkret: die Personperspektivierung eines interaktionellen Problems.

            Interaktion
               Interaktionsstörung
                               Ursachensuche
                                               Personperspektivierung
                                                                      Persönlichkeitsstörung

    Das zentrale Problem dieser Diagnosestellung liegt nämlich darin, dass zwar der aktuelle Prozess dieser Art "Entstehung" von Persönlichkeitsstörung ausgesprochen interpersoneller Natur ist. Im Ergebnis jedoch verschiebt sich der Blick einseitig auf die lebensgeschichtliche, möglicherweise biologisch begründbare Gewordenheit der Person ("Du wirst immer mehr wie Dein Vater!").
        Für die Interaktionspartner, Diagnostiker wie für den Psychotherapeuten ist dies - wie gesagt - insofern eine beruhigende Situation, als bei ihnen "der Gedanke an ihrer etwaigen Mitschuld an dieser Störung oder gar am Scheitern der Beziehung  'ver- [S. 15]  nünftigerweise' kaum mehr oder gar nicht mehr aufkommen wird" (Glatzel, 1977, S.  127) - und dies, obwohl sie gerade eben noch selbst (und zwar: entscheidend) zu ihrer Entstehung - qua Diagnose - beigetragen haben.
        Diagnostiker und Therapeuten werden es vielleicht gar nicht bemerken, haben sie sich doch bei der Personbeurteilung "nur an die Diagnosekriterien" gehalten. Doch genau das - so Karl Jaspers - ist beleidigend."[F05]

    "2.2 Einschränkung der Stigmatisierungshypothese
    Soweit die Begründung der Stigmatisierungsgefahren der Persönlichkeitsdiagnostik. Und jetzt komme ich dazu, diese Sicht etwas anzuzweifeln. Sie stimmt nämlich nur teilweise. Was mich zunehmend an dieser Sicht hat zweifeln lassen, sind zwei Dinge:
     

    • einerseits zahlreiche Briefe, die ich inzwischen von Personen erhalten habe, die mein Buch "Persönlichkeitsstörungen" (1994 a) aus privatem Interesse gelesen haben, vorrangig mit dem Ziel, etwas mehr über sich selbst in Erfahrung zu bringen;
    • andererseits das Buch eines Psychiaters, der mit einer Journalistin zusammen eine populärwissenschaftliche Abhandlung mit dem Titel "Ihr Persönlichkeitsprofil" verfasst hat, mit der jeder Leser selbst in der Lage ist, sich die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung zu geben (Oldham & Morris, 1995)."
     
    Peter Fiedler berichtet im folgenden, daß er zu seinem Buch "Persönlichkeitsstörungen" inzwischen über 100 - teils sehr lange und sehr ausführliche - Briefe erhalten habe, in denen Menschen um Bestätigungen ihrer Selbstdiagnosen bitten ("Bitte schreiben Sie doch zurück, ob meine mir selbst gegebene Diagnose stimmt?!"). Sodann wird der Erfolg des Bestsellers von John M. Oldam "Ihr Persönlichkeitsprofil. Warum Sie genau so denken, lieben und sich verhalten, wie sie es tun." erörtert. Fazit:

    "Metakommunikation
    Die Diagnose ist ganz offensichtlich nicht das Problem. Die Frage ist vielmehr, wie Metakommunikation mit den Betroffenen erreicht werden kann. Die von Jaspers beschworenen Stigmatisierungsgefahren liegen offensichtlich in der Negativ-Konnotation der Begriffe, die wir kurz und knapp für Persönlichkeitsstörungen benutzen - konkret: in unseren vorschnell und unbedacht verwendeten Kürzeln wie z.B. "paranoid", "schizoid" oder "zwanghaft", mit denen ohne Respekt vor dem persönlichem Stil eines Menschen aus dessen Personeigenarten auf eine vielleicht beleidigend erlebte Weise diagnostizierbare Störungen gemacht werden.
        Es leuchtet ein, dass zwischen den persönlich und mit positiver Intention stilisierten Handlungswelten der Betroffenen und der kurzsichtigen Negativklassifikation von Bezugspersonen, Diagnostikern und Therapeuten häufig eine Verständigung nur schwer möglich ist oder gar unmöglich wird. Dies gilt zumindest solange, wie der persönliche Sinn und die subjektive Bedeutsamkeit persönlicher Interaktionsmerkmale nicht erkannt ist und ausdrückliche Berücksichtigung findet (Lieb, 1998).
        Begriffe wie "paranoid" und "zwanghaft" setzen nun einmal gleichzeitig Sinn und Bedeutung, sind Erklärung und signalisieren "Unbeeinflussbarkeit". Sie verleiten dazu, Menschen mit höchst befremdlichen und bizarren Persönlichkeitseigenarten mit Unverständnis, Ablehnung und Ausgrenzung zu begegnen. Wiederum ist es nur zu verständlich, wenn sich aus diesem zwischenmenschlichen "Missverstehen" Konflikte und Probleme einstellen und eskalieren: wechselseitiger Zorn, Gefühle der Gereiztheit und Bedrohung bis hin zu Handgreiflichkeiten.
        Das wird unmittelbar anders, wenn man eine Person statt paranoid als wachsam-misstrauisch, statt dissozial als abenteuerlich-furchtlos, statt narzisstisch als selbstbewusst-ehrgeizig, oder statt zwanghaft als gewissenhaft-sorgfältig bezeichnet."

        Hm. Da bin ich skeptisch. Es läuft auf dasselbe hinaus, wie die Schein-Euphemismen in den Zeugnissen. Dann kommen bald neue "Persönlichkeits-Knacker (Übersetzer)" auf den Markt, die erklären was gewissenhaft-sorgfältig  "wirklich" bedeutet. Es ist auch nicht ehrlich. Die Formulierung "gewissenhaft-sorgfältig" kennzeichnet als Persönlichkeitsmerkmal eine breite Bandbreite von Akzentuierung, so daß sich etwa folgende Skala ergibt:

     durchschnittlich gewissenhaft-sorgfältig
             akzentuiert = überdurchschnittlich gewissenhaft-sorgfältig (Stil)
                     überwertig gewissenhaft-sorgfältig (zwanghafte Abweichung)
                                     extrem gewissenhaft-sorgfältig (hochgradig zwanghaft)

        Hinzu kommt, so zumindest Karl Lenonhard, daß ein und derselbe Charakterzug, unterschiedlich motiviert oder bedingt sein kann. Die Differentialdiagnose hat es also in sich. Bleiben wir beim Beispielthema:
        Leonhard (S. 14): "Ähnlich ist die Sachlage, wenn man bei einem Menschenein ausgeprägtes Pflichtgefühl findet. Es kann wieder eine Eigenart der Strebungs-Neigungs-Sphäre vorliegen, es ist aber auch möglich, daß ein anankastischer Zug vorhanden ist. Die Unterscheidung ergibt sich daraus, daß bei einem einfach charakterlichen Pflichtgefühl ein ruhiges, gewissermaßen selbstverständliches Verhalten erkennbar ist, das von keiner Spannung getragen wird, während beim anankastischen ein unruhiges Fragen, ob des Guten genug getan sei, besteht."
        Nun, letztendlich geht es hier um Definitionen. Wie schwierig das im Psychischen ist, wissen wir alle (hierzu). Nicht zuletzt ist daraus, wie Mauthner schon 1906 [F08] vorhersagte, der Behaviorismus hervorgegangen, der in Sachen Erleben nichts verstanden und nichts gekonnt hat und deshalb hat er die Probleme bezüglich seiner Fähigkeiten und Ansprüche für unlösbar erklärt, also ignoriert. Das ist aber keine Problemlösung, sondern ein Abwehrmechanismus und ein Symptom: der Behaviorismus ist eine Störung. Es ist klar, daß keine der existierenden Psychotherapieschulen bisher auch nur annäherend in der Lage war, Elementares zu begreifen und zu leisten; aber auch die akademische Psychologie hat hier so gut wie nichts zu bieten; die Erlanger logisch- konstruktiv orientierte Psychologie ist inzwischen auch tendenziell versandelt; so scheine ich derzeit wohl einer der letzten zu sein, der eine Idee noch nicht aufgegeben hat und konsequent verfolgt: die praktisch-operationale Normierung einer Psychologiesprache nach dem Motto: wer seiner Putzfrau den Ödipuskomplex, den Unterschied zwischen wünschen, wollen, denken, vorstellen oder fühlen nicht erklären kann, der kann psychologisch gar nichts erklären und sollte den Beruf wechseln [F07].

    "2.2.3 Therapeutische Konsequenzen
    Um die grob angedeuteten Perspektiven und Vorschläge noch etwas weitergehend zu konkretisieren, möchte ich jetzt einige erste Konsequenzen ziehen und bereits einige Vorschläge für die praktische Therapiearbeit unterbreiten.

    Transparenz
    Der wichtigste Vorschlag zur Überwindung und Vermeidung negativ konnotierter Stigmatisierung (bzw. zur Überwindung der angedeuteten Compliance-Probleme) zielt auf die Notwendigkeit einer möglichst weitgehenden Transparenz - einer Transparenz, die sich zuvorderst um Verständnis für den Patienten bemüht. Und dazu bietet eine richtig erläuterte Diagnose eine wesentliche Voraussetzung.
        Therapeuten kommen nicht umhin, die Persönlichkeitsdiagnose zu übersetzen, und zwar in eine Sprache, die aus dem persönlichen Störungs-Problem des Patienten eine Perspektive für die therapeutischen Interaktion werden lässt.
        Transparenz und Metakommunikation sind gemeint - und zwar, um sich mit dem Patienten über die Notwendigkeit und Möglichkeiten der weiteren Therapie mög- [S. 21] lichst eindeutig zu verständigen. Gemeint ist weiter die metakommunikative Begründung einer wechselseitigen Unabhängigkeit, und zwar durch Offenlegung der gemeinsamen wie - was noch wichtiger ist - der unterschiedlichen Verantwortlichkeiten von Patient und Therapeut in der Therapie. Das ist leichter gesagt, als getan. Dazu muss nämlich die zumeist negativ-gegensozial formulierte Diagnose "negativistisch", "paranoid" oder "zwanghaft" in eine für den Patienten akzeptierbare interaktionelle Sprache übersetzt werden - und zwar so, dass der Patient sich selbst in der Diagnose wiederfindet (vgl. Schmitz, 1999).

    Positivierung
    Eine solche Positivierung gelingt nach aller Erfahrung dann am besten, wenn man versucht, sich den positiven Sinn der persönlichkeitsbedingten Widerständigkeit, Andersartigkeit oder Nicht-Compliance zu erschließen, weil sich im positiven Sinn von Widerständigkeit vielleicht ein akzeptierbares Motiv wiederfindet. Das wachsame Misstrauen paranoider Patienten, das Verweigern von Kooperation passiv-aggressiver Patienten, das ängstliche Vermeiden selbstunsicherer Persönlichkeiten ist möglicherweise durchaus einsichtig. Wertschätzendes Verstehen von Gründen und Ursachen für Andersartigkeit, Widerständigkeit und Nicht-Compliance der Patienten durch die Therapeuten werden hier vorgeschlagen.
        Nicht gemeint ist, dass die Therapeuten diese Gründe selbst in jedem Fall teilen bzw. akzeptieren müssen. Gemeint ist, dass die Gründe als sinnvoll aus der Sicht von Patienten verstehbar und nachvollziehbar sind. Genau dies ist der Schlüssel zur Metakommunikation, in welcher der Therapeut durchaus eigene Ansichten, eigene Ziele, eigene Vorstellungen über seine Probleme und deren Behandlung entwickeln und vertreten kann (-> Kapitel 8.3).
        Wichtiges Element dieser Art Metakommunikation ist die Toleranz. Nur Toleranz beinhaltet Akzeptanz der Problemsicht und Zielperspektive der Patienten. Weiter schließt sie ein, dass es gewichtige persönliche Gründe für Patienten geben könnte, sich nicht auf die Therapie und nicht auf Veränderungen im Leben einzulassen. Es gehört zu den verbrieften Grundrechten der Menschen, ihre Persönlichkeit frei entfalten zu können. Dies gilt jedenfalls so lange, wie die Betreffenden nicht mit Recht und Gesetz in Konflikt geraten (-> Kapitel 3.3).
        Patienten handeln durchaus verantwortlich (nicht immer verantwortungsvoll, jedoch: verantwortlich), wenn sie sich bewusst nicht ändern wollen. Voraussetzung für verantwortliches (mitverantwortliches) Handeln ist jedoch, dass es gelingt, dem Handeln von Patienten Sinn und Bedeutung zurückzugeben. Das wäre vorrangiges Ziel der Therapie, erreichbar nur durch Transparenz und Metakommunikation. Und dabei könnte eine aufklärende Diagnose und Ätiologieerklärung wichtige Voraussetzung wie Hilfe sein. "Jetzt weiß ich endlich wieder, wer ich bin!" Selbst in der eigenen Persönlichkeit wieder gefundener Sinn für eigenes Handeln ist als therapeutisches Ziel gelegentlich hinreichend."

        Aus dem Schlußtext möchte ich abschließend noch einmal besonders für diejenigen einen Satz akzentuiert herausheben, die irrtümlich meinen, sie könnten völlig beliebig in die Persönlichkeiten ihrer PatientInnen eindringen, herum experimentieren und schalten und walten wie es ihnen gefällt:

    "Es gehört zu den verbrieften Grundrechten der Menschen, ihre Persönlichkeit frei entfalten zu können." [F09]



    Teil 3  Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörung:  Zwei Seiten einer Medaille (S. 22-54) 25.09.2000

    "Persönlichkeit
    Jeder Mensch hat seine ganz eigene und unverwechselbare Art und Weise zu denken, zu fühlen, wahrzunehmen und auf die Außenwelt zu reagieren. Die individuellen menschlichen Eigenarten stellen eine einzigartige Konstellation von Gefühlen, Gedanken und Verhaltensweisen dar, die man als Persönlichkeit bezeichnet.
    Die Persönlichkeit gestattet es, zu funktionieren, zu wachsen und sich an das Leben anzupassen. [F10] Die Persönlichkeit mancher Menschen wird jedoch starr und unflexibel. Statt ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, kreativ und unabhängig auf Herausforderungen zu reagieren, bedingen es die charakteristischen Persönlichkeitsstile geradezu, dass die Betreffenden unglücklich, unerfüllt oder außerstande sind, ihr Leben aus eigener Kraft befriedigend zu gestalten. Statt anpassungsförderliche Persönlichkeitsstile herauszubilden, entstehen bei diesen Menschen Persönlichkeitsstörungen.

    Persönlichkeitsstörung
    Unter Persönlichkeitsstörungen werden vor allem sozial unflexible, wenig angepasste und im Extrem normabweichende Verhaltensauffälligkeiten verstanden. Im Sinne der modernen psychiatrischen Diagnosesysteme dürfen Persönlichkeitsstörungen nur dann als psychische Störung diagnostiziert werden:
     

  • wenn bei den betreffenden Menschen ein überdauerndes Muster des Denkens, Verhaltens, Wahrnehmens und Fühlens vorliegt, das sich als durchgängig unflexibel und wenig angepasst darstellt; und
  • wenn Persönlichkeitsmerkmale wesentliche Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit verursachen, sei es im privaten oder beruflichen Bereich, und/oder
  • wenn die Betreffenden unter ihren Persönlichkeitseigenarten leiden, und das heißt: wenn die eigene Persönlichkeit zu gravierenden subjektiven Beschwerden führt.

  • _
    Die Unterscheidung zwischen Persönlichkeitsstil und Persönlichkeitsstörung ist in der Regel eine Frage des Ausprägungsgrades. Bestimmte Persönlichkeitsstile können gewisse Merkmale mit Persönlichkeitsstörungen gemeinsam haben. Persönliche Stile erscheinen jedoch gewöhnlich weniger extrem ausgeprägt." [F11]

    Energischen Widerspruch formuliere ich zu Peter Fiedlers Wissenschaftsverständnis:

    "Für die Durchführung empirischer Studien und experimenteller Untersuchungen zur Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung ist es erforderlich, die Realität in hohem Maße auf Einzelaspekte zu reduzieren." (S. 23)

    Das ist eine fundamentale wissenschaftliche Fehleinstellung. Nur umgekehrt kann ein anständiger Schuh daraus werden:

    Die Durchführung empirischer Studien und experimenteller Untersuchungen zur Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung ist so zu gestalten [Zur Heilmittelklasse J gestalten], daß sie der komplexen Realität in hohem Maße entsprechen. Ist das nicht möglich, ist nicht die komplexe Wirklichkeit auf die Beschränktheit der Wissenschaft zu reduzieren, sondern es sind angemessene Methoden zu entwickeln, die dieser komplexen Wirklichkeit Rechnung tragen. Nicht die Realität hat sich an die Wissenschaft anzupassen, sondern die Wissenschaft an die Realität [Zur Heilmittelklasse J anpassen].

    Daß der Behaviorismus und die Verhaltenstherapie in ihrem traditionell verkürzten Verständnis von Forschung und Empirie hier weitgehend überfordert sind, rechtfertigt natürlich in keinem Maße, die Welt so auf den Kopf zu stellen. Schematheoretisch [hierzu]: Das hat mit einer wirklichen wissenschaftlichen Grundhaltung nichts mehr zu tun, das ist VT-Politik, die nicht auf deutsche Lehrstühle gehört, sondern in die Privatwirtschaft, Berufs- und Fachverbände. [F12]

    Biologische Basis: "Für die Persönlichkeitsentwicklung spielt bei allen Menschen die genetische und biologische Prädisposition eine herausragende Rolle." (S. 23)

    Behandlungsmöglichkeit und Behandlungsoptimismus: "Salutogenese und Pathogenese
    Klinische Psychologen und Psychotherapeuten sind viele Jahre davon ausgegangen, dass Persönlichkeit und die spätere Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen in der Kindheit geprägt oder angelegt werden und danach weitgehend unveränderlich erhalten bleiben. Neuerliche Erkenntnisse sprechen jedoch gegen diese Annahme in ihrer Ausschließlichkeit (Fiedler, 1999 b). Heute geht man weitgehend übereinstimmend davon aus, dass sich Persönlichkeitsentwicklung fortsetzt und dass die Persönlichkeitsreifung ein kontinuierlicher Prozess ist, der das ganz Leben weitergeht. Dies betrifft auch die Möglichkeit positiver Veränderungen oder die Beeinflussbarkeit von Persönlichkeitsstörungen. Genau diese Perspektive der Salutogenese der Persönlichkeitsentwicklung und damit einhergehend eine immer gegebene günstige positive Beeinflussbarkeit auch gravierender Persönlichkeitsstörungen ist es letztlich, die es hoffnungsvoll und sinnvoll werden lässt, Persönlichkeitsstörungen psychotherapeutisch zu behandeln." (S. 23f)

    Kommentar zu den grundlegenden Problemen des Persönlichkeits-Störungs-Konzeptes
    Das Grundproblem besteht in folgenden Aussagen, die schwer miteinander in Einklang zu bringen sind: (1) Einerseits ist die Persönlichkeit biologisch "prädisponiert". (2) Zudem muß eine Persönlichkeitsstörung sich wie ein roter Faden vom Heranwachsendenalter an durchs Leben ziehen - im Gegensatz zu "Neurosen", die aktualisiert werden können, latent oder manifest vorhanden sind und dann aber auch wieder verschwinden können. Der ICD-10 formuliert ganz klar (dt. 1991, S. 211) (Fettung von R. S.): "Persönlichkeitsstörungen beginnen in der Kindheit oder Adoleszenz und dauern im Erwachsenenalter an." (3) Andererseits soll sich eine Persönlichkeit im Lebensverlaufe auch ändern können, was ja auch vielfach belegt ist: die Menschen verändern sich, aber die Frage bleibt: in welchen Merkmalen? (4) Auf (3) beruht die Behandlungsmöglichkeit und der Behandlungsoptimismus. (1) und (2) stützen sich. (2) steht in Widerspruch zu (3) und (4). Dies verlangt natürlich nach einer Klärung: ja, was kann man denn nun psychotherapeutisch bei einer Persönlichkeitsstörung "beeinflussen"? Diese Gretchen-Frage wird von Peter Fiedler nicht ausreichend und zufriedenstellend geklärt. Im Grunde übergeht er sie und behauptet einfach, daß es so sei. Das ist diesem Kardinal- und Grundproblem aber nicht angemessen und keine Problemlösung. Aus einer solchen Haltung entstand einmal der Behaviorismus, der mit den schwierigen Instrospektionsproblemen heillos überfordert war. Ignorieren ist keine Lösung und gilt nicht in der GIPT.
        Ich gebe an dieser Stelle eine Antwort aus der Sicht der GIPT: Markante oder charakteristische  Persönlichkeitsmerkmale sind psychotherapeutisch bestenfalls nur teilweise direkt beeinflussbar, tendenziell eher nicht, weil Persönlichkeit ja gerade als etwas kontinuierlich Charakteristisches definiert wird. Es kommt daher besonders darauf an, ungünstige Merkmalsmanifestationen J auszugleichen, zu J kontrollieren und  zu J lernen J vorzubeugen, d. h.  entsprechende Vorkehrungen zu treffen.[F13: zum Theta Präfix]. Das ist sehr wichtig, denn wer sich in der Kunst des Unmöglichen versucht, muß - schon  per definitionem - darin scheitern. Also was geht, und was geht nicht? Die Beantwortung dieser Frage ist fundamental für den Therapieerfolg. Nehmen wir als  Beispiel das Persönlichkeitsmerkmal "Impulsivität".

    Merkmals-Beispiel Impulsivität: Impulsivität bedeutet eine überdurchschnittlich schnelle und starke Reagibilität. Sie läßt sich z. B. beim Aufmerksamkeits- Defizit- Hyperaktivitäts- Syndrom (AD-H-D, ADD, ADS) mit RitalinR oder beim Tourette Syndrom mit TiapridexR  medikamentös beeinflussen. Ich habe hierzu ein Therapiekonzept entwickelt, das mit psychologischen Mitteln der Impulsivität beizukommen versucht, wobei das Konzept ausdrücklich davon ausgeht, daß das Persönlichkeitsmerkmal impulsiv nicht wegtherapiert werden kann. Also geht es im Prinzip um Merkmals- oder Symptom-Management. Ein sehr wichtiger Teil des Konzeptes ist das genaue Studium, wie sich die impulsive Reagibilität zeigt, wie sie entsteht und wie sie verläuft. Dieser Teil dient dann künftig der J Vorbeugung. Letztendlich lassen sich mit diesen Ansatz durchaus Effekte erzielen, die dem Augenschein nach, wenn das Therapiekonzept anschlägt und gelingt, wirken, als sei ein Stück Impulsivität "verschwunden". Tatsächlich ist nicht die Impulsivität verschwunden, sondern ihre Erscheinungs-, Ausdrucks- oder Äußerungsform, was aber sehr wichtig im Alltag sein kann. So kommt es z. B. in der GIPT-Sozialtherapie nicht darauf an, ob jemand seine kleptomanischen Motive verliert, sondern "nur", daß sie sich nicht mehr durchsetzen können, daß ihnen J vorgebeugt wird, daß sie J kontrolliert oder J ausgeglichen (J kompensiert, J verschoben [hierzu: FN14]) werden können.

      "3.2 Persönlichkeitsstörungen
    Viele Klinische Psychologen und Psychotherapeuten haben sich wegen der beschriebenen Probleme mit einer Diagnose und Behandlung von Persönlichkeitsstörungen bisher sehr zurückgehalten. Dies hatte neben der bereits beschriebenen Stigmatisierungsproblematik verschiedene weitere Gründe (Schulte & Wittchen, 1988): Zum einen hatten Psychotherapeuten gegenüber der kategorialen Diagnostik in der Psychiatrie lange Zeit grundsätzliche Vorbehalte. Die Orientierung an einer nosologischen Klassifikation erschien ihnen zu grob. In ihrer therapeutischen Arbeit bevorzugten sie eher den ideographischen Prozess der konkreten Definition und Analyse eng umschriebener Verhaltensprobleme. Und sie wollten sich möglichst vorurteilsfrei an eine Behandlung der persönlichen Lebensprobleme ihrer Patienten annähern.
        Diese Ablehnung der psychiatrischen Klassifikation wurde nun in den vergangenen Jahren zunehmend aufgegeben. Dies geschah in dem Maße, wie die Klassifikationssysteme differenzierter wurden und theorielastige Begriffe wie Psychopathie, Hysterie und Neurose ausdrücklich gestrichen wurden. Das Diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen (DSM-IV; APA, 1994) wie auch die aktuelle ICD-10 (WHO, 1993) verzichten inzwischen allgemein - und so auch bei den Persönlichkeitsstörungen - auf intuitive Erfahrungen der Diagnostiker. Beide Systeme fordern die Beurteilung des Problemverhaltens anhand konkreter Verhaltens- und Kontextindikatoren. Weiter verwenden DSM und ICD den Störungsbegriff, und zwar ohne weitergehende Implikationen in Richtung "Erkrankung"." (S. 26)

    So weit so gut. Vielleicht sollte an dieser Stelle aber noch einmal deutlich hervorgehoben werden, daß wir es in der Praxis mit einem individuell einmaligen Menschen zu tun haben, der in seiner idiographischen Einzigartigkeit wahrgenommen, beurteilt und behandelt werden muß. Wissenschaftlicher Reduktionismus ist in der Praxis ein Kunstfehler. Das folgende wird zeigen, daß der Integrative Psychotherapeut Peter Fiedler die hohe Kunst der Umdeutung anscheinend noch besser beherrscht als die SystemikerInnen (kursiv fett  von mir hervorgehoben).

    "Prototypenperspektive
    In beiden Systemen finden sich heute sog. typologische Systematisierungen. Diese folgen Modellüberlegungen, die in der Kognitiven Psychologie als sog. "Prototypenmodell der Kategorisierung" entwickelt wurden (z. B. Mervis & Rosch, 1981). Die Prototypenperspektive stellt folgende Anforderungen an eine Klassifikation psychischer Störungen (vgl. Fiedler, 1998 a):
     

  • Akzeptanz von Mehrfachdiagnosen bei ein und derselben Person;
  • die Diagnosekriterien sollten zur Reliabilitätserhöhung polythetisch[F15] angelegt sein (d. h. auf eine Person braucht jeweils nur ein Teil der Kriterien für eine Diagnosevergabe zuzutreffen);
  • die Kriterien sollten qualitativ gewichtet sein (und damit eine Dimensionierung der Schwere der Störung ermöglichen); schließlich sollten
  • prototypische Merkmale benannt sein, die für das jeweilige Störungsbild als besondere Markierungspunkte gelten." (S 27)

  • _
    "Polythetisch angelegt sein"? Ja, was in Gottes Namen ist das denn? Und wozu? Man kann doch nicht einfach hergehen und nach Gutdünken Äquivalenzklassenbildung betreiben, um die Reliabilität (= hier: Diagnosegenauigkeit) künstlich, mit Hilfe eines Definitions-Tricks zu erhöhen. Das ist doch jenseits vom wissenschaftlichen Gut und Böse und grenzt an Täuschung - wenn es nicht sogar eine ist. Da die Äquivalenzklassenbildung und ihre Problematik nicht jeder kennt, sei hier ein Querverweis auf eine Darstellung am Beispiel der Borderline-Kriterien im DSM-III (1980) und DSM-IV (1994) gegeben.

    "Qualitativ gewichtet"? Was ist denn das? Das hört sich an wie eine contradictio in adjecto, also ein gescheckter Rappe oder ein  eckiger Kreis (Name einer früheren nordbayrischen Literaturgruppierung). Eine Gewichtung ist immer eine Quantifizierung, und das Quantitative ist gerade nicht qualitativ, sondern die Ausprägung eines Qualitativen.

    Und noch schlimmer: sobald man die Kriterien unterschiedlich gewichtet, gilt das einfache Kardinalzahlaxiom der Auswahl zur Äquivalenzklassenbildung ja nicht mehr. Das ist zwar methodisch lösbar, aber nicht bei den Vorgaben die Peter Fiedler vorgibt, das ist ein in sich widerspruchsvolles System, also logisch wertlos. Man merkt an diesen Stellen, daß Peter Fiedler, das zeigt sich schon in seinem Buch über die Persönlichkeitsstörungen die DSM- und ICD-Klassifikatorik völlig unkritisch übernimmt und die Probleme nicht anspricht - ob er sie bemerkt, wissen wir nicht - sondern selbst noch neue hinzufügt. Diese unkritische Haltung setzt sich auch in der Darlegung der "Achsen" im DSM fort:

    "3.2.2 Multiaxiale Diagnostik
    Persönlichkeitsstörungen werden im multiaxialen Diagnosesystem des DSM auf einer eigenen Achse II diagnostiziert. Dieser Aspekt macht erstens darauf aufmerksam, dass Persönlichkeitsstörungen mit spezifischen psychischen Störungen in einen Zusammenhang gestellt werden können (beispielsweise mit einer Phobie oder Essstörungen, die im DSM auf der Achse I zu finden sind). Das ist die inzwischen, wenn-gleich etwas unglücklich so bezeichnete "Komorbidität" ( -> 3.3).
        Persönlichkeitsstörungen können auf Grund einer sorgsamen Problemanalyse zweitens auch zur Hauptdiagnose avancieren, wenn die spezifischen Störungen z. B. als Folge einer persönlichkeitsbedingten Störungsentwicklung erklärlich werden - oder wenn keine spezifischen, sondern nur Persönlichkeitsstörungen vorliegen.
        Die gesonderte oder Komorbiditäts-Diagnose kann schließlich drittens auch als Beurteilungshilfe betrachtet werden, wenn es im Verlauf der Behandlung spezifischer psychischer Störungen (Angst, Depression usw.) wiederholt zu Beziehungsschwierigkeiten zwischen Patient und Therapeut kommt, die den weiteren günstigen Verlauf der Therapie behindern oder gar in Frage stellen." (S. 28)

    Das Achsen- und Dimensionsproblem der Störungen
    "auf einer eigenen Achse". Das ist eine Formulierung, als hätte das DSM-Komitee da etwas ganz Tolles und Außergewöhnliches gemacht oder vollbracht. Was soll denn das sein: die "Achsen" im DSM? "Achsen" repräsentieren wohl die Idee, Dimensionen von Störungen, Bedingungen und Einflüssen vernünftig zu differenzieren. Das wird allerdings im DSM weder konsequent noch hinreichend vollbracht. Positiv ist aber zu vermerken, daß immerhin ein Anfang gemacht wird. Wie man das konsequent und angemessen machen muß, habe ich ausgeführt unter.  Am wenigsten einsichtig ist die Trennung zwischen "Achse" I und II.  Begründungen sucht man ohnehin vergeblich. Persönlichkeitsstörungen könnten genauso gut mit jeder Störung in Verbindung gebracht werden, wenn sie auf Achse I angeordnet wären. Es bleibt mir deshalb dunkel, was Peter Fiedler veranlaßt, die "Achse" II  so zu feiern. Grob gesichtet wäre folgende "Achsen"-, besser Dimensions-Einteilung sinnvoll:
     

    • DIM-0    Grunddaten, Soziologische- und demographisch-statistische Merkmale
    • DIM-1    Körperliche Störungen mit gewöhnlich keinen, geringen oder selteneren psychischen Auswirkungen

    •               (derzeit etwa "Achse" III im DSM)
    • DIM-2    Im Lebensverlauf körperlich erworbene psychische Störungen ("hardware" bedingte)
    • DIM-3    Psychisch bedingte oder mitbedingte Körperliche Störungen (Psychosomatosen)
    • DIM-4    Anlage-mit-bedingte psychische Störungen (z. B. Persönlichkeitsstörungen)
    • DIM-5    Psychologisch lebensgeschichtlich erworbene psychische Störungen

    •                ("software" bedingte, vormals z. B. "Neurosen", Anpassungsstörungen, Reaktionen)
    • DIM-6    Psychosoziale Einflüsse & Auswirkungen (z. B. Umwelt, Familie, Beziehungen, Beruf, Leistung)
    • DIM-7    Entwicklungs-, Verlaufsmerkmale und Ausprägungen
    • DIM-8    Behandlungs-Wirkungs-Geschichte
    • DIM-9    Positive Ressourcen z. B. Kompensation, Ausgleich, Kontrolle, Selbstheilungskräfte, ...
    • DIM-X    Sonstiges: Rest- und Auffangkategorie
    _
    "Zwingend zu beachtende Voraussetzungen zur Vergabe einer Diagnose "Persönlichkeitsstörung" (Zusammenfassung zentraler Richtlinien gem. DSM-IV bzw. ICD-10)
     
    • Persönlichkeitsstörungs-Diagnosen dürfen nur vergeben werden, wenn die betreffende Person selbst unter ihrer Persönlichkeit leidet, und/ oder
    • Persönlichkeitsstörungs-Diagnosen dürfen nur vergeben werden, wenn sie das Risiko der Entwicklung oder Exazerbation einer psychischen Störung (z. B. affektive Störung, Suizidalität, Dissoziationsneigung) beinhalten oder eindeutig mit diesen in einem Zusammenhang stehen (therapiebedeutsame Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten!), und/ oder
    • Persönlichkeitsstörungs-Diagnosen dürfen nur vergeben werden, wenn die Betroffenen wegen ihrer Persönlichkeitseigenarten z. B. auf Grund eines erheblich beschränkten psychosozialen Funktionsniveaus ihre existentiellen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen, was zumeist heißt, dass sie mit Ethik, Recht oder Gesetz in Konflikt geraten sind. In diesem Fall brauchen die Patienten selbst die Angemessenheit der Diagnosevergabe nicht zwingend teilen.

    •  
    Therapeutische Konsequenzen
    Bei Beachtung der genannten Voraussetzungen darf und kann übrigens nur selten von Persönlichkeitsstörungen gesprochen werden. Schon gar nicht darf die stigmatisierende Diagnose "Persönlichkeitsstörung" vergeben werden, wenn nur die Kriterien, nicht jedoch die genannten weiteren Voraussetzungen erfüllt sind.
        Ohne die mindestens eine der drei oben genannten Voraussetzungen handelt es sich bei auffälligen Personeigenarten lediglich um markante persönliche Stile - mit möglicherweise hohem Anpassungswert. Als solche sind und bleiben sie durchaus beachtenswert, u. a. weil sie dem Therapeuten wichtige Hilfestellungen bieten, in der Therapie zu einer komplementären Beziehungsgestaltung zu gelangen.
        Der jetzt bereits mehrfach benannte Aspekt einer möglichen adaptiven Kompetenz auffälliger persönlicher Stile bleibt in der Behandlung von Patienten auch noch aus einem anderen Grund zu beachten. In privaten oder beruflichen Situationen können es sich Menschen nicht unbedacht erlauben, eigene Bedürfnisse auszudrücken, weil sie wissen, dass diese Bedürfnisse zensiert werden - oft verknüpft mit erheblichen Konsequenzen für das weitere eigene Leben. Menschen könnten durch andere Menschen oder durch ihre existentielle Situation gezwungen sein, eigene Bedürfnisse zu entstellen und zu maskieren - und zwar genau so, wie sie dies persönlichkeitsbedingt [S. 34] tun. Warum sollten sie diese alltäglich notwendige Schutzfunktion etwa zu Beginn einer Psychotherapie bedenkenlos aufgeben?" (S. 33f)

    Es folgen nun in Kapitel 3.4 die Einzelbeschreibungen. Hier fehlen die einzelnen operationalen Kriterien im DSM und ICD, was wahrscheinlich seitenumfangs- und verlagsbedingte Marketinggründe für sein Buch "Persönlichkeitsstörungen" hat, wo sowohl die ICD-10 als auch die DSM-IV Kriterien vollständig mitgeteilt werden. Sehr positiv ist der systematische und konsequent durchgehaltene Aufbau nach "Störung", "Stil" und "Funktion" zu würdigen, wobei besonders der Abschnitt "Stil" die Übergänge zur Normalität beschreibt.

    "3.6 Komorbidität und Prognose
    Von zunehmender Bedeutung für die Psychotherapieplanung und Psychotherapieforschung erweist sich inzwischen die Tatsache, dass sich bei vielen Menschen mit spezifischen psychischen Störung gleichzeitig auch noch eine oder sogar mehrere Persönlichkeitsstörungen diagnostizieren lassen. Dies ist insbesondere beobachtbar, seitdem im DSM und in der ICD das sog. Komorbiditätsprinzip gilt.

    Komorbidität
    Bei gleichzeitigem Vorliegen mehrerer psychischer Störungen bei einer Person werden in den Diagnosesystemen DSM-IV wie ICD-l0 Mehrfachdiagnosen als sog. Komorbiditätsdiagnosen vorgeschlagen. Komorbiditätsdiagnosen ermöglichen der Forschung differenzierende Aussagen über Ursachen- und Verlaufsbedingungen psychischer Störungen. In der Praxis erfordern Komorbiditätsdiagnosen üblicherweise eine [S. 48] Berücksichtigung der verschiedenen Störungen bei der Planung und Durchführung differenzieller Therapieangebote.
        Der Sachverhalt, um den es bei der "Komorbidität" geht (oder besser: der Feststellung von Mehrfachdiagnosen bei ein und der selben Person), ist inzwischen so bedeutsam, dass sich Psychotherapeuten diesen Befunden nicht mehr verschließen sollten (vgl. Fydrich, Schmitz, Dietrich, Heinicke & König, 1996; Tyrer, Gunderson, Lyons & Tohen, 1997)." (S. 47f)

    Sehr informativ sind die Übersichtstabellen zur Komorbiditätsforschung, PS und andere Störungen (S. 49) und der PS untereinander (S. 51). Nicht gut - bis geradezu desorientierend - erklärt ist die Odds-Ratios Tabelle [F16] auf S. 53, hier ist für die nächste Auflage unbedingt ein praktisch verständliches und relevantes Ablesebeispiel zu wünschen.

    Es folgt demnächst Kapitel 4 (Rezension fünfter Teil = Teil 4, da bei 0 die Zählung begonnen wurde)



    Teil 4  Integrative Psychotherapie


    Teil 5  Grundkonzepte der Psychotherapie


    Teil 6  Selektive Indikation: Welches Grundkonzept passt zu  welcher Persönlichkeit?


    Teil 7  Differenzielle Indikation:  Störungsspezifische Psychotherapie


    Teil 8  Adaptive Indikation


    Teil 9   Zusammenfassende Würdigung


    Anhang: Materialien, Belege, Querverweise
    Quer- und Literaturverweise Peter Fiedler
    Glatzel, J. (1977). Das psychisch Abnorme. Kritische Ansätze zu einer Psychopathologie. München: Urban & Schwarzenberg.
    Oldham, J.M. & Morris, L.B. (1995). Ihr Persönlichkeitsprofil. Warum Sie genau so denken, lieben und sich verhalten, wie Sie es tun. München: Kabel Verlag.
    Schmitz, B. (1999). Kognitive Verhaltenstherapie bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen: Behandlungsansätze und Psychoedukation. In H. Saß & S. Herpertz (Hrsg.), Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen. Beiträge zu einem schulenübergreifenden Vorgehen (S. 25 - 47). Stuttgart: Thieme.

    Kritische Kommentare / Fußnoten Sponsel
    [F00] In meiner Ausgabe von 1948, 5. Auflage lautet dieser Satz [Unterschied gefettet]: "Menschlich aber bedeutet die Klassifikation und Feststellung des Wesens eines Menschen eine Erledigung, die bei näherer Besinnung beleidigend ist und die Kommunikation abbricht." Mehr > F05.
    [F01] Psychotherapiebegriff. Schneider, P. J. (1824). Entwurf zu einer Heilmittellehre gegen psychische Krankheiten oder Heilmittel in Beziehung auf psychische Krankheitsformen. Innentitel: Medicinisch-practische Adversarien. Zweite Lieferung. Tübingen: Laupp, enthält auf S. XIV die Wortschöpfung "psychologisch-therapeutisch".  Schneider war einer der frühen alllgemeinen und integrativen Heilmitteltheoretiker (neudeutsch Wirkfaktoren oder Heilwirkfaktoren). Siehe zudem [F02].
    [F02] Psychotherapiegeschichte. Der Autor ist in der integrativen und allgemeinen Psychotherapiegeschichte, wie wir später noch drastischer sehen werden, nicht sehr gut bewandert oder wissenschaftspolitisch zu sehr engagiert, wodurch er seine wissenschaftliche Kompetenz oder Redlichkeit in diesem Punkt relativiert. Bereits Karl Philipp Moritz'  Gnothi Seauton ("Erkenne Dich selbst") oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde 1783 mit teilweise außerordnetlich "modernen" Ideen kann als die erste allgemeine und integrative Fachzeitschrift betrachtet werden.  Das erste große und systematische Werk zur Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie wurde 1803 von Johann Christian Reil verfaßt. J. A. C. Heinroth (1773-1843) erhielt 1811 in Leipzig den ersten Lehrstuhl für psychische Therapie. Und die  humane Revolutionierung in der Psychiatrie setzte wohl mit Pinels Befreiung der PsychiatriepatientInnen von ihren Ketten ein (Bild hier). Erfreulich ist anzumerken, daß er auf Janet hinweist, sehr bedauerlich ist, daß keines von Janets Werken im Literaturverzeichnis auftaucht und Janet auch im Namensregister nicht erwähnt wird. Das hat Janet bei seiner großen und integrativen Leistung für die Psychotherapie nicht verdient. Eine angemessene Würdigung von Janet finden Sie hier. Eine Kurz-Geschichte der historischen und Internationalen Integrativen Psychotherapiebewegung finden Sie hier  und die neuere und aktuelle Entwicklung wird hier unter [F03] geschildert.
    [F03] Neuere Integrative Psychotherapiebewegung (aus Sponsel 1997): "Ich möchte nun noch auf die Aktuellere Entwicklung der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie eingehen. Die Entwicklung verlief die letzten 15 Jahre sehr stürmisch. Die International Academy of Eclectic Psychotherapists in der z. B. auch Ellis Mitglied ist, hat sich 1982 gegründet. Sie veranstaltet seither Weiterbildungen und Kongresse und gibt die Zeitschrift  Journal of Integrative and Eclectic Psychotherapy heraus. Die Society for Exploration of Psychotherapy Integration, eingedeutscht kurz SEPI, wurde 1983 gegründet und seither werden regelmäßig Weiterbildungen in vielen Ländern der Welt durchgeführt und in der Zeitschrift „Journal of Psychotherapy Integration" dokumentiert. Ihr gehören derzeit über 500 Mitglieder, u. a. auch viele prominente PsychotherapeutInnen und PsychotherapieforscherInnen an (z. B. Lazarus, Beck, Mahoney, Wachtel, Garfield). Die SEPI versteht sich als eine Einrichtung, die das Gespräch zwischen den Schulen und schulenübergreifende Entwicklungen fördert. Das FPI um Hilarion Petzold gibt seit 1975 die Zeitschrift „Integrative Therapie" heraus und bildet seit 1973 aus. Am 18.11.1993 benannte sich die DGGK (Deutsche Gesellschaft für Gestalttherapie und Kreativitätsförderung) nach 20 Jahren in DGIK (Deutsche Gesellschaft für Integrative Therapie, Gestalttherapie und Kreativitätsförderung e. V.) um. Ca. 700 Mitglieder. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Theorie und Praxis der Integrativen Therapie sind erschienen. Der Lehrstuhl Grawe in Bern betreibt seit 1992, inzwischen mit jährlichem Beginn, eine Allgemeine Psychotherapieausbildung. Im inzwischen wohl berühmtberüchtigten Buch „Psychotherapie im Wandel", das man in seinen drei Teilen differenziert bewerten muß, heißt es auf  S. 787: Zitat: 'Wir sind der Überzeugung, dass es schon heute möglich ist, in Psychotherapieausbildungen und in der Psychotherapiepraxis eine Annäherung an eine solche Allgemeine Psychotherapie zu verwirklichen. Wir müssen damit nicht warten, bis ein noch besser ausgearbeitetes und besser empirisch überprüftes Konzept vorliegt.' Zwei vormals verhaltenstherapeutische Ausbildungsinstitute (München und Bamberg) haben sich in CIP, Centrum für Integrative Psychotherapie, umbenannt. Die Ausbildung dort ist aber nicht wirklich allgemein und integrativ, sondern schwerpunktmäßig verhaltenstherapeutisch, wobei man sich völlig ungerechtfertigt die kognitive Therapie einverleibt hat. Die Schweizer Gruppe Blaser, Heim, Ringer und Thommen legte nach 8-jähriger Arbeit 1992 ihr eklektisch-integratives Werk einer effektiven Kurzzeitpsychotherapie vor, das in der Berner Psychiatrischen Universitätspoliklinik entwickelt wurde. Dort wird auch ausgebildet. In Grawe et al. 1994 wird eklektischen und integrativen Therapien eine außerordentlich gute Effizienz in 22 klinischen Wirksamkeitsnachweisen bestätigt. In Freiburg bildet Kollegin Schramm unter dem Psychiater Prof. Berger in Interpersoneller Psychotherapie nach Klerman & Weissman aus und unter Berger wird ebenfalls integrativ, inclusive Psychoanalyse und Verhaltenstherapie, ausgebildet. Die MedizinerInnen sind überhaupt dabei, sehr stark integrativ auszubilden und damit in Richtlinienverfahren Doppelqualifikationen zu erwerben. Ich habe in meinem Buch (Sponsel 1995) rund 800 Arbeiten (von geschätzten 1000) zur Allgemeinen und Integrativen Therapie recherchiert und dokumentiert. Und bereits 1984 habe mit einer Stichprobe von N=1091 ProbandInnen eine umfassende integrative Psychotherapieerfolgskontrollstudie mit vielen Kontrollgruppen durchgeführt."
    [F04] Sponsel, R. (1997d). Theorie und Praxis einer  allgemeinen  und  speziellen  psychologischen Heilmittellehre, Psychotherapiesprache und Methodologie. Überarbeit. Sonderdruck des Vortrags auf dem  4. Dt. Psychologentag des BDP, 19. Kongreß für Angewandte Psychologie 2.-5. Oktober 1997 in Würzburg. 34 S., mit über 20 Illustrationen und Graphiken. Ringheftung DIN A4 DM 10.00. Erlangen: IEC
    [F05]  Jaspers-Zitat. Mehr einer Gewohnheit folgend habe ich das Jaspers-Zitat überprüft. Tatsächlich findet sich in meiner 5. Auflage von 1948 (748 Seiten)  das Zitat wie oben [F00] ausgeführt. Da Fiedler die erste Auflage zitiert, wollte ich nicht ausschließen, daß sich das Zitat in der 1. Auflage in der angegebenen Form findet. Ich habe mir eine erste Auflage von 1913 (338 Seiten) besorgt und eingesehen, aber das Zitat dort überhaupt nicht finden können. Eine Mail-Anfrage bei Peter Fiedler ergab, daß er dieses Zitat ungeprüft von Tölle übernommen hat. Das hat mich nun aus zwei Gründen ein wenig irritiert: (1) erstens sollte jeder, der Psychopathologie betreibt, einen Original-Jaspers in seinem Bücherschrank stehen haben, und erst recht dann, wenn Peter Fiedler (2) angibt: "Viele Jahre Jahre habe ich jetzt schon über diese pointierte Feststellung von Karl Jaspers nachgedacht." (S.11). So  frage ich mich: wenn man einen Satz für so bedeutsam hält, warum besorgt man sich dann nicht den Kontext und denkt mit und in diesem Kontext nach? In meiner fünften unveränderten Auflage befindet es sich auf S. 365 im Kapitel "Charakterologie" und hier im Abschnitt "c) Aufbau des Charakters überhaupt". Jaspers fährt nach dem Zitat fort: "Das darf in aller erleuchtenden Begrifflichkeit charakterologischer Menschenauffassung nie vergessen werden." Diese Ergänzung und der Kontext ist wichtig, weil man sonst denken könnte, daß Jaspers wie Rogers und weite Teile der Humanistischen Psychotherapie jegliche "feststellende Diagnostik" ablehnt.  Denn der Nachsatz bedeutet doch wohl ganz offensichtlich, daß Jaspers sehr wohl weiß, daß man in der psychopathologischen Diagnostik um Feststellen und Klassifizieren nicht herumkommt und er betreibt beides in der "Allgemeinen Psychopathologie" ja auch selbst. Aber er sieht a u c h, was das  e b e n f a l l s heißt. Und das gibt er uns als Mahnung mit auf den Weg: sieh, was du tust, wenn Du Persönlichkeiten klassifizierst und feststellst, Du maßt Dir etwas an, was letztlich nicht geht und die Kommunikation abbricht.  Diese Mahnung wird sehr verständlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß es im Bereich der Persönlichkeitsstörungen - den früheren "Psychopathien" - eine besonders labelnde und teilweise entwertende Diagnostik, der die Gefahr der Stigmatisierung innewohnt, unvermeidbar ist, wenn man sie denn betreibt. Und da hilft keine euphemistische Verschleierung, die nur unaufrichtig und damit anti-jasperisch ist.
    [F06]  Leonhard, Karl (1968): Die akzentuierten Persönlichkeiten. Berlin: VEB Volk und Gesundheit.
    [F07]   Links zum Terminologieproblem in der Psychologie: Beispiel Nur_empfinden_fühlen_spüren
    Über den Aufbau einer präzisen Wissenschaftssprache in Psychologie, Psychopathologie, Psychodiagnostik und Psychotherapie
    Überblick der Signaturen: Dokumentations- und Evaluationssystem Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    Testtheorie der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie.
    Probleme der Differentialdiagnose und Komorbidität aus Sicht der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie
    Introspektion, Bewußtseins- und Bewußtheitsmodell in der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie
    [F08] Mauthner, Fritz (1906). Zur Sprache und zur Psychologie. Stuttgart: J. G. Cotta'sche. Seite 303: "Die Psychologen vermeiden bereits,  ihre Werke einfach 'Psychologie' zu nennen, und es wird wohl nicht lange dauern, bis der Gegenstand dieser Wissenschaft, die menschliche Seele, aus der Reihe der technischen Ausdrücke ausgeschieden sein wird."
    [F09] In Vorbereitung: Sponsel, Rudolf. Psychoanalyse und Analytische Psychotherapie als Eingriff in das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Über den speziellen Abwehrmechanismus der Ausblendung und Verdrehung eben dieses Eingriffs. Erlangen: IEC
    [F10] Das ist nur die eine Seite dieser Medaille. Persönlichkeit in meinem Verständnis heißt auch, die Umwelt, das Leben an sich anzupassen: die Umwelt zu gestalten, ihr den eigenen Stempel aufzuprägen versuchen, wodurch ja manche Persönlichkeitsgestörte überhaupt erst so stressig, lästig oder sogar gefährlich werden.  Zu den Heilmittelklassen J anpassen und J gestalten.
    [F11] Der Ausprägungsbegriff wird in der Psychologie, Psychopathologie, Psychodiagnostik und Psychotherapie sowohl mehrdeutig als auch verkürzt im Sinne einer Intensitätsausprägung verwendet. Dies hat mich z. B. bewogen sämtliche Ausprägungsbegriffe, die ich mit dem Terminus "Quantoren"  bezeichne, einer Analyse zu unterziehen (siehe bitte hier).
    [F12] Es ist ein Trauerspiel, mitanzusehen, wie die Fach- und Berufspolitik die deutschen klinischen Lehrstühle erobert hat. Das alles hat mit Wissenschaft nicht mehr viel zu tun, sondern nur noch mit Wissenschaftspolitik. Während sich die psychosomatischen Lehrstühle fest im psychoanalytischen Würgegriff befinden, sind die allermeisten klinisch-psychologischen Lehrstühle fest in verhaltenstherapeutischer Hand. Wissenschaft? Oder Skandal und das Ende der Wissenschaft? Zur Wissenschaftskritik und zum Wörterbuch der Beschimpfung der Szientistischen Spieler. Entsprechend sieht es natürlich mit der Zulassung neuer psychotherapeutischer Verfahren durch den sog. Wissenschaftlichen Beirat aus. Diese "Wissenschaft" ist in großer Gefahr, völlig zu verwahrlosen.
    [F13] Terminologie: Mit dem griechischen Buchstaben Theta J (nach Jerapeia (therapeia): Heilung) kennzeichnen wir Psychische Funktionen, wenn sie Heilmittel- oder Heilwirkfaktoren-Qualität (Funktion) annehmen,  z. B. J einsehen,  J zulassen unterdrückter Erinnerungen, J stellen (konfrontieren), J sich  überwinden und J mutig sein, Jdifferenzieren, J entspannen, J lernen, J loslassen, J beherrschen ... Um deutlich zu machen, daß wir ein Wort nicht alltagssprachlich, sondern im Rahmen einer psychologisch-psychotherapeutischen Fachsprache verwenden, kennzeichnen wir das Wort mit dem griechischen Buchstaben y  (Psi, mit dem das griechische Wort für Seele =  yuch, sprich: psyche beginnt). Viel Verwirrung gibt es in und um die Psychologie, weil viele ihrer Begriffe zugleich Begriffe des Alltags und anderer Wissenschaften sind. Um diese babylonische Sprachverwirrung, die unökonomisch, unkommunikativ und entwicklungsfeindlich ist, zu überwinden, ist u. a. das Programm der Erlanger Konstruktivistischen Philosophie und Wissenschaftstheorie entwickelt worden: Kamlah & Lorenzen (1967). Zu einigen psychologischen Grundfunktionen siehe bitte: vorstellen.   Ausführlicher zum Terminologieproblem.
    [F14] Verschieben. In der Tiefenpsychologie ist verschieben auch ein Abwehrmechanismus (= Motivationswandler). Beispiel: Nehmen wir an, jemand kann das Rauchen nur dadurch aufgeben, daß sie oder er stattdessen Kaugummi kaut. Dann ist im Grunde keine Heilung des Kernproblems erfolgt, aber möglicherweise eine äußerst nützliche Verschiebung gelungen, wenn es sich auch noch um einen "Gesundheitskaugummi" handelt, den die ZahnärztIn so wertschätzt.
    [F15]  polythetisch: Aus dem Griechischen, zusammengesetzt aus poly = viel und Thetik = Inbegriff von Thesen oder dogmatischen Lehren . Die historische Bedeutung von "dogmatisch" paßt hier gut. Genauer wäre multiäquivalent. Und methodologisch notwendig  wäre ein Hinweis auf die Äquivalenzklassenbildung und ihre Problematik. Der Unsinn einer solchen unnötigen und problematischen Klassenbildungs-Diagnostik und wie man sie vermeiden kann und sollte, wurde von mir hier dargelegt.
    [F16] Odds Ratios: "Die Wahrscheinlichkeitsangaben kennzeichnen das empirisch gegebene Risiko, dass bei gegebener Hauptdiagnose eine oder mehrere weitere Persönlichkeitsstörungsdiagnosen vergeben werden. Odds Ratios mit Werten größer als vier gelten üblicherweise als klinisch relevante Zusammenhänge, und Werte größer als acht als hochbedeutsam." (S. 52). Kritik: Wahrscheinlichkeitswerte können üblicherweise nur Zahlen zwischen 0 und 1 sein. Eine Prozentdarstellung, die auch noch möglich wäre, ist nicht angegeben. Also, so darf man das nicht machen, das ist nachlässigster Zahlen-Szientismus.



    Arbeits- und Forschungsschwerpunkte des Autors
    Psychotherapie-Prozeßforschung:
    Untersuchungen zu veränderungsrelevanten Episoden in der Psychotherapie
    Untersuchungen zur Therapeut-Patient-Beziehung
    Forschungsprojekte zur Ätiologie und zum Verlauf psychischer Störungen insbesondere bei Depression, Ängsten und Phobien, Schizophrenie und Persönlichkeitsstörungen.
    Sprecher des Graduiertenkollegs Klinische Emotionsforschung
    Forschungsschwerpunkte siehe Graduiertenkolleg

    Ausgewählte Veröffentlichungen des Autors auf seiner Homepage (Uni Heidelberg):
    https://www.psychologie.uni-heidelberg.de/AE/klips/mitarbeiter/fiedler/index.html
    In seiner Präsentation in der Homepage des Psychologischen Instituts der altehrwürdigen Universität Heidelberg gibt Peter Fiedler folgende ausgewählte Veröffentlichungen an:

  • Fiedler, P. (1997). Persönlichkeitsstörungen (3. Aufl.). Weinheim: Psychologie Verlags Union.
  • Fiedler P. (1997). Therapieplanung in der modernen Verhaltenstherapie. Von der allgemeinen zur phänomen- und störungsspezifischen
  • Behandlung. Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin, 18, 7-39.
  • Fiedler, P., Backenstraß, M., Kronmüller, Th. & Mundt, Ch. (1997). "Expressed Emotion", Ehequalität und das Rückfallrisiko depressiver
  • Patienten. Nervenarzt, 68, im Druck.
  • Fiedler, P. (1996). Verhaltenstherapie in und mit Gruppen. Psychologische Psychotherapie in der Praxis. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
  • Mundt, Ch., Goldstein, M., Hahlweg, K. & Fiedler, P. (Eds.). (1996). Interpersonal factors in origin and couse of affective disorders. London: Gaskell - Royal College of Psychiatrists.
  • Fiedler, P., Albrecht, M., Rogge, K.E. & Schulte, D. (1996). Untersuchungen zur Aufmerksamkeitsfluktuation bei Phobien. Eine Prozeßanalyse der verhaltenstherapeutischen Angstbehandlung. Zeitschrift für klinische Psychologie, 25, 221- 223.
  • Fiedler, P. (1995). . The exploration of change events and change episodes in psychotherapy: Models, tools, and outcome. In J. Siegfried (Ed.), Therapeutic and everyday discourse as behavior change: Towards a micro-analysis in psychotherapy process research (pp. 141 166). Norwood, NJ: Ablex Publishing Corporation.
  • Fiedler, P. & Standop, R. (1994). Stottern. Ätiologie, Diagnose, Behandlung (4. Aufl.). Weinheim: Psychologie Verlags Union.
  • Fiedler, P., Vogt, L., Rogge, K.-E. & Schulte, D. (1994). Die prognostische Relevanz der Autonomie-Entwicklung von Patienten in der  verhaltenstherapeutischen Phobienbehandlung: eine Prozeßanalyse mittels SASB. Zeitschrift für Klinische Psychologie, 23, 202-212.

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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS).  Rezension in 10 Teilen: Fiedler, Peter (2000). Integrative Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrativerapie. IP-GIPT.Erlangen: https://www.sgipt.org/lit/r_fiedl1.htm
    Copyright & Nutzungsrechte
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     Ende  Fiedler IPt Persönlkstrg.  
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