SGIPT - Gesellschaft für Allgemeine und Integrative Psychotherapie - Deutschland
     Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT DAS=13.06.2001

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    Willkommen in der Buchbesprechungs- & Rezensions-Abteilung der GIPT, Kapitel 4-6 (berichtigt 4.10.2000 und fortgesetzt am 4.2.2001):

    "Integrative Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen"

    Fiedler, Peter (2000). Integrative Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen. Göttingen: Hogrefe.
          373 Seiten. ISBN 3-8017-1355-5  DM 69.00  Eingang des Rezensionsexemplars am 3.3.2000.

     Engagierte Rezension in 10 Teilen von Rudolf  Sponsel, Erlangen (09.00-11/01)

    Hier Fiedler_2:  Teil 4   (Querverweise Sonderservice Kapitel 4)     Teil 5    Teil 6
    Fiedler_1:   Teil 0   Teil 1   Teil 2   Teil 3   Anhang: Materialien, Belege, Querverweise
    _Fiedler_3Teil 7  _ Teil 8  _ Teil 9



    Teil 4  Integrative Psychotherapie

    Hier wird die LeserIn erwarten, daß der Autor darlegt, was "Integrative Psychotherapie" nach seinem Verständnis ist und nicht ist, sein und nicht sein soll und weshalb sie auf einmal jetzt möglich sein soll, wo dies doch von den deutschen VerhaltenstherapeutInnen - bis auf Grawe et al. (1994 ff) - immer als verfrüht oder zu schwierig problematisierend abgewiegelt wurde. Dies leistet das Kapitel auch, wenn auch teilweise recht unterschiedlich. Nun, Peter Fiedler beginnt nach unserem Geschmack, doch unser aber folgt:

    "4.1 Therapieschule
    Nachsitzen ohne Ende, und immer die gleichen Lehrer
    In den Psychotherapieschulen herrscht mit Blick auf die Persönlichkeitsstörungen (wie auch darüber hinaus) nach wie vor ein eigenwilliger "Omnipotenzanspruch" vor. Dieser polarisierende Anspruch hat sich insbesondere im deutschsprachigen Raum seit der Publikation von "Psychotherapie im Wandel" durch Grawe und Mitarbeiterinnen (Grawe, Donati & Bernauer, 1994) zeitweilig eher noch verschärft. Das ist eine ausgesprochen ungute Situation. Denn das Problem der schulübergreifenden Integration unterschiedlicher Psychotherapiestrategien sowie Fragen zur selektiven oder differenziellen Indikation ...
     

      ... und das heißt konkret: die Entscheidung darüber, welche therapeutischen Strategien bei welchen spezifischen psychischen Problemen und bei welchen persönlichkeitsbedingten Besonderheiten von Patienten unter welchen Rahmenbedingungen in welcher Reihenfolge oder als wirksamste Form als sinnvolle Vorgehensweisen empfohlen werden sollten ...


    ... diese Probleme der in -> Kapitel 1 aufgeworfenen Indikationsfragen können überhaupt nicht gegeneinander entschieden werden. Sie lassen sich schulübergreifend sinnvoll nur miteinander diskutieren.
        Eine solche Diskussion erfordert zugleich eine hohe Bereitschaft zur Selbstkritik. Denn die Zuständigkeitsdiskussion rückt endlich und zwangsläufig die bisher sträflich von den Therapieschulen vernachlässigte Frage des Geltungsanspruchs und der Realgeltung der jeweiligen Konzeption in den Mittelpunkt (Bastine, 1986; Fiedler, 1994)." (S. 56)

    Der traditionelle Forschungsdesign-Empirismus ist ein Irrweg: Nehmen wir den Autor erst nur mal milde beim Wort, so gibt es vier Hauptklassen zu berücksichtigender Dimensionen für die Therapieplanung und Durchführung, nämlich [In Wirklichkeit sind es längst nicht alle]:
     

      (TS)   "welche therapeutischen Strategien in welcher Reihenfolge"
      (SP)   "welchen spezifischen psychischen Problemen"
      (PS)   "welchen persönlichkeitsbedingten Besonderheiten" (PS1 = PS, PS2 = komorbide Störungen)
      (RB)   "welchen Rahmenbedingungen"


    Gehen wir nur von einem Dutzend therapeutischer Strategien aus, also TS=12, von SP=12 spezifischen psychischen Problemen, von nur PS1=12 Persönlichkeitsstörungs-Klassen, von nur weiteren PS2=12 relevanten komorbiden anderen Störungsmöglichkeiten und auch nur von einem Dutzend, RB=12, unterschiedlicher Rahmenbedingungen, so ergeben sich nach diesen reduzierten Klassifizierungen bereits folgende Möglichkeiten:

    (1) Nehmen wir der Einfachheit halber an, die sich die therapeutischen Strategien nicht wiederholen, jede Teilmenge von 1 bis 12 möglich sein soll und nur ihre Anordnung wichtig ist, dann ergeben sich bei 12 Strategien folgende Möglichkeiten:

             F1:Anzahl Strategien =   2N - 1   = 212 - 1  = 4096 - 1 = 4095   [F17]

    Braucht man zur empirischen Untersuchung einer Strategie eine Mindeststichprobengröße von T=30 (Therapiegruppe) und K=30 (Kontrollgruppe), dann brauchen wir:

    F2:   60 * 4095 = 245 700 Versuchspersonen

    nur für die Kombinatorik der Reihenfolge und die Möglichkeiten der therapeutischen Strategien.

    (2) Kombinieren wir 12 psychische Probleme, 12 Persönlichkeitsklassen und 12 komorbide andere Störungsmöglichkeiten und lassen wir höchstens je bis zu drei Komorbiditäten zu, so ergibt sich die Rechnung nach der Frage, wie viele Auswahlen von 1...3 aus 12 gibt es? Dies folgt der Formel für Kombinationen ohne Wiederholung:

    F3.1: für i=1:  n! / [(n-i)!*i!] = 12! /[(12-1)!*1!] = (12*11*...)/(11*...) = 12
    F3.2: für i=2:  n! / [(n-i)!*i!] = 12! /[(12-2)!*2!] = (12*11*10!)/(10!*2*1) =  66
    F3.3: für i=3:   n! / [(n-i)!*i!] = 12! /[(12-3)!*3!] = (12*11*10*9!)/(9!*3*2*1) = 220

    Insgesamt ergeben sich also 12 + 66 + 220 = 298 komorbide Möglichkeiten in einer Gruppe von 12 Persönlichkeitsmerkmalen.

    Da wir drei Problemklassen mit drei Persönlichkeitsklassen und drei komorbiden anderen Störungen kombinieren können, ergeben sich

    F4:  298 * 298 * 298 = 26 463 592

    - also 26 Millionen 463 Tausend und 592 - unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmalskombinationen.

    Jetzt fehlen uns noch die Kombinationen der unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Wir gingen von 12 aus. Lassen wir jede Kombination zu, ergeben sich 4095 unterschiedliche Rahmenbedingungen. Kombinieren wir die 4095 unterschiedlichen Rahmenbedingungen mit den Persönlichkeitsmerkmalskombinationen, erhalten wir

    F5:  1,08368 * 1011 = rund 108 Milliarden Kombinationen

    Kombinieren wir diese rund 108 Milliarden Persönlichkeitsmerkmalskombinationen mit den 4095 unterschiedlichen therapeutischen Strategien, so sind wir bei rund 444 Billionen Varianten. Setzen wir für jede dieser Varianten 30 Treatmentpersonen und 30 Kontrollgruppenpersonen ein, so brauchen wir für das Untersuchungsdesign nach diesem Ansatz 26,6 Billiarden Erwachsene (da Persönlichkeitsstörungen erst im Erwachsenenalter diagnostiziert werden können).

    Das zumindest ist die Art der Wissenschaft, die der integrative Psychotherapeut Peter Fiedler - wie seine empiro-szientistisch orientierten KollegInnen - uns theoretisch nahelegen, wenn man seinen Ansatz konsequent ausformuliert, was er, betrachten wir uns diese Zahlen - verständlicherweise - nicht tut.

    Betrachten wir nun, wie viele echte Untersuchungen tatsächlich vorliegen, so können wir uns fragen, wie viele es sein müßten, damit man sie repräsentativ nennen kann?  Nun, wir haben rund 444 Billionen Varianten. Nehmen wir an und seien wir großzügig, es lägen 4440 differenzierte Therapiestudien zu unseren Persönlichkeitsstörungsvarianten in einem Kulturraum vor, dann wäre dies eine Rate von

    F6:  4440 /  444 000 000 000 000  = 0,000 000 000 01 %.

    Das wäre dann praktisch 0 (manche Programme könnten diese 0 gar nicht mehr darstellen). Da man nach Grawe et al. (1994, S. 50) für Meta-Analysen alle Studien braucht, könnte man sagen, selbst mit 4440 Spezialstudien hätten wir eine Repräsentation, die praktisch 0 ist. Zu den 150 Billionen Dyadenmöglichkeiten einer Einzelpsychotherapie siehe hier.

    Was sagt ein solches wissenschaftliches Ergebnis für einen konkreten Einzelfall aus, der sich fast immer durch eine individuelle Einzigartigkeit von den Treatmentbedingungsmerkmalen unterscheidet?Was unterscheidet nun eine solche Wissenschaftskonzeption von Zufall, Willkür, Astrologie, Kaffeesatzlesen oder esoterischen Eingebungen? Nun, es ist "nur" die Macht dieser Lehrstühle.

    Sieht man sich die Zahlen und ihre Bedeutung an, muß man wohl feststellen: dieser Ansatz kann es nicht sein. Welcher ist es aber dann?

    Der idiographische Heilmittelansatz
    Nun, es liegt auf der Hand, daß wir für die Praxis ein idiographisches Einzelfallparadigma brauchen, eine Wissenschaft, die vom individuellen Einzelmenschen und wie man genau ihn in seinem Lebenskontext bei den vorhandenen Rahmenbedingungen, Mitteln und Ressourcen behandelt. Machen wir es kurz: die Wissenschaft hat hier auf der ganzen Linie versagt: sie können es - bislang - einfach nicht. Was also ist zu tun? Wie geht es? Die Sache ist im Grunde einfach, wenn man sich die psychotherapeutische Situation vergegenwärtigt: Wir finden bei genauer Betrachtung immer den gleichen Problemsachverhalt vor: (a) ein Sachverhalt fehlt, er ist (b) zu sehr oder (c) zu wenig oder (d) auf die falsche Weise ausgeprägt:

    Jemand hat zu viel oder zu wenig oder die falsche Risikobereitschaft. Jemand hat zu viel oder zu wenig Angst oder Angst in unangemessenen Situationen. Jemand hat zu viel oder zu wenig Antrieb, zu viel oder zu wenig Neugier oder Ungeduld, Selbstbehauptung, Gestaltungswillen oder Anpassungsstreben. Jemand lenkt zu viel oder wenig oder an der falschen Stelle auf falsche Weise. Völlig verallgemeinert kann man sagen: Es liegt eine Störung vor, die verschwinden soll.
    Strengt sich jemand zu wenig an, muß er sich anstrengen lernen; vertraut jemand zu naiv und zu leicht, muß er kritischer prüfen lernen. Die therapeutische Inverse zu einer Störung nennen wir Heilmittel. Die Anwendung der Inverse auf eine Störung hebt diese auf, gleicht sie aus oder kontrolliert sie.

    Also brauchen wir Störungs- und Heilmittelwissen unter Berücksichtigung des individuellen Einzelfalles und sonst nichts. Das ist im Grunde die Idee der integrativen Therapie.

    Auf einer relativ einfachen allgemeinen Ebene lassen sich die Heilmittel in einfache Klassen [Zur Terminologie] zusammenfassen, z. B. können alle Störungen, in denen ein Tun fehlt, zur Heilmittelklasse J Tun zusammengefaßt werden. Alle Störungen, die mit einem fehlenden Fühlen einhergehen, können zur Heilmittelklasse J Fühlen zusammengefaßt werden. Wir werden im folgenden sehen, daß die moderne Entwicklung zu störungsspezifischen Manualen, nichts anderes als eine Variante der oben ausgeführten Kernideen ist. Diese Ideen sind jetzt lediglich vom individuellen Einzelfall ausgehend Zug um Zug auf immer mehr Einzelfälle zu verallgemeinern. Je mehr individuelle Einzelfälle es gibt, bei denen mit einem bestimmten Vorgehen eine Störung beseitigt werden konnte, desto allgemeinere Gültigkeit gewinnt dieses Vorgehen. Die allgemeine Psychotherapie und allgemeine Psychotherapieforschung sollte nun solche ganz allgemeinen Heilmittel-Module zur Verfügung stellen. Wer in Passivität verharrt, muß ganz allgemein gesehen, J anfangen, J dabei_bleiben und J prüfen lernen. Wer zu viel Angst in einer bestimmten Situation hat, will diese Angst los werden. Was für eine Therapie er immer auch durchführt, am Ende jeder Therapie, wird zu prüfen sein: ist diese Angst verschwunden, normalisiert oder nicht. Dies kann man nur durch einen Realtest folgender Art feststellen: kann der Betreffende sich überwinden, in die ängstigende Situation hineinzugehen, sich also zu stellen und darin angstfrei oder angstnormalisiert auszuhalten und zu verharren? Falls man das bejaht, sind die allgemeinen Heilmittel J überwinden, J stellen und J aushalten gefunden.

        Dieser Ansatz ist im Grunde uralt, so alt wie die Heilkunde selbst, eine Hoch-Zeit dieser Tradition hat die explizite psychologisch- psychopathologische Heilmittelforschung aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehabt (Reil 1803, Heinroth 1818, P. J. Schneider 1824, Friedreich 1830, F. G. Bräunlich 1839) und selbst noch zu Freuds Zeiten als die Psychoanalyse im Entstehen war (Löwenfeld 1897; Münsterberg 1909ff; Dornblüth 1911, Erfinder des "Pschyrembel"; Rosenzweig 1936; ja Peter Fiedler erwähnt noch nicht einmal die sensationelle integrative Konferenz von 1940). In Deutschland wurde diese Idee sehr deutlich von Bastine 1975 ("Auf dem Weg zu einer integrierten Psychotherapie") formuliert und es ist ausgesprochen verwunderlich, weshalb diese Arbeit Bastines von Peter Fiedler, beide Heidelberg, nicht zitiert wird, selbst wenn man berücksichtigt, daß Bastine seine frühen integrativen Ansichten aufgegeben oder entscheidend revidiert hat. Wissenschaftlich korrekte Darstellung?

     "4.1.2 Integration heute: zaghafte Versuche
    Schaut man sich die aktuelle Literatur zur integrativen Behandlung von Persönlichkeitsstörungen im engeren Sinne an, kann man auch in diesem Bereich erste kritische Reaktionen auf den beschriebenen Zustand erkennen (Becker, 1999 a). Andererseits fallen einige dieser Versuche ausgesprochen zaghaft aus. So werden zahlreiche Arbeiten in den ausdrücklich "schulübergreifend" konzipierten Herausgeberwerken zum Beispiel von Senf und Broda (1999) sowie von Saß und Herpertz (1999) immer noch nach Therapieschulen geordnet - von Ausnahmen abgesehen.
        Man mag mir diese Kritik bitte nachsehen, denn ich finde den Anspruch der Herausgeber hochgradig begrüßenswert. Hoffnung auf eine wirklich integrative Perspektive, wie dies die Titel der Bücher suggerieren, sind - was die Persönlichkeitsstörungen angeht - nur in sehr bescheidenen Ansätzen findbar. Andererseits deuten zumindest die Buchtitel selbst an, dass offensichtlich Handlungsbedarf besteht.
        Das lässt sich zur Zeit gut auch jenseits der Persönlichkeitsstörungen beobachten. Es mehren sich die Publikationen, in denen störungsübergreifend neue Wege ausgelotet werden (vgl. Grawe, 1996; Wagner & Becker, 1999). Diese Integrationsbemühungen entwickelten sich bisher leider eher am Rande und zumeist jenseits der Therapieschulen. Werden Integrationsforderungen von ihren Protagonisten nämlich lauter vorgetragen, finden sie innerhalb der Schulen kein nachhaltiges Interesse." (S. 57)

    Ist Peter Fiedler ein integrativer Wissenschafts-Politiker? Wenn man natürlich von ca.1000 integrativen Arbeiten von Johann Christian Reil (1803) bis Rudolf Sponsel (1995) nur zwei verhaltenstherapeutisch-orientierte Werke zitiert, dann darf man sich nicht wundern, daß der "kleine Rest" der Psychotherapiewelt nicht sehr begeistert auf diese Art "Integration" - die man besser als feindlichen Übernahmeversuch oder Okkupationsanmaßung bezeichnen sollte -  reagiert. Das ist nicht nur ein unwissenschaftliches und unfaires Verhalten, es ist auch keineswegs geeignet, das Gros der PsychotherapeutInnen zu gewinnen. Körpertherapie und Bioenergetik, Gestalt-Therapie, Hypnotherapie (Milton H. Erickson), Transaktionsanalyse und Psychodrama werden von dem integrativen Psychotherapeuten Peter Fiedler in seinem integrativen Werk noch nicht einmal erwähnt und damit ihre historische Leistung für die ganze Psychotherapie implizit und faktisch für Null und Nichtig erklärt. Ja, noch nicht einmal Hilarion Petzolds großes Lebenswerk für die Integrative Therapie vor allem in Deutschland und Europa wird auch nur mit einem einzigen Wort gewürdigt. Der große und wichtigste Mann der deutschen Psychologischen Integrativen Psychotherapie, Reynaud van Quekelberghe, mit seinem bahnbrechenden Buch (1979) "Systematik der Psychotherapie. Vergleich und kognitiv-psychologische Grundlegung psychologischer Therapien" wird weder erwähnt noch in der Literaturliste aufgeführt. Zwar werden zwei internationale um Integration bemühte wichtige Organisationen genannt, hierbei die Society for Psychotherapy Integration = SEPI (gegründet 1983), deren Ziele falsch vorgestellt werden (ich war selbst jahrelang Mitglied), aber die vom Ansatz her eigentlich wichtigste dritte, die International Academy of Eclectic Psychotherapists (1982 gegründet) wird gar nicht erwähnt, obwohl sich darunter weltberühmte PsychotherapeutInnen finden wie Albert Ellis, Soul L.Garfield (Amerikas erster klinischer Psychologe und Psychotherapieforscher) oder Arnold A. Lazarus. Garfields bedeutendes integratives Werk "Psychotherapie: Ein eklektischer Ansatz" (dt. 1982, orig. 1980) wird ebenfalls nicht erwähnt, obwohl Fiedler über das von Garfield und Bergin herausgegebene "Handbook of Psychotherapy and Behavior Change" meint: "Insbesondere das Handbuch gilt weltweit als unverzichtbare Pflichtlektüre der Psychotherapieforscher" (S. 59). Und Garfields integratives Hauptwerk kann wohl hier einfach so unerwähnt bleiben? Es fehlen Goldstein & Stein (Maßschneiderung mit Standardverfahren, dt. 1980), es fehlen sämtliche Arbeiten und insbesondere die multi-modale Therapie von Arnold A. Lazarus, der große technische Eklektiker der multimodalen Therapie. Und es fehlt die gesamte klassische deutsche Psychiatrie der letzten 200 Jahre (am ärgerlichsten vielleicht, daß Janet fehlt). Die Psychiatrie war eigentlich immer integrativ bis sich die Psychoanalyse mit verheerenden Folgen in den Vordergrund schob. Es fehlt der neuere integrative medizinische Ansatz von Müller-Hegemann ("Medizinische Psychotherapie", 1976) [FN20]. Leider fehlen auch Kleinsorge & Klumbies mit ihrer bedeutenden Arbeit zu Medizin, Psychosomatik und Hypnose in "Psychotherapie in Klinik und Praxis"- schon 1959 erschienen - womit bedauerlicherweise die Möglichkeit verpaßt wird, ein Stück Psychotherapie aus der ehemaligen DDR einzubeziehen. Es fehlt die Arbeit zur integrativen Kurztherapie der Berner Gruppe Blaser et al. (1992). Es fehlt der Eklektiker Plaum (1992), es fehlt Reisman (1971), es fehlen die Gebrüder Hart (1983), es fehlen Stricker (Ed., 1993) und Gold (1988, 1990, 1993), es fehlt Thorne (1950ff), es fehlt Mahrer (1989), es fehlt Mahoney (1977), es fehlen sämtliche Werke von Norcross (1984, 1985, 1986, 1987, 1988, 1989, 1990, 1991, 1992 zusammen mit Newman: "Obstacles against Integration").
        Es fehlt, es fehlt, es fehlt, ....... Wir wollen uns mit dieser Stichprobe, was alles fehlt, begnügen: sie ist erschütternd genug, fehlen doch nahezu alle, die in der Integrativen Weltbewegung seit Johann Christian Reil (1803) etwas geleistet haben. Bei Peter Fiedler gibt es nur Grawe et al. (1994) und  Wagner & Becker (1999). Was also ist los mit dem integrativen Psychotherapeuten Peter Fiedler? Ist er in erster Linie ein VT-integrativer Wissenschafts-Politiker, ein wissenschaftspolitischer Agent auf einem deutschen Lehrstuhl? Ist das etwa gar bezeichnend für die "integrative" Art und Weise der deutschsprachigen Verhaltenstherapie? Nun, hierfür sprechen einige Indizien: wurden bei Grawe et al. (1994) die neueren Integrativen Butollo, Petzold und van Quekelberghe im - integrativ äußerst bescheidenen - Literaturverzeichnis noch spärlich, aber immerhin erwähnt, sind sie in Grawes ("Psychologische Psychotherapie", 1998) der völligen Ignoration zum Opfer gefallen. Wissenschaft, Fairneß oder Politik?

        "... Diese Integrationsbemühungen entwickelten sich bisher leider eher am Rande und zumeist jenseits der Therapieschulen. Werden Integrationsforderungen von ihren Protagonisten nämlich lauter vorgetragen, finden sie innerhalb der Schulen kein nachhaltiges Interesse.
        Nur manchmal lösen sie Reaktionen aus, die zumeist als heftige Gegenwehr erfolgt. Ablesbar ist diese heftige Gegenwehr besonders eindrücklich an den Reaktionen, die die oben erwähnten Bemühungen von Klaus Grawe um die vergleichende Bewertung der Therapieschulen ausgelöst haben (Grawe, Donati & Bernauer, 1994). Dabei hatten selbst die hermeneutisch und phänomenologisch orientierten Psychotherapieforscher über die ersten Ergebnisse der vergleichenden Therapieforschung aus den siebziger Jahren einhellig begrüßt. Die frühen Meta-Analysen von Smith und [58] Glass (1977) führten nämlich noch zu dem offensichtlich beruhigenden Ergebnis, dass die Wirksamkeit therapeutischer Behandlung relativ unabhängig davon ist, mit welchem Verfahren der jeweilige Patient behandelt würde.
        Das war natürlich keine Bedrohung. Diese frühen Ergebnisse wurden seinerzeit .auch von jenen Therapiegruppierungen, leichtfertig bis kühn als Beleg für die Wirksamkeit ihres eigenen Vorgehens genommen, deren Therapiekonzepte von Smith und Glass überhaupt nicht mitbewertet worden waren. Erst als Grawe, Donati und Bernauer (1994) die Unzulänglichkeit dieser frühen Vergleichsstudien differenziert in Frage stellten, rührte sich hektisch vorgetragener Unmut." S 57f

        Wieso behauptet Peter Fiedler, daß die erste große Meta-Analyse von Smith und Glass (1977) kaum ernstzunehmende Unterschiede der bewerteten Verfahren aufzeigte, obschon dies eindeutig falsch ist, die Effektstärken unterscheiden sich um bis fast den Multiplikationsfaktor vier (Sponsel 1995, S. 360). Und warum unterschlägt Peter Fiedler die viel wichtigere Meta-Analyse von Smith, Glass & Miller von 1980, in die 475 Studien einflossen und wo exorbitante Unterschiede zwischen den verschiedenen Therapieschulen zutage traten? Weil die kognitive Therapie - die in den USA eine eigene Richtung war - mehr als doppelt so gut wie die VT abschnitt und auch die genuin integrative Hypnotherapie sich allen VT-Methoden als haushoch überlegen erwies?
        Peter Fiedler wird wohl kaum sagen können, daß er diese Studie nicht kennt, denn jeder, der sich verantwortlich mit Psychotherapieforschung beschäftigt, kennt sie (und da sie nicht jedem zugänglich ist, haben wir die Ergebnisse hier plaziert, siehe auch Grawe et al. 1994, S. 48 oder Sponsel 1995, S. 361). Nun, wie es scheint, möchte Peter Fiedler den Pappkameraden "keine Unterschiede" aufbauen, um ihn anschließend mit Grawe et al. 1994 niederzuschlagen. Dabei sind Grawe et al. noch nicht einmal in der Lage oder auch nicht willens (siehe bitte oben) - wir wissen es nicht genau - , für alle Schulen Effektstärken zu berechnen. Somit ist das Argument Peter Fiedlers, Grawe et al. kämen zu ganz anderen Ergebnissen, weil sie angeblich alle (was nicht stimmt, es sind 897 von ziemlich sicher rund 4000 oder mehr) Studien herangezogen hätten, nur eine kühne Vermutung, die gar nicht überprüfbar ist, weil keine vergleichbaren Größen (Effektstärken) über alle Schulen, nur für GT, PA und VT, vorliegen. Außerdem wird Fiedlers Argumentation zu Gunsten von Grawe et al. gegen Smith und Glass ja von der Grawe et. al. (1994) Argumentation (S. 661) selbst ad absurdum geführt:

        "Es ergibt sich damit ein 'reiner', spezifischer Behandlungseffekt in der Grössenordnung von ES = .85. Dieser Wert stimmt bemerkenswert gut überein mit der Effektstärke von .85, die Smith et al. (1980) als Durchschnitt von 1761 Einzeleffektstärken aus 475 Studien gefunden hatten."

        Fassen wir zusammen: es wird die weniger relevante Arbeit von Glass & Miller 1977 zitiert, diese wird falsch dargestellt und die viel wichtigere Meta-Analyse von 1980, mit exorbitanten Unterschieden wird (folgerichtig?) "unterschlagen". Und um dem Faß die Krone aufzusetzen, wird dann noch behauptet, Grawe et al. käme zu anderen und natürlich besseren Ergebnissen als Smith, Glass & Miller 1980, obwohl ein direkter Vergleich der Effektstärken gar nicht möglich ist, weil Grawe et al. sie in ihrer Hauptstudie nicht für alle Schulen, sondern nur für GT, PA und VT berechnen. Dort aber sind die Ergebnisse zwischen der Forschungsgruppe Grawe und Smith, Glass & Miller fast identisch! (Grawe et al. 1994, S. 661 kommt mit der Methode von Smith, Glass & Miller 1980 auf eine durchschnittliche Effektstärke von .86, Smith, Glass & Miller kamen auf .85. Ja, was ist denn das nur für eine Desinformation, die Peter Fiedler da betreibt? Ja, sind wir hier - was die Psychotherapie betrifft - in einer wissenschaftlichen Bananenrepublik, gibt es hier denn keine Deutsche Gesellschaft für Psychologie, die den hier längst überfälligen energischen Ordnungsruf auf den Weg bringt?

    Wenden wir uns nun dem Thema Wirkvariablen, Wirkfaktoren, Heilwirkfaktoren, den Heilmitteln zu:

    "Wirkvariablen
    Die wichtigsten der bereits früh diskutierten und beforschten schulübergreifend relevanten Wirkfaktoren sind (vgl. Garfield, 1994; Beutler, Machado & Neufeldt, 1994; Orlinsky, Grawe & Parks, 1994):

  • Patientenvariablen wie Veränderungserwartungen, Veränderungsmotivation, Widerstand, Übertragung, Schweregrad der psychischen Störung usw.;
  • Therapeutenvariablen wie vor allem Empathie, Kongruenz, Gegenübertragung und Transparenz usw. sowie
  • Qualitäts- und Prozessmerkmale der Therapaut-Patient-Beziehung wie z.B. das therapeutische Arbeitsklima oder die Auflösung von therapeutischen Krisen;
  • Placebo-Wirkungen, die auf ihre Weise Hinweise auf besondere Wirkfaktoren liefern könnten, wie zum Beispiel Hoffnung auf Heilung durch Behandlungsentschluss, die Ritualisierung therapeutischer Handlungen, das Attributionsverhalten und das Interaktionsgefälle in der Psychotherapie.

  • _
    Insbesondere mit den letztgenannten Aspekten hatte Jerome Frank (1973) die Diskussion um unspezifische Wirkungen, die vom „Heiler" in der Psychotherapie ausgehen, eröffnet. Denn vor allem der Nachweis, dass auch Placebobedingungen wirksam sind, legt die Annahme von Wirkfaktoren nahe, die eindeutig unabhängig von den Methoden der Therapieschulen sind." (S. 59)

        Da es schon mehrfach gesagt wurde, soll an dieser Stelle nur noch summarisch darauf hingewiesen werden, daß es bereits zwischen 1803 und 1839 (siehe oben) eine intensive psychologische Heilmittel = Wirkfaktoren = Heilwirkfaktoren-Forschung gab. Und die Alten waren teilweise viel differenzierter, kundiger und fortschrittlicher als alle modernen zusammen genommen. Frank, der ebenfalls von Fiedler verkürzt und unzulänglich dargestellt wird, hat im übrigen eine ziemlich detaillierte Analyse der Wirkfaktoren vorgelegt (Zusammenfassung im Reader von Sponsel 1995). Leider ist sein sehr interessanter Ansatz bislang nicht dezidiert weiter entwickelt worden. So ist auch Grawes Modell pragmatisch zwar nützlich (Problemaktualisierung, Ressourcenaktivierung, Problembewältigung und Klärung), aber weit davon entfernt, die heilkundliche Wirklichkeit auch nur annähernd differenziert und angemessen wiederzugeben. Die Forschungsgruppe Grawe - obwohl sie sich auf Piaget beruft -  ist wie Peter Fiedler bislang auch nicht in der Lage elementare Erlebenstermini (z. B. denken, vorstellen, phantasieren, fühlen, empfinden, lenken, erinnern, einstellen, wollen, wünschen, wahrnehmen, bewußt-sein, ...) und damit eine Evaluation der Bewußtseinsvorgänge und Introspektion wissenschaftlich differenziert und evaluierbar vorzulegen.

        Peter Fiedler kommt abschließend zu einem sehr wichtigen Befund der Common- Factor- Forschung:

        "... Eines jedoch hat die Common-Factor-Forschung bis heute zweifelsfrei und schulübergreifend belegen können:
    Immer hängt der Erfolg einer Psychotherapie davon ab, ob es Therapeuten und Patienten gelingt, von Beginn der Behandlung an eine gute Arbeitsbeziehung herzustellen. Wie diese Arbeitsbeziehung konkret ausgestalten sollte und wie sich diese im Therapieverlauf entwickelt, das wiederum sieht von Verfahren zu Verfahren recht unterschiedlich aus." (S. 62)

    Anschließend entwickelt Peter Fiedler zentrale Thesen seines Integrationsverständnisses:

        "Phänomenorientierte und störungsspezifische Therapie in der Praxis
    Konkret in die Praxis übersetzt bedeutet und beinhaltet phänomenorientierte und störungsspezifische Psychotherapie das Folgende: Selbst innerhalb der Globalkonzepte (Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, Gesprächspsychotherapie) sieht heute z.B. eine Psychotherapie bei Ängsten und Phobien gänzlich anders aus als eine Psychotherapie bei Depression. Und die Therapieziele und konkreten Vorgehensweisen in der Behandlung einer Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit sind völlig andere als die Ziele und Therapiestrategien in der Behandlung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.
        Am weitesten ausgearbeitet sind die störungsspezifischen Konzepte aller drei Therapieschulen im Bereich schwerer psychiatrischer Störungen wie z.B. der Schizophrenie und der endogenen Depression. An diesen schweren Störungen lässt sich übrigens besonders gut verdeutlichen, dass enges Schuldenken bei der Entwicklung hilfreicher therapeutischer Strategien aufgegeben wird und dass sich, wenn man genau hinschaut, die konkreten Vorschläge für therapiepraktisches Handeln der unterschiedlichen Schulen zunehmend ähnlicher werden, obwohl sie jeweils mit völlig anderen Theorieüberlegungen begründet wurden (vgl. die Konzeptvergleiche in der psychoanalytischen und verhaltenstherapeutischen Behandlung schwerer Depressionen bei Fiedler, 1994 b)." (S. 63)

         Das sind Behauptungen, die in dieser Allgemeinheit so sicher nicht stimmen. Z. B. haben PhobikerInnen und Depressive ganz sicher eine Gemeinsamkeit: sie tErkl)vermeiden. Also ist schon klar, daß beide Störungsgruppen die Heilmitteltrias JErkl)Überwinden, J Stellen und JAushalten als Heilmittel-Inverse für ihr tvermeiden brauchen.

        "Gemeint ist hier also nicht einfache Integration im Sinne eines Eklektizismus oder einer schlichten Methodendurchmischung! Bei den heute hauptsächlich praktizierten und wissenschaftlich legitimierten psychotherapeutischen Verfahren (Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, Gesprächspsychotherapie und Interpersoneller Psychotherapie) handelt es sich um genuin unterschiedliche Therapiestrategien, die sich nicht einfach integrieren lassen! Aus diesem Grund sind einige Gegenreaktionen auf die bisherigen Integrationsversuche der Comon-Factor-Forscher durchaus verständlich." (S. 64, Fettung von Sponsel)

        Hm, was ist eine "einfache Integration", was ist demgegenüber nur eine einfache "Methodendurchmischung",  "Eklektizismus" oder Ausdruck (Seite 58) "einer wissenschaftlich legitimierten, sog. Eklektischen Psychotherapie (vgl. Prochaska & DiClimente 1984)"? Wäre es nicht Peter Fiedlers Aufgabe gewesen, hier sowohl terminologisch als auch fundamental und theoretisch etwas tiefer zu schürfen? Aber da finde ich bislang nichts in diesem Buch: weder ein terminologisches, noch ein methodologisches oder ein theoretisches Problembewußtsein und es wird auch keine kompetente Bearbeitung dieser Probleme geboten. Setzt sich hier die traditionelle Oberflächlichkeit der verhaltenstherapeutischen Herkunft durch? Fundamentaleres hätte er bei Jaspers lernen können, den zitiert er aber aus zweiter Hand und vermutlich auch nicht korrekt. Wissenschaft, Kompetenz, Fairneß?
        Ich glaube nicht, daß die Ziele in den Therapieschulen so verschieden sind, das dürfen sie ja auch gar nicht nach dem Sozialgesetzbuch und den Psychotherapierichtlinien (heilen, bessern, lindern). Verschieden sind die Störungsmodelle und auch die Heilmittel, Methoden, Verfahren und Techniken, also die Theorien der Inversen. Das reicht aber auch schon vollauf: zwischen VT, PA, GT, SystemikerInnen und anderen liegen tatsächlich Welten. Und diese Welten sind mit ihren Grundwidersprüchen auch nicht integrierbar. Eine integrative Therapie wird einige dieser Grundannahmen über Bord werfen müssen, die künftige integrative Psychotherapie kann daher auch kein Durchschnitt aller relevanten Psychotherapieschulen sein, sie muß in der Tat etwas qualitativ Neues sein und damit wird sie rein formal auch den Charakter einer Therapieschule haben. Psychotherapieintegration ist tatsächlich eine schöpferische wissenschaftliche Leistung und etwas qualitativ Neues.

    Sehen wir nun, wie Peter Fiedler seine zentralen Thesen spezifiziert (S. 66f):

    "4.3.1 Störungsspezifität und Phänomenorientierung
    Die beiden Begriffe Störung und Phänomen kennzeichnen eine wichtige Balance, die in jeder Therapie, insbesondere der von Persönlichkeitsstörungen gesucht und hergestellt werden muss, will man die Einzigartigkeit, mit der uns Patienten begegnen, nicht vorschnell aus den Augen verlieren.

    Psychiatrische Diagnostik
    Einerseits geht es um eine genaue Differenzial-Diagnose (Persönlichkeitsstörung, psychische Störungen, eventuelle Komorbiditäten). Dies gilt nicht nur für die Forschung, deren Ergebnisse in einschlägigen Zeitschriften nur noch publiziert werden können, wenn sie genaue Diagnosen enthalten. Diese definierbaren psychischen Leidenszustände müssen dem Therapeuten wie dem Therapieforscher auch deshalb als Leitorientierung dienen, weil sie als solche zumeist dem Dienstauftrag der Patienten als behandelnswerten Ausgangspunkt einer Therapie ausdrücklich zu Grunde liegen.
        Dabei ist völlig unbestritten: Psychiatrische Diagnosen sind zunächst nichts mehr und nichts weiter als mehr oder weniger treffende klinische Zustandsbeschreibungen oder allenfalls Zustands-Verlaufs-Erfassungen mit allen dadurch gegebenen Nachteilen, wie z.B. einer teilweisen noch bestehenden unbefriedigenden prognostischen oder therapieprädiktiven Validität.
        Das kann jedoch nicht heißen, auf Diagnosen zu verzichten. Psychiatrische Diagnosen dienen nämlich in der gegenwärtigen Psychotherapieforschung - und zwar unabhängig von den Therapieschulen - als grundlegende Orientierung für die Entwicklung, Untersuchung und Nutzung ätiologischer Verstehensperspektiven und, aus den Ätiologiemodellen abgeleitet, der Entwicklung therapeutischer Strategien.

    Phänomenorientierung
    Zur Einzigartigkeit und Komplexität jedes einzelnen Falles gehören immer folgende Phänomenbereiche dazu:
     

  • die Personeigenarten des Patienten, seine persönlichen Stile und mögliche Persönlichkeitsstörungen; und zugehörig
  • die Biographie des Patienten, einschließlich Problem- oder Störungsgenese;
  • die Interaktionseigenarten und Interaktionsauffälligkeitendes Patienten oder gar daraus erwartbare Interaktionsstörungen in der therapeutischen Beziehung einschließlich vorhandener Motivationsprobleme;

  • der sozial-gesellschaftliche Lebenskontext, in den die Patienten eingebunden bzw. aber auch nicht ausreichend eingebunden sind. " (S. 66f)

    Ich kommentiere nur kurz: die unkritische Einstellung zur ICD und DSM-Diagnostik muß hier nicht erneut weiter vertieft werden. Die Phänomenorientierung ist wohl richtig und nützlich, man vergegenwärtige sich aber bitte das Problem der kombinatorischen Explosion, wie eingangs entwickelt.

    Zusammenfassung zum Kern der Integrationsidee Peter Fiedlers:
    Integrative Psychotherapie ist nun nichts anderes als ein Störungsspezifisches Therapieprogramm unter Berücksichtigung der sog. Phänomenorientierung. Dieser Bestimmung kann ich weitgehend zustimmen. Nun muß es aber auch gemacht werden. Wozu wir hier nach Peter Fiedler überhaupt noch PsychologInnen brauchen, ist unklar. Denn die Diagnostik ist, wie die Erstellung störungsspezifischer Therapieprogramme, bereits von der American Psychiatric Association geleistet worden. Man muß also für die Diagnostik nur noch DSM ff. und für die Therapieprogramme Gabbard (1995, Ed.) abschreiben. Dazu bräuchten wir aber keine klinisch-psychologischen Lehrstühle mehr, dafür würde es genügen, gute ÜbersetzerInnen zu beschäftigen, das würde den SteuerzahlerInnen viel Geld sparen, denn (S. 70):

    "Beispielhaft nachzulesen ist dies in dem zweieinhalbtausend Seiten (!) umfassenden Werk Treatments of Psychiatric Disorders der American Psychiatric Association (Gabbard, 1995), dass bereits in der zweiten Auflage erschien (die erste gab es zum DSM-III-R; APA, 1989). An diesem Herausgeberwerk beteiligten sich Autoren der unterschiedlichsten Therapierichtungen, sämtlich gründlich bemüht, das Wissen unterschiedlicher Therapieschulen auch jenseits des von ihnen selbst bevorzugten Therapieansatzes zu integrieren. Für Leser, denen zweieinhalbtausend Seiten zu viel sind, gibt es eine preiswertere Kurzausgabe (Gabbard & Atkinson, 1996), die m.E. jedoch nicht so empfehlenswert ist, weil die Ätiologiebegründungen fehlen.
        Denn jedes der in dem Werk von Gabbard (1995) beschriebenen störungsspezifschen Psychotherapiekonzepte beginnt zunächst mit einer ätiologietheoretischen Begründung, macht Vorschläge für eine phänomen- und störungsspezifische Therapieplanung, und es enthält über die Behandlungsvorschläge hinaus jeweils Hinweise zum störungsdifferenziellen Einsatz, also zu Fragen der differenziellen Indikation.
        Angesichts der inzwischen erreichten Vielfalt dürften Psychotherapeuten, die sich bei Gabbard (1995) kundig machen, übrigens zunehmend Schwierigkeiten bekommen, auf die Frage zu antworten, was Psychotherapie allgemein sei oder was etwa Psychoanalyse bzw. Verhaltenstherapie im Besonderen seien und wie diese Verfahren prototypisch funktionierten.
        Die Antwort auf diese Frage lautet nämlich: je nachdem - und zwar unabhängig von der Therapieschule. Je nachdem! Es hängt vielmehr davon ab, mit welchen Schwierigkeiten und Problemen die Patienten in die Praxis kommen (Phänomene bzw. Störungen!)." (S. 70)

        Positiv entnehmen wir, daß die Psychiater - sie, besonders die Deutschen, waren meistens integrativ orientiert - in den USA, obwohl in der Erlebens- und Introspektionspsychologie eher unterentwickelt, die Integrationsidee störungsspezifisch umsetzen. Auf diesen Zug springt Peter Fiedler nun auf. Nun, das ist in der Tat, wie er an anderer Stelle trefflich sagte, nur die eine Seite der integrativen "Medaille". Abgesehen von den bislang sehr undifferenzierten Lösungen - es gibt bislang keinerlei integrierte analytische [FN19] Heilmittellehre - ist auch die zweite Seite dieser "Medaille", die von Peter Fiedler sog. Phänomenorientierung, also kurz und traditionell: die idiographische Vielfalt, in keiner Weise auch nur annähernd methodologisch gelöst, so daß man sich fragen muß, was tun unsere LehrstuhlinhaberInnen eigentlich, wenn sie nicht Arbeiten der American Psychiatric Association rezipieren? Machen sie zu viel Berufs- und Fachpolitik und haben daher nicht mehr genügend Zeit für eigene Forschung?
        Es folgt ein klares Plädoyer für schulenübergreifendes Denken:

    "Schulübergreifendes Denken:
    Zukünftig Pflichtfach in jeder Therapieschule!
    Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, und doch kann es hier nicht ausdrücklich genug betont werden: Es könnte heute bereits als unverantwortlich bezeichnet werden, würden nicht auch die Praktiker in ihrer alltäglichen Arbeit auf die vorhandenen störungsspezifischen und sich z.T. beträchtlich voneinander unterscheidenden Psychotherapie-Konzepte zurückgreifen. Phänomenorientierte und störungsspezifische Therapie scheint nicht nur sinnvoll, sondern auch ausgesprochen erfolgreich zu sein. Genau aus diesem Grund werden zunehmend störungsspezifischeBücher oder Psychotherapie-Manuale veröffentlicht, die schulübergreifend konzipiert sind und die den Praktikern den Umgang mit den verschiedenen Störungen erheblich erleichtern helfen. Im Bereich der Persönlichkeitsstörungen ist dieser Trend am weitesten in der Entwicklung von Behandlungskonzepten bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen vorangekommen (vgl. z.B. die Arbeiten in Dammann & Janssen, 1999).
        Entsprechend wäre es auch unverantwortlich, würden Psychotherapeuten ihre Behandlungsmethoden selbst immer wieder neu in ihrer psychotherapeutischen Praxis erfinden (müssen). Und es wäre schließlich nicht nur als unökonomisch, sondern inzwischen ebenfalls als unverantwortlich zu bezeichnen, würden sie - angesichts des inzwischen vorhandenen enormen Störungs- und Behandlungswissens - alle unterschiedlichen psychischen Störungen mit nur einer, irgendwann einmal zu Beginn ihrer Karriere gelernten Standardmethode (z.B. mittels einsichtsorientierter Therapiegespräche) behandeln wollen." (S. 71)

        Im folgenden werden sodann Vorschläge für die praktische Arbeit sowie eine kurze und bündige Definition von praktischer integrativer Psychotherapie entwickelt, die sicher für viele PraktikerInnen sehr interessant sind und in der alten Heinroth'schen Tradition stehen (Therapie als ein heuristisches Geschäft).

    "4.4 Therapieplanung
    Selektive und differenzielle Indikation
    Schulenspezifische Behandlung als genereller Therapieansatz bei unterschiedlichen psychischen Störungen ist nicht mehr zeitgemäß. Die Zuweisung von Patienten zu für sie geeignete Behandlungsmaßnahmen sollte zukünftig auf der Grundlage gut durchdachter Indikationsentscheidungen und differenzieller Therapiepläne erfolgen." (S. 72)

        Auf Seite72 definiert Peter Fiedler ganz in unserem Sinne:
     
    Integrative Psychotherapie wird nachfolgend als Prozess eines kontinuierlich notwendigen Problemlösens verstanden. 

    "4.4.1 Exploration und Problemanamnese
    Jede Psychotherapie beginnt üblicherweise mit einer zieloffenen Exploration, in welcher der Patient ausreichend Gelegenheit erhält, frei und uneingeschränkt über seine psychischen Probleme und über die von ihm vermuteten Störungsursachen zu berichten. Immer geht es dabei auch um die Genese der Probleme und Schwierigkeiten, die ohne Rückschau auf die Biographie kaum hinreichend klar werden dürften.
        Es war und ist schulübergreifend immer schon unbestritten, dass jede Anfangsexploration neben dieser anamnestischen unmittelbar einige weitere Funktionen erfüllt bzw. zu erfüllen hat. Als die wichtigsten gelten motivierende sowie therapeutische Funktionen (Schulte, 1996).

    Therapieerwartungen und Therapiemotivation
    Therapieerwartungen und Therapiemotivation sind immer als Teil der Biographie zu betrachten, dies umso mehr, je länger der Leidensweg der Patienten andauert und falls die Betroffenen (was häufig der Fall ist) bereits über unterschiedliche Therapievorerfahrungen verfügen, sowohl organmedizinischer Art wie mit Psychotherapeuten unterschiedlicher Therapieschulen.

        Der Erhöhung der Motivation und der Strukturierung konstruktiver   Patienten- erwar tungen dient weiter die gezielte Ausweitung der Explorationsthemen auf die Bereiche "vorhandene Kompetenzen" und "nutzbare Ressourcen", die in vielen unterschiedlichen Erklärungs- und Behandlungsansätzen von Bedeutung sind. Auch dieses vorhandene individuelle "Expertentum des Patienten" wird nur unter einer biographischen Perspektive hinreichend deutlich." (S. 72)


     

    "Therapeutische Funktionen
    Therapeutische Funktionen liegen nicht nur in der Art begründet, wie es Therapeuten gelingt, die Sicherheit und das Vertrauen von Patienten in die therapeutische Arbeit zu erhöhen. Therapeutisch wirkt jede (Biographie-)Exploration bereits durch sich selbst. So beinhaltet die kooperative Rekonstruktion einer persönlichen Leidensgeschichte (subjektive Störungstheorie) zumeist, dass auch "neuartige" Erkenntnisse generiert werden können, weil viele bisher dem Patienten wenig einsichtige psychische Störungen im diagnostischen Gespräch in einem klärenden oder sinnstiftenden Licht erscheinen.

    Exploration und subjektive Theorie
    Die analysierende Exploration der Probleme und subjektiven Vorstellungen des Patienten wird als eine von Patienten und Therapeuten gemeinsam zu erbringende Leistung betrachtet - und zwar vor jeder weiteren Therapieplanung. Problemexploration und Phänomenordnung zielen auf die Entwicklung und Rekonstruktion einer subjektiven Störungstheorie, klären bestehende Therapieerwartungen der Patienten, ernieren vorhandene Kompetenzen und Ressourcen. Alle diese Aspekte können nur hinreichend verständlich werden, wenn sie aus der Biographie heraus, und zwar durch die Patienten selbst und zunächst möglichst wenig beeinflusst als seine subjektive Theorie behandelnswerter Probleme, entfaltet und begründet werden." (S. 74).

    Ich überspringe einige Punkte und komme nun zum Abschnitt:

     

    "4.5 Integrative Psychotherapie in der Praxis Basismodule und Therapieschwerpunkte

    Mit der Phänomen- und Störungsorientierung scheint sich möglicherweise ein entscheidender Paradigmenwechsel in der Psychotherapie insgesamt anzudeuten. Trotz der zunehmenden Diversifizierung der Wissensbestände gewinnt Psychotherapie jenseits der Psychotherapieschulen allmählich eine einheitliche Kontur. Diese Konturierung führt zu zentralen Schwerpunktsetzungen, die innerhalb jeder guten Psychotherapieplanung zukünftig möglichst umfassend Beachtung finden sollten. Diese Schwerpunktsetzungen sollen hier als Basismodule einer integrativen Psychotherapie bezeichnet werden ( - Abbildung 4.3).   (S. 80) ......

    "Das Bedürfnis der Patienten nach Information
    Bei den Betroffenen selbst ist nämlich fast immer ein Bedürfnis nach Information über psychische Störungen und Krankheit sowie über Gesundung vorhanden. Und dieses Informationsbedürfnis wächst - angesichts der kaum mehr überschaubaren Situation im psychosozialen Versorgungsbereich - ständig (Reschke, 1990). Verständlicherweise ist dieses Interesse zu Beginn einer psychotherapeutischen Behandlung am größten.

        Bereits längere Zeit ist empirisch gesichert, dass eine Frustration des Informationsbedürfnisses von Patienten ungünstige Wirkungen auf den Behandlungsverlauf zeitigen kann. Sie kann nicht nur den Verlauf thera- peutischer Maßnahmen contraproduktiv beeinflussen, sondern auch die Kontinuität psychotherapeutischer Maßnahmen erheblich gefährden (Roter, 1977; Raspe, 1983). Informationsmangel auf Seiten der Patienten kann als Stressor besonderer Art angesehen werden, der in seiner Wirkung häufig den Belastungen aus der Unbestimmbarkeit psychischer Störungen nahe kommt (Huppmann & Wilker, 1988).

    Fasst man die vorliegenden Forschungsergebnisse über die Folgen angemessener oder fehlender Information von Patienten positiv zusammen, dann lassen sich folgende Schlussfolgerungen daraus für die praktische Therapiearbeit ableiten (vgl. Schmidt & Dlugosch, 1992; Reschke, 1990):"
     

    • Mit Informiertheit der Patienten wachsen die Zufriedenheit mit der Therapie und das Vertrauen in die Behandlung.
    • Information vergrößert die Wirksamkeit therapeutischer Maßnahmen vor allem durch 'Entängstigung'. " (S. 82, fett R. S.)

    • _
    Es ist sehr zu begrüßen, daß Peter Fiedler der oft vernachlässigten und nicht angemessen gewürdigten Heilmittelklasse der  JInformation die ihr gebührende Aufmerksamkeit zukommen läßt.

    Die folgenden Ausführungen zur Problemaktualiserung sind sehr interessant und scheinen eine tendenzielle Konvergenz zwischen Verhaltenstherapie und psychoanalytisch orientierter Therapie anzuzeigen:

    "4.5.2 Problemaktualisierung:
    Klärung und Bewältigung

    In diesem Behandlungsschwerpunkt dürften heute noch die größten Unterschiede im konkreten Vorgehen innerhalb der Therapierichtungen zu erwarten sein. Nur zum Beispiel:
     

  • Psychoanalytische, tiefenpsychologische und gesprächspsychotherapeutische Ansätze präferieren ganz eindeutig die einsichts- und beziehungsorientierte Problemklärung als zentrales Wirkmoment ihrer Behandlung.
  • Verhaltenstherapeuten bevorzugen konzeptuell die ziel- und handlungsorientierte Problembewältigung.

  • _
        Natürlich dürfen beide Aspekte nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass sie sich etwa behandlungstechnisch ausschließen: Auch in einer Verhaltenstherapie spielt die Problemklärung eine zentrale Rolle, und wesentliche Wirkungen einsichtsorientierter Psychotherapie dürften in Bewältigungsprozessen der Patienten während der Behandlung zu finden sein. Beide Aspekte (Klärung bzw. Bewältigung) unterscheiden sich jedoch beträchtlich hinsichtlich der Art und Funktion, mit der sie in Psychotherapiekonzepten zum Einsatz kommen. Auch das ist zunächst nicht weiter problematisch, da beide Perspektiven wegen ihrer Wirkungsrelevanz in der Therapieforschung eine hohe Bedeutung gewonnen haben. Unabhängig von ihrem schulspezifischen Einsatz dürften Problemklärung und Problembewältigung jeweils entscheidende Anteile an der Varianzaufklärung günstiger therapeutischer Effekte haben (Orlinsky, Grawe & Parks, 1994).

    Problemaktualisierung:
    übergreifendes Merkmal therapeutischer Klärung und Bewältigung
    Gerade wegen der verrneintlichen Unterschiedlichkeit im konkreten therapeutischen Vorgehen der Therapiekonzepte haben wir hier den von Grawe (1995) eingesetzten Begriff "Problemaktualisierung" zur übergreifenden Kennzeichnung der möglichen Gemeinsamkeit von Problemklärung bzw. Problembewältigung gewählt. In der Therapieforschung mehren sich nämlich die Hinweise darauf, dass Probleme am erfolg- [S. 85] reichsten behandelt werden können, wenn diese in der Therapie zunächst real erfahren und dann geklärt und bewältigt werden können.
        Dies gilt - trotz aller Unterschiedlichkeit - gleichermaßen für die zunehmende Zahl von verhaltenstherapeutischen Expositionstherapien (z.B. bei der Behandlung von Ängsten, Phobien, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Zwangsstörungen) wie für die Behandlung von Beziehungsproblemen im psychoanalytischen Behandlungssetting. Auch die psychoanalytische Übertragungserfahrung verdeutlicht, dass problematische Bedeutungen, die das Leiden der Patienten ausmachen, wirksam dadurch verändert werden können, wenn diese Erfahrungen in der Therapie real zum Erleben gebracht und dann geklärt werden." (S. 84f)

        Die Konvergenzhoffnungen werden aber nur einen Abschnitt später so extrem zurückgenommen, daß man nicht mehr so recht versteht, weshalb eine integrative Psychotherapie möglich und notwendig sein soll:

    "Verhaltenstherapie und Psychoanalyse haben jeweils für sich betrachtet zahlreiche verfahrensspezifische Vorteile, die schon gar nicht um den Zwang vorschneller und unbedachter Integration "wechselseitig integriert" werden sollten. Vielleicht gibt es Patientengruppen, für die eine einsichts- und beziehungsorientierte Klärungsperspektive der bessere Weg ist, während andere Patientengruppen bedeutend mehr von einer ziel- bzw. handlungsorientierten Problembewältigung profitieren ( -> Kapitel 6)." ( S. 85)

        Das ist insofern überhaupt nicht nachvollziehbar, weil einsichts- und beziehungsorientierte Klärungsperspektiven ja kein Vorrecht oder Privileg psychoanalytisch-orientierter Therapien sind, wenn es auch oft so dargestellt wird. Zumal die Lehre von der Übertragung und ihrer Handhabung außerordentlich überholt erscheint. So gesehen ist es höchste Zeit, einigen konservativen PsychoanalytikerInnen klar zu machen, daß Tiefenpsychologie und unbewußte Prozesse kein Privileg und Reservat psychoanalytisch orientierter Psychotherapien sind.
        Es folgen wichtige Hinweise auf die so notwendige Ressourcenorientierung einschließlich der Einbeziehung sozialer Netzwerke und Stützsysteme:

    "Es ist letztlich der Patient selbst, der sich ändert, und nicht der Therapeut, der ihn ändert. Es gilt also in einer Psychotherapie, beim Patienten bereits vorhandene persönliche Ressourcen zu aktivieren. Ohne diese Ressourcen als Motor und Vehikel des Veränderungsprozesses können alle störungsspezifischen Vorgehensweisen ihre Wirkung nicht hinreichend entfalten. Die Ressourcenperspektive und die damit verbundene therapeutische Aufgabenstellung sind bisher vor allem in der Verhaltenstherapie ausgearbeitet und finden in den anderen Verfahren nur sehr begrenzt Beachtung. Dies dürfte sich zukünftig grundlegend ändern. Gleiches gilt auch für die nächsten beiden Aspekte, die ebenfalls wichtige Rahmenbedingungen einer Integrativen Psychotherapie darstellen." (S. 88).

    Diese Behauptung ist sicher falsch und auch unfair. Gesprächspsychotherapie, ja alle humanistischen Therapien, insbesondere auch die Gestalt-Therapie, Transaktionsanalyse und vor allem auch die moderne Hypnotherapie und Kommunikationstherapie sind außerordentlich positiv ressourcenorientiert. Am wenigsten positiv-ressourcenorientiert sind sicher die psychoanalytisch orientierten Therapien.

    Peter Fiedler geht noch kurz auf die außerordentlich wichtige Transfersicherung ein und schließt das integrative Kernkapitel mit wichtigen Statements und kritischen Fragen zur Umsetzung einer Integration in dieser, unserer Realität (S. 89/90):

    "4.6 Therapie-Schule bereitet auf das Leben vor
               Was kommt danach?

    Vielleicht wurde dieses Plädoyer für die Entwicklung einer Integrative Psychotherapie immer noch zu früh geschrieben. Hauptwiderstände gegen ein solches Unterfangen kamen (und kommen wohl auch weiterhin) vor allem aus den Vereinigungen der Therapieschulen, denen heute noch jeder junge Therapeut beitreten muss, um so etwas wie eine professionelle Ausbildung zu bekommen. Und leider ist gesundheitspolitisch und abrechnungstechnisch alles auch noch so organisiert, dass Psychotherapeuten ihrer Therapieschule verfahrenstechnisch ein Leben lang treu bleiben müssen. Warum eigentlich? [S.90]
        Die inzwischen erreichten Erfolge therapeutischen Handelns sind in keiner Therapierichtung so gut, dass man sich zufrieden zurück lehnen könnte. Und es scheint  gelegentlich so, dass sie sich mit den herkömmlichen Therapieansätzen nur begrenzt  steigern lassen. Liegt diese Stagnation nur an möglichen Grenzen der Beeinflussbarkeit von Patientenproblemen? Oder liegt es an der geringen Bereitschaft in den Therapieschulen, sich mit Vertretern der konkurrierenden Therapieverfahren zusammen  zu setzen, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im therapeutischen Handeln ernsthaft zu diskutieren, um deren jeweilige Geltungsbereiche eindeutiger zu bestimmen. Da eine gewisse Stagnation unverkennbar ist, wird es dringend Zeit, dem gemeinsamen Anliegen "Psychotherapie" insgesamt neuen Schwung zu geben. Integration bedeutet nicht, dass brauchbare und wirksame Konzepte aufgegeben werden. |
        Warum tut man sich in den Therapieschulen so schwer mit Innovationen, die auf eine Überwindung des Denkens in Therapierichtungen abzielen? Natürlich bedeutet jede wirkliche Innovation zwangsläufig, dass auch die bereits lange Zeit praktizie- renden Kollegen neu und umlernen müssten. Aber sollte etwa Besitzstandwahrung  der wesentliche Hinderungsgrund sein, Behandlungsmöglichkeiten endlich zu optimieren? Psychotherapie-Innovation dient dem Wohl der Patienten. Dass letztendlich auch die Therapeuten davon profitieren, geht nur um den Preis neuer Investitionen in deren eigene Zukunft.
        Glücklicherweise mehren sich gegenwärtig dennoch die Anzeichen, dass eine wirklich ernsthaft gemeinte integrative Psychotherapieforschung zunehmend Einfluss auf die bestehenden psychotherapeutischen Theorien und Praktiken haben könnte.  Psychotherapeutische Techniken und Möglichkeiten müssen den wechselnden Bedürfnissen der Patienten entsprechen und den Forderungen unserer vielschichtigen  Gesellschaft. Erste Rahmenbedingungen für einen solchen schulübergreifenden Integrationsversuch wurden in diesem Kapitel vorgestellt, und sie sollen in den Folgekapiteln am Beispiel der Persönlichkeitsstörungen weiter ausgearbeitet und konkretisiert werden.
        Wenn man die später gegebenen Vorschläge ernsthaft durchsieht, ist unverkennbar, dass Psychotherapie jenseits des Therapieschulendenkens keine Glaubenssache  mehr ist. Psychotherapie, wie sie hier vertreten wird, ist eine sachbezogene, pragmatische, theoretisch wie empirisch gut begründbare professionelle Tätigkeit. Und auch  für die Patienten könnte Psychotherapie zu einer besser durchschaubaren und zunehmend erfolgreicheren Angelegenheit werden.
        Auch wenn es noch längere Zeit dauern dürfte, gibt es langsam berechtigten  Grund zu der Hoffnung, dass die Zeit der Engstirnigkeit in den Psychotherapieschulen zu Ende geht. Über kurz oder lang dürfte eine moderne, störungs- und phänomenorientierte Psychotherapie, mit der man den spezifischen Belangen von Patienten sehr gut gerecht werden kann, zunehmend ihre Anhänger finden." (S. 89f)

    Querverweise: Sonder-Service zum 4. Kapitel
    Ein Dokument zur sensationellen Integrativen Psychotherapiekonferenz von 1940
    Meta-Analyse: Was sind und was sagen Meta-Analysen aus?
    Aus der Meta-Analyse von Smith, Glass & Miller 1980.
    Die Meta-Analyse von GRAWE et al. 1994 (Erfassung bis Ende 1983).
    Idiographische Wissenschaftstheorie: Die grundlgenden Probleme und Aporie jeglicher Einzelfall- und damit Therapieforschung.



    Teil 5  Grundkonzepte der Psychotherapie
    Gemeinsamkeiten und Unterschiede (S. 91 - 112)

        Vorbemerkung Sponsel: Für mich ist dieses Kapitel an dieser Stelle überhaupt nicht verständlich, da es, wenn das vorhergehende Kapitel - Integrative Psychotherapie - angemessen entwickelt und ausgereift wäre, überflüssig ist. Anders gesagt: wenn Peter Fiedler schon auf die Therapieschulen eingeht, dann hätte dieses Kapitel vorher plaziert werden sollen, weil sich ja gerade aus den Unzulänglichkeiten der Therapieschulen, die Konzeption einer integrativen Psychotherapie ergeben sollte. Weiter wird die Rezeption dieses Kapitels sehr erschwert, weil  zwei Kriterienformen (Tabelle, Essentials) angewendet werden und  die jeweiligen - meiner Ansicht nach aussagekräftigeren - essentials zu den ausgewählten Therapiesystemen ("Schulen") unterschiedlich und daher nicht vergleichbar sind. Im Grunde gibt Peter Fiedler mit dem 5. und 6. Kapitel seinen Anspruch und sein Plädoyer für eine integrative Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen auf.  Das ganze Buch und Konzept erscheint hier - 5. und vorwegnehmend 6. Kapitel - unlogisch, brüchig und systematisch inkonsistent.

        "In den Psychotherapieschulen finden bei Persönlichkeitsstörungen vor allem die sozial unflexiblen, wenig angepassten und im Extrem normabweichende Verhaltensauffälligkeiten der Patienten vorrangige Beachtung. Die meisten Autoren und Therapeuten betonen den Aspekt der Interaktionsstörungen als behandlungsrelevant, betrachten Persönlichkeitsstörungen also vorrangig als komplexe Störungen des zwischenmenschlichen Beziehungsverhaltens.
        In der psychotherapeutischen Behandlung von Persönlichkeitsstörungen geht es entsprechend und primär um die Beeinflussung der dysfunktionalen zwischenmenschlichen Beziehungsstörungen. Thema dieses Kapitels sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, mit der die Therapeuten unterschiedlicher Therapierichtungen dieses übergreifende Ziel zu erreichen versuchen. Dabei werden im Folgenden vier Ansätze miteinander verglichen, in denen inzwischen eine gewisse Tradition in der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen vorliegt. Es sind dies
     

    • die Psychoanalyse,
    • die Interpersonelle Psychotherapie,
    • die Verhaltenstherapie sowie - neuerlich
    • die störungsspezifisch orientierte Gesprächspsychotherapie"


    "...der Psychotherapie..."? Es fragt sich, wie es zu dieser - unbegründeten - Auswahl kommt: Wieso z. B. die Interpersonelle Psychotherapie, die in Deutschland so gut wie fast keine Rolle spielt (Ausnahme: Schramm [Freiburg] als Kurzzeittherapie der Depression), während Gestalt- [F23], Hypno- [F21, F22], Integrative - (Petzold, Gestalt, andere [F23]), Körper -, Psychodrama [F23], Systemische Therapie [F21], Transaktionsanalyse [F24] oder neuere Intensiv-KZT (wie z. B. Davanloo, [F22]) nicht einmal erwähnt werden, obwohl doch erst jüngst sogar eine Veröffentlichung der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie die Vielfalt und Bedeutung der anderen Therapieschulen unterstreicht [F21].

    "Der globale Vergleich dieser vier Grundkonzepte soll unter folgenden sieben differenziellen Perspektiven erfolgen:
     

    1. Therapeutische Beziehung: Zunächst wird danach gefragt, welche Besonderheiten die Therapeuten beim Aufbau, Behalt und bei der Beeinflussung der Therapeut-Patient-Beziehung beachten müssen.
    1. Methodik und Technik: Weiter wird gefragt, welche besonderen methodischen Vorgaben vorhanden sind, um welche Ziele in der Therapie mit welchen technischen Hilfen zu erreichen. [S. 92]
    1. Umgang mit Krisen. Stagnation und Krisen in der Therapieentwicklung scheinen regelhaft die therapeutische Behandlung bei Persönlichkeitsstörungen zu erschweren, weshalb weiter danach gefragt wird, ob und welche Strategien Therapeuten verfolgen, um Probleme der Therapeut-Patient-Beziehung konstruktiv zu lösen.
    1. Beachtung kontextueller Bedingungen. Da Persönlichkeitsstörungen komplexe Störungen des zwischenmenschlichen Beziehungsverhaltens darstellen, wird im weiteren untersucht, wie in den einzelnen Ansätzen über die enge Therapeut- Patient-Beziehung hinaus gedacht wird und inwieweit kontextuelle Faktoren (in Familie, Nachbarschaft, Beruf und sozialem Netz) Beachtung finden.
    1. Supervision: Persönlichkeitsstörungen stellen offensichtlich, wenn man die Arbeiten zur Behandlung durchsieht, für Therapeuten aller Therapieschulen besondere Herausforderungen dar. Sehen die Therapierichtungen besondere Formen der Supervision und Betreuung von Therapeuten vor, die mit persönlichkeitsgestörten Menschen arbeiten?
    1. Transfer-Sicherung. Schließlich wird danach gefragt, ob in den Therapieschulen konkrete Vorschläge und Ansätze vorhanden sind, wie der Therapicerfolg langfristig auf eine solide Grundlage gestellt werden kann.
    1. Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung als konkretes Beispiel. Die Vorgehensweisen und therapeutischen Empfehlungen der vier Therapierichtungen sollen jeweils weiter am Beispiel eines Störungsbildes illustriert und konkretisiert werden, und zwar anhand von Überlegungen zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung.


    Nachfolgend sollen die Grundkonzepte der vier Therapierichtungen anhand dieser Kriterien bewertet werden, bevor wir sie abschließend einem Vergleich unterziehen. Schon bei der richtungsspezifischen Darstellung fällt auf, dass die hier gewählten Beurteilungsaspekte in den Grundkonzepten in ihrer Wertigkeit offensichtlich recht unterschiedlich gewichtet werden. Spätestens im abschließenden Vergleich dürfte deutlich werden, dass es jeweils Desiderate in den einzelnen Therapierichtungen gibt, die zukünftig in Richtung integrativer Überlegungen ausgeglichen werden könnten. Vielleicht ließe sich bereits dadurch die Wirksamkeit der jeweiligen Ansätze deutlich zu verbessern."

    Kritik am Auswahlgebaren: So sinnvoll diese sechs Perspektiven - die siebte betrifft ja ein Beispiel - sein mögen, so mutet es doch sehr seltsam an, daß diese Auswahl der "differenziellen Perspektiven" nicht begründet wird - so wenig, wie die Auswahl der Psychotherapiesysteme (gewöhnlich Schulen genannt). Die Begründungslosigkeit scheint eine Spezialität der verhaltenstherapeutischen Avantgarde, die sich die allgemeine und integrative Psychotherapie aneignen möchte, zu sein und fällt schon bei Grawe et al. (1994) als äußerst unwissenschaftliches Gebaren auf.

    Im folgenden lege ich die wesentlichen Aussagen, die Peter Fiedler den vier Psychotherapiesystemen zuordnet, dar:

    "5.1 Psychoanalytische und tiefenpsychologische Therapie
    ...

  • transparente Grundhaltung: eine - im Unterschied zur klassischen Abstinenzregel - klare, zieltransparente und zugleich hoffnungsvermittelnde Grundhaltung des Therapeuten;
  • stützende Therapie: längere, gegenwarts- und realitätsorientierte Verlaufsphasen als stützend-direktive Therapie;
  • Vermeidung regressionsfördernder Interventionen; d.h. es sollte auf Deutungen verzichtet werden, die in der Gefahr stehen, Selbstschutz, Abwehr und Widerstand auf Seiten der Patienten zu provozieren. Empfohlen wird entsprechend ein Behalt des Realitäts- und Gegenwartbezugs;
  • Reziprozität zwischenmenschlicher Konflikte: Förderung der Einsicht auf Seiten des Patienten, dass er - der Patient - wegen der interpersonellen Reziprozität zwischenmenschlicher Konflikte mitverantwortlich für ihre konstruktive Auflösung ist;
  • Krisenmanagement: Wo immer sinnvoll und notwendig: eine psychoedukative Konfrontation der Patienten mit den möglichen Negativfolgen impulsivgefahrvoller, aggressiver und potentiell selbstschädigender Impulse und Handlungen;
  • enge Supervision: Schließlich sind Psychoanalytiker in klinischen Kontexten zumindest bei schweren Persönlichkeitsstörungen (v.a. bei Borderline- und Narzissmusstörungen) dazu übergegangen, für die behandelnden Therapeuten zeitgleich eine kontinuierliche und enge Supervision anzubieten (z.T. als Therapie der Therapeuten).

  • _
    Supervision
    Mit Hilfe der Begleittherapie von Therapeuten wird versucht, die Zahl der nach wie vor hohen Dropout-Raten vor allem der Borderline-Behandlungen zu verringern (sie werden in den empirischen Studien der Analytiker immer so zwischen 25 und 60 Prozent angegeben; Stone, 1992) - sowie die ebenfalls bei etwa bis zur Hälfte der Boderline-Patienten beobachtbaren Verschlechterungen während eines Klinikaufenthaltes (Clarkin, Marziali, & Monroe-Blum, 1992; Hull, Clarkin & Kakuma, 1993; [97]  Reddemann & Sachsse, 1999). Das Problem der Dropout-Raten in ambulanter und das der Verschlechterung von Borderline-Patienten während stationärer Behandlung ist jedoch auch in den anderen Therapieformen nach wie vor ein grundlegendes Problem."
    _
    "5.2 Interpersonelle Psychotherapie

    Die auf Sullivan (1953) zurückgehende Interpersonelle Psychotherapie steht konzeptuell zwischen Psychoanalyse und Verhaltenstherapie und ist durch ein sehr strukturiertes, teils psychoedukatives Therapeutenhandeln gekennzeichnet. ...
     

  • Entwicklung einer tragfähigen Arbeitsbeziehung. Patient und Therapeut sollten  gemeinsam "auf einer Seite" (zum Beispiel "gegen" widrige Lebensumstände oder "gegen" zwischenmenschliche Krisen)  zusammenarbeiten.
  • Analyse und Therapie der Interaktionsstörungen. Es soll die Bereitschaft des Patienten gefördert werden, eigene kritische Interaktionsmuster zu erkennen und zu analysieren. Dabei ist u.a. folgendes beachtenswert: Einsicht ist nur eine Zwischenstufe und kein Ziel der Therapie. Und: Therapeuten betonen das (Grund-) Recht von Patienten, sich zu ändern oder auch nicht. Gelegentlich kann dazu dann auch eine konstruktive psychoedukative Aufklärung und Beratung des Patienten durch den Therapeuten die Einsicht in das eigene Verhalten verbessern helfen (z.B. zu Fragen der Kindererziehung, der Umgangsweise mit anderen Menschen im Beruf). Eine diagnostisch-therapeutische "Familienkonferenz" (also die Beteiligung der Angehörigen an der Therapie) kann nicht nur das Verständnis, sondern auch die Behandlung der interaktionellen Probleme entscheidend verbessern.
  • Die Unterbrechung maladaptiver Interaktionsmuster. Das heißt u.a., dass der Therapeut durchgängig darauf achten sollte, selbstdestruktive und fremdschädigende Aktivitäten anzusprechen und zu unterbinden. Entsprechend kann er die laufende "interpersonelle Therapiestratefikation" in Richtung Krisenintervention (innerhalb der Sitzungen) und gelegentlich Krisenmanagement (außerhalb der Therapieabsprachen) abändern, wenn Suizid- oder Gewaltthemen vorrangig werden. Patienten sollten schließlich direkt darin unterstützt werden, destruktive interpersonelle Bedürfnisse aufzugeben und zu ändern.
  • Ganzheitlichkeit von Person und Transaktion. Verhalten, Kognition und Affekt entwickeln sich gleichzeitig. Zwischenmenschliche Verhaltensweisen (Transaktionen) sind ebenso "biologisch" wie Affekte (z.B. Depression) und Kognition (z.B. Dissoziationen). Der Therapeut sollte sich bei den transaktionalen Analysen immer gleichermaßen dem Handeln, dem Affekt und dem Denken des Patienten wie seiner Bezugspersonen widmen. So führen Veränderungen des Affekts gewöhnlich zu verändertem Denken und Handeln und damit zu veränderten Transaktionen. Entsprechend sind die möglichen Konsequenzen therapeutischer Änderungen immer mitzureflektieren.
  • Anregung und Unterstützung beim Erwerb interaktioneller Kompetenzen. Zum Wiederaufbau befriedigender zwischenmenschlicher Erfahrungen dienen nicht nur therapeutische Gespräche, sondern es werden zur Unterstützung gelegentlich auch Rollenspiele zur Analyse und Einübung sozialer Fertigkeiten eingesetzt. Interpersonelle Psychotherapie ist Anregung und Unterstützung beim Erwerb interaktioneller Möglichkeiten und befriedigender zwischenmenschlicher Erfahrungen wozu u.a. gelegentlich auch Rollenspiele zur Analyse und Einübung sozialer Fertigkeiten eine wichtige Hilfe sein können.
  • Transfersicherung. Es ist wahrscheinlicher, dass angezielte Veränderungen auf Dauer sind, wenn zur Transfersicherung bedacht wird, dass neben der Interpersonellen Psychotherapie im engeren Sinne weitere Behandlungsformen wie Medikation, Verhaltenstherapien und andere Co-Therapieangebote relevant und wichtig sein können.

  • _
    Nach den vorgelegten Konzeptüberlegungen ist es im Unterschied zur psychoanalytischen Behandlung für die interpersonellen Therapeuten also nicht ungewöhnlich, über Therapiegespräche hinaus weitere Therapietechniken zur Erreichung dieser Zielbereiche einzusetzen einschließlich effektiver Techniken anderer Therapierichtungen, wie z.B. direkte Beratung, der Einsatz verhaltenstherapeutischer Rollenspiele sowie die Beteiligung bzw. Behandlung von Angehörigen. Regelmäßige Supervision, die ausdrücklich technische Hilfen wie Videoanalysen und Microteaching der Therapeuten einschließt, dient der kontinuierlichen Weiterbildung von Therapeuten."

    "5.3 Verhaltenstherapie

    Therapeutische Beziehung
    Ganz ähnlich wie in den zuvor genannten Therapieansätzen werden in der Verhaltenstherapie der Aufbau und Behalt einer funktionierenden Therapeut-Patient-Beziehung für den Erfolg der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen als wesentliche Voraussetzung betrachtet. So wird beispielsweise im Behandlungskonzept von Beck, Freeman und Mitarbeitern (1990) zur prophylaktischen Vermeidung therapeutischer Krisen eine sensible Beachtung der ich-syntonen Vulnerabilitäts- und Selbstschutzeigenarten von Patienten vorgeschlagen. Ein weiterer Grund für eine sorgsame Analyse der therapeutischen Beziehung in der Anfangsphase der Verhaltenstherapie wird in ihrer Bedeutsamkeit für die kognitiv-behaviorale Analyse gesehen: Offene oder verdeckte Widerstände der Patienten gegenüber Veränderung, fehlende oder unzureichende Compliance und ungünstige Übertragungsmuster gelten als prototypische Merkmale der Persönlichkeitsstörungen wie gleichermaßen als Ressourcen, von denen die Behandlung ihren Ausgang nehmen sollte.
        Verhaltenstherapeuten haben deshalb jeweils genau zu untersuchen, ob beobachtbare Erschwernisse im Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung mit dem Patienten wirklich vorrangig in dessen persönlichkeitsbedingten Kooperationsstörungen zu suchen sind, oder ob therapeutische Krisen nicht auch gänzlich anders erklärt werden können, wie beispielsweise durch ein ungünstiges oder wenig passendes Setting oder auch durch die Schwierigkeiten der Therapeuten im interaktionellen Umgang mit den jeweiligen Beziehungsstörungen ihrer Patienten.  ...

        Setting und therapeutische Beziehung
    > stützend-psychoedukativ                              > ziel- und ressourcenorientiert
    > Aufbau und Behalt einer kooperativen Arbeitsbeziehung

        Methodik und Technik
    > handlungsorientiert:    z.B. Training sozialer Kompetenzen
    > kognitionsorientiert:   z.B. Aufbau einer realitätsorientierten Werte- und Sinnstruktur
    > affektorientiert:          z.B. Emotionsregulierung, Habituationstrainings
    > ressourcenorientiert:  z.B. Differenzienung von Persönlichkeits-Stil vs. -Störung

       Umgang mit Krisen
    > Krisenintervention: Therapeut zeitweilig als Anwalt des Patienten
    > Krisenmanagement: systematische Einübung und Stärkung der Impulskontrolle

       Beachtung kontextueller Bedingungen
    > Übungs- und Hausaufgaben zwischen Therapiesitzungen; Hausbesuche
    > Einbeziehung von Angehörige, Bewährungshelfer; Angebote für Angehörige

       Supervision
    > Video-Analysen und Micro-Teaching der Therapeuten; Ko-Therapie falls erforderlich

       Transfer - Sicherung
    > Rückfallprophylaxe explizites Behandlungsziel; kontinuierliche Evaluation
    > therapeutische Katamnese-Sitzungen bis 2 Jahre nach Behandlungsende."

    Als Beispiel wird die Dialektische Behavior Therapie für Borderlinestörungen nach Linehan gebracht.
     

    "5.4 Gesprächspsychotherapie

    Schließlich sollen einige besondere Aspekte zur Gesprächspsychotherapie dargestellt werden, in der bisher nur sehr wenige Ausarbeitungen zu den Persönlichkeitsstörungen vorliegen. Dies liegt daran, dass die Gesprächspsychotherapeuten innerhalb der Psychotherapieschulen die größten Vorbehalte gegenüber der psychiatrischen Klassifikation psychischer Störungen fomuliert haben. Für viele Gesprächstherapeuten ist die Vorabdiagnostik eine mögliche, Störvariable" der Therapie, in der es darum gehe dem Patienten möglichst unvoreingenommen zu begegnen.
        Diese prinzipiell ablehnende Haltung gegenüber der Klassifikation wird nun in den letzten Jahren zunehmend aufgegeben, weil auch die Gesprächstherapeuten erkannt haben, dass eine gute Diagnostik vorab den Therapeuten Möglichkeiten bereitstellt, sich in besonderer Weise auf die spezifischen, besser: störungsspezifischen Interaktionseigenarten von Patienten einzustellen (vgl. Lietaer, Rombauts & Balen, 1990). Ein Beispiel für den Bereich der Persönlichkeitsstörungen sind die Ausarbeitungen von Swildens (1991) zu einer prozessorientierten Gesprächspsychotherapie bei Borderline-, narzisstischen und dissozialen Persönlichkeitsstörungen. ...

    Positivierung
    Gesprächspsychotherapeuten wie Swildens (1991; ähnlich Sachse, 1997) verweisen also noch auf einen weiteren wichtigen Aspekt der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen, der in den anderen Therapierichtungen nicht in dieser Weise ausdrücklich betont wird. Die Behandlung sollte entsprechend und allgemein darauf abzielen, mit den Betroffenen unter Behalt und Nutzung ihrer Personeigenarten nach Handlungsalternativen für die Auflösung zwischenmenschlicher Konflikte und Krisen zu suchen - unter Behalt und Akzeptanz der Verhaltensgewohnheiten deshalb, weil es für die konfliktträchtigen Interaktionsmuster möglicherweise akzeptierbare Motive (nämlich: Selbstschutz und Kontrollbehalt) gibt. Die gesprächspsychotherapeutische Behandlung von Persönlichkeitsstörungen geht somit davon aus, dass die Begründung und ein Verständnis der störenden Interaktionsmuster von den Betroffenen einerseits und von den Interaktionsteilnehmern andererseits unterschiedlich dekodiert und verstanden werden.
        Die Motive, die dem Störverhalten zu Grunde liegen, sind bei den Betroffenen andere als wie diese von den Bezugspersonen wahrgenommen und unterstellt werden. Für die Behandlung ergibt sich aus einer solchen Perspektive möglicherweise ein (zusammen mit dem Patienten) gangbarer Weg, aus der unglückseligen Verfangenheit der Negativ-Konnotation von Persönlichkeitsstörungen auszubrechen (vgl. Stigmatisierungsproblem in -> Kapitel 2).

    Ressourcenorientierung
    Viele Besonderheiten der Interaktion persönlichkeitsgestörter Menschen lassen sich nämlich zumeist sinnvoller als Überlebensstrategien verstehen, die - obgleich sie durchaus als defizitär, dysfunktional und insuffizient betrachtet werden können - den Betroffenen zugleich erhebliche Anstrengungen um den Behalt einer Selbstsicherheit abverlangen. Diese Perspektivenänderung ermöglicht es weiter, den Interaktionsstörungen einen Sinn (zurück) zu geben (sog. Zielorientierung bei Sachse, 1992; 1997). Nur wenn dies (die Sinnsetzung und Perspektivierung interpersoneller Konflikte) zusammen mit dem Patienten gelingt, scheint eine wichtige Voraussetzung für eine Durchführung der Therapie mit dem Patienten gegeben."

    "5.5 Therapieschulen im Vergleich
                   Mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten
    ...
    5.5.1 Gemeinsamkeiten
    Gemeinsam ist den unterschiedlichen Therapieverfahren vor allem ein Ziel: Nicht die Persönlichkeitsstörungen selbst sollten behandelt werden, sondern die sich daraus ergebenden komplexen Störungen des Beziehungsverhaltens. Dies gilt vermutlich mit der einzigen Ausnahme einer psychoanalytischen Langzeittherapie, in der durchaus eine Änderung der Gesamtpersönlichkeit selbst angestrebt wird.
        Weiter ist gemeinsam: Die Psychotherapie sollte möglichst realitätsorientiert und gegenwartsbezogen sein, und Therapeuten sollten den häufig gegebenen Störungen der Impulskontrolle besondere Beachtung schenken (möglichst: Unterbindung; Förderung der Selbstkontrolle, Hinweise auf ethisch nicht verantwortbare Konsequenzen). Schließlich wird bei schweren Persönlichkeitsstörungen in allen Therapierichtungen eine enge Supervision der Therapeuten für sinnvoll und notwendig erachtet."

        Kritik: Das allgemeine Ziel, nicht die Persönlichkeitsstörung zu behandeln, ist insofern richtig als ja per definitionem eine Persönlichkeitsstörung direkt gar nicht behandelbar ist. Allerdings ist die Konzentration und Beschränkung auf das sich durch die Persönlichkeitsstörung ergebende Beziehungsverhalten sowohl einerseits viel zu allgemein und unspezifisch und andererseits zu sehr eingeengt auf den zwischenmenschlichen Beziehungsaspekt. Die praktische Realität ist gewöhnlich, daß für einen sehr konkreten Einzelfall sehr konkrete individuelle Therapieziele und auch sehr konkrete individuelle Therapiepläne entwickelt werden müssen. Hinzu kommt, daß die meisten der hier vorgestellten Psychotherapiesysteme gar nicht mit realen Beziehungen in realen Situationen arbeiten, sondern in einer therapeutischen Zweierbeziehung. Warum auch sollte man sich vorrangig um das Beziehungsverhalten kümmern? In aller Regel werden zu Beginn einer Therapie Ziele umschrieben, z. B. bessere Lenkung der Impulsivität oder Aggressivität, Erzeugen von mehr Zufriedenheit, Ausgleich von Stimmungslabilität, ein besseres Selbstbild und Selbstwertgefühl, mehr Selbstkritik oder mehr Frustrationstoleranz, alles verständliche und im entsprechenden individuellen Fall wohl vernünftige Therapieziele, die zunächst einmal mit Beziehungsverhalten nicht unbedingt was zu tun haben müssen. Eine richtige integrative Therapie entwirft genau für diese PatientIn und ihre Lebenssituation ein individuelles, realistisches und für den gegebenen Behandlungs-Realitätsrahmen ein erfolgversprechendes Therapiekonzept.

    "Therapieschulenvergleich: einige Unterschiede
     

      eher einsichtsorientierte Therapiegespräche (PA, IP, GT)
    • versus

    • eher ziel- und handlungsorientierte Methodik (VT)
      Fokus häufiger Therapiebeziehung / Übertragung (PA, GT)
    • versus

    • Fokus ausdrücklich: Beziehungsprobleme ausserhalb der Therapie (IP, VT)
    • methodische Flexibilität, therapeutisch begründbarer Eklektizismus (IP, VT)
    • Krisenmanagement ausserhalb der Therapie, Telefonberatung (IP, VT)
    • eventuelle Beteiligung bzw. zeitgleiche Behandlung von Angehörigen (IP, VT)
    • Ressourcenorientierung: persönliche Stile sind Kompetenzen (IP, VT, GT)
    • Millieu-Intervention und Hausbesuche (VT)
    • Übungs- und Hausaufgaben, Tagebücher und Wochenprotokolle (VT)
    • Verlängerung der Therapie, z.B. durch therapeutische Katamnesesitzungen (VT, GT)
    • Supervision: Micro-Teaching, direktes Training der Therapeuten (VT, IP)


    PA = Psychoanalyse                                  VT = Verhaltenstherapie
    IP = Interpersonelle Psychotherapie        GT =  Gesprächspsychotherapie"

    Der Autor geht sodann auf den wichtigen Dreh-und Angelpunkt jeder Psychotherapie ein:

    "Transfer
    Besonders bedenkenswert für die drei einsichtsorientierten Therapieverfahren erscheint beim Vergleich die Notwendigkeit einer intensiven Nachbetreuung zur Transfersicherung und Erfolgsevaluation (z.B. im Rahmen therapeutisch begründeter und durchgeführter Katamnese-Sitzungen). Eine solche gezielte therapeutische Weiterbetreuung und Nachuntersuchung durch Psychotherapeuten und andere professionelle Helfer gilt in empirischen Forschungsarbeiten inzwischen als einer der tragfähigsten Erfolgsprädiktoren in der Behandlung jener Patienten, die wegen ihrer persönlichkeitsbedingten Eigenarten bereits wiederholt mit Gesetz und Recht in Konflikt geraten sind. Und dies - das bleibt zu bedenken - betrifft nicht nur Menschen mit dissozialen oder Borderline-Persönlichkeitsstörungen, sondern auch viele andere zur Dissozialität und zu Impulskontrollverlusten neigenden Menschen mit anderen Persönlichkeitsstörungen."

    Schließlich geht Peter Fiedler auch noch auf einen weiteren sehr wichtigen und therapierelevanten Punkt ein:

    "Beachtung existentieller Probleme
    Insbesondere an der Ausarbeitung von Swildens (1991) zur Gesprächspsychotheraie wird schließlich noch etwas deutlich, ... . Es ist dies die Notwendigkeit der Beachtung der existentiellen Lebenssituation und Lebenskontexte persönlichkeitsgestörter Menschen. Auf diesen Aspekt soll in der vergleichenden Bewertung etwas ausführlicher eingegangen werden, da sich auch dieser inzwischen als ein wichtiger Schlüssel zum Therapieerfolg erwiesen hat.
        Es ist nämlich zunächst überhaupt nicht sicher, ob die persönlichkeitsbedingten Interaktionsprobleme von den Betroffenen nicht lediglich als Mittel mit dem Ziel eingesetzt werden, anderen gegenüber ein psychisches Unbehagen auszudrücken, das sie nicht anders auszudrücken vermögen. Die mit den Persönlichkeitsstörungen verbundenen Erlebens- und Verhaltensprobleme könnten ein persönliches Unvermögen oder Gelähmtsein angesichts schier unlösbarer existentieller Probleme signalisieren, einen grundlegenden Bruch in der Möglichkeit zu handeln oder zu kommunizieren.
        Das Ergebnis solcher Konfliktsituationen ist, dass eigene Bedürfnisse zunehmend entstellt oder maskiert werden müssen, so dass sich die im Verlauf dieser Mitteilungs-Vermeidung einstellenden Interaktionseigenarten zunehmend selbst als Interaktionsstörung darstellen. So kann z.B. aus dem gewohnheitsmäßigen Bemühen, andere nicht zu verletzen oder zu enttäuschen, über kurz oder lang eine Dependenz, Selbstunsicherheit oder Zwanghaftigkeit erwachsen, der sich die Betroffenen selbst nicht mehr entziehen können, weil sie Alternativen nicht erprobt und gelernt haben oder sogar, weil sie selbst auf die mit den Persönlichkeitseigenarten verbundenen Kompetenzen stolz sind.

    Scheinbare Kompetenz
        Der Betroffene könnte also Opfer einer Situation sein, die für ihn selbst eine Falle bedeutet, weshalb er als Ausweg eine zu seiner Person passende Grundhaltung einnimmt, die bei genauer Betrachtung lediglich das Resultat einer kontinuierlichen und mühevollen Kompromisssuche darstellt. Als Ausweg haben persönlichkeitsgestörte Menschen die Präsentation einer Rolle und damit eine höchst persönliche Art von Lebensgewohnheiten gewählt. Die Rollenträger verbergen damit ein unvollständiges oder nicht in jeder Situation nutzbringendes Bild über sich selbst und über ihre Wirklichkeitssicht. Oder sie maskieren damit das unterschwellige Vorhandensein sozial integrierter Grundleitlinien und Handlungsmaximen. Verblieben ist ihnen nur mehr eine Fassade, hinter der sie krampfhaft bemüht sind, Autonomie und Unabhängigkeit zu wahren. Vielen kann die lebenslange Einübung in scheinbar Selbstsicherheit und Kompetenz ausstrahlende Interaktionsmuster schließlich so sehr "in Fleisch umd Blut" übergehen, dass sie keinerlei Kritik mehr zugänglich sind."

        Diese Aussagen des Autors sind für die Praxis und ganz besonders für eine sorgfältige und gründliche Exploration, Anamnese und Psychodiagnostik sehr wichtig, um die archimedischen Hebel im Therapieplan richtig zu setzen. Der Autor schließt sein Kapitel mit den nachdenklich stimmenden Feststellungen und Empfehlungen:

        "In ihren Arbeiten über Persönlichkeitsstörungen sprechen einige Autoren angesichts der Rollenverfangenheit der Betroffenen auch vom ‘Lost Self', vom ‘verlorenen Selbst’ dieser Menschen, das keinen Halt bietet, wenn etwa einsame Entscheidungen getroffen werden müssen oder wenn diese Personen für sich selbst einzustehen haben. Wenn das zutrifft - und vieles spricht dafür - dann ist in der Therapie persönlichkeitsgestörter Menschen durchgängig Vorsicht und Behutsamkeit angezeigt: Es wird klar, dass es Bereiche gibt, die Patienten durch ihre Rollenpräsentation oder Rollenunsicherheit aus gutem Grund zu verbergen trachten. Denn sich mit sich selbst, seinen eigenen Bedürfnissen und Interessen auseinander zu setzen, wird zwangsläufig Angst, Unsicherheit und Abwehr auslösen, weil die Betreffenden ohne sichere Selbststruktur zunächst wie vor einem Nichts stehen. Abwehr, Widerstand oder Nichtcompliance in der Therapie mögen notwendige Überlebensstrategien darstellen und damit eine gewisse Zeit noch Schutz und Sicherheit bieten. Der Schutz des "verlorenen Selbst" gibt Sinn, und zwar zwingend auch therapeutisch akzeptierbaren Sinn, so lange jedenfalls noch, wie anderer Sinn nicht vorhanden ist."


    Teil 6  Selektive Indikation: Welches Grundkonzept passt zu  welcher Persönlichkeit?

    Die Frage - "Welches Grundkonzept paßt zu welcher Persönlichkeit? -  ist verwegen, denn sie ist überhaupt erst nach mehreren Dutzend Abstraktionen stell- und beantwortbar. Es bleibt dann allerdings die Frage: ob nach mehreren Dutzend Abstraktionen noch ein aussagerelevanter Vergleich möglich ist oder ob Peter Fiedler hier nicht in hypothetischen Welten herumgeistert, die mit dem, was wir hier und jetzt, realiter im Einzelfall vorfinden so gut wie nichts mehr gemein haben? Diese psychologische Wissenschaft wäre dann  sozusagen abgehoben von der wirklichen - idiographischen - Welt und bewegt sich wie die Faktorenanalyse in rein virtuellen Räumen, was allerdings gut zum Computer- und Internetzeitalter paßt. Na ja, mag ein Repräsentant des üblichen Wissenschaftsbetriebes entgegnen: so ist die Wissenschaft und anders geht es eben nicht. Nun denn, anworten wir konstruktiven Idiographiker: dann ist diese Wissenschaft überflüssig, laßt uns also Steuern sparen und etwas Vernünftiges tun ;-)

    "Keines der gegenwärtig vertretenen Psychotherapieverfahren könnte heute bereits geltend machen, für jede persönlichkeitsbedingte Problematik ein zwingend vorzuziehendes therapeutisches Konzept zu besitzen."

    Einspruch. Eine richtige idiographisch konzipierte integrative Psychotherapie hat eben genau dieses Konzept. Ich bin mit meinem Ansatz z. B. jederzeit in der Lage für jeden beliebigen Fall ein individuelles, maßgeschneidertes Psychotherapiekonzept zu erstellen. Tatsächlich sollte dies Peter Fiedler auch können, denn definiert er doch noch auf S. 72:
     
    "Integrative Psychotherapie wird nachfolgend als Prozess eines kontinuierlich notwendigen Problemlösens verstanden"  (Seite 72)

    Oder gibt es irgendeinen vernünftigen Grund, weshalb es plötzlich zwischen zwei Kapiteln nicht mehr möglich sein soll, integrative Psychotherapie als Prozess eines kontinuierlich notwendigen Problemlösens zu verstehen und betreiben zu können? Offensichtlich ist hier ein negatives Wunder geschehen:

    "Dieser Anspruch wird auch mit der in diesem Buch entwickelten Integrationsperspektive nicht vertreten. Im Gegenteil. Mit Bescheidenheit gegenüber der Vielgestaltigkeit persönlicher Probleme soll ein erster Versuch unternommen werden, Ordnungsmuster und Indikationshilfen zu entwickeln, die es Wert zu sein scheinen, bei einer größeren Zahl konkreter Problemstellung Orientierungshilfen für die Auswahl therapeutischer Maßnahmen zu bieten."

        Wir brauchen in der konkreten Einzelfallarbeit keine bescheidenen Versuchs-Ordnungsmuster, erstens gab es davon bereits 1974 schon 1174, und zweitens haben wir PraktikerInnen von solchen Klassifikations- Zuordnungs- Spielen nichts, weil wir nämlich ein praktisch sinnvolles ideographisches Arbeitskonzept brauchen für wirkliche Menschen aus der wirklichen Welt hier und jetzt, heute und morgen und nicht aus virtuellen diagnostischen Schubfächern nach zig-Abstraktionen. Und weil Peter Fiedler dieses Konzept nicht hat, wie er selbst - widersprüchlich zu S. 72 - ausführt, ist seine "Integrative Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen" im Grunde nur ein Wort ohne Inhalt. Peter Fiedler zeigt sich mit seiner Kehrtwendung in Kapitel 5 und 6 außerstande, eine integrative Therapie zu fundieren, so daß man sich an dieser Stelle fragen muß, was der Titel des Buches überhaupt soll?  Wäre es nicht besser gewesen, es "Bescheidener Versuch, Ordnungsmuster zur Orientierungshilfe in der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen zu entwickeln" zu nennen?
        Fiedlers Ansatz einer "Selektiven" und "differenziellen" Indikation ist insofern völlig un-integrativ, weil er nicht auf den Einzelfall aus ist, sondern Therapierichtungen Persönlichkeitsstörungen zuordnen möchte.
     
    An dieser Stelle könnte die Buchbesprechung eigentlich enden, da wir nun wissen: ein integratives Konzept ist kaum  noch zu erwarten. Ich bespreche es aber weiter, weil ich mich darauf eingelassen habe, allerdings nunmehr nur noch unter der Perspektive eines Buches, das Vorschläge zur Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen macht. Wir werden ab hier nicht mehr verlangen, integrative Arbeitsprinzipien und wirkliche integrative Orientierungen vorzufinden. Wir behandeln dieses Buch ab nun wie eines aus einer beliebigen Therapieschule, was seinen Nutzen oder Wert keineswegs zu schmälern braucht, aber mit integrativer Psychotherapie nicht das Geringste zu tun hat. Und ich bestreite nunmehr auch, daß es sich um einen integrativen Ansatz handelt.

    "6.1.1 Bedürfnistheoretische Grundlegung
    Bei der nachfolgenden integrativen Perspektive zur ätiologietheoretischen Begründung therapeutischer Strategien handelt es sich um den Ansatz einer bedürinistheoretischen Grundlequng der Persönlichkeitsstörungen. Diese wurde der Übersicht halber in der Form eines Circumplexmodells zur Persönlichkeitsbeurteilung verdichtet. Diese bedürfnistheoretische Sicht wurde zum Teil durch eine Ausarbeitung von Gasiet (1981) inspiriert, andererseits durch viele Überlegungen und Gedanken, wie sie [115] bereits in Sullivans "Interpersoneller Theorie der Psychiatrie" (1953) niedergelegt wurden.
     
    Exkurs: Circumplex-Modell 
    Der Begriff wird von Peter Fiedler nicht erklärt, wie so oft in der psychotherapeutischen Fachliteratur, obwohl er bei den folgenden Erörterungen eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Nach meinen Recherchen wurde das Wort "Circumplex-Modell" erstmals von Olson, Sprenkle & Russell 1979 in einer Veröffentlichung zur Paartherapie eingeführt. Simon, Fritz B. & Stierlin, Helm (1984). Die Sprache der Familientherapie. Ein Vokabular. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 52, enthalten zwar einen entsprechenden Stichworteintrag, aber keine Definition, ja noch nicht einmal eine richtige Beschreibung. In einer Internetpublikation - "Reader zur Lehrveranstaltung 'Familienpsychologie I'" (Univ.-Ass. Mag. Dr. Harald Werneck, WS 1999/2000), Seite 28 - fand ich folgende Beschreibung: " Das Circumplex-Modell ist eines der ersten Modelle gewesen, das Wechselwirkungsprozesse in der Familie theoretisch beschrieben und sich zur Einschätzung von Familien als brauchbar erwiesen hat. Ausgangspunkt dieses Modells sind die drei Grunddimensionen Kohäsion (Ausmaß der emotionalen Bindung zwischen den Familienmitgliedern), Adaptabilität (Fähigkeit eines Ehe- oder Familiensystems, seine Machtstruktur, Rollenbeziehungen und Beziehungsregeln im Hinblick auf situations- oder entwicklungsbezogenen Streß zu ändern) und Kommunikation (als wesentliche unterstützende Dimension für die beiden anderen Dimensionen). Die beiden Dimensionen Kohäsion und Adaptabilität haben jeweils vier Ausprägungsgrade (losgelöst – getrennt – verbunden – verstrickt und chaotisch – flexibel – strukturiert – rigid), durch ihre Kombination ergeben sich 16 mögliche Typen von Paar- und Familiensystemen. Olson et al. konnten nachweisen, daß Familien im Laufe des Familienlebenszyklus unterschiedliche Ausprägungen auf den Dimensionen Kohäsion und Adaptabilität erhalten. Die entscheidenden drei Kriterien für den Begriff des Circumplex- Modells sind daher: 1) Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Faktoren; 2) Kreiskausalität, d.h. es macht keinen besonderen Sinn, nach einem Anfang und linearen Einflüssen zu suchen; 3) das jeweils betrachtete System ist dynamisch, kann also unterschiedliche Formen von (In-) Stabilität annehmen, was formal Veränderungen entspricht. 
    Nach diesen Kriterien scheint es doch sehr fraglich, ob Circumplex-Modelle für Persönlichkeitsstörungen geeignet sind, die ja per definitionem in den Grundkernen veränderungsresistent sind.

       "Natürlich sind es nicht nur die gerade genannten Autoren, die bei der Ausarbeitung des dazustellenden Circumplexmodells Pate gestanden haben ( - Abbildung 6.1). Das Persönlichkeitsmodell soll - jedenfalls vom Anspruch her - in den unterschiedlichen Therapieschulen zumindest eine gewisse Akzeptanz finden. Dieser Anspruch wurde durch die Begriffswahl teilweise zu erfüllen versucht, und deshalb dürfte dem Leser vieles vertraut vorkommen. Wie sich zeigen wird, findet dieses Rahmenkonzept in den bereits vorhandenen empirischen Kenntnissen über Salutogenese und Pathogenese in der Persönlichkeitsentwicklung eine hochgradig plausible Bestätigung."

    "6.1.2 Menschliche Bedürfnisse: Circumplexmodell der Persönlichkeit
    Die meisten Grundannahmen des Modells sind inzwischen nicht nur von Millon, sondern auch in der übrigen Persönlichkeitsforschung gründlich voruntersucht. Weiter gelten sie als wichtige Bestandteile der metatheoretischen Persönlichkeitstheorien unterschiedlicher Therapierichtungen ( -> Abbildung 6.1). Circumplex- oder Polaritätenmodelle finden in unterschiedlichsten Varianten zudem in der differenziellen Persönlichkeitspsychologie Verwendung, weil sie sich empirisch mittels Faktorenanalysen {FN25} und multidimensionaler Skalierung überprüfen lassen (Becker, 1995; Plutchik & Conte, 1997; in der Übersicht: Fiedler, 1998 a).
        Nachfolgend sollen in einem ersten Schritt die bedürfnistheoretisch bedeutsamen Hauptachsen des Circumplexmodells kurz vorgestellt werden. In einem zweiten Schritt werden sie jeweils um entwicklungspsychologische Grundlagen der biosozialen Persönlichkeitstheorie von Millon (1996) angereichert. Schließlich soll gezeigt werden, wie sich mit Hilfe des Circumplexansatzes (a) nicht pathologische, gesunde Persönlichkeitseigenarten, damit (b) erste therapeutisch bedeutsame Ziele sowie (c) einseitige Persönlichkeitsstile bis hin zu den Persönlichkeitsstörungen darstellen lassen."


     

    Es folgt eine therapieschulkritische Erläuterung am Beispiel VT und GT:

    "6.2.2 Einseitigkeiten in den Therapieschulen
    Mit Blick auf die interessante Frage, inwieweit in den Therapieschulen die beiden menschlichen Grundbedürfnisse Selbstkontrolle versus Selbstaktualisierung als solche Akzeptanz und Berücksichtigung finden, lassen sich übrigens einige beachtenswerte Einseitigkeiten ausmachen:

    • In der Verhaltenstherapie gelten 'Selbstkontrolle' und 'Selbstsicherheit' von Beginn der Konzeptentwicklung an als zentrale Zielkonstrukte. Verhaltenstherapie wurde und wird gelegentlich sogar mit Selbstkontroll- bzw. Selbstmanagement Therapie gleichgesetzt (Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 1991). [<121]
    • In der Gesprächspsychotherapie hingegen gilt die "Selbstaktualisierung" als das zentrale Wirkprinzip des psychotherapeutischen Ansatzes, die durch eine gefühlszentrierte Therapiearbeit erreicht werden soll (Bommert, 1977).
    Die berühmt gewordene Auseinandersetzung zwischen Skinner und Rogers in den fünfziger Jahren drehte sich grundlegend um die Frage, ob gesellschaftlich positive Entwicklungen eher durch eine effektive Verbesserung der Selbst- bzw. Verhaltenskontrolle des Menschen oder eher durch selbstregulative Prozesse der Selbstverwirklichung in Vertrauen auf das gefühlsmäßig Gute im Menschen anzuzielen seien.
        Die hier vorgenommene bedürffnistheoretische Polarisierung verweist nun darauf, dass beide Perspektiven gleichwertig bedeutsam Anteile eines menschlichen Grundbedürfnisses nach Sinngebung repräsentieren, die nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Es könnte sein, dass die Grundkonzepte sowohl der Verhaltenstherapie wie der Gesprächspsychotherapie mit Blick auf eine Aktivierung menschlicher Bedürtnisse bzw. mit Blick auf die Behandlung der persönlichkeitsstörungsbedingten Neigung von Menschen, Aspekte beider Bedürfnisanteile zu vernachlässigen (also vorrangig 'auf Kognition' oder vorrangig 'auf Gefühl' zu setzen), einen nicht ganz unproblematischen Bias in sich tragen.
        Emotionsorientierte Gesprächstherapien werden bei Menschen, die zur gefühlsmäßig bedingten Labilität oder Spontaneität neigen, möglicherweise nicht unbedingt den günstigen Effekt der Strukturbildung zeigen. Und die auf eine Maximierung von Selbstkontrolle setzende Verhaltenstherapie wird möglicherweise bei Personen, die über normorientierte Selbstsicherheit verfügen, nicht unbedingt zur Offenheit gegenüber neuen emotionalen Erfahrungen anregen."

        Im folgenden erörtert Peter Fiedler die Graphik. Im weiteren Verlauf wird deutlich, daß der Autor die vier Dimensionen offenbar für ausreichend hält, um sowohl eine gesunde als auch eine gestörte Persönlichkeit hinreichend zu beschreiben und durch ein entsprechendes Mehr oder Weniger in diesen Dimensionen zu charakterisieren. Im Falle einer gesunden Persönlichkeit stellt sich das wie folgt dar:

    "6.6.5 Therapieziele
    Für eine psychisch gesunde Person ist also eine gewisse Flexibilität im Umgang mit den angedeuteten Bedürfnisaspekten kennzeichnend. Typisch ist, dass sie fähig ist, sich persönliche Urteile über die Realität erfahrungsoffen zu erschließen [Selbstaktualisierung] und diese klar und unabhängig auszudrücken [Autonomie], dass sie weiter weiß, woran sie glauben soll, und dass sie klar mitteilen kann, welche Grundüberzeugungen ihrem Handeln zu Grunde liegen [Selbstkontrolle], und die entscheiden kann, welche Grundüberzeugungen zugunsten sozialer Geborgenheit und
    damit zugunsten anderer Grundüberzeugungen (z.B. solidarisch) zurückgestellt werden sollten [Bindung].
        Die interpersonell bedeutsamen Bedürffiisaspekte stellen nicht nur für die gesunde Persönlichkeit grundlegende Orientierungsmöglichkeiten dar. Alle acht Polaritäten (Bindung, Autonomie, Selbstsicherheit, Selbstaktualisierung, Aktivität, Passivität, bewusste Beachtung von Schmerz und Wohlbefinden) bieten mit Blick auf die seelische Gesun&eit in der Persönlichkeitsentfaltung und für die Behandlung persönlichkeitsgestörter Menschen interessante und bedenkenswerte therapeutische Ziele und Perspektiven." {S. 133}

    "6.7 Markante Persönlichkeitsstile und Persönlichkeitsstörungen
    Für eine weiterreichende Entwicklung integrativer Therapieziele wird jetzt ein wichtiger Zwischenschritt erfolgen. Es wird versucht, für jede Persönlichkeitsstörung (bzw. für jeden markanten Persönlichkeitsstil) einen Raum innerhalb des Bedürfniscircumplexes anzugeben. Der Übersicht halber werden wir uns - wie angedeutet auf die zwei Hauptachsen Struktur und Beziehung beschränken.
        Im Folgenden werden einige Hypothesen maßgeblich werden, mit der zahlreiche Bedürfnistheoretiker die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen wie Persönlichkeitsstörungen zu erklären versucht haben (z.B. Sullivan, 1953; Jervis, 1976; Becker, 1995; Fiedler, 1999 f). Folgende Hypothesen werden jetzt begründet und untersucht:

    • Persönlichkeitsstile und Persönlichkeitsstörungen beinhalten mit Blick auf die menschlichen Bedürfnisse entweder eine einseitige Negation bestimmter menschlicher Bedürtnisse oder Bedürfnisanteile; und/oder
    • Persönlichkeitsstile und Persönlichkeitsstörungen sind Ausdruck der besonderen und damit einseitigen Bevorzugung menschlicher Grundbedürfnisse oder Bedürfnisanteile; und/oder
    • Persönlichkeitsstile und Persönlichkeitsstörungen sind Ausdruck bereits länger bestehender Bedürfnis-Konflilte, d.h. sie sind Ausdruck eines konflikthaften Schwankens bzw. eines unentschiedenen und ambivolenten Verharrens zwischen unterschiedlichen Bedürfnissen oder Bedürfnisanteilen.
    Jede Persönlichkeitsstörung erhält entsprechend dieser Hypothesen einen Ort oder vielleicht sogar mehrere Verortungen innerhalb des nunmehr zweidimensionalen Polaritätenmodells zugewiesen. Entsprechend wurde anhand der Konzepte und Beschreibungen, die inzwischen zu den einzelnen Persönlichkeitsstörungen vorliegen, eine Einordnung der Persönlichkeitsstörungen in den dargestellten Bedürfnisraum vorgenommen, vorrangig orientiert an den zwei Hauptachsen Struktur und Beziehung ( - Abbildung 6.2). Da sich eine gewisse Korrespondenz zur Aktivitätsachse ergibt, wurde diese ebenfalls eingetügt, wenngleich zu beachten bleibt, dass dies mit Blick auf einzelne Störungen nicht immer ganz stimmig ist."

    Die folgenden Ausführungen führen zu interessanten und prüfbaren Forschungshypothesen, die im Nachhinein die traditionellen diagnostischen Klassifikationssysteme rechtfertigen könnten.

    "6.7.1 Komorbiditätsanalyse: Validierung der Ordnungsmuster

    Diese Einordnung wurde zwar zunächst anhand von Plausibilitätserwägungen auf der Grundlage der Konzepte und der vorliegenden Beschreibung einzelner Störungsbilder vorgenommen. Es scheint wohl mehr als ein Zufallsergebnis, sondern eher für die hochgradige Stimmigkeit der Persönlichkeitsdimensionierung zu sprechen, dass diese {<135}

    Abbildung 6.2:

    Einordnung der Persönlichkeitsstörungen inzwischen in der Komorbiditätsforschung eine eindrückliche Bestätigung findet (und damit eine erste Face-Validierung).
        Legt man nämlich die Daten der in Tabelle 3.3 (in -> Kapitel 3.3) tabellierten Odds Ratios zu den Gleichzeitigkeitsdiagnosen der Persönlichkeitsstörungen untereinander zu Grunde, kann man - bis auf wenige Ausnahmen - zu folgender Aussage gelangen:
     

    • Je näher die einzelnen Persönlichkeitsstörungen im Bedürfnisraum beieinander liegen, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei ein und derselben Person komorbid auftreten und damit gleichzeitig diagnostiziert werden können.
    • Je weiter sie auseinander liegen, um so seltener lassen sich die Persönlichkeitsstörungen komorbid finden oder sind Gleichzeitigkeitsdiagnosen zu erwarten.
    • Empirisch ist jedoch jede Kombination von zwei oder sogar mehr Persönlichkeitsstörungen bei ein und derselben Person möglich. Dies gilt es bei den nachfolgenden Austührungen immer mitzubeachten. Dieser Punkt macht darauf auEmerksam, dass unser Modell selbstverständlich eine konzeptuelle Reduktion der Wirklichkeit zu Gunsten von Ubersichtlichkeit und Praktikabilität beinhaltet." {<136}
    Die weiteren Ausführungen sind diagnostisch und therapiekonzeptionell (Therapieplan) sehr interessant, wobei das Thema Psychotherapie, was machen wir denn nun, wann und wie machen wir es?, nicht zur Sprache kommt und das, was nun die eigentliche (integrative) Psychotherapie sein soll, offen und bislang leider im Dunkeln bleibt.

    "6.8 Selektive Indikation Welche Therapieziele und Grundkonzepte für welche Persönlichkeitsstörung?
    Persönlichkeitsgestörte Patienten könnten und sollten deshalb in einer Psychotherapie lernen, wie sie die ihnen ureigenen Persönlichkeitsstile erneut und zusammen mit jenen Faktoren, die ihre Lebenswelt und nicht nur ihre Privatheit ausmachen, sozial bezogen und erfahrungsoffen wie zugleich selbstsicher und autonom handhaben können.
        Viele Betroffene befinden sich zu Beginn der Therapie üblicherweise in einer Situation, in der sie sich selbst neu bestimmen müssen - und in der sie lernen könnten, zwischen verschiedenen Alternativen zu entscheiden, die von widersprfichlichen äußeren wie inneren Ansprtichen und Bedürfnissen ausgehen. Bevor sich jedoch jemand frei zwischen inneren und äußeren Anforderungen entscheiden kann, muss er sich zuerst einmal wieder selbst als mitverantwortlicher Teil jener Situation empfinden, aus der er zunehmend ausgegrenzt und isoliert wurde oder aus der er sich selbst zunehmend ausgegrenzt hat.
        Die Falle, in der viele Betroffene stecken, ist, dass sie zur Änderung von Personeigenarten aufgefordert sind, aus denen sie bisher ihre persönliche Sicherheit und interaktionelle Beständigkeit beziehen."

    Obwohl die letzte Bemerkung Peter Fiedlers ausgesprochen differenziert und sehr empathisch für die Situation PS-gestörter Menschen ist, kommt mir der Gesichtspunkt der Relativität der Therapieziele zu kurz. "...sollten..."? Ich denke, wir können den PatientInnen nur Zusammenhänge mit dem Heilmittel  JInformation anbieten und Ihnen dieses oder jenes Therapieziel vorschlagen, wobei auch die Risiken und der Aufwand angesprochen werden müssen, was auch sehr vom systemisch zu verstehenden Realitätsrahmen abhängt. Aus dem folgenden Abschnitten greife ich wegen der großen Bedeutung, denen Borderline- und traumatische Störungen in der letzten Zeit beigemessen wird, folgende Passage heraus:

        "Auf Grund langjähriger Erfahrungen mit einer psychoanalytischen bzw. psychodynamischen Psychotherapie bei Borderline-Störungen kann bei dieser Störungsgruppe zwar auch an ein strukturiertes, psychodynamisch orientiertes Therapievorgehen gedacht werden, wie dies in den Arbeiten von Kernberg und Kollegen ausgearbeitet wurde (Kernberg, 1989; Rohde-Dachser, 1989). Es bleibt jedoch zu bedenken, dass ein psychodynamisches Vorgehen bei schwerer gestörten Borderline-Patienten (in empirischen Studien mit Psychiatrie-Patienten) bisher nur bei etwa der Hälfte der Betroffenen zu bedeutsamen Fortschritten führt; die andere Hälfte der Patienten {<144} zeigte bereits während der Behandlung eine teils deutliche Verschlechterung der Symptomatik (Hull, Clarkin & Kakuma, 1993; Fiedler, 1999 a).
        In letzter Zeit wird zunehmend deutlicher, dass diese Verschlechterungen im Rahmen psychodynamischer Therapien vor allem Borderline-Patienten mit kumulierten Traumaerfahrungen in der Genese betreffen (emotionaler, physischer und sexueller Mißbrauch in Kindheit und Jugend). Einige psychoanalytisch orientierte Autoren gehen auf Grund dieser Beobachtungen deshalb inzwischen so weit, die psychodynamische, vorrangig einsichtsorientierte Therapie immer dann als contraindiziert zu betrachten, wenn Traumakumulation als ursächlich für die Entwicklung der Borderline-Störungen in Betracht gezogen werden muss (Reddemann & Sachsse, 1999; Fiedler, 1999 a; -> Kapitel 7.1). Reddemann und Sachsse fassen das Problem folgendermaßen zusammen:
     

          "Wir haben 15 Jahre lang [hochgradig traumatisierte] Borderline-Patientinnen mit selbstverletzendem Verhalten unter kreativem Einsatz aller uns bekannten Interventionsstrategien und technischen Modifikationen der Psychoanalyse behandelt (Sachsse, 1995). Auf diesem Erfahrungshintergrund lässt sich sagen: Das bisherige psychoanalytische Behandlungsrepertoire ist ungeeignet, dissoziative Abwehrvorgänge und Symptombildungen suffizient zu behandeln und aufzulösen. Alle diesbezüglichen Modifikationen der Techniken und der therapeutischen Beziehung beschränken sich letztlich darauf, besonders viel als Therapeut auszuhalten und empathisch mitfühlend präsent zu sein - sehr viel für Traumatisierte, aber es gibt inzwischen wirksamere Vorgehensweisen.
          Keine Therapierichtung konnte bis Ende der 80er Jahre wissen, dass posttraumatische Belastungszustände gleich welcher Erscheinungstorm und Symptombildung nicht nur psychogene Prozesse sind, sondern Ausdruck einer veränderten Stress- und Gehirnphysiologie... Verbale Therapieangebote kommen hier an die Grenzen ihrer Wirksamkeit. Gute, lange, mitmenschlich integre, engagierte psychoanalytisch fundierte Behandlungen von Patienten mit komplexen posttraumatischen Störungen können deren Coping- Fähigkeiten verbessern - die peritraumatischen, dissoziativ bedingten Störungsbilder bleiben unerreicht." (Reddemann & Sachsse, 1999, S. 18f).


        Schon um im Sinne der Patienten die Misserfolgsraten einzuschränken, sollte von Therapeuten genau erwogen werden, ob nicht doch und bei welchen Patienten (insbesondere jenen mit Traumagenese, und letzteres gilt möglicherweise auch für die übrigen Persönlichkeitsstörungen) eine Verhaltenstherapie die bessere Alternative darstellt. In Forschungsarbeiten zur kognitiv- behavioralen Therapie bei Borderlinestörungen zeigte sich dieser (zur Zeit wohl nicht ganz vermeidbare) Verschlechterungseffekt nur bei etwa 20 Prozent (!) der Psychiatriepatienten (z.B. Linehan, Heard & Armstrong, 1993). Wir werden in -> Kapitel 7.1 bei der Beschreibung konkreter the{<145}rapeutischer Ansätze bei Borderline- Persönlichkeitsstörungen auf die Besonderheiten in der Behandlung chronifizierter Traumastörungen ausführlicher eingehen."

    Im nächsten Abschnitt 6.8.2 wird sichtbar, daß Peter Fiedler tatsächlich glaubt, daß persönlichkeitsbedingte Merkmale direkt veränderbar sind, womit im Grunde widerspruchsvoll unterstellt wird, daß das Persönlichkeitsmerkmal gar kein Persönlichkeits- sondern ein wandlungsfähiges neurotisches Merkmal und damit direkt veränderbar ist:

    "Ziele der Therapie lägen in der behutsamen Reflexion bisheriger Lebensleitorientierungen, der Ermöglichung einer erneuten Selbstaktualisierung und in der Verbesserung persönlicher Möglichkeiten, sich offen auf neue Erfahrungen einzulassen. Für zahlreiche dieser Anlässe benötigen Behandlungsangebote entsprechend hinreichende Zeitperspektiven ( -> Abbildung 6. 6)." {S. 145}

    Damit ist das grundlegende Therapiekonzept in sich widersprüchlich und geht an der Definition und Wesensbestimmung der Persönlichkeitsstörung vorbei. Gegen dieses Grundwiderspruch hat Hans Lieb vehement mit seinem Buch "Persönlichkeitsstörung. Zur Kritik eines widersinnigen Konzeptes" angeschrieben [FN26]. Wir dürfen also gespannt sein, wie es im nächsten Kapitel weiter geht.


    In Vorbereitung:
    Teil 8 (Kapitel 7): Differenzielle Indikation. Störungspsezifische Psychotherapie (S. 158-271)
    Teil 9 (Kapitel 8): Adaptive Indikation. Krisenprophylaxe und Krisenmanagement (S. 272-338)
    Teil 10 SASB (S. 339-341) und Zusammenfassung


    [F17] Da gilt: Die Summe über Euler ( n über i ), von i=0 bis n, ist 2n , gilt, wenn i = 0 ausgeschlossen wird: 2n - 1 , da  ja wenigstens eine einzige Auswahl aus allen erfolgt.
    [F18] Die Verhaltenstherapie versucht seit Jahren und in Europa erfolgreich, sich die kognitiven Therapien einzuverleiben, weil ja klar ist, daß der bloße Verhaltensansatz zum Scheitern verurteilt ist. Aber die kognitive Therapie hat eine eigene lange Tradition, schon durch die Psychologie, besonders die introspektive Psychologie, aus deren Schwierigkeiten zu Beginn des Jahrhunderts der Behaviorismus entstand. Man vergegenwärtige sich die Delikatesse, wie der altersschwache Behaviorismus inzwischen um die kognitive Therapie buhlt und kämpft, ohne die substanziellen instrospektiven Voraussetzungen mitzubringen. Man beachte, daß die größte und internationale Organisation für kognitive Therapie in den USA in ihrem Namen keine Verbindung mit der Verhaltenstherapie erkennen läßt: https://iacp.asu.edu
    Die sog. Kognitive Verhaltenstherapie ist bislang nicht in der Lage, ein differenziertes und wirklich fundiertes Introspektionsmodell für die zentrale pychologische Kategorie "Erleben" vorzulegen. Es spricht für den pragmatischen Realitätssinn der VerhaltenstherapeutInnen, daß sie erkannt haben, wie wichtig die Kognitionen, die Introspektion, ja sogar die unbewußten Prozesse sind. Die Verhaltenstherapie hat sich, so betrachtet, gewaltig erweitert und entwickelt und ihre fortschrittlichsten VertreterInnen wie z. B. Grawe oder Fiedler kommen zwar von der Verhaltenstherapie, aber letztlich sind sie - einerseits ganz im positiven Sinne - tendenziell "nur" noch empirisch-evaluativ orientierte psychologische Psychotherapeuten, denen es aber irgendwie nicht gelingt, ihre Einäugigkeit für die VT und damit ihre motivierte Blindheit für alle anderen zu überwinden.
    [F19] "Analytisch" meint hier nicht psychoanalytisch, sondern analytisch im Sinne von zergliedern, in die elementaren Bestandteile zerlegen, etwa wie die Analyse in der Chemie. Ich habe diese analoge Betrachtung z. B. zu "atomaren" und "molekularen" Heilmitteln in meinem Handbuch (1995) angewendet, siehe bitte unter 4. Absatz.
    [F20] Die erste Aussage lautete fälschlich: "Es fehlt der neuere medizinische Ansatz von Müller-Hegemann ("Integrative Medizinische Psychotherapie", 1976) und damit auch ein Stück Integration der psychotherapeutischen Leistungen der ehemaligen DDR, was auch aus anderen Gründen wichtig gewesen wäre". Dieser Satz ist insofern falsch, weil Dietfried Müller-Hegemann nicht zur ehemaligen DDR gehört, sondern sein integratives Werk "Medizinische Psychotherapie" als Professor in Essen schrieb. Richtig ist, daß Müller-Hegemann ein integratives Psychotherapiebuch schrieb, und dies mit einem explizit medizinischen Verständnis, wonach die Psychotherapie ein Zweig und Teil der Medizin ist und sein soll.
    [F21]  Giernalczyk, Thomas (1999, Hg.). Zur Therapie der Persönlichkeitsstörungen. In: Die Arche, Selbstmordverhütung und Hilfe in Lebenskrisen e.V., München. Tübingen: DGVT Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie. Aus dem Inhalt:  H. Kilian: Systemische Therapie bei Persönlichkeitsstörungen.  G. Milzner: Die Hypnotherapie von Persönlichkeitsstörungen.
    [F22]  Sulz, Serge K. D. 1998, Hg.)  Kurz-Psychotherapien. Wege in die Zukunft der Psychotherapie. München:  CIP-Medien, München. Aus dem Inhalt:  G. Gottwik: Intensive Psychodynamische Kurzzeittherapie nach Davanloo. D. Revenstorf: Hypnotherapie.
    [F23]  Ullmann, Rene (1989). Die bewegungstherapeutische Behandlung von jugendlichen Borderline-Patienten in der Integrativen Bewegungstherapie. Integrative Therapie, 1989, 15 (1), 25-34
    Machleidt, W.  (1992). Therapie bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen. In: Marneros Andreas, Philipp Michael (1992). Persönlichkeit und psychische Erkrankung. Festschrift zum 60. Geburtstag von U. H. Peters. Berlin: Springer. U. a. werden Integrative Therapiemodelle dargestellt.
        Janssen, Norbert; Wecke, Karl-Friedrich (1994). Stationäre Frühgestörten-Therapie aus gestaltherapeutischer Sicht. Gestalttherapie, 1994, 8 (1), 37-52.  Hier wird Vorbereitung, theoretische Grundlagen und Durchführung einer stationären gestalttherapeutischen Gruppentherapie sog. früher Störungen dargelegt.
        Dreitzel, Hans-Peter (1995). Das entschiedene "Ja" und das entschlossene "Nein". Überlegungen zur Genese und Therapie von Persönlichkeitsfunktionsstörungen. Gestalttherapie, 1995, 9 (1), 17-27.  Es wird ein Überblick aus gestalttherapeutischer Perspektive zu Genese und Therapie von Persönlichkeitsstörungen gegeben.
        Weissig, Norbert (1995). Integrative Psychotherapie in der Psychiatrie. Integrative Therapie, 1995, 21 (3-4), 376-386. U.a. Die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen in der Tagesklinik.
        Feindt, Hans-Georg & Feindt-Lange, Regina (1996). Nach- und Neusozialisation in der Klinik. Ein integrativer Ansatz für Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen. Integrative Therapie, 22 (2-3), 242-263. Es wird in die klinisch-psychotherapeutischen wie auch therapeutisch-heilpädagogischen integrativen Arbeitsfelder von zwei psychiatrischen Fachkliniken eingeführt.
        Peichl, Jochen (1997). Psychotherapeutische Techniken bei traumabedingten Störungen - eine Zwischenbilanz. Persönlichkeitsstörungen - Theorie und Therapie, 1997, 1 (3), 103-112. Aus dem Inhalt: Es werden anhand einer stationären Traumatherapie dargelegt, welche therapeutischen Elemente z. B. aus Gestalttherapie, der Psychodramatherapie, der systemischen Hypnotherapie, der lösungsorientierten Psychotherapie, der kognitiven Verhaltenstherapie, der psychoanalytischen Psychotherapie und der Technik des EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) in den letzten Jahren integriert wurden.
        Hutterer-Krisch, Renate; Luif, Ingeborg; Baumgartner, Gertrud (1999, Hg.). Neue Entwicklungen in der Integrativen Gestalttherapie. Wien: Facultas. Aus dem Inhalt:  E. Hermann-Uhlig: Die Winterreise - eine Fallgeschichte oder "selbstgewählte" Einsamkeit? Die psychotherapeutische Arbeit mit Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung. H. Hoffmann-Widhalm: Anwendung gestalttherapeutischer Grundprinzipien und Techniken in der Behandlung des posttraumatischen Syndroms am Beispiel der Arbeit mit bosnischen Flüchtlingen. I. Luif: Arbeit mit kreativen Medien in der Feldsupervision. I. Bolen, G. Baumgartner und R. Winterauer: Nachwirkungen der NS-Zeit in Psychotherapien. E. A. Kubesch: Psychotherapie im Schatten des Holocausts - eine Allianz des Schweigens. D. Schmoll: Und bist du nicht willig, dann brauch' ich Gestalt. Gestalttherapie in der Arbeit mit gewalttätigen Männern.
        Sellschopp, Almuth (1999). Das Traumakonzept im Spannungsfeld zwischen Geschichte, Klinik und Forschung. Persönlichkeitsstörungen - Theorie und Therapie, 1999, 3 (Sonderband),  64-74. Neben Verhaltenstherapie, kognitiv-behavioraler Psychotherapie, psychoanalytisch fundierter Therapie, Augenbewegungsdesensibilisierung) wird auch die Gestalttherapie der Persönlichkeitsstörungen dargestellt.
    [F24] Kottwitz, Gisela; Lenhardt, Vincent (1992). Wege zur Orientierung und Autonomie Integrative Transaktionsanalyse, Band 1. Berlin: Institut für Kommunikationstherapie. Es wird ein Konzept der Integrativen Transaktionsanalyse vorgestellt. Erörtert werden weiter: Integration systemischer und gestalterischer Techniken und an Fallbeispielen illustriert. Methodenvergleich und theoretische Orientierung. (1) Hintergründe. (2) Ähnlichkeiten und Unterschiede systemischer und transaktionsanalytischer Ansätze. (3) Ein Stufenmodell zur Entwicklung der Autonomie. (4) Das bioenergetische Konzept. (5) Modell der therapeutischen Kommunikation. (6) Die Beurteilung der Effektivität von Supervisionsprozessen. Integrative Transaktionsanalyse in Aktion. (7) Die Bedeutung der Gruppe in der transaktionsanalytischen Therapie. (8) Der Verlauf integrativer Transaktionsanalysen und phasenspezifische methodische Orientierung. (9) Fallgeschichte eines Patienten mit einer "Persönlichkeitsstörung".  Bd. 2:  Wege zu mir und dir bei Borderline-Störungen. Integrative Transaktionsanalyse, Band 2.
        Hagehuelsmann, Ute; Hagehuelsmann, Heinrich & Krull, Michael (1997). Aktuelle Entwicklung in der Transaktionsanalyse. Diagnose und Therapie des Borderlinesyndroms: Teil 1.  Psychotherapeut, 1997, 42 (6), 336-342. Zum transaktionsanalytischen Ansatz zur Behandlung von Patienten mit einem Borderlinesyndrom wird ein Überblick gegeben. Hierbei wird das Strukturmodell der Ich-Zustände als Beschreibungsansatz für die Borderlinestruktur herangezogen: Bezugsrahmen und Skript dienen als Muster für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Pathologie, Transaktionen, Spiele, Symbiosen und Passivität als Merkmale stabiler Instabilität der Beziehungen, Abwertungen und Grandiositäten als Beispiele für Abwehrmuster.
    [F25]  Ich glaube nicht, daß sich ein Circumplex-Modell mit Hilfe von Faktorenanalysen überprüfen lassen, bestenfalls reproduzieren, wenn z. B. die N Faktoren, die dem Modell zugrundeliegen sollen, gefunden werden können. Im allgemeinen finden FaktorenanalytikerInnen keine Natur- und Kulturgesetze, sondern sie definieren sie, das ist zwar ein ungeheuerlicher pseudiwissenschaftlicher Vorgang, in medizin und Psychologie aber geradezu selbständlich und weitgehend die "Norm". Zur Kritik der Faktorenanalyse und ihrer Datenfälschungen siehe bitte hier.
    [F26] Seite57: "Die Rede von 'Persönlichkeitskeitsstörungen' ist 1) eine Aporie {Selbstwiderspruch für die es keine Lösung gibt} und daher in sich selbst widersprüchlich und widersinnig, 2) pathologisierend und 3) ontologisierend, indem es Prozesse, die in oder zwischen Personen ablaufen, zu ontologischen Entitäten in Personen verdinglicht." Lieb kritisiert diese Annahmen im weiteren vehement.


    Arbeits- und Forschungsschwerpunkte des Autors auf der Homepage Peter Fiedlers:
    https://www.psychologie.uni-heidelberg.de/AE/klips/mitarbeiter/fiedler/index.html
    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS).  Rezension in 10 Teilen, hier Kapitel  4-6: Fiedler, Peter (2000). Integrative Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrativerapie. IP-GIPT.Erlangen: https://www.sgipt.org/lit/r_fiedl2.htm
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     Ende  Fiedler IPt PS Kap 4-6   
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