Psychologie des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit
Zur Psychotherapie der Bewußtseins- und der Aufmerksamkeits-Lenkung(sstörungen)
mit Spekulationen zum Sinn des bewussten Erlebens
Zugleich AD-H-D-Forschungsbericht
2004-2
Zur
Definition der Aufmerksamkeit (06.06.2024).
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Einführung: Modell der Lebensströme: Ereignis-, Erlebnis- und Bewußtseinsstrom
In dieser Arbeit sollen die psychologischen terminologischen Grundlagen für eine Theorie der Bewußtseinsregulierung und der Aufmerksamkeit entwickelt werden. Zunächst seien drei Daten-Ströme unterschieden:
Der Ereignisstrom repräsentiere all das, was auf der Welt geschieht. Der Erlebensstrom repräsentiere all das, was sich in mir abspielt, was in meinem Körper und in meinem "Betriebssystem" Seele und Geist geschieht. Das Wenigste, was um uns herum geschieht, erleben wir auch. Und nur ein kleiner Teil von dem, was wir erleben, ist uns auch bewußt.
Einige
Grund- und Gretchtenfragen an die Bewußtseinsregulierungs- und Aufmerksamkeitstheorie
Eine sinnvolle Hypothese ist, daß Bewußtsein und Bewußtheit durch die Evolution begünstigt wurden. Begründet man biologisch, vergleicht man die Überlebenschancen von Biosystemen mit, ohne oder so oder so stark entwickeltem Bewußtsein.
Abb. 0: Modell Bewußtseinsapparat der Lenkung
nach Sponsel 1995, S. 183.
Bewußtsein und Bewußtheit ist damit eine wichtiger Faktor zur Willensfreiheit. Bewußte Wesen können innehalten und reflektieren, abwägen, abwarten und planen.
Warum und wie tritt dieses oder jenes Element in das Bewußtsein ?
Wie-Metapher. Eine einfache Zugangsmetapher besagt, daß man das Nicht- oder Unbewußte wie ein Meer auffassen kann. Dieses Meer spült nun mehr oder minder viel und schnell an den "Strand" des Bewußtseins. Einiges Angespülte verschwindet sogleich im Nichts, anderes dringt vor in das Bewußtsein und gerät sogar ins Zentrum. Wie kommt das? Wie sollen und dürfen wir uns das vorstellen? Warum dringen manche Elemente gar nicht vor, warum verschwinden manche sogleich, warum verbleiben welche am Bewußtseinsrand?
|
Hypothese: Ein Element tritt ins Bewußtsein, wenn es mit einem bestimmten Wert ausgestattet wurde. Sein Wert ist sozusagen der Schlüssel für das Schloß, das ins Bewußtsein führt. Sodann entscheidet die Bewußtseinslenkung (eine Funktion des Super-ICHs), wie lange das Element im Bewußtsein bleibt und mit welchem Supervisionsstatus es vorläufig erfaßt oder ob es abgelegt werden kann. |
Wie kann diese Hypothese bewiesen werden? Zunächst erscheint ein Existenzbeweis sinnvoll, indem gezeigt wird, daß es solche Vorgänge überhaupt gibt. Der nächste Schritt wäre, daß beliebige Vorgänge herausgegriffen werden, um zu zeigen, daß auch diese mit diesem Modell erklärt werden können.
Existenz-Beweis: Überlegen Sie, wann und unter welchen Umständen sie das 23. mal zuvor auf der Toilette waren. Der letzte Toilettengang erhält die Ordnungszahl 1, der vorletzte die Ordnungszahl 2, usw. Prognose: Sie können das nicht rekonstruieren. Erklärung: weil es erledigt und nicht mehr wichtig ist. Einen experimentellen Beweis für das Behalten unerledigter, mithin noch wichtiger Sachen, liefern die gleichnamigen Experimente von Bluma Zeigarnik, einer Schülerin des großen Gestaltpsychologen Kurt Lewin [1, 2, ]. Wenn Sie in der Stadt unterwegs sind und plötzlich ein dringendes Bedürfnis verspüren, so wird Ihr Bewußtsein sehr erfüllt sein, von Überlegungen, wie Sie auf dem schnellsten Weg eine Toilette erreichen können. Haben Sie das geschafft, haben Sie ein eindrucksvolles Erlebnis des Gefühls der Erleichterung. |
Warum und wie kommt es, daß dieses oder jenes Element aus dem Bewußtsein verschwindet ?
Das Element verliert an Wert, im günstigen Fall dadurch, daß die Aufgabe erledigt ist. Aber vielleicht auch, weil erkannt wird, daß die Beschäftigung nicht weiter dienlich oder positiv bewertet wird. Oder das "Ablaufdatum" für die Warteschleife ist eingetreten. Es wurde von anderen, inzwischen von anderen, für wichtiger befundenen Elementen aus der Warteschleife geschoben. Werden z.B. neue Reize mit einer aktuell höheren Wertigkeit ausgestattet, können die älteren an Priorität oder Status einbüßen. Ganz allgemein kann ein Modell vertreten werden, wonach ein Element aus dem Bewußtsein verschwindet, wenn die Bewußtseinssupervision dies erlaubt oder sogar fordert:
Die Bewußtseins-Supervision
Alltagsbeispiel: Wenn Sie zum Einkaufen gehen "vergessen" Sie unterwegs
gewöhnlich, was Sie einkaufen wollen, Sie nehmen die unmittelbaren
Ereignisse wahr, denken auch an dieses oder jenes. Wenn Sie nach einer
Weile angekommen sind, fällt Ihnen plötzlich wieder ein, was
Sie alles kaufen wollten. Wie sieht ein solches System aus, wie können
wir uns das vorstellen? Nun, ein solches System sollte wie folgt funktionieren:
Achtungs-Reize (Merkmale des Zielgeschäftes) werden in der Supervision
(Supervisionsgedächtnis) abgelegt. Sie sind mit dem Gedächtnis
verbunden, die bei Erfülltsein der Achtungsbedingungen (Ankunft im
Geschäft) einen Gedächtnisabruf veranlassen (einfallen).
Die folgende Übersicht gibt Auskunft, an welchen Stellen die Supervision
scheitern oder gestört sein kann und wo sie kognitiv-therapeutisch
gefördert oder trainiert werden sollte:
Warum und wie geschieht gelenkte Bewußtseinstätigkeit ?
Für die meisten Erlebenden geschieht ihr Bewußteinserleben quasi wie von selbst. Die wenigsten erleben sich als bewußtseins-lenkend. Das hat wohl auch damit zu tun, daß man im Erleben sein Lenken schlecht mitbekommt, weil man sozusagen drinnen ist. Ja, man kann sogar sagen, daß eine bewußte Lenkung, so lange man sich im Bewußtseinsstrom befindet und erlebt, nicht oder nur eingeschränkt möglich ist. Dies wirft die spannende Frage auf, ob nicht-bewußte ("unbewußte") Lenkungsprozesse angenommen werden sollen oder gar müssen. Lenken bedeutet zwingend das Einnehmen einer Meta-Perspektive. Und das bedeutet, ich trete aus dem Bewußtseinsgeschehen heraus und betrachte es aus anderer Perspektive. Dies äußert sich z.B. auch in der Erfahrung, daß Gefühle sich leicht verflüchtigen können (auch das Gegenteil ist möglich bei Mißempfindungen oder Angst), sobald man die Aufmerksamkeit auf sie richtet, daß also die Beobachtung das Beobachtungsobjekt verändert.
Dieses Modell hat eine Entsprechung und ein Vorbild im Modell des Sehens, das eine ständige Bewegung der Augen erfordert, die der Mensch gewöhnlich aber nicht bemerkt. Ähnlich kann man sagen, Bewußtheit kommt durch eine ständige Bewegung, einem Wechsel zwischen Erleben und Reflexion des Erlebens, einem ununterbrochenen Hin und Her zwischen diesen beiden Ebenen zustande.
Spekulationen zum Sinn des bewussten
Erlebens
Muss wahrnehmen bewusst sein? Nein, denn wir können uns eine nicht
bewusste Wahrnehmung vorstellen, die vollkommen ihren Sinn erfüllt,
ohne bewusst zu sein. Nehmen wir an, auf uns fliegt ein Gegenstand zu,
von dem wir nicht getroffen werden wollen. Es genügt, um ihm auszuweichen,
dass wir ihn wahrnehmen. Was hilft es uns, dass uns der Vorgang auch noch
bewusst wird? Das verzögert unter Umständen die Ausweichreaktion
und wir werden, nur weil wir Bewusstheitszeit verbrauchen, womöglich
getroffen. Die meisten Reaktionen bei Gefahr setzen ein, bevor uns die
Gefahr bewusst wird. Libet spricht von ca. 150 ms, wenn wir als Kraftfahren
plötzlich auf der Straße ein Kind sehen.
Das Wach-Bewusstsein des Erlebens können wir
uns als einen vieldimensionalen Raum vorstellen, in den beständig
Informationen fließen, der weiteres Schicksal sich durch die Aufmerksamkeit
entscheidet, die sie erhalten. Aber einen solchen vieldimensionalen Raum
können wir uns auch ohne Bewusstheit vorstellen. Der könnte genauso
gut funktionieren. Was soll es also heißen, wir sind uns eines Vorganges
bewusst?
Was ändert sich im Keller, wenn wir Licht machen?
Nun, unsere Wahrnehmung hat es viel leichter, man findet eher, was man
sucht, man stolpert nicht, weil man die Hindernisse sieht. Auch bei diesem
Beispiel genügt die Wahrnehmung, worin sollte der besondere Nutzen
liegen, dass es auch noch bewusst wird?
Die Überlegungen hat wohl manche ForscherInnen
bewogen, vom Bewusstsein als ein bloßes Epiphänomen
zu sprechen. Es gibt es zwar, aber es hat keinen besonderen Sinn und Nutzen.
Das stärkste Argument gegen das Bewusstsein
liefern die Lebenwesen, die sehr wahrscheinlich über kein Bewusstsein
verfügen. Das zeigt uns nämlich, dass zum Leben und Überleben
Bewusstsein nicht unbedingt erforderlich ist. Andererseits scheint es in
der Evolution sehr zweckmäßig zuzugehen. Warum sollte die Natur
also etwas so Kompliziertes wie Bewusstsein in einer langen Entwicklungsgeschichte
erzeugen, das keinen besonderen Sinn und Nutzen hat, eigentlich überflüssig
ist?
In der Technik kennen wir Automaten und automatische
Lenkung (Regelung oder Steuerung). Wie hätte etwa der Autopilot das
Problem der Notölandung auf den Hudson River gelöst (> Wikipedia)?
Nun, der Pilot und seine Mannschaft konnten auf die außergewöhnliche
Situation außergewöhnlich reagieren. Das Wach-Bewusstsein kann
hier als nützlich für die Handlungsmöglichkeiten angesehen
werden. So betrachtet könnte man das Wach-Bewusstsein als relativ
freie und vieldimensionale Lenkungszentrale ansehen.
Eine andere Frage ist, wie soll Kommunikation
ohne Bewsstsein möglich sein? Nun, wir wissen, auch in der Hypnose
ist Kommunikation möglich und der Hypnotisierte hat später oft
gar kein Wach-Bewusstsein davon. Das aber ist keine symmetrische Kommunikation
mit wechselndem Sender und Empfänger.
Unterscheidungen
der drei Grundformen der Aufmerksamkeit
freischwebend, gerichtet, gerichtet und verdichtet
= konzentriert
Im Wachzustand kann meine Aufmerksamkeit ungelenkt
und freischwebend aufmerksam sein. Ich kann meine Aufmerksamkeit auf bestimmte
Objekte, Geschehnisse oder Tätigkeiten richten und ich kann das sehr
verdichtet, alles andere abgeschirmend, d.h. sehr konzentriert tun. Das
sind drei Grundformen der Aufmerksamkeit: freischwebend, gerichtet, verdichtet
= konzentriert.
Eine andere und "höhere" Ebene ist die Einnahme
der Meta-Perspektive. Ich betrachte meine freischwebende, gerichtete oder
verdichtete Aufmerksamkeit und reflektiere sie.
Wie
ist Aufmerksamkeitsverdichtung (Konzentration) möglich und erklärbar
?
Theoretisch sind verschiedene Modelle denkbar, etwa daß die freischwebende Aufmerksamkeit trotz Konzentration erhalten bleibt. Dies widerspricht aber der Alltagserfahrung. Je mehr man sich konzentriert und einer Betätigung hingibt, desto mehr tritt das Andere in den Hintergrund, was u.a. als ein Kriterium für die Hingabe gilt. Hier scheint eine reziproke Beziehung vorzuliegen, wie es obige Illustration bildlich ausdrückt: je mehr die Aufmerksamkeit freischwebt, desto weniger gerichtete und verdichtete Aufmerksamkeit ist möglich und umgekehrt.
Psychosomatische Modelle der Aufmerksamkeit
Alles psychische Geschehen ist nicht nur an die Biologie ("Materie") gebunden, sondern kann auch unter ihrer biologischen oder neurobiologischen Repräsentation betrachtet werden. Das ist etwa dann der Fall, wenn man fragt, welche Neurotransmitter oder biologischen Vorgänge Ausdruck des Aufmerksamkeitsprozesses sind. Auch neuroanatomische Überlegungen gehören hierher. Psychosomatik im engeren Sinne betrifft das Wechselspiel biologischer und psychologischer Aktivitäten. Jede psychologische Aktivität bedeutet auch eine biologische Aktivität und umgekehrt. Das ist auch der Grund, weshalb man durch rein psychologische Methoden sein Gehirn und die Neurobiologie verändern kann, wenn auch natürlich nur begrenzt. Die Psyche und das Psychologische sind eine eigene Wirklichkeit und nicht nur ein Epiphänomen. Dies geschieht alltäglich und fortlaufend. Alles, was gemacht, erinnert, vorgestellt, phantasiert, gewollt oder erlebt wird, hat eine psychologische und eine somatische (neurobiologische, physikalische und chemische) Seite [Welten]. Während psychologische Theorien nicht unbedingt biologische, pharmakologische, medizinische oder Physik und Chemie brauchen, stimmt dies umgekehrt nicht. Wer immer die Aufmerksamkeit aus Sicht der Medizin, Pharmakologie, Chemie, Physik, Biologie, Neurowissenschaften, Kybernetik oder Technik erforschen und Aussagen machen will, kommt um psychologische Begriffe und Modelle nicht herum. Tatsächlich meinen aber die meisten Nicht-PsychologInnen, daß es psychologischer Kenntnisse nicht bedarf, um aus anderen Perspektiven psychologische Phänomene zu erforschen.
Anmerkung anfangen: Damit man anfängt, muß ein gewisses Interesse, eine gewisse Wertzuweisung, eine Auswahl erfolgen. Nicht selten gibt es bei bestimmten Störungen ein typisches Anfangsproblem. Ein Anfangsproblem kann zwei Hauptursachen haben: 1) es fehlt an Energie und Antrieb, 2) es fehlt an Lust, Interesse und Werterleben. In manchen, schwereren Depressionen können beide Hauptursachen zusammenwirken, das sich im schwersten Zustand der einer Depression in einer Art Versteinerungserleben, in einem tief empfundenen Gefühl der Gefühllosigkeit äußern kann.
Querverweis: Heilmittel-Monographie Lenken.
Störungen und Störungsmodelle der Aufmerksamkeit
Es gibt sehr viele Formen und Arten von Aufmerksamkeitsstörungen, sowohl im normalpsychologischen als auch im Störungsbereich mit Krankheitswert. Die einzelnen Aufmerksamkeitsstörungen können nach den psychologischen Aufmerksamkeitsfunktionen - wie oben ausgeführt - einfach geordnet werden:
Psychologische Funktionen
Beispiele:
Befindlichkeit. Wachheit, Müdigkeit und Abspannung können die Aufmerksamkeit sehr beeinträchtigen. In solchen Fällen sind Pausen, Erholung, Schlaf- oder (ein kleiner) Urlaub sinnvoll.
Streß, Angst, Sorgen. Hier ist die Aufmerksamkeit manchmal auf wenige Themen eingeengt oder übertrieben zuwendungsbereit, etwa bei der Hypochondrie, wenn es um körperliche Mißempfindungen geht. Streß, Angst, Sorgen, Befürchtungen wirken wie Störsender und erschweren anderes zielgerichtetes Handeln und Arbeiten.
Psychiatrische Störungen: Bei vielen Psychosen ist die Aufmerksamkeit gestört: Schizophrene Psychosen, Zyklothymien, Depressionen, (hypo-) maniforme Zustände.
Auch bei Neurologischen und psychoorganischen Syndromen, z.B. Epilepsien, kann die Aufmerksamkeit sehr beeinträchtigt sein, kann rasch wechseln, nichts kann Fuß fassen oder "kleben" und sich schwer lösen oder immer wieder zum selben Thema zurückkehren (Perseveration).
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom Überblick
Die Therapie der Bewußtseins- und Aufmerksamkeits-Lenkungsstörungen
Hier gilt zunächst der Grundsatz, daß vorrangig die Grunderkrankung oder Hauptstörung festgestellt werden muß, weil sich nur danach die Therapie richten kann und darf. Bei einer Schizophrenie wird man zuerst die Schizophrenie behandeln, bei einer Depression eben diese wie etwa auch bei Angst- und Befürchtungsstörungen (Phobien, Hypochondrie). Erst wenn die Mittel der Behandlung der Grunderkrankung hinreichend eingesetzt sind, macht es richtigen Sinn, die psychologischen Heilmittel, Verfahren, Methoden und Techniken zu prüfen.
Sofern eine direkte Heilung, z.B. bei AD-H-D, nicht möglich ist, muß man lernen, therapeutische Brillen zu basteln, um entsprechend vorzubeugen, auszugleichen und zu kontrollieren [Merk-Methoden für AD-H-D; Kognitive Therapie einer problemspezifischen Einstellung am Beispiel "Langeweile"; ]
"Wie sich gedankliches Abschweifen
im Gehirn abbildet
Verena Kemmler Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU
Dortmund
Jeder schweift mit den Gedanken mal ab. Das kann aber nicht nur die eigene Leistung mindern. Bei risikoreichen Arbeiten kann es auch gefährlich sein. Forschende des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) haben das Phänomen in einer aktuellen Studie in Zusammenarbeit mit Forschenden der Universität Heidelberg untersucht. Die Messung von Alpha-Aktivität im Gehirn ist demnach ein guter Indikator für gedankliches Abschweifen. Das Ergebnis könnte sowohl in der Forschung als auch in der Praxis genutzt werden.
Man kann ziemlich schnell gedanklich abschweifen. Egal, ob man während der Arbeit bereits über den Feierabend nachdenkt oder beim Autofahren die Einkaufsliste im Kopf zusammenstellt. Das schadet aber der kognitiven Leistung, zum Beispiel wenn es um anhaltende Aufmerksamkeit oder das Gedächtnis geht. Verschiedene Studien haben zwar untersucht, wie sich Abschweifen im Gehirn abbildet, kommen aber nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Das liegt vor allem daran, dass viele unterschiedliche Methoden verwendet worden sind.
Der Fokus der Forschenden um IfADo-Psychologen Dr. Stefan Arnau lag deswegen insbesondere auf der Methodik der Studie. Sie vermuteten einen Zusammenhang zwischen gedanklichem Abschweifen und der Alpha-Aktivität im Gehirn. Die Alpha-Aktivität ist einer von fünf Frequenzbereichen, in denen die Aktivität des Gehirns mittels Elektroenzephalographie (EEG) gemessen wird. Sie zeigt sich vorwiegend, wenn sich die Aufmerksamkeit ins Innere richtet. Die Alpha-Aktivität könnte deswegen eine vielversprechende Variable zur Erkennung von gedanklichem Abschweifen sein.
Insgesamt nahmen 100 Personen zwischen 18 und 60 Jahren an den Versuchen teil, die an der Universität Heidelberg durchgeführt wurden. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden dabei zwei verschiedene einfache und eher monotone Aufgaben am PC gestellt. Insgesamt mussten sie 640 Aufgaben in mehreren Blöcken erledigen. Sie wurden zwischen den Aufgabenblöcken zu zufälligen Zeitpunkten befragt, ob sie gerade abgeschweift sind. War das der Fall, wurden die drei zuletzt gemachten Aufgabenblöcke als „Abschweifen“ bezeichnet. 32 Personen gaben häufig genug an, gedanklich abgeschweift zu sein, um das Phänomen anhand ihrer Daten untersuchen zu können. Neben der Reaktionszeit und der Antwortgenauigkeit wurde die Hirnaktivität mittels EEG erfasst.
Erhöhte Alpha-Aktivität bei gedanklichem Abschweifen
Wer mit seinen Gedanken bei den Aufgaben woanders war, machte signifikant mehr Fehler. Auf die Reaktionszeit hatte das gedankliche Abschweifen jedoch keinen Einfluss. Grundsätzlich waren alle Teilnehmenden schneller, wenn sie in einem Aufgabenblock dieselbe Aufgabe lösen sollten wie in dem vorherigen. Auch im EEG gab es eindeutige Ergebnisse: Die Alpha-Aktivität war besonders zwischen den Aufgabenblöcken erhöht, bei denen die Testpersonen gedanklich abgeschweift sind. In künftigen EEG-Studien kann dieses Ergebnis berücksichtigt werden, besonders wenn die Versuche eher monoton gestaltet sind und Abschweifen einen Einfluss auf die Ergebnisse haben könnte. Darüber hinaus ließe sich die Alpha-Aktivität durchaus auch am Arbeitsplatz messen. Wenn damit also ein Abschweifen frühzeitig erkannt werden kann, könnten so potenzielle Gefahrenquellen minimiert werden.
Die Studie erschien im Journal „Psychophysiology“ und wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert."
Quelle: idw 18.06.2020: https://idw-online.de/de/news749613
Literatur (Auswahl)
> Literatur zur Psychologie
des Bewusstseins.
kontrolliert: 23.05.04 irs