Eine Auseinandersetzung in 10 Teilen von Rudolf Sponsel, Erlangen:
Teil 1 * Teil 2 * Teil 3 * Teil 4 * Teil 5 * Teil 6 * Teil 7 * Teil 8 * Teil 9 * Teil 10 *
Teil 2: Seelen auf Eis
»Ahab
denkt nie, er fühlt, fühlt, fühlt nur.«
Herman
Melville, Moby Dick
Warum ignorierten die Wissenschaften der Natur des Geistes die Erforschung der Gefühle ?
Als
Thema des zweiten Kapitels stellte LeDoux oben
genannte Frage. Wir wollen sehen, ob wir in diesem Kapitel darauf eine
hinreichende Antwort erhalten.
"Wenn wir unsere Aufmerksamkeit nach innen auf unsere Emotionen lenken, finden wir, daß diese verständlich und zugleich rätselhaft sind. Sie sind jene Zustände unseres Gehirns, die wir am besten kennen und deren wir uns mit größter Klarheit erinnern. Doch manchmal wissen wir nicht, woher sie kommen. Sie können sich allmählich oder auch plötzlich ändern, und ihre Anlässe können offensichtlich oder auch undurchsichtig sein. Nicht immer wissen wir, weshalb wir mit dem verkehrten Fuß aus dem Bett gestiegen sind. Die Gründe, weshalb wir nett oder umgekehrt garstig sind, sind manchmal andere als solche, die wir als bestimmend für unser Handeln betrachten. Manchmal reagieren wir auf eine Gefahr, lange bevor wir wissen, daß uns Unheil droht. Es kommt vor, daß wir uns von der ästhetischen Schönheit eines Gemäldes angezogen fühlen, ohne daß wir bewußt verstehen würden, was uns daran gefällt. Unsere Emotionen gehören zwar zum Kern unserer Identität, doch zugleich scheinen sie nach einem eigenen Schema abzulaufen, das oft ohne unsere Zustimmung festgelegt wurde." |
... die wir am besten kennen und deren wir uns mit größter Klarheit erinnern? Die meisten Gefühle gehören nach den psychologischen Erfahrungen zu den sehr flüchtigen, unscharfen und schwer klar faßbaren Erlebnisinhalten. Wie der Autor zu seinen Ansichten gelangt, wie er sie erhoben hat und belegt, bleibt hier dunkel, wobei der Autor hierin offenbar keinerlei Problem sieht. Er erscheint so etwas von psychologisch unbekümmert, naiv und hierin aber auch anmaßend, daß sich auch gleich zu Beginn des zweiten Kapitels die Frage stellt: wie ist eine solche anmaßende Naivität neben dem Anspruch der Neuro- Science besonderer Wissenschaftlichkeit möglich und verstehbar? Einverstanden: unsere Emotionalität und affektive Reagibilität holt gewöhnlich keine Zustimmung ein, aber partieller Widerspruch zum nächsten ? |
Theorie
der Emotion: Naiv-Rationaler Hedonismus
"Eine
wissenschaftliche Erklärung der Emotionen wäre etwas Wunderbares."
(S.26)
"Ein Leben ohne Emotionen ist kaum denkbar. Wir leben für sie, indem wir die Umstände so einrichten, daß sie uns Lust und Freude schenken, und indem wir Situationen meiden, die zu Enttäuschung, Kummer oder Leid führen. Der Rock-Kritiker Lester Bangs sagte einmal: »Die einzigen Fragen, die heute gestellt zu werden verdienen, sind, ob die Menschen morgen überhaupt noch Emotionen haben werden und was das für eine Lebensqualität sein wird, sollte die Antwort nein lauten.« [FN2-13 ] | Das ist im Prinzip der Standpunkt eines
bewußten und naiv- rationalen Hedonismus, so als ob alle Menschen
wüßten, wie sie leben müssen, damit sie möglichst
viel Lust und Freude und möglichst wenig Enttäuschung, Kummer
und Leid erleben.
|
Es
folgen Ausführungen über die Vielzahl der Ansichten der WissenschaftlerInnen,
was denn nun Emotionen "seien",
darunter so hanebüchene Fehlkennzeichnungen wie: "Nach einer
heute verbreiteten Ansicht sind Emotionen Gedanken über die Situation,
in der sich ein Mensch befindet."
"Leider könnte es zu den bedeutendsten
Äußerungen gehören, die je über die Emotion gemacht
wurden, daß jeder weiß, was sie ist, bis man ihn bittet, sie
zu definieren. [FN2-15]
Man könnte nun denken, daß dieser Sachverhalt uns ernstlich behindert in dem Bemühen, das emotionale Gehirn zu verstehen. Wenn wir schon nicht sagen können, was Emotion ist, wie können wir dann hoffen, herauszufinden, wie das Gehirn sie erzeugt? Doch es geht in diesem Buch nicht darum, einen Wissensbereich (die Psychologie der Emotion) auf einen anderen (die Hirnfunktion) zu übertragen. Es geht vielmehr darum, daß die Erforschung der Hirnfunktion uns erlaubt, [>27] die Emotion auf veränderte Weise als einen psychischen Prozeß zu verstehen. Nach meiner Überzeugung können wir diesen rätselhaften Teil des mentalen Geländes aus einer einzigartigen und vorteilhaften Perspektive sehen, wenn wir es von innen, aus dem Nervensystem heraus, betrachten. Die Psychologie der Emotion will ich dabei keineswegs übergehen. Wir verdanken den Psychologen eine Fülle von Erkenntnissen. Man muß nur entscheiden, welche davon zutreffen und welche geistreich, aber falsch sind. Die Erforschung des emotionalen Gehirns kann uns weitere Erkenntnisse verschaffen, sie kann uns aber darüber hinaus helfen, aus dem Angebot der Psychologen die richtige Auswahl zu treffen. Aspekte der Psychologie der Emotion werden im 3. Kapitel diskutiert." |
Diese Sentenz ist zumindest sehr geistreich.
Und die folgende Frage trifft in der Tat ins Halbschwarze:
Wenn
wir schon nicht sagen können, was Emotion ist, wie können wir
dann hoffen, herauszufinden, wie das Gehirn sie erzeugt? Natürlich
müssen am Anfang Prädizierungen, Kennzeichnungen, Definitionen,
normierte phänomenologische Beschreibungen stehen, damit überhaupt
sichergestellt werden kann, daß von den gleichen Forschungsgegenständen
gesprochen wird. Und hier wäre eine klare und einfache Systematik
der verschiedenen Repräsentationsebenen, Perspektiven und Welten wie
schon ausgeführt
sehr hilfreich.
Wie will ein Nichtpsychologe entscheiden, welche psychologischen Theoreme über die Emotionen richtig oder falsch sind? Ein vernünftige Erforschung des emotionalen Gehirns
ist überhaupt nicht möglich, so lange keine klaren operationalen
Prädikationen, Definitionen und Kennzeichnungen erfolgen.
|
"Ehe wir uns jedoch auf die Psychologie der Emotion einlassen, müssen wir die Stellung der Emotion innerhalb des mentalen Geschehens erkunden, und dazu müssen wir das Wesen der Kognition ergründen, des Partners der Emotion im mentalen Geschehen. Die Erforschung der Kognition - man kann auch schlicht Denken sagen - hat in den letzten Jahren erstaunliche Fortschritte gemacht. Sie liefert uns einen begrifflichen Rahmen und eine Methodologie, die sich als Ansatz für alle Aspekte des Geistes eignet, auch die Emotion. Dieses Kapitel soll deshalb klären, was Kognition ist und wie Emotion und Kognition miteinander zusammenhängen." | Einspruch: Kognitionen
sind weit mehr als nur denken. Hierzu
gehören sämtliche Gedächtnisfunktionen, von denen es eine
ganze Reihe gibt und das weite Feld der Wissens- bzw. Fähigkeits-
Repräsentationen, der Einstellungen, Erwartungen, und der vielen,
vielen Verknüpfungen zu anderen psychischen Prozessen.
Urspünglich wurde als Ziel dieses Kapitels ausgegeben: Warum ignorierten die Wissenschaften der Natur des Geistes die Erforschung der Gefühle? Nun wird zum Ziel erkoren: "Dieses Kapitel soll deshalb klären, was Kognition ist und wie Emotion und Kognition miteinander zusammenhängen." |
Denkende Maschinen - Geschichte der kognitiven Psychologie
Den
folgenden Ausführungen kann ich im wesentlichen zustimmen.
"In der Psychologie der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts gaben die Behavioristen den Ton an; die subjektiven inneren
Zustände des Geistes wie Wahrnehmungen, Erinnerungen und Emotionen
waren nach ihrer Ansicht keine geeigneten Gegenstände der Psychologie.
[FN2-18] Ihnen zufolge sollte die Psychologie nicht das Bewußtsein
erforschen, wie es der Fall gewesen war, seit Descartes »Cogito,
ergo sum« gesagt hatte [FN2-19], sondern beobachtbare Tatsachen:
objektiv meßbare Verhaltensweisen. Bewußtsein war für
die Behavioristen nicht wissenschaftlich erforschbar, da es subjektiv und
(außer durch Introspektion) unbeobachtbar ist. Mentale Zustände
bezeichneten sie abwertend als "Geister in der Maschine«. [FN2-20]
Wer es wagte, von Geist und Bewußtsein zu sprechen, wurde von den
Behavioristen mit Spott überschüttet.
Doch um die Mitte des Jahrhunderts begann der Einfluß der Behavioristen in der Psychologie zu schwinden. [FN2-21] Inzwischen gab es elektronische Computer, und bald entdeckten Ingenieure, Mathematiker, Philosophen und Psychologen Übereinstimmungen in der Art und Weise, wie Computer Informationen verarbeiten und wie der menschliche Geist funktioniert. Computeroperationen wurden zur Metapher für mentale Funktionen, und es entstand das Fach der künstlichen Intelligenz (KI), das durch Computersimulationen zu einem Modell des menschlichen Geistes gelangen möchte. Wer sich der Vorstellung anschloß, daß der Geist ein Gerät zur Informationsverarbeitung sei, bekam rasch das Etikett Kognitionswissenschaftler angeheftet. Die Kognitionswissenschaft revolutionierte die Psychologie, indem sie die Behavioristen entthronte und den Geist rehabilitierte. Die Wirkung der Kognitionswissenschaft ging jedoch weit über die Psychologie hinaus. Kognitionswissenschaftler findet man heute außer in der Psychologie auch in der Linguistik, der Philosophie, der Computerwissenschaft, der Physik, der Mathematik, der Anthropologie, der Soziologie und der Hirnforschung. Zu den bedeutendsten theoretischen Entwicklungen der sich etablierenden Kognitionswissenschaft gehörte der Funktionalismus, eine philosophische Auffassung, der zufolge sich in intelligenten Funktionen ein und derselbe grundlegende Prozeß äußert, auch wenn sie von verschiedenen Maschinen ausgeführt werden. [FN2-22] Beim Zusammenzählen von 2 + 5 kommt immer 7 heraus, egal, ob ein Computer oder ein Mensch rechnet. ... Die introspektive Psychologie hat es vorwiegend mit den Inhalten des unmittelbaren bewußten Erlebens zu tun. Der Behaviorismus wollte das Bewußtsein nicht als legitimen Forschungsgegenstand der Psychologie anerkennen und behandelte die Vorgänge, die sich zwischen Reizen und Reaktionen abspielen, so, als wären sie in einer Black box verborgen. Die Kognitionswissenschaft versucht, die Prozesse zu verstehen, die sich in der Black box abspielen. Diese Prozesse laufen zumeist unbewußt ab. Indem sie sich mit Prozessen statt mit bewußten Inhalten befaßte, ließ die Kognitionswissenschaft ein Bild des Geistes wiederaufleben, das nicht ganz dem vom Behaviorismus bekämpften Bild entsprach. Doch zunehmend kümmern sich die Kognitionswissenschaftler sowohl um die Mechanismen des Bewußtseins als auch um die unbewußten Prozesse, aus denen manchmal bewußte Inhalte hervorgehen. ... [>31] |
Die
unbewußte Natur der kognitiven Prozesse und das kognitive Unbewußte
(im Gegensatz zum psychoanalytischen)
"... Bewußte Inhalte entspringen,
worauf Karl Lashley vor langer Zeit hinwies, der Verarbeitung, und die
Verarbeitung selbst nehmen wir keinesfalls bewußt wahr, sondern nur
das Ergebnis. [EN2-24] Um diese mentalen Prozesse geht es in der Kognitionswissenschaft.
... ... ...
Der Psychologe John Kihlstrom prägte den Begriff des »kognitiven Unbewußten«, um die verborgenen Prozesse zu bezeichnen, mit denen die Kognitionswissenschaft sich vornehmlich befaßt hat. [FN2-27] Es geht dabei um Prozesse von ganz unterschiedlicher geistiger Komplexität, von der routinemäßigen Analyse der physischen Merkmale von dargebotenen Reizen durch unsere Sinnesorgane über die Erinnerung an frühere Ereignisse und das grammatisch korrekte Sprechen bis hin zur inneren Vorstellung von nicht vorhandenen Gegenständen, zur Entscheidungsfindung und mehr." |
Das die meisten psychischen Prozesse
unbewußt verlaufen, ist spätestens seit Carl Gustav Carus'
Hauptwerk »Psyche« psychologisches Allgemeinwissen, wurde
aber schon vorher durch einige Philosophen vertreten (z.B. Leibniz). Richtig
ist, wie oben ausgeführt, daß die anglo- amerikanischen BehavioristInnen
den Problemen hinten und vorne nicht gewachsen waren und daher eine Psychologie
ohne Seele und Bewußtsein zu praktizieren versuchten. Fairerweise
sollte hier aber vermerkt werden: der Behaviorismus ist nicht die Psychologie
und er war sie auch nie, sondern eine seltsame anglo- amerikanische Marotte.
Unbewußtes in der IP-GIPT: |
Das
kognitive Unbewußte ist jedoch nicht identisch mit dem Freudschen
oder dem dynamischen Unbewußten.
"... Das kognitive Unbewußte ist jedoch nicht identisch mit dem Freudschen oder dem dynamischen Unbewußten. [FN2-28] Es besagt lediglich, daß vieles von dem, was der Geist tut, sich außerhalb des Bewußtseins abspielt, wohingegen das dynamische Unbewußte mehr ein dunkler, übler Ort ist, an den emotional aufgeladene Erinnerungen verfrachtet werden, um dort mentale Dreckarbeit zu verrichten. Bis zu einem gewissen Grad kann das dynamische Unbewußte im Sinne kognitiver Prozesse verstanden werden, [FN2-29] doch schließt der Begriff des kognitiven Unbewußten diese dynamischen Operationen nicht ein." | Das ist insofern eine sehr wichtige
Bemerkung, als die wissenschaftlich unter Druck und Beschuß geratene
Psychoanalyse immer wieder versucht, sich mit Hilfe der Kognitions- Wissenschaften
oder der Berufung auf sie, Bestätigung zu holen und ein wissenschaftliches
Mäntelchen umzuhängen. Halten wir also fest:
Das kognitive Unbewußte hat mit dem Unbewußten der Tiefenpsychologie und Psychoanalyse überhaupt nichts zu tun. |
Allgemeine
Grundlage für kognitiv unbewußte Prozesse
"Die erste Ebene, auf der das
Nervensystem einen äußeren Reiz analysiert, gilt den physischen
Merkmalen des Reizes. Diese untergeordneten Prozesse laufen außerhalb
der bewußten Wahrnehmung ab. [FN2-30] Das Gehirn hat zum Beispiel
Mechanismen zur Berechnung von Form, Farbe, Lage und Bewegung von Gegenständen,
die wir sehen, oder der Lautstärke, Tonhöhe und Herkunft von
Tönen, die wir hören. Wir können ohne weiteres angeben,
welches von zwei Objekten näher oder welcher von zwei Tönen lauter
ist, aber wir können nicht erklären, welche Operationen das Gehirn
ausgeführt hat, um uns diese Feststellungen zu ermöglichen. Bewußten
Zugang haben wir zu dem Ergebnis der Berechnung, nicht aber zu der Berechnung
selbst. Auf der Verarbeitung physischer Reizmerkmale beruhen alle anderen
Aspekte der Wahrnehmung, einschließlich unseres Bewußtseins,
etwas wahrzunehmen. Es ist auch gut so, daß wir von diesen Prozessen
nichts merken, denn wenn wir das alles mit angestrengter Konzentration
machen müßten, wären wir mit den Berechnungen so beschäftigt,
daß wir gar nicht mehr dazu kämen, etwas wahrzunehmen.
Auf der Grundlage seiner Analyse der physischen Merkmale von Reizen beginnt das Gehirn, eine Bedeutung zu konstruieren. Damit Sie erkennen können, daß der Gegenstand, den Sie sehen, ein Apfel ist, müssen die physischen Merkmale des Reizes ihren Weg in Ihre Langzeitgedächtnis- Datenbanken finden. Die Information über den Reiz wird dort mit gespeicherten Informationen über ähnliche Objekte verglichen und als ein Apfel klassifiziert; dies erlaubt Ihnen, zu »wissen«, daß Sie einen Apfel vor sich haben, und vielleicht führt es sogar [>35] dazu, daß Sie sich an frühere Erlebnisse mit Äpfeln erinnern. Das Endergebnis ist die Schaffung bewußter Erinnerungen (bewußter Inhalte), allerdings über Prozesse, zu denen Sie kaum bewußten Zugang haben." |
Ein
beeindruckendes Experiment von Kosslyn
"... Wahrscheinlich können Sie
sich erinnern, was es gestern zum Abendessen gab, aber Sie werden
vermutlich nicht erklären können, wie das Gehirn es angestellt
hat, diese Information hervorzuholen.
Auch die rätselhafteste aller Kognitionen, die geistige Vorstellung, ist das Ergebnis unbewußter Prozesse. Ein Beispiel: Der Kognitionspsychologe Stephen Kosslyn bat Versuchspersonen, eine imaginäre Insel zu zeichnen, die bestimmte Objekte (Baum, Hütte, Fels usw.) enthalten sollte. [FN2-31] Anschließend bat er sie, sich den Lageplan der Insel vorzustellen und sich auf eines der Objekte zu konzentrieren. Bei der Nennung eines Testwortes mußten die Versuchspersonen eine Taste drücken, um anzuzeigen, ob das Wort eines der Objekte auf der Karte bezeichnete. Die Verzögerung, mit der die Taste gedrückt wurde, war direkt abhängig von der Entfernung zwischen dem durch das Testwort bezeichneten Objekt und dem gedachten Objekt. Kosslyn folgerte daraus, daß das Gehirn die geometrischen Abstände innerhalb von geistigen Vorstellungen berechnet. Die Versuchspersonen führten diese Berechnungen aber nicht bewußt aus. Sie antworteten nur durch Drücken einer Taste. Die Arbeit wurde von dem unbewußt operierenden Gehirn erledigt. Aus der Tatsache, daß Ihr Gehirn eine Leistung vollbringt, folgt noch nicht, daß Sie wissen, wie es das gemacht hat." |
Diese Schlußfolgerung ist nicht zwingend. Wenn vorstellen repräsentieren von Wahrnehmungen aus dem Gedächtnis ist, dann ist der Suchprozeß natürlich auch geometrisch und infolgedessen auch proportional der Zeit, die ein längerer Schau- und Such- Weg braucht. In der visuellen Vorstellung sind die Objekte ja analog angeordnet, wenn entsprechend instruiert und die Aufgabe entsprechend durchgeführt wurde. |
"Die Sprache, das bevorzugte Verhaltensinstrument des Bewußtseins, ist gleichfalls ein Produkt unbewußter Prozesse. [FN2-32] Die grammatische Struktur der Sätze, die wir äußern, wird nicht bewußt von uns geplant. Dafür reicht die Zeit einfach nicht aus. Nicht alle von uns sind große Redner, aber meistens ist das, was wir sagen, sprachlich korrekt. Daß wir beim Sprechen im großen und ganzen der Grammatik folgen, ist eines der vielen Dinge, die das kognitive Unbewußte für uns erledigt." [>36] |
Der
Mensch sucht nach Gründen und findet sie, auch wenn sie falsch sind
- Der Strumpfversuch von Nisbett & Wilson
"Das kognitive Unbewußte ist auch bei komplizierten Urteilen über die mentalen Ursprünge von Überzeugungen und Handlungen im Spiel. 1977 erschien ein äußerst interessanter Aufsatz von Richard Nisbett und Timothy Wilson: »Telling More Than We Can Know: Verbal Reports on Mental Processes«. [FN2-33] Die Autoren ließen Versuchspersonen in sorgfältig arrangierten Situationen agieren, um sie hinterher nach den Gründen ihres Verhaltens zu fragen. Zum Beispiel wurden mehrere Paar Strümpfe auf einem Tisch ausgebreitet. Die weiblichen Versuchspersonen durften diese Strümpfe eingehend untersuchen und dann entscheiden, welche ihnen am besten gefielen. Auf Befragen begründeten sie ihre Auswahl mit allerlei wunderlichen Erklärungen: die Strümpfe fühlten sich gut an, sie seien hauchdünn usw. Sie wußten nicht, daß alle Strümpfe von gleicher Machart waren. Sie glaubten, aufgrund ihrer inneren Urteile über die Qualität der Strümpfe entschieden zu haben. In dieser und einer Fülle anderer Untersuchungen zeigten Nisbett und Wilson, daß Menschen sich oft über die inneren Ursachen ihrer Handlungen und Meinungen täuschen. Gewiß wurden von den Versuchspersonen immer Gründe angegeben, aber nicht aufgrund eines ihnen vorbehaltenen Zugangs zu den Prozessen, die ihrer Entscheidung zugrunde lagen; vielmehr äußerten sich darin soziale Konventionen oder eine Vorstellung davon, was in solchen Situationen erwartet wird, oder es waren blanke Vermutungen." |
Wer täuscht beim Strumpf- Versuch eigentlich wen? Die Versuchspersonen wurden offenbar im Glauben bestärkt, die Strümpfe seien unterschiedlich, womit sie angeregt wurden, Unterschiede zu suchen. Damit wurde ein suggestives Arrangement vorgegeben. Auch wenn alle Strümpfe von gleicher Machart waren, so müssen sich doch nicht alle gleichermaßen anfühlen, zumal das Anfühlen aus der komplexen Interaktion 1) Anfassen mit der Hand (Fühlbewegung) und 2) Befindlichkeit der Haut und 3) Strumpfmaterial und 4) Lage und 5) Form resultiert. Es ist sehr wahrscheinlich anzunehmen, daß diese fünf Parameter nicht bei jedem Vergleich gleich waren demnach geradezu folgerichtig die Versuchspersonen auch zu keinem gleichen Urteil gelangten. Die Attribution oder Schlußfolgerung von der Unterschiedswahrnehmung auf eine unterschiedliche Machart war falsch, aber dieser Fehler ist gar nichts besonderes. Fehlurteile, Fehlschlüsse, Fehlattributionen kommen alltäglich und oft vor. |
LeDoux
schlußfolgert wie die oben von ihm kritisierten Behavioristen:
"Verbale Berichte über die introspektive Analyse des eigenen Geistes sind, wenn man sie als wissenschaftliche Daten verwendet, mit großer Vorsicht zu genießen." | Diese Schlußfolgerung ist überkritisch und falsch: Daten sind Daten und so gesehen wissenschaftlich immer wertvoll. Hier wurde auch nicht der eigene Geist analysiert, sondern falsch attribuiert. Die nun folgenden Splitbrainversuche sind hier aber viel eindeutiger und klarer. |
Splitbrainversuche
Gazzaniga und LeDoux: Der Mensch sucht und attribuiert Gründe für
sein Verhalten, auch wenn er sie nicht kennt
"Wir veranlaßten also die rechte Hemisphäre aufgrund einer Anweisung, die nur ihr zuging, zu einer Reaktion. Die linke Hemisphäre beobachtete diese Reaktion, kannte aber nicht deren Anlaß. Nun fragten wir den Patienten nach dem Grund seines Handelns. Da nur die linke Hemisphäre sprechen konnte, äußerte sich in dem, was er sagte, das Situations- verständnis dieser Hemisphäre. Die linke Hemisphäre erfand immer wieder neue Erklärungen, so als kenne sie den Grund der Reaktion. Wir gaben der rechten Hemisphäre zum Beispiel die Anweisung zu winken, und der Patient winkte. Als wir ihn fragten, warum er gewinkt habe, sagte er, er meine, einen Bekannten gesehen zu haben. Als wir die rechte Hemisphäre anwiesen zu lachen, erklärte er auf unsere Frage nach dem Grund, wir seien komische Typen. Grundlage der verbalen Erklärungen waren die hervorgerufenen Reaktionen, nicht aber ein Wissen von ihren Gründen. Der Patient lieferte, genau wie Nisbetts und Wilsons Versuchspersonen, Situations- erklärungen, so als habe er introspektiven Einblick in den Grund seines Verhaltens, obwohl er ihn in Wahrheit nicht hatte. Wir folgerten daraus, daß die Menschen, was immer sie tun, aus Gründen handeln, derer sie sich nicht bewußt sind (weil das Verhalten von Hirnsystemen ausgelöst wird, die unbewußt operieren), und daß eine der Hauptaufgaben des Bewußtseins darin besteht, unser Leben zu einer in sich stimmigen Geschichte, einem Selbstkonzept, zu bündeln. Es leistet dies dadurch, daß es Verhaltenserklärungen generiert, deren Grundlage unser Selbstbild, Erinnerungen an die Vergangenheit, Erwartungen für die Zukunft, die aktuelle soziale Situation und die physische Umgebung bilden, in der das Verhalten ausgelöst wird. FN2-37" |
Die Schlußfolgerung "Wir folgerten daraus, daß die Menschen, was immer sie tun, aus Gründen handeln, derer sie sich nicht bewußt sind" ist sicher falsch, weil viel zu allgemein. Richtig wäre die Folgerung: Wissen die Menschen keine Gründe für ihr Verhalten, dann können sie auch falsche phantasieren, d.h. erfinden, ohne dies zu bemerken. Es ist sicher auch falsch, die Stimmigkeit von Geschichten als eine Bewußtseinsleistung auszuweisen. Dahinter müssen und können nur Motive stecken, die wohl meist mehr oder minder unbewußt sein dürften. Psychologisch erklärt sich dieses Phänomen relativ einfach, weil der Mensch keine kognitive Sozialisation erfährt, in der er einerseits lernt, daß es möglich ist, daß er keine Gründe für sein Verhalten findet und darum welche erfindet. Für PsychotherapeutInnen liegt hier eine Riesengefahr, durch falsches und insistierendes Fragen eine ganze Reihe erfundener Antworten zu bekommen, die gerade deshalb so überzeugend wirken können, weil sie die ProbandIn selbst glaubt, also mit Überzeugung hervorzubringen vermag. |
Ein
Großteil des mentalen Geschehens spielt sich außerhalb der
bewußten Wahrnehmung ab.
"Zwar ist am kognitiven Unbewußten noch vieles unklar, [FN2-38] doch soviel scheint sicher: Ein Großteil des mentalen Geschehens spielt sich außerhalb der bewußten Wahrnehmung ab. Wir können durch Introspektion Zugang zum Ergebnis der Verarbeitung (in Gestalt des bewußten Inhalts) haben, aber nicht in allen Fällen führt die Verarbeitung zu einem bewußten Inhalt. Wenn die Reizverarbeitung nicht in Gestalt eines bewußten Inhalts zum Bewußtsein gelangt, kann sie gleichwohl implizit oder unbewußt (siehe 7 Kapitel) gespeichert werden und später auf Denken und Verhalten bedeutenden Einfluß haben. [FN2-39] Außerdem - und das verdient hervorgehoben zu werden - gibt es eine simultane Informationsverarbeitung in getrennten Systemen, [>38] die teils einen bewußten Inhalt erzeugen, teils auch nicht, was dazu führt, daß wir in einigen Systemen eine bewußte Repräsentation haben und in anderen eine unbewußte Repräsentation. In manchen Fällen können wir introspektiv in die Systeme vordringen, die bewußte Repräsentationen erzeugen und benutzen, und sie verbal beschreiben, aber um die ungeheuer vielfältigen unbewußten Facetten des Geistes zu erforschen, ist die Introspektion kein sehr taugliches Werkzeug. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, wenn wir im nächsten Kapitel zum emotionalen Unbewußten kommen." |
Die
psychische Gesundheit von Maschinen
Warum
wurden Emotionen aus der Kognitionswissenschaft ausgeklammert?
"Bei den Versuchen, die Kognitions- wissenschaft zu definieren, stößt man auffällig oft auf die Aussage, daß sie sich nicht mit der Emotion befaßt. So zählt Howard Gardner in Dem Denken auf der Spur: Der Weg der Kognitionswissen- schaft die geringe Bewertung von affektiven oder emotionalen Faktoren zu den fünf Definitionsmerkmalen der Kognitionswissenschaft. [FN2-43] Ulric Neisser erklärt in Cognitive Psychology, seinem einflußreichen Lehrbuch von 1968, daß das Fach nicht von den dynamischen Faktoren (wie den Emotionen) handele, die Verhalten motivieren. [FN2-44] In The Language of Thought, einem für die Philosophie der Kognitionswissenschaft bahnbrechenden Buch, bezeichnet Jerry Fodor Emotionen als mentale Zustände, die aus dem Bereich der kognitiven Erklärung herausfallen. [FN2-45] Und in einem Buch mit dem Titel What Is Cognitive Science sagt Barbara von Eckardt, die meisten Kognitionswissenschaftler betrachteten die Erforschung der Emotionen nicht als Bestandteil ihres Faches. [FN2-46] Jeder dieser Kognitionswissenschaftler wies darauf hin, daß emotionale Faktoren wichtige Aspekte des Geistes seien, betonte aber auch, daß Emotionen mit dem kognitiven Herangehen an den Geist nichts zu tun hätten. Was hat die Emotion an sich, daß Kognitionswissenschaftler sich genötigt glaubten, sie von der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, dem Gedächtnis und anderen als den »eigentlichen« kognitiven Funktionen absondern zu müssen? Weshalb wurde die Emotion von der Rehabilitierung des Geistes ausgeschlossen, die mit der kognitiven Revolution in der Psychologie stattfand?" [>40] | Die Arbeit krankt an vielen Stellen
an grundlegenden terminologischen Mißverständnissen und Defiziten.
Die Zuordnung "Emotion" zu Geist oder Kognition ist ein simpler wissenschaftstheoretischer oder methodologischer Grundlagenfehler. Das normale wissenschaftliche Vorgehen bestünde zunächst einmal darin, daß man die Phänomene in der Perspektive und Welt beschreibt, die man untersuchen will. So wie Kognition ja nur eine sehr grobe Superklasse für viele elementar verschiedenene psychische Grundfunktionen bedeutet, so "ist" Emotion schlicht und einfach eine ganz andere Kategorie, die sehr eng mit Befinden, Bedürfnis, Motiv, Antrieb und Stimmung zusammenhängt. Emotion zählte traditionell noch nie zum Geist, warum
sollte sie also jetzt unter den Geist subsummiert werden? Was sollte das
bringen? Welche Ziele und Zwecke würden damit (besser) erreicht?
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Emotionen
sind nicht irrational, sondern etwas anderes
"Was ist daran irrational, wenn man auf eine Gefahr mit einer Reaktion antwortet, die von der Evolution vervollkommnet wurde? Daniel Goleman nennt in seinem letzten Buch eine Fülle von Beispielen emotionaler Intelligenz. [FN2-55] Lebenserfolg hängt Goleman zufolge in gleichem - oder höherem Maße von einem hohen EQ (emotionalen Quotienten) ab wie von einem hohen IQ (Intelligenzquotienten)." | Die Gegenüberstellung von Rationalität und Emotionalität ist in der Tat wenig überzeugend. Im Prinzip sagen uns die Emotionen, welchen Wert das Geschehen für uns hat. Keine Emotionen erleben bedeutet demnach, keine Wertungen vornehmen können. Ein funktionierendes emotionales System erscheint so gesehen für die Lebensorientierung, Planung und Selbstverwirklichung notwendig. |
Emotionale
Zustände als Endergebnis unbewußter Informationsverarbeitung
"Das Erleben einer Emotion ist im Grunde nicht subjektiver als das Erleben der Röte eines Apfels oder die Erinnerung an das Essen eines Apfels. Die Erforschung der Wahrnehmung oder des Gedächtnisses wurde nicht durch die Tatsache aufgehalten, daß diese Hirnfunktionen subjektive Begleiterscheinungen haben, und Gleiches sollte für die Erforschung der Emotion gelten. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, faßt man subjektive emotionale Zustände - wie auch alle anderen Bewußtseinszustände am besten als Endergebnis einer unbewußt ablaufenden Informationsverarbeitung auf." [S. 42] | Dieser Vergleich hinkt fundamental,
weil ein Apfel direkter und vergleichender Beobachtung zugänglich
ist, aber nicht eine subjektiv erlebte Emotion.
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Geist,
Körper, Emotion: abenteuerliche Thesen
"Die für die Kognition relevante
biologische Maschine ist natürlich das Gehirn. Und daß das Gehirn
ein kognitiver Computer sei, ist mittlerweile ein Gemeinplatz. Doch bei
den Emotionen funktioniert das Gehirn, anders als bei den Kognitionen,
gewöhnlich nicht unabhängig vom Körper. Viele, wenn nicht
die meisten Emotionen sind mit körperlichen Reaktionen verbunden.
FN2-66 Zwischen Kognitionen und Handlungen besteht dagegen kein solcher
Zusammenhang."
... "Wenn die biologische Maschine der Emotion - nicht aber der Kognition - notwendig den Körper einschließt, dann muß die Maschine, auf der die Emotion laufen kann, eine andere sein als jene, auf der die Kognition laufen kann. Selbst wenn man das funktionalistische Argument (daß die Art der Hardware gleichgültig sei) für den kognitiven Aspekt des Geistes gelten lassen könnte (und es ist nicht klar, daß man das kann), so scheint es für die emotionalen Aspekte des Geistes jedenfalls nicht zu gelten (da es bei der Emotion sehr wohl auf die Art der Hardware ankommt). Würde man einen Computer so programmieren, daß er Bewußtsein hätte, so wäre das ein wichtiger erster Schritt dahin, ihn so zu programmieren, daß er ein regelrechtes emotionales Empfinden hätte, da die Gefühle, an denen wir unsere Emotionen erkennen, dann auftreten, wenn wir uns des unbewußten Wirkens emotionaler Systeme im Gehirn bewußt werden. Doch selbst wenn man einen Computer so programmieren könnte, daß er Bewußtsein hätte, könnte man ihn doch nicht so programmieren, daß er eine Emotion hätte, weil ihm dafür die passende Zusammensetzung fehlt, die nicht aus dem raffinierten Zusammenbau menschlicher Artefakte entsteht, sondern in Jahrmilliarden der biologischen Evolution entstanden ist." |
Die ideomotische Reaktion, wie er z.B.
beim Pendelversuch studiert werden kann, spricht gegen diese abenteuerlichen
und falschen Thesen wie etwa die simple Tatsache, daß bei Flucht-,
Kampf- oder Anstrengungshandlungen sehr viel körperliche Reaktion
erfolgt. Hinzu kommt der direkte Zusammenhang zwischen Phantasietätigkeit
und Emotion. Überhaupt erscheint ein Konzept von der Einheit und Ganzheit
der vielen Funktionseinheiten im System Mensch der Realität viel angemessener.
... Die Metapher "andere Maschine" verdunkelt den Sachverhalt weiter. Ganz dubios und geradezu abenteuerlich wirkt Folgerung, es brauchte für die Emotion eine andere Hardware als für die Kognition, zumal wir nun auch seit Jahrtausenden schon wissen, daß es die jeweils dies gleich Hardware "Gehirn" ist. Allenfalls vertretbar schiene mir die Metapher, das Konzept der Emotion erfordert eine andere Software im Gehirn. Blicken wir aber ins Gehirn, so wissen wir gar nicht, was davon Hard- oder Software "ist": beides ist miteinander konfundiert. Daß Computer und Maschinen mit
Emotionen jederzeit möglich sind und auch konstruktiv gebaut werden
können, hat eindrucksvoll und überzeugend Dietrich Dörner,
zuletzt 1999 in Bauplan für eine Seele dargelegt, den LeDoux
als echter amerikanischer Forscher aber nicht kennt.
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