Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit - K. Schneider 1948
Hilfsseite zum Katalog der potentiellen
forensischen Gutachtenfehler (MethF)
Methoden- und Methodenproblembewusstsein
in der - forensischen - Psychiatrie
Zu:
Potentielle Fehler in forensisch psychiatrischen
Gutachten, Beschlüssen und Urteilen der Maßregeljustiz
Eine methodenkritische Untersuchung illustriert
an einigen Fällen u. a. am Fall Gustl
F. Mollath
mit einem Katalog
der potentiellen forensischen Gutachtenfehler sowie einiger Richter-Fehler.
von Rudolf Sponsel, Erlangen
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Legende Signierungen
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Gesamtwertung angemessene Darstellung der psychiatrischen Methodenproblematik Signierung 0
Kurt Schneider schreibt eine schöne, klare Wissenschaftsprosa;
ihm muss man nicht sagen, wie so vielen anderen, dass die Gerichtssprache
deutsch ist. So klar und schön seine Arbeit zu lesen und
zu verstehen ist, so enthält sie doch viele grundlegende Mängel
und Fehler, die sich aufgrund seiner Autorität für die forensische
Psychiatrie - wie ich meine - verheerend fortgesetzt haben. Da diese Fehler
aber hier nicht zur eigentlichen Aufgabe gehören, habe ich sie unter
Sonstiges kritisch erörtert,
weil Schneiders Agnostizismus große und nachhaltige Wirkungen hatte.
Obwohl die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit
methodische Probleme noch und noch enthält, spricht Kurt Schneider
ausdrücklich kein einziges davon als solches an, sondern verkündigt
apodiktisch seine dogmatischen Standpunkte, die er - in schlechtester methodischer
Tradition - nicht belegt (150 Jahre nach Pinel).
Vielleicht meint er aber auch nur, was er nicht kann, kann niemand können
(S. 14: "Weil das kein Mensch beantworten kann."). Mit seiner Arbeit
wurden die verheerenden Weichen für die forensische
Meinungsachterpraxis
gestellt, die bis heute, wie gerade der Fall Gustl
F. Mollath, aber auch der Fall Peggy/ Ulvi
Kulac zeigen, immer noch als "the state of the botch"
praktiziert werden. Seine Konstruktion einer "stillschweigenden" und seiner
Meinung nach wissenschaftlich nicht möglichen Schlussfolgerung sollte
konsequenterweise zu einer Ablehnung von Gutachtenaufträgen wegen
wissenschaftlicher Unmöglichkeit führen. Tatsächlich und
paradoxerweise wurde mit Kurt Schneiders Standpunkt der Okkultismus
einer pseudowissenschaftlichen forensischen Psychiatrie "begründet",
die sich z.B. in erschreckender Weise bis heute durch die gesamte psychiatrische
Gutachterpraxis zum Thema Schuldfähigkeit manifestiert, am extremsten
in Gutachten nach Aktenlage.
Anmerkung: Baer (1988), S. 175, bezeichnet Kurt Schneider aufgrund seines Vortrages von 1948 als den "Begründer der 'agnostischen' Richtung in der Forensischen Psychiatrie". Auch Kröber & Lau hier.
Kurt Schneiders
grundlegende Fehler und völlige Inkonsequenz
Hier kursiv gesetzt, was Kurt Schneider gesperrt schreibt.
Der Krankheitsbegriff wird
nicht näher erläutert und als gegeben hingestellt, S. 6f: "Nun
ist einzugestehen: nicht überall da, wo wir auf Grund der Struktur
einer seelischen Abnormität gezwungen sind, eine Krankheit als Ursache
anzunehmen, kennen wir diese Krankheit. Es ist ein peinliches, ja fast
beschämendes Geständnis, daß wir bei der Mehrzahl aller
Insassen von Irrenanstalten, selbst bei ganz ausgesprochen und schwer »Geisteskranken«
die diesen seelischen Abnormitäten zugrunde liegenden Krankheiten
nicht kennen und sie nur postulieren. ..."
Die immerwährende Betonung der körperliche
Begründetheit, was Krankheit heißen soll, trägt magische
Züge, da natürlich auch alles psychische Geschehen letztlich
körperlich, biologisch kodiert ist. Was also sollen die entscheidenden
Kriterien für die körperliche Krankheit sein?
Der Abnormitätsbegriff
wird nicht näher bestimmt, sondern als gegeben hingestellt, S. 9:
"Seelische Abnormitäten als bloße Spielarten seelischen Wesens
gehen nicht auf Krankheiten zurück. Sie sind nichts qualitativ,
nur etwas intensitativ Abnormes, Abweichungen vom Durchschnitt,
vom Gewohnten, Üblichen. Hier sind nirgends scharfe Grenzen gegenüber
den »normalen« Lagen und daher ist es in leichteren Fällen
oft willkürlich, »Geschmackssache«, ob man schon von Abnormität
reden will oder noch nicht."
Wissenschaft ist nun wirklich keine "Geschmackssache"
und schon gar nicht, wenn menschliche Schicksale, Freiheit, Würde
und Selbstbestimmung auf dem Spiel stehen.
Schuldprinzip S. 13: "Das ist nun
aber nicht der Sinn von § 51. Es heißt ja nicht: »Eine
strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter sich zur Zeit
der Tat im Zustande der Bewußtseinsstörung, der krankhaften
Störung der Geistestätigkeit oder Geistesschwäche befindet.«
Obschon uns diese Fassung genügen würde, da wir gar nicht weiter
denken und fragen, heißt der Text eben nicht so. Die aufgezählten
drei psychopathologischen Tatbestände müssen nach ihm unfähig
machen, »das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht
zu handeln«. Nur dann ist die strafbare Handlung »nicht
vorhanden«. ..."
Kurt Schneider begeht hier den Fehler, dass nicht
der Psychopathologe zu exculpieren hat, sondern das Gericht. Kurt Schneider
hält hier Rechtsbegriff - was
aufgrund der hier wirren Rechtswissenschaft und Rechtsprechung auch schwierig
ist - und ihm entsprechende psychopathologische Sachverhalte nicht streng
auseinander.
Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit S. 13: "... Wir sind also, kurz formuliert,
nach Fähigkeit oder Unfähigkeit der Einsicht und nach Fähigkeit
oder Unfähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, gefragt. Es ergibt
sich somit ein zweistöckiger Aufbau, wobei man sich die drei
oberen Bezeichnungen jeweils mit den beiden unteren durch auf diese hinweisende
Pfeile verbunden denken muß.
Bewußtseinsstör. - krankh. Stör. d. Geistestätigk.
- Geistesschw.
Unfähigkeit der Einsicht - Unfähigkeit, nach Einsicht zu
handeln."
Der zweite große Fehler ist, dass nicht schon das
bloße Vorhandensein einer der drei Voraussetzungen genügen kann,
vielmehr im Einzelnen gezeigt werden muss, warum der psychopathologische
Tatbestand das Exculpieren zur Folge haben sollte.
Okkultismusgeständnis
S. 13f (RS fett): "Diese letzten Fragen nach der Fähigkeit
der Einsicht und der Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, sind
nun tatsächlich unbeantwortbar, vor allem die zweite. Und [>14]
deshalb antworten wir darauf gar nicht unmittelbar, sondern weit
gröber, als wir gefragt sind. Wir bleiben bei den klinischen (psychopathologischen)
Tatbeständen des »oberen Stockwerkes« stehen und nehmen,
wenn sie da sind, stillschweigend an, daß die Fähigkeit
der Einsicht oder die Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln,
nicht vorlagen, womit allerdings zu dem »oder« nicht
Stellung genommen ist. Fast nie differenzieren wir in unserer Antwort diese
beiden letzten Fragen — soweit kommen wir gewissermaßen gar nicht."
Konsequenterweise hätte Kurt Schneider solche Aufträge zurückgeben
müssen und heutige PsychiaterInnen, die das so wie er sehen, müssten
das auch tun.
Gutachter als Richter S.
14a: "Man hat tatsächlich auch die Meinung vertreten, daß den
Sachverständigen nur das »obere Stockwerk« etwas angehe
und daß das untere die Sache des Gerichts wäre. Doch ist man
heute allgemein der Ansicht, daß dies unrichtig sei und daß
sich der Gutachter zu dem ganzen Umfang des Wortlauts zu äußern
habe."
Krankheit gleich Exculption
- Okkultismusbekräftigung S. 14b (RS fett): "Die möglichen
speziellen Fassungen unserer Antworten sollen nur kurz betrachtet
werden. Es genügen durchweg ganz summarische Angaben, die sich auf
den Wortlaut des Paragraphen überhaupt nicht beziehen, vorausgesetzt
natürlich, daß aus dem Gutachten vor allem Lebensgeschichte,
Entwicklung der Krankheit und der psychische Befund zur Zeit der Tat und
heute deutlich hervorgehen. Wir sagen etwa: »Aus unseren Ausführungen
geht hervor, daß N. N. zur Zeit der Tat an Schizophrenie litt. Es
steht ihm daher § 51, Abs. 1 StGB, zur Seite.« Das genügt,
obschon es nun wirklich keine wörtliche Antwort auf die gestellte
Frage ist. Eine etwas textnähere Fassung wäre: »N.
N. litt nach unseren Ausführungen zur Zeit der Tat an einer Schizophrenie.
Es lag also eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit vor,
welche die Anwendung des § 51, Abs. 1 zur Folge hat.« Von
der Fähigkeit der Einsicht und der Fähigkeit, nach dieser Einsicht
zu handeln, ist aber so gut wie nie, jedenfalls nie in darauf eingehender
Betrachtung die Rede. Weil das kein Mensch beantworten kann."
Hier gibt Schneider zu Protokoll, dass nicht das
Gericht, sondern der Gutachter zu entscheiden hat, ob der - damalige -
§ 51 StGB erfüllt ist. Zweitens sagt er deutlich, dass er nicht
die geringste Ahnung von Einsicht
und der mit ihr zusammenhängenden Handlungssteuerung
hat, was er in einen Allsatz verkleidet und für alle Menschen und
Gutachter dieser Welt postuliert. Damit dürfte er eigentlich gar keine
Stellung nehmen. Er müsste dem Gericht sagen: Darüber kann ich
nichts sagen, weil darüber kein Mensch etwas sagen kann. Sagt er aber
doch etwas, obwohl er nach seiner Lehre gar nichts sagen dürfte, verlässt
er Wissenschaft und Ethik und begibt sich in das Reich der Okkultisten.
Begründungsversuch S.
14c(f): "Warum nicht? Dies muß eingehender begründet
werden. Dem Text des § 51 liegt eine Psychologie der [>15] Handlung
zugrunde, die lebensfern ist und sich auch mit der heutigen psychologischen
Auffassung nicht vereinigen läßt. Er hat uralte geschichtliche
Voraussetzungen, die uns hier aber nicht interessieren dürfen. Er
gliedert die Handlung in einen rationalen, intellektuellen Teil
und in den der Willensentscheidung. Er meint, der Handelnde überlege
sich vorher, ob die Handlung richtig oder falsch, erlaubt oder verboten
sei, und darauf gegründet, also überlegt, erfolge dann der Entschluß
zur Handlung. So soll gewiß ein »vernünftiger Mensch«
handeln, so verlangen es Eltern und Lehrer — aber so handelt in Wirklichkeit
fast nie jemand. Und wenn die Menschen stets so handeln wollten, wären
sie wie Zwangsmenschen, die überhaupt nicht von der Stelle kämen."
Weigerung Handlungen
zu verstehen S. 18: "... Ob die Einsicht aber auftauchte als hemmender
Trieb, vollends ob man das »verlangen« konnte, entzieht sich
jedem fremden Einblick und Urteil. ..."
Das ist dann richtig, wenn man sich weigert, an
die Aufschlüsselung der Handlungssteuerung
zu gehen.
Weigerung Einsicht
zu verstehen S. 19f: "Noch hoffnungsloser ist die Beurteilung, ob
die Fähigkeit bestand, entsprechend einer Einsicht zu handeln.
...
Einen freien Willen annehmen und annehmen, daß
man im Einzelfall von außen sein Dasein oder gar die Fähigkeit
dazu beurteilen kann, ist aber etwas völlig anderes. Man kann
nur sagen, daß man beim »normalen« Menschen ein Auch-anders-Können
voraussetzt und bei gewissen Arten von Abnormen [>20] eben nicht. Keineswegs
braucht das so zu sein, und zwar weder was die Einsicht, noch was
die Fähigkeit, nach ihr zu handeln, betrifft. Es ist nicht gesagt,
ja offensichtlich falsch, daß selbst beim eindeutig schwer Kranken
stets beides zu verneinen wäre. Aber wir können diese konkreten
Fragen schlechterdings nicht beantworten. Wir antworten daher nur ungefähr,
summarisch, grob klinisch, wir halten uns an die drei psychopathologischen
Tatbestände, an das »obere Stockwerk«, und schließen
aus ihrem Bestehen stillschweigend auf die Unfähigkeit zur Einsicht
oder die Unfähigkeit, ihr entsprechend zu handeln."
Totum pro parte Fehlschluss
S. 21a: "Im ganzen kommt man mit dem § 51 gut zurecht, wie auch
schon mit der alten, über ein halbes Jahrhundert geltenden Fassung.
Aber eben weil wir seine Fragen gar nicht unmittelbar beantworten,
sondern die Antwort klinisch erschließen. Auch das Delikt
selbst wird selten näher betrachtet, obschon doch im § 51
alles auf die konkrete Handlung abzielt. Wir schließen aus dem klinischen
Gesamtzustand generell auf den Zustand beim Begehen der Tat. ..."
K. Schneider entwickelt hier eine neue Schlussform,
den okkultistisch-stillschweigenden Fehlschluss Totum pro parte. An dieser
Stelle mag zudem angemerkt werden, dass nicht nur der Huber
zugeschriebene Satz "Die meisten Schizophrenen sind die meiste Zeit
ihres Lebens nicht schizophren" zu berücksichtigen ist, sondern
weitergehend, dass auch ein Mensch, der sich im schizophrenen Zustand befindet,
in der Regel nicht durchgängig und in Gänze vom schizophrenen
Zustand in all seinem Erleben und Verhalten bestimmt wird. Das eben ist
seit 20-30 Jahren nach der Rechtsprechung
im Einzelfall genau zu untersuchen.
Wissenschaft kann einfach
sein S. 21b: "... Sonst aber antworten wir grob summarisch in der geschilderten
Weise. Auch danach, ob der Inhalt einer psychotischen Störung, etwa
eines Wahns, mit der Art des Deliktes in inhaltlichem Zusammenhang steht,
wird nicht gefragt. Wir exkulpieren einen Wahnkranken für jeden Mord,
nicht nur für den seines Verfolgers. Psychose genügt uns hier.
..."
Solche einfachen Regeln machen Begutachtungen sehr
einfach.
Graduelle Entsprechungen S. 22: "Zu
der Frage nach der Fähigkeit, »das Unerlaubte der Tat einzusehen
oder nach dieser Fähigkeit zu handeln«, soll hier nicht mehr
ausführlich Stellung genommen werden. Ist hierbei schon die positive
und die negative Entscheidung schwierig, ja beim zweiten Teil der Frage
schlechterdings unmöglich, so gilt das für die Abschätzung
einer Verminderung, vollends einer »erheblichen« Verminderung
dieser Fähigkeiten erst recht. Auch hier reduziert man auf einen der
drei klinischen Tatbestände und zwar ist der Grad ihrer Intensität
ein grob geschätzter Anhaltspunkt. Man nimmt also eine, kurz gesagt,
erhebliche Verminderung der Zurechnungsfähigkeit an bei nur leichten
Graden von Bewußtseinsstörung, krankhafter Störung der
Geistestätigkeit und Geistesschwäche. Bei krankhafter Störung
der Geistestätigkeit in der klinischen Form der Zyklothymie und Schizophrenie
tue man das nicht. Sie stellen auch in leichteren Fällen einen so
unberechenbaren und unüberschaubaren Eingriff in das Wesen und Handeln
des Menschen dar, daß dann stets § 51 Abs. 1 gerechtfertigt
ist."
Handlungssteuerung S. 23: "...
Einmal handelt es sich beim Schwachsinnigen im wesentlichen um die mangelhafte
Einsicht, beim Psychopathen dagegen mehr um die Frage nach der Fähigkeit,
der Einsicht zu folgen. Ferner: man kann von einem Dummen nicht verlangen,
daß er gescheiter ist als er ist — aber von einem Menschen
mit gefährlichen Neigungen, daß er sie unterdrückt, daß
er ihnen die Handlung versagt. Kann man das verlangen? Jedenfalls:
man verlangt das und das ist das Fundament des Ganzen. »Wissenschaftlich«
ist das nicht begründbar, aber die Rechtspflege ist auch keine voraussetzungslose
empirische Wissenschaft und das Strafrecht ist nicht nur nach der Schuldfrage
orientiert. Hier müssen wir abbrechen. ..."
Konsequenterweise hätte Kurt Schneider das
Rechtssystem auffordern müssen, den damaligen § 51 StGB den wissenschaftlichen
Möglichkeiten anzupassen.
Abschließend auch noch Positives
Sachverständige S. 24: Sehr
gut zum Schluss ist Kurt Schneiders Warnung an die Richter: "... Mißtrauen
Sie einem Sachverständigen, der zu viel beantworten kann. Vor allem
dann, wenn er sich allzu willig den vorgelegten Formulierungen anpaßt,
oft in überjuristischem Ehrgeiz. Wenn alles »aufgeht«,
ist das nicht stets ein Lob für das Gutachten. Man muß offen
lassen, was man nicht ohne Gewalt schließen kann. Gutachten, mit
denen man »etwas anfangen kann«, sind bequem, aber sie verbiegen
und pressen oft die Wirklichkeit in dem Bestreben, ja brauchbar zu sein.
..."
Potentielle
und aktualisierte Einsicht Obwohl er sich zur Einsicht nach seiner
eigenen Auffassung gar nicht äußern dürfte, sagt er hier
doch Wichtiges, auch wenn er sich damit widerspricht, S. 18: "Wie im Einzelfall
auch das Verhältnis von ethisch und gesetzlich Unerlaubtem liegen
mag, man verlangt ein Einsehen des gesetzlich Unerlaubten. Nun ist
es ein weiterer, sehr bedeutungsvoller Unterschied, ob der Mann in stillen
Stunden, außerhalb der Versuchungssituation diese (sei es
nur rationale oder wertmäßige) Einsicht hat, oder ob sie ihm
aktuell in der gefährdenden Situation warnend auftaucht, ob
er sie »bei sich hat«. Potentielle, inaktive Einsicht und
Bereithaben dieser Einsicht in einem bestimmten Augenblick ist sehr Verschiedenes.
Das letztere zu verlangen, ist sichtlich mehr. Ob die Einsicht aktuell
da ist, liegt nicht am Rationalen, am »Wissen um«, auch dann
nicht, wenn das Verbot moralisch oder wenigstens als sozial richtig und
notwendig eingesehen wird, sondern an der Gefühls-, Wert-, Triebstärke
der Einsicht, an ihrer Lebendigkeit, ob sie »in Fleisch und Blut«
überging. Dabei ist es hier nicht so wichtig, ob diese Lebendigkeit
die eines ethischen Mitvollzuges, einer persönlichen gewissensmäßigen
Identifizierung ist oder ein triebhaftes Erfüllen von Sitte und Anstand
oder nur die einer Dressur: das ist verboten und wenn man das tut, wird
man bestraft. Das Einspringen der aktuellen Einsicht hängt aber auch
ab von der Triebstärke der Versuchung, die so gewaltig sein kann,
daß daneben nichts auftaucht."
Hier kommt also doch einiges Inhaltliche für
eine Handlungstheorie: potentielle und aktualisierte Einsicht, Triebstärke
(heute vielleicht: Motivation oder Motivintensität),
Gefühlsstärke, Wertstärke und Versuchung. Das sind wenigstens
fünf gute, empirisch gestützte und nutzbare Ideen ...
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