Akte - Aktenlage - "Gut"achten nach Aktenlage
Zu:
Potentielle Fehler in forensisch psychiatrischen
Gutachten, Beschlüssen und Urteilen der Maßregeljustiz
Eine methodenkritische Untersuchung illustriert
an einigen Fällen u. a. am Fall Gustl
F. Mollath
mit einem Katalog
der potentiellen forensischen Gutachtenfehler sowie einiger Richter-Fehler.
von Rudolf
Sponsel, Erlangen
_
Zum Geleit:
§ 278 StGB Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse
Abstract
- Zusammenfassung - Summary: Akte, Aktenlage
Hier werden die auf verschiedenen forensischen Seiten der IP-GIPT verstreuten
Mitteilungen, Informationen und die Auseinandersetzung zum Thema Akte,
Aktenlage, Gutachten nach Aktenlage, Ferndiagnosen, etc. zusammengetragen.
Die
Berufung auf eine Akte oder Aktenlage ohne nähere Spezifikation sagt
gar nichts und ist nur eine Pseudoreferenz. Daher ist grundsätzlich
zu fordern, dass bei Bezugnahmen auf eine "Akte" oder "Aktenlage" die relevante
Information benannt wird, die man meint. Denn darauf kommt es an.
Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat oder zu den Tatzeitpunkten sind alle Informationen, die sich nicht auf Befinden und Verfassung bei der Begehung der Tat oder auf die Tatzeitpunkte beziehen ohne Bedeutung. Auch wenn nachher noch so lange beobachtet wurde oder sich noch so viele Sachverständige Gedanken gemacht haben. Es kommt einzig und allein auf Informationen an, die den Zustand bei Begehung der Tat oder zu den Tatzeitpunkten beurteilen helfen. In erster Linie sind das natürlich Aussagen der mutmaßlichen TäterIn. |
Es ist ganz einfach: wenn man nichts weiß, kann man nichts
sagen und erst recht nicht gutachten.
In ganz seltenen theoretischen Fällen können Videoaufzeichnungen
der Taten und des Tatverhaltens, detaillierte ZeugInnenbeobachtungen -
deren Glaubhaftigkeit allerdings sorgfältig zu prüfen ist - ,
Aufzeichnungen (z.B. Tagebücher, Briefe, Arztberichte, wenn der Beschuldigte
z.B. kurz vor der Tat oder des Tatzeitpunktes beim Arzt war) zu Verfassung,
Befinden und Verhalten zu den Tatzeiten vorliegen. Aber selbst Videoaufzeichnungen
des Tatverhaltens sagen selten etwas über Verfassung oder Befinden,
z.B. ob die Tat in und aus einem wahnhaften Zustand heraus erfolgte.
Es dürfte der Regelfall sein, dass über
Verfassung und Befinden der mutmaßlichen TäterIn zu den Tatzeitpunkten
unzulängliche, lückenhafte und wenig sichere Informationen vorliegen.
Bisher behilft das Recht sich damit, forensischen PsychiaterInnen
Meinungsachten
zu erlauben. Die forensischen Sachverständigen wissen in der Regel
nichts Fundiertes, Solides oder Sicheres und können daher nur meinen,
mutmaßen, phantasieren, spekulieren, wähnen. Solche Meinungsachten
dürften aber nicht im Titel führen "... wissenschaftlich begründetes
forensisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten ..." (zwei
Beispiele), wie oft zu lesen ist. Im Grunde brechen Recht und RichterInnen,
die so etwas erlauben, das Gesetz, wenn von einem wissenschaftlichen Gutachten
die Rede ist.
Wie zu verfahren ist, wenn nicht genügend zuverlässige Informationen durch die Untersuchung der forensischen Sachverständigen bereit gestellt werden können, ist derzeit ein Rechtsfehler und ein Rechtsproblem, das vom Gesetzgeber gelöst werden muss. Das heißt, es muss, wie der Fall zu behandeln ist, wenn der Sachverständige nichts hinreichend sicher sagen kann, vom Gesetzgeber gelöst werden. Das ist eine Rechtsfrage und keine Sachverständigenfrage. Hier müssen, Gesetz, Rechtsprechung und RichterInnen Verantwortung übernehmen. |
Vorbemerkung: Das Einzelfallprinzip gebietet sicherheitshalber nur von
potentiellen Fehlern zu sprechen. Der Katalog enthält also überwiegend
nur potentielle Fehler. Ob ein potentieller Fehler im spezifischen
Einzelfall wirklich ein Gutachten-Fehler ist, sollte nicht absolut-allgemein,
sondern im Realitätsrahmen und Situationskontext des Einzelfalles
untersucht und entschieden werden. Und natürlich hängt die Fehler-Diagnose
und das Gewicht, das ihr zukommt, auch sehr davon ab, aus welcher wissenschaftlichen
Perspektive oder Basis die Betrachtung erfolgt. PsychoanalytikerInnen haben
z.B. ein sehr lockeres Verhältnis zu Fantasie und Vermutungen und
verwechseln diese oft mit Wissenschaft, Empirie oder Objektivität.
Wichtig ist vielleicht auch, dass man sich eingesteht:
fehlerlose Gutachten gibt es nicht. Aber: die Problemlösung beginnt
bekanntlich mit der Problemwahrnehmung. Deshalb ist es sinnvoll, sich seinen
möglichen Fehlern grundsätzlich zu öffnen. Manche Fehler
mögen auch keine ernste Bedeutung haben, andere aber im jeweiligen
Einzelfall vielleicht schon. Und es gibt fatale Fehler, die ein Gutachten
nicht verwertbar machen (z.B. Oder-Diagnosen, Verfassung und Befinden zu
den Tatzeiten nicht exploriert oder, bei keinem Ergebnis hierzu, die Beweisfrage
als nicht beantwortbar erklärt, nicht persönlich untersucht,
unzulängliche Mittel und Methoden angewendet, ... ... ...)
Exkurs:
Was heißt eigentlich und ganz konkret "Akte", "Aktenanalyse" ?
Der bloße Verweis auf eine Akte ist nichtssagend und daher unwissenschaftlich.
"Akte", das ist eine Hülle, ein Sammelbecken. Sie enthält nicht
selten sehr viel: Dokumente, Aussagen (Z1,
Z2, Z3) und Vernehmungen, Atteste, Vorgutachten, Beschlüsse, Urteile,
Verfügungen, Berichte, Ermittlungsergebnisse, Anträge, ...
Wer sich auf einen Akteninhalt beruft, sollte ihn
daher ganz konkret benennen, belegen und ausführen, welche Funktion
die Berufung haben soll. Im Allgemeinen sollte der Akteninhalt einen wichtigen
Sachverhalt für die Begutachtung repräsentieren. Bloße
amorphe
Aneinanderreihungen von Akteninhalten gehören nicht zu einem wissenschaftlichen
Arbeitsstil:
Aktenlage
Hier gilt die alte Warnung Mephistos, dass die Verwendung eines Wortes,
einen scheinbaren Inhalt suggeriert. Was heißt "Akte", Beurteilung
nach "Aktenlage"? Eine Akte kann 1000 Seiten enthalten und doch keine einzige
brauchbare Information über das Befinden zu speziellen Tatzeiten,
die für Schuldfähigkeitsbegutachtungen (§§ 20, 21 StGB)
Grundlage und Voraussetzung für die Unterbringung (§ 63 StGB)
sind. Akten bezeichnen eine bloße Hülle, die Papier enthalten,
auf dem etwas drauf steht. Eine Beurteilung nach "Aktenlage" suggeriert,
als ginge das. Im Falle Gustl Mollath ist als Voraussetzung für die
Unterbringung wegen Schuldunfähigkeit der entsprechende Nachweis für
die 10 Tatzeiten zu erbringen. Das geht in seinem Fall weder durch
verfassungswidrige Beobachtung - nicht selten Jahre später - noch
durch einen Blick in die "Akten". Solche Formulierungen verschleiern das
Problem und das ist dem massiven Eingriff Einweisung in den Maßregelvollzug
in keinster Weise angemessen. [Quelle Exkurs...
aus: Was ist ein wissenschaftliches forensisch-psychopathologisches Gutachten?]
Kommentar
zu Prof. Nedopil in den NN 2.1.13 zur Möglichkeit einer Begutachtung
nach Aktenlage
Michael Kasperowitsch führte für die Nürnberger Nachrichten
ein Interview mit Prof. Nedopil, das am 2.1.2013, S. 18 in den NN abgedruckt
wurde: "Gutachter liegen mit ihren Prognosen meist daneben". Übrigens
deutlich mehr als die im Interview mitgeteilten 60%.
Nach Nedopils Angaben an verschiedenen
Stellen sind es rund 85% falsch positive Prognosen, weshalb man das forensisch-psychiatrische
Prognoseunwesen
mit gruppenstatistischen Risikowerten auch auflösen und stattdessen
lieber
Nedopils
richtigen Grundansatz (aber konsequent dann) folgen sollte.
NN2.1.: "Gustl Mollath gehört zu denjenigen,
die jede Behandlung in der Psychiatrie ablehnen. Ist es möglich, ein
Gutachten nach Aktenlage anzufertigen?
Nedopil: Das muss gehen, auch wenn es nicht optimal oder
wün-
|
Warum sollte das gehen müssen?
Es
ist nicht die Aufgabe der Sachverständigen, den Gerichten, Gesetzgebern
und Recht die Probleme abzunehmen, die ihre problematischen, unrealistischen
bis manchmal unsinnigen Rechtskonstruktionen schaffen. Nedopil macht sich
hier zum Anwalt der Gerichte, des Gesetzes und des Rechts.
Und selbstverständlich müsste vorab geklärt werden, ob eine angemessene Vertrauensbasis - die allerdings für die meisten forensischen Psychiater ein Fremdwort ist, wie die wichtigen Standardwerke beweisen - zustande kommt. Menschen dürfen nicht zum bloßen Objekt von Erkenntnisinteressen gemacht werden und erst recht nicht, wenn die Informations- und Datenbasis in aller Regel nicht ausreichend ist. ?_ |
Kommentar
zur Begutachtung überhaupt und nach Aktenlage im Besonderen
Eine psychopathologische Begutachtung ohne das Einverständnis des Betroffenen verstößt meiner Meinung nach gegen die Menschenwürde (Art 1 GG). Umso mehr, wenn ein nötigender und erpresserischer Wink mit dem Zaunpfahl erfolgt, wenn man nicht mitmache, könne man eben seine "Argumente" nicht einbringen und geltend machen (Nedopil NN S. 18, 2.1.2013. Auf jeden Fall aber wird gegen wichtige Mindestanforderungen für Schuldfähigkeits- (Boetticher et al. 2005: 1.13; 1.17, 1.18, 1.21) oder Prognosegutachten (Boetticher et al. 2006: II.1.1 bis 1.6) und Standardlehrbücher und Kommentare zur psychiatrischen Untersuchung (Explorationserfordernisse, z.B. Lehrmeinungen hier von 1881 - aktuell) verstoßen. Zudem ergibt sich aus der Sache selbst, dass man nur begründet und nachvollziehbar gutachten kann, wenn entsprechende Informationen und Daten zuverlässig und gültig zu den Beweisfragen vorliegen. Und die allgemeine Lebenserfahrung, ebenso wie der gesunde Menschenverstand besagen: worüber man nichts weiß, darüber kann man auch nichts sagen und natürlich erst recht nicht gutachten - es sei denn, man ist Para-Psychopathologe mit okkulten Wissensquellen wie die Mollath-"Gut"achter Dr. Lippert, Dr. Leipziger, Prof. Kröber und anscheinend auch Prof. Nedopil. |
[Quelle Medienberichte Mollath...]
Persönliche
Untersuchung zwingend - nach einem Kammergerichtsbeschluss aus 1988
zur Geschäftsfähigkeit
Primärquelle: KG, Beschluß v. 8.3.1988 - 1
W 880/88. Sekundär-Quelle NJW-RR 1988, anläßlich zur Frage
Rechtsgarantien bei vormundschaftsgerichtlicher Unterbringungsgenehmigung
BGB §§ 104, 1631b, 1800, 1915; FGG §§ 19, 27, 64a.
Hieraus (fett-kursiv RS): "Ärztliche Gutachten
dürfen sich schon insoweit nicht darauf beschränken, dem Gericht
nur Untersuchungsergebnisse mitzuteilen und damit pauschale Wertungen zu
verbinden; vielmehr muß das Gutachten ausreichende Tatsachen enthalten,
die dem Gericht eine eigene Prüfung des Ergebnisses der Untersuchungen
ermöglicht (vgl. OLG Celle, NdsRpfl 1970, 180 (181); Saage-Göppinger,
Freiheitsentziehung, 2. Aufl. (1975), III, Rdnr. 391). Das somit erforderliche,
erkennbar von einem Arzt mit psychiatrischer Vorbildung und Erfahrung erstattete
Gutachten muß ein ausführliches und überzeugendes Bild
vom Geisteszustand des Betroffenen vermitteln (BayObLG, Rpfleger 1987,
20; Saage-Göppinger, Freiheitsentziehung, III, Rdnrn. 260, 389).
Dazu gehört auch, daß sich der betreffende Arzt ein möglichst
deutliches Bild von der derzeitigen Verfassung des Betroffenen verschafft
(Saage-Göppinger, III, Rdnr. 263). Deshalb muß sich aus
dem Gutachten regelmäßig ergeben, daß die Feststellungen
des das Gutachten erstattenden Arztes auf einer persönlichen Untersuchung
des Betroffenen beruhen, die eine möglichst kurze Zeit zurückliegt
(vgl. Saage-Göppinger, III, Rdnrn. 261, 381)."
Betreuung: Gutachten
nach Aktenlage FGG § 68b I, OLG Brandenburg: Beschluss vom 08.05.2000
- 9 Wx 7/00
"Die gem. § 68b I S. 4 FGG vorzunehmende Untersuchung erfordert
einen persönlichen Kontakt zwischen dem Gutachter und dem Betroffenen
und darf nur in einem zeitlich geringen Abstand vor der Erstattung liegen;
eine
Begutachtung allein nach Lage der Akten genügt nicht. Bei
der Vorbereitung und Abfassung des Gutachtens ist der Sachverständige
befugt, Hilfskräfte hinzuzuziehen, wenn er für ihre Tätigkeit
die Verantwortung übernimmt." FamRZ 2001, 40 [fest-kursiv RS]
Zur Handhabung und Bedeutung der Verweigerung einer persönlichen Untersuchung
Unterbringungsanordnung
zur Beobachtung setzt Mitwirkungsbereitschaft des Beschuldigten voraus
(2001)
BVerG
- 2 BvR 1523/01. Zitierung: BVerfG, 2 BvR 1523/01 vom 9.10.2001, Absatz-Nr.
(1 - 28), "… Eine Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus zur Beobachtung kann danach nicht erfolgen, wenn der Beschuldigte
sich weigert, sie zuzulassen bzw. bei ihr mitzuwirken, soweit die Untersuchung
nach ihrer Art die freiwillige Mitwirkung des Beschuldigten voraussetzt
(vgl. BGH, StV 1994, S. 231 f.). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn
eine Exploration erforderlich wäre, diese aber vom Beschuldigten verweigert
wird und ein Erkenntnisgewinn deshalb nur bei Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden
(§ 136 a StPO) oder einer sonstigen Einflussnahme auf die Aussagefreiheit
des Beschuldigten zu erwarten ist (vgl. OLG Celle, StV 1985, S. 224; StV
1991, S. 248). ...."
Nur wenige forensischer Psychiater gehen auf die Probleme der Mitwirkungsverweigerung
ein. Eine Ausnahme ist hier (aus UntF):
Handhabung
der Verweigerung der Untersuchung nach Foerster & Dreßing in
Venzlaff & Förster (2009), S. 30
"2.11 Besondere Untersuchungssituationen
2.11.2 Verweigerung
der Untersuchung
|
Zwangsuntersuchung
nach Foerster & Winckler in Venzlaff & Förster (2004),
S. 19
"2.1.3 „Zwangsuntersuchung"?
*** _ |
Aktenkenntnis (R&K2004)
S. 331: "Die Durchführung einer Begutachtung sollte nicht ohne
Kenntnis der Akten erfolgen. Von juristischer Seite werden mitunter Bedenken
gegen die Übersendung der Akten an den Sachverständigen vorgebracht."
Quelle Die Durchführung
der Begutachtung nach Rasch & Konrad (2004)
Krankenakten (R&K2004)
S. 337: "Eine andere wichtige zusätzliche Quelle sind Krankenakten
über den Untersuchten oder die Auskünfte behandelnder Ärzte.
Die Informationen über früher durchgemachte Erkrankungen oder
erlittene Verletzungen lassen u.U. das Ausmaß einer verbliebenen
Schädigung besser abschätzen. Mitunter befand sich der Täter
in der Zeit vor der Tat in ärztlicher Behandlung. Die Ärzte sind
- unabhängig von der Schwere des Anklagevorwurfs - nur dann berechtigt,
Auskunft zu geben, wenn sie ihr früherer Patient von der Verschwiegenheitspflicht
entbindet." [Quelle Die Durchführung
der Begutachtung nach Rasch & Konrad (2004)]
II.1 Mindestanforderungen bei der Informationsgewinnung [MAPG-II-InformatGewinnung]
Abschnitt II beleuchtet die Notwendigkeiten bei der Durchführung der Begutachtung, der Erschließung der schriftlich dokumentierten Informationen und der Untersuchung des Probanden selbst. Ziel dieser Informationserschließung ist es, ein möglichst exaktes, durch Fakten gut begründetes Bild der Person des Probanden, seiner Lebens- und Delinquenzgeschichte, der in seinen Taten zutage getretenen Gefährlichkeit und seiner seitherigen Entwicklung zu gewinnen. Ohne die Rekonstruktion der Persönlichkeitsproblematik, der Lebens- und Delinquenzgeschichte fehlt einer in die Zukunft gerichteten Risikoeinschätzung das entscheidende Fundament.
Es ist nicht ausreichend, sich allein auf die Angaben des Probanden oder das Vollstreckungsheft zu stützen, zumal sich das Gutachten aus dem Erkenntnisverfahren nicht darin befindet; in der Regel ist also die Einsichtnahme in die Verfahrensakten erforderlich, zudem sind Vorstrafakten, Krankenakten oder Gefangenen-Personalakten bedeutsam. Für eine problemorientierte Exploration des Probanden ist es unerlässlich, dass der Sachverständige über ein sicheres Faktenwissen über die Ereignisse in der Vergangenheit verfügt, aber auch über Zeugenaussagen und frühere Einlassungen des Probanden. Der Sachverständige hat ggf. eigenständig die relevanten Akten anzufordern.
II.1.1 Umfassendes
Aktenstudium (Sachakten, Vorstrafakten, Gefangenenpersonalakten, Maßregelvollzugsakten)
[MAPG-II-1.1 UmfassAktenstudium]
Zur Rekonstruktion der Ausgangsproblematik sind die Sachakten des zu
Grunde liegenden Verfahrens und ggf. die Akten zu früheren relevanten
Strafverfahren wichtig. Für die Rekonstruktion des Verlaufs seit der
Verurteilung sind die Stellungnahmen der Haftanstalten und Maßregeleinrichtungen
(im Vollstreckungsheft) sowie die Anstaltsakten grundlegend. Zur Einsichtnahme
in diese Akten vgl. B.II.4).
Die wesentlichen, beurteilungsrelevanten Ergebnisse
der Aktenauswertung sind im Gutachten schriftlich darzustellen, so dass
das Gutachten aus sich heraus verständlich [>543] und auch in seinen
Schlussfolgerungen nachvollziehbar wird.
II.1.2 Adäquate
Untersuchungsbedingungen [MAPG-II-1.2 AdäqUntBeding]
Die Exploration sollte unter fachlich akzeptablen Bedingungen durchgeführt
werden, bei denen ein diskretes, ungestörtes und konzentriertes Arbeiten
möglich ist.
II.1.3 Angemessene
Untersuchungsdauer [MAPG-II-1.3 AngUntDauer] unter Berücksichtigung
des Schwierigkeitsgrads, ggf. an mehreren Tagen
Die Exploration ist für den Probanden möglicherweise für
Jahre die letzte Chance, seine Person und seine Sicht der Dinge darzustellen.
Dafür sollte ihm angemessen Raum gegeben werden. Bei begrenzten Fragestellungen
oder bei ausführlichen vorangegangenen Begutachtungen kann ein einziger
Untersuchungstermin ausreichend sein. Bei komplexen Fragestellungen und
einem bislang unbekannten Probanden wird der Sachverständige schon
wegen der Fülle der zu besprechenden Themen (siehe II.1.5) meist mehrere
Termine wahrnehmen müssen.
II.1.4 Mehrdimensionale
Untersuchung [MAPG-II-1.4 MehrdimUnt]
- Entwicklung und gegenwärtiges Bild der Persönlichkeit
- Krankheits- und Störungsanamnese
- Analyse der Delinquenzgeschichte und des Tatbildes
Unter „mehrdimensionaler Untersuchung" ist zu verstehen, dass themenbezogene 3 elementare Bereiche exploriert werden: Person - Krankheit - Delinquenz. Eine Reduktion auf nur 2 oder eines dieser Themen macht das Gutachten insuffizient. Die 3 Bereiche sind im individuellen Lebensverlauf zeitlich und sachlich verzahnt, was im Gespräch oft ein chronologisches Vorgehen nahe legt. Wenn die Prognosebegutachtung die erste forensische Begutachtung des Probanden ist, sollte man sich hinsichtlich der zu erhebenden Informationen an den „Mindestanforderungen für die Schuldfähigkeitsbegutachtung" orientieren. Dies betrifft insbesondere die delikt- und diagnosespezifische Exploration.
II.1.5
Umfassende Erhebung der dafür relevanten Informationen [MAPG-II-1.5
UmfErheb]
Hierzu gehören insbesondere: Herkunftsfamilie, Ersatzfamilie,
Kindheit (Kindergartenalter, Grundschulalter), Schule/Ausbildung/Beruf,
finanzielle Situation, Erkrankungen (allgemein/psychiatrisch), Suchtmittel,
Sexualität, Partnerschaften, Freizeitgestaltung, Lebenszeit-Delinquenz
(evtl. Benennung spezifischer Tatphänomene sowie Progredienz, Gewaltbereitschaft,
Tatmotive etc.), ggf. Vollzugs- und Therapieverlauf, soziale Bezüge,
Lebenseinstellungen, Selbsteinschätzung, Umgang mit Konflikten, Zukunftsperspektive.
Ausführliche Exploration insbesondere in Bezug auf die Lebenszeitdelinquenz
(Delikteinsicht, Opferempathie, Veränderungsprozesse seit letztem
Delikt, Einschätzung von zukünftigen Risiken und deren Management)
Wenn der Proband rechtskräftig abgeurteilt ist, kann und muss
der Sachverständige von den Urteilsfeststellungen ausgehen (vgl. oben
unter B. IV) und darf den Probanden mit den zu Grunde liegenden Sachverhalten
konfrontieren, ohne dass er sich damit dem Vorwurf der Befangenheit aussetzt.
Einzelne Sachverhalte, insbesondere zur Delinquenzgeschichte, müssen
gezielt erfragt werden, was Aktenkenntnis des Sachverständigen voraussetzt.
Wenn der Proband Angaben macht, die deutlich von früheren Einlassungen
oder von relevanten Akteninformationen abweichen, so sind diese Diskrepanzen
anzusprechen. Wie die Probanden darauf reagieren, ist ein weiterer wichtiger
Teil der Informationsgewinnung.
Informativ ist eine Wiedergabe der Äußerungen
im Gutachten, aus der die Gesprächs- und Argumentationshaltung des
Probanden deutlich wird. Die möglichst getreue Dokumentation von Kernaussagen
erleichtert es, sie einem späteren Vergleich zugänglich zu machen.
II.1.6
Beobachtung des Verhaltens während der Exploration, psychischer Befund,
ausführliche Persönlichkeitsbeschreibung [MAPG-II-1.6 BeobBeschr]
Unverzichtbar im Gutachten ist eine ausführliche und anschauliche
Beschreibung des psychischen Ist-Zustandes des Probanden. Der Sachverständige
soll das Interaktionsverhalten, die Selbstdarstellungsweisen, die emotionalen
Reaktionsweisen, den Denkstil des Probanden in der Untersuchungssituation
wahrnehmen, beschreiben und (persönlichkeits-)diagnostisch zuordnen.
Es ist also wichtig, sich bald nach den Gesprächen nochmals alle Wahrnehmungen
zu vergegenwärtigen und sie sprachlich zu fassen. Bei einem zweiten
Untersuchungsgespräch können erste Eindrücke überprüft
und eventuell korrigiert werden. Der „Psychische Befund" ist durch die
Wiedergabe testpsychologischer Ergebnisse nicht ersetzbar (s. II.1.8).
Kröber: Beurteilungsrelevante Akteninformationen gehören in das forensisch-psychiatrische Gutachten, NStZ 1999, 170ff:
„Ein psychiatrisches Gutachten, das der Sachverständige als Gehilfe des Gerichts erstellt, muß auch in seiner vorläufigen schriftlichen Fassung ein aus sich selbst heraus verständlicher, stimmiger Text sein. Es benennt Anknüpfungstatsachen, aus denen sich dann im Rahmen einer wissenschaftlich fundierten psychiatrischen Bewertung die Beurteilung ergibt. Diese Anknüpfungstatsachen sind zum einen Befunde, die sich bei der aktuellen Untersuchung und aus den Angaben des Probanden ergeben. Diese Befunde sind für eine [>171]kompetente Beurteilung im Regelfall aber nicht ausreichend: entscheidend ist nicht der psychische Befund zum Untersuchungs-, sondern zum Tatzeitpunkt. Entscheidend kann nicht allein die Sichtweise des Probanden über die Abläufe vor, während und nach der Tat sein, vielmehr müssen auch die objektiven Indizien und Zeugenaussagen berücksichtigt werden, insbesondere wenn sie im Widerspruch zu den Angaben des Probanden stehen oder diese wesentlich ergänzen. Insofern ist das vorläufige Gutachten wertlos, wenn es nicht alle zu diesem Zeitpunkt erhältlichen beurteilungsrelevanten Informationen berücksichtigt. Zudem muß das schriftliche Gutachten die vorgeworfene Tat und den querschnittlichen psychischen Befund einordnen in den Längsschnitt der Lebensgeschichte und der aus ihr ableitbaren psychischen Anfälligkeiten wie auch delinquenten Verhaltensbereitschaften und Verhaltensmuster. All das ergibt sich zu einem wesentlichen Teil aus einem sorgfältigen Studium der Ermittlungs- und der Vorstrafakten unter speziellen forensisch-psychiatrischen Gesichtspunkten.
Wie soll man Schlußfolgerungen aus Anknüpfungstatsachen ziehen, ohne sie ins schriftliche Gutachten einzuführen? In einem nach den Regeln der forensischen Psychiatrie ordnungsgemäßen Gutachten wird zunächst die Beweisfrage benannt und angegeben, auf welche Erkenntnisquellen sich das Gutachten stützt. Es folgt, was jahrzehntelang ungestraft „Aktenlage“ überschrieben wurde und wohl besser durch die Überschrift „Psychiatrisch relevante Akteninformationen“ ersetzt wird. Da das Gutachten Stellung nehmen soll zur Frage der Schuldfähigkeit im Hinblick auf eine bestimmte Tat, ist es schlechterdings unmöglich, diese vorgeworfene Tat und psychiatrisch relevante Tatumstände (wie festgestellte Alkoholisierung, wichtige Beobachtungen von Zeugen über die psychische Verfassung des Beschuldigten etc.) nicht zunächst zu benennen. Bei Beziehungstaten ist es wichtig, relevante zeugenschaftliche Angaben des geschädigten Beziehungspartners zur Konfliktvorgeschichte zu vermerken, usw. Dies sind Einzelbeispiele, je nach Fallgestaltung sind unterschiedliche Materialien von Bedeutung.
Bei nicht erstmalig Straffälligen ist schließlich die psychiatrische Auswertung der Delinquenzvorgeschichte im Hinblick auf eine klinisch-kriminologische Diagnose von enormer Bedeutung. Anders als beim schriftlichen Urteil eines Richters oder einer Kammer sind hier keineswegs schematisch frühere Urteile auszugsweise wiederzugeben, vielmehr ist gezielt überdauernden Verhaltensbereitschaften, Tatmustern und dem Persönlichkeitsbild des Untersuchten nachzugehen. Dies gilt umso mehr, wenn eine Maßregel der Besserung und Sicherung zur Diskussion steht.“
Anmerkung: Kröber hat auch interessante Ausführungen zum Thema „Leugnen der Tat und Tatbearbeitung in der prognostischen Begutachtung“ gemacht: Forens Psychiatr Psychol Kriminol (2010) 4:32–38
_
_ |
"In der Vierteljahres-Zeitschrift „Forensische Psychiatrie, Psychologie,
Kriminologie“, 7. Jahrgang Nr. 4 (2013) erschien im Springer-Verlag (das
ist der wissenschaftliche Springer Verlag, der nichts mit dem Axel-Springer-Verlag
zu tun hat) unter der Rubrik BLITZLICHT, S. 302-303, im Oktober 2013 eine
Glosse zum Thema „Aktengutachten“ von Prof. Dr. Hans -Ludwig Kröber,
der am 27.6.2008 ein ebensolches in der Vollstreckungssache gegen Gustl
Mollath erstattet hatte. ..."
So leitet Rechtsanwalt Dr. h.c. Strate seine "Anmerkung
der Verteidigung" vom 16.11.13 ein (PDF),
in der er die Halbwahrheiten, Unwahrheiten und Seltsamheiten in des Professors
Wahrnehmung und Erinnerung zum Fall Gustl F. Mollath gründlich zerlegt
und aufspießt, unterstützt und kritisch begleitet vom Wolff-Blog
und Ursuala
Prem. Ich will mich hier daher nur noch auf die rein forensisch-psychiatrischen
Ausführungen zum "Aktengutachten" beschränken.
Inzwischen hat sich Dr. Strate aus Gründen
der Verteidigung und des Gesamtverständnisses dazu entschlossen, das
gesamte "Blitzlicht" auf seiner Homepage einzustellen.
01
Gutachter müssen immer gutachten, wenn sie berufen werden
Kröber01 "Offenbar wird übersehen, dass dies gesetzlich gere- gelt ist. Dazu geeignete Fachleute oder allgemein beeidete Sachverständige sind verpflichtet, Gutachtenaufträge anzunehmen, wenn nicht wichtige Hinderungsgründe vorliegen (§ 75 StPO). Einen einmal angenommenen Gutachtenauftrag kann man nicht einfach zurückgeben, wenn sich das [>303] Aktengutachten Gutachten als schwierig erweist, bestimmte Akteninformationen beispielsweise nicht beschaffbar sind, oder der Proband sich einer Untersuchung verweigert. Der Gutachtenauftrag wird damit nicht hinfällig. Eine Entpflichtung des Gutachters durch das Gericht kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn der ersatzweise zu berufende Sachverständige vor exakt den gleichen Problemen stünde, ein Verzicht auf die Begutachtung aber nicht möglich ist, weil zwingend eine gerichtliche Entscheidung zu treffen ist und die Sachkunde der Richter fraglos nicht ausreicht." (S. 302f)_ | Sponsel01 Da es sich hier im Kern um eine Rechtsfrage handelt, genügt es hier, der Argumentation Dr. Strate zu folgen: "Wenn wegen unzulänglicher Aktenlage ohne Exploration ein Gutachten lege artis nicht zu erstatten ist, dann muss ein Sachverständiger, der die Qualitätsstandards seines Fachs nicht unterschreiten will, dies dem Gericht mitteilen und den Auftrag ablehnen. ... Niemand kann von einem Gericht gezwungen werden, die Regeln der Kunst seines Fachs zu vernachlässigen. Dubiose oder nicht erfüllbare Aufträge müssen zu jedem Zeitpunkt, ob vor oder nach der Auftragsübernahme, abgelehnt werden. Generell steht die Pflicht zur Gutachtenerstattung unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit. Sind die tatsächlichen und methodischen Voraussetzungen einer Gutachtenerstattung nicht gegeben, kann der Gutachter sich auf eine bloße sachverständige Stellungnahme beschränken und auf deren zweifelhaften Beweiswert hinweisen." |
02 Geht es nur
um eine Gegenprüfung im Gespräch oder Aktuelles?
Kröber02 "Es ist mithin seit
Jahrzehnten ständige und sachgerech- te Praxis, dass in solchen Fällen
die Akten besonders sorgfältig ausgewertet werden, also frühere
Aussagen des Beschuldigten, die Aussagen von Zeugen, dass die Tatrekonstruktionen
durchdacht werden, bei Untergebrachten die Berichte von Pflegepersonal
und sonstigen fachkundigen Personen studiert werden. Die Aussagekraft jedes
Gutachtens ist begrenzt, hier in der besonderen Weise, dass die Gegenprüfung
der aus den Akten gewonnenen Schlussfolgerungen im Gespräch nicht
möglich war und die aktuelle Sichtweise des Probanden nicht erfasst
werden konnte."_
_ |
Sponsel02 Hier wird das Grundproblem bei Gutachten nach §§ 20, 21, 63 StGB der Unterbringung weggeblendet. Es ist nämlich die psychische Störung zu den Tatzeitpunkten ("bei Begehung der Tat" heißt es im § 20 StGB) zu den mutmaßlichen Tathand- lungen kausal in Beziehung zu setzen. Solche Informationen kann man nur durch persönliche Angaben des Probanden zu dem Zeitraum erhalten, in aller Regel nur im persönlichen Gespräch (> theoretische Ausnahmen), da hilft auch keine noch so lange Beobachtung oder Aktenanalyse. Der aktuelle Zustand ist nur für den Befund der Gefährlichkeit und für einen Teil zur Gesamt- würdigung der Persönlichkeit bedeutsam. |
03 Das A und O jeder Begutachtung
Kröber03 "Allerdings ist bei
Begutachtung und auch bei Straf- verteidigung sorgfältiges Aktenstudium
ohnehin das A und O und mehr als die halbe Miete."_
_ _ |
Sponsel03 Das ist sicher falsch. Das A und O ist die persönliche Untersuchung und Exploration zu den Beweissachverhalten, insbesondere bei Fragen zu den §§ 20, 21 StGB ("bei Begehung der Tat"). Hierzu sind natürlich die Beweisfragensachverhalte wichtig. |
04 Was
entwickelt sich aus dem "Aktenmaterial" ?
Kröber04 "Aus dem Aktenmaterial entwickeln sich die zu überprüfenden Hypothesen zu den persönlichkeitsimmanenten Voraussetzungen des sozialen Geschehens und der Straftat."_ | Sponsel04 Aus dem Aktenmaterial entwickelt sich gar nichts, wenn es nicht entsprechende Inhalte und Informationen enthält. Daher sagt der Allerweltsbegriff "Akte" für sich gar nichts. |
05
Die Exploration stellt Informationen für die Hypothesenprüfung
bereit
Kröber05 "In der Exploration
werden diese Hypothesen überprüft und ggf. falsifiziert. Insofern
ist es schade, wenn der Proband nicht mitmacht, weil er damit einen wichtigen
Überprüfungsschritt verweigert."_
_ |
Sponsel05 Das ist nicht ein "Überprüfungsschritt", sondern der in der Regel alles entscheidente, wenn es um psychische Störungen "bei Begehung der Tat" geht oder die Entwicklung und Beweisfrage, ob die Voraussetzungen des § 63 StGB noch erfüllt sind (§ 67e StGB). |
06
Falscher Wurstzipfel Revision rechtskäftiges Urteil durch Exploration
möglich
Kröber06 "Ist er rechtskräftig
verurteilt, gereicht dies zu seinem Nachteil, weil dann die Sichtweise
des rechtskräftigen Urteils nicht revidiert werden kann." _
_ |
Sponsel06 Wieso? Die Urteilsformel oder der Tenor sind nach derzeitiger Rechtslage verpflichtend,wohinter sich ja alle gerichtsbestellten Mollath-Gutachter (Ausnahme Dr. Simmerl) verstecken konnten und taten. |
07
Das A und O der Begutachtung sind beweisfragenrelevante Informationen
Kröber07 "Geht es um die grundsätzliche Frage, ob jemand psychisch gestört ist oder gar eine sehr markante psychische Krankheit hat, ist dies ohne Exploration ganz schwer einzu- schätzen, wenn es nur sehr wenige Akteninformationen gibt." _ | Sponsel07 So ist es. Aber: es geht gar nicht um die Quantität von Akteninformationen, sondern um die Qualität. Da mag die Akte 1000 Seiten, aber keine relevanten Information zum psychischen Befinden "bei Begehung der Tat" haben, dann ist sie wertlos. |
08
Eine zuverlässige und gültige Datenbasis ist ein weiteres A und
O der Begutachtung
Kröber08 "Wenn es aber viele Krankenhausberichte, anschauliche Zeugenaussagen, charakteristische Einlassungen, Tagebücher, Briefe, Schriftsätze, Flugblätter gibt, kann man bisweilen die Frage nach einer psychischen Störung der Belastungszeugin, des Angeklagten, des verstorbenen Erblassers recht zuverlässig beantworten."_ | Sponsel08 Entscheidend sind in dieser Ausführung
die Worte: wenn ... charakteristische ... bisweilen.
Es fehlt die Beziehungssetzung zu den beweisrelevanten Sachverhalten, die Zuverlässigkeit und Gültigkeit der Informationen. _ _ |
09 Was üblich
ist muss nicht richtig sein
Kröber09 "Testierfähigkeitsgutachten
sind stets reine Aktengutachten, ..."_
_ |
Sponsel09 Das muss zwar nicht zwingend immer so sein, aber häufig. Daher sind solche Gutachten besonders gründlich und kritisch zu prüfen, da die meisten bloße Meinungsachten sind. |
10
Man muss Gutachten immer dann verweigern, wenn sie nicht verantwortlich
erstellbar sind
Kröber10 "Und man kann doch
einem resignierten oder unstreitig sehr kranken Untergebrachten, der sich
jeder Kooperation verweigert, nicht grundsätzlich eine psychiatrische
Beurteilung verweigern."_
_ |
Sponsel10 Doch, muss man sogar, wenn klar ist, dass die In- formationsbasis für ein wissenschaftlich begründetes Gutachten nicht reicht. Es gibt viele non-liquet-Fälle. Wenn das Recht hierfür eine vertretbare Lösung will, dann soll sie im Zuge der Reform des § 63 StGB für das Meinungsachten eine Basis schaffen. |
11 Das A und
O sind die Voraussetzungen für ein wissenschaftlich
begründetes Gutachten
Kröber11 "Wer sich dafür
zu fein ist, macht halt methoden- kritische Gutachten oder bewilligt ausführliche
schriftliche Psychotherapieanträge, ohne Exploration."
__ |
Sponsel11 Es geht hier nicht um "zu fein sein", es geht hier um die Voraussetzungen für ein wissenschaftlich begründetes Gutachten. Beim Maßregelvollzug geht es um viel mehr als bei einem Psychotherapieantrag. |
12 Volksexpertisen als Alternative? - Nein,
aber Transparenz!
Kröber12 "Eine Alternative zum
Aktengutachten wäre die Volksexpertise, die sich allein auf Internet-
und Zeitungslektüre stützt und weder Exploration noch Aktenkenntnis
braucht. ..."_
_ |
Sponsel12 Die Frage ist natürlich nicht ernst gemeint, da die Polemik allzu offensichtlich ist. Aber einen diskutierbaren guten Kern enthält die Polemik trotzdem: das Volk an den Begutach- tungen transparent teilhaben lassen (Musterbeispiel Dr. Strate) |
Weitere Literatur
in den jeweiligen Literaturlisten
. | einheitswissenschaftliche
Sicht. Ich vertrete neben den Ideen des Operationalismus, der Logischen Propädeutik
und einem gemäßigten Konstruktivismus
auch die ursprüngliche einheitswissenschaftliche Idee des Wiener
Kreises, auch wenn sein Projekt als vorläufig gescheitert angesehen
wird und ich mich selbst nicht als 'Jünger' betrachte. Ich meine dennoch
und diesbezüglich im Ein- klang mit dem Wiener
Kreis, daß es letztlich und im Grunde nur eine
Wis- senschaftlichkeit gibt, gleichgültig, welcher spezifischen
Fachwissenschaft man angehört. Wissenschaftliches Arbeiten folgt einer
einheitlichen und für alle Wissenschaften typischen Struktur, angelehnt
an die allgemeine
formale Beweisstruktur.
Schulte, Joachim & McGuinness, Brian (1992, Hrsg.). Einheitswissenschaft - Das positive Paradigma des Logischen Empirismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Geier, Manfred (1992). Der Wiener Kreis. Reinbek: Rowohlt (romono). Kamlah, W. & Lorenzen, P. (1967). Logische Propädeutik. Mannheim: BI. |
Wissenschaft [IL] schafft Wissen und dieses hat sie zu beweisen, damit es ein wissenschaftliches Wissen ist, wozu ich aber auch den Alltag und alle Lebensvorgänge rechne. Wissenschaft in diesem Sinne ist nichts Abgehobenes, Fernes, Unverständliches. Wirkliches Wissen sollte einem Laien vermittelbar sein (PUK - "Putzfrauenkriterium"). Siehe hierzu bitte das Hilbertsche gemeinverständliche Rasiermesser 1900, zu dem auch gut die Einstein zugeschriebene Sentenz passt: "Die meisten Grundideen der Wissenschaft sind an sich einfach und lassen sich in der Regel in einer für jedermann verständlichen Sprache wiedergeben." |
Allgemeine
wissenschaftliche
Beweisstruktur
und beweisartige Begründungsregel
Sie ist einfach - wenn auch nicht einfach durchzuführen - und lautet: Wähle einen Anfang und begründe Schritt für Schritt, wie man vom Anfang (Ende) zur nächsten Stelle bis zum Ende (Anfang) gelangt. Ein Beweis oder eine beweisartige Begründung ist eine Folge von Schritten: A0 => A1 => A2 => .... => Ai .... => An, Zwischen Vorgänger und Nachfolger darf es keine Lücken geben. Es kommt nicht auf die Formalisierung an, sie ist nur eine Erleichterung für die Prüfung. Entscheidend ist, dass jeder Schritt prüfbar nachvollzogen werden kann und dass es keine Lücken gibt. |
__
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site: www.sgipt.org
z.B. Forensische Psychologie site: www.sgipt.org. |
_ |