Philosophisch-Medicinische Abhandlung über Geistesverirrungen
oder Manie - Pinel 1801
Hilfsseite zum Katalog der potentiellen
forensischen Gutachtenfehler (MethF)
Methoden- und Methodenproblembewusstsein
in der - forensischen - Psychiatrie
Zu:
Potentielle Fehler in forensisch psychiatrischen
Gutachten, Beschlüssen und Urteilen der Maßregeljustiz
Eine methodenkritische Untersuchung illustriert
an einigen Fällen u. a. am Fall Gustl
F. Mollath
mit einem Katalog
der potentiellen forensischen Gutachtenfehler sowie einiger Richter-Fehler.
von Rudolf Sponsel, Erlangen
|
Legende Signierungen
|
wTit |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Gesamtwertung angemessene Darstellung der psychiatrischen Methodenproblematik Signierung
Nach den Psychiatriehistorikern gebührt den Franzosen, namentlich Pinel und Esquirol, das hohe Verdienst, die wissenschaftliche Psychiatrie durch die beiden grundlegenden methodologischen Orientierungen der genauen, strengen und vorurteilslosen Beobachtung und Beschreibung zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeführt zu haben. Aber auch durch seine humanistisch-aufklärerische Haltung wurde Pinel zu Recht weltberühmt.
Gemälde von Charles-Louis
Mullet (um 1840-50) Pinel befreit psychisch Kranke 1793 von ihren Ketten.
Sekundär-Bildquelle
Wikipedia.
Genaue, strenge und vorurteilslose Beobachtung und Beschreibung
Der "methodische strenge Gang" nach dem Vorbild der Naturwissenschaft
zeigt bereits in der Einleitung (IV) die Grundorientierung Pinels. VII
ergänzt die "strengste beschreibende Methode" nach dem Vorbild des
Hippokrates. XVI erwähnt den Stahl und Boerhave zugeschriebenen "strengen
Gang des Beobachtungsgeistes". XXXV erkennt die Notwendigkeit der
Unterscheidungen nach Art der Erkrankung und der Umstände. In XLIX
wird Pinels operationale Grundeinstellung deutlich. Er schließt die
Einleitung: "... Dies sind die Maasregeln, die ich genommen habe, um den
Thatsachen, die ich sammelte, und aus denen ich in der Folge ein regelmässiges
und methodisches Ganze zu machen suchte, die grösste Genauigkeit
zu verschaffen. ..." S. 2 formuliert die Grundorientierung:
"... Und mussten diese so verschiedenen Symptome, alle unter dem allgemeinen Nahmen Wahnsinn begriffen, nicht mit aller Sorgfalt studirt werden? und erforderten sie nicht eine grosse Mannigfaltigkeit von Maassregeln, um eine bleibende Ordnung in den Irrenhäusern zu erhalten, und um Arzneymittel und das Verhalten vorzuschreiben? Diese Schwierigkeit wäre um vieles vermindert worden, wenn die beobachteten Fälle hätten stuffenweise nach einer methodischen Ordnung classificirt werden können; aber die willkührlichen und unvollständigen Abtheilungen des Sauvages und Cullen waren eher dazu geeignet, mich irre zu führen, als die Arbeit zu vereinfachen, und der Versuch, den ich damit machte, bewies bald ihre Unzulänglichkeit. Ich wählte mir also diejenige Methode zum Wegweiser, welche in allen Theilen der Naturgeschichte mit Nutzen angewendet wird, nämlich den Anfang damit zu machen, dass man jeden Gegenstand nach und nach mit Aufmerksamkeit und in keiner andern Hinsicht beobachtet, als um Materialien für die Zukunft, zu sammeln, und zu suchen jede Täuschung, jede vorgefasste und aufs Wort für wahr angenommene Meynung zu vermeiden. ..." |
Spezielle von Pinel im einzelnen benannte Methoden
Anmerkung: der wahre Weg der Untersuchung S. 244 (Ferriar in England,
Locher in Deutschland)
Fundstellen im fortlaufenden Text:
Einleitung
IV:
"... Das Beyspiel und die Irrthümer vergangener Zeiten, der falsche
Weg, den man eingeschlagen hatte, und der methodische und strenge
Gang, der in allen Theilen der Naturwissenschaft befolgt wurde, nöthigte
nun die Aerzte, den Faden der Beobachtung, den sie seit so vielen Jahrhunderten
hatten fallen lassen, wieder aufzunehmen. ..."
VII:
"...; aber er [Hippokrates] habe ein allgemeines Beispiel der strengsten
beschreibenden
Methode; und Männer, die dieselbe zu schätzen wissen, nehmen
sie zum Muster bey ihren ersten Entwürfen der Geschichte und der Behandlung
des Wahnsinns. ..."
XVI:
... unbekannte Methode ein ... [Stahl und Boerhave "einen strengen
Gang des Beobachtungsgeistes"]
XXXV f:
"Ferriar hat sich einen andern Zweck bey seinen besondern Arbeiten
über Manie vorgesetzt; er hat verschiedene innere Arzneymittel eines
nach dem andern versucht, und deren Gebrauch gleichsam nur empirisch bestimmt,
ohne die Arten der Manie; und die Umstände zu unterscheiden, nach
deren Verschiedenheit auch die Wahl und Anwendung der Mittel abgeändert
werden muss. Seine Methode hatte mit jener von Locher *), Arzte
zu Wien, viel Uebereinstimmendes; der ganze Unterschied beruht [>XXXVI]
nur auf der Auswahl, Natur, und in der Ordnung bey der Anwendung der Arzneymittel."
XLVIII:
"... Die Methode, die man in allen Theilen der Naturwissenschaft
befolgt, diente mir dabey zum Leitfaden, und ich hielt mich an äussere
Kennzeichen und an physische Veränderungen, die den Funktionen des
Verstandes oder des Willens (functions affectives) entsprechen könn-
[>XLIX] ten. So entstand denn die Schilderung der Gesichtszüge,
Mienen, Bewegungen, die den nahen Ausbruch des Anfalls von Manie verkündigen.
..."
XLIX:
"... Dies sind die Maasregeln, die ich genommen habe, um den Thatsachen,
die ich sammelte, und aus denen ich in der Folge ein regelmässiges
und methodisches Ganze zu machen suchte, die grösste Genauigkeit
zu verschaffen. ..."
Hauptbuch
S. 1: "Soll uns der auffallende Fortgang, den der Beobachtungsgeist; die aphoristische Sprache, und die Methode der Classification, der Naturgeschichte verschafft haben, nicht zum Muster und zum Wegweiser der Arzneywissenschaft dienen? und zeigt nicht jeder zu untersuchende Gegenstand die Nothwendigkeit desselben? ..."
S. 2f:
"... Und mussten diese so verschiedenen Symptome, alle unter dem allgemeinen
Nahmen Wahnsinn begriffen, nicht mit aller Sorgfalt studirt werden? und
erforderten sie nicht eine grosse Mannigfaltigkeit von Maassregeln, um
eine bleibende Ordnung in den Irrenhäusern zu erhalten, und um Arzneymittel
und das Verhalten vorzuschreiben? Diese Schwierigkeit wäre um vieles
vermindert worden, wenn die beobachteten Fälle hätten stuffenweise
nach einer methodischen Ordnung classificirt werden können;
aber die willkührlichen und unvollständigen Abtheilungen des
Sauvages und Cullen waren eher dazu geeignet, mich irre zu führen,
als die Arbeit zu vereinfachen, und der Versuch, den ich damit machte,
bewies bald ihre Unzulänglichkeit. Ich wählte mir also diejenige
Methode
zum Wegweiser, welche in allen Theilen der Naturgeschichte mit Nutzen angewendet
wird, nämlich den Anfang damit zu machen, dass man jeden Gegenstand
nach und nach mit Aufmerksamkeit und in keiner andern Hinsicht beobachtet,
als um Materialien für die Zukunft, zu sammeln, und zu suchen jede
Täuschung, jede vorgefasste und aufs Wort für wahr angenommene
Meynung zu vermeiden. ..."
S. 3:
"... und die andern gemachten Beobachtungen in Rücksicht auf die
sich bei ihnen nach Verschiedenheit der Jahrszeiten ereignenden Veränderungen
geführt, wobey ich mich genau an die beschreibende Methode
hielt, ohne mich jedoch auf irgend eine ausschliessende Ansicht einzuschränken,
oder mich einer systematischen Ordnung zu unterwerfen. ..."
Anmerkung: Das klingt schon sehr stark nach phänomenologischer
Methode (im Brentano'schen Sinne].
S. 6:
"... Auch hat diese methodische Eintheilung noch einen andern,
sehr wichtigen Nutzen, nämlich um eine feste Ordnung bey der Bedienung
in den Hospitälern einzuführen, und zur Herstellung der Kranken
dadurch mitzuwirken, indem diese letztern in abgesonderte und isolirte
Gruppen eingetheilt werden müssen, um eine den Reconvalescenten schädliche,
und so zu sagen, durch den Anblick der Aeusserungen des Deliriums und der
Ausschweifungen ansteckende Gemeinschaft zu verhindern. ..."
S. 8f :
" ... Die besondern Geschichten, welche man in der Samm[>9]lung von
Beobachtungen findet, sind nichts als isolirte Thatsachen, bey denen die
ächte beschreibende Methode vernachlässiget wurde, und
ihre Verfasser haben dabey kaum andere Absicht gehabt, als gewisse Arzneymittel
a) geltend zu machen, als wenn die Behandlung von jeder Krankheit ohne
genaue Kenntniss der Symptome und ihres Ganges nicht eben so gefährlich,
als täuschend wäre."
S. 50:
"... Dies sind, so zu sagen, unfruchtbare Wahrheiten, wenn man nicht
durch genaue Beobachtungen, die Umstände des Orts, der Zeit, den Charakter
des Wahnsinnigen, die besondere Natur seiner Verirrungen, die verschiedenen
Verletzungen seiner moralischen Fähigkeiten, bestimmt; und wenn man
nicht auf diese Art eine vernünftige Anwendung allgemeiner Grundsätze
festsetzt, indem man mit gleicher Aufrichtigkeit die Beyspiele, wo die
Methode
glückte, wie auch jene wo sie fehlschlug, aufzählt. Denn warum
sollte man nicht bekennen, dass man bey dem gegenwärtigen Zustand
unserer Kenntnisse gewisse Schwierigkeiten noch nicht hat überwinden
können?"
Anmerkung: Bemerkenswert die Forderung, die Begrenztheit
der Erkenntnisse einzugestehen.
S. 51:
"Geschieht es aus einem ausschliesslichen Nationalstolz, und um ihr
Uebergewicht über andere Völker zu zeigen, dass die Engländer
sich mit einer besonderern Geschicklichkeit prahlen, die Manie durch Hülfe
moralischer Mittel zu heilen, und dass sie zugleich die Feinheit dieser
Kunst mit einem undurchdringlichen Schleyer verhüllen? Oder im Gegentheile,
ist nicht dasjenige, was man wohl auch für blosse Wirkung verfeinerter
Politik halten könnte, bloss ein Resultat der Umstände; und soll
man die Methode, welche die Empiriker in England befolgen, von jener,
welche in diesem Lande von den Schulärzten angenommen wurde, unterscheiden?
Welche Antwort man auch auf diese Frage geben mag, so versichere, ich,
dass ohngeachtet meiner fünfzehnjährigen unausgesetzten Nachforschungen
um einige Spuren dieser Methode in den Berichten der Reisenden,
in den Nachrichten, die man über ihre Hospitäler für Wahnsinnige
liefert, in den Notizen, die man in ihren privat öder öffentlichen
Anstalten, in den Journalen, und in den Werken ihrer Aerzte über den
Wahnsinn giebt, zu entdecken, ich gar keine bestimmte Beobachtung finde,
die dazu geeignet wäre, über dieses Englische Geheimniss einiges
Licht zu geben, obgleich alles ihre Geschicklichkeit in der Behandlung
dieser Krankheit bestättiget. ..."
S. 73:
"... Wie konnte man ihn anders aus diesen Ideen herausreiffen, wenn
nicht durch das Misslingen seiner vielen Anstrengungen, und durch eine
Art von Sättigung. ..."
Anmerkung: Hier benutzt Pinel zwar nicht das Wort
"Methode", aber sättigen ist natürlich eine Methode.
S. 82:
"... Eine Thatsache, wovon ich Zeuge war, macht das Gelingen dieser
Methode
wahrscheinlich."
S. 86:
"Unter solchen Umständen hat man vor Zeiten eine einfache, aber
dazu ganz geeignete Methode die Kranken unheilbar zu machen befolgt;
und diese bestund darinn, dass man den Wahnsinnigen in den Hintergrund
seiner Kammer als ein unbändiges Wesen verbannte, ihn mit Ketten belastete,
oder mit äusserster Härte behandelte, als wenn da nichts mehr
zu thun wäre, als die Gesellschaft von ihm zu befreyen, und das natürliche
Ende eines so schrecklichen Daseyns abzuwarten. Aber diese für einen
sorglosen Aufseher so bequeme Behandlung, die zugleich kalte Barbarey und
Unwissenheit athmet, muss jetzt dem öffentlichen Fluch mit andern
Vorurtheilen welche zur Geissel und Schande des menschlichen Geschlechts
existirten, preisgegeben werden. Es sollte bey allen wohl eingerichteten
Hospitälern ein unverletzlich Gesetz seyn, den Wahnsinnigen alle Freyheiten,
und in so grosser Ausdehnung zu gestatten, als es nur die Klugheit erlaubt;
den Grad des Zwangs seinen mehr oder minder heftigen Ausbrüchen anzupassen;
jede Misshandlung, jede Gewalttätigkeit von Seite der Dienstleute
streng zu verbieten; in der Ausübung der Pflichten zur rechten Zeit
Gelindigkeit oder Strenge, ein nachgiebiges Benehmen oder den Ton des Ansehens
und eines unveränderlichen Willens anzunehmen. ..."
S. 87:
"Condillac konnte durch seinen Scharfsinn, und die analytische Methode,
die er auf die Entwickelung einiger moralischer Eigenschaften: als der
Unruhe, des Begehrens, der Leidenschaften, welche er als angenehme oder
unangenehme Gefühle betrachtet, Bewunderung erregen. ..."
S. 91:
"... Die Erfahrung lehrt aber auch, dass man in vielen Fällen
eine sichere und dauerhafte Heilung bloss durch die wartende Methode
(methode expectante (11)) erhalten kann; indem man den Wahnsinnigen
seiner stürmischen Aufbrausung überlässt, nur einen solchen
Grad von Gewalt anwendet, den seine eigene und anderer persönliche
Sich""erheit erfordert, welches durch blosse Zwangweste oder Camisol erhalten
werden kann; sich ferner hütet, ihn durch übel angebrachte Härte
oder Schmähreden zu erbittern, von ihm alle reele Ursachen der Unzufriedenheit
und des Zorns sowohl in Rücksicht auf die Bedienung, als auch in Rücksicht
auf die Nahrung entfernet, alle geraden Verweigerungen, und alle ungestümmen
Antworten, wenn sie zur Unzeit in Freyheit gesetzt zu werden verlangen,
vermeidet, es vielmehr unter anscheinenden Vorwänden aufschiebt; endlich
indem man in dem Innern des Hospitals die strengste Polizey unterhält,
und vornehmlich die Zwischenzeit der Ruhe dazu benutzt, die Wahnsinnigen
zu ernsthaften Beschäftigungen oder mühsamen Arbeiten anzuhalten.
..."
S. 98:
"... In andern Fällen, wo man ihm ganz nahe beykommen kann, wirft
man ihm eine Art von Schürze übers Gesicht, in Form einer Binde,
indessen sich andere seiner Gliedmassen bemächtigen. Durch diese unschädlichen
Mittel bändiget man die Wahnsinnigen, ohne sie zu schlagen oder zu
verwunden. Der Vorgänger des jetzigen Aufsehers hat eine dieser ganz
entgegengesetzte
Methode befolgt, indem die Bändigung der Wahnsinnigen ganz der
Brutalität der Dienst[>99]leute überlassen war; sie suchten überhaupt
den Wahnsinnigen auf den Boden niederzuwerfen, und dann setzte einer von
ihnen mit Gewalt das Knie auf den untern Theil seiner Brust an, so dass
er oft diesen Theil zerquetschte. ..."
S. 121a:
"... Man siehet aber wohl, wie schwankend und unbestimmt seine Beobachtungen
sind, da der Verfasser keine genaue Methode angewendet hat, um die
Ausmessungen der Hirnschaale anzugeben, und dass er folglich ausser Stande
war, sie mit Genauigkeit unter einander zu vergleichen. ..."
S. 121b:
"Es wird hinreichen, wenn ich die Methode anzeige, die ich bey
den vielfachen in den Hospitälern vorgenommenen Leichenöffnungen
befolgt habe."
S. 182:
"... Ich habe ähnliche Fälle im ersten Abschnitt über
den periodischen Wahnsinn angeführt; aber es ist von Wichtigkeit einen
der Fälle nach allen Umständen kennen zu lernen. Ein junger Soldat
von zwey und zwanzig Jahren gerieth durch den Donner des schweren Geschützes
in einem blutigen Gefecht, an dem er gleich nach seiner Ankunft bey der
Armee Antheil nahm, in Schrecken; seine Vernunft gerieth in Verwirrung,
und man behandelte ihn anderswo nach der gewöhnlichen Methode
mit Aderlässen, gemeinen Bädem und Tropfbädern. ..."
S. 189:
"... I. Vortheil einer methodischen Eintheilung
und Absonderung der verschiedenen Arten der Verrückten in den Irrenhäusern."
S. 190:
"... Eine methodische Vertheilung der Wahnsinnigen im Irrenhause
in verschiedene Quartiere (IV. Abschnitt) macht, dass man in einem Augenblick
die nöthigen Massregeln in Ansehung der Nahrung, der Reinlichkeit,
des moralischen und physischen Regims ergreifen, die Bedürfnisse für
jede Art der Wahnsinnigen schon im voraus berechnen und voraussehen, die
verschiedenen Verletzungen des Verstandes nach ihren unterscheidenden Characteren
auffassen, die beobachteten Fälle mit andern ähnlichen vergleichen,
oder vielmehr in gründliche Resultate der Erfahrung verwandeln kann;
aus der nämlichen Quelle muss der beobachtende Arzt auch die wesentlichen
Regeln der Behandlung schöpfen, und die Beurtheilung der verschiedenen
Arten des Wahnsinns kennen lernen, die leichter oder schwerer der Zeit
und dem Regim weichen, wie auch jene, welche der Heilung die grössten
Hindernisse entgegensetzen, oder die man für unheilbar ansehen kann;
endlich jene, welche dringend den Gebrauch gewisser Arzneyen von Seite
jedes vernünftigen und aufgeklärten Arztes, der weder ihre Wirkungen
übertreibt, noch ihren Nutzen verkennt, erfodern."
S. 244f:
"... Der Gang, den ich befolge, dehnt noch weit mehr das Gebiet dieser
Wissenschaft aus, und zeigt, wie sehr das Verschreiben der Arzneymittel
eingeschränkt seyn muss, indem oft die wartende Methode (methode
expectante) durch moralisches und physisches Regim unterstützt,
hinreichen kann, in andern Fällen aber das Uebel allen Mitteln trotzt.
Dies ist nun das Geschäft, das ich mir bey dem gegenwärtigen
Zustande unserer Kenntnisse zu vollführen vorgenommen habe: nämlich
der Geschichte der Geistesverirrungen die grösste Wichtigkeit beylegen,
einen genauen Unterschied zwischen ihren verschiedenen Arten festsetzen,
um nicht unnütze Versuche zu machen, oder aufs Gerathewohl die Behandlung
zu leiten; die Leitung und die innere Polizey in den Pensionsanstalten
und Irrenhäusern auf bestimmte Regeln zurückführen; indem
es fast unmöglich ist, die Wahnsinnigen mit gutem Erfolg in dem Schoosse
ihrer Familien zu behandeln. ..."
S. 245:
"... Die Nothwendigkeit der Local - Einrichtungen in Beziehung auf
die methodische Eintheilung dieser Kranken in verschiedene Arten
einleuchtend machen; den ersten Platz der einsichtsvollen und menschenfreundlichen
Fürsorge der Oberaufsicht und der strengsten Aufrechthaltung der Ordnung
im Dienste einräumen; die einfachsten Mittel, welche die Erfahrung
bestättigt zu haben scheint, die Vorsichtsmaassregeln, die Epoche
der Krankheit, die Arten des Wahnsinns, die einen glücklichen Erfolg
versprechen, angeben; und endlich den Gebrauch sehr wirksamer Mittel, deren
Anwendung unter andern Umständen überflüssig, schädlich,
oder allzu dreist wäre, für äusserste und bis jetzt für
unheilbar gehaltene Fälle aufsparen lehren."
S. 261:
"Ich konnte bis jetzt nur unvollkommene Versuche mit Opium und Castoreum
machen; um sie vollständiger anstellen zu können, warte ich auf
die Einführung einer methodischen Behandlung in den Hospitälern."
S. 272:
"... Nichts wäre einfacher, als die Aufsicht über dieselben,
den einsichtsvollsten und menschenfreundlichsten Männern anzuvertrauen,
um daselbst eine strenge Polizey zu erhalten, und dadurch dem Arzte das
Studium, und die Kenntniss des Wahnsinns, die Unterscheidung seiner verschiedenen
Arten, und die Bestimmung derjenigen darunter zu erleichtern, die entweder
bey der wartenden Methode geheilt werden können, oder die wegen
gefährlicher Symptome, die sie begleiten, die mannigfaltigsten und
wirksamsten Heilmittel erfordern. ..."
S. 280:
"... Auf der andern Seite sollte man sich desselben während des
Verlaufs der periodischen Anfälle nicht enthalten, da es erwiesen
ist, dass die blosse wartende Methode oft hinreicht (I. Abschnitt)
eine vollkommene und dauerhafte Heilung zu bewerkstelligen; und im Gegentheil
die Aderlässe den Wahnsinn in Unsinnigkeit und Blödsinn verwandeln
kann; auch durch nichts die Grenze bestimmt wird, an welcher man, damit
sie nicht schädlich werde, inne halten soll. ..."
S. 285a:
"... Diese Wahnsinnigen sind im Allgemeinen so argwöhnisch und
so unbiegsam, dass ich nicht einmal auf den Krankenzimmern irgend einen
davon dahin bringen konnte, sich einer ordentlichen und methodischen
Behandlung zu unterwerfen. Welche Versuche wären nun in Ansehung
der Ausleerungsmittel zu machen, um die hartnäckigsten Arten des Wahnsinns,
als die anhaltende und complicirte Manie zu heilen!"
S. 285b:
"XVI. Die Resultate der in Ansehung des Gebrauchs der antispasmodischen
Mittel gemachten Erfahrungen.
Die Methode, die Locher, Arzt eines
Irrenhauses in Wien in Oesterreich befolgt hat, verdient wegen der Versuche,
die er mit manchen Arzneymitteln gemacht hat, und wegen des wesentlichen
Unterschiedes zwischen seiner und der mir eigenen Methode, bekannt
gemacht zu werden. ..."
S. 288:
"... Nur bey der Befolgung einer solchen Methode kann man mit
mehr Genauigkeit auch die Wirksamkeit des Opiums bey der Heilung des Wahnsinns
bestimmen. ..."
S. 293f:
"... Aber man begreift, mit welcher Vorsicht und mit welcher Einschränkung
und Behutsamkeit eine solche Methode angewendet werden müsse;
und dass man sich derselben nur in [>294] den schwersten und gefährlichsten
Fällen, als in den heftigen Ausbrüchen der regulären periodischen
Manie, in einem anhaltenden veralteten, oder in einem mit Fallsucht verknüpften
Wahnsinn, Arten der Geistesverirrung, welche beynahe immer unheilbar, und
oft an sich schon tödtlich sind, bedienen soll. ..."
S. 294f:
"Sowohl die ältern, als auch die neuern Aerzte haben eingesehen,
dass sich der Wahnsinn manchmal durch Adergeschwülste (varices), durch
den Haemorrhoidalfluss, durch Dyssenterie, durch einen von sich selbst
erfolgenden Durchfall, oder durch ein intermittirendes Fieber endiget.
Allein diese günstigen Ausgänge, sie mögen langsam und stuffenweise,
oder mit einer plötzlichen und unerwarteten Explosion geschehen, sind
keineswegs die Frucht einer sitzenden und unthätigen Lebensart, oder
einer traurigen und stillen Niedergeschlagenheit; sie erfolgen bey einer
dem Character, der Constitution des Kranken, der besondern Art des Wahnsinns,
und seiner längern oder kürzern Dauer weise angepassten Methode.
Daraus erhellet der mächtige Einfluss der körperlichen Uebung,
der Musik a), der Lecture, der Verän[>296]derung des Aufenthalts,
und der Reisen; ..."
S. 368:
"... Er [Dr. Willis] beobachtet lange Zeit seine Kranken, bevor er
die Behandlung, die sich für jeden schickt, beginnt; und obgleich
er keine allgemeine
Methode hat, so macht er doch gewöhnlich
damit den Anfang, dass er den natürlichen Zustand aller Lebensfunctionen,
die immer bey den Wahnsinnigen auf eine oder die andere Art gestört
sind, herzustellen sucht. ..."
S. 398:
"... Man wird nach der Uebersicht, die ich von den Moralischen der
Verrückten gegeben habe, leicht den Zweck der zu ihrer Heilung angewandten
Methode
begreifen. Sie haben in ihrem scharfsinnigen Versuch bemerkt, dass, indem
man bey den Kranken die Empfindung der Furcht und der Nothwendigkeit erweckt
man ihn nöthige seine Aufmerksamkeit auf äussere Gegenstände
zu richten, und sie von jenen ausschweifenden Ideen, die sein Gemüth
beherrschen, abzulenken. ..."
S. 403:
"Diese Methode hat einige Unbequemlichkeiten, denen leicht abzuhelfen
wäre. Man hat bisweilen beobachtet, dass sich der Zustand des Kranken
verschlimmert, wenn er sich in einer horizontalen Lage befindet. ..."
S. 407a:
"Der Doct. Fowlen sagte mir, dass ihm mit Hülfe dieser Methode,
und einiger pharmaceutischer Mittel gelungen sey, eine kleine Anzahl von
Verrückten, die seiner Obsorge anvertrauet waren, ihren Familien gesund
wieder zu geben"
S. 407b:
"... Seine Methode bestand bloss darin, dass er die Kranken
zum Ackerbau verwendete. Einige dienten ihm als Domestiken auf dem Lande,
andere als Lasttiere. Er spannte sie vor die Egge, und vor den Pflug ein;
nachdem er sie zu einem vollkommenen Gehorsam durch eine Tracht Schläge,
mit denen er sie bey der ersten Widerspenstigkeit bediente, gebracht hatte.
Ich weiss es von Hörensagen, dass eine ähnliche, aber weit sanftere
Methode
mit vielem Glück von mehreren geschickten Aerzten dieses Landes befolgt
wird. ..."
S. 425f:
"..., durch [>426] Stärke der Lebensfunctionen, Röthe des
Gesichts, durch funkelnde, lebhafte Augen, oft erhöhete Muskelkraft,
(obgleich bisweilen auch eine scheinbare Schwäche vorkommt, die sich
auf die schwächende Methode verliert) durch angenehme Wärme
des Körpers; von Seiten des Geistes, durch starke und lebhafte Leidenschaften,
durch eine gewisse Keckheit, und einen gewissen Muth an. ..."
S. 430:
"Ephemer. Nat. curios. Dec. II, anni V, obs. 140. — Lusitanus de copiosae
venae sectionis methodo. Venet. 1642. Haller medic. Biblioth. p.
II. p. 682."
S. 434a:
"... Es würde demnach derjenige, der ohne auf den Unrath in den
ersten Wegen zu sehen, die Natur mit reitzenden und stärkenden Mitteln
bestürmen wollte, eben so fehlen, als jener, der immer Unreinigkeiten,
schwarze Galle, versessenes Koth in den ersten Wegen wittern, stets nur
auflösende und abführende Arzneyen reichen, und auf diese Weise
die allgemeine Schwäche methodisch vermehren würde a).
..."
S. 434b:
"Kämpfs Abhandlung von einer neuen Methode, die hartnäckigsten
Krankheiten, die ihren Sitz im Unterleibe haben &c. gründlich
zu heilen, 9te Ausg. S.407 - 467."
S. 439:
"... - Bey Seelenkranken mit fester Leibesconstitution, bey denen der
Puls voll und stark ist, wo auf den Kranken starke Reitze eingewirkt [>440]
haben, mit einem Worte, wo eine wahre Diathesis sthenica statt findet,
wende man den Umständen gemäss die schwächende Methode
an. Vor allen entferne man die gewohnten allzustarken Reitze; man lasse
dem Kranken keine zu nahrhafte Speisen, keine erhitzenden Getränke
reichen; man sorge für die gehörige Oeffnung des Leibes; halte
den Patienten kühl, lege ihn in ein dunkles Zimmer; entferne alle
Gegenstände, die seine Imagination entflammen könnten, z. B.
Gemählde, alles Geräusch u. s. w. a); man lasse daher auch nicht
viele Menschen zu ihm; ..."
S. 441:
"In Gemüthskrankheiten wo die Schwäche des ganzen Systems
zum Grunde liegt, wo alle Functionen langsam, träge vor sich gehen;
wo der Puls schwach, matt, der Körper abgezehrt, das Gesicht blass,
das Auge matt ist, wo schwächende Ursachen vorhergegangen sind, wird
eine jener entgegengesetzte Methode erfordert. ..."
S. 443:
"... - Die nach Nervenfiebern entstandenen Gemüthsstörungen
weichen ebenfalls der stärkenden Methode, — und die schwächenden
Mittel vermehren sie gewöhnlich; so dass sie oft blosse erweichende
Klystiere, auf die ein häufiger Stuhl erfolgt, verschlimmern."
S. 444a:
"... - Man lasse den Reconvalescenten in einer trockenen, mässig
warmen Luft lustwandeln, beschäftige ihn, in so weit es die Umstände
erlauben, mit der Gärtnerey, Feldarbeit, Musik, u. s. w. und warne
ihn vor allen dem, was den Körper schwächen, und folglich die
Rückfälle veranlassen könnte — wo im Gegentheil eine sthenische
Diathesis zum Grunde lag, und die schwächende Methode mit
Nutzen in der Krankheit angewendet wurde, da muss das Verhalten auch in
der Reconvalescenz darnach eingerichtet werden. ..."
S. 444b:
"... - Man gebe also solchen Reconvalescenten (man müsste denn
die schwächende Methode zu weit getrieben haben,) keine allzunahrhafte
Speisen, keine erhitzende Getränke, keine reitzende und stärkende
Arzneymittel. - Man ermahne sie alle heftige Leidenschaften, jeden den
Organismus überhaupt, besonders aber das Gehirn heftig afficirenden
Reitz zu fliehen, bis man nicht die Erregbarkeit, und die gesammten Lebensfunctionen
auf den vorigen gesunden Normalzustand zurückgebracht hat. ..."
S. 239:
"XXI. Eine mechanische Beschäftigung soll ein Grundgesetz eines
jeden Irrenhauses seyn
Es ist kein erst aufzulösendes
Problem \g, vielmehr ist es das bewährteste und einstimmige Resultat
der Erfahrung, dass in allen öffentlichen Azylen, wie in Gefängnissen
und Hospitälern, das sicherste und vielleicht das einzige Mittel,
die Gesundheit, gute Sitten, gute Ordnung zu erhalten, das sehr streng
befolgende Gesetz einer mechanischen Beschäftigung sey. Diese Wahrheit
ist vorzüglich auf die Irrenhäuser anwendbar; und ich bin fest
überzeugt, dass keine Anstalt dieser Art von Dauer, und von einer
an haltenden Nützlichkeit seyn kann, wenn sie nicht auf dieser Grundlage
ruhet. Die wenigsten Wahnsinnigen, nicht einmal im Zustande der Raserey,
sollten von aller Beschäftigung entfernt werden, wie ich mich hievon
ganz besonders überzeugt habe. ..."
S. 74 Exkurs und Anmerkung - Der Uhrmacher mit
dem falschen Kopf
Perpetuum mobile Problem eines berühmten Uhrmachers von Paris,
der meinte, er sei geköpft worden und habe danach einen falschen Kopf
aufgesetzt bekommen, betrifft nicht das Thema "Methode". Der Fall und seine
Heilung durch eine kognitive Therapie [direkt
dahin] watzlawickscher Schlitzohrigkeit ist aber nicht nur aus methodischen
Gründen sehr interessant zu lesen.
"XI. Ein glücklich, angewandtes Mittel bey der Heilung eines
Wahnsinnigen.
Einer der berühmtesten Uhrmacher in Paris setzte sich die Chimäre
von einem perpetuum mobile in den Kopf, und arbeitete daran, um es zu Stande
zu bringen, mit unermüdeter Anstrengung. Es entstund daraus bey ihm
Schlaflosigkeit, zunehmende Spannung der Einbildungs[>72]kraft, und bald
darauf durch die Mitwirkung wiederhohlten Schreckens, den die Stürme
der Revolution verursachten, auch ein wahrer Wahnsinn. Die Verwirrung seiner
Vernunft zeichnete sich durch einen besondern Umstand aus. Er glaubte nämlich,
dass sein Kopf auf dem Blutgerüste gefallen sey, dass man ihn mit
den Köpfen vieler anderen Schlachtopfer untereinander warf, und dass
die Richter aus einer späteren Reue über ihr grausames Urtheil
befohlen hätten, diese Köpfe hervorzusuchen, um jeden derselben
mit seinem Rumpfe zu verbinden; aber man habe aus Versehen den Kopf eines
seiner Unglücksgefährten auf seine Schultern gesetzt. Die herrschende
Idee von dieser Verwechselung seines Kopfes beschäftigte ihn Tag und
Nacht, und bewog seine Anverwandten ihn der Cur der Wahnsinnigen im Hotel
- Dieu zu unterwerfen. Er war in der Folge in das Irrenhaus von Bicêtre
gebracht. Nichts glich damahls seiner Thorheit, und den lärmenden
Ausbrüchen seines so jovialischen Humors; er sang, schrie, tanzte,
und da ihn sein Wahnsinn zu keiner gewaltthätigen Handlung verleitete:
so liess man ihn frey im Hospital herumirren, um diese tumultuarische Aufbrausung
gleichsam auszuschnauben. „Sehet meine Zähne ? wiederhohlte er beständig,
die meinigen waren sehr schön, und diese da sind faul, mein Mund war
gesund, und dieser da ist unrein. Welcher Unterschied zwischen diesen Haaren,
und jenen, die ich vor der Auswechselung meines Kopfes trug!" Die heftigste
Wuth folgte endlich auf diese delirirende Lustigkeit. Er wurde in seiner
Kammer eng eingesperrt, es erfolgten heftige Aufwallungen, und es fand
sich ein Zerstörungstrieb bey ihm ein, der ihn antrieb alles in Stücke
zu reissen. Gegen den Winter hin haben sich die Aufwallungen gelegt, und
obgleich seine Ideen immer ausschweifend blieben, so war er doch nicht
mehr gefährlich, und man liess ihn daher frey im Innern des Hospitals.
Die Vorstellungen von dem perpetuum mobile erneuerte sich mitten zwischen
diesen unsinnigen Ausschweifungen. Er zeichnete beständig mit der
Kreide auf den Wänden und Thüren die Risse des dazu tauglichen
Mechanismus. Wie konnte man ihn anders aus diesen Ideen herausreissen,
wenn nicht durch das Misslingen seiner vielen Anstrengungen, und durch
eine Art von Sättigung. Man foderte seine Anverwandten auf ihm einige
Uhrmacher-Werkzeuge nebst Materialien zur Verarbeitung zu schicken, als
Kupfer- und Stahlplatten, Uhrräder &c. Der Oberaufseher des Hospitals
that noch mehr; er erlaubte ihm in seinem Vorzimmer eine Art von Werkstätte
zu errichten, um dort nach Bequemlichkeit arbeiten zu können. Er verdoppelte
nun seinen Eifer, nahm alle seine Aufmerksamkeit so zusammen, dass er oft
selbst auf das Essen vergass. Nach einer Arbeit von ohngefähr einem
Monate, die er unausgesetzt trieb, und die einen bessern Erfolg verdient
hätte, glaubte unser Künstler einen falschen Weg eingeschlagen
zu haben, er zerlegte seine Maschine in Stücke, und fieng seine Arbeit
nach einem andern Plan von neuem an. Er arbeitete noch fünfzehn Tage
mit einer unablässigen Verwendung; legte dann alle Stücke zusammen,
und glaubte darin die vollkommene Zusammenstimmung zu sehen. Da sich daraus
eine fortdauernde Bewegung ergab, war er um so mehr überzeugt, dass
sie sich auch von selbst reproduciren würde. Hierauf erfolgte eine
außerordentliche Freude und eine Art von Triumph. Er lief mit großer
Schnelligkeit in das Innere des Hospitals, schrie wie ein zweyter Archimed:
„Siehe nun das berühmte Problem, woran die geschicktesten Männer
scheiterten, endlich aufgelösst!" Aber ein Zufall brachte ihn in der
Mitte seiner Triumphe aus der Fassung. Das Räderwerk stockte, und
das vorgegebene perpetuum mobile war nur einige Minuten im Gange. Beschämung
folgte auf die Trunkenheit der Freude; aber um seiner Eigenliebe ein demüthigendes
Geständniss zu ersparen, erklärte er, er könnte zwar leicht
das Hinderniss heben , aber dass er demohngeachtet des Versuchs müde,
sich mit nichts andern, als mit der Uhrmacherkunst beschäftigen wol[>75]le. Es
blieb noch eine närrische Idee zu bekämpfen und zu zerstören
übrig, nämlich die vorgegebene Auswechselung seines Kopfs, die
sich sonst in der Mitte seiner Arbeiten von neuem äusserte. Feiner
Scherz, ohne dass er was darauf antworten könnte, schien am bessten
geeignet zu seyn ihn zu Rechte zu bringen. Man hat einem andern sehr lustigen
Reconvalescenten, und voll guter Laune die Rolle, die er zu spielen hatte,
voraus angewiesen, und man verschaffte ihm einen langem Umgang mit dem
Künstler. Er führte geschickt das Gespräch auf das berühmte
Wunderwerk des heiligen Dionisius, der unterwegs seinen Kopf in Händen
trug, und ihn unaufhörlich küsste. Der Uhrmacher vertheidigte
mit Feuer die Möglichkeit dieser Begebenheit, und suchte sie durch
sein eigenes Beyspiel zu bestättigen. Sein Mitsprecher brach in ein
grosses Gelächter aus, und antwortete ihm in einem spottenden Ton:
„Du Narr, womit konnte der heilige Dionisius seinen eigenen Kopf küssen,
etwa mit seiner Ferse?" Diese unerwartete Antwort, auf die sich nichts
erwiedern liess, erschütterte den Wahnsinnigen sehr stark; er zog
sich ganz beschämt zurück, unter lautem Gelächter, das man
über ihn aufschlug, und er sprach nie in der Folge von der Austauschung
seines Kopfes. Ernsthafte Beschäftigung mit der Urmacherey, einige
Monate anhaltend fortgesetzt, befestigte seine [>76] Vernunft. Er war seiner
Familie zurückgegeben, und seit mehr als fünf Jahren übt
er seine Kunst aus, ohne einen Rückfall erlitten zu haben."
|
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site: www.sgipt.org
z.B. Forensische Psychologie site: www.sgipt.org. |