Künstliche Sinne - gedoptes
Gehirn
Neurotechnik und Neuroethik
Symposium turmdersinne
2008
10.-12. Oktober
Eindrücke von Rudolf Sponsel,
Erlangen
Wann und wie dürfen wir, was wir können?
Metzinger plädierte im klaren und kritischen Eröffnungsvortrag für eine neue "Bewusstseinsethik": "Eine abschliessende These wird sein, dass das, was wir letztlich brauchen, nicht nur eine angewandte Ethik für die Neurowissenschaften und die Neurotechnologie ist, sondern auch eine "Bewusstseinsethik"."
Der Samstag begann mit einem inhaltlichen Paukenschlag, als Prof. Fromherz klipp und klar sagte, dass es ein echtes Chip-Implantat im menschlichen Gehirn bislang nicht gibt. Das ist verwirrend zu all den anderen vielen Nachrichten, die genau das immer wieder transportieren. Umso bedauerlicher, dass der angekündigte Vortrag über die "Hirnschrittmacher" entfallen musste.
Schleim beleuchtete das neurowissenschaftlichen Selbstverständnis und ihre - unterschiedlich bewertbaren - Errungenschaften kritisch im historischen Kontext, wobei er aufzeigte, dass viele vermeintlich neue historisch altbekannte Positionen repräsentieren. Besonders wies er auch darauf ihn, der Übersetzung der neurowissenschaftlicher Forschungen für die praktische Lebenswelt mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Über die grundlegenden Methoden und Möglichkeiten durch Gedanken Objekte zu steuern informierte Prof. Pfurtscheller: "Für einen Patienten mit einer hohen Querschnittläsion (Tetraplegiker) kann es von Interesse sein, einen Rollstuhl allein durch die Kraft der Gedanken zu steuern. Ist eine solche Steuerung überhaupt möglich? Ja, sie ist möglich, wenn man eine spezielle Gehirn- Computer- Schnittstelle (Brain-Computer Interface, BCI) zur Verfügung hat. Mit einem solchen BCI können gedankenmodulierte Hirnsignale, die mit dem EEG registriert werden, online in Steuersignale transformiert werden."
Dies wurde durch den Vortrag von Prof. Curio zum Thema Brain-Computer Interface (BCI) ergänzt (bbci): "Mit BCIs können Computer-Cursor gesteuert und "mentale Schreibmaschinen" bedient, sowie virtuelle Prothesen oder Computerspiele kontrolliert werden. BCIs werden medizinisch und kommerziell von Bedeutung sein; sie könnten aber auch auf militärischem Gebiet Anwendung finden. Deshalb sollten sich Wissenschaft und Öffentlichkeit möglicher ethischer Implikationen dieser Neurotechnologie bewusst sein."
Dr.Büchner berichtete über die rasante technische Entwicklung des "elektrischen Innenohrs": "In den Anfängen des CI konnten Patienten nur eine grobe akustische Orientierung erreichen, um zum Beispiel einfache Geräusche wie eine Türklingel oder ein herannahendes Auto zu hören. Heute ist die flüssige Alltagskommunikation, auch das Telefonieren, Ziel jeder CI-Therapie."
Es folgte ein Vortrag von PD Kammer zum Thema "Magnetstimulation [TMS] - Hokuspokus oder Therapie der Zukunft?". Hierbei wurde deutlich, auch in der Diskussion zur Sprache gebracht, dass die TMS eine ziemlich grobe Methode für die Oberflächenregionen des Gehirns scheint, die viele Nebenwirkungen - die Nebenwirkungsfolien wurden im Vortrag weggelassen - haben kann (z.B. Persönlichkeit, Gedächtnis). Konkrete Ausführungen zur ethischen Problematik (Risikoaufklärung, ethische Genehmigungsverfahren) wurden nicht gemacht. Über Anwendungsmöglichkeiten bei Störungen (z.B. Depression, Schizophrenie, Tinnitus, PTS, ADHD, Zwang, Panik) wurde berichtet. Bei einem Vergleich rTMS mit Medikamentenwirkung bei Depression ergab eine Studie, dass rTMS nur etwa 1/5 des Effektes der Medikamentenwirkung erreichte: "Nach ersten sehr ermutigenden Pilotstudien zeigt sich mittlerweile in größeren kontrollierten Studien, dass beispielsweise die Anwendung von TMS zur Behandlung der Depression einer Placebo-Anwendung nicht überlegen ist. Neuere Ansätze bestehen in der Anpassung der Salven-Struktur und in einer individuellen Auswahl der Stimulationsregionen."
Danach berichtete PD Schwarz zur Frage "Kommunikation Maschine-Gehirn und die Entwicklung zentraler Neuroprothesen" mit den Schwerpunkten Enkodierung und Dekodierung. "Es geht um nicht weniger als durch Krankheit oder Verletzung verlorengegangene Funktionen des Gehirns zu ersetzen. Bisher ist dies unmöglich, zumindest nachdem alle Möglichkeiten der Plastizität und Lernfähigkeit des verbleibenden gesunden Nervengewebes ausgeschöpft sind, da Nervengewebe im zentralen Nervensystem (ZNS) gar nicht oder nur eingeschränkt regenerationsfähig ist. Neuroprothetische Ansätze versuchen dies durch direkte Kommunikation von Maschinen mit Nervenzellen zu bewerkstelligen - entweder durch Auslesen von neuronalen Signalen zur Wiederherstellung der Manipulationsfähigkeit, oder durch Einprägung sensorischer Signale durch direkte Aktivierung in bestimmten Hirnstrukturen zur Wiederherstellung der Wahrnehmungsfähigkeit." Didaktikkritisch sei bemerkt, dass viele Powerpointfolien durch eine viel zu kleine Schrift nicht lesbar waren.
Das kulturelle Begleit- und Abendprogramm: Gedanken–Varieté: Die Show der Gedächtnisleistungen und des Schnellrechnens mit Jens, dem Denker, war interessant und unterhaltsam, wobei aus psychologischer Sicht besonders auch der zweite und ungewöhnliche Teil zur Aufklärung der erstaunlichen Fähigkeiten und der Biographie hervorzuheben ist.
Prof. Walter trug zum spannenden Thema "Das gläserne Gehirn" vor: "Die modernen Neurowissenschaften entwickeln immer bessere Methoden, die Hirnstruktur und -funktion des Menschen in größerem Detail und höherer Auflösung zu erfassen." Das hat nicht nur Vorteile, sondern birgt auch sehr viele Gefahren (Politik, Militär, Justiz, Geheimdienste, Polizei, Herrschaftsinstitute), die im Vortrag für meinen Geschmack teilweise zu oberflächlich und unkritisch abgehandelt wurden. Neu waren für mich die Möglichkeiten und Erkenntnisse zur Reagibilität des Gehirns von WachkomapatientInnen. Hier sieht es danach aus, als ob künftig neue Möglichkeiten zur Kommunikation mit diesen PatientInnen entwickelt werden können.
PD Rippe eröffnete am Sonntag "Zu den ethischen Grenzen der Neurowissenschaften" und machte unmissverständlich klar, dass die entscheidende Grenze für alle Ethik, was man mit Lebewesen tun und lassen darf, nur die Empfindungs- und Leidensfähigkeit sein kann. Nach dieser These dürften sich die allermeisten Tierversuchs-WissenschaftlerInnen und ihre biologisch-medizinischen AnwenderInnen mehr oder minder gravierend unethisch verhalten.
Eine viel weichere Sowohl- als auch Position nahm
Prof. Gesang ein, bei dem leider
überdeutlich wurde, dass ihm die empirischen Grundlagen zum Erleben
der Tiere völlig zu fehlen scheinen. Verdienstvoll war indessen, das
Thema "Enhancement" grundlegend und kritisch zu beleuchten: "Unter Enhancement
werden Eingriffe in den gesunden Körper verstanden, die in der Absicht,
ihn zu verbessern, geschehen. Welche Gefahren und Chancen gibt es für
die Gesellschaft? Wäre eine unbekannt drastische Zwei-Klassen-Gesellschaft
zu erwarten oder könnte Enhancement die Ungerechtigkeit der "natürlichen
Lotterie" ausgleichen? Droht uns Huxleys "Schöne neue Welt" oder sind
wir auf dem Weg in eine humanere Zukunft?
Die Antworten, die auf diese Fragen gegeben werden, machen Gebrauch
von einigen neuen begrifflichen Unterscheidungen, besonders von der zwischen
moderatem und radikalem Enhancement. Ersteres kann in Analogie zu Training
oder Erziehung gesehen werden, während Letzteres auf einen neuen Menschen
hinzielt. Die sozialen Konsequenzen beider Arten von Enhancement sind völlig
verschieden. Ich werde moderates Enhancement in gewissen Grenzen verteidigen.
Radikales Verbessern ist hingegen überall da unakzeptabel, wo Wettbewerbsvorteile
damit erzielt werden."
Die Moderation der Podiumsdiskussion (Curio, Gesang,
Metzinger, Rippe) wurde von Rüdiger Vaas
unter dem Titel "Eingriffe, Erklärungen und Ethik" eingeleitet: "Das
21. Jahrhundert wurde zum Jahrhundert der Hirnforschung ausgerufen. Es
wird nicht nur bahnbrechende Erkenntnisse mit sich bringen, sondern eröffnet
auch revolutionäre neurotechnische Anwendungen: Intelligenzverstärker,
Neurokosmetika, Gefühlsdesign, Gedächtnisverbesserung und -löschung
halten Einzug. Eingriffe ins Gehirn sowie Geräte fürs Gedankenlesen
können schon bald alltäglich sein. Neuroprothesen, Gehirn-Chips
und -Elektroden erlauben Handlungen mit Gedankenkraft. Blinde sehen, Taube
hören, Lahme gehen. Zelltransplantationen, gezielte genetische Veränderungen
und ungeahnte Therapie-, aber auch Manipulationsmöglichkeiten werden
erhofft und befürchtet. Gehirn-Computer-Schnittstellen und Cyborgs
verwischen die Grenze zwischen Natur und Technik. Dies alles verändert
nicht nur Wissenschaft und Medizin, sondern stellt auch Anthropologie und
Ethik vor neue Grundfragen und große Herausforderungen. Wie die schöne
neue Neuro-Welt tatsächlich aussehen soll, und welcher Wandel des
Menschenbildes damit einhergehen kann, ist Gegenstand der Podiumsdiskussion."
Nach einiger Zeit wurde auch das Publikum einbezogen
und
es fand eine anregende Saal-Diskussion mit dem Podium statt, die aus Gründen
der fortgeschrittenen Zeit beendet wurde, bevor alle Fragen gestellt werden
konnten.
Vorschau 2009: Das Symposium 2009, 9.-11. Oktober, hat zum Thema "Geistesblitz und Neuronendonner - Intuition, Kreativität, Phantasie".
Alljährliche Symposien im Turm der Sinne.
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korrigiert: irs 14.10.08