Methodologie Freie Willensforschung
Kritik der Libet-Experimente und ihrer Interpretation
Wie kann, wie soll der freie Wille erforscht werden und
inwiefern ist hier besondere psychologische Kompetenz vonnöten?
Ein Internet-Poster
von Rudolf Sponsel, Erlangen
I. Terminologische und methodologische Grundlagen
1. Voraussetzung
und erste normative Regel
Es ist positiv zu operationalisieren, a) was als Produkt einer freien
Willensäußerung gelten kann und b) was nicht als Produkt einer
freien Willensäußerung anzusehen ist bzw. c) was nicht entscheidbar
ist.
Diese elementare und selbstverständliche methodologische und wissenschaftstheoretische
Regel wird von so gut wie niemandem befolgt, wiewohl z.B. die meisten modernen
Philosophen von ihrer Ausbildung her dazu in der Lage sein sollten, wenn
man etwa an die Arbeiten und Schulen Paul Lorenzens
oder Wolfgang Stegmüllers
u.a.m. denkt. Besonders unkritisch und psychologisch völlig unzureichend
gebildet zeigen sich oft die sog. "NeurowissenschaftlerInnen" ("Neuroscience",
"KognitionswissenschaftlerInnen"; Paradebeispiel LeDoux),
Kritik zum Symposion zur Willensfreiheit im Turm
der Sinne). Von denen hat in aller Regel noch nie einer sich selbst
richtig und gründlich exploriert geschweige denn andere Menschen,
und ein richtiges psychologisches Experiment haben wohl die wenigsten je
selbst durchgeführt. Ihr Psychologisches Wissen ist Alltags- und Jedermannwissen.
Ein grundlegendes Verständnis der terminologischen
und methodologischen Probleme aus psychologischer Sicht können Sie
folgenden Arbeiten entnehmen:
_
Ansätze und
Untersuchung einiger Definitionsmöglichkeiten
2. Experimentelle
Paradigmen und Designs
Es sind experimentelle Designs zu entwerfen, deren Resultate eine Beurteilung
zulassen, ob nach den operationalen Definitionen freie Willensäußerungen
experimentell herstellbar und wiederholbar sind.
Paradigma
- auch psychologischer - Experimente [Literaturauswahl]
Das Wesen des Experimentierens besteht darin, im Rahmen einer Theorie
und operational- experimentellen Modellbildung dieser Theorie die Veränderung
sog. abhängiger Variabler nach Veränderung von sog. unabhängigen
Variablen nach wohlformulierten Hypothesen unter kontrollierten und wiederholbaren
Bedingungen zu untersuchen und festzustellen. Damit sind einige wesentliche
Kriterien genannt:
In diesen Kriterien sind einige weitere verborgen oder enthalten,
z.B. aus der Wiederholbarkeit folgt, daß das Experiment hinreichend
klar und eindeutig beschrieben sein muß, sonst kann es von anderen
ja gar nicht wiederholt werden. Darin ist weiter enthalten, daß experimentelle
Ergebnisse unabhängig von den spezifischen UntersucherInnen oder ExperimentatorInnen
sein müssen. Wenn das nicht der Fall ist, ist die Hypothese des Experiments
entweder gescheitert oder es müssen Versuchsleitereffekte am Werke
oder andere Konstanz- bzw. Repräsentativitätsbedingungen verletzt
sein. Im letzteren Fall behält man die Hypothese bei und die Erklärungen
oder Rationalisierungen bezeichnet man als Exhaustion
(nach Dingler, Holzkamp) und die entsprechend tragende Idee als Exhaustionsprinzip.
Ein experimentelles Ergebnis kann allgemein wie folgt geschrieben werden:
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Abhängige Variable, deren Veränderung infolge der Variation der unabhängigen Variablen (UV) interessiert. |
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Spezifische Verfaßtheit der ProbandInnen (Stichprobenmerkmale und - kennzeichen der Auswahl). |
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Unabhängige, experimentell kontrollierte und veränderte ("manipulierte") Variable, deren Einfluß auf die abhängige Variable interessiert. |
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Situations-Charakteristika: In welchem Rahmen, unter welchen Perspektiven findet das Experiment statt; wissen die TeilnehmerInnen z.B. daß es sich um ein Experiment handelt? Um was geht es, was hängt vom Ausgang des Experiments für die Beteiligten ab, haben sie ein bestimmtes Interesse an diesem oder jenem Ausgang? |
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Störende, verfälschende Einflüsse, sog. störende Bedingungen. |
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Unbekannte, sonstige oder restliche Einflüsse. |
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Nach dem Bedingungs-Strich werden die Bedingungen aufgeführt, nämlich: |
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Die Theorie, die einen Zusammenhang, ein Ergebnis, vorhersagt. |
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Die Theorie muß zum Zweck der experimentellen Untersuchung eine experimentell- operationale Modellbildung erfahren. |
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Für die Ausgänge des Experiments müssen vor der Durchführung des Experiments Hypothesen und wie sie zu interpretieren sind, formuliert werden. |
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Weitere möglicherweise wichtige Voraussetzungen. |
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II. Experimente.
Einige für wichtiger erachtete Experimente der Neurobiologen (Libet,
Pascual-Leone) werden mit den entwickelten Kriterien kritisch untersucht.
Die Experimente von Benjamin Libet und ihre Bedeutung
Liest man Libets Arbeiten, so wundert man sich, wie scheinbar kritisch und differenziert er seinen eigenen Experimenten gegenübersteht, wozu seine überwiegend blind-sendungsbewußten "Jünger" nicht einmal an der Oberfläche fähig oder willig sind. Soweit nicht anders vermerkt, beziehen sich alle Zitate und Seitenangaben auf die deutsche Ausgabe von "Mind Time".
Benjamin Libet (dt. 2005, engl. 2004). Mind Time. Wie das Gehirn Bewusstsein produziert. (Mind Time. The Temporal Factor in Consciousness). Aus dem Amerikanischen von Jürgen Schröder. Frankfurt: Suhrkamp. Hieraus die Beschreibung der "klassischen" Versuchsanordnung Libets ausgehend von den Forschungen Kornhubers und Deeckes (S. 160-162):
Die Möglichkeit einer experimentellen Untersuchung dieser Frage
wurde durch eine Entdeckung von Kornhuber und Deecke eröffnet. [L-FN01].
Sie fanden, dass einer Willenshandlung regelmäßig und auf spezifische
Weise eine messbare elektrische Veränderung der Gehirnaktivität
vorangeht. Einer Willlenshandlung ging ein schwacher Anstieg der elektrischen
Negativität voraus, der auf einem Gebiet der Kopfhaut, vor allem am
Scheitel oben auf dem Kopf, lokalisiert war. Die elektrische Veränderung
begann etwa 800 ms oder länger bevor eine Versuchsperson allem
Anschein nach eine Willenshandlung vollzog. Sie wurde daher Bereitschaftspotential
(BP) genannt.
Die untersuchte Handlung war
ein plötzliches Krümmen oder Beugen des Handgelenks oder der
Finger. Jedes BP ist sehr klein und wird nahezu überdeckt von den
anderen elektrischen Aktivitäten des Gehirns im Ruhezustand. Deshalb
mussten viele solcher Handlungen vollzogen werden, um eine von einem Computer
gemittelte Aufzeichnung zu erzeugen, die die kleinen BPs summierte. Die
Versuchsperson durfte den Zeitpunkt dieser zahlreichen Handlungen nach
ihrem eigenen Gutdünken wählen. Ihre eigene Wahl des Handlungszeitpunkts
war jedoch durch eine Dauer von 6 sec begrenzt, die Kornhuber und Deecke
für jeden Versuchsdurchgang vorgesehen hatten, um die Summierung von
200-300 BPs innerhalb einer annehmbaren Experimentierperiode zu erzielen.
Kornhuber und Deecke betrac hteten nicht die Frage,
wann der bewusste Handlungswille im Verhältnis zur Vorbereitung [>161]
des Gehirns (zum BP) erschien. Die lange Zeit, mit der das BP der Willenshandlung
vorhergeht, ließ mich jedoch intuitiv vermuten, dass es eine Diskrepanz
zwischen dem Beginn der Gehirnaktivität und der Zeit des Erscheinens
der bewussten Handlungsabsicht geben könnte. In einer öffentlichen
Diskussion über Willenshandlungen brachte der Neurowissenschaftler
und Nobelpreisträger Sir John Eccles seine Überzeugung zum Ausdruck,
dass ein BP, das > 800 ms vor einer Willenshandlung beginnt, bedeuten muss,
dass die damit verbundene bewusste Absicht sogar noch vor diesem frühen
Einsetzen des BP erscheint. Ich bemerkte, dass es keine Belege gab, die
Eccles' Ansicht unterstützten, die vermutlich durch seine eigene Philosophie
der Interaktion von Geist und Gehirn gefärbt war. [L-FN02]
Die Feststellung der Zeit des bewussten Willens
relativ zum Beginn der Gehirnaktivität (dem BP) war offensichtlich
wichtig. Wenn der bewusste Wille auf den Beginn des BP folgen sollte, würde
das eine grundlegende Wirkung auf unsere Sicht der Willensfreiheit haben.
Zu jener Zeit sah ich jedoch keine Möglichkeit, die Frage experimentell
zu prüfen. Es schien unmöglich zu sein, eine zuverlässige
Messung der Zeit des Auftauchens einer bewussten Absicht zu erreichen.
Der bewusste Wille ist ein subjektives Phänomen, das äußerer
Beobachtung nicht direkt zugänglich ist. Man benötigt einen Bericht
von einer menschlichen Versuchsperson [RS-EN01],
die dieses subjektive Ereignis erlebt. Wenn man dieVersuchsperson einen
Knopf drücken oder »jetzt« sagen lässt, damit sie
ihre bewusste Absicht ausdrücken kann, dann würde man weitere
Willensakte zu der untersuchten Beugung des Handgelenks hinzufügen.
Das würde die zuverlässige Feststellung des Zeitpunkts des bewussten
Willens für die Testhandlung im Verhältnis zur Gehirnaktivität
beeinträchtigen. Auch gab es keine Gewähr dafür, dass das
Drücken eines Knopfes oder das »Jetzt« Sagen bewusst
vollzogen werden würde [RS-EN02]. Die Versuchs-[>162]
person könnte also diese schnelle Reaktion unbewusst vollziehen, bevor
sie sich des Erlebnisses bewusst wird. Wenn das so wäre, dann hätten
wir eben keinen Zeitpunkt für den bewussten Willen.
Als ich 1977 Gastwissenschaftler am Rockefeller
Center for Advanced Studies in Bellagio, Italien, war, kehrten meine Gedanken
zu diesem scheinbar unlösbaren Messproblem zurück. Es fiel mir
damals ein, dass eine Versuchsperson die »Uhrzeit« ihres Erlebnisses
der bewussten Absicht berichten könnte. Sie würde sich die Uhrzeit
im Stillen merken [RS-EN03] und dann, nachdem jeder
Versuchsdurchgang vorbei war, berichten. Nachdem ich nach San Francisco
zurückkam, entwickelten wir eine solche Technik.[L-FN03]
Ein Kathodenstrahloszil-
loskop wurde so arran- giert, dass der von ihm erzeugte Lichtfleck in der Nähe des äußeren Randes seines Bildschirms einen Kreis beschrieb. Der äußere Rand des Bild- schirms der Oszilloskop- röhre war wie gewöhnlich durch 60 Sekunden markiert, die kreisförmig angeordnet waren. Die Bewegung des Lichtflecks sollte die Bewegung des Sekundenzeigers einer gewöhnlichen Uhr simu- lieren. Unser Lichtfleck ging jedoch in 2,56 sec einmal im Kreis herum, etwa fünfundzwanzigmal schneller als die normalen 60 sec (siehe Abb.4.l). Jede markierte Sekunde auf der Uhr entsprach deshalb etwa 43 ms der Bewegung des Licht- flecks. Diese schnelle »Uhr« konnte dann Zeit- unterschiede im Bereich von hunderten von Millisekunden aufdecken." (Abb. 4.1 auf S. 166) |
"Die Versuchsperson saß 2,3 m vom Oszilloskop
entfernt. In jedem Durchgang fixierte sie ihren Blick auf die Mitte des
Bildschirms des Oszilloskops. Sie wurde gebeten, eine freie Willenshandlung
zu vollziehen, eine einfache, aber plötzliche Bewegung des Handgelenks,
und zwar zu einem beliebigen Zeitpunkt. Sie wurde gebeten, nicht im Voraus
zu planen, wann sie handeln [>163] würde; sie sollte vielmehr die
Handlung »von sich aus« erscheinen lassen. Das würde uns
gestatten, den Prozess der Handlungsplanung von dem Prozess für einen
freien, spontanen Willen, »jetzt zu handeln«, zu unterscheiden.
Sie wurde außerdem gebeten, ihr erstes Bewusstsein ihrer Bewegungsabsicht
mit der »Position auf der Uhr« des kreisenden Lichtflecks zu
verknüpfen. Diese verknüpfte Uhrzeit wurde von der Versuchsperson
nach
Beendigung des Versuchs berichtet. Wir bezeichneten diese berichteten Zeiten
mit »W« für das bewusste Wollen
oder Wünschen einer Handlung. Das BP, das bei jeder solchen Willenshandlung
erzeugt wurde, wurde ebenfalls gemessen, und zwar mit geeigneten Elektroden
auf dem Kopf. Ein BP, das über vierzig Versuche gemittelt wurde, erwies
sich als brauchbar. Die Zeit des Einsetzens dieser gemittelten BPs konnte
dann mit den berichteten W-Zeiten bei denselben vierzig Handlungen verglichen
werden. [RS-EN04]
Anfangs hatten wir ernsthafte Zweifel, dass die
Versuchspersonen die Uhrzeiten ihrer bewussten Absichten mit ausreichender
Genauigkeit und Zuverlässigkeit berichten konnten. Wie sich herausstellte,
lagen beide Charakteristika in einem Bereich, der für unsere Zwecke
angemessen war. Die W-Zeitpunkte, die für jede Gruppe von vierzig
Versuchen gemessen wurden, wiesen eine Standardabweichung von etwa 20 ms
auf. Das galt für jede Versuchsperson, obwohl die gemittelten Ws sich
zwischen den Versuchspersonen unterschieden. Da der über alle Versuchspersonen
gemittelte W-Zeitpunkt etwa bei -200 ms (vor einer motorischen Handlung)
lag, stellte eine Standardabweichung von +-20 ms eine noch hinreichende
Zuverlässigkeit dar.
Eine Prüfung der Korrektheit von W war etwas
schwieriger durchzuführen. Wir konnten nicht ganz sicher wissen, wie
nahe das berichtete W bei der tatsächlichen subjektiven Zeit des Bewusstseins
lag. Wir konnten jedoch prüfen, wie genau die Versuchspersonen unsere
Uhrzeit-Technik verwendeten. Zu diesem [>164] Zweck wurde eine Reihe von
vierzig Versuchen durchgeführt, bei denen ein schwacher Hautreiz auf
die Hand verabreicht wurde. Die Versuchspersonen wurden gebeten, keine
Willenshandlung zu vollziehen, sondern sich vielmehr die Uhrzeit der Hautempfindung
zu merken, die nach jedem Versuch berichtet werden sollte (wie bei W).
Der Hautreiz wurde bei den vierzig Versuchen zu zufällig ausgewählten
Uhrzeiten verabreicht. Diese Zeitpunkte (»S«) waren der Versuchsperson
natürlich unbekannt. Wir erfuhren sie jedoch als Beobachter durch
die Computerausdrucke. Somit konnten wir eine objektiv bekannte, erwartete
Zeit eines subjektiven Bewusstseins mit den Uhrzeiten vergleichen, die
von der Versuchsperson berichtet wurden. Die berichteten S-Zeiten lagen
nahe bei den wirklichen Reizzeiten, wiesen jedoch einen Unterschied von
etwa -50 ms (mit anderen Worten, früher) gegenüber den Zeitpunkten
auf, zu denen die Reize tatsächlich verabreicht wurden. Da dieser
Unterschied ziemlich konsistent war, konnte er als verzerrendes Element
von dem durchschnittlichen W von -200 ms abgezogen werden. Das ergab ein
»korrigiertes« durchschnittliches W von -150 ms. Eine Versuchsreihe,
die die berichteten Zeiten für einen Hautreiz prüfte, wurde in
jeder Sitzung durchgeführt.
Unsere Definition
einer Willenshandlung enthielt folgende Merkmale: Der Handlungswille entstand
auf endogene Weise. [RS-EN05] Es gab also keine
äußeren Hinweisreize für den Vollzug der Handlung; keine
äußeren Beschränkungen für den Zeitpunkt der Handlung;
und vor allem hatte die Versuchsperson den Eindruck, dass sie für
die Handlung verantwortlich war, und sie hatte auch das Gefühl, dass
sie es in der Hand hatte, wann sie handelte und ob sie überhaupt handeln
sollte oder nicht. Menschliche Versuchspersonen können letzteres Kriterium
von Situationen unterscheiden, in denen eine motorische Handlung ohne dieses
Merkmal erzeugt wird. Der Neurochirurg Wilder Penfield reizte elektrisch
den frei liegenden Motorkortex während der Operation zur Behandlung
epileptischer Zent [>165] ren. [L-FN04]
Die Reizung des Motorkortex erzeugt Kontraktionen bestimmter Muskeln und
bestimmte Bewegungen an bestimmten Stellen des Körpers. Die Patienten
berichteten, dass sie solche Bewegungen nicht wollten; sie berichteten,
dass diese Bewegungen ihnen von der Person aufgezwungen wurden, die ihren
Kortex gereizt hatte; sie waren keine Willenshandlungen.
Es gibt viele klinische Störungen, bei denen
Handlungen in Abwesenheit eines bewussten Willens auftreten. Dazu gehören
unwillkürliche Handlungen bei Gehirnlähmung, Parkinson, Chorea
Huntington, Tourette-Syndrom und auch zwanghafte Handlungsimpulse. Ein
schlagendes Beispiel ist das »alien hand sign«. [L-FN05]
Patienten mit einer Schädigung am vorderen, medialen Teil des prämotorischen
Areals der Hirnrinde können den Eindruck haben, dass die Hand und
der Arm auf der betroffenen Seite merkwürdige zweckgerichtete Handlungen
vollziehen, wie beispielsweise das Aufknöpfen eines Hemdes, während
die Versuchsperson versucht, es zuzuknöpfen. All das geschieht ohne
oder sogar gegen den Willen und die Absicht der Versuchsperson."
Ergänzung-01.10.2023 aus
dem Beweisregister
Psychologie
1985-Libet (1916-2007) Libet, Benjamin (1985) Unconscious cerebral
initiative and the role of conscious will in voluntary action. In: The
Behavioral and Brain Sciences, 8, 1985, S. 529–566. Ein Bereitschaftpotential
des Handlungsentschlusses zeigt sich nach Libet (1989) 300 ms vor
dem bewussten Wunsch des Bewegungswillens und 200 ms nach
dem bewussten Wunsch kommt es zur Ausführung der Bewegung.
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Nach dieser Darstellung geht dem bewussten Wunsch eine Aktivierung
voraus, was eigentlich niemand verwundern sollte. Bezieht man 100 ms für
die Umschaltung nach Libet 5005, S. 171, auf die Aufgabe, auf die Uhr zu
schauen, und 100 ms für das Ablesen selbst mit ein, schrumpft der
Zeitraum zwischen Beginn der Aktivierung auf 100 ms. Ich kann bei
diesen Zeiten nicht erkennen, dass der Wunsch zu handeln, der Bewusstheit
handeln zu wollen, so weit vorausgeht, dass die Bewusstheit keine Rolle
spielt, zumal ja die eigentliche Handlung erst 200 ms nach dem bewussten
Entschluss erfolgt. Zu diesen hochinteressanten Experimenten
gibt es daher noch einigen Klärungsbedarf (Entscheidung-Entschluss-Handeln).
Damit wäre lediglich bewiesen, dass dem bewussten Entschluss eine
Aktivierung vorausgeht. Hier ist noch viel Forschungsarbeit notwendig,
die als erstes eine präzise Terminologie erfordert, die auch andere
wichtige psychische Funktionen wie z.B. denken, fühlen, werten, wahrnehmen
einbezieht.
Untersuchen
und erörtern wir Libets Methodik mit unserer allgemeinen Formalisierung
experimenteller Ergebnisse:
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AV: Eine abhängige Variable ist in Libets Experiment nicht klar ausgewiesen, wie der ganze Versuchsplan nach klassischen Kriterien reichlich dunkel bleibt. Man kann aber den Zeitpunkt der Mitteilung der Gewahrwerdung des bewußten Entschlusses, den Finger oder das Handgelenk bewegen zu wollen (der Handlungsentschluß der ProbandInnen durfte von diesen selbst bestimmt werden) als abhängige Variable auffassen.
Prob: Introspektionsfähige und willige (!) ProbandInnen (Versuchspersonen).
UV: Eine kontrolliert manipulierte UV ist in Libets Experiment nicht ausgewiesen. Man kann aber den Zeitpunkt des Handlungsentschlusses der ProbandInnen als unabhängige Variable auffassen. Diese Variable wird aber nicht wie in einem klassischen Experiment vom Experimentator kontrolliert, sondern von den Versuchsversonen nach Gutdünken vorgenommen, was man auch als Ausdruck freien Willens interpretieren könnte. Bei dieser Interpretation würde vorausgesetzt, was untersucht werden soll.
Sit: S1: Laborbedingungen. S2: Das Experiment ist als solches ausgewiesen und erklärt. S3: ProbandInnen werden gebeten, zu einem beliebigen Zeitpunkt, den sie auf einer speziellen Uhr ablesen können, das Gewahrwerden ihres Handlungsentschlusses, einen Finger zu bewegen oder das Handgelenk zu beugen, mitzuteilen. S4: Zugleich wird das Bereitschaftspotential ihrer Hirnaktivität im Versuchszeitraum gemessen.
Fehl: Hierzu äußert sich Libet nicht ausdrücklich. Mehr am Rande teilt er S. 164 mit, daß bei seinen Versuchspersonen die Wahrnehmung 50 Millisekunden vor der Verabreichung der zu diesem Zweck ersonnenen Hautreizungen erfolgten. Dieser erstaunliche Sachverhalt, der aus einem Experiment zur paranormalen Wahrnehmung stammen könnte, wird nicht aufgeklärt. Libet und seine Jünger unterscheiden auch nicht zwischen dem Zeitpunkt des Gewahrwerdens (Bewußtheit) und dem Handlungs- und Willensimpuls, das Gewahrwerden (Bewußtheit) mitzuteilen. Die Zeit, die der Entschluß, das Gewahrwerden (die Bewußtheit) brauchen, wird nicht bestimmt und auch nicht abgezogen. Der gesamte Prozess dauert ungefähr 500 Millisekunden. Ca. 150 Millisekunden vor der Ausführung wird der Handlungsimpuls bewußt - und könnte durch ein VETO, wie Libet es nennt, noch unterbrochen werden. Zu diesen 150 Millisekunden müßte noch die Zeit für die Mitteilung bzw. das Merken aufsummiert werden.
X. Unbekannte Faktoren brauchen nicht erörtert zu werden; wenn es auch eine gute selbstkritische wissenschaftliche Übung ist, solche immer einzukalkulieren.
Theo: Die Theorie Libets setzt voraus, daß nichtbewußte und bewußte Prozesse zu meßbaren Bereitschaftspotentialen des Gehirns in Beziehung gesetzt werden können. Das Problem des Anfangs und des zugrundeliegenden Kausalmodells diskutiert er nicht. Wie es scheint, geht er von einem einfach zeitlich strukturierten linearen Modell aus: Handlungsentschluß -> Gewahrwerdung -> Mitteilung (hierzu ein psychologisches Handlungsmodell > Entscheidung-Entschluss-Handlung). Und Libet fragt sich: was bedeutet es, wenn vor der Gewahrwerdung das Gehirn schon Aktivität anzeigt? Diese Frage sollte sein Experiment eigentlich klären und nicht besonders aufwerfen. Der grundlegende Entschluß der ProbandInnen, beim Experiment mitzuwirken, fällt nach der Erklärung im Teilnahmegespräch und dies muß unter Bewußtheitsbedingungen stattfinden.
Mod: Als Operationalisierung für die Kausalität des nirgendwo explizierten, definierten oder eingeführten "freien" Willens dient offenbar der zeitliche Verlauf der Aktionspotentiale im Gehirn, wobei die Bereitschaftspotentialaktivität vor der Bewußtwerdung - nicht nachvollziehbar - als Argument für die Nichtwirksamkeit eines "freien Willens" betrachtet wird. Die Argumentation ist offenbar: Weil der Bewußtwerdung eine Gehirnaktivität vorausgeht, kann die Handlung nicht durch eine freie Willensentscheidung bewirkt worden sein. Wieder einmal mehr zeigt sich mit der Gleichsetzung bewußt = frei und vorher = ursächlich (bzw. nachher = bewirkt), daß die NeurowissenschaftlerInnen kein überzeugendes Verständnis für die wirkliche Problematik aufbringen.
Hyp: "Unsere Experimentalfrage war: Geht der bewusste Wille der Aktion des Gehirns voraus oder folgt er ihr nach?" (S. 167).
Die
grundlegenden methodologischen Fehler in Libets Experiment
Ganz allgemein ist zu kritisieren, daß Libet überhaupt kein
ausgewiesenes experimentelles Design zu seinen Experimenten mitteilt.
Und die wichtigsten experimentellen Variablen und Größen, die
Bedingungen und ihre Bedeutung werden gar nicht hinreichend expliziert,
eher kursorisch deskriptiv erzählt. Der ganze Versuchsplan bleibt
nach klassischen Kriterien reichlich dunkel, ebenso die Theorie. So fehlen
auch - und gerade das zeichnet wissenschaftliches Arbeiten aus - detaillierte
Angaben zur Anzahl der Versuchspersonen, der Zusammensetzung der Stichproben
und die einzelnen Meßergebnisse, so daß man sie nachrechnen
und überprüfen kann. Auch was eigentlich genau operationalisiert
wurde ist ebenso wenig klar wie die Hypothese. Auf S. 167 heißt es:
"Unsere Experimentalfrage war: Geht der bewusste Wille der Aktion des Gehirns
voraus oder folgt er ihr nach?" Läßt man diese Aussage auf sich
wirken, und fragt man sich, was das nun genau heißen soll, erkennt
man, daß der Versuch nur folgende hypothetische Fragestellung hergibt:
Geht die Bewußtheit des Willens der Aktion des Gehirns
voraus oder folgt sie ihr nach? Was hat diese Frage mit dem freien
Willen zu tun? Überdies scheint es doch trivial, daß die Bewußtheit
eines inneren Ereignisses zeitlich immer nachgeordnet sein
muß, was allerdings der Mitteilung widerspricht, daß die Wahrnehmung
der Hautreizung 50 Millisekunden vorher bemerkt wurde [RS-EN06].
Also folgt daraus auch gar nichts. Libet macht aus psychologischer Perspektive
mehrere grundlegende Fehler.
(1) Libet unterlegt seiner Hypothese, daß
der Willensprozeß zeitlich gerichtet linear verläuft mit Anfang
und Ende. Es sind aber viele, auch nicht lineare und mehrfach verschränkte
Verläufe denkbar. Diese Annahme der einfachen linearen Struktur des
Willensprozesses erklärt Libet nicht näher, obwohl dies natürlich
selbst eine wichtige Forschungsaufgabe und theoretisch notwendig wäre.
(2) Libet nimmt den Zeitstrahl des Willensprozesses
so an, daß der freie Wille mit der Bewußtwerdung identifiziert
wird. Hier wird ein für die Neurowissenschaft typisch unkritischer
Sprung vollzogen, indem der "freie" Wille ohne nähere Erläuertung
einfach mit dem "bewußten" Willen identifiziert wird. Wieso der "freie"
Wille quasi selbstverständlich ein bewußter sein soll, ist völlig
unerfindlich. Die allermeisten Vorgänge im Gehirn und im Körper
des Menschen sind nicht bewußt. Schon von daher gesehen, wäre
es sehr naheliegend, wenn schon, den freien Willen eher als nichtbewußten
freien Willen zu konzipieren.
(3) Libet sagt (S. 167): "Unsere Experimentalfrage
war: Geht der bewusste Wille der Aktion des Gehirns voraus oder folgt er
ihr nach?" Hier fragt sich: Wie unterscheidet die Neuroscience, ob ein
Aktionspotential des Gehirns zum nichtbewußten oder
zum bewußten Bereich gehört? Alles seelisch-geistige
Geschehen ist an Gehirnprozesse geknüpft. Der Neuroscience scheint
die Konzeptualisierung des Psychischen überhaupt noch nicht gelungen
- man kann eben keine Psychologie ohne Psychologie betreiben. Daran sind
schon die BehavioristInnen 50 Jahre lang - bis zur "kognitiven Wende" (Neisser
1967) - gescheitert.
Das Henne-Ei-Dilemma ... nichtbewußt-bewußt-nichtbewußt-bewußt-nichtbewußt-bewußt
...
Der Versuch offenbart viele Schwächen der Neuroscience. Die Hauptfehler
dieser ganzen Forschungsrichtung sind: (1) Verstrickung in das Henne-Ei-Problem.
(2) Keine klaren Definitionen, Operationalisierungen und experimentelle
Designs (messen alleine genügt nicht). (3) Vermischung des bewußten
mit dem freien Willen. (4) Falsche Interpretation der zeitlichen Ordnung.
(5) Fehlende differentialdiagnostische Klärung und Klarheit dessen,
was nichtbewußte und was bewußte Entscheidungen sind und damit
(6) ebensolche Unklarheiten, welche Hirnaktivitäten eben nichtbewußte
und bewußte Entscheidungen und Willensvorgänge anzeigen. (7)
Und wie es scheint, krankt diese ganze Forschungsrichtung daran, daß
sie offenbar im Nebenbei Psychologie ohne Psychologie betreiben möchte.
Es bleibt also noch sehr viel zu tun. Die NeurowissenschaftlerInnen bereichern
die Forschung ganz sicher um neue Möglichkeiten, aber sie stehen mit
ihren Möglichkeiten am Anfang und nicht am Ende.
III.
Skizze zum Problem von Entscheidungsdesigns.
Gibt es Handlungen, die ans Bewußtsein gebunden sind? Eine Grundfrage,
die mit als Erstes zu klären ist: Gibt es bewußte Wahlen und
bewußt gewählte Handlungen? Dies kann man untersuchen, indem
man Reize, die zu Handlungen befähigen können, im bewußten
und im nicht bewußten Zustand anbietet. Führt der Reiz im nicht
bewußten Zustand regelmäßig zu keiner Handlung, hingegen
im bewußten Zustand schon, so kann man sagen: es gibt bewußte
Wahlen und Handlungen. Fragt man z.B. jemand, wenn er schläft, wann
er zum letzten Mal einen Apfel gegessen hat oder wie viel 3 x 17 sind,
so lautet unsere Hypothese: Man wird in den allermeisten Fällen keine
Antwort erhalten und daher auch keine richtige. Fragt man hingegen eine
elementar rechentüchtige Personengruppe im wachen Zustand, wann sie
zum letzten Mal einen Apfel gegessen hat oder wie viel 3 x 17 ist, wird
man in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine Antwort und
meist wohl auch eine richtige Antwort erhalten. Das ist unsere Theorie
und auch schon experimentell- operational formuliert. Unsere Hypothese
besagt: Es gibt bewußte Handlungen. Sehr viel schwieriger ist es,
freie Entscheidungen und Willenshandlungen experimentell zu untersuchen.
Ganz sicher ist aber, daß es hierzu unumgänglich ist, das Definitions-
und Operationalisierungsproblem angemessen zu lösen. Gelingen dann
auch noch entsprechende experimentelle Designs, werden relativ zu den Definitionen
und Operationalisierungen Hypothesenprüfungen möglich sein. Bis
es so weit ist, werden die NeurowissenschaftlerInnen noch viel lernen und
arbeiten müssen.
Beweis
der Willensfreiheit. [Nachtrag 4.10.6]
Die Beweisidee ist einfach: Kann ein Geist in seinen Handlungswahlen
einem Zufallsexperiment mit n>g (g=Grenze) folgen, so heiße er frei.
Gegeben sei eine einfache Handlungstabelle, z.B. (1) "1" schreiben, (2)
"2" schreiben, (3) "3" schreiben, (4) "4" schreiben, (5) "5" schreiben,
(6) "6" schreiben, allgemein H1, H2, H3, H4, H5 und H6. Diese sechs Handlungen
werden nun dem Zufallsergebnisse eines sechsseitigen Würfels mit den
Markierungen "1", "2", "3", "4", "5" und "6" zugeordnet. Sodann wird vereinbart,
dass der Versuchsleiter würfelt und der Proband die den Würfelmarkierungen
zugeordneten Handlungen ausführt. Sofern der Proband willens und fähig
ist, dem Zufallsgenerator "Würfel" zu folgen, ist bewiesen, dass es
Willensfreiheit gibt, hier, in diesem Fall mit der Wahrscheinlichkeit p
= 1 - (1/6)^n wobei n := Anzahl der Versuche sei [> Kritik
der Kritik an der empirischen Induktion]. Gelingt dies, und es gibt
nicht den geringsten Grund, daran zu zweifeln, ist gezeigt, dass ein Geist
(Gehirn) "freiwillig" durch einen Zufallsgenerator determiniert ist. Seine
Handlungen werden nicht von ihm bestimmt, sondern in einer Metaentscheidung
an einen Zufallsgenerator abgegeben. Und das ist Freiheit und Indeterminismus.
Wäre der Mensch unfrei, könnte er nicht ein n>g wählen und
danach handeln.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Wille freier site:www.sgipt.org. * Willensfreiheit site:www.sgipt.org |
kontrolliert: irs 29.03.05 / 06.10.06