Erleben bei Franz von Brentano
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von Rudolf Sponsel, Erlangen
welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch (...) möglich sein? Es muß also jedes Wort (...) bekannt sein und etwas, und zwar eins und nicht mehreres, bezeichnen; hat es mehrere Bedeutungen, so muß man erklären, in welcher von diesen man das Wort gebraucht. ..." Aus: Aristoteles (384-322) Metaphysik.
11. Buch, 5 Kap., S. 244
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Leider verstehen viele Philosophen, Juristen, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler auch 2300 Jahren nach Aristoteles immer noch nicht, wie Wissenschaft elementar funktionieren muss: Wer wichtige Begriffe gebraucht, muss sie beim ersten Gebrauch (Grundregeln Begriffe) klar und verständlich erklären und vor allem auch referenzieren können, sonst bleibt alles Schwall und Rauch (sch^3-Syndrom). Wer über irgendeinen Sachverhalt etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, wie er diesen Sachverhalt begrifflich fasst, auch wenn dies manchmal nicht einfach ist. Wer also über Gewissheit etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, was er unter "Gewissheit" verstehen will. Das ist zwar nicht einfach, aber wenn die Philosophie eine Wissenschaft wäre und und die PhilosophInnen Aristoteles ernst nehmen würden, dann hätten sie das in ihrer 2300jährigen Geschichte längst zustande bringen müssen. Im übrigen sind informative Prädikationen mit Beispielen und Gegenbeispielen immer möglich, wenn keine vollständige oder richtige Definition gelingt (Beispiel Gewissheit und Evidenz). Begriffsbasis Damit werden all die Begriffe bezeichnet, die zum Verständnis oder zur Erklärung eines Begriffes wichtig sind. Bloße Nennungen oder Erwähnungen sind keine Lösung, sondern eröffnen lediglich Begriffsverschiebebahnhöfe. Die Erklärung der Begriffsbasis soll einerseits das Anfangs- problem praktisch-pragmatisch und andererseits das Begriffsverschiebebahnhofsproblem lösen. |
Z1-Empirisch-1874.I Durchsucht man den ersten Band nach "empirisch", gibt es 22 Fundstellen. In keiner der Fundstellen - an zwei auch nicht erwartbar - definiert oder erläutert Brentano, was er unter "empirisch" versteht, auch nicht durch Fußnote, Anmerkung, Querverweis oder Literhinweis. So sollte man Wissenschaft wahrlich nicht betreiben. Wir wissen also nicht, was Brentano unter Psychologie vom empirischen Standpunkte versteht. Anscheinend hält Brentano empirisch für einen allgemein verständlich und nicht erläuterungsbedürftigen Begriff.
Z2-Erleben-1874.I Erleben
hat nur eine Fundstelle, die zweite ist in einem Zitat von Herbart; erlebt
keine Fundstelle; Erlebnis 3. Erleben und Erlebnis werden nicht ausdrücklich
definiert, auch nicht durch Fußnote, Anmerkung, Quverweis oder Literaturhinweis.
Fundstellen: erleben 2 (davon 1 Zitat Herbart), erlebt 0, Erlebnis
3.
Z-Fazit-1874: Erleben spielt in diesem Werk noch keine besondere Rolle, so dass auch keine Definition oder nähere Erläuterungen zu erwarten sind.
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"Also, vor allem, der Psycho-
gnost muß erleben, d.h. seine
innere Wahrnehmung muß, wenn nicht zugleich, doch sukzessiv, eine
Fülle von Tat- sachen des menschlichen Bewußtseins erfassen,
wenn ihm nicht das zu seinen For- schungen notwendige empi-
rische Material fehlen soll." Brentano (1982, DesPsy). S. 29. |
"1. Wir sagten: Damit der Psychognost seine Ab- sicht erreiche,
habe er ein Mehrfaches zu leisten,
a) müsse er erleben, b) müsse er bemerken, c) müsse er, was er bemerkt, fixieren, um es zu sammeln; d) müsse er generalisieren, e) müsse er depriosieren, erkennen, f) müsse er deduzieren." Brentano (1982, DesPsy). S. 65. |
2. Der Psychognost also muß nicht bloß die
Erscheinungen des menschlichen Bewußtseins in weitem Umfang erleben,
er muß auch das Einzelne, was er erlebt,
und die wesentlichen Teile dieses Einzelnen, in genügendem Umfang
bemerken, soll nicht sein Werk mit wesentlicher Unvollkommenheit behaftet
bleiben.
Brentano (1982, DesPsy). S. 31. |
Diese Programm ist sehr überzeugend und kann auch heute noch angewendet werden. Merkwürdig ist nur, dass sich niemand daran gehalten hat, nicht einmal Brentano selbst.
Z2-Empirie. Was das Erleben betrifft sind fast alle Menschen in einer besonders privilegierten Situation, weil sie tagtäglich ein Leben lang rund 16 Stunden am Tag ihr Erleben erleben und es studieren und protokollieren können. Das gilt für alle Erlebensforscher, auch für Franz von Brentano, so dass es für mich unbegreiflich ist, weshalb die Erlebensforscher und Brentano davon keinen konsequenten wissenschaftlichen Gebrauch gemacht haben und machen. Brentano hätte das erkennen und angemessen bearbeiten müssen.
Z3-Wissenschaftstheorie. Wie den meisten Philosophen fehlen auch Franz von Brentano grundlegende Kompetenzen zum wissenschaftlichen Arbeiten, insbesondere was die korrekte Einführung wissenschaftlicher Begriffe und Grundbegriffe betrifft (Regeln Grundbegriffe, Begriffsbasis, Aristoteles Zum Geleit). Man sollte nicht fragen, ob oder wie etwas so oder so ist oder sich anderem gegenüber verhält, wenn nicht klar ist, was dieses "etwas" sein soll. Die Dinge oder Sachverhalte sind nicht einfach von selbst so, wie oft gemeint wird, sondern sie müssen definiert sein, damit man in der Welt nachsehen kann, ob und wie sie sich da finden (Referenz). Zudem bleibt er, wie die meisten Philosophen im Allgemein-Abstrakten. Das ist insofern sehr schade, weil er viele gute Ideen zur Psychologie und ihren Problemen hat.
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