Erleben und Erlebnis in Dilthey Bd. 7 Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften.
Wilhelm Dilthey 1833-1911
Bildquelle
Wikipedia.
Recherchiert und kommentiert von Rudolf Sponsel, Erlangen
Inhalt
Bibliographisches.
INHALTSVERZEICHNIS Band 07.
Zusammenfassung Bd. 07.
Methode der Textanalyse.
Auswertung der Fundstellen.
Gesamt Fazit
Erste 14 Seiten und Erster Teil. D07IV3.1Erleben, Ausdruck
und Verstehen 191-227.
Fazit
Erste 14 Seiten.
Bibliographisches
Band-07 Dilthey, Wilhelm (1927) Der Aufbau der geschichtlichen
Welt in den Geisteswissenschaften. Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften.
Plan der Fortsetzung zum Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften.
GS VII. Leipzig und Berlin: Teubner. InVz: Erleben 4, Erlebnis 0. [intern-PDF]
Zeitliche Einordnung nach den Anmerkungen des Herausgebers
(S.350ff) und den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der
Wissenschaften. 1904-1910, also bis ca. 1 Jahr vor seinem Tode.
Der wichtigste Teil mit Erklärung zum Verständnis Erlebnis
und Erleben, S. 194f, schätzungsweise um 1909.
I. STUDIEN ZUR GRUNDI.EGUNG DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
Erste Studie. Der psychische Strukturzusammenhang 3
II. DER AUFBAU DER GESCHICHTLICHEN WELT IN DEN
GEISTESWISSENSCHAFTEN
Abgrenzung der Geisteswissenschaften 79
Die Verschiedenheit des Aufbaus in den Naturwissenschaften und
den Geisteswissenschaften 88
*III. PLAN DER FORTSETZUNG ZUM AUFBAU DER
GESCHICHTLICHEN WELT
IN DEN GEISTESWISSENSCHAFTEN
Entwürfe zur Kritik der historischen Vernunft
Erster Teil. D07IV3.1Erleben,
Ausdruck und Verstehen 191
II. Das Verstehen anderer Personen und ihrer Lebensäußerungen
205
III. Die Kategorien des Lebens 228
IV. Die Biographie 246
Zweiter Teil. Die Erkenntnis des universalhistorischen Zusammenhangs
252
*IV. ANHANG
1. Zusätze zu den Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften
295
Anmerkungen 348
Namenregister 391
Fundstellen:
Ti-,IV+,-SR: "erleb" kommt im Titel nicht, aber im Inhaltsverzeichnis
vor. Kein Sachregister.
Erleben 299
Methode der Textanalyse [Quelle]
Die Methode ist einfach: Erörterungen, Erklärungen, Begründungen,
Definition eines Begriffs erfordern die Nennung des Begriffsnamens, also
des Worts, hier zentral Erleben und Erlebnis. Die Texte werden von Anfang
an nach bestimmten Suchwörtern, in der Hauptsache Erleben und Erlebnis
durchsucht, die Textumgebung zitiert und die Suchwörter markiert (14p
fett kursiv), und zur eindeutigen Identifikation, wenn nötig,
Autor, das Werk, die Seitenfundstelle, die Begriffskennziffer und die Reihenfolgezahl
angegeben. Damit lässt sich relativ einfach feststellen, wann und
wo Erleben und Erlebnis - neben anderen interessierenden Suchbegriffen
- erörtert, erklärt, begründet oder gar definiert werden.
Achtung: Unterschiedliche OCR (Texterkennungsprogramme)
können unterschiedliche Suchergebnisse liefern, daher empfehlen sich
des öfteren kritische Prüfungen der Treffer. Aufpassen muss man
auch, wenn ein Suchtext im einem anderen enthalten ist, wie z.B. erleben
in Nacherleben oder Nichterleben), um Doppelzählungen
oder Fehlerwähnungen zu vermeiden.
Nicht immer werden sämtliche Fundstellen analysiert
und signiert oder kommentiert, aber immer die ersten, weil man davon ausgehen
kann, dass die Autoren, wenn sie einen wichtigeren Begriff zum ersten Mal
gebrauchen, angeben was sie unter dem Begriff verstehen wollen (Grundregel
Begriffe). Das ist leider oft nicht der Fall, so dass man vielen, auch
Klassikern wie z.B. Dilthey, bescheinigen muss, dass sie von richtiger
empirischer
wissenschaftlicher Arbeit wenig verstanden haben. Das ist
bei den Begriffen Erleben und Erlebnis umso erstaunlicher als doch jede
WissenschaftlerIn täglich 16 Stunden Zeit hat, ihr Erleben zu erkunden,
wovon - mir völlig unverständlich - so gut wie niemand Gebrauch
macht, obwohl schon von Brentano
gefordert. Daher können wir sagen, die allermeisten WissenschaftlerInnen,
deren Arbeit hier untersucht und analysiert wurde, sind für das Forschungsthema
Erleben und Erlebnis wenig geeignet. Aber es gibt auch positive Überraschungen,
wie z.B. Krugs Definition 1838. Ungeachtet der grundlegenden basiswissenschaftlichen
Mängel fehlender Begriffserklärungen und fehlender Definitionen
enthalten viele Werke aber auch Überlegungen und Ideen, die man für
die Erforschung des Erlebens und der Erlebnisse nutzen kann.
Erleben und Erlebnis kommt zwar in allen Bänden
der Gesammelten Schriften Diltheys vor. Aber eine Erlebnistheorie ist nicht
in allen gleichermaßen zu erwarten, sondern eigentlich nur dort,
wo Erleben oder Erlebnis im Titel von Kapiteln oder Abschnitten auftaucht.
Das ist nur der Fall in Band 07: S. 191-227. In diesem Band sollte also
die Erlebnistheorie Diltheys zu finden sein - wenn es sie denn gibt. Es
wurden die Fundstellen der ersten 14 Seiten und der Abschnitt, der nach
dem Inhaltsverzeichnis ausdrücklich um das Erleben ging, S. 191-227
vollständig erfasst und ausgewertet.
Insgesamt wurde drei Suchprozesse durchgeführt:
der ganze Band, Erste 14-Seiten, S.191-227
Zusätzliche Erkundungen:
Die Fundstellen der ersten 14 Seiten sind unergiebig. Aber im zweiten Teil gibt Dilthey S. 194-195 Begriffsbestimmungen, ohne sie Definitionen zu nennen, von Erlebnis und Erleben.
Erlebnis-Zusammenfassung-07-1-14
mit 15 Fundstellen
Erlebnis wird in den ersten 15 Fundstellen bis S. 14 nicht erklärt,
auch nicht durch Fußnote, Anmerkung, Querverweis oder Literaturhinweis.
Allgemein-abstrakte Ausführungen ohne konkrete Beispiele und Referenzierungen.
Erlebbar-Zusammenfassung-07-1-14
mit 2 Fundstellen
S. 14: Erlebnis und Erlebbarkeit wird nicht erklärt, auch nicht
durch Fußnote, Anmerkung, Querverweis oder Literaturhinweis. Allgemein-abstrakte
Ausführungen ohne konkrete Beispiele und Referenzierungen.
Kapitel
zum Erleben S. 191-227
S. 191 beginnt ein Kapitel zum Erleben. Im Inhaltsverzeichnis gibt
es 4 Fundstellen. Allerdings führt Dilthey sehr ernüchternd und
frustrierend gleich zu Beginn aus: S. 192: "Ich setze das über Leben
und
1.1Erlebnis früher
Gesagte voraus." Wo zu finden ist, was er früher über Leben und
Erlebnis gesagt hat, sagt er leider nicht, was keine gute wissenschaftliche
Praxis ist, genau betrachtet sogar eine wissenschaftliche Unverschämtheit,
hier haben auch die Herausgeber versagt. Ab S. 194/195 wird es allerdings
spannend:
Unklar ist, von welchen Trägern des Erlebens genau gesprochen wird:
von allen Menschen überhaupt, von den aktuell Lebenden, von den Deutschen,
Europäern oder Menschen in der ganzen "Welt" (Erde), von einigen ...
oder spricht Dilthey gar nur meinend von sich selbst?
Dokumentierte Fundstellen
der Schlüsselbegriffe im Kontext
Erste 14 Seiten danach 191-227.
Man darf in einer wissenschaftlichen Abhandlung erwarten, das wichtige Begriffe bei ihrem ersten Gebrauch definiert, erklärt oder wenigstens mit Beispielen und Gegenbeispielen erläutert werden (>Grundregeln Begriffe). Verwendet man einen Begriff als nicht weiter erklärungs- oder begründungsbedürftigen Grundbegriff muss wenigstens das gesagt werden.
07-03: "ERSTE STUDIE
DER PSYCHISCHE STRUKTURZUSAMMENHANG
Die Geisteswissenschaften bilden einen Erkenntniszusammenhang, welcher
eine gegenständliche und objektive Erkenntnis der Verkettung menschlicher
D07S3.2.1Erlebnisse
in der menschlich-geschichtlich-gesellschaftlichen Welt zu gewinnen strebt.
..."
07-S.3f: "Solche Erkenntnis der Vorgänge selbst, in denen die
Geistes-
wissenschaften sich ausbilden, ist zugleich die Bedingung für
das Verständnis
ihrer G e s c h i c h t e. Von ihr aus erkennt man das Verhältnis
der einzelnen Geisteswissenschaften zu der Koexistenz und Folge des
[>4] D07S4.3.4Erlebens,
auf welchen sie fundiert sind. Man sieht in ihr Zusammen-
wirken zu dem Zweck, in ihrer Totalität den wert- und sinnvollen
Zusammenhang
verständlich zu machen, der dieser Koexistenz und Folge
des D07S4.3.5Erlebens
zugrunde liegt, und dann aus ihm das Singulare faßlich.
Und zugleich versteht man nun von diesen theoretischen Grundlagen
aus, wie die Bewußtseinslage und der Horizont einer Zeit jedesmal
die Voraussetzung dafür sind, daß diese Zeit die geschichtliche
Welt
in einer bestimmten Weise erblickt: die Möglichkeiten der Standpunkte
historischen Sehens werden gleichsam in den Epochen der Geisteswissenschaften
durchlaufen. Und ein letztes wird verständlich. Die Entwicklung
der Geisteswissenschaften muß begleitet sein von ihrer logisch-
erkenntnistheoretischen Selbstbesinnung — nämlich dem philosophischen
Bewußtsein darüber, wie aus dem D07S4.3.6Erleben
dessen, was geschehen
ist, der anschaulich-begriffliche Zusammenhang der menschlich-
gesellschaftlich-geschichtlichen Welt sich bildet. Für das Verständnis
dieser und anderer Vorgänge in der Geschichte der Geisteswissenschaften
hoffen die folgenden Erörterungen sich nützlich zu erweisen."
07-S.7: "
... Das
Denken kann nur die Energie des Bewußtwerdens steigern in bezug
auf
die Realitäten des Lebens. An das D07S7.4.1Erlebte
und das Gegebene ist es
durch innere Nötigung gebunden. Und Philosophie ist nur die höchste
Energie, bewußt zu machen: als Bewußtsein über jedes
Bewußtsein
und Wissen von allem Wissen. So macht sie sich denn schließlich
die
Gebundenheit des Denkens an Formen und Regeln und andererseits
die innere Nötigung, die das Denken an das Gegebene bindet, zum
Problem. Das ist die letzte und höchste Stufe der philosophischen
Selbstbesinnung."
07-08: "In diesem Begriff der objektiven Notwendigkeit liegen zwei
Momente, und diese sind nun die Ausgangspunkte für die Theorie des
Wissens. Das eine liegt in der Evidenz, welche den richtig vollzogenen
Denkprozessen anhaftet, und das andere ist in dem Charakter des Inneseins
der Realität im D07S8.2.2Erlebnis
oder in dem der Gegebenheit, der uns an eine äußere Wahrnehmung
bindet, enthalten."
Exkurs Theorie [Schlüsselbegriffe 14p fett kursiv]
07-09f: "4. Ausgangspunkt in einer Deskription der Vorgänge,
in welchen das Wissen entsteht.
So zeigt sich, wie die Aufgabe der Wissenschaftslehre
nur gelöst
werden kann auf Grund einer Anschauung des psychologischen Zu-
sammenhangs, in welchem empirisch die Leistungen zusammenwirken,
an welche die Erzeugung des Wissens gebunden ist.
Hiernach entsteht das folgende Verhältnis zwischen psycholo-
gischer Deskription und Theorie des Wissens. Die Abstraktionen der
Theorie des Wissens beziehen sich zurück auf die D07S9.2.6Erlebnisse,
in denen
das Wissen in zwiefacher Form und durch verschiedene Stufen hin-
durch sich ausbildet. Sie setzen die Einsicht in die Prozesse voraus,
durch welche auf Grund der Wahrnehmungen Namen gegeben, Be-
griffe und Urteile gebildet werden, und so das Denken allmählich
vom
Einzelnen, Zufälligen, Subjektiven, Relativen und darum mit Irrtümern
[>10]
Versetzten zum objektiv Gültigen fortschreitet. Es ist sonach
im ein-
zelnen festzustellen, welches 07S10.3.7Erleben
stattfinde
und be-
grifflich bezeichnet werde, wenn wir von dem Vorgang des Wahrnehmens,
von der
Gegenständlichkeit, der Namengebung und Bedeutung der Wortzeichen,
des Urteils und seiner Evidenz und des wissenschaftlichen Zusammen-
hangs reden. In diesem Sinne habe ich in der ersten Ausgabe der
Geisteswissenschaften (XVII, XVIII [Einleitung in die Geisteswiss.,
Ges. Schriften I, XVIII]) und in der Abhandlung über beschreibende
Psychologie (S. 8 [Ges. Schriften V, 146]) hervorgehoben, daß
die
Theorie des Wissens einer Beziehung
auf die D07S10.2.7Erlebnisse des Erkennt-
nisprozesses
bedarf, in denen das
Wissen entsteht (S. 10 [Ges. Schrif-
ten V, 147), und daß diese psychologischen Vorbegriffe nur Deskrip-
tion und Zergliederung dessen sein dürfen, was in den 07S10.4.2erlebten
Er-
kenntnisprozessen enthalten ist (S. 10). Daher schien mir in einer
sol-
chen beschreibend-zergliedernden Darstellung der Prozesse, innerhalb
deren das Wissen entsteht, eine nächste Aufgabe als Vorbedingung
der Theorie des Wissens zu liegen
(ebendaselbst). Von verwandten
Gesichtspunkten gehen nun die ausgezeichneten Untersuchungen von
H u s s e r l aus, welche „eine streng deskriptive Fundierung"
der
Theorie des Wissens als „Phänomenologie des Erkennens" und damit
eine neue philosophische Disziplin geschaffen haben.
Ich habe nun weiter behauptet, daß die Anforderung strenger Gül-
tigkeit der Theorie des Wissens durch ihre Beziehung auf solche De-
skriptionen und Zergliederungen nicht aufgehoben werde. Es wird ja
in der Deskription nur ausgesprochen, was im Prozeß der Hervor-
bringung des Wissens enthalten ist. Wie ohne diese Beziehung die
Theorie, die doch aus diesen D07S10.2.8Erlebnissen
und
deren Verhältnissen zu-
einander abstrahiert ist, gar nicht zu verstehen ist, wie die Frage
nach
der Möglichkeit des Wissens auch die Erledigung der anderen Frage
voraussetzt, auf welche Art Wahrnehmen, Namen, Begriffe, Urteile sich
auf die Aufgabe beziehen, den Gegenstand zu erfassen: so ist nun das
Ideal einer solchen begründenden Deskription, daß sie auch
wirklich nur
Sachverhalte ausspreche und feste Wortbezeichnungen für dieselben
schaffe. Die Annäherung an dieses Ideal ist davon abhängig,
daß nur
die im entwickelten Seelenleben der historischen Menschen, wie der
beschreibende Psychologe es in sich selber vorfindet, enthaltenen Tat-
sachen und Beziehungen von solchen aufgefaßt und zergliedert
werden.
Es gilt zumal immer weiterzugehen in der Ausschließung der Begriffe
von Funktionen des Seelenlebens, welche gerade hier besonders gefähr-
lich sind. Die Arbeit an dieser ganzen Aufgabe hat erst begonnen.
Erst allmählich kann die Annäherung an
den genauen Ausdruck für
die Zustände, Vorgänge und Zusammenhänge
erreicht werden, um [>11]
welche es sich handelt. Und so erweist
sich freilich schon hier, daß
die Aufgabe einer Grundlegung der Geisteswissenschaften noch keines-
wegs in für jeden Mitarbeiter überzeugender Weise wird aufgelöst
werden können."
07-11: "... Dieses vergleichende Verfahren ermöglicht, die
Analysis der logischen
Formen und Denkgesetze bis zu dem Punkte zu führen, an welchem
der Schein einer Unterordnung des Erfahrungsstoffes unter das Apriori
von Formen und Denkgesetzen gänzlich schwindet. Dies geschieht
nach
folgender Methode. Die Leistungen des Denkens, welche ohne Zeichen
an D07S11.2.9Erlebnis
und Anschauung sich vollziehen, lassen sich in elementaren
Operationen wie Vergleichen, Verbinden, Trennen, Beziehen darstellen:
diese sind in bezug auf ihren Erkenntniswert als Wahrnehmungen höhe-
ren Grades anzusehen. Und die Formen und Gesetze des diskursiven
Denkens können nun nach ihren Rechtsgründen aufgelöst
werden in
die Leistungen der elementaren Operationen, in die D07S11.10.1erlebbare
Funktion
von Zeichen und in das in den D07S11.2.10Erlebnissen
von Anschauen, Fühlen,
Wollen Enthaltene, auf welches sich Wirklichkeitsauffassen, Wert-
gebung, Zweckbestimmung und Regelsetzung in ihrer Gemeinsamkeit
wie nach ihren formalen und kategorialen Eigentümlichkeiten gründen.
Ein solches Verfahren ist auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften
rein durchführbar, und so kann nach dieser Methode die objektive
Gül-
tigkeit des Wissens auf diesem Gebiete begründet werden.
Hierdurch ist nun bedingt, daß die Deskription
die Grenzen der-
jenigen D07S11.2.11Erlebnisse,
die sich als gegenständliches Auffassen darstellen,
überschreiten muß. ..."
07-12: "... Indem die Deskription diese Verhält-
nisse als in den D07S12.2.12Erlebnissen
enthaltene Bewußtseinstatsachen beschreibt
und zergliedert, ist natürlich damit über die Realität
der Außenwelt
und fremder Personen oder über die Objektivität der Relationen
von
Tun und Leiden nichts ausgesagt: die auf die Deskription gebaute
Theorie soll ja erst eine Entscheidung über die Berechtigung der
im
empirischen Bewußtsein enthaltenen Voraussetzungen herbeizuführen
suchen.
Ebenso selbstverständlich ist dann, daß
die D07S12.2.13Erlebnisse,
die be-
schrieben werden und der Zusammenhang derselben, der aufgezeigt
wird, hier nur unter dem von der Wissenschaftslehre geforderten Ge-
sichtspunkt betrachtet werden. ..."
07-13: "
... Jedes
Wissen steht unter den Normen des Denkens. Zugleich bezieht es sich
nach diesen Denknormen auf ein D07S13.4.3Erlebtes
oder Gegebenes, und die
Beziehung des Wissens auf das Gegebene ist näher die des Gebundenseins
an dasselbe. Alles Wissen steht nach dem Ergebnis der Deskription
unter der obersten Regel, daß es in dem D07S13.4.4Erlebten
oder wahrnehmungsmäßig
Gegebenen nach den Normen des Denkens gegründet ist. ..."
"II.
DESKRIPTIVE VORBEGRIFFE
I. Die psychische Struktur.
Der empirische Verlauf des psychischen Lebens besteht aus Vor-
gängen; denn jeder unserer Zustände hatte einen Anfang in
der Zeit,
ändert sich in ihr und wird auch in ihr wieder schwinden. ..."
07-14: "Hier heben wir nun einen Unterschied heraus. Im Seelenleben
be-
stehen Regelmäßigkeiten, welche die Aufeinanderfolge der
Vorgänge
bestimmen. An diesen Regelmäßigkeiten besteht der Unterschied
der hier zu erörtern ist. Die Art der Beziehung zwischen Vorgängen
oder Momenten desselben Vorgangs ist in dem einen Fall ein charak-
teristisches Moment des D07S14.2.14Erlebnisses
selbst:
so entstehen die Eindrücke
von Zusammengehörigkeit, Lebendigkeit im seelischen Zusammenhang.
Die anderen Regelmäßigkeiten in der Aufeinanderfolge psychischer
Vorgänge sind nicht charakterisiert durch die D07S14.10.2Erlebbarkeit
ihrer Ver-
bindungsweise. Das verbindende Moment ist nicht im D07S14.2.15Erlebnis
aufzu-
weisen. Das Bedingtsein wird erschlossen. ..."
142 Fundstellen "erleb", davon 2x im Kapitel-Titel, S.191-227
Zusätzliche Erkundungen:
07-192: "2. Innewerden, Realität: Zeit
07-S.193: "Dieser Rahmen von Verhältnissen umspannt, aber erschöpft
nicht
das D07S193.2.2Erlebnis
der Zeit, in welchem ihr Begriff seine letzte Erfüllung
findet. Hier wird die Zeit erfahren als das rastlose Vorrücken
der
Gegenwart, in welchem das Gegenwärtige immerfort Vergangenheit
wird und das Zukünftige Gegenwart. Gegenwart ist die Erfüllung
eines Zeitmomentes mit Realität, sie ist D07S193.2.3Erlebnis
im Gegensatz zur Er-
innerung oder zu den Vorstellungen von Zukünftigem, die im Wün-
schen, Erwarten, Hoffen, Fürchten, Wollen auftreten. Diese Erfül-
lung mit Realität oder Gegenwart besteht beständig, während
das, was
den Inhalt des D07S193.3.4Erlebens
ausmacht, sich immerfort ändert. Die Vorstel-
lungen, in denen wir Vergangenheit und Zukunft besitzen, sind nur da
für den in der Gegenwart Lebenden. Die Gegenwart ist immer da,
und
nichts ist da, als was in ihr aufgeht. Das Schiff unseres Lebens wird
gleichsam auf einem beständig fortrückenden Strom dahingetragen,
und Gegenwart ist immer und überall, wo wir auf diesen Wellen
sind,
leiden, erinnern oder hoffen, kurz wo wir in der Fülle unserer
Realität
leben. Wir fahren aber unablässig auf diesem Strom dahin, und
in
demselben Moment, in welchem das Zukünftige ein Gegenwärtiges
wird, versinkt dieses auch schon in die Vergangenheit. ..."
07-S.194: "... Wir fühlen uns im Besitz unendlicher Möglichkeiten.
So
bestimmt dies D07S194.2.4Erlebnis der
Zeit nach allen Richtungen den Gehalt un-
seres Lebens. ..."
"... Daher denn auch die Lehre von der bloßen Idealität
der
Zeit überhaupt keinen Sinn in den Geisteswissenschaften hat. Denn
sie könnte nur besagen, daß hinter dem Leben selber mit
seinem von
dem Zeitverlauf und der Zeitlichkeit abhängigen Hineinschauen
in
Vergangenheiten, seinem der Zukunft sich verlangend, tätig und
frei
Entgegenstrecken, all dem Verzweifeln über die Notwendigkeiten
von
dort aus, den Anstrengungen, der Arbeit, den Zwecken, die in die Zu-
kunft reichen, der Gestaltung und Entwicklung, die der zeitliche Ver-
lauf des Lebens umspannt — als deren Bedingung ein schattenhaftes
Reich der Zeitlosigkeit liege, ein Etwas, das nicht gelebt wird. In
die-
sem unserem Leben aber liegt die Realität, von welcher die Geistes-
wissenschaften wissen."
"Die Antinomien, die das Denken an dem D07S194.2.5Erlebnis
der Zeit findet,
entspringen aus der Undurchdringlichkeit desselben für das Erken-
nen. ..."
"... Der kleinste Teil des Fortrückens der Zeit schließt
noch einen
Zeitverlauf in sich. Gegenwart ist niemals; was wir als Gegenwart D07S194.3.5erleben,
schließt immer Erinnerung an das in sich, was eben gegenwärtig
war. "
"sameres als die Art von Zusammensetzung, die wir als ein Stück
Lebens-
verlauf kennen; nur das bleibt immer als ein Festes, daß die
Struktur-
beziehung seine Form ist. Und wollte man nun versuchen, durch irgend-
eine besondere Art von Anstrengung den Fluß des Lebens selbst
zu [>195]
D07S195.3.8erleben, wie
das Ufer hineinscheint, wie er immer nach Heraklit der-
selbe scheint und doch nicht ist, vieles und eins, dann verfällt
man ja
wieder dem Gesetz des Lebens selbst, nach welchem jeder Moment des
Lebens selber, der beobachtet wird, wie man auch das Bewußtsein
des Flusses in sich verstärke, der erinnerte Moment ist, nicht
mehr
Fluß; denn er ist fixiert durch die Aufmerksamkeit, die nun
das an sich Fließende festhält. Und so können
wir das Wesen
dieses Lebens selbst nicht erfassen. Was der Jüngling von Sais
entschleiert,
ist Gestalt und nicht Leben. Dies muß man sich vergegenwär-
gen, um nun die Kategorien zu erfassen, die am Leben selbst aufgehen."
Kommentar: Wenn es kein originäres Erleben
gibt, nur die Erinnerung daran (M1),
dann gibt es auch keine originäre Beobachtung des Lebens, das uns
ja nur über das Erleben zugänglich ist. > D07S194.3.9erleben.
"Diese Beschaffenheit der realen Zeit hat nun zur
Folge, daß der
Zeitverlauf nicht im strengen Sinn D07S195.10.1erlebbar
ist. Die Präsenz des Ver-
gangenen ersetzt uns das unmittelbare D07S195.3.10Erleben.
Indem wir die Zeit
beobachten wollen, zerstört die Beobachtung sie, denn sie fixiert
durch
die Aufmerksamkeit; sie bringt das Fließende zum Stehen, sie
macht
das Werdende fest. Was wir D07S195.3.11erleben
sind Änderungen dessen, was eben
war, und daß diese Änderungen von dem, was war, sich vollziehen.
Aber den Fluß selbst D07S195.3.12erleben
wir nicht. Wir D07S195.3.13erleben
Bestand, indem
wir zu dem zurückkehren, was wir eben sahen und hörten, und
es noch
vorfinden. Wir D07S195.3.14erleben
Veränderung, wenn einzelne Qualitäten in dem
Komplex andere geworden sind; und auch wenn wir uns in uns selbst
wenden zu demjenigen, das Dauer und Veränderungen erfährt,
in dem
Innewerden des eigenen Selbst ändert sich nichts hieran. Und nicht
anders steht es mit der Introspektion. ...
Der Lebensverlauf besteht aus Teilen, besteht aus
D07S195.2.8Erlebnissen,
die
in einem inneren Zusammenhang miteinander stehen. Jedes einzelne
D07S195.2.9Erlebnis ist
auf ein Selbst bezogen, dessen Teil es ist; es ist durch die
Struktur mit anderen Teilen zu einem Zusammenhang verbunden. In
allem Geistigen finden wir Zusammenhang; so ist Zusammenhang eine
Kategorie, die aus dem Leben entspringt. Wir fassen Zusammenhang
auf vermöge der Einheit des Bewußtseins. Diese ist die Bedingung,
unter welcher alles Auffassen steht; aber es ist klar, daß ein
Stattfinden
von Zusammenhang aus der bloßen Tatsache, daß der Einheit
des
Bewußtseins eine Mannigfaltigkeit von D07S195.2.10Erlebnissen
gegeben ist, nicht
folgen würde. Nur weil das Leben selbst ein Strukturzusammenhang
ist, in welchem die D07S195.2.11Erlebnisse,
d. h. die D07S195.10.2erlebbaren
Beziehungen stehen,
ist uns Zusammenhang des Lebens gegeben. Dieser Zusammenhang
wird unter einer umfassenderen Kategorie aufgefaßt, welche eine
Weise
der Aussage über alle Wirklichkeit ist, — dem Verhältnis
des Ganzen
zu Teilen ... FN13)"
S.196: "Auf dem Boden des Physischen tritt das geistige Leben auf;
es
ist der Evolution als deren höchste Stufe auf der Erde eingeordnet.
Die Bedingungen, unter denen es auftritt, entwickelt die Natur-
wissenschaft, indem sie in den physischen Phänomenen eine Ordnung
nach Gesetzen entdeckt. Unter den phänomenal gegebenen Körpern
findet sich der menschliche, und mit ihm ist hier in einer nicht weiter
angebbaren Weise das D07S196.3.15Erleben
verbunden. Mit dem D07S196.3.16Erleben
aber treten
wir aus der Welt der physischen Phänomene in das Reich der geisti-
gen Wirklichkeit. Es ist der Gegenstand der Geisteswissenschaften,
und die Besinnung über diesen . . .13a) und ihr Erkenntniswert
ist ganz
unabhängig vom Studium ihrer physischen Bedingungen."
"In dem Zusammenwirken von D07S196.3.17Erleben,
Verstehen anderer Perso-
nen, historischer Auffassung von Gemeinsamkeiten als Subjekten ge-
schichtlichen Wirkens, schließlich des objektiven Geistes entsteht
das
Wissen von der geistigen Welt. D07S196.3.18Erleben
ist die letzte Voraussetzung
von diesem alten, und so fragen wir, welche Leistung dieses vollbringt.
Das D07S196.3.19Erleben
schließt in sich die elementaren Denkleistungen. Ich
habe dies als seine Intellektualität bezeichnet. Mit der Steigerung
der
Bewußtheit treten sie auf. Die Veränderung eines inneren
Sachverhalts
wird so zum Bewußtsein des Unterschiedes. An dem, was sich ändert,
wird ein Tatbestand isoliert aufgefaßt. An das D07S196.3.20Erleben
schließen sich
die Urteile über das D07S196.4.1Erlebte,
in welchem dieses gegenständlich wird.
Es ist unnötig darzustellen, wie wir nur aus dem D07S196.3.21Erleben
unsere Kennt-
nis jedes geistigen Tatbestandes haben. Ein Gefühl, das wir nicht
D07S196.4.2er-
lebt haben, können wir in einem
anderen nicht wiederfinden. Aber für
die Ausbildung der Geisteswissenschaften ist nun entscheidend, daß
wir dem Subjekt, das in der Begrenzung des Körpers die Möglichkeit
von D07S196.2.12Erlebnissen
einschließt, allgemeine Prädikate, Attribute aus unse-
rem D07S196.3.22Erleben
zuteilen, welche den Ansatzpunkt zu den geisteswissen-
schaftlichen Kategorien in sich enthalten. Die formalen Kategorien
sahen wir entspringen aus den elementaren Denkleistungen. Es sind
Begriffe, die das durch diese Denkleistungen Auffaßbare repräsen-
tieren. Solche Begriffe sind Einheit, Vielheit, Gleichheit, Unterschied,
Grad, Beziehung. Sie sind Attribute der ganzen Wirklichkeit. Die realen
Kategorien ...
3. Der Zusammenhang des Lebens,
[S.198 Abenteuerleben]
S.199: "... Der Sinn des Lebens
liegt in der Gestaltung, in der Entwicklung; von hier aus bestimmt
sich die Bedeutung der Lebensmomente auf eine eigene Weise; sie
ist zugleich D07S199.4.3erlebter Eigenwert
des Momentes und dessen wirkende
Kraft."
S.200: "... Die Einheiten sind in den Konzeptionen von D07S200.2.13Erlebnissen
ge-
bildet, in denen Gegenwärtiges und Vergangenes durch eine gemein-
same Bedeutung zusammengehalten ist. Unter diesen D07S200.2.14Erlebnissen
sind
diejenigen, die für sich und den Zusammenhang des Lebens eine
be-
sondere Dignität haben, in der Erinnerung bewahrt und aus dem
end-
losen Fluß des Geschehenen und Vergessenen herausgehoben; und
ein
Zusammenhang ist im Leben selber gebildet worden, von verschiedenen
Standorten desselben aus, in beständigen Verschiebungen. Da ist
also das Geschäft historischer Darstellung schon durch das Leben
selber halb getan. Einheiten sind als D07S200.2.15Erlebnisse
geformt; aus der end-
losen, zahllosen Vielheit ist eine Auswahl dessen vorbereitet, was
dar-
stellungswürdig ist. Und zwischen diesen Gliedern ist ein Zusammen-
hang gesehen, der freilich nicht ein einfaches Abbild des realen
Lebensverlaufs so vieler Jahre sein kann, der es auch nicht sein will,
weil es sich eben um ein Verstehen handelt, der aber doch das aus-
spricht, was ein individuelles Leben selber von dem Zusammenhang
in ihm weiß."
Nachdem S. 194f nähere Begriffsbestimmungen zu Erlebnis und Erleben erfolgten, zuletzt bekräftigt S. 200 werden die weiteren Fundstellen nur mitgeteilt und bei Bedarf später ergänzt. |
S.201: "Ein Unterschied in ihrem Verhältnis zum Verstehen des Lebens-
verlaufs macht sich nun doch geltend. Die Eigenwerte, die im D07S196.2.16Er-
lebnis der Gegenwart und nur in
ihm erfahren werden, sind das pri-
mär Erfahrbare, aber sie stehen gesondert nebeneinander. Denn
jeder derselben entsteht im Bezug des Subjekts zu einem ihm gegen-
wärtigen Gegenstand in einer Gegenwart. (Dagegen verhalten wir
uns,
wenn wir einen Zweck setzen, zu einer Objektvorstellung, die realisiert
werden soll.) So stehen die Eigenwerte der D07S201.4.4erlebten
Gegenwart geson-
dert nebeneinander; sie sind nur vergleichbar miteinander, abschätz-
bar. Was sonst als Wert bezeichnet wird, bezeichnet nur Relationen
zu Eigenwerten. Schreiben wir einem Gegenstande einen objektiven
Wert zu, so sagt das nur, daß in seiner Realität verschiedene
Werte
D07S201.10.3erlebbar
sind. Schreiben wir ihm einen Wirkungswert zu, so wird er
[>202] nur als fähig bezeichnet, das Auftreten eines Wertes an
einer späteren
Stelle des Zeitverlaufs möglich zu machen. Dies alles sind rein
lo-
gische Relationen, in die der in der Gegenwart D07S199.4.5erlebte
Wert eintreten
kann.
...
... Kraft ist
in den Naturwissenschaften ein hypothetischer Begriff. Wird in ihnen
seine Geltung angenommen, so ist er durch das Kausalitätsprinzip
be-
stimmt. In den Geisteswissenschaften ist er der kategoriale Ausdruck
für ein D07S202.10.4Erlebbares.
Er entsteht, wenn wir uns der Zukunft entgegen-
wenden, es geschieht dies auf mannigfache Art. In Träumen von
kom-
mendem Glück, im Spiel der Phantasie mit Möglichkeiten, in
Bedenk-
lichkeit und Furcht. Nun aber fassen wir diese müßige Ausbreitung
unseres Daseins zu einer scharfen Spitze zusammen: inmitten solcher
Möglichkeiten entschließen wir uns zur Realisierung von
einer unter
ihnen. ..."
S.203: "Alle diese Kategorien des Lebens und der Geschichte sind Formen
von Aussage, welche — wenn auch noch nicht überall in Aussagen
über das D07S203.10.5Erlebbare,
doch in der Entwicklung durch andere Leistungen
eine allgemeine Anwendung auf geisteswissenschaftlichem Gebiet er-
langen. Sie entstammen aus dem D07S203.3.23Erleben
selbst. Sie sind nicht zu ihm
hinzutretende Arten der Formung, sondern die strukturellen Formen
des Lebens selbst in seinem zeitlichen Verlauf kommen in ihnen zum
Ausdruck auf Grund der formalen, in der Einheit des Bewußtseins
ge-
gründeten Operationen. Und das Subjekt dieser Kategorien innerhalb
der D07S203.13.1Erlebnissphäre?
Es ist zunächst der Lebensverlauf, der an einem
Körper sich abspielt und als ein Selbst in den Verhältnissen
von Inten-
tion und Hemmung derselben, von Druck der Außenwelt unterschieden
wird von dem Außen — dem D07S195.16.1Nichterlebbaren,
Fremden. Seine näheren
Bestimmungen aber erhält es eben von den dargelegten Prädizierungen,
und so sind alle unsere Aussagen schon in der Sphäre des D07S203.3.24Erlebens,
schon insofern sie ihren Gegenstand im Lebensverlauf haben und so-
nach der Natur der Aussage entsprechend von diesem Lebensverlauf
Prädikate aussprechen, zunächst nur Prädizierungen über
diesen be-
stimmten Lebenszusammenhang. Sie erhalten den Charakter des Ge-
meinsamen, Allgemeinen dadurch, daß sie zu ihrem Hintergrund
den
objektiven Geist haben und zu ihrem beständigen Korrelat die Auf-
fassung anderer Personen."
S.204:
"... So kann sich schließlich die
Selbstbiographie zu einem historischen Gemälde erweitern; und
nur
das gibt demselben seine Schranke, aber auch seine Bedeutung, daß
es vom D07S204.3.25Erleben
getragen ist und von dieser Tiefe aus das eigene Selbst
und dessen Beziehungen zur Welt sich verständlich macht. Die Besinnung
eines Menschen über sich selbst bleibt Richtpunkt und Grund-
lage."
S.205: "II. DAS VERSTEHEN ANDERER PERSONEN UND IHRER
LEBENSÄUSSERUNGEN
Das Verstehen und Deuten ist die Methode, welche
die Geistes-
wissenschaften erfüllt. Alle Funktionen vereinigen sich in ihm.
Es
enthält alle geisteswissenschaftlichen Wahrheiten in sich. An
jedem
Punkt öffnet das Verstehen eine Welt. [FN16)]
Auf der Grundlage des D07S205.3.26Erlebens
und des Verstehens seiner selbst,
und in beständiger Wechselwirkung beider miteinander, bildet sich
das Verstehen fremder Lebensäußerungen und Personen aus.
Auch
hier handelt es sich nicht um logische Konstruktion oder psychologische
Zergliederung, sondern um Analysis in wissenstheoretischer
Absicht. Es soll der Ertrag des Verstehens anderer für das historische
Wissen festgestellt werden.
1. Die Lebensäußerungen.
Das Gegebene sind hier immer Lebensäußerungen.
In der Sinnen-
welt auftretend, sind sie der Ausdruck eines Geistigen; so ermöglichen
sie uns, dieses zu erkennen. Ich verstehe hier unter Lebensäußerung
nicht nur die Ausdrücke, die etwas meinen oder bedeuten, sondern
ebenso diejenigen, die ohne solche Absicht als Ausdruck eines Geisti-
gen ein solches für uns verständlich machen.
Art und Ertrag des Verstehens ist verschieden nach
den Klassen
der Lebensäußerungen.
Die erste dieser Klassen bilden Begriffe, Urteile,
größere Denk-
gebilde. Sie haben als Bestandteile der Wissenschaft, ausgelöst
aus
dem D07S205.2.17Erlebnis,
in dem sie auftreten, in ihrer Angemessenheit an die
logische Norm einen gemeinsamen Grundcharakter. Dieser liegt in
ihrer Selbigkeit unabhängig von der Stelle im Denkzusammenhang,
an welcher sie auftreten. ..."
S.206: "Ganz anders der D07S20612.1Erlebnisausdruck!
Eine besondere Beziehung be-
steht zwischen ihm, dem Leben, aus dem er hervorgeht, und dem Ver-
stehen, das er erwirkt. Der Ausdruck kann nämlich vom seelischen
Zusammenhang mehr enthalten, als jede Introspektion gewahren kann.
Er hebt es aus Tiefen, die das Bewußtsein nicht erhellt. Es liegt
aber
zugleich in der Natur des D07S20612.2Erlebnisausdrucks,
daß die Beziehung zwi-
schen ihm und dem Geistigen, das in ihm ausgedrückt wird, nur
sehr
durchschnittlich dem Verstehen zugrunde gelegt werden darf. Er fällt
nicht unter das Urteil wahr oder falsch, aber unter das der Unwahr-
haftigkeit und Wahrhaftigkeit. Denn Verstellung, Lüge, Täuschung
durchbrechen hier die Beziehung zwischen Ausdruck und dem ausge-
drückten Geistigen.
Dabei aber macht sich nun ein wichtiger Unterschied
geltend, und
auf ihm beruht die höchste Bedeutung, zu der der D07S20612.3Erlebnisausdruck
in den Geisteswissenschaften sich erheben kann. Was aus dem Leben
des Tages entspringt, steht unter der Macht seiner Interessen. Was
..." [>207]
S.212: "... Ja nur dann wird er die volle Realität des hingestellten
Aus-
schnittes aus dem Leben genießen. Nur dann wird sich in ihm voll
ein
Vorgang des Verstehens und D07S212.15.1Nacherlebens
vollziehen, wie ihn der Dich-
ter in ihm hervorbringen will.
...
Das Verstehen hat immer ein Einzelnes zu seinem
Gegenstand. Und
in seinen höheren Formen schließt es nun aus dem induktiven
Zu-
sammennehmen des in einem Werk oder Leben zusammen Gegebenen
auf den Zusammenhang in einem Werk oder einer Person, einem Le-
bensverhältnis. Nun hat sich aber in der Analyse des D07S212.3.27Erlebens
und
des Verstehens unserer selbst ergeben, daß der Einzelne in der
geisti-
gen Welt ein Selbstwert ist, ja der einzige Selbstwert, den wir zweifel-
los feststellen können. ..."
S.213: "5. Hineinversetzen, Nachbilden, D07S213.15.2Nacherleben.
Die Stellung, die das höhere Verstehen seinem
Gegenstande gegen-
über einnimmt, ist bestimmt durch seine Aufgabe; einen Lebens-
zusammenhang im Gegebenen aufzufinden. Dies ist nur möglich, indem
[>214]
der Zusammenhang, der im eigenen D07S213.3.28Erleben
besteht und in unzähligen
Fällen erfahren ist, mit all den in ihm liegenden Möglichkeiten
immer
gegenwärtig und bereit ist. Diese in der Verständnisaufgabe
gegebene
Verfassung nennen wir ein Sichhineinversetzen, sei es in einen Men-
schen oder ein Werk. Dann wird jeder Vers eines Gedichtes durch
den innern Zusammenhang in dem D07S213.2.18Erlebnis,
von dem das Gedicht aus-
geht, in Leben zurückverwandelt. Möglichkeiten, die in der
Seele
liegen, werden von den durch die elementaren Verständnisleistungen
zur Auffassung gebrachten äußeren Worten hervorgerufen.
Die Seele
geht die gewohnten Bahnen, auf denen sie einst von verwandten Lebens-
lagen aus genoß und litt, verlangte und wirkte. Unzählige
Wege sind
offen in Vergangenheit und in Träume der Zukunft; von den gele-
senen Worten gehen unzählige Züge der Gedanken aus. Schon
indem
das Gedicht die äußere Situation angibt, wirkt dies darauf
begün-
stigend, daß die Worte des Dichters die ihr zugehörige Stimmung
her-
vorrufen. Auch hier macht sich das schon erwähnte Verhältnis
geltend,
nach welchem Ausdrücke des D07S213.3.29Erlebens
mehr enthalten, als im Be-
wußtsein des Dichters oder Künstlers liegt, und darum auch
mehr zu-
rückrufen. Wenn nun so aus der Stellung der Verständnisaufgabe
die
Präsenz des eigen D07S213.4.6erlebten
seelischen Zusammenhangs folgt, so be-
zeichnet man das auch als die Ü b e r t r a g u n g
des eigenen Selbst
in einen gegebenen Inbegriff von Lebensäußerungen.
Auf der Grundlage dieses Hineinversetzens, dieser Transposition
entsteht nun aber die höchste Art, in welcher die Totalität
des Seelen-
lebens im Verstehen wirksam ist — das Nachbilden oder D07S214.15.3Nacherleben.
Das Verstehen ist an sich eine dem Wirkungsverlauf selber inverse
Operation. Ein vollkommenes Mitleben ist daran gebunden, daß
das
Verständnis in der Linie des Geschehens selber fortgeht. Es rückt,
beständig fortschreitend, mit dem Lebensverlauf selber vorwärts.
So
erweitert sich der Vorgang des Sichhineinversetzens, der Transposition.
D07S212.15.4Nacherleben
ist das Schaffen in der Linie des Geschehens. So
gehen wir mit der Zeitgeschichte vorwärts, mit einem Ereignis
in einem
fernen Lande oder mit etwas, das in der Seele eines uns nahen Men-
sehen vorgeht. Seine Vollendung erreicht es, wo das Geschehnis durch
das Bewußtsein des Dichters, Künstlers oder Geschichtschreibers
hin-
durchgegangen ist und nun in einem Werk fixiert und dauernd vor
uns liegt.
Das lyrische Gedicht ermöglicht so in der Aufeinanderfolge
seiner
Verse das D07S212.15.5Nacherleben
eines D07S212.11.2Erlebniszusammenhanges:
nicht des wirk-
lichen, der den Dichter anregte, sondern dessen, den auf Grund von
ihm der Dichter einer idealen Person in den Mund legt. Die Aufein-
anderfolge der Szenen in einem Schauspiel ermöglicht das D07S212.15.6Nacherleben
[>215]
der Bruchstücke aus dem Lebensverlauf der auftretenden Personen.
Die
Erzählung des Romanschriftstellers oder Geschichtschreibers, die
dem
historischen Verlauf nachgeht, erwirkt in uns ein D07S212.15.7Nacherleben.
Der
Triumph des D07S215.15.8Nacherlebens
ist, daß in ihm die Fragmente eines Ver-
laufes so ergänzt werden, daß wir eine Kontinuität
vor uns zu haben
glauben.
Worin besteht nun aber dies D07S215.15.9Nacherleben?
Der Vorgang inter-
essiert uns hier nur in seiner Leistung; eine psychologische Erklärung
desselben soll nicht gegeben werden. So erörtern wir auch nicht
das
Verhältnis dieses Begriffes zu dem des Mitfühlens und dem
der Ein-
fühlung, obwohl der Zusammenhang derselben darin deutlich ist,
daß
das Mitfühlen die Energie des D07S215.15.10Nacherlebens
verstärkt.
Wir fassen die
bedeutsame Leistung dieses D07S215.15.11Nacherlebens
für unsere Aneignung der
geistigen Welt ins Auge. Sie beruht auf zwei Momenten. Jede lebhafte
Vergegenwärtigung eines Milieu und einer äußeren Lage
regt D07S215.15.12Nach-
erleben in uns an. Und die Phantasie
vermag die Betonung der in
unserem eigenen Lebenszusammenhang enthaltenen Verhaltungsweisen,
Kräfte, Gefühle, Strebungen, Ideenrichtungen zu verstärken
oder zu
vermindern und so jedes fremde Seelenleben nachzubilden. Die Bühne
tut sich auf. Richard erscheint, und eine bewegliche Seele kann nun,
indem sie seinen Worten, Mienen und Bewegungen folgt, etwas D07S215.15.13nach-
erleben, das außerhalb jeder
Möglichkeit ihres wirklichen realen Lebens
liegt. Der phantastische Wald in „Wie es euch gefällt" versetzt
uns
in eine Stimmung, die uns alle Exzentrizitäten nachbilden läßt.
Und in diesem D07S215.15.14Nacherleben
liegt nun ein bedeutender Teil. des
Erwerbs geistiger Dinge, den wir dem Geschichtschreiber und dem
Dichter verdanken. Der Lebensverlauf vollzieht an jedem Menschen
eine beständige Determination, in welcher die in ihm liegenden
Mög-
lichkeiten eingeschränkt werden. Die Gestaltung seines Wesens
be-
stimmt immer jedem seine Fortentwicklung. Kurz, er erfährt immer,
mag er nun die Festlegung seiner Lage oder die Form seines erworbe-
nen Lebenszusammenhanges in Betracht ziehen, daß der Umkreis
neuer
Ausblicke in das Leben und innerer Wendungen des persönlichen
Da-
seins ein eingegrenzter ist. Das Verstehen öffnet ihm nun ein
weites
Reich von Möglichkeiten, die in der Determination seines wirklichen
Lebens nicht vorhanden sind. Die Möglichkeit, in meiner eigenen
Existenz religiöse Zustände zu D07S215.3.30erleben,
ist für mich wie für die meisten
heutigen Menschen eng begrenzt. Aber indem ich die Briefe und
Schriften Luthers, die Berichte seiner Zeitgenossen, die Akten der
Religionsgespräche und Konzilien wie seines amtlichen Verkehrs
durch-
laufe, D07S215.3.31erlebe
ich einen religiösen Vorgang von einer solchen eruptiven
Gewalt, von einer solchen Energie, in der es um Leben und Tod geht
[>216]
daß er jenseits jeder D07S216.14Erlebnismöglichkeit
für
einen Menschen unserer
Tage liegt. Aber D07S216.15.15nacherleben
kann ich ihn. Ich versetze mich in die
Umstände: alles drängt in ihnen auf eine so außergewöhnliche
Ent-
wicklung des religiösen Gemütslebens. Ich sehe in den Klöstern
eine
Technik des Verkehrs mit der unsichtbaren Welt, welche den mön-
chischen Seelen eine beständige Richtung des Blicks auf die jen-
seitigen Dinge gibt: die theologischen Kontroversen werden hier zu
Fragen der inneren Existenz. Ich sehe, wie, was sich in den Klöstern
so bildet, durch unzählige Kanäle — Kanzeln, Beichte, Katheder,
Schriften — in die Laienwelt sich verbreitet; und nun gewahre ich,
wie Konzilien und religiöse Bewegungen die Lehre von der unsicht-
baren Kirche und dem allgemeinen Priestertum überallhin verbreitet
haben, wie sie zu der Befreiung der Persönlichkeit im weltlichen
Leben
in Verhältnis tritt; wie so das in der Einsamkeit der Zelle, in
Kämpfen
von der geschilderten Stärke Errungene der Kirche gegenüber
sich
behauptet. Christentum als eine Kraft, das Leben selbst in Familie,
Beruf, politischen Verhältnissen zu gestalten — das ist eine neue
Macht,
der der Geist der Zeit in den Städten und überall, wo höhere
Arbeit
getan wird, in Hans Sachs, in Dürer entgegenkommt. Indem Luther
an der Spitze dieser Bewegung dahingeht, D07S216.3.32erleben
wir auf Grund eines
Zusammenhangs, der vom Allgemeinmenschlichen zu der religiösen
Sphäre und von ihr durch deren historische Bestimmungen bis zu
seiner Individualität dringt, seine Entwicklung. Und so öffnet
uns
dieser Vorgang eine religiöse Welt in ihm und in den Genossen
der
ersten Reformationszeiten, die unseren Horizont in Möglichkeiten
von
Menschenleben erweitert, die nur so uns zugänglich werden. So
kann
der von innen determinierte Mensch in der Imagination viele andere
Existenzen D07S216.3.33erleben.
Vor dem durch die Umstände Beschränkten tun
sich fremde Schönheiten der Welt auf und Gegenden des Lebens,
die
er nie erreichen kann. Ganz allgemein ausgesprochen: der durch die
Realität des Lebens gebundene und bestimmte Mensch wird nicht
nur
durch die Kunst — was öfter entwickelt ist —, sondern auch durch
das
Verstehen des Geschichtlichen in Freiheit versetzt. Und diese Wirkung
der Geschichte, welche ihre modernsten Verkleinerer nicht gesehen
haben, wird erweitert und vertieft auf den weiteren Stufen des geschicht-
lichen Bewußtseins."
218: " Den Ausgangspunkt für die Feststellung
des Wirklichkeitswerts
geisteswissenschaftlicher Aussagen fanden wir im Charakter des D07S218.3.34Er-
lebens, das ein Innewerden von Wirklichkeit
ist. [FN18)]
Wenn nun das D07S218.3.35Erleben
zu aufmerksamer Bewußtheit in den ele-
mentaren Denkleistungen erhoben wird, so bemerken diese nur Ver-
hältnisse, die im D07S218.2.19Erlebnis
enthalten sind. Das diskursive Denken re-
präsentiert das im D07S218.3.36Erleben
Enthaltene. Das Verstehen beruht nun
primär auf der in jedem D07S218.2.20Erlebnis,
das als Verstehen charakterisiert
ist, enthaltenen Beziehung des Ausdrucks zu dem, was in ihm
ausgedrückt ist. Diese Beziehung ist erlebbar
in
ihrer von allen andern
unterschiedenen Eigenheit. Und da wir nun das enge Gebiet des D07S218.3.37Er-
lebens nur durch die Deutung der
Lebensäußerungen überschreiten:
so ergab sich uns die zentrale Leistung des Verstehens für den
Aufbau
der Geisteswissenschaften. Es zeigte sich aber auch, daß dasselbe
nicht
einfach als eine Denkleistung aufzufassen ist: Transposition, Nachbil-
den, D07S212.15.16Nacherleben
— diese Tatsachen wiesen auf die Totalität des
Seelenlebens hin, die in diesem Vorgang wirksam ist. Hierin steht es
mit dem D07S218.3.38Erleben
selbst in Zusammenhang, das eben nur ein Inne-
werden der ganzen seelischen Wirklichkeit in einer gegebenen Lage
ist. So ist in allem Verstehen ein Irrationales, wie das Leben selber
ein solches ist; es kann durch keine Formeln logischer Leistungen
repräsentiert werden. Und eine letzte, obwohl ganz subjektive
Sicher-
heit, die in diesem D07S212.15.17Nacherleben
liegt, vermag durch keine Prüfung
des Erkenntniswertes der Schlüsse ersetzt zu werden, in denen
der
Vorgang des Verstehens dargestellt werden kann. Das sind die Grenzen,
die der logischen Behandlung des Verstehens durch dessen Natur ge-
setzt sind."
220: "Im D07S220.3.39Erleben
war uns das eigene Selbst weder in der Form seines
Abflusses, noch in der Tiefe dessen, was es einschließt, erfaßbar.
Denn
wie eine Insel erhebt sich aus unzugänglichen Tiefen der kleine
Um-
kreis des bewußten Lebens. ..."
220f: "
.... Gewiß
haben wir nur ein Werk vor uns; dieses muß, um zu dauern, in
irgend-
einem Teil des Raumes fixiert sein: in Noten, in Buchstaben, in einem
Phonogramm oder ursprünglich in einem Gedächtnis; aber was
so fixiert
ist, ist eine Idealdarstellung eines Verlaufes, eines musikalischen
oder [>221]
dichterischen D07S221.11.3Erlebniszusammenhanges;
und was gewahren wir da?
Teile eines Ganzen, die in der Zeit vorwärts sich entwickeln.
...
In einem weiteren Sinne ist auch Musik Ausdruck
eines D07S221.2.21Erleb-
nisses. D07S221.2.22Erlebnis
bezeichnet hier jede Art von Verbindung einzelner
D07S221.2.23Erlebnisse
in Gegenwart und in Erinnerung, Ausdruck einen Phantasie-
vorgang, in welchem das D07S221.2.24Erlebnis
hineinscheint in die historisch fort-
entwickelte Welt der Töne, in der alle Mittel, Ausdruck zu sein,
sich
in der historischen Kontinuität der Tradition verbunden haben.
Dann ..."
222: "Auch könnte keine Musikgeschichte
etwas aussagen über die Art,
wie D07S222.2.25Erlebnis
zu Musik wird. Eben das ist ja die höchste Leistung der
Musik: daß das was in einer musikalischen Seele dunkel, unbestimmt,
ihres Selbst oft nicht merklich, vorgeht, absichtslos einen kristallklaren
Ausdruck im musikalischen Gebilde findet. Da ist keine Zwiefachheit
von D07S222.2.26Erlebnis
und Musik, keine doppelte Welt, kein Hinübertragen aus
der einen in die andere. Das Genie ist eben das Leben in der Ton-
sphäre, als wäre sie allein da, ein Vergessen jedes Schicksals
und jedes
Leides in dieser Tonwelt, und so doch, daß alles dieses darin
ist.
Auch gibt es nicht einen bestimmten Weg vom D07S222.3.40Erleben
zur Musik.
Wer die Musik erlebt — Erinnertes, flatternde Bilder, einst vergan-
gene unbestimmte Stimmungen, die in sie hineinreichen, mitten in die
Entzückungen des Schaffens — in sich vernimmt, der mag einmal
von
einer rhythmischen Erfindung, ein andermal von einer harmonischen
Folge ausgehn oder dann wieder vom D07S222.3.41Erleben.
In der ganzen Welt
der Kunst ist musikalisches Schaffen am strengsten an technische Re-
geln gebunden und am freiesten in der seelischen Regung."
224:
"2. D07S224.3.42ERLEBEN UND
VERSTEHEN
Aus dieser Darlegung folgt, daß die verschiedenen Arten des Auf-
fassens: Aufklärung, Abbildung und Repräsentation in diskursiven
Leistungen, zusammen eine Methode bilden, welche auf das Erfassen
und das Ausschöpfen des D07S224.2.27Erlebnisses
gerichtet ist. Da das D07S224.3.43Erleben
un-
ergründlich ist und kein Denken hinter dasselbe kommen kann, da
[>225]
das Erkennen selbst nur an ihm auftritt, da das Bewußtsein über
das
D07S225.3.44Erleben sich
mit diesem selber immer vertieft, so ist diese Aufgabe
unendlich, nicht in dem Sinn nur, daß sie immer weitere wissenschaft-
liche Leistungen fordert, sondern in dem, daß sie ihrer Natur
nach
unauflöslich ist. Nun tritt aber das Verstehen hinzu, eine ebenso
ur-
sprüngliche Aufgabe, wenn sie auch das D07S225.3.45Erleben
als
Methode voraus-
setzt. Sie bilden zwei Seiten des logischen Vorgangs, die ineinandergreifen."
S.16: "... Und endlich bestehen zwischen den Beziehungs-
arten selber regelmäßige Beziehungen, durch welche sie einen
psychi-
schen Zusammenhang ausmachen. Ich nenne diese Beziehungen innere,
weil sie in dem psychischen Verhalten als solchem gegründet sind;
Be-
ziehungsart und Verhaltungsweise entsprechen einander. Eine solche
innere Beziehung ist diejenige, in welcher im gegenständlichen
Auf-
fassen ein Verhalten zu einem inhaltlich Gegebenen steht. Oder die-
jenige, in welcher in der Zwecksetzung ein Verhalten zu inhaltlich
Ge-
gebenem als der Objektvorstellung der Zwecksetzung steht. Und innere
Beziehungen zwischen den Erlebnissen innerhalb einer Verhaltungs-
weise sind das Verhältnis des Repräsentierten zum Repräsentierenden
oder des Begründenden zum Begründeten im gegenständlichen
Auf-
fassen, oder die von Zweck und Mittel, von Entschließung und
Bin-
dung im willentlichen Verhalten. Diese Tatsache der inneren Beziehung
ist wie die ihr übergeordnete der Einheit eines Mannigfachen dem
psy-
chischen Leben ausschließlich eigen. Sie kann nur erfahren und
auf-
gewiesen, aber nicht definiert werden."
S.47: "Der Charakter von Struktur auf diesem
Gebiet ist durch einen
Grundzug in dem fühlenden Verhalten bedingt, auf den nur hinge-
wiesen, der nur bildlich ausgedrückt, aber nicht
definiert werden kann.
In dem gegenständlichen Auffassen ist in dem D07S47.2.28Erlebnis
eine Richtung
auf den Gegenstand enthalten und die verschiedenenD07S47.2.29Erlebnisse
sind
durch die Richtung auf Erfassung des Gegenstandes verbunden. ..."
S.67: "... Ich habe versprochen, muß also tun und entschließe
mich
zu tun. Bilde ich hier den Begriff eines mich bestimmenden Wertes von
Treue, Verläßlichkeit usw., so lassen sich diese Tugenden
nur definieren
durch das innere Verhältnis, in dem der Wille sich gebunden findet
und diese Bindung als zwingend anerkennt. ..."
S.92: "... Es folgt dann aus dem Aufbau der Naturwissenschaften,
daß
hier die Definitionen und Axiome,
die seine Grundlage bilden, der
Charakter der Notwendigkeit, der ihnen eigen ist, und das Kausal-
gesetz für die Erkenntnistheorie eine besondere Bedeutung gewinnen."
S.126: "... Aber auch die diesen elementaren Formen untergeordneten
Klassen von Leistungen des diskursiven Denkens, Vergleichung, Ana-
logieschluß, Induktion, Einteilung, Definition,
schließlich der Zusam-
menhang der Begründung sind unabhängig von der Abgrenzung
ein-
zelner Gebiete des Denkens, insbesondere der von Natur- und Geistes-
wissenschaften gegeneinander. ..."
S.230: "Das nächste Merkmal: das D07S230.2.30Erlebnis
ist ein qualitatives Sein — eine
Realität, die nicht durch das Innewerden definiert
werden kann, son-
dern auch in das hinabreicht, das nicht unterschieden besessen wird.
(NB: kann man sagen: besessen wird?) Das D07S230.2.31Erlebnis
eines Äußeren
oder Außenwelt ist für mich in ähnlicher Art da, in
welcher das, was
nicht aufgefaßt wird, nur erschlossen werden kann. (Ich sage:
mein D07S230.2.32Er-
lebnis enthält auch das, was
nicht merklich ist, und ich kann es auf-
klären.)"
S.295: "Die folgende Zergliederung der logischen
Operationen hat einen
durch die Aufgabe dieser Grundlegung eingeschränkten Zweck. Sie
will
die Frage nach der Möglichkeit eines objektiv notwendigen Wissens
in dem definierten Verstande beantworten."
S.324f: "... Ich unterscheide von den erschlossenen Regelmäßigkeiten
einer solchen
erklärenden Psychologie diejenigen, die ich als Struktur des seelischen
Zusammenhanges bezeichne. Dieser Zusammenhang enthält in sich
ein
festes System von Beziehungen seiner Glieder. Es ist dem anatomischen
Aufbau eines Körpers zu vergleichen. Es besteht in einer regelmäßigen
Anordnung der Bestandteile des psychischen Zusammenhanges. Die
Beziehungen in diesem System sind die von Teilen in und zu einem
[>325] Ganzen. Und sie sind in einem Sinne D07S325.10.6erlebbar,
den ich bald näher
defi-
nieren werde. Solche Strukturbeziehungen
bestehen zwischen weit von-
einander abstehenden D07S325.2.33Erlebnissen.
So kann der Beschluß, in dem ich
mir einen Lebensplan vorzeichne, strukturell mit einer langen Reihe
von Handlungen verbunden sein, die in vielen Jahren und in weiten
Abständen von ihm selber auftreten. Diese Eigenschaft der Struktur
ist
von der höchsten Bedeutung. ..."
S.356 Anmerkungen:
"7. Hier folgt ein eingelegtes Blatt (Fasz. 54:
122), als Bogen I a
bezeichnet: „Die erste Aufgabe ist das, was in den Worten, D07S356.3.46Erleben,
Ausdruck und Verstehen gemeint ist, festzustellen und die so definierten
drei Tatbestände durch Besinnung auf sie in das deutlichste Bewußt-
sein zu erheben.
Ich beginne mit dem Leben.
Das klar abgegrenzte und in sich abgeschlossene
Geschehen, das
in jedem geisteswissenschaftlichen Begriff enthalten ist, ist der Lebens-
verlauf. Unter ihm ist der Zusammenhang verstanden, der von Geburt
und Tod umgrenzt ist. Was verstehen wir unter diesem Zusammen-
hang? Für das empirische Bewußtsein ist derselbe zunächst
da in dem
Bestande der Person, während ihrer Lebenszeit, und zwar ist dieser
Be-
stand ununterbrochen kontinuierlich, weil er an der sinnlichen Erschei-
nung der Person haftet. Aber er ist nur das für uns erste. Wir
sind
eben gewohnt" ... (Manuskript bricht hier ab.)
8. Folgen einige skizzenhafte mit Bleistift geschriebene
Bemer-
kungen von der Hand Diltheys, beginnend mit: „Erlebnis im Mittel-
alter" vgl. im übrigen zu dem vorhergehenden und zu dem nachfol-
genden: Schriften Bd. V. LXXXI I I f. (Vorbericht des Herausgebers.)
9. Eigenhändige Einfügung Diltheys: „Die
Gestaltung, die ein
Geschehnis erhält, wenn die Bedeutung seiner Bestandteile durch
das
Stück Leben, das vorliegt, herausgehoben wird, konstituiert das
poe-
tische Ganze. Und da dieser Zusammenhang am Geschehnis zugleich
in sich ein Stück Bedeutung des Lebens enthält, so wird das
Gescheh-
nis symbolisch. Nicht durch irgendeinen Extrazug der Poesie, son-
dern weil es im Leben so ist. Und die Technik dadurch bestimmt."
Diltheys
Theorie des menschlichen Lebens - Einschub aus Bd.
05
Der Grundmotor des Lebens liegt nach Dilthey: "... Triebe und Gefühle bilden sonach das eigentliche A g e n s, welches v o r w ä r t s t r e i b t; die Zweckmässigkeit und der Zusammenhang, ... (S. 70) Zu meiner Überraschung zeigt sich Dilthey als Hedonist, was sich in folgenden Äußerungen ausdrückt: "Hat doch nur das im Gefühl Erlebte einen Werth für uns" Und: "Und zwar vollzieht sich diese Vervollkommnung in den Formen der Differenzirung und der Herstellung von höheren Verbindungen. Sie besteht aber eben in dem grösseren Vermögen, Lebensfülle, Trieberfüllung und Glück herbeizuführen. ...". (S. 70). Dazu passt auch: "Der seelische [>72] Structurzusammenhang ist darum zweckmässig, weil er Lebenswerthe zu entwickeln, festzuhalten und zu steigern die Tendenz hat." Noch überraschter war ich von Diltheys Vorwegnahme der Selbstverwirklichungsidee, die im letzten Viertel des 21. Jhd so eine große Rolle im Zusammenhang mit Psychotherapiebewegung: spielte "Aus-[1387]leben dessen, was in uns liegt, das erscheint uns als der Werth unseres Daseins." (S. 71) Das menschliche Leben besteht aus einer ununterbrochenen Folge von Erlebnissen und entwickelt sich in mehreren Stadien (> Entwicklungspunkte) zweckmäßig, die Dilthey Epochen nennt, z.B. Kindheit, Jünglingszeit, Mannesalter, Greisenalter. Schlüsselbegriffe (14p, fett, kursiv) - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - markiert: Begriff von Entwickelung, Begriff des Lebenswerthes, entwickeln, Entwickelung, Epoche, Erlebt, Gestalt des Seelenlebens, innere Erfahrung, Lebensepochen, Lebenswerthe, Lebenswirklichkeit, Lebenszusammenhangs, regelmässige Abfolge der Vorgänge, Struktur, Structurzusammenhang, Theorie, Werthe, Werth des Lebens, Zweckmässigkeit Dilthey empfohlener Text-Einschub aus Band 05 05-207ff [S.70ff]: "... Triebe und Gefühle bilden
sonach das eigentliche A g e n s, welches
v o r w ä r t s t r e i b t; die Zweckmässigkeit
und der Zusammenhang, welche in dem Verhältniss dieser
Triebe und Gefühle einerseits zu den intellectuellen Vorgängen
und andererseits
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korrigiert: 23.11.2022 irs Rechtschreibprüfung / 24./25.11.2022 gelesen