Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=01.09.2022 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 14.09.22
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20     D-91052 Erlangen  Mail: sekretariat@sgipt_ Zitierung  &  Copyright

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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und integrative Psychotherapie, Abteilung Forschung,
    Bereich Begriffsanalysen und hier speziell zum Thema :

    Evidenz
    Sammlung von Arbeiten und Ausführungen zur Evidenz
    sowie einem Definitionsvorschlag

    Recherche und Originalarbeit von Rudolf Sponsel, Erlangen

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    Zum Geleit:
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    "... Nun müssen diejenigen, 
    welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, 
    etwas voneinander verstehen; 
    denn wie könnte denn,
    wenn dies nicht stattfindet,
    ein gegenseitiger Gedankenaustausch (...)
    möglich sein? 
    Es muß also jedes Wort (...) bekannt sein
    und etwas, und zwar eins
    und nicht mehreres, bezeichnen;
    hat es mehrere Bedeutungen, 
    so muß man erklären, 
    in welcher von diesen man das Wort gebraucht. ..."

    Aus: Aristoteles (384-322) Metaphysik. 11. Buch, 5 Kap., S. 244 
    (Rowohlts Klassiker 1966)

    Leider verstehen viele Philosophen, Juristen, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler auch nach 2300 Jahren Aristoteles immer noch nicht, wie Wissenschaft elementar funktionieren muss: Wer wichtige Begriffe gebraucht, muss sie beim ersten Gebrauch (Grundregeln Begriffe) klar und verständlich erklären und vor allem auch referenzieren  können, sonst bleibt alles Schwall und Rauch (sch^3-Syndrom). Wer über irgendeinen Sachverhalt etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, wie er diesen Sachverhalt begrifflich fasst, auch wenn dies manchmal nicht einfach ist. Wer also über Gewissheit etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, was er unter "Gewissheit" verstehen will. Das ist zwar nicht einfach, aber wenn die Philosophie eine Wissenschaft wäre und und die PhilosophInnen Aristoteles ernst nehmen würden, dann hätten sie das in ihrer 2300jährigen Geschichte längst zustande bringen müssen. Im übrigen sind informative Prädikationen mit Beispielen und Gegenbeispielen immer möglich, wenn keine vollständige oder richtige Definition gelingt (Beispiel Gewissheit  und  Evidenz).  Begriffsbasis  Damit werden all die Begriffe bezeichnet, die zum Verständnis oder zur Erklärung eines Begriffes wichtig sind. Bloße Nennungen oder Erwähnungen sind keine Lösung, sondern eröffenen lediglich Begriffsverschiebebahnhöfe. Die Erklärung der Begriffsbasis soll einerseits das Anfangs- problem  praktisch-pragmatisch und andererseits das  Begriffsverschiebebahnhofsproblem  lösen.



    Editorial
    Weil Evidenz und  Gewißheit  in vielen Arbeiten so nahe beieinander liegen oder aufeinander bezogen sind, wird hier zum noch besseren Verständnis des Gewissheitsbegriffs  eine Sammlung zum Evidenzbegriff angeboten mit einem  Definitionsvorschlag  meinerseits. Nicht selten wird von Gewißheit auf Evidenz verwiesen und umgekehrt. Hier liegt dann - öfter ein zirkulärer - Begriffsverschiebebahnhof  vor.


    Zusammenfassung-Evidenzbegriff
    Wie man den Belegen entnehmen kann, hängen Gewißheit und Evidenz eng zusammen. Allerdings wird in keinem der hier erfassten Werke wirklich wissenschaftlich verständlich, nachvollziehbar und zirkelfrei erklärt oder begründet, was es genau mit der Evidenz auf sich hat. Die Quellen strotzen nur so von  Begriffsverschiebebahnhöfen.  Das hängt auch mit dem  Anfangsproblem  zusammen, das in der Wissenschaftstheorie bis heute noch nicht geklärt ist. Da man nicht immer bei Adam und Eva anfangen kann oder will, ist es wichtig, eine wissenschaftlich pragmatische und sinnvolle Lösung zu finden, wozu ich einen Vorschlag gemacht habe, nämlich die  Begriffsbasis  ausweisen. Wie das am Beispiel des Evidenzbegriffs gehen kann, habe ich unten gezeigt.

    Sammlung von Arbeiten und Ausführungen zur Evidenz
    Verlinkt = ausgewertet, grau vorgesehen / in Arbeit
     
    AutorIn Zusammenfassung, Belege Fachgebiet Arbeit (Kürzel)
    Arnauld & Nicole Logikschule Port Royal Buch Logik oder die Kunst des Denkens (1662)
    Arnold, Eysenck, Meili Psychologie Wörterbuch (3 Bde.)
    Berka & Kreiser Logik Logik-Texte / Geschichte der Logik
    Bischof Psychologie Psychologie 2009, HBPsy Erkenntnistheor. 1966
    Brentano Philosophie Psychologie, Philosophie
    Dorsch Psychologie Lexikon
    Duden Sprache Fachbücher
    Dürr Psychologie Über die Grenzen der Gewißheit
    Eisler Philosophie Wörterbuch
    Hehlmann Psychologie Wörterbuch
    Held Philosophie Historisches Wörterbuch der Philsophie
    Hillmann Soziologie Wörterbuch
    Hoffmeister Philosophie Wörterbuch
    Klaus & Buhr Philosophie Wörterbuch (marx. orientiert)
    Kondakow Logik Wörterbuch (marx. orientiert)
    Külpe Psychologie 3 Bde Die Realisierung
    Mittelstraß (Hrsg.) Wissenschaftstheorie Enzyklopädie
    Peirce Semiotik, Phil, Math, Logik 2 Bde. zum Pragmatismus
    Popper Wissenschaftstheorie Bücher Logik d.F., obj. Erkenntnis
    Ricken (Hrsg.) Philosophie Wörterbuch Erkenntnistheorie
    Schmidt, Heinrich Philosophie Wörterbuch 1916, 2. A.
    Schmidt/Schischkoff Philosophie Wörterbuch 1961, 16. A.
    Sigwart Logik 2 Bde. Logik
    Sponsel Psychologie IP-GIPT Gewissheit
    Stegmüller Wissenschaftstheorie Kapitel in Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft



    Arnauld, Antoine & Nicole, Pierre (dt. 1972, fr. 1662f). Die Logik oder Kunst des Denkens [Die Logik von Port-Royal]. Übersetzt und eingeleitet von Christos Axelos. Darmstadt: WBG.



    Evidenz im Lexikon der Psychologie von Arnold, Eysenck & Meili (1987)
    Arnold, Wilhelm; Eysenck, Hans Jürgen & Meili, Richard (1974 ff). Lexikon der Psychologie. Freiburg: Herder.

    Zusammenfassung-Arnold:  ""Evidenz, die subjektive Gewißheit einer Gegebenheit bzw. das Einleuchten eines Sachverhalts, erlebt als unmittelbare Einsicht in die Qualitäten oder Dimensionen eines Tatbestandes oder die Wahrheit eines Urteils. ... Jede Argumentation für die E. führt in einen Circulus vitiosus, weil sie ihre Anerkennung voraussetzen muß. H. Drüe"
    Hier werden einige  Begriffsverschiebebahnhöfe  eingerichtet: subjektive Gewißheit [zu der es keinen Eintrag gibt, obwohl hier in markanter Erklärungsposition verwendet], unmittelbar, Einsicht, unmittelbare Einsicht, Einleuchten, Sachverhalt. Zur Begriffsbasis gehören weiter: Gegebenheit, Sachverhalt, Qualitäten, Dimensionen, Tatbestand, Wahrheit, Urteil, Wahrheit eines Urteils, innere Wahrnehmung u.a.m. Stark ist die kritische Behauptung: "Jede Argumentation für die E. führt in einen Circulus vitiosus, weil sie ihre Anerkennung voraussetzen muß".

    "Evidenz, die subjektive Gewißheit einer Gegebenheit bzw. das Einleuchten eines Sachverhalts, erlebt als unmittelbare Einsicht in die Qualitäten oder Dimensionen eines Tatbestandes oder die Wahrheit eines Urteils. E. wird insbesondere geltend gemacht; a) in der Logik, b) im Falle der inneren Wahrnehmung, c) im weiteren auch in der äußeren Anschauung bei Wahrnehmungsurteilen.- Einwände gegen die Verläßlichkeit der E.: Für den Bereich der äußeren Wahrnehmung werden in erster Linie die optischen Täuschungen genannt; für die innere Wahrnehmung wird auf die intersubjektiven Demonstrationsschwierigkeiten ihrer Einsichten verwiesen; für den Bereich der Logik gilt, daß ein Erlebnis der Nötigung noch kein Kriterium der Wahrheit oder Falschheit abgibt. - Die Anerkennung der E. als Fundierung der Wahrheit von Urteilen geht davon aus, daß die beurteilten logischen, psychischen oder gegenständlichen Sachverhalte von den zugehörigen Akten voll erreicht werden. Es kann jedoch in jedem Einzelfall bezweifelt werden, ob eine solche adäquate Gegebenheitsweise vorliegt. Der Wahrheitsgehalt jeder E. bleibt problematisch; der Täuschungseinwand ist prinzipiell nicht aufzuheben. Statt daß E. als letzte Instanz einer Begründungskette beansprucht werden kann, bedarf sie selbst der Begründung, die jedoch nicht durchgeführt werden kann: Jede Argumentation für die E. führt in einen Circulus vitiosus, weil sie ihre Anerkennung voraussetzen muß. H. Drüe"


    Evidenzprinzip in der Logik  (Berka)
    Berka, Karel & Kreiser, Lothar (1971). Logik-Texte. Kommentierte Auswahl zur Geschichte der modernen Logik. Berlin: Akademie.
    S.274: "Die Entstehung Nicht-Euklidischer Geometrien im XIX. Jahrhundert erschütterte das Vertrauen in das Evidenzprinzip, das seit Aristoteles als hinreichendes Kriterium für die Auswahl von Axiomen in einem deduktiven System galt."
        Kommentar: Das Aristoteles zugeschriebene Evidenzprinzp wird weder belegt noch erläutert, auch nicht durch Querverweis, Fußnote, Anmerkung oder Literaturhinweis. Anmerkung: In Bochenskis [Geschichte] Formale Logik (1962, 2.A.) findet sich im Sachregister auch kein Eintrag "Evidenzprinzip".
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    Evidenz bei Norbert Bischof 2009 und 1966
    Bischof, Norbert (2009) Psychologie. Ein Grundkurs für Anspruchsvolle. 2. durchgesehene Auflage. Stuttgart. Kohlhammer.

    Zusammenfassung-Bischof-2009: Sachregistereinträge Evidenz: 24, 38, 88, 91f, 110, 134-136, 568. Die Sachregistereinträge führen zu insgesamt 18 Fundstellen. Von den 18 Fundstellen sind 5 "Evidenzgefühl", was nahelegt, dass Bischofs Evidenzbegriff eine deutliche bis starke Gefühlskomponente enthält. Der Evidenzbegriff selbst wird nicht eigens erklärt, auch nicht durch Querverweis, Fußnote, Anmerkung oder Literaturhinweis. Das kann man zwar auch so deuten, dass Bischof den Evidenzbegriff für allgemeinverständlich und nicht weiter erklärungs- oder begründungsbedürftig hält, was ich aber nicht glaube. S.91 gebraucht den  Begriffsverschiebebahnhof  "einleuchtend". Es gäbe falsche Evidenzen (S. 91) und Evidenzgrade (S. 136, S. 568), die leider nicht näher ausgeführt werden. Evidenz sei nicht zuverlässiger als ein Schwangerschaftstest (S. 91). Nachdem der Evidenbegriff für "unerlässlich" (S.134) befunden wird, wäre es umso nötiger gewesen, ihn genau zu erklären oder sogar zu definieren (>Sponsel). Eine besondere Bedeutung nimmt der fälschlich Brunswik zugeschriebene Begriff der  Veridikalität  (S. 91) ein, dem es nach meinem Verständnis auch an differentieller Klarheit fehlt.
    > Ausführliche Doku in ausgelagerter, eigener Datei.

    Zusammenfassung-Bischof-HB-1966: Die beiden Sachregistereinträge : Evidenz 316, 319 beziehen sich auf das Kapitel 10 Psychophysik der Raumwahrnehmung, Abschnitt 4. Funktionale und evidente phänomenal-räumliche Bezugssysteme und Abschnitt 5. Physikalische und phänomenale Raumstruktur von Norbert Bischof. Die Seiten 316-319 enthalten 25 Fundstellen zum Suchtext "eviden". Durchsucht man das gesamte Kapitel 10 von Norbert Bischof im Handbuch mit dem Suchtext "eviden", werden 45 Treffer erzielt. Die ersten 2 Treffer betreffen Einträge im Inhaltsverzeichnis, so dass noch 43 Treffer im Text mit 3 in Fußnoten übrig bleiben. Ich habe mir die ersten 17 Fundstellen näher angesehen und gehe davon aus, was in diesen ersten 17 Fundstellen begrifflich nicht geklärt wurde, wird auch in den weiteren Fundstellen nicht geklärt werden.
    Fazit: Bischof (1966) erklärt in den ersten 17 Fundstellen nicht, was er unter Evidenz und unter Graden der Evidenz versteht, wie man das feststellen und referenzieren kann.
    > Ausführliche Doku in ausgelagerter, eigener Datei.
     



    Evidenz bei Brentano
    Ich habe zwei Arbeiten von Brentano auf den Evidenzbegriff untersucht.

    Zusammenfassung-Evidenz-PeS-1924: Das Werk, Psychologie vom empirischen Standpunkt, hat in den ersten vier Kapiteln der Erstausgabe von 1874, 33 Fundstellen mit Evidenz, die ersten 9 und die letzten 4 sind vom Herausgeber, so dass für Brentano 20 verbleiben. Der Begriff Evidenz wird das erste Mal S.28 gebraucht: "Anderes gilt von den Phänomenen der inneren Wahrnehmung. Diese sind wahr in sich selbst. Wie sie erscheinen — dafür bürgt die Evidenz, mit der sie wahrgenommen werden —, so sind sie auch in Wirklichkeit." Die wissenschaftliche  Grundregel, wichtige Begriffe beim ersten Gebrauch zu erklären, wird von Brentano hier nicht eingehalten. Bei der Vielfalt und dem Durcheinander, das sich um den Evidenzbegriff in der Geistesgeschichte rankt, darf er aber davon gewiss ;-) nicht ausgehen. Er hätte sich mit dem Begriff der Evidenz ausführlich auseinandersetzen und ihn ordentlich einführen müssen. > Ausführliche Doku in ausgelagerter, eigener Datei.

    Zusammenfassung-Evidenz-WuE-1930: Der Text von 1930 Wahrheit und Evidenz, S.122-164, enthält 79 Treffer "Evidenz" ohne Treffer beim Herausgeber, Titel und Inhaltsverzeichnis. Evidenz wird S. 125 zum ersten Mal verwendet, aber nicht erklärt, es gibt auch keinen Querverweis, keine Fußnote, Anmerkung oder Literaturhinweis. Die wissenschaftliche  Grundregel, wichtige Begriffe beim ersten Gebrauch zu erklären, wird von Brentano hier nicht eingehalten. Vermutlich setzt Brentano an dieser Stelle die Kenntnis seines oder des Evidenzbegriffes voraus. Auch S.135, 10 Seiten nach dem ersten Gebrauch, bleibt der Begriffsinhalt von Evidenz im Dunklen. S.137 werden zwei neue Spezifikationen, scheinbare und wirkliche Evidenz eingeführt, aber so wenig erklärt, wie der Grundbegriff selbst. S.141: Der Evidenzbegriff ist nach wie vor ungeklärt und in diesem Zusammenhang besonders unverständlich. S.142-2: Hier wird empfohlen, um weiter zu kommen, evidente und nicht evidente Urteile vergleichend einander gegenüber zu stellen. Das klingst sehr vernünftig, aber warum tut Brentano das nicht, sondern belässt es beim Programmentwurf? Erneut wird von wirklicher Evidenz gesprochen. > Ausführliche Doku in ausgelagerter, eigener Datei.
     



    Evidenz im Lexikon der Psychologie von Dorsch
    Abruf: 01.09.2022

    Zusammenfassung-Dorsch: "Augenscheinlichkeit; höchste Gewissheit, einleuchtende Erkenntnis, unmittelbare Einsicht in das Gegebene mit der Gewissheit der Richtigkeit."
    Hier werden einige Begriffsverschiebebahnhöfe eingerichtet, die auch zur Begriffsbasis gehören: höchste Gewissheit, einleuchtende Erkenntnis, unmittelbare Einsicht in das Gegebene mit der Gewissheit der Richtigkeit.

    "Evidenz (= E.) [engl. evidence; lat. evidens augenscheinlich, einleuchtend], [KOG, WA], Augenscheinlichkeit; höchste Gewissheit, einleuchtende Erkenntnis, unmittelbare Einsicht in das Gegebene mit der Gewissheit der Richtigkeit. Es gibt für mentale Strukturen mind. drei Formen der verfügbaren E.: die des Verhaltens (behavioral), die phänomenale und die physiol. (erlebnismäßig aus der Selbstwahrnehmung stammend). Häufig wird diese Basis, spez. in der Ps., als genügender Beweis für die Richtigkeit der Erkenntnis eines Vorgangs hingenommen.
    Optische Täuschung zeigt aber, dass z. B. metrisch obj. gleich lange Strecken evident verschieden lang erlebt werden (Müller-Lyer’sche Täuschung). Ebenso kann einem phänomenalen Kausalzusammenhang, z. B. Verschiebung eines Gegenstandes durch einen anderen (Michotte), kein faktischer Zusammenhang entsprechen (wie auch viele Geschicklichkeitsspiele der Zauberer zeigen). Dies impliziert, dass in einer empirischen Wissenschaft wie der Ps. die Phänomene einer Analyse unterzogen werden müssen, damit gesichert wird, ob dieser Evidenz eine funktionale Abhängigkeit entspricht. common sense.
    [FSE, KLI, PÄD, PHA], Evidenzbasierung.



    Evidenz und evident im Duden
    Abruf: 01.09.2022
     
      Evident
      ...
      Bedeutungen (2)
              1.a) unmittelbar einleuchtend, keines Beweises bedürfend
              Gebrauch   bildungssprachlich
              Beispiel
              -  eine evidente Aussage

              1.b) augenfällig, offenkundig
              Gebrauch   bildungssprachlich

              Beispiele
              -  eine evidente Tatsache
              -  seine Dummheit ist evident
              -  es ist evident, dass dem so ist
              -  sie ist evident benachteiligt
      ...
      Synonyme zu evident


      Evidenz die
      ...
      Bedeutungen (3)
       

        1.a) das Evidentsein; unmittelbare und vollständige Einsichtigkeit, Deutlichkeit, Gewissheit
        Herkunft     lateinisch evidentia
        Gebrauch    bildungssprachlich
        Grammatik  ohne Plural
        Beispiel
        -  die Evidenz dieser Tatsache
         
        1.b.) unumstößliche Tatsache, faktische Gegebenheit
        Beispiel
        -  aller empirischen Evidenz zum Trotz hält er an dieser Theorie fest
        ...
        3. empirisch erbrachter Nachweis der Wirksamkeit eines Präparats, einer Therapieform o. Ä.
        Herkunft    englisch evidence
        Gebrauch   Medizin, Pharmazie
        Beispiel
        -  bisher gibt es keine Evidenz für Ginkgopräparate gegen Tinnitus
        Synonyme zu Evidenz




    Dürr über Evidenz in die Grenzen der Gewissheit
    Dürr, Ernst (1903) Über die Grenzen der Gewissheit. Leipzig: Dürr'sche Buchhandlung. [Privatdozent in Würzburg; Biographisches]

    Zusammenfassung-Dürr-1903-Evidenz
    Evidenz: 2 Fundstellen, evident keine. Dürr erklärt nicht, was er unter Evidenz verstehen will, er gibt keinen Querverweis, keine Fußnote, Anmerkung oder einen Literaturhinweis zur Evidenz an. Evidenz ist nach S.45 ein Erlebnis.  S.47 behauptet, ohne Beispiel und Beleg, "dass auch nicht anschauliche Bedeutungen2) von Wörtern als gleich und verschieden mit Evidenz beurteilt werden können ..."
    2) Auf die Erweiterung des Begriffs Anschauung, wie sie Husserl (Logische Untersuchungen II p. 600 ff.) vorschlägt, soll hier nicht näher eingegangen werden.
    Die Belege werden mit der Dokumentation zur Gewissheit präsentiert.


    Evidenz in Eislers Wörterbuch der philosophischen Begriffe
    Quelle: https://www.textlog.de/3979

    Zusammenfassung Eisler: "Evidenz (evidentia) Augenscheinlichkeit, Einsicht, intuitiv fundierte Gewißheit, unmittelbare Gewißheit des anschaulich Eingesehenen oder des notwendig zu Denkenden."
    Hier werden einige Begriffsverschiebebahnhöfe eingerichtet, wobei "des notwendig zu Denkenden" gar nicht erklärt wird.

    "Evidenz (evidentia): Augenscheinlichkeit, Einsicht, intuitiv fundierte Gewißheit, unmittelbare Gewißheit des anschaulich Eingesehenen oder des notwendig zu Denkenden.
        EPIKUR setzt alle Evidenz enargeia in die Sinneswahrnehmung (Diog. L. X, 52), die als solche immer wahr sei (I. e. 32; Sext. Empir. adv. Math. VII, 203, VIII, 63 squ.). DESCARTES verlegt die Evidenz in die »Klarheit und Deutlichkeit« (s. d.) des Denkens. Auch MALEBRANCHE erklärt: »Evidence ne consiste que dans la rue claire et distincte de toutes les parties et de tous les rapports de l'objet, qui sont nécessaires pour porter un jugement assuré« (Rech. I, 2). LEIBNIZ erklärt die Evidenz als lichtvolle Gewißheit, die aus der Verbindung von Vorstellungen resultiert (Nouv. Ess. IV, ch. 11, § 10). Nach LOCKE beruht alle Evidenz auf der Anschauung: »It is in this intuition that depends all the certainly and evidence of all our knowledge« (Ess. IV, ch. 2, § 1). COLLIER (Clav. univ. p. 12) und die schottische Schule sprechen von apriorischen (s. d.) »self-evident truths«, von in sich evidenten Wahrheiten. Nach REID ist Evidenz alles, was einen Grund des Glaubens bildet (Ess. on the int. pow. of man I, p. 323). D'ALEMBERT bemerkt: »L'évidence appartient proprement aux idées dont l'esprit aperçoit la liaison tout d'un coup« (Disc. prél. p. 51). J. EBERT: »Man pflegt diejenige Deutlichkeit eines Satzes, die hinlänglich ist, die Wahrheit desselben einzusehen, Evidenz zu nennen« (Vernunftl. S. 127). Bei KANT führt die Evidenz auf ein Apriori (s. d.) des Erkennens zurück. Vgl. MENDELSSOHN, Üb. d. Evidenz in metaph. Wiss., Ges. Schrift. II.
        Von einem »Evidenz- oder Überzeugungsgefühl« spricht SCHLEIERMACHER (Dial., zu § 88). A. LANGE beschränkt die unmittelbare Evidenz auf die Raumanschauung (Log. Stud. S. 9 f.). ULRICI versteht unter Evidenz »die objektive Denknotwendigkeit« (Log. S. 32). Nach SIGWART bekundet sich im Bewußtsein der Evidenz »die Fähigkeit, objektiv notwendiges Denken von nicht notwendigem zu unterscheiden« (Log. I2, 94). WUNDT betont, daß »nie den einzelnen Bestandteilen des Denkens, den Begriffen, für sich Evidenz zukommt, sondern daß die letztere immer erst aus der Verknüpfung der Begriffe hervorgehen kann« (Log. I, 74). »Die unmittelbare Evidenz unseres Denkens hat... ihre Quelle stets in der unmittelbaren Anschauung« (l.c. S. 75). Doch ruht die Evidenz, d.h. die logische Gewißheit, auf der Sicherheit der Denkergebnisse. Das Denken muß »zwischen den Gliedern der Vorstellung hin und her gehen und sie messend miteinander vergleichen, damit aus der Anschauung die Evidenz hervorgehe«. »So ist überhaupt die Anschauung nur die Gelegenheitsursache der unmittelbaren Evidenz, der eigentliche Grund derselben liegt aber in dem verknüpfenden und vergleichenden Denken« (l.c. S. 77). Während sich die unmittelbare Evidenz auf das ursprüngliche Denkmaterial bezieht, geht die mittelbare auf den bereits verarbeiteten Stoff (ib.). SCHUPPE setzt Evidenz und. Anschaulichkeit einander gleich (Log. S. 89). BRENTANO nimmt (wie schon HERBART, ALLIHN, Gr. d. allg. Eth. S. 38, U. a.) eine Evidenz der sittlichen (s. d.) Urteile an (Intuitionismus, s. d.). Nach HUSSERL ist überall da von Evidenzen im laxen Sinne die Rede, »wo immer eine setzende Intention (zumal eine behauptende) ihre Bestätigung durch eine korrespondierende und voll angepaßte Wahrnehmung, sei es auch eine passende Synthesis zusammenhängender Einzelwahrnehmungen, findet« (Log. Unt. II, 593). Im engeren Sinne ist Evidenz der Akt der vollkommensten »Erfüllungssynthesis« zur Intention (s. d.) (ib.). Ihr objektives Korrelat ist das Sein im Sinne der Wahrheit (ib.). Vgl. Gewißheit."



    Evidenz im Wörterbuch der Psychologie von Hehlmann 3. A. 1966
    "Evidenz (lat.), „Hervorscheinen“; die unmittelbar einleuchtende Gewißheit, z. B. das Cogito sum des Descartes. Evident ist (nach Husserl) „das Selbstverständliche“."
    Hier werden einige  Begriffsverschiebebahnhöfe  eingerichtet: unmittelbar, einleuchtend, Gewißheit, cogito sum, das Selbstverständliche."



    Held: Evidenz im Historischen Wörterbuch der Philosophie

    Zusammenfassung-Evidenz-im Historischen Wörterbuch der Philosophie
    Die Begriffsgeschichte beginnt I. mit Ciceros Einführung in das Lataeinische, berichtet dann über den antiken griechischen Gebrauch (Epikur, Stoa) und kommt dann zur Scholastik, Descartes, Malebranche, Fichte, Brentano, Husserl, Sartre, Neo/ Positivismus. In II. wird Husserl und die Phänomenologie abgehandelt. Zu Beginn der mehrspaltigen Darstellung wird ausgeführt:

      "Evidenz (evidentia, evidence, self-evidence)
      I. <E.> bezeichnet die in der Geschichte der Philosophie gleichermaßen zentrale wie umstrittene Instanz der offenkundigen, unmittelbar einleuchtenden Selbstbezeugung wahrer Erkenntnis und der immanenten Legitimation von Urteilen.
    Hier werden einige  Begriffsverschiebebahnhöfe ohne Querverweise eingerichtet: "offenkundigen, unmittelbar einleuchtenden Selbstbezeugung wahrer Erkenntnis ..." neben Unverständlichem wie "...und der immanenten Legitimation von Urteilen."


    Evidenz im Wörterbuch der Soziologie von Hillmann (1972, 3.A.)
    "Evidenz (lat.), »Herausscheinen«, überzeugende Klarheit u. Deutlichkeit, Gewißheit."



    Evidenz in Hoffmeisters Wörterbuch der philosophischen Begriffe 2. A. 1955
    "Evidenz, lat. ,das Herausscheinen', der >Augenschein, die Deutlichkeit, die auf unmittelbarer sinnlicher Anschauung oder geistiger Einsicht beruht, die >Einsichtigkeit, das Überzeugungsbewußtsein."
    Hier werden einige Begriffsverschiebebahnhöfe  eingerichtet: Augenschein, auf den H. verweist: "Augenschein, von den dt. Mystikern eingef. für lat. evidentia (>Evidenz)", also zirkulär und daher als Erklärung nicht zu gebrauchen), Deutlichkeit, unmittelbare sinnliche Anschauung, geistige Einsicht, Einsichtigkeit, auf die H. erneut zirkulär verweist, Überzeugungsbewußtsein.
     
      "Einsicht, das Durchschauen und Verstehen eines Sachverhalts aus seinem 1 inneren Wesen und seiner >Struktur heraus (im Gegensatz zur >Erklärung· durch eine selbst als »uneinsichtig« hinzunehmende Gesetzmäßigkeit), svw. >Evidenz; im Sinne von gr. phmnesis die Verständigkeit, das Wissen um das Richtige, Zweckmäßige und Gute. Einsichtigkeit eines Gegenstandes· oder Sachverhalts ist die unmittelbare Erkennbarkeit seines Wesens, seiner· Struktur, der in ihm waltenden Gesetzmäßigkeit, seines Sinns (vgl. >Intuition).
      W. Reyer : Einf. in die Phänomenologie (1926); Th. Erisman : Die Eigenart des Geistigen (1924); A. Höfler: Psychologie (19302, Anhang).




    Evidenz im marxistisch orientierten Wörterbuch der philosophischen Begriffe
    Klaus, Georg & Buhr, Manfred (1969, Hrsg.) Philosophisches Wörterbuch. 2 Bde. Leipzig: Bibliographisches Institut.
    "evident [lat] - augenscheinlich, offenkundig, einleuchtend; gewiß.
    Evidenz [lat] - eigtl: das Herausscheinen; höchste Gewißheit, allgemeingültige Einsicht.
    > Axiom."
    Hier werden einige Begriffsverschiebebahnhöfe eingerichtet.



    Evidenz im Wörterbuch der Logik von Kondakow
    Kondakow, N. I. (dt. 1978 russ. 1975). Wörterbuch der Logik. Berlin: veb.
    Zusammenfassung-Kondakow: "... Offensichtlichkeit; Wissen, dessen Wahrheit der Mensch unmittelbar mit den Sinnesorganen nachprüfen kann. Die Wahrheit des Urteils »im Zimmer leuchtet die elektrische Lampe auf« ist z. B. jedem im Zimmer anwesenden Menschen mit normalem Sehvermögen offensichtlich. ..."
        "Evidenz [evidentia lat.]: Offensichtlichkeit; Wissen, dessen Wahrheit der Mensch unmittelbar mit den Sinnesorganen nachprüfen kann. Die Wahrheit des Urteils »im Zimmer leuchtet die elektrische Lampe auf« ist z. B. jedem im Zimmer anwesenden Menschen mit normalem Sehvermögen offensichtlich. Zum Wahrheitsbeweis für ein derartiges Urteil braucht man nicht zu logischen Ableitungen oder zu Experimenten zu greifen. Wie schon CICERO sagte, „wird die Evidenz durch Beweis nur geschmälert“.
    Die Wissenschaft strebt nach Erkenntnis vom Wesen der Dinge und der Erscheinungen durch logische Schlüsse, die auf Erfahrung und Experiment beruhen. Urteile, die auf E. basieren, können sich aber als falsch erweisen. Bekannt sind verschiedenartige optische Täuschungen, Fehler bei der Bewertung und dem Vergleich von Teilstreckenlängen, von Winkelgrößen oder Entfernungen zwischen Gegenständen, die vom Beobachter unter bestimmten Bedingungen begangen werden.
    Die Idealisten versuchen seit altersher die Erscheinungen der optischen und akustischen Täuschung zum Beweis einer angeblichen Unsicherheit der Sinneserfahrung zu nutzen. Aber diese Versuche haben keinen Erfolg. Verzerrungen in der Wahrnehmung durch die einen Sinnesorgane werden durch die Angaben der anderen Sinnesorgane korrigiert, und deshalb entsteht im Ergebnis letzten Endes gesichertes Wissen. Von der Zuverlässigkeit sinnlichen Wissens zeugt auch die Tatsache, daß der Mensch gerade mit den Sinnesorganen die Bedingungen aufdeckte, unter denen das Entstehen von optischen und. akustischen Täuschungen möglich wird. Da der Mensch diese Bedingungen kennt, nutzt er sie bewußt aus, z. B. bei der Perspektive in der Malerei und Architektur.
    Die meisten wahren Kenntnisse, die den Inhalt der Wissenschaft bilden, sind keine evidenten, sondern vermittelte Wahrheiten. Ihr Wahrheitsgehalt wird im Arbeitsprozeß beim Schließen überprüft mit Hilfe von Geräten und Apparaturen. Darum ist der Versuch einer ganzen Reihe von Rationalisten, z. B. von DESCARTES, jede Wahrheit auf eine rational evidente Aussage zurückzuführen, nicht gerechtfertigt. Das Allgemeine, das die Wissenschaft aufdecken muß, um das Wesentliche zu erforschen, wird in Gedanken und Wörtern widergespiegelt, die Funktionen nicht des ersten, sondern des zweiten Signalsystems sind."
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    Evidenz in Külpes 3 Bänden Die Realisierung  > ausführliche Fundstellenbelege in ausgelagerter Datei.
    [Intern PDFs: EigDart/EBooks/PsychologiePDF/Geschichte/....]

    Zusammenfassung-Evidenz-Külpe-I-II-III: Nachdem Külpe oft den Begriff der Evidenz im Zusammenhang mit Gewißheit verwendet, stellt sich natürlich die Frage, was Külpe unter Evidenz versteht. Ich erfasse und kommentiere die ersten 10 Fundstellen in Die Realisierung I:. Was bis dahin, immerhin 27 Seiten (S.29-55), begrifflich nicht geklärt ist, wird wohl auch weiterhin nicht geklärt werden.

      In  I. 99 Fundstellen zu Evidenz, 23 zu evident.
      In II. keine Fundstelle zu Evidenz, eine Fundstelle zu evident.
      In III. 2 Fundstellen zu Evidenz, keine zu evident.
      Külpe erklärt in den ersten 10 Funstellen, also
    Külpe erklärt den Begriff Evidenz in den ersten 10 Fundstellen, S.29-55, nicht. Ihm scheint ein Grundverständnis  wissenschaftlichen Arbeitens  (Grundregeln Begriffe) zu fehlen, dass man nämlich über die Sachverhalte und ihre Beziehungen, die Begriffe repräsentieren, nur etwas sagen kann, wenn die Begriffe geklärt sind, wie schon Aristoteles vor rund 2200 Jahren vor Külpe feststellte (Zum Geleit).



    Evidenz in der Enzyklopädie für Philosophie und Wissenschaftstheorie

    Evidenz (engl. evidence, franz. évidence), in erkenntnistheoretischen Zusammenhängen Bezeichnung für eine Einsicht ohne methodische Vermittlungen. In seiner lateinischen Form (evidentia) gibt der Ausdruck bei M. T. Cicero (synonym mit perspicuitas) den in der >Stoa und im >Epikureismus terminologisch verwendeten Ausdruck (... griechisch) (Klarheit, Deutlichkeit) wieder. Seine Bedeutung etwa im Sinne voraussetzungsloser Einsicht oder >anschauender >Gewißheit< (I. Kant, KrV B 762) ist in der philosophischen Tradition abhängig von vorausliegenden erkenntnistheoretischen Positionen und entsprechend uneinheitlich. Schwankender terminologischer Gebrauch drückt sich (1) in der Beurteilung der E. entweder als der subjektiven Form der Wahrheitsanerkennung (E. als >Sehen< eines Sachverhaltes) oder als der objektiven Form der Wahrheitsfindung (E. als >Sich-zeigen< eines Sachverhaltes), (2) in Zuordnungen wie >metaphysische<, >logische<, >psychologische<, >physische< und (erneut) >subjektive< bzw. >objektive< E. aus. Gegensatz (ebenso wie beim Begriff der >Intuition) ist in allen Fällen der Begriff der diskursiven bzw. begrifflichen, d. h. der methodisch (durch Beweis, Erklärung etc.) fortschreitenden, Einsicht  (>diskursiv/Diskursivität).
    In seiner dominanten Bedeutung stellt der Begriff der E. innerhalb der philosophischen Tradition ein >Wahrheitskriterium für >erste< Sätze einer Theorie, die sogenannten >Axiome, dar (>Methode, axiomatische), sofern diese nicht konventionalistisch (>Konventionalismus) gedeutet werden. Der Hinweis auf E. steht hier methodologisch gesehen an Stelle der schon von Aristoteles geforderten Begründung von (>deduktiv< nicht mehr begründbaren) Ausgangssätzen (>Epagoge). Erst D. Hilbert ersetzt in diesem wissenschaftstheoretischen Zusammenhang die Forderung nach E. axiomatischer Anfänge durch die Forderung ihrer Widerspruchsfreiheit (>widerspruchsfrei/ Widerspruchsfreiheit). Erkenntnistheoretische Bedeutung in einem allgemeineren Sinne gewinnt der Begriff der E. vor allem bei R. Descartes. Gegen den Primat diskursiver (logischer) Verfahren werden, terminologisch in den Begriffen der Intuition (intuitio) und der klaren und distinkten Anschauung (clara et distincta perceptio) (> klar und deutlich), E.en unter dem Grundsatz >solo lumine rationis et sani sensus< (La recherche de la verité par la lumière naturelle, Oeuvres X, 521) ausgezeichnet. An die Stelle von Ketten logisch voneinander abhängiger Sätze sollen im Idealfall Ketten von E.en treten (etwa analog der Möglichkeit, elementargeometrische Sätze über Symmetrieeigenschaften zu beweisen). [>438]
    Nicht mehr nur als Wahrheitskriterium, sondern als Definiens der >Wahrheit selbst tritt der Begriff der E.. bei F. Brentano auf. Wahrheit ist eine Eigenschaft des Vollzugs >evidenter< Urteile, wobei als evident im strikten Sinne nur die apodiktischen Urteile (>Urteil, apodiktisches), die aus Begriffen einleuchten, und die Urteile der sogenannten inneren Wahrnehmung (z.B. >ich
    denke<) gelten. E. qualifiziert ferner nach Brentano sittliche Stellungnahmen in emotiven Akten (Beurteilungen nach >richtig< und >unrichtig<). Auf E. als Selbstgegebenheit werden bei E. Husserl alle Weisen phänomenologischer Analyse (>Phänomenologie) zurückgeführt (>>Zu jeder Grundart von Gegenständlichkeiten [ ... ] gehört eine Grundart der >Erfahrung<, der E.<<, Formale und transzendentale Logik, 169 [Husserliana XVII]). >Urmodus< der E. ist die >Wahrnehmung, darin zugleich >Grundform des Vernunftbewußtseins< (Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie I, 333). Methodisch zentral im Rahmen der Spätphilosophie Husserls sind dabei ( 1) die Unterscheidung zwischen adäquater und apodiktischer E. sowie (2) die Fundierung einer prädikativen E. durch eine >vorprädikative (lebensweltliche) E. des Wahrnehmens und der Erfahrung (>>Auf die E.en der Erfahrung sollen sich letztlich alle prädikativen E.en  gründen<<, Erfahrung und Urteil, 38).
    Probleme eines methodisch ausgewiesenen E.begriffs knüpfen sich ebenso wie im Falle des Begriffs der Intuition in begründungstheoretischen Kontexten an eine kontrollierbare Berufung auf E. bzw. an das Erfordernis, E.en von Scheinevidenzen zu unterscheiden (>>alle Argumente für die E. stellen einen >circulus vitiosus dar und alle Argumente gegen sie einen Selbstwiderspruch<<, W. Stegmüller, Metaphysik, Wissenschaft, Skepsis, 1954, 102f., 21969, 168f.). Im Sinne eines Postulats der Anerkennung von Argumentationsteilen wird E. jederzeit in Anspruch genommen bzw. in Form hergestellter Zustimmung als gegeben betrachtet. Insofern stellt sich E. ein oder bleibt E. aus; sie kann erzeugt, aber nicht bewiesen werden. Damit gehört E. zu den pragmatischen Konstituentien jeglicher  >Argumentation (>Argumentationstheorie) und Einsicht.

        Literatur: R. Audi, Self-Evidence, in: J. E. Tomberlin (ed.), Philosophical Perspectives XIII (Epistemology), Oxford etc. 1999, 205-228; F. Brentano, Wahrheit und E .. Erkenntnistheoretische Abhandlungen und Briefe, ed. O. Kraus, Leipzig 1930 (repr. Harnburg 1974); J. Chandler/A. I. Davidson/H. Harootunian (eds.), Questions of Evidence. Proof, Practice, and Persuasion Across the Disciplines, Chicago Ill. 1994; R.M. Chisholm, Evidence as Justification, J. Philos. 58 (1961), 739-749; ders./ R. Firth, Symposium. The Concept of Empirical Evidence, J. Philos. 53 (1956), 722-739; H. Fackeldey, E., WL 174-178; W. Halbfass/K. Held, E., Hist. Wb. Ph. II (1972), 829-834; FM II (1994), 1156-1158; G. Heffernan, Bedeutung und E. bei Husserl. Das Verhältnis zwischen der Bedeutungs- und der [>439] E.theorie in den >>Logischen Untersuchungen« und der >>Formalen und transzendentalen Logik<<. Ein Vergleich anhand der Identitätsproblematik, Bonn 1983; ders., A Study in the Sedimented Origins of Evidence. Husserl and His Contemporaries Engaged in a Collective Essay in the Phenomenology and Psychology of Epistemic Justification, Husserl-Stud. 16 (1999), 83-181; E. Husserl, Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge, ed. S. Strasser, Den Haag 1950 (Husserliana I), Harnburg 1995; ders., Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie I (Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie), ed. W. Biemel, Den Haag 1950 (Husserliana III), bes. 333-357 (II Phänomenologie der Vernunft); ders., Formale und transzendentale Logik. Versuch einer Kritik der logischen Vernunft, Halle 1929, Harnburg 1992 (Husserliana XVII); ders., Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik, ed. L. Landgrebe, Harnburg 1948, 1999; J. Jung, E. und Erfahrung. Eine Betrachtung zur Ethik Franz Brentanos, Conceptus 22 (1988), Nr. 55, 43-63; A. Luckner, E., EP I (1999),  364-366; A. Maier, Das Problem der E. in der Philosophie des 14. Jahrhunderts, Scholastik 38 (1963), 183-225; J.-M. Muglioni, Évidence, Enc. philos. universelle II/1 (1990), 907-908; G. Patzig, Kritische Bemerkungen zu Husserls Thesen über das Verhältnis von Wahrheit und E., Neue H. Philos. 1 (1971), 12-32; W. Reimer, Der phänomenologische E.begriff, Kant-St. 23 (1919), 269-301; K. Rosen, E. in Husserls deskriptiver Transzendentalphilosophie, Meisenheim am Glan 1977; D. Rynin, Evidence, Synthese 12 (1960), 6-24; M. Sommer, E. im Augenblick. Eine Phänomenologie der reinen Empfindung, Frankfurt 1987, 1996; W. Stegmüller, Der E.begriff in der formalisierten Logik und Mathematik, Wien. Z. Philos. Psychol. Pädag. 4 (1953), 288-295; ders., Metaphysik, Wissenschaft, Skepsis, Frankfurt/Wien 1954, unter dem Titel: Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft, Berlin/Heidelberg/New York 1969; ders., Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Eine kritische Einführung I, Wien etc. 1952, Stuttgart 71989, 1-48 (Philosophie der E.: Franz Brentano); P. Weiss, First Considerations. An Examination of Philosophical Evidence, Garbondale Ill. 1977; T. Williamson, Scepticism and Evidence, Philos. Phenom. Res. 60 (2000), 613-628; P. Wilpert, Das Problem der Wahrheitssicherung bei Thomas von Aquin. Ein Beitrag zur Geschichte des E.problems, Münster 1931. J. M."

    "Evidenztheorie, eine von F. Brentano in Auseinandersetzung mit der traditionellen Korrespondenztheorie als Alternative entwickelte >Wahrheitstheorie, nach der eine >Aussage wahr ist, wenn sie einer evidenten, d. h. einem einleuchtenden und nicht blinden >Urteil entstammenden, Aussage gleich ist. K. L"



    Peirce über Evidenz
    Peirce, Charles S. (1967) 3. Eine Überprüfung der Lehre des Nezessarismus. In (250-272) Schriften I Vom Pragmatismus zum Pragmazismus. Frankfurt: Suhrkamp.
    Peirce, Charles S. (1970) Schriften II Vom Pragmatismus zum Pragmazismus. Frankfurt: Suhrkamp.
    Von 11 Sachregistereinträgen zu Evidenz sind 10 vom Herausgeber, was aber im Sachregister nicht kenntlich gemacht wird. ein ganz unsauberer Stil.
    Evidenz I 112f.[Hrsg.], 133[Hrsg.], 135[Hrsg.], 136f.[Hrsg.]; II 60 f. [Hrsg.], 262
    Evidenzbasis II 156[Hrsg.], 159[Hrsg.], 162[Hrsg.]
    Evidenzkriterium I 88 [Hrsg.], 124[Hrsg.]
    Gewißheit I, 185

    II-S.262: "6.49 Zu sagen, daß wir von einem gegebenen Satz unvermeidlicherweise einfach überzeugt sind, ist kein Argument, aber wenn es wahr ist, ist es ein unwidersprechliches Faktum; und» setzt man für »wir« »ich« ein, so ist es wahr, geht man danach, wie verschiedene Klassen von Denkern reden: derjenige, der blindlings seiner Leidenschaft folgt, der Unreflektierte und: Unwissende, und schließlich der, welcher eine überwältigende Evidenz vor Augen hat. Aber was heute noch undenkbar ist, stellt sich oft morgen schon als unbestreitbar heraus. Die Unfähigkeit, sich etwas vorzustellen, ist nur ein Stadium, das> jeder hinsichtlich einer ganzen Anzahl von Überzeugungen· hinter sich lassen muß, - er sei denn mit außergewöhnlicher Hartnäckigkeit und Beschränktheit begabt. Sein Verstand wird dann nur Sklave irgendeines blinden Zwangs, den ein starker Verstand wohl sicher bald abschütteln wird"

      Kommentar-II-S.262: Evidenz wird nicht erklärt, sondern als verständlicher und nicht weiter erklärungs- oder begründungsbedürftiger Begriff gebraucht.




    Popper über Evidenz
    Von Popper gibt es viele interessante und wichtige Veröffentlichungen. KESR:= kein Eintrag im Sachregister. Durchgesehen habe ich die Register von Die Logik der Forschung, Objektive Erkenntnis, Karl Popper Lesebuch [KESR], Das Elend des Historizismus [KESR]. Einige Sachregisterangaben sind falsch.

    Popper Evidenz in Objektive Erkenntnis

    Zusammenfassung-Popper-Objektive-Erkenntnis: Sachregistereinträge: "Evidenz, dokumentarische s. Daten, dokumentarische —, Grade, Stufen der - (Heyting) 143 —unabhängige 199 f ., 212; s. a. Beweis; Grund." In den Seiten 199 und 212 habe ich das Wort "Evidenz" nicht gefunden.
    Unter Berufung auf Heyting, der auf mathematisch intutionistischer Basis eine dreiwertige Logik vorgelegt hat, zitiert Popper eine "Skala absteigender Grade von Evidenz". Die Ausführungen sind schwer verständlich. Man kann ihnen aber entnehmen, dass Popper den Begriff der Evidenz in Objektive Erkenntnis grundsätzlich akzeptiert.

    S.143: "Die Art, wie Sprache und diskursives Denken mit den mehr unmittelbaren intuitiven Konstruktionen zusammenwirken (was übrigens das Ideal der absoluten Beweissicherheit zerstört, das die intuitive Konstruktion erfüllen sollte), wurde auf höchst erhellende Weise von Heyting beschrieben. Ich darf vielleicht den Anfang dieser Beschreibung zitieren, die mich nicht nur angeregt, sondern auch ermutigt hat: »Es hat sich herausgestellt, daß es nicht intuitiv klar ist, was eigentlich in der Mathematik intuitiv klar ist. Man kann sogar eine Skala absteigender Grade von Evidenz aufstellen. Den höchsten Grad haben Behauptungen, wie 2 + 2=4. Einen niedrigeren Grad hat bereits 1002 + 2 = 1004. Wir beweisen es nicht durch tatsächliches Zählen, sondern durch Überlegungen, die allgemein zeigen, daß (n + 2) + 2 = n + 4... [Aussagen wie diese] haben schon den Charakter einer Implikation: >Wird eine natürliche Zahl n konstruiert, dann können wir die Konstruktion ausführen, die durch (n + z) + 2 = n + 4 ausgedrückt wird<. « [FN39] Für unser augenblickliches Problem sind Heytings »Grade der Evidenz« weniger wichtig. In erster Linie interessant ist seine wundervoll einfache und klare Analyse des unvermeidlichen Zusammenspiels zwischen intuitiver Konstruktion und sprachlicher Formulierung, die uns notwendigerweise in diskursive - und daher logische - Überlegungen verwickelt. Das betont Heyting, wenn er fortfährt: »Diese Ebene ist im Kalkül der freien Variablen formalisiert.«
    Ein letztes Wort über Brouwer und den mathematischen Platonismus. Die Autonomie der Welt 3 ist unleugbar, und damit muß Brouwers Gleichung »esse = construi« aufgegeben werden, mindestens für Probleme. Das kann uns einen neuen Blick auf die Logik des Intuitionismus eröffnen: Ohne die intuitionistischen Beweisgrundsätze aufzugeben, kann es für die kritische rationale Diskussion wichtig sein, scharf zwischen einer These und ihrer Begründung zu unterscheiden. Doch diese Unterscheidung wird von der intuitionistischen Logik zerstört, die aus der Vermengung von Evidenz oder Beweis mit der zu beweisenden Behauptung entsteht. [FN 40]

    Popper Evidenz in Die Logik der Forschung 4. A. 1971

    Zusammenfassung-Popper-Logik-Forschung: Sachregistereinträge: "Evidenz (Selbstverständlichkeit) 20, 42, 161, 281, 282; siehe auch: Überzeugung".
    Auf den Seiten 42 und 161 habe ich das Wort "eviden" nicht gefunden. S. 20 sagt klipp und klar, dass Evidenz zur Begründung wissenschaftlicher Tatsachen nicht geeignet ist: "... Es ist also erkenntnistheoretisch ganz gleichgültig, ob meine Überzeugungen schwach oder stark waren, ob „Evidenz“ vorlag oder nur eine „Vermutung“: Mit der Begründung wissenschaftlicher Sätze hat das nichts zu tun."

    In einem gewissen Widerspruch dazu steht die Aussage auf S. 281 über das erste Axiom, das "intuitiv evident" sein soll und in dieser Formulierung eine positive Akzeptanz ausdrückt.

    PopperLdF-S.20: "Wir greifen nun auf einen Punkt des vorigen Abschnittes zurück, auf unsere These, daß subjektive Überzeugungserlebnisse niemals die Wahrheit wissenschaftlicher Sätze begründen, sondern innerhalb der Wissenschaft nur die Rolle eines Objekts der wissenschaftlichen, nämlich der empirisch-psychologischen Forschung spielen können. Auf die Intensität der Überzeugungserlebnisse kommt es dabei überhaupt nicht an; ich kann von der Wahrheit eines Satzes, von der Evidenz einer Wahrnehmung, von der Überzeugungskraft eines Erlebnisses durchdrungen sein, jeder Zweifel kann mir absurd vorkommen; aber kann die Wissenschaft diesen Satz deshalb annehmen? Kann sie ihn darauf gründen, daß Herr N. N. von seiner Wahrheit durchdrungen ist? Das wäre mit ihrem Objektivitätscharakter unvereinbar. Die für mich so feststehende „Tatsache“, daß ich jene Überzeugung auch wirklich habe, kann in der objektiven Wissenschaft nur als psychologische Hypothese auftreten, die natürlich der intersubjektiven Nachprüfung bedürftig ist: Der Psychologe wird etwa aus der Annahme, daß ich derartige Überzeugungserlebnisse habe, unter Zuhilfenahme psychologischer und anderer Theorien Prognosen über mein Verhalten deduzieren, die sich bei der experimentellen Prüfung bewähren oder nicht bewähren können. Es ist also erkenntnistheoretisch ganz gleichgültig, ob meine Überzeugungen schwach oder stark waren, ob „Evidenz“ vorlag oder nur eine „Vermutung“: Mit der Begründung wissenschaftlicher Sätze hat das nichts zu tun."

    PopperLdF-S.281: "Postulat 3 fordert die Existenz eines Produktes beliebiger Elemente a und b in S. Es charakterisiert erschöpfend alle Eigenschaften des Produkts (wie Idempotenz, Kommutation und Assoziation) durch zwei einfache Axiome, von denen das erste intuitiv evident ist; das zweite wurde schon in Anhang *III besprochen und heuristisch „abgeleitet“."

    PopperLdF-S.282:  Hier gebraucht Popper den Begriff scheinbarer Evidenz:


     


    Evidenz im Lexikon der Erkenntnistheorie und Metaphysik
    Ricken, Friedo (1984, Hrsg.) Lexikon der Erkenntnistheorie und Metaphysik. München: Beck.
    Der Eintrag Evidenz verweist auf  > Gewißheit  und hat damit einen  Begriffsverschiebebahnhof  eröffnet.


    Evidenz in Sigwarts Logik



    Evidenz inHeinrich Schmidts Philosophisches Wörterbuch 2. A. 1916
    "Evidenz, Augenscheinlichkeit, höchste Gewißheit. "Ein Begriff ist richtig, Ein Urteil wahr, ein <körper real, ein Verhältnis evident (Schopenhauer)."

    Evidenz in Schmidt/Schischkoff Philosophisches Wörterbuch 16. A. 1961 bei Kröner Stuttgart.
    Evidenz (vom lat. evidens, „herausscheinend“), Augenscheinlichkeit, höchste, im Bewußtsein erlebte und zur ->Gewißheit führende Einsichtigkeit; das, was dem Denken und der Erkenntnis „einleuchtet“. E. kann nach Kant nie aus Begriffen in „diskursiven“ Erkenntnissen entspringen, sondern nur aus „intuitiven“ Grundsätzen, Axiomen im engeren Sinn. Man unterscheidet zw. psychol. E. (Gefühl des Überzeugtseins) und logischer E., die die Überzeugung von der Gültigkeit des Urteils verleiht. Für die Wesenserfassung im phänomenologischen Sinn ist die E. von besonderer Wichtigkeit.
    Hauber, Wahrheit u. E. bei F. Brentano, 1936; J. Geyser, Wahrheit und Evidenz. 1937."

    Hier werden einige Begriffsverschiebebahnhöfe  eingerichtet. Dazu (und damit zur Begriffsbasis) gehören: Augenscheinlichkeit, Gewißheit, Einsichtigkeit, einleuchten, überzeugt sein, Gefühl des Überzeugtseins, Gültigkeit eines Urteils, Wesenserfassung im phänomenologischen Sinn.



    Sponsels Evidenz Definition

    Vorüberlegungen: Entsprechend dem Sprachgebrauch der Wörterbücher und FachwissenschaftlerInnen, soll das Wort Evidenz den Begriff für Sachverhalte verwendet werden, die vollkommen klar, deutlich und sicher von den meisten Menschen beurteilt werden.

    Begriffsbasis nach den Vorüberlegungen: vollkommen, klar, deutlich, sicher, meisten, Menschen, beurteilt. Die Begriffsbasis besteht also aus 7 Begriffen.

    Definition: Unter der Annahme, dass die Begriffsbasis verständlich und nachvollziehbar vorliegt, bedeutet Evidenz eine vollkommen klare, deutliche und sichere Beurteilung eines Sachverhalts, die von den meisten Menschen geteilt wird. Hierzu kann man Tabellen von Beispielen und Gegenbeispielen heranziehen.

    Beispiele und Gegenbeispiele:
     
    Beispiele für Evidenz Beispiele für keine Evidenz (Beweise hier schwieriger)
    [1+] Ich krümme meine Hand. Ich nehme die Krümmung evident wahr. [Beweis: durchführen] [1-] Es ist nicht evident, dass ich meine Hand in 100 Jahren noch krümmen können werde. 
    [2+] Es ist evident, dass ich zwei und nicht 12 Hände habe. [Beweis: Hände in Augenschein nehmen] [2-] Es ist nicht evident, dass es keine Menschen mit drei Händen gibt.
    [3+] Es ist evident, dass wir Menschen alle sterben werden. [Beweis: Beobachtung] [3-] Es ist nicht evident, dass es ein Leben nach dem Tode gibt.
    [4+] Es ist evident, dass ich zum Leben Sauerstoff, Essen und Trinken brauche. [Beweis: Folgen von Entzug beobachten]  [4-] Es ist nicht evident, dass Fahrdauern der Bundesbahn derzeit (Sommer 2022) eingehalten werden. 
    [5+] Es ist evident, dass man in Marktwirtschaften beim Einkaufen in der Regel bezahlen muss. [Beweis: beobachten, erproben] [5-] Es ist keinesweg evident, dass der Klimawandel derzeit (27.08.2022) noch aufgehalten werden kann. 
    [6+] Es ist evident, dass sich Körper beim Erwärmen ausdehnen. [Beweis: durchführen] [6-] Es ist nicht evident, dass ich die Bergbesteigung noch schaffe, bevor es dunkel wird.
    [7+] Es ist evident, dass ich nicht alles erinnere. [Beweis: weil es so ist] [7-] Es ist nicht evident, dass 2x2=4 ist (aber gewiss). 
    [8+] Es ist evident, dass ich, wenn ich wach bin, denken kann, was ich will, z.B. der Mond legt gelbe Eier. [Beweis: tun] [8-] Es ist nicht evident, dass mir beim freien Assoziieren einfällt, der Mond legt keine Eier. 
    [9+] Es ist evident, dass ich meinen Zahlungsverpflichtungen nachkomme, wenn ich kann und es will. [Beweis: weil ich es immer so gemacht habe]  [9-] Es ist nicht evident, dass ich gut durch die Prüfungen kommen werde.
    [10+] Für X. ist es evident, dass es keinen Gott gibt. [Beweis: weil es bei X. so ist] [10-] Für Y. ist es nicht evident, dass es keinen Gott gibt. 
    [11+] Es ist evident, dass ich mich irren kann. [Beweis: weil es schon so und so oft vorgekommen ist]  [11-] Es ist nicht evident, dass ich alles Wichtige erinnere. 
    [12+] Es ist evident, dass ich wach bin und nicht träume. [Beweis: weil ich aufgewacht bin und meine Sachen mache]  [12-] Es ist nicht evident, dass ich mein Traumgeschehen steuern kann.
    [13+] Es ist evident, dass die Sonne aufgeht [Beweis: weil sie das täglich macht]  [13-] Es ist nicht evident, dass Ausnahmen die Regel bestätigen. 

    Referenzierung der Evidenz: Der kognitive Apparat der urteilenden Menschen.

    Gewissheit und Evidenz: In der Regel erfordert Evidenz im Unterschied zur Gewissheit einfache und direkte Sachverhalte.
    Besteht Evidenz, besteht auch Gewißheit, d.h. was evident ist, ist auch gewiss. Aber nicht alles was gewiss ist
    , ist auch evident. Zum Beispiel ist "Die meisten Aussagen, Gesetz- oder Regelhaftigkeiten gelten nicht bedingungslos, sondern "nur" für sog. Normalbedingungen." zwar gewiss, aber nicht evident, weil zu kompliziert. So ist 2x2=4 zwar richtig und gewiss, aber nicht evident.



    Stegmüller, Wolfgang (1969) Evidenz in Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft. Berlin: Springer.

    Zusammenfassung-Stegm1969: Das Buch enthält ein ganzes Kapitel mit 55 Seiten zum Thema:
     

      4. Das Problem der Evidenz   162
          Das Evidenzproblem im allgemeinen   162
          Selbstanwendung   174
          Philosophische Stimmen zum Evidenzproblem   176
          Evidenztäuschung und Evidenzschichten   195
          Evidenz und Ethik   200
          Evidenz und Weltsinn  208
          Evidenz und Religion   210
          Evidenz und Existenzphilosophie   213

      Bereits auf der ersten Seite S.162 sagt Stegmüller: "Den Begriff „Evidenz" definieren wir nicht; denn dies ist unmöglich. Nur an Hand von Beispielen kann dasjenige, was damit gemeint ist, erläutert und können Mißverständnisse darüber beseitigt werden." Das ist an dieser Stelle nur eine Behauptung, die im folgenden genau zu belegen wäre.
       
       

    S.162f: "4. Das Problem der Evidenz
    Das Evidenzproblem im allgemeinen

    Das Problem der Metaphysik hat an allen Punkten, wo wir es anschnitten, auf das Problem der Evidenz geführt, und zwar in doppelter Weise: 1. ist eine Abgrenzung metaphysischer Aussagen von nichtmetaphysischen nach Fehlschlagen der übrigen Versuche nur möglich, wenn es gelingt, die metaphysischen Einsichtsarten von den nichtmetaphysischen klar zu sondern; 2. besteht die Frage nach dem Rechtsanspruch der Metaphysik in dem Problem, ob es solche Einsichtsarten als Einsichten wirklich gibt oder ob es sich in Wahrheit um Scheinevidenzen handle. Sollte auf die Frage l. eine negative Antwort gegeben werden müssen, so fiele das Problem der Metaphysik mit dem Evidenzproblem im allgemeinen zusammen und die Frage nach den metaphysischen Grundlagen der Einzelwissenschaften reduzierte sich auf die Frage nach deren speziellen Evidenzvoraussetzungen.
    Obwohl es der Sache angemessener zu sein scheint, die erste Frage zuvor zu behandeln, beginnen wir mit einer Erörterung der zweiten, und zwar in allgemeiner Form, ohne auf irgendwelche Unterscheidungen von Evidenzarten Bezug zu nehmen. Den Begriff der Evidenz und der Einsicht verwenden wir im allgemeinsten Sinn, vorläufig ohne jede Differenzierung, etwa nach Qualität (apodiktische, assertorische Evidenz), oder nach dem Gegenstandsbereich, auf den sich die evidenten Erkenntnisse beziehen (logische, mathematische Evidenz, Wahrnehmungsevidenz) usw. Den Begriff „Evidenz" definieren wir nicht; denn dies ist unmöglich. Nur an Hand von Beispielen kann dasjenige, was damit gemeint ist, erläutert und können Mißverständnisse darüber beseitigt werden. In Sätzen wie „ich sehe ein, daß es sich so und so verhalten muß", „siehst du ein, einen logischen Fehler in deiner Beweisführung begangen zu haben?", „es ist evident, daß man eine unendliche Folge nicht zur Gänze durchlaufen kann", „es ist evident, daß zwischen [>163] den Farbtönen rot und orange eine größere Ähnlichkeit besteht wie zwischen den Farbtönen rot und grün“, „es ist evident, daß man wissen muß, wovon man spricht (sich das Betreffende ,vorstellen' muß), um darüber ein Urteil fällen zu können“ (kurz: Urteile basieren auf Vorstellungen ist ein evidentes Urteil“), „es ist evident, daß bei der Lösung eines Problems ein sicheres Wissen um die Antwort höher einzuschätzen ist als eine bloße Vermutung (Hypothese)“ wird jedesmal von Evidenz oder Einsicht gesprochen. Sie wird immer dort beansprucht, wo Urteile gefällt werden, die ein Wissen ausdrücken. Der Ausdruck „Wissen“ wird allerdings in zwei Bedeutungen, einer stärkeren und einer schwächeren, genommen, und nur in der stärkeren Bedeutung liegt eine Kopplung mit dem Evidenzbegriff vor. „Wissen“ in seiner schwächeren Bedeutung ist das unvollständige, hypothetische, nicht definitive Wissen, das jederzeit durch ein besseres ersetzt werden kann. „Wissen“ in seiner stärkeren Bedeutung ist das endgültige, nichthypothetische, definitive Wissen, das durch kein besseres mehr ersetzbar ist. Nur in diesem zweiten Fall kann von Evidenz gesprochen werden. Gegen unvollständiges Wissen kann man argumentierend ankämpfen, man kann es zu „widerlegen“ trachten oder „negative Instanzen" dagegen vorbringen. Gegen Urteile, die mit definitivem Wissensanspruch auftreten, kann man keine Argumente vorbringen. Ist der Wissensanspruch ein falscher, so kann man den Fehler aufzuzeigen suchen. Gegen unvollständiges Wissen kann man also Beweise ins Treffen führen, Scheinevidenzen hingegen lassen sich nur aufzeigen und beheben; man muß versuchen, zur Evidenz zu bringen, daß eine Scheinevidenz vorlag. Jede Diskussion, in welcher ein Teil dem anderen einen Fehler in seiner Beweisführung nachweisen möchte oder umgekehrt ihm einen Beweis vorlegt und von dessen Richtigkeit zu überzeugen trachtet (d. h. nichts anderes als: zu zeigen sucht, daß es wirklich ein Beweis ist), ist ein fortgesetzter Appell an des anderen Fähigkeit zur Einsicht."
     



    [Intern: Kandidaten zur Evidenz: Nikolai Hartmann, Moritz Schlick, Norbert Bischof.]





    Links (Auswahl: beachte)
     



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:  Wissenschaftlicher und  weltanschaulicher  Standort.
    GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
    __
    assertorische-Evidenz
    assertorisch:=etwas behaupten. Evidenz:=Offenkundigkeit, Offensichtlichkeit, Augenscheinlichkeit (im Angloamerikanischen eine ganz andere Bedeutung, nämlich: belegt, begründet, beweisorientiert).
    __
    Epimeleia:=Aufmerksamkeit und Sorge für ein gutes Leben.
    __
    Nezessarismus
    __
    performative-utterances (Austin)
    Sprechhandlungen, die nicht nur sachlich etwas mitteilen, sondern auf eine Wirkung und Veränderung abzielen. [W.engl]
    __


    Querverweise
    Standort: Evidenz.
    *
    Begriffsanalyse Gewissheit * Fragebogen-Pilot-Studie Begriffsanalyse Gewissheit *
    Haupt- und Verteilerseite Begriffsanalysen. *Textanalysen und Sprachkritik * Definition Begriff. * Das A und O: Referenzieren *Begriffsverschiebebahnhöfe*Wissenschaftsglossar*Operationalisieren*Definition und definieren *Beweis und beweisen in Wissenschaft und Leben *Beweis und beweisen im Alltag. *Beweis und beweisen in den Psychowissenschaften*BA Gesunder Menschenverstand*
    Überblick Arbeiten zur Theorie, Definitionslehre, Methodologie, Meßproblematik, Statistik und Wissenschaftstheorie besonders in Psychologie, Psychotherapie und Psychotherapieforschung.
    *