Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    IP-GIPTDAS=08.03.2011 Internet Erstausgabe, letzte Änderung TT.MM.JJ
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20  D-91052 Erlangen
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    Anfang_ de Boor Monoperceptose_ Rel. Aktuelles _Überblick_Überblick Wissenschaft _Rel. Beständiges_ Titelblatt_Konzept_Archiv_Region_Service iec-verlag__Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Wissenschaft, und hier speziell zum Thema:

    de Boor Monoperceptose
    Der Wahn "gesunder" Terroristen

    von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Zusammenfassung - Abstract - Summary
    De Boor hat mit seiner Konzeption der Monoperceptose ein teils abstruses, konstruiert-einseitiges und interessegeleitetes Konglomerat einer Störung entwickelt, die selbst an Züge eines Wahnsystems erinnert und ausschließlich für RAF-TerroristInnen entwickelt worden zu scheint. Damit reiht sich de Boor in vorderster Front als Staatsgutachter für Staatsfeinde in die häßliche, staatsopportunistische Psychiatrie ein, wie wir sie leider überall vorfinden, jüngst erst wieder in Hessen, wo sich die höchste Politik nicht entblödete, unbestechliche Steuerfahnder durch einen willfährigen "Gutachter" psychiatrisch diffamieren zu lassen. Dass sich in der Psychiatrie niemand fand, dieser abstrusen Konzeption fachöffentlich und öffentlich entgegenzutreten, spricht nicht für die Zunft (Zurückhaltung ist gerade nach dem 3. Reich zu wenig).
        Diskutabel und interessant erscheint mir die historische Dimension der Konzeption durch Hooker und die Hypothese eines Wahns der Gesunden, die aber in keiner Weise angemessen fundiert, entwickelt und belegt wird.
     
    "III. Die Merkmale der Monoperceptosen (S. 8)

    "... Bei ergänzenden Literaturstudien stellte sich heraus, daß der englische Theologe Richard Hooker (l 553-1600) 8FN7 das Wort "Monoperceptose" benutzt hat, um eine spezielle psychische Verfassung zu charakterisieren. Er bezeichnete so Menschen, die die "konkret vorhandene Realität durch eine spiritualistisch- subjektive Gegenwelt" ersetzen wollen. Den Begriff definiert er als "Wahrnehmungsverformung durch Kanalisierung des Erkenntnisvollzuges auf ein Thema". Die Einstellung der "Monopercetoten" sei psychologisch nicht zu erschüttern und durch rationale Analysen nicht zu irritieren. Thema einer Monoperceptose könne jeder beliebige soziokulturelle Sachverhalt sein, der zum Anlaß wird, neue Tatsachen zu fingieren, um so ein, nach den eigenen - irrigen - Ideen geformtes Bild der Realität präsentieren zu können. Hookers Begriff hat sich zu seiner Zeit nicht durchgesetzt. Später hat man ihn vergessen. Der von ihm erkannte psychische Sachverhalt trifft exakt auf die geistige Verfassung der Revisionisten, aber auch auf andere fanatisch eingeengte Personen zu, deren Psyche durch ein "hochkomplexes Verwirrungssyndrom" (Hooker) charakterisiert ist. Das für meine Begriffsbildung notwendige Merkmal "Delinquenz" gehört bei Hooker nicht zu den Merkmalen seines Begriffs. Er bezieht sich nur auf anomale psychische Vorgänge ohne forensische Konsequenzen." 
     

    Kommentare/ Auseinandersetzung RS:

    Die Beschreibung Hookers gibt eine interessante spezielle Wahnform wieder, nämlich dass Tatsachen durch subjektive unkorrigierbare Deutungsfantasien ersetzt werden und damit die Wahndefinitionskriterien erfüllen: 

    "Wahn liegt vor, wenn mit rational unkorrigierbarer Gewissheit ein falsches Modell der Wirklichkeit oder ein falscher Erkenntnisweg zu einem richtigen oder falschen Modell der Wirklichkeit vertreten wird."
    Wieso Wahn nur auf "Revisionisten" und andere "fanatisch eingeengte Personen" zutreffen soll, wird nicht begründet. Es kann auch gar nicht begründet werden, weil es aller psychopatho- logischen Erfahrung widerspricht. 
        Weshalb eine spezielle Wahnform auf ein so historisch zufälliges oder willkürliches Phänomen wie Delinquenz beschränkt werden sollte, kann eigentlich nur mit dem sich anbiedernden Oppor- tunismus als Staatsgutachter gegen die RAF erklärt werden. 
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    Definition Monoperceptose (S. 6f)
    "... Der Begriff Perception bildet das sprachliche Fundament für die Bezeichnung Monoperceptose, die folgendermaßen definiert wird:
         Als Monoperceptose werden solche überwertigen Ideen bezeichnet, die nicht der Verwirklichung objektiver, d.h. allgemein anerkannter Werte (Consensus omnium) dienen, sondern unter zunehmendem Realitätsverlust bei steigender affektiver Spannung zur Realisierung von Anti-Werten (= Straftaten) führen.
        Kritiker des Terminus haben - zutreffend - darauf hingewiesen, daß die Endsilbe "ose" Assoziationen zu chronischen Krankheits- prozessen (Beispiel: Psychose) oder zumindest pathologienahen Persönlichkeitsentwicklungen (Beispiel: Neurose) weckt. Es war meine Absicht, eine Bezeichnung zu finden, die dem sozialpatho- logischen Gehalt des Phänomens gerecht wird, obgleich es sich nicht um Krankheit "sensu strictiori", im engeren Sinne handelt.

        Zu den konstitutiven Elementen des Begriffes gehören, soweit es sich um politisch-ideologisch motivierte Straftaten handelt, die folgenden Bausteine:

    1. Das Gedankensystem beruht auf der objektiv falschen Verarbeitung der Realität, soweit sie durch Wahrnehmungen vermittelt wird.
    2. Die Denkprozesse orientieren sich nicht an anerkannten Werten, sondern an Unwerten oder Scheinwerten.
    3. Das Dominanzdenken führt zu Normenbrüchen (Schädigung oder Zerstörung von Sachen, Institutionen und / oder Personen)."
    Hier wird der Versuch unternommen, kriminelles Verhalten zu quasi-psychiatrisieren und einen Sondertatbestand mit Sonderbehandlung zu etablieren, eine Art "Lex Psychiat RAF".
    Man fragt sich natürlich an dieser Stelle, ob z.B. die vielfach praktizierte Rechtsbeugung in Deutschland ein solcher "allgemein anerkannter Wert" ist? Oder wie verhält es sich in gesell- schaftlichen Übergangsprozessen, etwa bei Revolutionen (> Der Charakter und sein Preis). War etwa die 1848/49 Revolution Ausdruck einer gewaltigen "Monoperceptose"? Ist etwa die Gewaltenteilung ein solch "allgemein anerkannter Wert" oder die strikte Trennung von Kirche und Staat, die hierzulande nirgendwo erfüllt ist? Ist etwa das nicht erklärte Führen eines Angriffs- krieges der "Krieger des Lichts" auf dem Weg zum idealen Gottesstaat à la Augustinus in Afgha- nistan [Teil 1, Teil 2, Teil 3.] ein solch "allgemein anerkannter Wert"?  Sagt nicht sogar Bundes- kanzlerin Merkel "Eigentlich gewinnt immer der, der sich nicht an die Spielregeln hält." Kriminalität, abweichendes Verhalten, Lügen, tricksen, denunzieren sind sowohl historisch als auch epidemiologisch statistisch gesehen völlig "normale" Verhaltenweisen. (> "Kriminalität ist normal"). Ist es etwa "objektiv falsche Verarbeitung der Realität", zu sehen, dass das Nachkriegs-Deutschland wesentlich von verbre- cherischen Nazis aufgebaut wurde? Haben Adenauer und seine Nachfolger Un- und Scheinwerte verfolgt? Wurde das Vertrauen in Recht, Staat und Rechtsstaat durch Dominanz- denken der etilE nicht nachhaltig ausgehöhlt, was zu exzessiven "Normbrüchen" geführt hat?
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    "1. Infantile Omnipotenzgefühle 9FN2  (S. 9)
    Der monoperceptotische Mensch fühlt sich allmächtig. Er ist Herr über Leben und Tod. Er ist davon überzeugt, trotz der Begrenzt- heit der eigenen Mittel, den Staat stürzen zu können. Mit dem Staat wähnt er sich im Kriegszustand. Er beansprucht den Status des Kriegsgefangenen. Eine zeitlich unbegrenzte Gefangenschaft ohne Gerichtsverfahren wäre dann möglich, wenn die Behörden der Bundesrepublik diesen Anspruch ernst nehmen würden. Auf die prozessualen Nachteile des Kombattantenstatus hat Schünemann 9FN3 bei der Erörterung der Rechtsfolgen terroristischer Gewaltakte hingewiesen."
    Das sind projektive Fantasien von denen nur sicher ist, dass sie de Boor hegt. Aus der Tatsache, dass jemand bereit ist, gegen Auswüchse des Staates zu kämpfen, folgt weder dass sich jemand allmächtig fühlen muss, noch dass er glaubt, den Staat stürzen zu können. Interessant auch die Überlegung, das eine zeitlich unbegrenzte Gefangenschaft ohne Gerichtsverfahren möglich wäre (System Guantanamo). Auch ein "allgemein anerkannter Wert"?
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    "2. Der Realitätsverlust (S. 9)
    Die soziale Wirklichkeit wird konsequent verkannt. Die Apperzeptionsverweigerung fuhrt zu zunehmender Isolierung und völligem Verlust an Kontakten gerade zu den Menschen, die befreit werden sollen, also beispielsweise zur Arbeiterklasse. Dieses Merkmal war nur bei den RAF-Terroristen nachweisbar."
    Realitätsverlust in Form von Fehleinschätzungen ist ein allgemein weit verbreitetes Phänomen. Völlig aus der Luft gegriffen ist die Behauptung, dass der völlige Verlust von Kontakten zu den Menschen, die befreit werden sollten, nur bei RAF-Terroristen "nachweisbar" sein soll. 
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    "3. Hohe Aggressionspotentiale (S. 9)
    Die Bewußtseinsinhalte orientieren sich nicht an den Fakten der Umwelt. Daher treten bei jeder Begegnung mit der Realität schwere Enttäuschungen (Frustrationen) auf. Die Frustrations-Aggressions-Hypothese wird durch die Eskalation der Gewalttaten, die - abgesehen von dem zeitlich begrenzten Erfolg nach der Entführung von Peter Lorenz - keine Veränderung herbeiführten, überzeugend bestätigt."
    Das gilt für die gesamte Weltgeschichte bis auf den heutigen Tag besonders für die Mächtigen dieser Welt.

     

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    "4. Die chronische Identitätskrise (S. 9f)
    Die Ziele der Terroristen sind nicht realisierbar. Da aber eine totale Identifizierung mit diesen Zielen besteht, geraten sie in eine immer stärke-[>10]re Krise. Die Identifikationsvalenzen können sich nicht ständig an irreale Objekte binden; sozial positive und realisierbare Identifizierungsmöglichkeiten werden abgelehnt."

    Es gibt nach dem Vokabular hier "Identitätskrise", eine "chronische" und eine "totale", die überdies quantifizierbar fantasiert wird. Alle Menschen, die Ideale verfolgen, binden sich so gesehen an "irreale Objekte". 
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    "5. Narzißmus und Egozentrizität (S. 10)
    Durch die Überhöhung des Wertes und der sozialen Bedeutung der eigenen Person geht die Fähigkeit zur Einstellung auf die Bedürfnisse und Rechte der anderen verloren."
    Das ist ein Phänomen, das z.B. für die Verursa- cher und am Leben-Erhalter der Finanzkrise, er- füllt wird. Auch die Verweigerung eines Mindest- lohnes lässt sich hier gut unterbringen. Es trifft auf alle - natürlich auch säkularen - "Auserwählten" zu. 
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    "6. Auslöschung des internalisierten Wertsystems (S. 10)
    Die Auslöschung der ursprünglich anerkannten Werte und Normen vollzieht sich analog zum Werterlöschen in der endogenen Depression und zur Wertumwandlung bei schizophrenen Psychosen."
    Das sind nun echt abenteuerliche psychopatho- logische Hypothesen, die nicht begründet und belegt werden. Unklar bleibt auch, was das für eine Methode "analog" sein soll (> Wahn in den internationalen Diagnosesystemen) 
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    "7. Die Wissenschaftsfeindlichkeit (S. 10)
    Der Horror vor kritischen Analysen führt zu einer konsequenten Sperrung gegenüber jeder psychologisch-psychiatrischen Intervention. Dieses Verhalten wird als Ego-defence-Mechanis- mus gedeutet. Die Verleugnung der Realität kann nur durch perfektes Abschotten erfolgen. Dieser Mechanismus verhütet über lange Zeit Ich-Katastrophen und Selbstmord. Wissenschaftsfeindlichkeit ist auch das führende Merkmal dogmatisch erstarrter Ideologien mit Absolutheitsanspruch. Der Zweifel als methodisches Prinzip, stärkster Antrieb für den Fortschritt der Wissenschaft, gilt als Sakrileg."
    Viele RAF-Terroristen [W] waren wissen- schaftlich gebildet und haben studiert. Die These der Wissenschaftsfeindlichkeit erscheint ange- sichts dieser Tatsache völlig daneben. Abwehr- und Neutralisationsmechanismen dienen in erster Linie der Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes; was das mit "Sperrung gegenüber jeder  psychologisch-psychiatrischen Intervention" zu tun haben soll, bleibt unerfindlich. Misstrauen gegen psychiatrische GutachterInnen vor Gericht ist grundsätzlich sinnvoll und ein Zeichen für Realitätstüchtigkeit. 
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    "8.  Gestörte Partnerbeziehungen (S. 10)
    Es besteht Unfähigkeit zu emotional fest verankerten Bindungen und Angst vor Liebe. Dieser Sachverhalt hat sich bei Untersu- chungen an antiautoritär-linksradikalen Studenten ergeben (Grossarth-Maticek10FN4. Aber auch aus eigenen Mitteilungen von Terroristen (Baumann 10FN5) geht dies unmißverständlich hervor." [>11]

     

    Auch diese These ist in ihrem differentialdiagno- stischen Wert abenteuerlich und  fraglich. Im übrigen bleibt unklar, was gestörte Partner- beziehungen, die Millionen zeigen, mit Mono- perceptose zu haben sollen. Bei einer solch starken Behauptung, sollte nicht der in der Psychologie übliche Hochstapler-Zitierstil verwendet, sondern wissenschaftlich korrekt genau die Seiten bei Grossarth-Maticek angegeben werden.
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    "9. Die Stärke der Verdrängungsmechanismen (S. 11)
    Die Kraft zur Verdrängung der Realität ist außerordentlich groß. Sie gleicht den hohen infantilen Verdrängungspotenzen deren Bedeutung nach Abschluß der ödipalen Phase sowie beim Erwachsenen nur noch minimal ist. Nur die Stärke der - wie beim Kleinkind ungebrochenen -Verdrängungskraft erklärt die weitgehende Auslöschung der Realität im Bewußtsein der Terroristen.
    Die Konzeption des Begriffes "Monoperceptose" war nicht das Ergebnis abstrakter Überlegungen; sie ist kein bloßes Denkmodell zur Erklärung des Terrorismus. Die Beziehungen des Begriffes zur Realität ergeben sich aus den, in die Kriminalität führenden Lebensläufen, in denen, wenn auch in unterschiedlicher Intensitätie Merkmale des Syndroms erkennbar sind."
    Die RAF-Terroristen haben die Realität nicht verdrängt, sondern teilweise hypersensibel real wahrgenommen, nämlich die Verdrängung und mangelnde Aufarbeitung des 3. Reiches, die Verlogenheit der politischen und sozioökono- mischen Eliten und der öffentlichen Meinung, insbesondere den simplifizierenden Meinungs- terror der Boulevardmedien. Nicht einmal die fehlenden objektiven Interessen der existierenden Arbeiterklasse wurden verkannt, im Gegenteil, man hoffte durch den Terror, den Staat so repressiv zu machen, dass die Arbeiterklasse aufwachen musste. Die Theorie war neben ihrer Fragwürdigkeit auch falsch. 
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    Abgrenzung klinischer und Wahn der Gesunden (S. 12)

    "Man sollte meinen, "verrückt" ist "verrückt", "Wahnsinn" ist "Wahnsinn", "Psychose" ist "Psychose". Weit gefehlt! Die wissenschaftliche Psychiatrie hat über 150 Jahre zur Klärung der nosologischen Grundbegriffe gebraucht und noch heute besteht hinsichtlich der etablierten Krankheitseinheiten keineswegs ein Consensus omnium. Verrückt im Sinne der Umgangssprache ist vom Begriff der Verrücktheit im klinischen Sinn scharf zu trennen. Der Begriff wird in der Psychiatrie nicht mehr benutzt. Jaspers schrieb jedoch 1913 in der 1. Auflage der "Allgemeinen Psychopathologie" über die Symptomenkomplexe des "verrückten" Seelenlebens. 12FN1 [AnmRS] Gleiches gilt für das im Alltag häufig benutzte Wort "Wahnsinn". Dieses Wort wird als zu unscharf definierter Begriff in der wissenschaftlichen Psychiatrie zur Bezeichnung kranken Seelenlebens nicht mehr verwendet.

       Wir versuchen, in diesem Kapitel Kriterien zu nennen, die es dem Psychiater ermöglichen, klinischen Wahn vom Wahn der Gesunden abzugrenzen. Als Orientierungshilfe sind zunächst die Kriterien anzuführen, die als Wahn-Charakteristika bezeichnet werden. Sie ermöglichen - allerdings nicht immer - die scharfe Unterscheidung zwischen wahnhaften {wahnanalogen) und echten Wahnphänomenen. Der klinische Wahn ist durch folgende Symptome charakterisiert:

    1. Die unvergleichliche subjektive Gewißheit.
    2. Die Unbeeinflußbarkeit durch Erfahrung und logische Schlüsse.
    3. Die Unmöglichkeit des Inhalts.
    4. Die Unmöglichkeit der Rückführung des Wahns auf reale Erlebnisse 12FN2
    Wahn ist, so Jaspers, etwas "Phänomenologisch Letztes". 12FN3 Mit psychologischen Methoden kann der Ursprung des Wahns nicht enträtselt werden. Wir werden bei der Darstellung unserer Fälle diese Kriterien benutzen, um zu zeigen, daß es sich nicht um Wahn im klinischen Sinn, sondern um wahnanaloge Phänomene handelt. Bei der Differentialdiagnose der Monoperceptosen muß ihre andere Qualität von folgenden Syndromen deutlich abgegrenzt werden:
    1.  Klinischer (schizophrener) Wahn.
    2.  Paranoia.
    3.  Sensitiver Beziehungswahn, [>13]
    4.  Monomania simplex.
    5.  Querulanz.
    6.  Fanatische Psychopathie.
    7.  Überzeugungstäter {Ideologietäter).
    8.  Folie à deux."
    Zwar ist richtig, dass es noch keine allgemein akzeptierte Wahndefinition gibt. Schaut man unter dem Stichwort Wahn in das Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologievon Peters, 3. Auflage 1984, so wird hier der Stand der Wahnforschung doch üner Jaspers (1913) hinausgehend beschrieben und in den zu beach- tenden Kriterien umschrieben. Problematisch erscheint mir nur das 4. und 6. Kriterium. Und ein Mangel ist sicher auch, dass nicht darauf hinge- wiesen wird, wie wichtig der Erkenntnisweg ist, und dass auch richtige Urteile wahnhaft entstanden sein können. 
     
     
     
     
     
     
     
     
     

    Das ist der Stand von 1913.

    Die Unmöglichkeit des Inhalts ist sachlich falsch und völlig überholt. Das vierte Kriterium ist untauglich, weil es keine zuverlässigen methodischen Verfahren gibt, zu beurteilen, welche Erlebnisse ein Mensch hatte, z.B. auch in mehr oder minder nicht bewussten Zuständen hatte (Tagtraum, Traum, nicht bewusste kognitive Verarbeitung).
     
     
     
     

    Das sah schon Heinroth (1818) und später Bleuler anders. 
     
     
     
     
     
     
     

     


     
    Epidemiologie (S. 76)
     "Monoperceptosen sind selten (15 eigene Fälle in 20 Jahren forensischer Tätigkeit). Die Diagnose mit den leicht prüfbaren Merkmalen ermöglicht im Strafverfahren die Identifizierung eines besonderen Tätertypus. Dem Richter stehen bei der normativen Wertung der Schuldfrage mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. 76FN2. Die differenzierende Analyse der Täterpersönlichkeit ermöglicht den Verzicht auf pauschale Etikettierungen (z.B. "Psychopath")."
    15  Fälle in 20 Jahren ohne auch nur eine Kontrollgruppe und systematische empirische Untersuchung spricht nicht für das Wissenschaftsverständnis des Erfinders. 

     
    Fußnoten de B.
    Zeichenerklärung: Die Zahl vor "FN" kennzeichnet die Seite, auf der sich die Fußnote findet. Die Zahl nach "FN" gibt die Nummer der Fußnote auf der Seite an. 

    8FN7 Hooker, R., The Laws of Ecclesiastical Policy, (Teil 1-5) 1594-1597, Gesamtausgabe Oxford 1841.
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    9FN1 Auf die Abweichungen vom Urmodell in den Fällen ohne exzessive Gewaltanwendung mit Todesfolge wird im V. Kapitel jeweils hingewiesen.
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    9FN2 Über die Zusammenhänge von infantilen Omnipotenzerlebnissen und Megalomanie: Avenarius, R., Der Größenwahn, Berlin-Heidelberg-New York 1978.
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    9FN3 Schünemann, B., Politisch motivierte Kriminalität. In: W. de Boor (Hrsg.): Politisch motivierte Kriminalität - echte Kriminalität?, München-Basel, 1973.
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    10FN4 Grossarth-Maticek, R., Radikalismus. Untersuchungen zur Persönlichkeitsentwicklung westdeutscher Studenten, München-Basel, 1979.
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    10FN5 Baumann, M. ("Bommi") 1977: "Daß Du Dich für den Terrorismus entscheidest, ist schon psychisch vorprogrammiert.  Ich kann es heute bei mir sehen, das ist einfach Furcht vor der Liebe gewesen..., aus der Du Dich flüchtest in eine absolute Gewalt."
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    12FN1 Jaspers, K., Allgemeine Psychopathologie, 1913, S. 501. 
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    12FN2 Wir werden diese Kriterien bei der Analyse unserer Fälle im V. Kapitel (S. 21) benutzen, um die Nähe zum klinischen Wahn zu zeigen. 
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    12FN3 Jaspers, K., (Fn. 1), S. 80.
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    76FN2 Siehe Kapitel VI (S. 74).


     
     
     
     

    Anm12FN1: Die erste Auflage von Jaspers "Allgemeine Psychopathologie" von 1913 hat "nur" 338 Seiten. Das Zitat findet sich aber ab der vierten, unveränderten Auflage (1946), die 748 Seiten umfasst auf der angegebenen Seite 501. 
    Jaspers führt hier aus:

    "Symptomenkomplexe des "verrückten" Seelenlebens [FN]. Das Gemeinsame  dieser Symptomenkomplexe sind die Züge des schizophrenen Seelenlebens.  In der Persönlichkeit ist eine tiefe Wandlung vor sich gegangen. Der Kranke lebt in einer irrealen, aber in sich vielfach zusammenhängenden Welt. In beiden Beziehungen hat gleichsam eine "Verrückung" des Standpunktes stattgefunden.  Der Reichtum der Zustandsbilder ist noch größer wie in den beiden vorhergehenden Gruppen."

     
     
     
     
     
     
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    Literatur (Auswahl)  > Wahnüberblick und Wahnliteratur. > Wahn in den Diagnosesystemen.
    • Boor, Wolfgang de (1978). Terrorismus: Der «Wahn» der Gesunden. In: H.-D. Schwind (1978, Hrsg.): Ursachen des Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin: de Gruyter.
    • Boor, Wolfgang de (1997). Wahn und Wirklichkeit. Psychiatrische Grenzfälle vor Gericht. München: C.H. Beck.
    • Jaspers, K. (1948, 5. Auflage; [1. Auflage 1913, letzte und 9. Auflage 1973]). Allgemeine Psychopathologie. Berlin: Springer.
    • Peters, U. H. (31984 ff). Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Mit einem englischen und einem französischen Glossar. Anhang: Nomenklatur des DSM III. München: Urban & Schwarzenberg.




    Links (Auswahl: beachte)



    Glossar, Anmerkungen und Fußnoten
    1) GIPT= General and IntegrativePsychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Jaspers 1913, S. 501. Die Quelle kann nicht stimmen, da die erste Auflage von Jaspers Allgemeiner Psychopathologie im Jahre 1913 nur 338 Seiten hat. Es muss sich also um eine später Auflage handeln, wahrscheinlich wird die vierte (1946), neugestaltete oder eine folgende unveränderte Auflage zitiert. In meiner 5. unveränderten Auflage findet sich jedenfalls S. 501 das Zitat.
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    Zurückhaltung ist zu wenig: "Bei einem Vortrag, den ich auf Einladung des Heidelberger Psychiaters Werner Janzarik im Herbst 1976 in der dortigen Psychiatrischen Klinik hielt, habe ich das Auditorium mit dem neuen Begriff bekannt gemacht. Die Ausführungen wurden mit skeptischer Zurückhaltung aufgenommen. Neue Begriffe sind nicht sonderlich beliebt."
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    Wahn bei Peters (1984). "Wahn (m). Phänomenologie: Objektiv falsche, aus krankhafter Ursache entstehende Überzeugung, die ohne entsprechende Anregung von außen entsteht und trotz vernünftiger Gegengründe aufrecht erhalten wird. Eine allgemein akzeptierte Definition gibt es nicht. Bei der Feststellung von Wahn müssen jedoch eine Reihe von phänomenologischen Kriterien beachtet werden: 1. Die wahnhafte Überzeugung wird mit einer subjektiven Gewißheit erlebt, welche die Gewißheit normaler Überzeugungen übertrifft. 2. Unbeeinflußbarkeit durch Erfahrung und durch zwingende Schlüsse (Widerspruch zur Evidenz). 3. Absolute Unkorrigierbarkeit auf dem Höhepunkt der Erkrankung. Später kann eine Distanzierung eintreten; der Wahn kann korrigiert werden oder unverändert bestehen bleiben (-> Residuärwahn). 4. Entstehung aus krankhafter Ursache. Wahn kann nicht als Konstruktion angesehen werden, die einer sonst gesunden Persönlichkeit gleichsam aufgeklebt ist. 5. Zum Irrtum besteht ein Unterschied hinsichtlich der Ursachen (Krankheit) und der Konsequenzen. Ein Irrtum ist bei ausreichender Information korrigierbar, am Wahn wird trotzdem festgehalten. 6. Der Inhalt des Wahns wird innerhalb der soziokulturellen Gruppe des Betreffenden von niemandem oder fast niemandem (-> folie à deux) geteilt, sondern im Gegenteil als falsch beurteilt (Unterschied zu Aberglauben, gemeinschaftlichen Irrtümern).
    Wahn ist durch alle Zeiten hindurch ein Grundphänomen der Verrücktheit gewesen (JASPERS) und wird vielfach mit geistiger Erkrankung überhaupt gleichgesetzt. Häufig werden Wahn und -> Wahnideen syn. gebraucht, was jedoch nicht ganz korrekt ist. Nach JASPERS kann Wahn nach seinem Ursprung in 2 Klassen eingeteilt werden: 1. Wahnhafte Ideen: für uns verständlich aus erschütternden, kränkenden oder das Schuldgefühl erweckenden Erlebnissen, Trugwahrnehmungen oder Entfremdung der Wahrnehmungswelt hervorgegangene Vorstellungen. 2. Echte Wahnideen: psychologisch nicht weiter zurückzuverfolgen und daher phänomenologisch Letztes. - Nach JASPERS kann ferner jedes menschliche Erleben auch in Form eines Wahns auftreten, so daß »es kein Erleben [gibt], vor das nicht das Wort Wahn zu setzen wäre«; z. B. Wahnwahrnehmung, Wahnvorstellung, Wahnerinnerung, Wahnbewußtheit (s. folgende Stichw.); -> Wahnthema.
    Nach der Art der Entstehung des Wahns lassen sich mehrere Formen unterscheiden: 1. An eine bestimmte Vorstellung wird ohne äußeren Anlaß, sozusagen intuitiv, eine wahnhafte Überzeugung geknüpft; -> Wahneinfall K. SCHNEIDERs, wahnhafte Intuition der frz. Psychiatrie, 2. Ein an sich reales Phänomen wird falsch interpretiert und wahnhaft verfälscht: -> Wahnwahrnehmung K. SCHNEIDERs, wahnhafte Interpretation der frz. Psychiatrie. 3. An abnorme Wahrnehmungen (Halluzinationen) knüpfen sich wahnhafte Deutungen (Erklärungswahn).
    Vorkommen: Wichtige Erscheinung bei Schizophrenie. Kommt jedoch auch bei fast allen anderen psychopathologischen Zustandsbildern vor; endogene Depression (-> Wahnideen, depressive), Manie, zykloide Psychosen, körperlich begründbare Psychosen (paranoide und paranoid-halluzinatorische Syndrome), progressive Paralyse, sensitiver Beziehungswahn. Als eigentliche Wahnkrankheit galt die -> Paranoia.
    Deutungen: Um einen »Sinn im Wahnsinn« zu finden, sind viele Deutungen versucht worden. In anthropologischer Sicht umgreift die »Veränderung der gesamten Daseinsform« in der Psychose auch den Wahn (L. BINSWANGER). Im Wahn kommen verschiedene Weltentwürfe zum Ausdruck, z. B. Kategorien der Vertrautheit und Unvertrautheit (L. BINSWANGER). Andere deuten Wahn als ein »Zu-sich-selbst-Kommen« (A. STORCH), »Selbstwertrettung« (E. KAHN), »Notwendigkeit« (H. C. RÜMKE), »Daseinsverweigerung i. S. der Nichtannahme des uns [>611] zugewiesenen endlichen Schicksals« (A. STORCH). Ausführliche Interpretationen des Wahnhaften hat V. v. GEBSATTEL (1928, 1938) gegeben. In psychoanalytischer Interpretation stellt Wahn die Projektion von eigenen Gefühlen auf äußere Objekte bzw. eine Wunscherfüllung dar. Unfähig, innere narzißtische Kränkungen zu verarbeiten, wird der Kranke durch ihre Projektion nach außen befähigt, sie zu ertragen. FREUD stellte im Fall -> SCHREBER die Projektion uneingestandener homosexueller Wunschphantasien als Grundlage des Wahns dar. Beim Verfolgungswahn wird das Über-Ich nach außen projiziert, wodurch der Kranke sich - statt von sich selbst - von anderen beobachtet und kritisiert fühlt. Wahn wird somit wesentlich zu einer schöpferischen Leistung. »Der [wahnhafte] Weltuntergang ist die Projektion dieser innerlichen Katastrophe. [ ] Und der Paranoiker baut [die Welt] wieder auf, nicht prächtiger zwar, aber wenigstens so, daß er wieder mit ihr leben kann. Was wir für die Krankheitsproduktion halten, ist in Wirklichkeit der Heilungsversuch« (S. FREUD, GW VIII, 307f). Wahn bietet dem Kranken »Regression und Geborgenheit«.
    fr: délire; e: delusion."
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    Empirische Grundlagen der Begriffsbildung
      Der Fall Hans Peter S 21
      Der Stockholm-Prozeß 27
      Der Fall Adolf H 36
      Der Fall M.D 39
      Der Fall Dr. rer. pol. J.W. 45
      Der Fall Raphael K 47
      Der Fall M.K 49
      Der Fall M.R 51
      Der Fall Dr. phil. Otto R. Denker 54
      Der Fall Hasan D 57
      Der Fall Günter Deckert 60
      Der Fall H.O.L 68
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    Querverweise
    Standort: de Boor Monoperceptose.
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    Überblick Wahn in der IP-GIPT * Literatur zum Wahn. * Wahn in den Diagnosesystemen.
    Überblick Arbeiten zur Theorie, Definitionslehre, Methodologie, Meßproblematik, Statistik und Wissenschaftstheorie besonders in Psychologie, Psychotherapie und Psychotherapieforschung.
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site:www.sgipt.org
    z.B. Wissenschaft site:www.sgipt.org. 
    *
    Dienstleistungs-Info.
    *

    Zitierung
    Sponsel, R.  (DAS). de Boor Monoperceptose: Der Wahn "gesunder" Terroristen.  Geschichte der Wissenschaften, hier Psychiatrie und speziell der Wahn. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT. Erlangen:  https://www.sgipt.org/wisms/geswis/psychiat/wahn/BoorDe.htm
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    Ende  de Boor Monoperceptose
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    korrigiert: irsf 07.03.2011



    Änderungen Kleinere Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet und ergänzt.
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