Descartes (1596-1650) dualistische Leib-Seele-Wechselwirkungstheorie
in den Leidenschaften 1649
Originalrecherche von Rudolf Sponsel, Erlangen
Die Beziehung zwischen Körper und Seele heißt in der abendländischen
Geistesgeschichte das Leib-Seele-Problem: Sind Seele und Körper aus
einer, aus zwei oder sogar mehr Substanzen? Was heißt Substanz? Wie
beeinflussen sie sich? Ist die Seele an den Leib gebunden oder unabhängig
vom Leib?
Das Erleben wird unkörperlich erlebt, wodurch man voreilig
schlussfolgerte, dass es körperlos ist. Aber der Schein muss
nicht das Sein richtig widerspiegeln. Zwar ist richtig, dass die allermeisten
Menschen das so erleben, mir geht es auch so, aber nur weil wir es so erleben,
muss es nicht so sein. Wir erleben auch, dass sich die Sonne um unsere
Erde dreht, doch in Wahrheit ist es umgekehrt.
Unser bewusstes Erleben
ist an das Leben und das Wachsein
gebunden, also an einen funktionierenden Körper. Von daher ist es
eher naheliegend, dass Erleben eine Funktion eines funktionierenden Körpers
ist. Können Funktionen eines Körpers körperlos sein (Schwerkraft,
Energiefeld, Magnetfeld; Erleben)? Was folgte aus der Erkenntnis von der
Substanzialität der Seele? Was würde sich ändern? Es scheint,
als ob die Antwort auf all diese Fragen für die Lebens- und Forschungspraxis
wenig Bedeutung hat.
Meine vertiefte Auseinandersetzung mit Desccartes hat sich aus meiner Auseinandersetzung mit Spinoza ergeben, die durch die Rezeption Rohrachers (Einführung in die Psychologie, 1983, 13.A., S. 14) zum Leib-Seele-Problem angeregt und durch zusätzliche beweistheoretische Gründe beflügelt wurde (Spinozas missglückte Nachahmung der euklidischen Methode).
Aus dem Fazit: Descartes Veröffentlichung Über die Leidenschaften der Seele 1649 in 212 Artikeln sind aus dem Briefwechsel (1643-1649) mit der Kurfürstin Elisabeth von der Pfalz hervorgegangen. Die genaue Entstehungsgeschichte berichtet Christian Wohlers. Descartes' Theorie besteht im wesentlichen aus Behauptungen, unzulänglichen Definitionen, die seine eigenen Regeln nicht erfüllen, teilweise aus schwer nachvollziehbaren Annahmen und fragwürdigen Beweisen. Man kann seine Lehre von Körper und Seele als eine dualistische Wechselwirkungsthorie bezeichnen, was seiner theologischen Behauptung von der Unabhängigkeit und Unsterblichkeit der Seele widerspricht. So kann man an Descartes sehr schön studieren, dass auch einer, der Großes für die Wissenschaft geleistet hat, gründlich daneben liegen und vielerlei Unsinn verbreiten kann.
Bei der Erfassung und Auswertung der 212 Artikel ist mir neu aufgefallen, was bislang anscheinend noch niemand aufgefallen ist, dasss Descartes in Artikel 107 und Artikel 136 ein Assoziationsgesetz zwischen Körper und Seele formuliert und postuliert.
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Z-Entstehung Descartes' Veröffentlichung Über die Leidenschaften der Seele 1649 in 212 Artikeln ist aus dem Briefwechsel (1643-1649) mit der Kurfürstin Elisabeth von der Pfalz hervorgegangen. Die genaue Entstehungsgeschichte berichtet Christian Wohlers.
Z-Verbundenheit: Artikel 30: "Um dies Alles besser zu verstehen, muss man wissen, dass die Seele wahrhaft mit dem ganzen Körper verbunden ist, ..."
Z-Eigenleben der Seele Artikel 41: Die Seele hat nach "wo sie selbst ihre Ursache ist" ein Eigenleben.
Z-Sitz Artikel 34: "Die Seele hat ihren Hauptsitz in der kleinen Eichel inmitten des Gehirns; von dort strahlt sie (rayonne) nach dem ganzen Körper vemittelst der Lebensgeister der Nerven und selbst des Blutes, welches für die Einflüsse der Geister empfänglich ist und sie durch die Arterien überall hinbringen kann ..."
Z-Eichel (Zirbeldrüse, Epiphyse): Zentral und Schaltstelle zwischen Seele und Körper. Artikel 41: Mittels der kleinen Eichel (Zirbeldrüse, Epiphyse) kann die Seele den Körper bewegen, Handlungen auszuführen.
Z-Lebensgeister. Metapher - in neuer Interpretation - für die neuronale und hormonelle Information in den Nerven und im Blut
Z-Assoziationsgesetz: Descartes postuliert ein Assoziationsgesetz zwischen Körper und Seele (Artikel 107, 136):
Z-Kategorien-Vermischung
Artikel 41: "Zwei Arten von Gedanken ... deren eine ihr Thun, d.h. ihr
Wollen, die andere ihr Leiden ...", d.h. alle Arten
von Vorstellungen und Empfindungen umfasst". Descartes verfügt über
keine nachvollziehbare Psychologie und vermischt die Kategorien. Obwohl
er wie fast jeder Mensch, Philosoph und Wissenschaftler rund 16 Stunden
am Tag Zeit und Gelegenheit hat, sein faktisches Erleben zu studieren,
scheint er diese uns allen gegeben Möglichkeit, die eigene Psyche
und ihre elementaren
Funktionen des Erlebens zu erfahren nicht genutzt haben zu können
(> Erleben
bei Descartes) - wie die meisten PhilosophInnen nicht.
Z-Definitionen Meist unzulänglich und nicht das, was man sich von Descartes erwartet und auch nicht seinen eigenen Regeln entspricht
Z-Fazit: Descartes Descartes' Theorie besteht im wesentlichen aus Behauptungen, unzulänglichen Definitionen, die seine eigenen Regeln nicht erfüllen, teilweise schwer nachvollziehbaren Annahmen und fragwürdigen Beweisen. Descartes' Wissenschaftstheorie hinkt vorne und hinten. Man kann seine Theorie von Körper und Seele als eine dualistische Wechselwirkungsthorie bezeichnen, was seiner theologischen Behauptung von der Unabhängigkeit und Unsterblichkeit der Seele widerspricht. Man kann an Descartes sehr schön studieren, dass auch einer, der Großes für die Wissenschaft geleistet hat, gründlich daneben liegen und vielerlei Unsinn verbreiten kann. Zwischen Seele und Körper bestehen wechselseitige Beeinflussungen und ein Assoziativgesetz (Artikel 107, 136). Als Schnittstelle zwischen Körper und Seele sieht Descartes die "kleine Eichel" (Zirbeldrüse, Epiphyse), wobei die Lebensgeister über die Nervenbahnen und das Blut wirken.
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Quelltexte nach Stichworten in den Titeln der 212 Artikel
Liebe Artikel 107. Was die Ursache der Bewegungen bei der Liebe ist 80 [Assoziationsgesetz zwischen Seele und Körper]
Stichworte Körper [und Seele] in den 212 Artikeln in Über die Leidenschaften der menschlichen Seele (1649)
Stichworte Seele [und Körper] in den 212 Artikeln in Über
die Leidenschaften der menschlichen Seele (1649)
Volltexte
der Quellen zu Seele und Körper.
"Artikel 30. Die Seele ist mit allen Theilen
des Körpers zusammen geeint.
Um dies Alles besser zu verstehen, muss man wissen, dass die Seele
wahrhaft mit dem ganzen Körper verbunden ist, und dass man nicht wohl
sagen kann, sie befinde [>32] sich in einem seiner Theile mit Ausschluss
der anderen; denn der Körper ist einer und in gewisser Hinsicht untheilbar,
weil seine Organe sich so auf einander beziehen, dass mit dem Wegnehmen
eines der ganze Körper fehlerhaft wird, und die Seele hat von Natur
keinen Theil an der Ausdehnung oder den Richtungen oder den anderen Eigenschaften
des Stoffes, aus dem der Körper besteht, sondern nur am Ganzen seiner
Organe. Denn man kann sich keine halbe oder drittel Seele vorstellen und
keinen Raum, den sie einnimmt; sie wird auch nicht kleiner, wenn man einen
Theil von dem Körper ablöst, sondern
sie trennt sich ganz, wenn man den Verband seiner Organe auflöst."
"Artikel 34. Ueber die gegenseitige Wirksamkeit
von Seele und Körper.
Die Seele hat ihren Hauptsitz in der kleinen Eichel
inmitten des Gehirns; von dort strahlt sie (rayonne) nach dem ganzen Körper
vemittelst der Lebensgeister der Nerven und selbst des Blutes, welches
für die Einflüsse der Geister empfänglich ist und sie durch
die Arterien überall hinbringen kann. Ferner sind die feinen Nervenfäden
in dem ganzen Körper so vertheilt, dass sie in Folge der durch die
sinnlichen Gegenstände veranlassten verschiedenen Bewegungen die Poren
des Gehirns verschiedenartig öffnen. Die darin befindlichen Lebensgeister
drängen dann zu den Muskeln und können die Glieder in aller möglichen
Weise bewegen. Auch die übrigen Ursachen, welche die Bewegung der
Geister zur Folge haben, können sie in verschiedene Muskeln leiten,
und die kleine Eichel, der Hauptsitz der Seele, ist derartig schwebend
zwischen den Höhlen voll Lebensgeister, dass sie sich ebenso vielmal
verschieden bewegt, als es wahrnehmbare Unterschiede in den Gegenständen
giebt. Die Eichel kann aber auch durch die Seele mannichfach bewegt werden,
und letztere ist so beschaffen, dass sie so viel verschiedene Eindrücke
in sich empfängt, d. h. dass sie so viel verschiedene Vorstellungen
hat, als verschiedene Bewegungen in dieser Eichel stattfinden. Endlich
ist die Maschine des Körpers so eingerichtet, dass die blosse verschiedene
Bewegung der Eichel durch die Seele oder sonst eine Ursache die Geister
ringsum in die Poren des Gehirns treibt, von wo die Nerven sie nach den
Muskeln führen, und dort die Bewegung der Glieder erfolgt."
"Artikel 36. Ein Beispiel, wie die Leidenschaften in der Seele entstehn.
"Artikel 38. Ein Beispiel von Körperbewegungen, welche die Leidenschaften
begleiten und nicht von der Seele ausgehen.
"Artikel 41. Von der Macht der Seele Über
den Körper.
Der Wille ist aber seiner Natur nach so frei, dass er niemals gezwungen
werden kann. Von den beiden Arten Gedanken, die ich in der Seele unterschieden
habe, deren die eine ihr Thun, d. h. ihr Wollen, die andere ihr Leiden
im allgemeinsten Sinne dieses Wortes, d. h. alle Arten von Vorstellungen
und Empfindungen umfasst, sind die Gedanken der ersten Art ganz in ihrer
Gewalt; das Wollen kann nur mittelbar durch den Körper verändert
werden; dagegen hängt die zweite Art von den sie bestimmenden Thätigkeiten
ab, und die Seele kann nur mittelbar sie verändern, ausgenommen wo
sie selbst ihre Ursache ist. Und jede Thätigkeit der Seele besteht
darin,
dass sie durch ihr blosses Wollen von Etwas die kleine Eichel, mit
der sie eng verbunden ist, in der Weise be-[>39]wegt, wie es zu der Wirkung
nöthig ist, die diesem Wollen entspricht. 27)"
"Artikel 43. Wie die Seele sich bildlich
vorstellt, aufmerkt und den Körper bewegt.
Will man sich eine Vorstellung von Etwas bilden, was man nie gesehen
hat, so macht der Wille die Eichel sic [>40] so bewegen, dass die Lebensgeister
nach der Poren des Gehirns gestossen werden, deren Oeffnung die Vorstellung
dieses Gegenstandes bestimmt. Will man ferner einen bestimmten Gegenstand
eine Zeit lang aufmerksam betrachten, so hält dieser Wille für
diese Zeit die Eichel in
derselben Richtung fest, und will man gehen oder seinen Körper
irgendwie bewegen, so macht dieser Wille, dass die Eichel ihre Lebensgeister
gegen die Muskeln treibt, welche diese Bewegung herbeiführen. 29)"
"Artikel 47. Worin die Kämpfe bestehen,
die vermeintlich zwischen den niederen und oberen Theilen der Seele stattfinden.
Nur der Gegensatz in den Bewegungen, welche der Körper durch seine
Lebensgeister und die Seele durch ihren Willen gleichzeitig in der Eichel
zu erwecken streben, ist es, aus dem alle jene Kämpfe bestehen, die
man gewöhnlich zwischen dem niederen oder sinnlichen Theil der Seele
und dem höheren oder vernünftigen Theil oder zwischen den natürlichen
Begehren und dem Willen annimmt.
Denn wir haben nur eine Seele in uns, und diese hat keine verschiedenen
Theile;K die sinnliche ist auch vernünftig, und ihr Begehren ist auch
ein Wollen. Der Irr[>43]thum, dass man sie zwei Personen, die meist einander
entgegen sind, darstellen lässt, kommt nur davon, dass man ihre Verrichtungen
nicht von denen des Körpers gehörig unterschieden hat, dem allein
Alles angehört, was sich als der Vernunft widerstrebend zeigt. Es
giebt deshalb hier keinen anderen Kampf, als dass die kleine Eichel in
der Mitte des Gehirns von der Seele nach dieser und von den Lebensgeistern,
die nur Körper sind, nach jener gestossen werden kann. So trifft es
sich oft, dass
beide Bewegungen einander entgegen sind, und dass die stärkere
die Wirkung der anderen aufhebt. Es giebt nämlich zwei Bewegungen
der Eichel durch die Lebensgeister; die einen führen der Seele die
Gegenstände vor, welche die Sinne erregen oder die Eindrücke
in dem Gehirn bewirken; diese erwecken ihren Willen nicht; die anderen
haben einigen Einfluss auf ihn, nämlich die Erregungen, welche die
Leidenschaften und die sie begleitenden Bewegungen des Körpers erwecken.
Die Bewegungen der ersten Art hemmen zwar oft die Thätigkeit der Seele
oder werden durch diese gehemmt; aber trotzdem bemerkt man hier keinen
Kampf, weil sie inieht sich unmittelbar entgegen sind. Nur zwischen den
Bewegungen der zweiten Art und dem entgegenstehenden Willen zeigt
sich dieser Kampf; z. B. zwischen der Kraft, mit der die Lebensgeister
auf die Eichel treffen, um in der Seele das Verlangen nach Etwas zu erwecken,
und der Kraft, mit der die Seele sie vermittelst des Willens, diese Sache
zu fliehen, zurücktreibt. Dieser Kampf tritt vorzüglich deshalb
hervor, weil der Wille die Leidenschaften nicht unmittelbar erwecken kann
und, wie gesagt, die Klugheit zu Hülfe nehmen muss, indem hinter einander
verschiedene Dinge betrachtet werden; trifft es sich, dass ein solches
für einen Augenblick den Lauf der Lebensgeister verändern kann,
so kann dies doch bei der folgenden Vorstellung nicht mehr stattfinden,
und so nehmen die Lebensgeister wieder ihren früheren Lauf, weil der
entsprechende Zustand in den Nerven, dem Herzen und dem Blute nicht
geändert ist. So fühlt die Seele sich beinahe gleichzeitig
getrieben, dasselbe zu begehren und nicht zu begehren, und daraus ist die
Annahme von zwei in ihr sich widerstreitenden Vermögen entstanden.
Solchen Kampf bemerkt man auch dann, wenn dieselbe Sache in der Seele eine
[>44] Leidenschaft und in dem Körper die entsprechenden Bewegungen
erweckt, wozu die Seele nichts beiträgt, aber welche sie anhält
oder anzuhalten strebt, sobald sie sie bemerkt. Man gewahrt dies, wenn
das, was die Furcht weckt, auch die Lebensgeister nach den Muskeln treibt,
die zur fliehenden Bewegung der Beine dienen, und wenn der Wille, muthig
zu sein, sie aufhält. 32)"
"Artikel 95. Wie sie [Freude und Traurigkeit]
auch durch Güter und Uebel entstehen können, welche die Seele
nicht bewirkt, obgleich sie ihr zugehören, wie dies bei dem Vergnügen
an Wagnissen und bei der Erinnerung an vergangene Uebel geschieht.
So entsteht das Vergnügen, was junge Leute im schwierigen Unternehmen
oder in Aufsuchung grosser Gefahren finden, wenn auch kein Vortheil und
kein Ruhm dabei erlangt wird, aus der Vorstellung dieser Schwierigkeit;
indem diese in dem Gehirn einen Eindruck macht, welcher sich bilden würde,
wenn sie sich es als ein Gut vorstellte, so muthig, so glücklich,
so geschickt, so stark zu sein, um dies wagen zu können, und deshalb
finden Jene daran Vergnügen. Ebenso kommt die Zufriedenheit alter
Leute bei der Erinnerung an frühere Leiden davon, dass sie es als
ein Gut vorstellen, dass sie die Macht, sie zu überwinden, gehabt
haben. 63)"
"Artikel 97. Die hauptsächlichsten
Erfahrungen, um diese Bewegungen bei der Liebe zu erkennen.
Betrachtet man die Veränderungen, welche sich an unserem Körper
zeigen, während die Seele von den Leidenschaften bewegt ist, so bemerkt
man bei der Liebe, wenn sie allein ist, d. h. ohne Begleitung einer grossen
Freude, Verlangens oder Traurigkeit, dass der Puls gleichmässig, aber
stärker und kräftiger als gewöhnlich schlägt, dass
man eine angenehme Wärme in der Brust fühlt, und dass die Verdauung
der Speisen in dem Magen schnell erfolgt. Diese Leidenschaft ist daher
der Gesundheit zuträglich. 65)
103, Körperempfindungen Freude der Lebensgeister und des Blutes
in den Organen Artikel 104. Bei der Freude. 79
104, Körperempfindungen Hass der Lebensgeister und des Blutes
in den Organen Artikel 103. Bei dem Hass 78
105, Körperempfindungen Traurigkeit der Lebensgeister und des
Blutes in den Organen Artikel 105. Bei der Traurigkeit 79
106, Körperempfindungen Begehren Körperempfindungen, der
Lebensgeister und des Blutes in den Organen Artikel 106. Bei dem Begehren.
79
"Artikel 107. Was die Ursache der Bewegungen
bei der Liebe ist 80 [Assoziationsgesetz zwischen Seele und Körper]
Aus alle dem und dem Früheren folgere ich eine solche Verbindung
zwischen Seele und Körper, dass, wenn einmal eine körperliche
Handlung mit einem Gedanken verbunden gewesen ist, das Wiedereintreten
des Einen auch das Andere herbeiruft. Dies sieht man bei den Kranken, die
mit grossem Widerwillen einen Trank eingenommen haben; sie können
nachher nichts Aehnliches essen oder
trinken, ohne den gleichen Abscheu zu bekommen, und sie können
nicht an den Abscheu vor der Medizin denken, ohne dass ihnen nicht derselbe
Geschmack in die Gedanken kommt. Denn die ersten Leidenschaften, welche
die Seele nach ihrer Verbindung mit dem Körper hatte, mussten davon
kommen, dass das in das Herz eintretende Blut oder Saft anderer Art mehr
als gewöhnlich zur Unterhaltung der Wärme geeignet war, welche
das Lebensprinzip ist. Deshalb verband die Seele freiwillig diese Nährmittel
mit sich, d. h. sie liebte sie, und gleichzeitig strömten die Lebensgeister
nach den Muskeln, welche die Theile , von denen der Saft nach dem Herzen
gekommen war, anregten oder pressten, um noch mehr dergleichen zu senden.
Diese Theile waren der Magen und die Eingeweide, deren Bewegung den Appetit
steigert, oder auch die Leber und die Lunge, welche die Muskeln des Zwerchfelles
pressen können. Deshalb hat diese Bewegung der Lebensgeister seitdem
immer die Leidenschaft der Liebe begleitet. 68)"
"Artikel 136. Woher die manchem Menschen
eigenthilmlichen Wirkungen der Leidenschaften kommen.
Um mit wenig Worten noch der besonderen Wirkungen und Ursachen der
Leidenschaften zu erwähnen , begnüge ich mich, das Prinzip zu
wiederholen, auf das alles Bisherige sich stützt. Zwischen Seele und
Körper besteht nämlich eine solche Verbindung, dass, wenn eine
körperliche Handlung einmal mit einem Gedanken verbunden gewesen ist,
dann das eine von beiden auch das andere später hervorruft. 72) Auch
werden nicht immer dieselben [>95] Handlungen mit denselben Gedanken verbunden.
Dies genügt zur Erklärung aller besonderen Umstände, die
der Einzelne bei sich oder Anderen in diesen Dingen bemerkt, soweit sie
bisher noch nicht erklärt worden sind. So ist es z. B. leicht möglich,
dass der besondere Widerwille, den Manche gegen den Rosengeruch oder die
Katzen oder Aehnliches haben, nur davon kommt, dass sie im Beginn ihres
Lebens durch einen ähnlichen Gegenstand stark verletzt
worden sind, oder dass sie mit ihrer Mutter gefühlt haben, die
während der Schwangerschaft so verletzt wurde; denn unzweifelhaft
besteht eine Wechselwirkung zwischen den Erregungen der Mutter und der
Leibesfrucht, so dass das, was dem Einen zuwider ist, dem Anderen schadet.
So kann der Rosengeruch dem Kinde in der Wiege heftiges Kopfweh verursacht
haben, oder eine Katze kann
es sehr erschreckt haben , ohne dass Jemand es bemerkt hat, und ohne
dass eine Erinnerung davon zurückgeblieben ist, obgleich die Vorstellung
des damaligen Widerwillens gegen die Rosen oder die Katze bis an sein Lebensende
in dem Gehirn eingedrückt bleibt."
"Artikel 147. Die inneren Erregungen der
Seele.
Ich will hier noch eine Betrachtung beifügen, die sehr nützlich
ist, um uns gegen alle Unannehmlichkeiten der Leidenschaften zu schützen.
Unsere Güter und Uebel hängen nämlich hauptsächlich
von den inneren Erregungen ab, die in der Seele von ihr selbst erweckt
werden. Dadurch unterscheiden sie sich von ihren Leidenschaften, die immer
von einer Bewegung der Lebensgeister bedingt sind. Allerdings sind diese
inneren Erregungen oft mit den ihnen ähnlichen Leidenschaften verbunden,
allein sie können doch auch mit anderen zusammentreffen und selbst
ans den entgegengesetzten entstehen. Wenn z. B. ein Mann den Tod seiner
Frau beweint, die er (wie sich dies oft trifft) doch nicht wieder auferweckt
sehen mag, so kann sein Herz durch die Traurigkeit beklommen sein,
welche aus den Begräbnissfeierlichkeiten und aus dem Mangel einer
Person, an deren Unterhaltung er gewöhnt [>105] war, entsteht, und
es ist möglich, dass ein Rest von Liebe und Mitgefühl, die sich
seinem Vorstellen bieten, ihn weinen lassen, obgleich er in dem Innersten
seiner Seele eine geheime Freude fühlt, welche so stark ist, dass
die gleichzeitigen Thränen und Traurigkeit ihr nichts an ihrer Kraft
entziehen können. Ebenso erweckt das Lesen von sonderbaren Abenteuern
in einem Buche oder ihre Darstellung auf dem Theater mitunter eine Traurigkeit
in uns; mitunter auch eine Freude, eine Liebe oder einen Hass und überhaupt
alle Arten von Leidenschaften, je nach den vorgestellten Ereignissen; aber
dennoch sind wir über die Erregung dieser Gefühle erfreut, und
diese Freude ist eine geistige, die ebenso gut aus der Traurigkeit wie
aus allen anderen Leidenschaften entstehen kann. 81)"
Vereinigung Körper
und Seele Brief Descartes an Elisabeth von der Pfalz 28.06.1643
Brief Descartes an Elisabeth von der Pfalz 28.06.1643, AT III, 691f.,
hier S. 25, Rn 694, Wienand & Ribordy (2015).
"Jedoch war ich der Meinung, daß es eher diese Meditationen waren
als die weniger Aufmerksamkeit erfordernden Gedanken, die Sie in demjenigen
Begriff Dunkelheit finden ließen, den wir von der Vereinigung haben.
Der menschliche Geist scheint mir nicht fähig zu sein, die Unterscheidung
von Seele und Körper und ihre Vereinigung recht deutlich und gleichzeitig
zu begreifen. Denn dafür müßte man beides zugleich als
eine einzige Sache begreifen und sie zusammen als zwei Sachen begreifen,
was sich widerspricht. (Ich nehme an, daß Ihrer Hoheit die Gründe,
welche die Unterscheidung von Seele und Körper beweisen, noch sehr
gegenwärtig in ihrem Geiste sind. Und ich möchte Sie nicht bitten,
sich davon zu lösen, um sich den Begriff der Vereinigung vorzustellen,
den jeder stets in sich selbst empfindet, ohne zu philosophieren; jeder
ist nämlich eine einzige Person und hat zusammen einen Körper
und ein Denken von solcher Natur, daß dieses Denken den Körper
bewegen kann und die ihm zukommenden Akzidenzien empfinden kann.) Zu diesem
Thema habe ich mich früher des Vergleichs der Schwere und der anderen
Qualitäten bedient, die wir uns gewöhnlich als mit irgendwelchen
Körpern vereinigt vorstellen, so wie das Denken mit unserem Körper
vereinigt ist. Ich habe mich nicht darum gekümmert, daß dieser
Vergleich hinkte, insofern diese Qualitäten nicht real sind, wie man
sie sich vorstellt, da ich ge-glaubt habe, daß Ihre Hoheit bereits
völlig davon überzeugt war, die Seele sei eine vom Körper
verschiedene Substanz."
Entstehungsgeschichte
der Leidenschaften nach Christian Wohlers (2014), XVII-XVIII
"Im Mai 1643 bezieht Ren6 Descartes eine neue Wohnung in Egmond de
Hoef. Schon am 6./16. Mai 16431 beginnt mit einem Schreiben
Elisabeths von der Pfalz an ihren Freund und Lehrer der bis zu Descartes'
Tod in Stockholm 1650 fortdauernde Briefwechsel, der die bisherigen mündlichen
Unterredungen ablöst und in dem Descartes sich, angespornt durch teilweise
bohrende Nachfragen seiner Freundin, zu den ansonsten von ihm nicht behandelten
Fragen der Moralphilosophie äußert. Am 13. September 1645 bittet
Elisabeth Descartes, die Passionen zu definierend2 Descartes
erbittet sich am 15. September 1645 Bedenkzeit aus,3 äußert
sich dann aber zu diesem Thema bereits im Brief vom 6. Oktober 16454
der als Keimzelle der späteren Passionen der See/e betrachtet werden
kann. In ihrer Antwort vom 28. Oktober 1645 richtet Elisabeth an Descartes
die kritische Frage, inwiefern die »besondere Regung der Lebensgeister
dazu dient, die Leidenschaften zu bilden«5 und erhält
am 3. November 1645 die Antwort, er habe über die Systematik der Passionen
nachgedacht, sei aber noch zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen.6
Am 6. März 1646 schreibt Descartes Chanut, er werde morgen nach Den
Haag gehen7 und tatsächlich schreibt Elisabeth erst am
25. April 1646 wieder einen Briefs an Descartes, der sich also irgendwann
zwischen dem 7. März [>XVIII] und dem 24. April 1646 in Den Haag aufgehalten
haben kann. Während seines dortigen Aufenthaltes übergibt Descartes
Elisabeth seinen inzwischen erstellten ersten Entwurf der Passionen, den
Elisabeth in ihrem Brief erwähnt, und zu dem Descartes im Mai 1646
nähere Erläuterungen gibt.9 Im Juli 1646 bittet Elisabeth
Descartes, seinen Entwurf der Passionen mit nach Berlin nehmen zu dürfen;10
zu einer Rückgabe dieses Manuskripts ist es offenbar nie gekommen,
denn Descartes schreibt Elisabeth am 20. November 1647, er habe die Passionen
»aus einer äußerst wirren Rohfassung (...) transkribieren
lassen«.11' Diese Transkription schickt Descartes mitsamt
einiger Briefe an Elisabeth über Chanut an Christine von Schweden.12
1649 überarbeitet Descartes seinen ursprünglichen Entwurf und
überläßt ihn einem unbekannten Freund oder Bewunderer zum
Druck, der ihn in zwei der Originalausgabe der Passionen vorangestellten,
bemerkenswert langatmigen Briefen zur Herausgabe seines Manuskripts gedrängt
hatte. Die Passionen erscheinen 1649 bei Henri leGras in Paris und identisch
1650 bei Elzevier in Amsterdam. Descartes hat den Druck nicht mehr überwachen
können.
Der einzige beachtenswerte Satz im Briefwechsel
zwischen dem unbekannten Herausgeber und Descartes ist dessen Aussage in
der zweiten Antwort vom 14. August 1649, es sei »nicht seine Absicht
gewesen, die Passionen als Rhetor zu erklären und noch nicht einmal
als Moralphilosoph, sondern allein als Physiker«.13
Literatur (Auswahl)
Descartes (1596-1650)
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