Gewissheit und Evidenz bei Külpe in den drei Bänden
Die Realisierung
Ein Beitrag zur Grundlegung der Realwissenschaften
Kurzbiographie Universität
Würzburg
Recherche von Rudolf Sponsel, Erlangen
Zum Hintergrund und den Zielen des Werkes gibt das Vorwort des ersten
Bandes Auskunft - und danach die Einleitung (fett-kursive Hervorhebung
RS):
Hiermit übergebe ich der Öffentlichkeit den ersten eines auf
vier Bände berechneten Werkes über den in allen Realwissenschaften
üblichen Prozeß einer Setzung und Bestimmung von Realitäten.
Außer der für alles weitere grundlegenden und programmatischen
Einleitung enthält er eine Untersuchung über die Zulässigkeit
der allgemeinen Realisierung, d. h. der bloßen Setzung realer Objekte.
Dies Verfahren wird durch eine Zurückweisung der Einwände des
Konszientialismus
und des objektiven Idealismus, die mit Bewußtseinsinhalten oder mit
idealen Objekten alle Bedürfnisse der empirischen Erkenntnis bestreiten
zu können glauben, ausreichend sichergestellt.
Der zweite Band wird die Aufgabe haben darzulegen,
wie die allgemeine Realisierung in den in Betracht kommenden Wissenschaften
möglich ist bezw. welche Gründe oder Kriterien dazu führen.
Der dritte Band wird die Auseinandersetzung mit dem Phänomenalismus,
der die Bestimmung der Realitäten, die spezielle Realisierung, für
unzulässig erklärt, und die erkenntnistheoretische Würdigung
des Denkens als der Funktion bringen, ohne die es eine Realisierung nicht
gäbe. Der letzte Band endlich soll die besonderen Formen und Kriterien
der Bestimmung von Realitäten entwickeln. Da
sich der vor vierzehn Jahren konzipierte Grundgedanke und der bald
darauf genauer ausgeführte Plan im ersten Entwurf des Ganzen, den
ich vor einigen Jahren beenden konnte, bewährt haben, glaubte ich
nach wiederholter Durcharbeitung [>VI] an die Veröffentlichung jetzt
herantreten zu dürfen, obwohl ich über die Frist noch nichts
bestimmen kann, die bis zur Ausgabe der folgenden Bände verstreichen
wird."
Einleitung.
1. Wirklichkeit und Realität.
Niemand zweifelt daran, daß alles, was uns, gegeben ist, die Gesamtheit
unserer Erfahrung,- Inhalt unseres Bewußtseins, „Wirklichkeit" in
diesem Sinn ist: Empfindungen und Vorstellungen, Gefühle und Willensregungen,
Wahrnehmungen und Erinnerungen, Phantasiebilder und' Gedanken. Aber ebenso
zweifellos ist, daß diese Wirklichkeit nicht der einzige Gegenstand
unseres Wissens bleibt, sondern daß wir in vielen Wissenschaften
(wir brauchen nur ein Lehrbuch der Physiologie oder der Geographie oder
der Geschichte aufzuschlagen) ebenso wie im täglichen Leben oder im
gewöhnlichen
Gebrauch unseres Verstandes von Gegenständen reden, die nicht
zu dieser „Wirklichkeit", d.h. zu den Inhalten unseres Bewußtseins
gehören. Wir sind weit entfernt davon, unsere körperliche Umgebung,
die Stadt, in der wir leben, die Menschen, mit denen wir verkehren, für
bloße Inhalte unseres Bewußtseins zu halten. Wir schreiben
ihnen Existenz zu, auch wenn sie nicht in unserer Wirklichkeit gegeben
sind 1), wir legen ihnen Eigenschaften
bei, die wir selbst an ihnen nicht erleben oder erleben können.
Wir scheuen uns nicht, Länder und Weltteile anzuerkennen, die wir
nie besucht haben und von denen wir überhaupt keine unmittelbare Erfahrung
gewinnen. Wir erfüllen vergangene Zeiten, die weit hinter uns liegen,
mit Personen und Ereignissen, wir beseelen unsere Mitmenschen mit [>] einem
Innenleben, das der Natur der Sache nach niemals für unser Bewußtsein
vorhanden sein kann. Ja, unsern eigenen Bewußtseinsinhalten legen
wir eine unbewußte seelische Potenz zugrunde, indem wir allerlei
Tendenzen und Dispositionen wirksam denken, die als Gedächtnis oder
Phantasie, als Verstand oder Wille, als Gemüt oder Charakter die gestaltenden
Prinzipien für all das abgeben, was in der Wirklichkeit des Bewußtseins
sich ereignet. Nennen wir alle diese Gegenstände Real it äten,
so erhebt sich die Frage, wie wir dazu kommen, das enge Reich unserer Bewußtseinswirklichkeit
zu überschreiten und solche Realitäten zu setzen und zu bestimmen.
2. Die Berechtigung der Setzung und Bestimmung von Realitäten.
Bei dieser Frage handelt es sich nicht um den tatsächlichen,
in unserm Bewußtsein sich vollziehenden Prozeß dieser Setzung
und Bestimmung. Das ist eine besondere Frage der Psychologie, die über
die Berechtigung nicht entscheidet, weil das auch dann einen Sinn hätte
und zu den gleichen Ergebnissen
führte, wenn dieser Prozeß ganz unberechtigt, ein bloßer
Schein, eine Illusion oder Lüge wäre. Wir wollen vielmehr feststellen;
ob und inwiefern die Setzung und Bestimmung von Realitäten zu Recht
besteht und geübt wird. Nicht auf die zufälligen Motive und Akte,
die dabei beteiligt sind, wenn wir in der Wissenschaft oder im Leben Existenzen
und Wesen annehmen, sondern auf die Gründe und das Recht dieses Verfahrens
ist unsere Untersuchung gerichtet. Darum interessiert uns auch nicht die
Manhigfaltigkeit realistischer Versuche, wie sie hier und dort von diesem
und jenem unternommen werden, sondern die von aller individuellen Eigenart
und Kunst unabhängige allgemeingültige Form, in der sich der
Realismus bewegen muß, wenn und sofern er eine berechtigte Methode
des Denkens und Erkennens soll genannt werden können. Der Realismus
ist uns nicht ein psychologisches, sondern ein erkenntnistheoretisches
Problem, das allen Realwissenschaften und damit auch der Psychologie zugrunde
liegt. Dieses Problem aber zerfällt in vier Teilprobleme:
_
1. Ist eine Setzung von Realitäten möglich
(gegen den Konszientialismus)?
2. Wie ist eine solche Setzung möglich?
3. Ist eine Bestimmung von Realitäten möglich
(gegen den Phänomenalismus)?
4. Wie ist eine solche Bestimmung möglich?
Von diesen Fragen sind die drei ersten in vorangegangenen Untersuchungen behandelt worden. Wir haben es hier mit der letzten, der vierten, zu tun: Wie ist eine Bestimmung von Realitäten möglich?"
Zum Realitätsbegriff seiner Arbeit führt Külpe unter 4. aus (fett-kursiv RS):
"Die Frage nach der Möglichkeit einer Setzung von Realitäten
hat zu einem relativ einfachen Resultat geführt. Als Realität,
so etwa, wie wir es allgemein ausdrücken, ist dasjenige in der Natur
und in dem Geistesleben zu setzen, was und sofern es von unserem Bewußtsein
unabhängig sich erweist. Die Realität ist das Substrat selbständiger
Gesetzlichkeit der Wahrnehmungen und sonstiger Bewußtseinsinhalte.
Dabei kann dieses Substrat innerhalb oder außerhalb des psychophysischen
Subjekts gesucht werden müssen. Je nachdem haben wir es mit Außenwelt
oder Innenwelt, mit Natur oder Seele zu tun. Dieses allgemeine
Ergebnis des Setzungsproblems bildet natürlich die Grundlage und Voraussetzung
für die Bestimmung der Realität. Es handelt sich also bei dieser
um eine Angabe des Wesens eines Substrats selbständiger Gesetzlichkeit
von Bewußtseinsinhalten."
Külpe,
Oswald (1912) Die Realisierung I. Ein Beitrag zur Grundlegung der Realwissenschaften.
Leipzig: Hirzel.
[Intern PDFs: EogDart/EBooks/PsychologiePDF/Geschichte/....]
PDF des Inhaltsverzeichnisses.
Ingesamt habe ich den Eindruck dass Külpe hin- und her schwankt zwischen der zwar von niemand bestrittenen aber auch wenig fundiert entwickelten subjektiven Gewissheit und der objektiven. Wie man von der subjektiven zur objektiven Gewissheit gelangt bleibt ebenso unklar wie der Begriff Gewissheit und seine zahlreichen Erscheinungsformen und Varianten selbst. Auch die Beziehung zwischen Gewissheit und Evidenz bleibt ungeklärt. Külpe hat kein richtiges Verständnis von der Notwendigkeit klarer Begriffe und ihrer Referenzierung. Vielleicht hätte er besser als Psychologe und nicht als Erkenntnistheoretiker und Philosoph schreiben sollen, denn da hatte er als Wundtschüler und Begründer der Würzburger Schule der Denkpsychoilogie ja wirklich etwas drauf. > Ausührliche Analyse mit Fundstellenbelegen in ausgelagerter Datei.
Zusammenfassung-Külpe-Realisierung-I: Der erste Band hat
kein Sachregister. "Gewißheit" wird 62 mal gefunden. "Gewiß"
wird 87x gefunden.
Külpe hätte an der ersten Stelle, S.28, wo er den Begriff
der Gewißheit das erste mal verwendet, erklären müssen,
was er unter Gewißheit versteht, was er nicht macht, auch nicht durch
Querverweis, Fußnote, Anmerkung oder Literaturhinweis (>Grundregeln
Begriffe). Das setzt sich leider in den weiteren Fundstellen fort:
S.48: "1. Die Evidenz der Wahrnehmung ist in den empirischen Wissenschaften
als die einzige Trägerin einer Gewißheit
der Erkenntnis anzusehen. ..." Spätestens hier hätte Külpe
nicht nur erklären müssen, was er unter Gewißheit, sondern
auch was er unter Evidenz (> Begriffsverschiebebahnhöfe)
versteht. So zumindest hat es Aristoteles bereits 2200 Jahren vor Külpe
gefordert:
|
welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch (...) möglich sein? Es muß also jedes Wort (...) bekannt sein und etwas, und zwar eins und nicht mehreres, bezeichnen; hat es mehrere Bedeutungen, so muß man erklären, in welcher von diesen man das Wort gebraucht. ..." Aus: Aristoteles (384-322) Metaphysik. 11. Buch, 5 Kap., S. 244 (Rowohlts Klassiker 1966) |
Im Inhaltsverzeichnis finden sich folgende Einträge:
S.48: "1. Die Evidenz der Wahrnehmung ist in den empirischen Wissenschaften als die einzige Trägerin einer Gewißheit der Erkenntnis anzusehen. ..."
S.49: "6. Das Ideal der wissenschaftlichen Erkenntnis ist ihre Allgemeingültigkeit,
Notwendigkeit und Gewißheit. "
Kommentar-I-28: Das ist eine homukuleske
Formulierung, denn "die" Wissenschaft ist kein Subjekt, das Ideale hat,
sondern es sind Külpes Ideale, die er der Wissenschaft zuordnet.
S.50: "1. Die Evidenz der Wahrnehmung und ihre Beziehung zum Problem
der Realität.
Schon von den Kyrenaikern wird uns berichtet, daß sie
zwischen der Gewißheit der Sinneseindrücke,
die sie anerkannten,
und der Ungewißheit einer realistischen Beziehung der Empfindungen
auf Naturobjekte außer uns als ihre Ursachen unterschieden hätten.
Kommentar-I-50: Sinneseindruck und Quelle des Sinneseindrucks
zu unterscheiden ist sicher sinnvoll.
S.50f: Und als Augustin sich mit dieser Philosophenschule des Altertums
auseinandersetzte, hat auch [>51] er die volle
Gewißheit derjenigen Erkenntnis betont, welche wir
von den eigenen Erlebnissen unseres Bewußtseins :haben.
Kommentar-I-50f: Hier führt eine Steigerungsform,
nämlich volle Gewißheit ein, ohne nähere Erklärungen,
wie er dazu kommt, volle Gewißheit von quasi einfacher
- Gewißheit zu unterscheiden und wie man zum Urteil volle
Gewißheit gelangen kann.
S.51-1: Dieselbe Richtung hat dann auch Descartes' „Cogito ergo sum"
festgehalten, und bis in die modernste erkenntnistheoretische Literatur
hinein finden wir die Selbstgewißheit der inneren
Wahrnehmung als eine unerschütterliche Grundlage, als
eine inappellable letzte Instanz
in der Wissenschaft anerkannt.
Kommentar-I-51-1: > Descartes.
S.51-2: So gibt es nach Volkelt
neben der Notwendigkeit unseres Denkens nur die Selbstgewißheit
des Bewußtseins als eine schlechthin unbezweifelbare Stütze
unserer Erkenntnis. Es wäre nach ihm sinnlos, eine Begründung
dafür zu verlangen, daß ich ein völlig sicheres Wissen
von meinen Bewußtseinstatsachen behaupten darf. Auch in der modernen
Psychologie hat die Evidenz der inneren Wahrnehmung namentlich durch Brentano
und seine Schule eine scharfsinnige Vertretung gefunden. Aus dieser ist
die gründliche Untersuchung über den eigentlichen Sinn einer
solchen Evidenz von
H. Bergmann
2) hervorgegangen.
Kommentar-I-51-2: Das ist, streng genommen, sicher
falsch, weil aus der Selbstgewißheit des Bewusstsein nichts
über den Zustand der Welt außerhalb des Bewusstseins gefolgert
werden kann.
S.51-3: a) Die Bedeutung der Selbstgewißheit
des Bewußseins.
Die beiden von uns bisher nicht ausdrücklich unterschiedenen Begriffe
einer Evidenz der inneren Wahrnehmung und einer Selbstgewißheit
des Bewußtseins fallen nicht ohne weiteres zusammen.
Jener stellt sich in einen offenkundigen Gegensatz zu einer Nichtevidenz
der äußeren Wahrnehmung, behauptet somit die Gewißheit
lediglich für die Feststellung von Empfindungen, Vorstellungen, Gefühlen
u. dgl. m., also für die sogenannten psychischen Phänomene.
Kommentar-I-51-3: Külpe will also zwischen
Evidenz
der inneren Wahrnehmung und einer Selbstgewißheit des Bewuußseins
unterscheiden und damit zwischen Evidenz und Gewißheit. Leider wissen
wir bis hierhin noch immer nicht, was die beiden Begriffe Evidenz und Gewißheit
bedeuten sollen.
S.52f: "Eine Evidenz der inneren Wahrnehmung pflegt nun zunächst
bloß für den unmiitelbar gegenwärtigen Gegenstand derselben
behauptet zu werden. Nur von dem jetzigen Denken und Wollen, von den augenblicklich
gegebenen Empfindungen und Vorstellungen kann hiernach erklärt werden,
daß
man von ihnen eine evidente Wahrnehmung habe. Das scheint bereits im
Begriff der Wahrnehmung zu liegen, die als ein Erkenntnisvorgang bezeichnet
werden kann, der sich auf unmittelbar gegenwärtige Gegenstände
bezieht. Volkelt hat jedoch auch die Erinnerungsgewißheit
in den Kreis der
Evidenz gezogen. Die Gewißheit,
diesen oder jenen Bewußtseinsinhalt erlebt zu haben, ist nach ihm
genau von der gleichen Unmittelbarkeit und Unbezweifelbarkeit, genau von
der gleichen Selbstverständlichkeit wie die Gewißheit,
einen bestimmten Bewußtseinsinhalt jetzt eben in erleben. Daran [>53]
können die von ihm bereitwillig zugegebenen Erinnerungstäuschungen,
denen übrigens auch Wahrnehmungstäuschungen entsprechen, nichts
ändern. Die moderne Entwicklung der Psychologie hat Volkelt darin
recht gegeben. Denn sie läßt nicht nur eine Beobachtung unmittelbar
gegenwärtiger Erlebnisse
zu, sondern auch eine sogenannte rückschauende Beobachtung, welche
die vorausgegangenen Erlebnisse zu ihrem Gegenstande machte). Nur dadurch
wird es ihr möglich, auch die Funktionen des Beachtens, Bewertens,
Denkens und andere, die eine gleichzeitige Beobachtung ausschließen,
in den Kreis
der psychologischen Forschung zu ziehen. Es dürfte sich daher
empfehlen, die Evidenz und Gewißheit
nicht auf die unmittelbar gegenwärtigen Bewußtseinsinhalte einzuschränken,
sondern in einem freilich nur bescheidenen Maße auch für vergangene
Erlebnisse anzuerkennen.
Aber eines wird uns hier sofort auffallen müssen: der Ausdruck
Gewißheit
kann
in doppelter Bedeutung genommen werden. Wenn man von einer objektiven,
einer mathematischen Gewißheit redet, so meint man
damit einen durch objektive Kriterien feststellbaren und kontrollierbaren
Grad des Erkenntniswertes. Für sie ist es gleichgültig, ob sie
von einem erkennenden Subjekt sicher oder unsicher, gewiß
oder ungewiß genannt und empfunden
wird. Mit der Evidenz der inneren Wahrnehmung, mit der Selbstgewißheit
des Bewußtseins dagegen meint man nur diesen subjektiven
Eindruck, den jemand von seinen eigenen Erlebnissen, von ihrem Stattfinden
oder Stattgefundenhaben und von ihrer Beschaffenheit gewinnt. Dieser Eindruck
braucht, wie Volkelt mit Recht hervorhebt, durch den Nachweis einer Täuschung
nicht aufgehoben zu werden. Die objektive Gewißheit
dagegen steht und fällt mit ihrer Richtigkeit. Darum begnügt
sich die Wissenschaft, insbesondere auch die Psychologie, keineswegs mit
der subjektiven Gewißheit. Diese
hängt nicht nur von dem Sach-[>54] verhalt, auf den sie sich bezieht,
sondern auch vom Temperament, von der jeweiligen Stimmung und Disposition,
von den Erfahrungen und Grundsätzen einer Person ab. Der erkenntnistheoretische
Wert dieser Gewißheit steht somit
nicht hoch. Die Erfahrungswissenschaften suchen sich allenthalben durch
zuverlässige Kontrollen gegen die Irrtümer zu schützen,
denen man bei der Anwendung dieser Evidenz unterliegen kann1)."
Kommentar-I-52f: Die Erinnerung verblasst und daher
kann Volkelt ganz sicher nicht recht haben, wie jede AussagepsychologIn
und GedäüchtnispsychologIn weiß. Wieso Külpe das nicht
erkennt, ist mir unverständlich. Die Unterscheidung zwischen mathematischer,
objektiver und subjektiver Gewißheit ist nicht zu beanstanden, auch
nicht Külpes Folgerung: "Der erkenntnistheoretische Wert dieser Gewißheit
steht somit nicht hoch."
S.58: "Fragen wir uns nun, für welche von den fünf Bewußtseinsstufen
überhaupt von innerer Wahrnehmung und einer Evidenz derselben gesprochen
werden kann, so werden wir wohl nur die beiden obersten Stufen des potentiellen
und des aktuellen Wissens heranziehen dürfen. Bei dem Beachten wird
zwar der Gegenstand hervorgehoben, ausgezeichnet, er springt heraus, wie
die Versuchspersonen sich ausdrücken, er hebt sich von seiner Umgebung
ab, aber er wird nicht erkannt. Damit ergibt sich eine volle Bestätigung
unserer Annahme einer Trennbarkeit der inneren Wahrnehmung von ihrem Gegenstande
und eine weitere wesentliche Einschränkung in der Geltung der Selbstgewißheit
des Bewußtseins. Schon Volkelt hat zwei einschlägige
Bedingungen derselben angeführt. Erstens muß man nach ihm dem
Bewußtseinsinhalt mit Aufmerksamkeit zugekehrt sein.
Kommentar-I-58: Die Lehre von den Bewusstseinstufen
wird von Külpe durch Beobachtungen und Experimente gut fundiert (hierzu
auch mein 7-Phasen-Modell
der Bewusstseinsvorgänge).
S.58f: "Was in meinem Bewußtsein „halb beachtet und unbeachtet
verläuft, davon habe" [>59] ich nur ein ungefähres Wissen, nur
ein unklares Gefühl. Zweitens muß den Bewußtseinsvorgängen
ein gewisser Grad von Deutlichkeit eigen sein, wenn sie unbedingt sicher
gewußt werden sollen. Es gibt eine Fülle dunkler verschwommener
Regungen in uns, deren wir, auch wenn wir uns ihnen mit angespanntester
Aufmerksamkeit zuwenden, nur unsicher gewiß
werden"). Insofern auch nach unserer Einteilung der Bewußtseinsstufen
das Beachten als eine Vorstufe des Wissens angesehen werden kann, steht
die erste der von Volkelt angegebenen Bedingungen im Einklang mit unseren
Ausführungen.
Die zweite enthält den Hinweis auf eine gegenständliche Einschränkung,
auf die wir weiter unten noch zu sprechen kommen. Unsere Versuche haben
aber nicht nur ergeben, daß man Erlebnisse haben kann, ohne daß
man während des Erlebtwerdens von ihnen weiß, daß also
in diesem Falle höchstens
von einer Evidenz der rückschauenden Wahrnehmung, der nachträglichen
Selbstgewißheit geredet werden darf, sondern auch,
daß es Gewißheitsgrade gibt,
und daß die Stufe des Konstatierens im allgemeinen mit der größten
Gewißheit zusammenfällt. Die Zahl der Fehler
in der Bestimmung eines Gegenstandes wächst, wenn tiefere Bewußtseinsstufen
für sein Vorhandensein bestehen. Aber auch das Konstatieren ist nicht
völlig gegen Irrtümer geschützt. Der subjektive
Gewißheitseindruck gibt uns also keine Garantie für
die objektive Fehlerlosigkeit der Feststellung. Zugleich bestehen individuelle
Unterschiede in diesem Verhältnis. Das hängt zum Teil mit der
Übung in solchen Beobachtungen zusammen, beruht aber zweifellos auch
auf Unterschieden der Anlage. Fähigkeit und Neigung zu solchen Beobachtungen
sind in verschiedenem Maße vorhanden, skeptische Vorsicht und Zurückhaltung
im Urteil steht neben resolutem Zugreifen und Behaupten. Die experimentelle
Psychologie hat uns gelehrt, daß auch die [>60] Ergiebigkeit der
Aussagen über die selbstgewissen Tatbestände individuell variiert,
und daß der Umfang der evidenten Wahrnehmung von verschiedener Größe
ist. Aus alledem folgt eine wesentliche Einschränkung ihrer Bedeutung
für die Erkenntnis. Fragen wir uns zum Schluß, was denn eigentlich
evident wahrgenommen wird, so kann zunächst darauf geantwortet werden:
daß man ein Erlebnis hat. Daß ich etwas gesehen, gehört,
empfunden, daß ich etwas vorgestellt oder gedacht, gefühlt oder
gewollt habe, darüber besteht ein evidentes Wissen. Auch Bergmann
scheint der Evidenz der inneren Wahrnehmung nur diesen Sinn zu geben, wenn
er von einem thetischen, das bloße Vorhandensein eines psychischen
Vorgangs anerkennenden Urteil redet. Auch für jene flüchtigen
und verschwommenen, für jene undeutlichen Zustände und Regungen,
von denen Volkelt als einer einschränkenden Bedingung für die
Selbstgewißheit
des Bewußtseins gesprochen hat, würde eine solche
Evidenz gelten können. Das ist nun freilich nicht viel. über
die eigentliche Beschaffenheit des Erlebnisses ist damit noch nichts ausgemacht,
und die Anwendung der vulgären Terminologie, der Begriffe des Wollens
und Denkens, des Gefühls und der Vorstellung, hebt uns über diesen
Mangel nicht hinaus. Die Psychologen wissen, daß die bloße
Erklärung einer Versuchsperson, sie habe gewollt oder sei aufmerksam
gewesen, bei der unsicheren und schwankenden Bedeutung solcher Ausdrücke
und bei der schwer zu fassenden Natur der bezeichneten Tatsachen sehr wenig
zu besagen hat. Trotzdem ist es nicht notwendig, die Evidenz auf bloße
Feststellungen eines X zu besdiränken, es können insbesondere
gröbere Unterscheidungen ebenfalls mit
Gewißheiterfolgen.
Daß ich rot und nicht etwa grün gesehen, einen hohen und nicht
einen tiefen Ton gehört, Lust und nicht etwa Unlust gefühlt,
eine Straße in Bonn und nicht etwa in Würzburg vorgestellt habe,
an Kant und nicht etwa an Aristoteles gedacht habe, erschreckt und nicht
etwa begeistert war, kann ich mit Sicherheit angeben. Ebenso, daß
der Unterschied zwischen weiß [>61]und schwarz größer
ist als der zwischen schwarz und dunkelgrau, daß die Hitzeempfindung
den Kälte- und Wärmeempfindungen verwandter ist als den Druckempfindungen,
daß die Sinnesvorstellungen den Empfindungen ähnlicher sind
als die gedanklichen Inhalte u. a. m. Wo dagegen die Gegenstände oder
ihre Unterschiede einander ähnlicher werden, wird die Aufgabe Ihrer
Bestimmung schwieriger und die Sicherheit geringer. Bei Übergängen
in kleinen Stufen, wie sie bei der Anwendung der Grenzmethode z. B. dargeboten
werden, ist es oft nicht möglich, einen Unterschied oder seinen Mangel
mit zweifelloser Sicherheit anzugeben. Die Fragezeichen in den Protokollen
und Tabellen der experimentellen Psychologen sind eine stehende Einrichtung
und zeigen uns mit großer Klarheit, daß die Selbstgewißheit
des Bewußtseins ihre Grenzen hat und wo diese liegen.
Es wäre hiernach keine genügende Erklärung,
wenn man die bezeichneten Einschränkungen der Wahrnehmungsevidenz
auf ein Versagen der Terminologie, auf Schwierigkeiten der Benennung u.
dgl. zurückführen wollte. Gewiß kann die diskret abgestufte
Natur unserer Zeichen oft genug der Kontinuität und Mannigfaltigkeit
der Bewußtseinstatsachen gegenüber unzureichend sein. Aber wir
erleben bei psychologischen Versuchen nur zu oft den Fall, daß sich
zwei verschiedene Ausdrücke zur Bezeichnung des nämlichen Tatbestandes
aufdrängen und wir nicht wissen, welchen von beiden wir anwenden sollen.
Es liegt hier keine Unzulänglichkeit der Worte, sondern einfach eine
Unsicherheit über die Natur der Erlebnisse selbst vor. Man pflegt
auch in der experimentellen Psychologie den Schwierigkeiten der Beschreibung
dadurch aus dem Wege zu gehen, daß man den Versuchspersonen eine
Anzahl von allgemeineren Urteilsausdrücken, wie kleiner, größer,
gleich usf. zur Verfügung stellt. Außerdem kann ja eine kontradiktorische
Bestimmung jederzeit mit voller Schärfe angewandt werden, z. B. gleich
— ungleich, vorhanden — nicht vorhanden. Hier ist eine sprachliche Unvollkommenheit
für dann noch auftretende Ungewißheiten
zweifellos nicht verantwortlich zu machen. Und [>62] doch fehlt es auch
in solchen Fällen nicht an den Fragezeichen oder an der Anwendung
verschiedener Bezeichnungen (größer oder gleich, kleiner oder
gleich usf.)."
Kommentar-I-58f: Gewissheitsgrade begründet
Külpe hier mit Versuchen. Da wäre es dann natürlich notwendig,
den Gewissheitsbegriff selbst zu klären. Wichtig auch seine gewiss;-)
richtig Sprachkritik im Hinblick auf Versuchspersonen.
S.62: Die Gesetzmäßigkeit, die in allen diesen Erscheinungen
zutage tritt, läßt sich etwa so formulieren: Unter sonst gleichen
Umständen ist für ein und dasselbe Erlebnis eine allgemeinere
Bestimmung leichter und mit größerer Sicherheit zu treffen,
als eine speziellere. So kann bei einer gewissen Ungunst der Verhältnisse
von der Bewegung einer Sternschnuppe zwar noch gesagt werden, daß
sie stattgefunden habe, nicht aber die Bahn genauer angegeben werden. Daß
ein Unterschied zwischen zwei Helligkeiten bestand, die hintereinander
momentan aufleuchteten, ist auch dann noch feststellbar, wenn über
seine Richtung (nämlich daß die zweite heller war als die erste)
nichts mehr' ausgesagt werden konnte. Sehr häufig ereignet es sich
auch im täglichen Leben, daß wir uns zwar erinnern, jemand bereits
gesehen zu haben, ihn aber nicht mehr unterbringen können. So ist
eine längere Dauer eines Eindrucks,
eine größere Deutlichkeit seiner Bestandteile und seines
Unterschieds von der Umgebung, eine schärfere Konturierung seiner
Gestalt u. dgl. m. erforderlich, um speziellere Bestimmungen über
ihn treffen zu können. Aber auch für die allgemeinsten Angaben
ist eine Grenze ihrer Sicherheit bei dieser Relativität ihrer Bedingungen
unvermeidlich. Wir bemerkten ja bereits oben, daß auch über
das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Erlebnisses Ungewißheit
bestehen könne.
Wir wollen auf die interessanten Fragen, die sich
auf die Erklärung dieser Gesetzmäßigkeit, auf deren methodologische
Konsequenzen und auf scheinbare Ausnahmen beziehen, hier nicht näher
eingehen, sondern jetzt zusammenfassen, was wir über die Bedeutung
der Evidenz der inneren Wahrnehmung und der Selbstgewißheit
des Bewußtseins in erkenntnistheoretischer Hinsicht
festgestellt haben. Diese Evidenz und Selbstgewißheit
ist zunächst nur ein subjektiver Eindruck, als solcher von subjektiven
Bedingungen abhängig und auf das erlebende Subjekt eingeschränkt.
Sie hat darum weder den Charakter [>63] einer objektiven noch den einer
allgemeingültigen Erkenntnis. Sie verbürgt nicht die Richtigkeit
ihrer Angaben, und sie ermöglicht nicht die unmittelbare Teilnahme
anderer an der nämlichen Konstatierung. In erster Linie wird ferner
nur das unmittelbar gegenwärtige Erlebnis mit solcher Evidenz wahrnehmbar.
Wenn es auch eine Erinnerungsgewißheit
gibt, so ist sie jedenfalls nur in geringerem Umfange vorhanden und in
noch höherem Grade subjektiven
Einflüssen ausgesetzt. Sodann ist die Selbstgewißheit
des Bewußtseins auf bestimmte Stufen desselben beschränkt,
auf diejenigen des potentiellen und aktuellen Wissens, das sich freilich
auch nachträglich auf bereits abgelaufene Erlebnisse erstrecken kann.
Endlich sind die allgemeineren Feststellungen dieser Evidenz und Selbstgewißheit
eher teilhaftig als die spezielleren Bestimmungen, die nur bei günstigeren
gegenständlichen und zuständlichen Bedingungen mit gleicher Sicherheit
getroffen werden können. Wenn wir auch nicht so weit gehen, in der
evidenten Wahrnehmung lediglich ein das Vorhandensein eines Erlebnisses
anerkennendes Urteil zu sehen, so wird sie durch die hier angeführten
Einschränkungen auch als Erkenntnisquelle, als bloßes Hilfsmittel
einer Sammlung empirischer Tatsachen auf einen relativ geringen Wert herabgedrückt.
Sie versagt bei niederen Bewußtseinsstufen, beim fremden Seelenleben,
bei feineren und detaillierten Angaben, und sie ist keine absolut sichere
Grundlage der Erkenntnis, auf die man sich blindlings verlassen könnte,
nicht schlechthin letzte Instanz, über die hinaus kein Fragen, Prüfen
und Zweifeln denkbar wäre.
Kommentar-I-62: Külpe fasst zusammen: "Sie
hat darum weder den Charakter [>63] einer objektiven noch den einer allgemeingültigen
Erkenntnis. Sie verbürgt nicht die Richtigkeit ihrer Angaben, und
sie ermöglicht nicht die unmittelbare Teilnahme anderer an der nämlichen
Konstatierung. ... Sie versagt bei niederen Bewußtseinsstufen, beim
fremden Seelenleben, bei feineren und detaillierten Angaben, und sie ist
keine absolut sichere Grundlage der Erkenntnis, auf die man sich blindlings
verlassen könnte, nicht schlechthin letzte Instanz, über die
hinaus kein Fragen, Prüfen und Zweifeln denkbar wäre."
S.64: Aber auch die subjektive Psychologie, die auf die persönlichen
Erlebnisse einzelner Subjekte und damit auf deren Selbstbeobachtung gestützt
wird, reicht mit jener Selbstgewißheit
nicht aus, und die experimentelle Psychologie geht nicht so weit, alle
Beobachtungen unter dem Gesichtspunkte stattfinden zu lassen, daß
sie lauter evidente Wahrnehmungen enthalten. Sie verfährt auch nicht
nach dem Rezept: eine evidente Wahrnehmung ist mehr wert als hundert nicht
evidente, weil ihr der subjektive Gewißheitseindruck
für die objektive Zuverlässigkeit der stattgefundenen Beobachtung
keine hinreichende Bürgschaft liefert. So stehen die selbstgewissen
Aussagen auch nicht jenseits aller Bedenken, Untersuchungen und Kontrollen.
Vielmehr werden diese Aussagen genau ebenso wie andere an den Maßstäben
gemessen, welche die Psychologie auf diesem schwer zugänglichen Gebiet
ausgebildet und zur Anwendung gebracht hat. Als solche Maßstäbe
gelten die innere Wahrscheinlichkeit einer Beobachtung, ihre Übereinstimmung
mit gleichartigen Beobachtungen desselben und anderer Subjekte und die
adäquate Beziehbarkeit auf einen objektiven Sachverhalt.
b) Über die Beziehung der Selbstgewißheit
des Bewußtseins zum Problem der Realität
Die Beziehung der Wahrnehmungsevidenz zur Realisierung liegt auf der
Hand. Die Konszientialisten
stellen sich auf den Standpunkt, daß es keinen Sinn habe, hinter
den mit Selbstgewißheit festgestellten
Tatsachen noch nach Gegenständen zu suchen, die die eigentliche Wirklichkeit
bilden sollten. Insbesondere aber kann man zwei Behauptungen über
den Zusammenhang der Wahrnehmungsevidenz mit einer konszientialistischen
Erkenntnistheorie unterscheiden:
a) Die innere Wahrnehmung scheint ihre Gegenstände immittelbar
so zu erfassen, wie sie an sich sind. Es gibt demnach keine von ihr verschiedene
Realisierung in der Psychologie. Kants Lehre vom inneren Sinn, der, ebenso
wie der [>65] äußere, durch seine Form eine Erfassung der psychischen
Vorgänge in der Realität ihres Ansichseins unmöglich machte,
ist hiernach unhaltbar. Eine Phänomenalität der inneren Erfahrung
im Unterschiede von ihren Gegenständen an sich anzunehmen ist nicht
gestattet. Selbstgewißheit des Bewußtseins
bedeutet somit zugleich eine Realisierung der Bewußtseinstatsachen,
die ihrer teilhaftig werden.
Kommentar-I-64: Das Ding
an sich ist eine Schimäre und so wie es konstruiert ist,
kann man es bei Gegenständen grundsätzlich nicht erfassen "wie
sie an sich sind". Külpe behauptetm belegt und beweist nicht (operational).
S.67f: Aber es muß doch gegen die hier vertretene Auffassung von
der Überflüssigkeit aller besonderen Realisierungen in der Psychologie
bedenklich stimmen, daß weder Beneke noch Wundt, die beredten Anwälte
einer Aktualitätstheorie,
auf eine solche Realisierung verzichtet haben. Beneke redet von einer Seele
mit Angelegtheiten und Spuren, von Prozessen der Reizerfüllung und
Ausbildung neuer Urvermögen und konnte das alles offensichtlich aus
einer noch so evidenten inneren Wahrnehmung nicht schöpfen. Ebenso
hat Wundt eine voluntaristische Metaphysik entwickelt, die die ganze Mannigfaltigkeit
unseres Seelenlebens auf Willenseinheiten zurückführt, die in
Wechselwirkung miteinander stehen. Diese Metaphysik führt nicht nur
weit über das im Bewußtsein Vorgefundene hinaus, sondern ist
auch mit der Psychologie ihres Autors unvereinbar, nach der der Tatbestand
des Willens sich in besonderen Gefühlen erleben läßt, also
kein Akt sui generis ist. So streben beide Philosophen über die Wahrnehmungsgewißheit
hinaus zu einer Realisierung des Seelenlebens mit Hilfe anderweitiger Methoden.
Man könnte diesem Sachverhalt dadurch Rechnung tragen, daß man
eine Ergänzung der wahrgenommenen Tatbestände zuläßt,
für diese selbst jedoch an ihrer unveränderlichen Realität
festhält. Wo die Wahrnehmung angewandt wird, würde sie demnach
ihren Gegenstand so zeigen, wie er [>68] an sich ist. Vielleicht genügt
sie nicht, um eine in sich abgeschlossene, den logischen Anforderungen
entsprechende Psychologie zustande zu bringen. Aber in ihrer Sphäre
würde sie eine vollkommene, durch keine andere zu modifizierende Realisierung
leisten. Man würde die Psychologie vielleicht nicht als Wissenschaft
von den durch evidente innere Wahrnehmung erkannten Gegenständen definieren
können. Aber wo eine solche Wahrnehmung stattfindet, würde es
keinen Unterschied zwischen Erscheinung und Realität geben. Wie kam
nun aber Kant dazu, diesen Unterschied auch für die innere Wahrnehmung
zu betonen? Offenbar durch seine Auffassung, daß der innere Sinn
kein reiner Spiegel seiner Gegenstände sei, daß eine Form a
priori bei seiner Betätigung mit unvermeidlicher Gesetzmäßigkeit
mitwirke. Die Phänomenalität der Bewußtseinstatsachen war
ihm also nicht aus einer Bestreitung der Evidenz der inneren Wahrnehmung
hervorgegangen. Sie war vielmehr trotz dieser Evidenz auf Grund einer Annahme
über die Struktur des inneren Sinnes gefolgert worden. Damit gelangen
wir zu der entscheidenden Einsicht in die Beziehungen zwischen der Wahrnehmungsevidenz
und dem Problem der Realität. Jene Evidenz kann Erscheinungen ebensogut
zuteil werden wie Realitäten. Sie enthält ja nur die subjektive
Gewißheit, das Vorhandensein und (in beschränktem
Maße auch) das Sosein eines Gegenstandes zu erfassen.
Ob der mit solcher Gewißheit
konstatierte Gegenstand aber real ist oder nicht, kann durch den bloßen
Gewißheitseindruck
gar nicht entschieden werden. Auf dem Gebiete der äußeren Wahrnehmung
können darum Halluzinationen und Illusionen mit genau derselben Evidenz
erlebt werden wie Wahrnehmungen mit objektiver Geltung. Wenn Beneke und
Wundt gegen Kants Lehre von der Phänomenalität der Innenwelt
polemisieren, so argumentieren sie auch nicht mit der Selbstgewißheit
des Bewußtseins, sondern mit der Erklärung, daß
jene vermittelnde Form, die Kant dem inneren Sinn zuweist, gar nicht als
solche anzunehmen sei. Evidenz und Realisierung stehen somit nicht in einem
notwendigen Wechselverhältnis zueinander: ...
Kommentar-I-67: Külpe erörtert hier die
Frage, ob bei inneren Wahrnehmungen, wie Kant meinte, eine Unterscheidung
zwischen dem Erleben und was hinter dem Erleben steckt getroffen werden
muss, was Beneke und Wundt verneinen: was innerlich wahrgenommen wird,
ist innere Realität und nicht eine Erscheinung dieser.
S.79f: Man kann zwar sagen: ohne Wahrnehmung überhaupt keine Realisierung,
aber nicht: Wahrnehmung ist das Ideal oder gar die einzig mögliche
Form aller Realisierungen. Es könnte sich ja so verhalten, daß
die Wahrnehmung nur den ersten relativ unbedeutenden Schritt erlaubte,
gleichsam das Sprungbrett wäre, dessen man sich bedienen muß,
um in die Realität hineinzukommen, daß sie nur das Material
lieferte, bloße Vorbereitungsarbeit leistete. Auch dann würde
sie eine Grundlage für alle Realisierungen abgeben müssen. Will
man das zum entscheidenden Maßstabe für eine Wertbeurteilung
über die verschiedenen Realisierungsformen machen, so wird man der
Wahrnehmung den Vorrang vor allen anderen zusprechen, weil diese die Erfahrung
voraussetzen und insofern nur auf indirektem Wege das Reale erreichen.
Will man dagegen die Bedeutung der Ergebnisse als Maßstab des Vergleiches
anwenden, so wird man vielleicht der realistischen Setzung und Bestimmung
von Trägern, Substanzen, selbständigen Gegenständen einen
größeren Wert beilegen, als den bei der Wahrnehmungsrealisierung
erhaltenen unselbständigen Gegenständen. Will man endlich die
Gewißheit
und Sicherheit des Verfahrens als einen Maßstab des Werturteils ansehen,
so wird die Entscheidung nicht leicht fallen. Denn die Evidenz, welche
man der Wahrnehmung zuschreibt, ist ja keine Evidenz der an ihr geübten
Realisierung. Auch bei evidenter Wahrnehmung kann [>80] deshalb die Abstraktion
von den in ihr enthaltenen Subjektivitäten unsicher und evidenzlos
sein. Immerhin darf bei der grundlegenden Bedeutung der Erfahrung für
alle Realisierung behauptet werden, daß die Sicherheit aller anderen
Realisierungsformen, selbst wenn sie an sich unbezweifelbar gewiß
sein sollten, von derjenigen der Wahrnehmung abhängt und somit den
Grad der dieser zukommenden Sicherheit nicht übersteigen kann. Aber
es liegt durchaus im Bereiche der Möglichkeit, daß ihre Zuverlässigkeit
nicht geringer ist als die einer realisierenden Feststellung an Wahrnehmungsgegenständen.
Dafür bürgt uns die Allgemeingültigkeit, Notwendigkeit und
Gewißheit der logischen und der mathematischen Operationen.
Kommentar-I-79: Die Sicherheit der Wahrnehmung begrenzt
die Gewissheit.
S.80: Nach diesen Ausführungen ist die Bedeutung des ersten
konszientialistischen Arguments
zu bewerten. Mag eine evidente Wahrnehmung die Grundlage aller
Gewißheit
in den empirischen Wissenschaften sein und mag sie nur den Bewußtseinstatsachen
zugute kommen, so ist sie doch an sich noch keine Realisierung. Das bloße
Vorgefundenwerden eines Gegenstandes im Bewußtsein macht ihn noch
nicht zu einem realen Gegenstande. Zwischen der Wirklichkeit des Bewußtseins
und der Realität besteht ein durch das Kriterium der letzteren bestimmter
Unterschied. Die Erfüllung und Durchführung desselben ist keine
unsichere Spekulation oder willkürliche Meinung, weil sie bereits
an den Wahrnehmungsinhalten selbst einsetzt und sich mit derjenigen Strenge
betätigt, welche dem experimentellen Verfahren und einer logischmathematischen
Denkarbeit innewohnt. Die Beschränkung der Wahrnehmung durch die natürlichen
Unvollkommenheiten unserer Organisation bringt es außerdem mit sich,
daß wir uns nirgends in den Realwissenschaften mit ihren Angaben
ünd Bestimmungen begnügen können, sondern mehr oder weniger
weit nach vertrauenswürdigen Methoden über sie hinausgehen müssen.
Als subjektiver Gewißheitseindruck
ist zudem die Wahrnehmungsevidenz keine zuverlässige Bürgschaft
für die Richtigkeit ihrer Aussagen. Mit alledem soll nicht be-[>81]
stritten werden, daß die Erfahrung der Ausgangspunkt und S.145: 6.
Die Realisierung ein Verstoß gegen das Wissenschaftsideal.
Alle unsere Erkenntnis strebt darnach, über den individuellen
Bereich eines bloßen Glaubens, Annehmens oder Fürwahrhaltens
hinaus zu einer allgemein gültigen Einsicht zu werden. Jedem Satz
der Wissenschaft muß unter den Voraussetzungen, für die er gilt,
von jedermann zugestimmt werden können. Habe ich einen geometrischen
Lehrsatz verstanden und die einzelnen Etappen seines Beweises begriffen,
so muß ich seine Geltung anerkennen. Es steht nicht in meinem Belieben,
ihn zu glauben oder zu verwerfen, etwa sein Gegenteil für möglich
oder wahrscheinlich zu halten, sondern der Zusammenhang zwischen ihm und
seinen Voraussetzungen ist ein logisch und sachlich bündiger und darum
von subjektiver Meinung unabhängiger. Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit
zeichnen nach alter Einsicht die wertvollsten wissenschaftlichen Erkenntnisse
aus. Dabei bedeutet beides nicht eine subjektivempirische Prädizierung.
Die Allgemeingültigkeit einer Wahrheit besagt nicht, daß sie
von allen tatsächlich anerkannt wird, und die Notwendigkeit nicht,
daß jeder sich genötigt fühlt, ihr zuzustimmen. Vielmehr
wird mit der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit die Unabhängigkeit
der Geltung einer Wahrheit von der Anerkennung oder Zustimmung eines sie
erfassenden Subjekts ausgesprochen. Zu diesen beiden, die Geltung von Urteilen
bestimmenden Idealen tritt noch dasjenige der Gewißheit,
worunter wiederum nicht sowohl der subjektive Eindruck derselben, als vielmehr
eine Aussage über ein gegenständliches Verhalten charakterisiert
ist. Man versteht dann darunter denjenigen Charakter eines Urteils, vermöge
dessen das Bestehen eines Sachverhalts für alle Fälle einer ihn
einschließenden Verwirklichung behauptet wird, wäh[>146] rend
wir als notwendig und allgemeingültig eine selbstverständliche
oder bewiesene Behauptung ansehen.
Kommentar-I-80: Doch, alles was sich im Bewusstein
findet, befindet sich dort auch real. Der Mensch und sein Bewusstsein sind
ja Teil der realen Welt. Hier rächt sich, wen mann keine klare
Ontologie der Welten
hat und sich so die Perspektiven vermischen, Verwirrung und Nebel erzeugen.
S.146: Solche ideale Geltung kann nun nach dem wissenschaftstheoretischen
Argument des Konszientialismus der Annahme transzendenter Objekte niemals
zukommen. Sie bleibt bestenfalls eine ewige Hypothese und schädigt
durch ihre Einmischung in die Erfahrungswissenschaften deren Strenge. Was
außerhalb des Bewußtseins liegt, kann niemals mit Sicherheit
angegeben werden, und so ist es am besten, im Interesse der wissenschaftlichen
Geltung überhaupt auf dessen Setzung zu verzichten. Das unmittelbar
Gegebene, die Wirklichkeit des Bewußtseins, die immanenten Objekte
lassen sich allein mit Gewißheit
feststellen und beschreiben. Hier kann das Ideal der Wissenschaft erreicht
werden.
Kommentar-I-146: Gewißtheit wird hier als
Methode gebraucht, ohne dass erklärt wird, wie man mit Gewißheit
feststellt.
S.147: Nun könnte man ja freilich sagen, daß das Entwicklungsstadium
der Wissenschaft dabei zu berücksichtigen sei. Es handle sich also
nicht um die tatsächliche Unvollkommenheit unserer Erkenntnis, sondern
um die prinzipielle Möglichkeit, auf dem Boden der bloßen Erfahrung
zur Allgemeingültigkeit, Notwendigkeit und Gewißheit
vorzudringen.
Aber auch mit diesem prinzipiellen Anspruch sieht es übel aus. Seit
langer Zeit weiß man, daß empirische Urteile jenen Charakter
nicht an sich tragen und tragen können. Erfahrung lehrt bloß,
was ist und war, nicht aber, was sein muß, und die Evidenz der Wahrnehmung
besteht nur für das Subjekt, das sie erlebt Man wird darum nicht behaupten
dürfen, daß die Beschränkung auf die konszientialistische
Sphäre eine Annäherung an das Ideal der wissenschaftlichen Erkenntnis
herbeiführe. Jede neue Erfahrung kann die bisherigen Bestimmungen
über den Haufen werfen. Wenn wir auch in den Erfahrungswissenschaften
notwendige Urteile über Sachverhalte und allgemeingültige Aussagen
über Gesetzmäßigkeiten anerkennen, so geschieht das nur
auf Grund einer künstlichen Isolierung der Faktoren, einer Abstraktion
von der vollen Wirklichkeit, eines Experimentierens und Berechnens, also
auf Grund tief eindringender Mitwirkung eines disponierenden, scheidenden,
kombinierenden und schließenden Denkens. Solche Ergebnisse aber pflegen
zugleich einen hypothetischen Charakter zu tragen, insofern die Voraussetzungen
als gegeben betrachtet werden müssen, damit bestimmte Sachverhalte
sich einstellen können.
Kommentar-I-147: Ja, so ist es.
S.164: Wir wiederholen bei einer Prüfung des Wundtschen Standpunktes
nicht, was wir bereits bei Gelegenheit des ersten konszientialistischen
Arguments ausgeführt haben. Es handelt sich hier für uns nicht
um die innere Wahrnehmung und ihre Evidenz. Wir haben dort gezeigt, daß
diese Evidenz an sich noch keine Realisierung ist. Ebensowenig ist der
Konszientialismus an sie gebunden. Ob man unsicher und mühsam oder
mit selbstverständlicher Gewißheit
und Leichtigkeit die Bewußtseinserscheinungen erfaßt, erforscht
und darstellt, kann hier außer Betracht bleiben. Wir wollen vielmehr
[>165] die Frage nach dem Verhältnis zwischen Ausgangs- und Endgegenstand
in der Psychologie stellen. Wenn beide zusammenfallen, so gilt der Konszientialismus,
mag auch die Evidenz der inneren Wahrnehmung dabei keine Rolle gespielt
haben. Ist aber das, was die Psychologie erarbeitet, nicht mit den
Bewußtseinserscheinungen identisch, die ihre Grundlage mit oder ohne
Evidenz gebildet haben, so wird man von einem psychologischen Realismus
reden dürfen. Dann würde volle Analogie mit der Naturwissenschaft
bestehen, sofern auch diese zwischen den Beobachtungstatsachen und den
realen Vorgängen und Gegenständen unterscheidet, auf die sie
bei ihrer Verarbeitung des Gegebenen geführt wird.
Kommentar-I-164: Külpe führt hier selbstverständliche
Gewißheit [>6.7] ein, ohne
zu erklären, was er darunter verstehen will.
S.202: b) Die höchsten Ideale der Wissenschaft sind Gewißheit,
Allgemeingültigkeit und Einfachheit. Diese Ideale können nur
erfüllt werden, solange man sich in den empirischen Wissenschaften
nach der Lehre des Konszientialismus verhält.
Kommentar-I-202: Das ist eine homukuleske
Formulierung, "die" Wissenschaft ist kein Subjekt, das Ideale hat, sondern
es sind Külpes Ideale, die er der Wissenschaft zuordnet.
S.208: a) Die Gewißheit der Wahrnehmung,
die mit ihr verbundene Evidenz haben wir bereits gewürdigt. Es hat
sich dabei gezeigt, daß diese Evidenz nur in gewissen Grenzen gilt,
und daß sie für die Frage der Realisierung nichts austrägt.
Der erste Schritt einer Setzung von Realem ist dabei sowohl auf psychologischem
wie auf naturwissenschaftlichem Gebiet innerhalb der für die Evidenz
bestehenden Grenzen [>209] möglich. Erst der zweite Schrift,
die Setzung eines fremden Seelenlebens oder die Annahme von Körpern,
führt über die unmittelbare Gewißheit
von Bewußtseinstatsachen hinaus. Und zu diesem zweiten
Schritt pflegt sich teilweise auch der Konszientialist zu entschließen,
indem er Bewußtseinstatsachen anderer Subjekte zugibt, entwicklungsgeschichtliche
Voraussetzungen einführt u. dgl. Dann aber liegt kein Grund vor, die
Evidenz für sich allein in Anspruch zu nehmen."
Kommentar: [>6.1,
6.2,
6.3]
An dieser Stelle kommt mir in den Sinn, dass man Külpes Gewißheit
nicht verstehen kann, ohn dass man vesteht, was er genau mit Evidenz meint.
Kommentar-I-208: Die Gewißheit der Wahrnehmung
ist wie die mit ihre verbundene Evidenz nicht kritisch differenziert worden.
Es fehlt vor allem an operationalen Beispielen und echten empirischen Untersuchungen.
Es ist nach wie vor unklar, was die Gewissheit zur Gewissheit macht, wodurch
das zustande kommt und wie man es prüfen und evaluieren kann.
Fundstellen
"gewiß" 87 in Die Realisierung I
"Gewiß" wird meist in der Bedeutung wahr, zutreffend oder richtig
verwendet.
Zusammenfassung-Külpe-Realisierung-II:
Külpe im Vorwort des ersten Bandes: "Der zweite Band wird die Aufgabe
haben darzulegen, wie die allgemeine Realisierung in den in Betracht kommenden
Wissenschaften möglich ist bezw. welche Gründe oder Kriterien
dazu führen." Auch der zweite Band hat kein Sachregister. "Gewiß"
wird 36x, Gewißheit wird 8 mal gefunden. Nachdem im ersten Band keine
Klärung des Gewißheitsbegriffs erfolgt, ist wohl auch im 2.
Band nicht damit zu rechnen. Die begrifflichen Ungenauigkeiten setzen sich
fort.
S.109f: "f) Voraussetzung des geschilderten Arguments.
Versuchen wir es, den Gründen dieser Ansicht nachzuspüren!
Dazu eignet sich die Ausführung von Zeller. Zeller („Über die
Gründe unseres Glaubens an die Realität der Außenwelt"
in Vorträge und Abhandlungen 111 1884) erklärt: Auf der Voraussetzung
eines Kausalzusammenhangs beruht jede Beziehung unserer Wahrnehmungen auf
Gegenstände 1). Die unmittelbare Gewißheit,
die man dieser Beziehung zuspricht, ist nur ein Zeichen dafür, daß
wir uns des Weges, auf dem sie sich uns gebildet hat, nicht bewußt
sind 2). Aber damit ist für ihre Wahrheit nichts entschieden. Denn
es hat viele Formen unmittelbarer Gewißheit im
Glauben und Aberglauben gegeben, und für den Schlafenden
haben die Traumerscheinungen, für den Wachenden Sinnestäuschungen
auch oft diese Unmittelbarkeit der Be-[>110] ziehung auf Gegenstände.
Unsere Empfindungen und Anschauungen sind nur im Inneren des Subjekts 1).
Die Beziehung auf Dinge ist Sache des Denkens, das durch besondere Eigenschaften
der Wahrnehmungen im Gegensatz zu Phantasiebildern dazu veranlaßt
sein muß."
S.204: Das formale Argument übersieht das viele Hypothetische
und Problematische, was, abgesehen von der Setzung der Realitäten,
bereits in der Wissenschaft enthalten ist. Das unmittelbar Gegebene als
solches beansprucht allein volle Gewißheit,
aber nur, weil es sich aller Kontrolle entzieht. Eine Wissenschaft, die
nur dieses Gegebene zum Gegenstand hätte, wäre ein Unding, d.
h. nur für ein Subjekt und die jeweilige Gegenwart vorhanden. Zieht
man Aussagen über das Gegebene von verschiedenen Subjekten und für
verschiedene Zeiten hinein, so hört die Gewißheit
auf und befindet man sich im Reiche des Hypothetischen und Problematischen."
Kommentar-II-204: Das unmittelbar Gegebene ist kein
autonomes Subjekt und beansprucht daher gar nichts (homunkuleske Entgleisung
mit falscher Begründung "weil es sich aller Kontrolle entzieht").
Subjektive Gewißheit lässt sich bei geeigneten Aufgaben leicht
in objektive überführen und beweisen, z.B. Versuchsperon X. hat
seine linke Hand gekrümmt, was beliebig viele hinzuzuziehnde BeobachterInnen
bestätigen können. Will man den Vpn Aufwand schonen, kann man
1000enden auch ein Video vorliegen und fragen, wad die linke Hand von X.
macht.
S.234: "Wenn nun Kant gegen diese in der Hauptsache schon von Leibniz
vertretene Ansicht geltend macht, daß sie die angewandte Mathematik
nicht verstehen lasse, weil nicht einzusehen sei, wie subjektiv konstruierte
Gebilde auch in der Wirklichkeit eine Rolle spielen sollen, so ist dem
entgegenzuhalten,
daß die Anwendung nur möglich ist, wo den konstruierten
Gebilden gleichende in der Wirklichkeit gegeben sind. Übrigens hat
die sogenannte Metageometrie eines Lobatschewski, Riemann u. a. gelehrt,
daß der Anschauungsraum nicht mit dem realen Raum zusammenzufallen
braucht, und daß daher auch die Anwendung nicht über allen Zweifel
erhaben ist. Wenn die Frage aufgeworfen werden kann, ob zwei Parallelen
im realen Raum sich nicht doch schließlich schneiden oder ob ein
reales Dreieck nicht eine Winkelsumme von mehr oder weniger als 2 R hat,
so ist schon in dieser Frage die apodiktische Gewißheit
der angewandten Mathematik aufgehoben. Die moderne Entwicklung der Geometrie
hat somit gerade einen der wichtigsten Punkte der Kantischen Lehre, die
selbstverständliche Gültigkeit der Euklidischen Geometrie für
die Erscheinungen aufgehoben. Außerdem kann auch hier wieder darauf
hingewiesen werden, daß der Anschauungsraum nicht schlechthin der
Raum der Geometrie und Naturwissenschaft ist. Sonst müßten auch
alle Täuschungen, perspektivischen Veränderungen, Schwellenwerte
in diesen Raum übergehen."
Kommentar-II-234: Hier stellt Külpe die apodiktische
Gewißheit der Mathematik mit guten Gründen in Frage (>Grundlagenstreit).
S.290f: "In extensiver Beziehung bleibt nach dem siebenten Argument
unsere Bestimmung der Realitäten eine unvollständige. Nach dem
nächsten und letzten Argument ist sie [>291] auch in intensiver Beziehung
zur Unvollkommenheit verurteilt, weil ihr die Gewißheit
fehlt."
Kommentar-II-290: Von welcher Gewißheit genau
die Rede ist und warum sie fehlt, bleibt im Dunkeln.
S.298: "c) Schluß.
Wir stellen fest: Gegen Auswüchse des Realismus ist das Hypothesenargument
von Wert, während es seine Kraft und Bedeutung verliert, sobald man
ihm zugesteht, daß eine ewige Hypothese dem Realismus zugrunde liegt
und innewohnt, aber freilich eine solche, die der Phänomenalismus
auch bereits in sich aufgenommen hat. Infolge dieser Hypothese ist volle
Gewißheit, Notwendigkeit und strenge Gültigkeit
dem Realismus versagt, er bleibt somit in intensiver Beziehung hinter dem
Ideal des Wissens zurück. Dagegen kann die Setzung und Bestimmung
als solche nicht nur von einem geringeren auf einen höheren Grad der
Wahrscheinlichkeit übergehen, sondern auch ein wirkliches Wissen werden.
Aber auch die Erfahrung selbst, die Tatsache als solche ist und bleibt
auch für den Konszientialismus
ein hypothetischer Faktor. Man darf daher den Realismus nicht darum einfach
ablehnen, weil er eine Hypothese einschließt, zumal diese Hypothese
als außerordentlich fruchtbar sich längst erwiesen hat."
Kommentar-II-298: Der Realismus muss auf volle Gewißheit
verzichten.
Fundstellen
"gewiß" in die Realisierung II
"Gewiß" erzielt 36 Treffer, davon sind 8 Gewissheit abzuziehen,
so dass 28 verbleiben.
"Gewiß" wird meist in der Bedeutung wahr, zutreffend oder richtig
verwendet.
Zusammenfassung-Külpe-Realisierung-III:
Külpe im Vorwort des ersten Bandes: "Der dritte Band wird die Auseinandersetzung
mit dem Phänomenalismus, der die Bestimmung der Realitäten, die
spezielle Realisierung, für unzulässig erklärt, und die
erkenntnistheoretische Würdigung des Denkens als der Funktion bringen,
ohne die es eine Realisierung nicht gäbe." Auch der dritte Band, aus
dem Nachlaß von Ausgust Messer herausgegeben, hat kein Sachregister.
"Gewiß" wird 27x, Gewißheit nur ein mal gefunden:
Fundstellen "gewiß" in Die Realisierung III
"Gewiß" wird meist in der Bedeutung wahr, zutreffend oder richtig
verwendet.
Zusammenfassung-Evidenz-Külpe-I-II-III: Nachdem Külpe oft den Begriff der Evidenz im Zusammenhang mit Gewißheit verwendet, stellt sich natürlich die Frage, was Külpe unter Evidenz versteht. Ich erfasse und kommentiere die ersten 10 Fundstellen in Die Realisierung I:. Was bis dahin, immerhin 27 Seiten (S.29-55), begrifflich nicht geklärt ist, wird wohl auch weiterhin nicht geklärt werden.
|
welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch (...) möglich sein? Es muß also jedes Wort (...) bekannt sein und etwas, und zwar eins und nicht mehreres, bezeichnen; hat es mehrere Bedeutungen, so muß man erklären, in welcher von diesen man das Wort gebraucht. ..." Aus: Aristoteles (384-322) Metaphysik. 11. Buch, 5 Kap., S. 244 (Rowohlts Klassiker 1966) |
Leider verstehen viele Philosophen, Juristen, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler auch nach 2300 Jahren Aristoteles immer noch nicht, wie Wissenschaft elementar funktionieren muss: Wer wichtige Begriffe gebraucht, muss sie beim ersten Gebrauch (Grundregeln Begriffe) klar und verständlich erklären und vor allem auch referenzieren können, sonst bleibt alles Schwall und Rauch (sch^3-Syndrom). Wer über irgendeinen Sachverhalt etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, wie er diesen Sachverhalt begrifflich fasst, auch wenn dies manchmal nicht einfach ist. Wer also über Gewissheit etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, was er unter "Gewissheit" verstehen will. Das ist zwar nicht einfach, aber wenn die Philosophie eine Wissenschaft wäre und und die PhilosophInnen Aristoteles ernst nehmen würden, dann hätten sie das in ihrer 2300jährigen Geschichte längst zustande bringen müssen. Im übrigen sind informative Prädikationen mit Beispielen und Gegenbeispielen immer möglich, wenn keine vollständige oder richtige Definition gelingt (Beispiel Gewissheit und Evidenz).
Ende Zusammenfassung Evidenz
I-S29: "2. Damit verbindet sich eine andere, gleichfalls antirealistische
Tendenz, nämlich die Richtung auf Exaktheit, Allgemeingültigkeit
und Notwendigkeit, auf unbedingte Zuverlässigkeit und Gewißheit
aller wissenschaftlichen Erkenntnis. Mathematik und mathematische Naturwissenschaft
haben uns daran gewöhnt, die höchsten Anforderungen an die Strenge
der Beweisführung, an einen logisch befriedigenden systematischen
Aufbau, an eine lückenlose Ableitung aller Erkenntnis aus letzten
Voraussetzungen von unmittelbar evidenter
oder
forderungsartiger Beschaffenheit, an eine notwendige und hinreichende
Begründung aller Behauptungen in der Wissenschaft zu stellen."
I-S32: "Die Psychologie wurde zu einer Bewußtseinswissenschaft,
die den Begriff des Unbewußten als unvollziehbar brandmarkte und
sich allein auf die unmittelbare Evidenz
der inneren Wahrnehmung stützen zu können und zu wollen erklärte.
Sie war damit zugleich zu einer Lehre vom wahrhaft Seienden geworden und
konnte sich als Philosophie und Metaphysik gebärden"
I-S48: "1. Die Evidenz der Wahrnehmung
ist in den empirischen Wissenschaften als die einzige
Trägerin einer Gewißheit der Erkenntnis anzusehen.
Aber nur die Bewußtseinstatsachen haben sich ihrer zu erfreuen. Wenn
es daher überhaupt eine Realisierung soll geben können, die nicht
bloß unsichere Spekulation und willkürliche Meinung wäre,
so muß sie auf einer Aussage der Wahrnehmung beruhen. Das bedeutet
aber nichts Geringeres als eine Aufgabe des Unterschieds zwischen dem Realen
und der Wirklichkeit des Bewußtseins."
I-S50: Überschrift "1. Die Evidenz
der Wahrnehmung und ihre Beziehung zum Problem der Realität.
Schon von den Kyrenaikern wird uns berichtet,
daß sie zwischen der Gewißheit der Sinneseindrücke, die
sie anerkannten, und der Ungewißheit einer realistischen Beziehung
der Empfindungen auf Naturobjekte außer uns als ihre Ursachen unterschieden
hätten. Seitdem wird in der Erkenntnistheorie immer wieder als der
archimedische Punkt betrachtet, auf den man alle Erfahrungswissenschaft
zu gründen habe,
daß ein unbezweifelbares Wissen in bezug auf die eigenen Bewußtseinsinhalte
stattfinde. Die Skeptiker sogar haben
davor Halt gemacht, indem sie nicht die Süßigkeit des Honigs,
wie sie unmittelbar empfunden werde, bestreiten zu wollen erklärten,
sondern ihre Skepsis nur gegen ein Ding, Honig genannt, das solche Beschaffenheiten
an sich trüge, richten zu müssen behaupteten. Und als Augustin
sich mit dieser Philosophenschule des Altertums auseinandersetzte, hat
auch [>51] er die volle Gewißheit derjenigen Erkenntnis betont, welche
wir von den eigenen Erlebnissen unseres Bewußtseins haben. Dieselbe
Richtung hat dann auch Descartes
„Cogito ergo sum" festgehalten, und bis in die modernste erkenntnistheoretische
Literatur hinein finden wir die Selbstgewißheit der inneren Wahrnehmung
als eine unerschütterliche Grundlage, als eine inappellable
letzte Instanz in der Wissenschaft anerkannt. So gibt es nach Volkelt_FN1)
neben der Notwendigkeit unseres Denkens nur die Selbstgewißheit des
Bewußtseins als eine schlechthin unbezweifelbare Stütze unserer
Erkenntnis. Es wäre nach ihm sinnlos, eine Begründung dafür
zu verlangen, daß ich ein völlig sicheres Wissen von meinen
Bewußtseinstatsachen behaupten darf. Auch in der modernen Psychologie
hat die Evidenz der inneren Wahrnehmung
namentlich durch Brentano und seine
Schule eine scharfsinnige Vertretung gefunden. Aus dieser ist die gründliche
Untersuchung über den eigentlichen Sinn einer solchen Evidenz von
H. Bergmann_FN2)
hervorgegangen."
I-S51: "a) Die Bedeutung der Selbstgewißheit des Bewußseins.
Die beiden von uns bisher nicht ausdrücklich unterschiedenen Begriffe
einer Evidenz der inneren Wahrnehmung
und einer Selbstgewißheit des Bewußtseins fallen nicht ohne
weiteres zusammen. Jener stellt sich in einen offenkundigen Gegensatz zu
einer Nichtevidenz der äußeren
Wahrnehmung, behauptet somit die Gewißheit lediglich für die
Feststellung von Empfindungen, Vorstellungen, Gefühlen u. dgl. m.,
also für die sogenannten psychischen Phänomene.
I-S52-1: "Die Selbstgewißheit des Bewußtseins kann demgegenüber,
als der weitere Begriff gefaßt werden, insofern sie auch die physischen
Phänomene als Bewußtseinsinhalte ansehen läßt. Für
unsere erkenntnistheoretische Frage ist der weitere Begriff vorzugsweise
in Betracht zu ziehen, weil und sofern er nicht von vornherein einen erkenntnistheoretischen
Wertunterschied zwischen der Naturwissenschaft und der Psychologie voraussetzt.
Auch ist die Beschränkung der Evidenz
auf die innere Wahrnehmung, wie wir später (S. 73ff.) sehen werden,
mit entscheidenden Gründen bestritten worden. Doch wird es schon hier
von Vorteil sein, gerade auf die Evidenz
der inneren Wahrnehmung etwas genauer einzugehen, um dadurch der Frage
nach der Realisierung in der Psychologie vorzuarbeiten. Der Konszientialismus
der Naturwissenschaft pflegt sich auf diese Bedeutung der Bewußtseinsinhalte
für die Psychologie zu berufen und zurückzuziehen. Sollte sich
daher zeigen, daß in der letztgenannten Wissenschaft die Rolle dieser
Evidenz eine wesentlich bescheidenere
und untergeordnetere ist, als es auf den ersten Blick erscheinen möchte,
so würde damit auch dem Konszientialismus
in der Naturwissenschaft eines seiner wichtigsten Fundamente erschüttert
werden."
I-S52-2: "Eine Evidenz der inneren
Wahrnehmung pflegt nun zunächst bloß für den unmiitelbar
gegenwärtigen Gegenstand derselben behauptet zu werden. Nur von dem
jetzigen Denken und Wollen, von den augenblicklich gegebenen Empfindungen
und Vorstellungen kann hiernach erklärt werden, daß man von
ihnen eine evidente Wahrnehmung habe.
Das scheint bereits im Begriff der Wahrnehmung zu liegen, die als ein Erkenntnisvorgang
bezeichnet werden kann, der sich auf unmittelbar gegenwärtige Gegenstände
bezieht. Volkelt hat jedoch auch die Erinnerungsgewißheit
in den Kreis der Evidenz gezogen. Die
Gewißheit, diesen oder jenen Bewußtseinsinhalt erlebt zu haben,
ist nach ihm genau von der gleichen Unmittelbarkeit und Unbezweifelbarkeit,
genau von der gleichen Selbstverständlichkeit wie die Gewißheit,
einen bestimmten Bewußtseinsinhalt jetzt eben zu erleben. Daran [>53]
können die von ihm bereitwillig zugegebenen Erinnerungstäuschungen,
denen übrigens auch Wahrnehmungstäuschungen entsprechen, nichts
ändern. Die moderne Entwicklung der Psychologie hat Volkelt
darin recht gegeben. Denn sie läßt nicht nur eine Beobachtung
unmittelbar gegenwärtiger Erlebnisse zu, sondern auch eine sogenannte
rückschauende Beobachtung, welche die vorausgegangenen Erlebnisse
zu ihrem Gegenstande machte). Nur dadurch wird es ihr möglich, auch
die Funktionen des Beachtens, Bewertens, Denkens und andere, die eine gleichzeitige
Beobachtung ausschließen, in den Kreis der psychologischen Forschung
zu ziehen. Es dürfte sich daher empfehlen, die Evidenz
und Gewißheit nicht auf die unmittelbar gegenwärtigen
Bewußtseinsinhalte einzuschränken, sondern in einem freilich
nur bescheidenen Maße auch für vergangene Erlebnisse anzuerkennen."
I-S53: "Aber eines wird uns hier sofort auffallen müssen: der
Ausdruck Gewißheit kann in doppelter Bedeutung genommen werden. Wenn
man von einer objektiven, einer mathematischen Gewißheit redet, so
meint man damit einen durch objektive Kriterien feststellbaren und kontrollierbaren
Grad des Erkenntniswertes.
Für sie ist es gleichgültig, ob sie von einem erkennenden
Subjekt sicher oder unsicher, gewiß oder ungewiß genannt und
empfunden wird. Mit der Evidenz der inneren Wahrnehmung,
mit der Selbstgewißheit des Bewußtseins dagegen meint man nur
diesen subjektiven Eindruck, den jemand von seinen eigenen Erlebnissen,
von ihrem Stattfinden oder Stattgefundenhaben und von ihrer Beschaffenheit
gewinnt. Dieser Eindruck braucht, wie Volkelt
mit Recht hervorhebt, durch den Nachweis einer Täuschung nicht aufgehoben
zu werden. Die objektive Gewißheit dagegen steht und fällt mit
ihrer Richtigkeit. Darum begnügt sich die Wissenschaft, insbesondere
auch die Psychologie, keineswegs mit der subjektiven Gewißheit. Diese
hängt nicht nur von dem Sach-[>54] verhalt, auf den sie sich bezieht,
sondern auch vom Temperament, von der jeweiligen Stimmung und Disposition,
von den Erfahrungen und Grundsätzen einer Person ab. Der erkenntnistheoretische
Wert dieser Gewißheit steht somit nicht hoch. Die Erfahrungswissenschaften
suchen sich allenthalben durch zuverlässige Kontrollen gegen die Irrtümer
zu schützen, denen man bei der Anwendung dieser Evidenz unterliegen
kann1).
I-S53-FN1) Vgl. z. B. G. E. Müller
im Ergänzungsband 5 der Zeitschr. f. Psychol. S. 68ff."
I-S54: "Es scheint freilich, daß die Vertreter der Evidenz
der inneren Wahrnehmung unter ihr etwas anderes verstehen,
als ein ausdrückliches Wissen vom Wahrgenommenen oder eine Beobachtung
desselben. Denn es wird von einer realen Einheit des Wahrgenommenen mit
der Wahrnehmung gesprochen, wie schon Descartes
erklärt hatte, daß beide ne sont en effet qu'une m8me chose.
Bergmann interpretiert diese Einheit
folgendermaßen: Ich, der hört, und ich, der dies Hören
evident anerkennt, bin individuell derselbe. Nur begrifflich sind nach
ihm der innere Akt und sein Objekt zu unterscheiden. Aber wenn es so wäre,
so könnte nicht begriffen werden, warum es dem beobachtenden Psychologen
so schwer wird, die psychischen Funktionen zu erfassen. Sind sie stets
und tatsächlich mit einer ihrer selbst gewissen inneren Wahrnehmung
verbunden, so müßten gerade das Vorstellen, das Urteilen und
andere derartige Akte über allen Zweifel erhabene Tatsachen des Bewußtseins
sein. Ebenso wäre es nicht zu verstehen, warum die moderne Psychologie
gerade für diese Aktivitäten des Seelenlebens eine rückschauende
Beobachtung
hätte einführen müssen. Aber auch Bergmanns eigene Bestimmungen
über die zu jedem Bewußtseinserlebnis [>55] untrennbar gehörende
innere Wahrnehmung scheinen sich nicht mit dieser Auffassung zu vertragen.
Denn er erklärt jede Wahrnehmung für ein Urteil, und zwar für
ein einfaches, assertorisch bejahendes Urteil über einen anschaulich
vorgestellten Gegenstand. Solche Urteile, die ihren Gegenstand als vorhanden
setzen, sind von ihm doch nicht nur begrifflich zu unterscheiden. Wir werden
jedenfalls annehmen müssen, daß es Bewußtseinserlebnisse
gebe, auf die sich keine innere Wahrnehmung richtet, daß also wenigstens
die Gegenstände derselben ohne sie möglich sind. Damit erhalten
wir eine neue, auch für die Psychologie bedeutungsvolle Einschränkung
der Evidenz der inneren Wahrnehmung.
I-S154-FN1)
Über die Evidenz als erkenntnistheoretisches Kriterium
vgl. J die scharfsinnigen Bemerkungen von L. Nelson: Über das sogenannte
Erkenntnisproblem (Abhandlungen der Friesschen Schule II S. 415ff.) auf
S. 479ff. und namentlich A. Kastil: Jacob Friedrich Fries' Lehre von der
unmittelbaren Erkenntnis (ebd. IV S.1 ff.), der an der Brentanoschen Lehre
von der Evidenz der inneren Wahrnehmung festhält. Die
äußere ist ihm „ein zwar unbegründetes, aber doch nicht
der Begründung unbedürftiges, blindes Fürwahrhalten" (S.
205)."
I-S55: "Diese birgt jedoch noch eine gewisse Unbestimmtheit in sich,
insofern der Begriff der inneren Wahrnehmung und der des Bewußtseins
nicht eindeutig ist. Darin besteht die größte Schwierigkeit
in dem Problem der inneren Wahrnehmung, daß deren Beziehung zu ihren
Gegenständen verschieden aufgefaßt werden kann. Ist sie ein
wirkliches Wissen von ihren Objekten, das hinzukommen oder auch fehlen
kann, oder ist sie mit jedem Erlebnis, jedem Bewußtseinsinhalt unmittelbar
verbunden bzw. in ihm enthalten? Sobald man das erste Glied dieser Alternative
bejaht, wird man der Evidenz der inneren
Wahrnehmung weder eine große Ausdehnung noch eine erhebliche erkenntnistheoretische
Bedeutung zusprechen können. Das allgemeine Reden von der inneren
Wahrnehmung und ihrem Gegenstande, von dem Gegebensein
oder Vorgefundenwerden der Bewußtseinstatsachen läßt
über diese Schwierigkeit hinweggleiten. Bei genauerer Untersuchung
von Einzelfällen dagegen muß man alsbald
auf sie stoßen. Zu ihrer Auflösung dürfte folgender
Gesichtspunkt beitragen. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen,
daß die innere Wahrnehmung ebensolche Fortschritte in der Erfassung
ihrer Gegenstände machen kann, wie die äußere Wahrnehmung,
ohne daß die Gegenstände selbst dabei eine Änderung erfahren
haben können. Die qualitative Analyse des Bewußtseins hat unter
Anwendung experimenteller Hilfs-[>56]mittel eine Fülle von neuen Tatsachen
auf allen Gebieten des
Seelenlebens zutage gefördert. Diese Fortschritte werden sofort
verständlich, wenn man die innere Wahrnehmung und ihre Gegenstände
voneinander trennt, wenn man den Sachverhalt ähnlich zu deuten versucht,
wie bei der Entdeckung neuer Himmelskörper oder neuer Zellbestandteile.
Die andere Ansicht bedarf, soviel wir sehen, wesentlich komplizierterer
Annahmen, um solche Entwicklungen psychologischer Kenntnisse begreiflich
zu machen. Einen ähnlichen Vorteil hat die von uns bevorzugte Auffassung
einer Trennbarkeit der inneren Wahrnehmung von ihrem Gegenstande bei der
Erklärung der Erinnerungsvorgänge, der Vergegenwärtigung
von Traumerlebnissen und in anderen Fällen. Man wird danach zum mindestens
eine gewisse Unabhängigkeit der Ausbildung und Betätigung der
inneren Wahrnehmung von ihrem Gegenstande anzunehmen haben."
"Oswald Külpe, Psychologe
Portrait Oswald Külpe Oswald Külpe. Bild: Universität
Würzburg
* 3. August 1862 in Kandau
† 30. Dezmber 1915 in München
Külpe studierte ab 1881 Geschichte und Philologie in Leipzig, wo
er den "Vater der deutschen Psychologie" Wilhelm Wundt kennenlernte und
mit Unterbrechungen in Berlin und Göttingen 1887 unter diesem promovierte.
Er verblieb als Wundts Assistent bis 1894 in Leipzig, als ihn der Ruf nach
Würzburg an den Lehrstuhl für Philosophie und Ästhetik holte,
wo er 1896 das Psychologische Institut gründete. 1909 nahm er den
Ruf nach Bonn an, 1914 auch den nach München.
Besonders als Begründer der sog. „Würzburger Schule“ erwarb
Külpe besonderen Ruhm. Von Wundt und dessen engeren Schülerkreis
wegen ihrer Einbeziehung von Interviews und Reflexionen der Versuchspersonen
als unwissenschaftlich verworfen, fand sie insbesondere im Zuge der Kognitiven
Wende in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts große Beachtung
und griff bereits viele zentrale Punkte vor. Außerhalb der Psychologie
interessierte sich Külpe noch für die Erkenntnistheorie, in der
er einen kritischen Realismus vertrat, der seinen Weg in Külpes Lebenswerk
Die Realisierung. Ein Beitrag zur Grundlegung der Realwissenschaften fand."
Eine ausführliche Biographie finden Sie hier: https://badw.de/fileadmin/nachrufe/K%C3%BClpe%20Oswald.pdf
R1-S57-FN1) Vgl. dazu die grundlegende Untersuchung von
E. Westphal im Archiv 1. d. ges. Psychol. Bd. 21 S. 219ff.
R-I-S59-FN1) Es verdient hervorgehoben zu werden, daß
Volkelt diese beiden Einschränkungen bereits in seinem 1885 erschienenen
Buche
„Erfahrung und Denken" S. 55f. angeführt hat.
_
Epimeleia Aufmerksamkeit und Sorge
für ein gutes Leben.
__
Grenzmethode
In ebenmerklich abgestuften Schritten bestimmt man die Wahrnehmungsschwelle.
Man beginnt mit Stufe 0 und setzt dann fort mit 1,2,3 ... Genauer und mehr
im Dorsch
(2).
__
inappelabel Duden
(veraltet; Abruf 26.08.22): keine Möglichkeit mehr bietend, ein Rechtsmittel
einzulegen, durch Berufung nicht anfechtbar (von gerichtlichen Entscheidungen)
__
Konszientialismus
Lehre, wonach die Gegenstände der Erkenntnis nur als Bewusstseinsinhalte
existieren (>philosophischer Idealismus, Solipsismus), also Unsinn.
__
Kyrenaikern
Das Metzler-Lexikon Philosophie erklärt (Abruf 03.09.2022):
"Anhänger des Aristipp von Kyrene, der im Ergreifen der Lust den für
den Menschen möglichen Weg zum Glück sieht. Dabei ist Lust die
dem Schmerz entgegengesetzte, ruhige Bewegung der Seele. Durch Selbstdisziplin
und Beherrschung der Lebensumstände kann der Mensch ein Maximum an
Lusterfüllung erreichen."
__
performative-utterances (Austin)
Sprechhandlungen, die nicht nur sachlich etwas mitteilen, sondern auf
eine Wirkung und Veränderung abzielen. [W.engl]
__
Skeptiker
Ein kritischer Mensch, der den Zweifel pflegt und zunächst einmal
in Frage stellt in verschiedenen Ausprägungen. In der stärksten
Form jemand, der grundsätzlich verneint, dass wir etwas zuverlässig
und sicher wissen können. Ausführlich bei Eisler.
__
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Wahn site:www.sgipt.org. * Psychopathologie Psychiatrie site:www.sgipt.org |