Beweis und beweisen, Beweisarten, Verfahren und Probleme im Alltag
Blicke über den Zaun zum Auftakt für eine integrative
psychologisch-psychotherapeutische Beweislehre
aus allgemein integrativer psychologisch-psychotherapeutischer
und einheitswissenschaftlicher
Sicht
Einführung, Überblick, Verteilerseite Beweis und beweisen
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Hinweis: Wenn nicht ersichtlich werden (Externe Links) in runden und [interne IP-GIPT Links] in eckige Klammern gesetzt, direkte Links im Text auf derselben Seite sind direkt gekennzeichnet. In dieser Übersichtsarbeit wird das Thema im Überblick gesamtheitlich aus einheitswissenschaftlicher Perspektive dargestellt. Im Laufe der Zeit folgen weitere Ausarbeitungen.
Der Alltag wird beim Beweisthema mit wenigen Ausnahmen gewöhnlich mißachtet -mit Ausnahme der Justiz, die man auch als Wissenschaft vom Alltag begreifen könnte. Das ist schade, weil ja jeder Mensch Alltagserfahrung hat, mit Alltag vertraut ist und von daher ein ganz natürliches, intuitives Verständnis zum Thema Beweis und beweisen im Alltag erwirbt, auch wenn er das nicht so geschwollen und abgehoben wie die Philosophen auszudrücken vermag. Die vielen Argumente, die man gegen die Alltagsbeweisverfahren vorbringen kann und vor allem von philosophischer Seite, aber auch von den Wissenschaften vorgebracht wurden, haben leider dazu geführt, daß man die Beweisverfahren im Alltag fast völlig aus den Augen verlor. Dabei wendet sie fast jeder Mensch ununterbrochen an. Alltags-Beweisverfahren haben einen kaum zu überschätzenden praktischen (pragmatischen) Wert und alltäglich werden diese Beweisverfahren milliardenfach weltweit erfolgreich angewendet. Nur Philosophie und Wissenschaft bekommen das anscheinend nicht so recht mit. Der Verweis auf 'das ist doch trivial' ist bei der Erforschung der allgemeine Beweisverfahren wenig hilfreich und die Erforschung der sog. 'Trivialitäten' erscheint vielmehr sehr aufschlußreich.
Beispiele Beweis und beweisen im Alltag
Zum Einstieg wählen wir einen Alltagsbeweis aus Kohlrausch: "Nun,
ganz zweifellos; daß die Augen zum Sehen, die Ohren zum Hören
notwendig sind, das weiß jeder; andernfalls könnte man es ihm
durch Zuhalten dieser Organe leicht eindeutig beweisen.":
Aus: Kohlrausch, Arnt (1934). Körperliche und psychische
Lebenserscheinungen. Stuttgart: Kohlhammer, S. 19.
Wie man bei solchen Alltagsbeweisen den Haarspaltereien und Verdrehungen der Rhetoriker-, Sophist- und RabulistInnen entgehen kann, wird in einer eigenen Seite erörtert. |
Die schwachen, aber praktisch ausreichenden Beweisverfahren im Alltag
Natürlich werden im Alltag Beweisverfahren angewandt, die weder
wissenschaftlich noch juristisch unbedingt Bestand hätten, wenn auch
der Zeugenbeweis und die in Augenscheinnahme (Beweis durch Wahrnehmung)
eine große Nähe zum Alltag haben. Aber das muß auch gar
nicht sein. Der Alltag könnte überhaupt nicht funktionieren,
wenn alles und jedes mit wissenschaftlicher Gründlichkeit überprüft
würde und wahrscheinlich käme man über das Wecker abstellen
am Morgen gar nicht hinaus. Bin ich wach? Wirklich? Lebe ich noch? Bilde
ich mir das nicht nur ein? Habe ich den Wecker wirklich gehört? War
das meiner? Nicht der des Nachbarn? Nicht der Geheimdienst, keine Psychose?
Dies bringt uns sofort zu der Idee: Im Leben werden
unterschiedlich starke oder gründliche Beweisverfahren verlangt. Und
das ist nicht nur in Ordnung, sondern notwendig. Praktischer Alltag funktioniert
nur mit schwachen Beweisverfahren.
Ich kann z.B. in der Psychotherapie nicht jede Aussage
in Frage stellen und mit allen zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen
Mitteln überprüfen. Dies würde die Arbeitsbeziehung, das
Vertrauen und den Erfolg jeder Therapie zerstören, was nicht heißen
muß, daß man jedes Wort für bare Münze nimmt. D.h.
[glauben]
im Sinne von für wahr halten spielt im Alltag wie auch im normalen
Arbeitsleben eine große Rolle. Die PatientIn glaubt, daß die
TherapeutIn noch lebt und sie erwartet, sonst würde sie sich nicht
auf den Weg machen. Sie glaubt, daß der Bus wie immer dorthin fährt,
wo sie aussteigen möchte, sonst würde sie fragen oder ihn nicht
benutzen. Sie benutzt die Klingel, weil sie glaubt, daß sie funktioniert
usw. All dieser Glauben wird nachträglich in Wissen verwandelt durch
die bestätigenden Ereignisse: der Bus fährt dorthin wie erwartet;
die Klingel funktioniert und die Tür wird aufgemacht; die TherapeutIn
ist da und lebt noch.
Diskussion: 7) Beispiel Wasser kocht: X. hat Kaffeewasser
aufgesetzt. Das Pfeifen des Kessels beweist, daß das Wasser
kocht.
Sophist zu Beispiel 7):
Woher weiß X., daß es nicht ein Tonband ist, das pfeift, weil
sich Freunde einen Scherz erlauben wollen? Vielleicht halluziniert X.?
Vielleicht wünscht sich X. nur sehr intensiv, daß es gepfiffen
haben möge und es hat noch gar nicht gepfiffen. X. war in Gedanken
und es hat woanders gepfiffen, was er aber nicht bemerkte und stattdessen
meinte, es sei sein Wasserkessel, der gepfiffen habe, dabei war es der
des Nachbarn.
Diskussion: 11) Fenster zugemacht: X. zu Y.: "Hast Du das Fenster zugemacht?" Y.: "Jaaa." Das "Jaaa" klingt nervig, so daß X. zweifelt, ob es richtig ist, was Y. sagt und Y. ihn nicht nur "ruhig stellen" und "abspeisen" will. X. verspürt daher den Impuls, zu prüfen, ob das Fenster wirklich zu ist. Er begibt sich an den entsprechenden Ort und stellt durch einen Blick fest, daß das Fenster tatsächlich zu ist. Beweis durch in Augenscheinnahme, X. überzeugt sich, er macht sich zum Zeugen.
Der Wahrnehmungsbeweis
- Die Sinnesprüfung.
Beweisen durch in Augenschein nehmen (> Augenscheinbeweis). Beweis
durch Beobachtung (> Zeugenbeweis).
Beispiele für Beweis durch Sinnesprüfungen: Die Frage Strömt
Gas aus? wird gewöhnlich durch einen alltäglichen Riechtest geprüft,
mitunter genauer, indem man seine Nase in die Nähe der mutmaßlichen
Entströmungs-Quelle bringt. Das nutzt aber nichts, wenn es sich um
ein geruchsloses Gas handelt.
Beweisen durch Herstellen
und Tun.
Ob man etwas kann, beweist man durch Tun (Beweis durch Prüfung).
Beweisen durch Funktionsprüfung
Es geht (nicht); es geht so oder so (nicht); Es geht (nicht) unter
diesen oder jenen Bedingungen.
Beweisen
durch Erschließen / Schlussfolgern.
Ob man etwas kann, kann man auch durch Zeugnisse, Beschenigungen, Urkunden
belegen (> Urkundenbeweis), die, wie wir alle wissen, aber auch gefälscht
oder unzuverlässig sein können. Ein Zeugnis oder eine Urkunde
kann z.B. auch euphemistisch aufgebläht oder gekauft sein.
Beweisen durch Kausalattribution
Hierzu ein Textauszug aus Schlick
(1932) Kausalität im täglichen Leben und in der neueren Naturwissenschaft,
in Krüger (1970, Hrsg.), S. 131f:
"Es gibt nun keinen Zweifel, daß wir die Regel ständig anwenden und daß sie eine in jeder Hinsicht gute und verläßliche Regel ist, die die Leute eher noch viel öfter anwenden sollten als sie tun." (Schlick 1932) |
"Es gibt eine alte, vor langer Zeit in der scholastischen
Philosophie formulierte Regel, die uns davor warnt, das »post hoc«
und das »propter hoc« zu verwechseln. Das bedeutet, daß
wir aus der Tatsache, daß ein Ereignis W sich nach einem anderen
Ereignis U abspielte, nicht schließen dürfen, daß W »wegen«
U geschah. In anderen Worten, die Regel behauptet, daß der Sinn FN2
der Aussage »W folgt auf U« völlig verschieden ist von
dem Sinn der Aussage »W ist die Wirkung der Ursache U«. Aber
was ist der Unterschied des Sinnes in den beiden Fällen? Diese Frage,
scheint mir, ist das philosophische Problem der Kausalität.
Ich nenne es philosophisch, weil es lediglich eine
Frage des Sinnes ist, nicht der Wahrheit. Es hat es zu tun mit der Bedeutung
des Wortes »propter« oder »wegen«; wir müssen
wissen, was diese Wörter bezeichnen, um den bloßen Sinn des
Kausalprinzips zu verstehen; die Frage, ob dies Prinzip (wenn wir irgendeinen
Sinn darin entdecken können) wahr oder falsch ist, wäre ein naturwissenschaftliches
Problem, d. h. sie könnte nur durch Beobachtung und Erfahrung entschieden
werden.
Unsere Regel scheint vorauszusetzen, daß wir
schon bekannt sind mit der Bedeutung der Wörter post und propter,
denn wären wir es nicht, gäbe es keine Möglichkeit, jemals
die Regel auf einen besonderen Fall anzuwenden. Sie würde uns bestenfalls
eine Information völlig negativer Natur liefern: Sie würde uns
sagen, daß die Kausalbeziehung nicht nur die Relation der zeitlichen
Folge ist, sondern etwas mehr; sie gäbe jedoch nicht den geringsten
Hinweis über das positive Wesen der Kausalbeziehung.
Es gibt nun keinen Zweifel, daß wir die Regel
ständig anwenden und daß sie eine in jeder Hinsicht gute und
verläßliche Regel ist, die die Leute eher noch viel öfter
anwenden sollten als sie tun. Wenn wir eine bestimmte Arznei nehmen und
daraufhin gesund werden, wäre es sehr übereilt zu versichern,
daß die Arznei die Ursache unsres Gesundwerdens war. Oder wenn wir
uns bemühen, die Ursachen der Wirtschaftskrise zu entdecken, wissen
wir, daß wir viel mehr suchen als nur Ereignisse, die der Wirtschaftskrise
vorausgingen. Es ist daher evident, daß wir faktisch im Besitz einer
Art von Kriterium sind, das uns befähigt zu unterscheiden [>132] zwischen
Ereignissen, die einander nur folgen, und Ereignissen, die einander verursachen;
denn wir machen diese Unterscheidung jeden Tag, und wir machen sie mit
einer Genauigkeit, die hinreicht, um fast all unser Verhalten davon leiten
zu lassen.
Wir müssen einfach beobachten, wie diese Unterscheidung
faktisch gemacht wird, wenn wir die Bedeutung des Begriffs von Kausalität
herausfinden wollen, der in unsrer täglichen Erfahrung benutzt wird.
Dieses einfache Verfahren wird sicher nicht schwierig sein, und doch ist
es die allgemeine Methode - und ich bin überzeugt, die einzige Methode
- der Philosophie: Sie entdeckt den Sinn von Aussagen eben dadurch, daß
sie herausfindet, wie sie verifiziert werden, d. h. wie ihre Wahrheit oder
Falschheit getestet wird.
Das ist es, was ich als Verfahren für Aussagen
vorschlage, in denen der Begriff der Kausalität benutzt wird. Ich
werde sicher nicht irgendeine »Theorie der Kausalität«
vorschlagen; ich glaube, es kann so etwas nicht geben. Es gibt in der Philosophie
keine Theorien und Hypothesen; Hypothesen sind das Material, aus welchem
die Naturwissenschaften konstruiert werden, und ich glaube, daß die
Philosophie etwas anderes ist als die Naturwissenschaften.
Wie also verifizieren wir die Behauptung, daß
das Einnehmen einer Arznei nicht nur der Genesung des Patienten vorausging,
sondern auch ihre Ursache war?
Auf den ersten Blick scheint es zwei verschiedene
Wege einer solchen Verifikation zu geben (ich erinnere daran, daß
wir nicht fragen, wie sie durchgeführt werden sollte, sondern wie
sie wirklich in der Praxis durchgeführt wird):
1. Wir versuchen es viele Male mit der Arznei und
vielleicht an vielen verschiedenen Patienten. Wenn wir finden, daß
in jedem einzelnen Fall eine Person, die bestimmte Beschwerden hat, geheilt
wird, werden wir sagen: Die Genesung nach dem Gebrauch der Arznei war nicht
ein bloßer Zufall, sondern war durch sie verursacht. In anderen Worten:
Wenn das Ereignis W immer eintritt, nachdem das Ereignis U vorher eingetreten
ist, wenn U niemals eintritt, ohne daß W folgt, dann zögern
wir nicht, U die Ursache zu nennen und W die Wirkung. Es ist wichtig zu
bemerken, daß wir das tun, ob wir nun fähig sind, die Kur zu
? »erklären« oder nicht; es gibt Fälle, in denen
wir nur wissen, daß eine Arznei tauglich ist, ohne zu wissen, wie
sie arbeitet.
Das ist eine Tatsache; und ich möchte sie ausdrücken,
wie sie oft von Denkern der positivistischen Schule ausgedrückt wurde,
indem ich sage, daß der Unterschied zwischen einer rein zeitlichen
Folge und einer kausalen Folge die Regelmäßigkeit, die Gleichförmigkeit
der letzteren ist. Wenn auf U regelmäßig W folgt, dann ist U
die Ursache von W; wenn W nur dann und wann auf U folgt, wird die Folge
ein bloßer Zufall genannt. Und da (wie wir gerade sahen) die Beobachtung
der Regelmäßigkeit in diesem Fall das einzige war, was wir taten,
war sie notwendig der einzige Grund, von Ursache und Wirkung zu reden,
sie war der zureichende Grund. Das Wort Ursache, wie es im täglichen
Leben gebraucht wird, impliziert nichts als Regelmäßigkeit der
Folge, weil nichts sonst benutzt wird, um die Aussagen zu verifizieren,
in denen es vorkommt."
Quelle S. 131f: Schlick, Moritz (1932 engl.) Kausalität
im täglichen Leben und in der neueren Naturwissenschaft. In (131-155)
Krüger, Lorenz (1970, Hrsg.) Erkenntnisprobleme der Naturwissenschaften.
Texte zur Einführung in die Philosophie der Wissenschaft. Köln:
Kiepenheuer & Witsch.
Berufung auf Autoritäten.
Obwohl der Beweis durch Berufung auf Autoritäten im Alltagsleben,
aber auch in der Bildungswelt und Wissenschaft, eine enorme und kaum zu
überschätzende Rolle spielt, scheint er mit wenigen Ausnahmen
(Bochenski, Salmon) nur wenig Interesse bei den Beweis- und Wissenschaftsheoretikern
zu finden.
Berufung auf Allgemeinwissen.
Wendungen: Das weiß man doch. Das weiß doch jeder (Depp).
Im
Brockhaus steht ... Wikipedia schreibt ...
Popper über Gewißheit
"22. Analytische Bemerkungen über die Gewißheit
Ich bin nicht im geringsten an Definitionen oder der sprachlichen Analyse
von Wörtern oder Begriffen interessiert. Doch im Zusammenhang mit
dem Wort »Gewißheit« ist so viel Wertloses gesagt worden,
daß um der Klarheit willen hier etwas gesagt werden muß.
Es gibt einen Gewißheitsbegriff des Alltagsverstandes, der, kurz
ausgedrückt, so viel bedeutet wie »hinreichend sicher für
praktische Zwecke«. Wenn ich auf meine Uhr blicke, die sehr zuverlässig
ist, und sie acht Uhr zeigt und ich ihr Ticken hören kann (was anzeigt,
daß sie nicht stehengeblieben ist), dann bin ich »hinreichend
sicher« oder »für alle praktischen Zwecke sicher«,
daß es ziemlich genau acht Uhr ist. Wenn ich ein Buch kaufe und vom
Buchhändler 20 Pence Wechselgeld bekomme, bin ich »recht sicher«,
daß die beiden Münzen kein Falschgeld sind. (Meine »Gründe«
dafür sind sehr kompliziert: Sie haben mit der Inflation zu tun, die
das Fälschen von Zehn-Penny-Münzen uninteressant gemacht hat;
immerhin könnten die Münzen noch aus der guten alten Zeit sein,
als sich das Fälschen von Florins noch lohnte.)
Würde mich jemand fragen: »Bist du sicher, daß die
Münze in deiner Hand ein Zehn-Penny-Stück ist?«, so würde
ich vielleicht noch einmal hinsehen und »Ja« antworten. Sollte
aber sehr viel von meinem Urteil abhängen, so würde ich mir wohl
die Mühe machen, in die nächste Bank zu gehen und den Kassierer
zu bitten, sich die Münze genau anzusehen; und wenn ein Menschenleben
davon abhinge, würde ich sogar versu¬chen, bis zum Chefkassierer
der Bank von England vorzudringen und ihn zu bitten, die Echtheit der Münze
zu bestätigen.
Was möchte ich damit sagen? Die »Sicherheit« eines
Glaubens ist [>S. 80] nicht so sehr eine Frage seiner Intensität,
sondern der Situation: unserer ' Erwartung der möglichen Konsequenzen.
Alles hängt davon ab, wie wichtig die .Wahrheit oder Falschheit des
Glaubens genommen wird.
»Glaube« hängt mit unserem Alltagsleben zusammen.
Wir handeln gemäß unserem Glauben. (Ein Behaviorist würde
vielleicht sagen: Ein »Glaube« ist etwas, demgemäß
wir handeln.) Aus diesem Grunde genügt in den meisten Fällen
ein ziemlich geringer Grad von Gewißheit. Hängt aber von unserem
Glauben viel ab, dann ändert sich nicht nur seine Intensität,
sondern seine gesamte biologische Funktion."
Quelle S. 79f: Popper, Karl (1993) Objektive Erkenntnis.
Ein evolutionärer Entwurf. 4.verb. A. Hamburg: campe paberback.
Waismann, Friedrich (1976). Logik, Sprache, Philosophie.
Stuttgart: Reclam. Darin: Die Hypothese im täglichen Leben
S. 616-619 ; Die Verifikation im täglichen Leben S. 619-624
und Lassen die Aussagen des täglichen Lebens eine endgültige
Verifikation zu? S. 624-627. Aber die Arbeiten Waismanns werden - wie
die der meisten PhilosophInnen hierzu - dem Thema hinten und vorne nicht
gerecht. Er ist nicht in der Lage zu erklären und vermutlich auch
gar nicht motiviert, wieso der Alltagsbeweis jeden Tag milliardenfach
funktioniert. Stattdessen beschäftigt er sich, wie so viele PhilosophInnen,
mit Möglichkeiten, die ebenso alltäglich sich milliardenfach
nicht ereignen.
Bildnis von Waismann in den Buchtitel von mir montiert. Bildquelle: [Geier 1992, S. 44] |
Kostproben: "3. Die Verifikation im täglichen
Leben. Auch ein Satz wie »Julius Cäsar ging über die
Alpen« ist eine Hypothese. Fragt man, wie sie verifiziert wird, so
könnte man auf Verschiedenes hinweisen: auf alte Texte, auf Inschriften
auf Bauwerken etc. Was aber haben künftige Erfahrungen mit dem Satz
zu tun? Daß es z. B. denkbar ist, die Leiche Cäsars noch zu
finden, hängt unmittelbar mit dem Sinn des Satzes über Cäsar
zusammen. Aber auch, daß es denkbar ist,
eine Schrift zu finden, aus der hervorgeht, daß so ein Mann nie
gelebt hat und seine Existenz zu bestimmten Zwecken erdichtet worden ist.".
Was
in Gottes Namen hat Cäsar mit unserem ganz normalen Alltag zu tun?
"Einem Satz der Umgangssprache ist gewöhnlich
die Art seiner Verifikation nicht anzusehen. Und das gilt nicht nur für
Sätze wie den eben angeführten über Cäsar. Fast jede
Aussage des täglichen Lebens gibt ein Beispiel dafür ab. Nehmen
wir an, ich sage: »Dort steht ein Sofa.« Was ist hier die Verifikation?
Daß einer, der ins Zimmer tritt, den Gesichtseindruck eines Sofas
empfängt? Aber dann ist wieder nicht gesagt, wie er sich aufstellen
muß (ob bei der Tür oder in der Ecke), wie das Bild aussehen
soll usw. Kurz, im Wortlaut des Satzes ist die Art der Verifikation noch
nicht enthalten. Dann ist sie aber durch den Satz noch nicht bestimmt,
sondern muß eigens festgelegt werden." Nein, das muß
sie nicht und wird sie gewöhnlich auch nicht. "D.h., wir müssen
eine Bestimmung treffen, daß wir den Satz unter den und den (näher
zu beschreibenden) Umständen für verifiziert ansehen." Nein,
das müssen wir nicht und das tut auch gewöhnlich niemand. Und
weil dies so gut wie nie jemand tut, schlußfolgern wir psychologisch
und soziologisch, ist dies in den allermeisten Fällen nicht notwendig.
Der Mensch ist in seinem Alltagsleben nicht so blöde, wie manche PhilosophInnen
tun. Das scheint Waismann inzwischen auch selbst zu merken, wenn er fortfährt:
"Aber das Wichtige ist: Wir brauchen keine solche eindeutige Bestimmung
zu treffen und treffen sie auch in vielen Fällen nicht. Wir wissen
nicht genau, was wir noch als Verifikation zulassen, und werden, selbst
< 619 wenn uns verschiedene Möglichkeiten angeboten werden, nicht
endgültig zwischen ihnen wählen können. Wir werden unschlüssig
sein, wie in dem Beispiel von »Moses«, [FN] Wenn ich sage:
»Ich habe heute dieses Buch in den Schrank geräumt« -
können wir auf Verlangen eine genaue Liste aller Fehlerquellen aufstellen,
die uns getäuscht haben können? Wohl kaum! Das heißt aber:
Wir wissen von vornherein noch nicht, wann wir den Satz zurücknehmen
würden; wir haben keine Bestimmungen getroffen." Und wie es
scheint, funktioniert der Alltag trotzdem oder vielleicht sogar erst recht?
"Mit dem Zurücknehmen eines Satzes hat es übrigens eine eigentümliche
Bewandtnis. Gesetzt, man fragt mich: »Geht dort ein Mann?«
Ich schaue hin und sage: »Ja, dort geht ein Manu.« Unter welchen
Umständen würde ich eigentlich einen solchen Satz zurücknehmen?
Das würde außerordentlich schwer sein. Wenn man mir z. B. vorhalten
würde: »Aber dort war ja kein Mann, niemand hat ihn gesehen«
- würde ich da sagen: »Ach so, da habe ich mich geirrt«?
Keine Rede! Ich würde sagen: »Was ? Ich habe ihn doch leibhaftig
gesehen! Ich lasse mir das nicht ausreden! Die anderen müssen sich
getäuscht haben.« Ich würde mit allergrößter
Hartnäckigkeit auf meiner Aussage beharren, und ich wüßte
gar nicht, unter was für Umständen man mich davon abbringen könnte.
Unsere Erörterung berührt hier das Problem des [Glaubens].
Seit Hume haben sich viele Logiker mit der Induktion befaßt und mit
der Frage, ob sie logisch zu rechtfertigen ist, ob wir nur glauben oder
ob wir Grund haben zu glauben. Die Untersuchung der Frage aber »Was
ist Glaube?, wurde gewöhnlich beiseite gelassen. ..."
Friedrich Waismann (1896-1959) im Netz (Auswahl):
Sprachspiele und Vagheit der Sprache: [ursprüngliche URL verändert
ohne Weiterleitung]
Über den Begriff der Identität: [ursprüngliche URL verändert
ohne Weiterleitung]
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