Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=08.09.2003 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 14.04.22.
    Impressum: Dipl.-Psych. Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20   D-91052 Erlangen
    Mail: sekretariat@sgipt.org_Zitierung  &  Copyright

    Anfang _Beweis im Alltag_Datenschutz_Überblick_Rel. Aktuelles  _Rel. Beständiges  _Titelblatt_ Konzept_ Archiv_ Region_Service_iec-verlag__Wichtiger Hinweis zu Links und zu Empfehlungen

    Willkommen in unserer Abteilung Abstrakte Grundbegriffe aus den Wissenschaften (Analogien, Modelle und Metaphern für die allgemeine und integrative Psychologie und Psychotherapie sowie Grundkategorien zur Denk- und Entwicklungspsychologie), hier speziell zum Thema:

    Beweis und beweisen, Beweisarten, Verfahren und Probleme im Alltag

    Blicke über den Zaun zum Auftakt für eine integrative psychologisch-psychotherapeutische Beweislehre
    aus allgemein integrativer psychologisch-psychotherapeutischer und einheitswissenschaftlicher Sicht

    Einführung, Überblick, Verteilerseite Beweis und beweisen

    von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Hinweis: Wenn nicht ersichtlich werden (Externe Links) in runden und [interne IP-GIPT Links] in eckige Klammern gesetzt, direkte Links im Text auf derselben Seite sind direkt gekennzeichnet. In dieser Übersichtsarbeit wird das Thema im Überblick gesamtheitlich aus einheitswissenschaftlicher Perspektive dargestellt. Im Laufe der Zeit folgen weitere Ausarbeitungen.



    Inhaltsübersicht
    • Einstieg Beweis und beweisen im Alltag.
    • Beispiele Beweis und beweisen im Alltag.
    • Die schwachen, aber praktisch ausreichenden Beweisverfahren im Alltag.
    • Alltägliche Fragen mit unterschiedlicher Beweisschwierigkeit.
    • Beweis-Routinen im Alltag und ihre Tücken.
      • Der Wahrnehmungsbeweis - Die Sinnesprüfung.
      • Beweisen durch Herstellen und Tun.
      • Beweisen durch Funktionsprüfung.
      • Beweisen durch Erschließen / Schlussfolgern.
      • Beweisen durch Kausalattribution.
        • Schlick (1932).
      • Sonderformen des Alltags"beweises".
        • Berufung auf Autoritäten.
        • Berufung auf Allgemeinwissen.
    • Der gesunde Menschenverstand (common sense).
      • Moores Gesunder Menschenverstand.
      • Sinowjews Plädoyer für den gesunden Menschenverstand.
    • Glossar, Anmerkungen, Endnoten:

    • Mein eigener wissenschaftlicher Standort * Ausnahme: Friedrich Waismann * Materialsammlung gesunder Menschenverstand: Deutsches Sprichwörter Lexikon Menschenverstand, Hegel * Moores Liste (2) ausführlicher *
    • Literatur * Querverweise * Zitierung & Copyright * Änderungen.




    Einstieg Beweis und beweisen im Alltag
    Das Einfachste ist oft das Schwierigste - aber oft auch nicht.

    Der Alltag wird beim Beweisthema mit wenigen Ausnahmen gewöhnlich mißachtet -mit Ausnahme der Justiz, die man auch als Wissenschaft vom Alltag begreifen könnte. Das ist schade, weil ja jeder Mensch Alltagserfahrung hat, mit Alltag vertraut ist und von daher ein ganz natürliches, intuitives Verständnis zum Thema Beweis und beweisen im Alltag erwirbt, auch wenn er das nicht so geschwollen und abgehoben wie die Philosophen auszudrücken vermag. Die vielen Argumente, die man gegen die Alltagsbeweisverfahren vorbringen kann und vor allem von philosophischer Seite, aber auch von den Wissenschaften vorgebracht wurden, haben leider dazu geführt, daß man die Beweisverfahren im Alltag fast völlig aus den Augen verlor. Dabei wendet sie fast jeder Mensch ununterbrochen an. Alltags-Beweisverfahren haben einen kaum zu überschätzenden praktischen (pragmatischen) Wert und alltäglich werden diese Beweisverfahren milliardenfach weltweit erfolgreich angewendet. Nur Philosophie und Wissenschaft bekommen das anscheinend nicht so recht mit. Der Verweis auf 'das ist doch trivial' ist bei der Erforschung der allgemeine Beweisverfahren wenig hilfreich und die Erforschung der sog. 'Trivialitäten' erscheint vielmehr sehr aufschlußreich.

    Beispiele Beweis und beweisen im Alltag

    Zum Einstieg wählen wir einen Alltagsbeweis aus Kohlrausch: "Nun, ganz zweifellos; daß die Augen zum Sehen, die Ohren zum Hören notwendig sind, das weiß jeder; andernfalls könnte man es ihm durch Zuhalten dieser Organe leicht eindeutig beweisen.":
     
    Aus: Kohlrausch, Arnt (1934). Körperliche und psychische Lebenserscheinungen. Stuttgart: Kohlhammer, S. 19.
    Wie man bei solchen Alltagsbeweisen den Haarspaltereien und Verdrehungen der Rhetoriker-, Sophist- und RabulistInnen entgehen kann, wird in einer eigenen Seite erörtert.


    Die schwachen, aber praktisch ausreichenden Beweisverfahren im Alltag

    Natürlich werden im Alltag Beweisverfahren angewandt, die weder wissenschaftlich noch juristisch unbedingt Bestand hätten, wenn auch der Zeugenbeweis und die in Augenscheinnahme (Beweis durch Wahrnehmung) eine große Nähe zum Alltag haben. Aber das muß auch gar nicht sein. Der Alltag könnte überhaupt nicht funktionieren, wenn alles und jedes mit wissenschaftlicher Gründlichkeit überprüft würde und wahrscheinlich käme man über das Wecker abstellen am Morgen gar nicht hinaus. Bin ich wach? Wirklich? Lebe ich noch? Bilde ich mir das nicht nur ein? Habe ich den Wecker wirklich gehört? War das meiner? Nicht der des Nachbarn? Nicht der Geheimdienst, keine Psychose?
        Dies bringt uns sofort zu der Idee: Im Leben werden unterschiedlich starke oder gründliche Beweisverfahren verlangt. Und das ist nicht nur in Ordnung, sondern notwendig. Praktischer Alltag funktioniert nur mit schwachen Beweisverfahren.
        Ich kann z.B. in der Psychotherapie nicht jede Aussage in Frage stellen und mit allen zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Mitteln überprüfen. Dies würde die Arbeitsbeziehung, das Vertrauen und den Erfolg jeder Therapie zerstören, was nicht heißen muß, daß man jedes Wort für bare Münze nimmt. D.h. [glauben] im Sinne von für wahr halten spielt im Alltag wie auch im normalen Arbeitsleben eine große Rolle. Die PatientIn glaubt, daß die TherapeutIn noch lebt und sie erwartet, sonst würde sie sich nicht auf den Weg machen. Sie glaubt, daß der Bus wie immer dorthin fährt, wo sie aussteigen möchte, sonst würde sie fragen oder ihn nicht benutzen. Sie benutzt die Klingel, weil sie glaubt, daß sie funktioniert usw. All dieser Glauben wird nachträglich in Wissen verwandelt durch die bestätigenden Ereignisse: der Bus fährt dorthin wie erwartet; die Klingel funktioniert und die Tür wird aufgemacht; die TherapeutIn ist da und lebt noch.



    Alltägliche Fragen mit unterschiedlicher Beweisschwierigkeit
        1) Ist die Tür zu? 2) Regnet es? 3) Ist noch Kaffee da? 4) [Liebt mich X.?] 5) Ist es gut, diese Arbeit anzunehmen? 6) Hat der Laden noch auf? 7) Kocht das Wasser? 8) Ist die Wäsche fertig? 9) Ist genug Benzin im Tank? 10) Stimmt der Reifendruck? 11) Hat X. das Fenster zugemacht? 12) War X. am TT.MM.JJJJ zwischen hh.mm und hh.mm Uhr im Zug von Nürnberg nach München gesessen? 13) X. sagt, er gehe in der Keller. 14) War die Müllabfuhr da? 15) Hat X. Käse und Milch mitgebracht? 16) Wurde Staub gewischt? 17) Funktioniert der Link? 18) Stimmt die Adresse? 19) Paßt der Schlüssel? 20) Paßt die Kleidergröße? 21) Steht mir die Frisur?

        Diskussion: 7) Beispiel Wasser kocht: X. hat Kaffeewasser aufgesetzt. Das Pfeifen des Kessels beweist, daß das Wasser kocht.
    Sophist zu Beispiel 7): Woher weiß X., daß es nicht ein Tonband ist, das pfeift, weil sich Freunde einen Scherz erlauben wollen? Vielleicht halluziniert X.? Vielleicht wünscht sich X. nur sehr intensiv, daß es gepfiffen haben möge und es hat noch gar nicht gepfiffen. X. war in Gedanken und es hat woanders gepfiffen, was er aber nicht bemerkte und stattdessen meinte, es sei sein Wasserkessel, der gepfiffen habe, dabei war es der des Nachbarn.

    Diskussion: 11) Fenster zugemacht: X. zu Y.: "Hast Du das Fenster zugemacht?" Y.: "Jaaa." Das "Jaaa" klingt nervig, so daß X. zweifelt, ob es richtig ist, was Y. sagt und Y. ihn nicht nur "ruhig stellen" und "abspeisen" will.  X. verspürt daher den Impuls, zu prüfen, ob das Fenster wirklich zu ist. Er begibt sich an den entsprechenden Ort und stellt durch einen Blick fest, daß das Fenster tatsächlich zu ist. Beweis durch in Augenscheinnahme, X. überzeugt sich, er macht sich zum Zeugen.



    Beweis-Routinen im Alltag
    Aus den Beispielen 11) und 13) kann man ein Alltags-Beweisschema entwickeln, das wir Beweis durch Handlung, nennen könnten. Verallgemeinert: Beweis durch Ereignen. Betrachten wir die Beispiele 6-9), könnte man Beweis durch Prüfen eines Kriteriums einführen: Ist der Kaffee schon gezuckert? Das Prüfkriterium besteht im Kosten oder Abschmecken. Kommt es zu einem positiven Ergebnis, ist bewiesen: der Kaffee ist gezuckert. Eine Fähigkeit wird bewiesen, indem man sie zeigt, ausführt, unter Beweis stellt, wie man auch trefflich sagt.

    Der Wahrnehmungsbeweis - Die Sinnesprüfung.
    Beweisen durch in Augenschein nehmen (> Augenscheinbeweis). Beweis durch Beobachtung (> Zeugenbeweis).
    Beispiele für Beweis durch Sinnesprüfungen: Die Frage Strömt Gas aus? wird gewöhnlich durch einen alltäglichen Riechtest geprüft, mitunter genauer, indem man seine Nase in die Nähe der mutmaßlichen Entströmungs-Quelle bringt. Das nutzt aber nichts, wenn es sich um ein geruchsloses Gas handelt.

    Beweisen durch Herstellen und Tun.
    Ob man etwas kann, beweist man durch Tun (Beweis durch Prüfung).

    Beweisen durch Funktionsprüfung
    Es geht (nicht); es geht so oder so (nicht); Es geht (nicht) unter diesen oder jenen Bedingungen.

    Beweisen durch Erschließen / Schlussfolgern.
    Ob man etwas kann, kann man auch durch Zeugnisse, Beschenigungen, Urkunden belegen (> Urkundenbeweis), die, wie wir alle wissen, aber auch gefälscht oder unzuverlässig sein können. Ein Zeugnis oder eine Urkunde kann z.B. auch euphemistisch aufgebläht oder gekauft sein.

    Beweisen durch Kausalattribution
    Hierzu ein Textauszug aus Schlick (1932) Kausalität im täglichen Leben und in der neueren Naturwissenschaft, in Krüger (1970, Hrsg.), S. 131f:
     
    "Es gibt nun keinen Zweifel, daß wir die Regel ständig anwenden und daß sie eine in jeder Hinsicht gute und verläßliche Regel ist, die die Leute eher noch viel öfter anwenden sollten als sie tun." (Schlick 1932)

        "Es gibt eine alte, vor langer Zeit in der scholastischen Philosophie formulierte Regel, die uns davor warnt, das »post hoc« und das »propter hoc« zu verwechseln. Das bedeutet, daß wir aus der Tatsache, daß ein Ereignis W sich nach einem anderen Ereignis U abspielte, nicht schließen dürfen, daß W »wegen« U geschah. In anderen Worten, die Regel behauptet, daß der Sinn FN2 der Aussage »W folgt auf U« völlig verschieden ist von dem Sinn der Aussage »W ist die Wirkung der Ursache U«. Aber was ist der Unterschied des Sinnes in den beiden Fällen? Diese Frage, scheint mir, ist das philosophische Problem der Kausalität.
        Ich nenne es philosophisch, weil es lediglich eine Frage des Sinnes ist, nicht der Wahrheit. Es hat es zu tun mit der Bedeutung des Wortes »propter« oder »wegen«; wir müssen wissen, was diese Wörter bezeichnen, um den bloßen Sinn des Kausalprinzips zu verstehen; die Frage, ob dies Prinzip (wenn wir irgendeinen Sinn darin entdecken können) wahr oder falsch ist, wäre ein naturwissenschaftliches Problem, d. h. sie könnte nur durch Beobachtung und Erfahrung entschieden werden.
        Unsere Regel scheint vorauszusetzen, daß wir schon bekannt sind mit der Bedeutung der Wörter post und propter, denn wären wir es nicht, gäbe es keine Möglichkeit, jemals die Regel auf einen besonderen Fall anzuwenden. Sie würde uns bestenfalls eine Information völlig negativer Natur liefern: Sie würde uns sagen, daß die Kausalbeziehung nicht nur die Relation der zeitlichen Folge ist, sondern etwas mehr; sie gäbe jedoch nicht den geringsten Hinweis über das positive Wesen der Kausalbeziehung.
        Es gibt nun keinen Zweifel, daß wir die Regel ständig anwenden und daß sie eine in jeder Hinsicht gute und verläßliche Regel ist, die die Leute eher noch viel öfter anwenden sollten als sie tun. Wenn wir eine bestimmte Arznei nehmen und daraufhin gesund werden, wäre es sehr übereilt zu versichern, daß die Arznei die Ursache unsres Gesundwerdens war. Oder wenn wir uns bemühen, die Ursachen der Wirtschaftskrise zu entdecken, wissen wir, daß wir viel mehr suchen als nur Ereignisse, die der Wirtschaftskrise vorausgingen. Es ist daher evident, daß wir faktisch im Besitz einer Art von Kriterium sind, das uns befähigt zu unterscheiden [>132] zwischen Ereignissen, die einander nur folgen, und Ereignissen, die einander verursachen; denn wir machen diese Unterscheidung jeden Tag, und wir machen sie mit einer Genauigkeit, die hinreicht, um fast all unser Verhalten davon leiten zu lassen.
        Wir müssen einfach beobachten, wie diese Unterscheidung faktisch gemacht wird, wenn wir die Bedeutung des Begriffs von Kausalität herausfinden wollen, der in unsrer täglichen Erfahrung benutzt wird. Dieses einfache Verfahren wird sicher nicht schwierig sein, und doch ist es die allgemeine Methode - und ich bin überzeugt, die einzige Methode - der Philosophie: Sie entdeckt den Sinn von Aussagen eben dadurch, daß sie herausfindet, wie sie verifiziert werden, d. h. wie ihre Wahrheit oder Falschheit getestet wird.
        Das ist es, was ich als Verfahren für Aussagen vorschlage, in denen der Begriff der Kausalität benutzt wird. Ich werde sicher nicht irgendeine »Theorie der Kausalität« vorschlagen; ich glaube, es kann so etwas nicht geben. Es gibt in der Philosophie keine Theorien und Hypothesen; Hypothesen sind das Material, aus welchem die Naturwissenschaften konstruiert werden, und ich glaube, daß die Philosophie etwas anderes ist als die Naturwissenschaften.
        Wie also verifizieren wir die Behauptung, daß das Einnehmen einer Arznei nicht nur der Genesung des Patienten vorausging, sondern auch ihre Ursache war?
        Auf den ersten Blick scheint es zwei verschiedene Wege einer solchen Verifikation zu geben (ich erinnere daran, daß wir nicht fragen, wie sie durchgeführt werden sollte, sondern wie sie wirklich in der Praxis durchgeführt wird):
        1. Wir versuchen es viele Male mit der Arznei und vielleicht an vielen verschiedenen Patienten. Wenn wir finden, daß in jedem einzelnen Fall eine Person, die bestimmte Beschwerden hat, geheilt wird, werden wir sagen: Die Genesung nach dem Gebrauch der Arznei war nicht ein bloßer Zufall, sondern war durch sie verursacht. In anderen Worten: Wenn das Ereignis W immer eintritt, nachdem das Ereignis U vorher eingetreten ist, wenn U niemals eintritt, ohne daß W folgt, dann zögern wir nicht, U die Ursache zu nennen und W die Wirkung. Es ist wichtig zu bemerken, daß wir das tun, ob wir nun fähig sind, die Kur zu ? »erklären« oder nicht; es gibt Fälle, in denen wir nur wissen, daß eine Arznei tauglich ist, ohne zu wissen, wie sie arbeitet.
        Das ist eine Tatsache; und ich möchte sie ausdrücken, wie sie oft von Denkern der positivistischen Schule ausgedrückt wurde, indem ich sage, daß der Unterschied zwischen einer rein zeitlichen Folge und einer kausalen Folge die Regelmäßigkeit, die Gleichförmigkeit der letzteren ist. Wenn auf U regelmäßig W folgt, dann ist U die Ursache von W; wenn W nur dann und wann auf U folgt, wird die Folge ein bloßer Zufall genannt. Und da (wie wir gerade sahen) die Beobachtung der Regelmäßigkeit in diesem Fall das einzige war, was wir taten, war sie notwendig der einzige Grund, von Ursache und Wirkung zu reden, sie war der zureichende Grund. Das Wort Ursache, wie es im täglichen Leben gebraucht wird, impliziert nichts als Regelmäßigkeit der Folge, weil nichts sonst benutzt wird, um die Aussagen zu verifizieren, in denen es vorkommt."
        Quelle S. 131f: Schlick, Moritz (1932 engl.) Kausalität im täglichen Leben und in der neueren Naturwissenschaft. In (131-155) Krüger, Lorenz (1970, Hrsg.) Erkenntnisprobleme der Naturwissenschaften. Texte zur Einführung in die Philosophie der Wissenschaft. Köln: Kiepenheuer & Witsch.



    Sonderformen des Alltags"beweises":

    Berufung auf Autoritäten.
    Obwohl der Beweis durch Berufung auf Autoritäten im Alltagsleben, aber auch in der Bildungswelt und Wissenschaft, eine enorme und kaum zu überschätzende Rolle spielt, scheint er mit wenigen Ausnahmen (Bochenski, Salmon) nur wenig Interesse bei den Beweis- und Wissenschaftsheoretikern zu finden.

      Wendungen: Wie Einstein schon zeigte .... Die Logik lehrt .... Im Brockhaus steht ... Wikipedia schreibt ... Wie die Zeitung .... In der Bibel steht ... Das Grundgesetz fordert ...


    Berufung auf Allgemeinwissen.
    Wendungen: Das weiß man doch. Das weiß doch jeder (Depp). Im Brockhaus steht ... Wikipedia schreibt ...

    Popper über Gewißheit
    "22. Analytische Bemerkungen über die Gewißheit
    Ich bin nicht im geringsten an Definitionen oder der sprachlichen Analyse von Wörtern oder Begriffen interessiert. Doch im Zusammenhang mit dem Wort »Gewißheit« ist so viel Wertloses gesagt worden, daß um der Klarheit willen hier etwas gesagt werden muß.
    Es gibt einen Gewißheitsbegriff des Alltagsverstandes, der, kurz ausgedrückt, so viel bedeutet wie »hinreichend sicher für praktische Zwecke«. Wenn ich auf meine Uhr blicke, die sehr zuverlässig ist, und sie acht Uhr zeigt und ich ihr Ticken hören kann (was anzeigt, daß sie nicht stehengeblieben ist), dann bin ich »hinreichend sicher« oder »für alle praktischen Zwecke sicher«, daß es ziemlich genau acht Uhr ist. Wenn ich ein Buch kaufe und vom Buchhändler 20 Pence Wechselgeld bekomme, bin ich »recht sicher«, daß die beiden Münzen kein Falschgeld sind. (Meine »Gründe« dafür sind sehr kompliziert: Sie haben mit der Inflation zu tun, die das Fälschen von Zehn-Penny-Münzen uninteressant gemacht hat; immerhin könnten die Münzen noch aus der guten alten Zeit sein, als sich das Fälschen von Florins noch lohnte.)
    Würde mich jemand fragen: »Bist du sicher, daß die Münze in deiner Hand ein Zehn-Penny-Stück ist?«, so würde ich vielleicht noch einmal hinsehen und »Ja« antworten. Sollte aber sehr viel von meinem Urteil abhängen, so würde ich mir wohl die Mühe machen, in die nächste Bank zu gehen und den Kassierer zu bitten, sich die Münze genau anzusehen; und wenn ein Menschenleben davon abhinge, würde ich sogar versu¬chen, bis zum Chefkassierer der Bank von England vorzudringen und ihn zu bitten, die Echtheit der Münze zu bestätigen.
    Was möchte ich damit sagen? Die »Sicherheit« eines Glaubens ist [>S. 80] nicht so sehr eine Frage seiner Intensität, sondern der Situation: unserer ' Erwartung der möglichen Konsequenzen. Alles hängt davon ab, wie wichtig die .Wahrheit oder Falschheit des Glaubens genommen wird.
    »Glaube« hängt mit unserem Alltagsleben zusammen. Wir handeln gemäß unserem Glauben. (Ein Behaviorist würde vielleicht sagen: Ein »Glaube« ist etwas, demgemäß wir handeln.) Aus diesem Grunde genügt in den meisten Fällen ein ziemlich geringer Grad von Gewißheit. Hängt aber von unserem Glauben viel ab, dann ändert sich nicht nur seine Intensität, sondern seine gesamte biologische Funktion."
        Quelle S. 79f: Popper, Karl (1993) Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf. 4.verb. A.  Hamburg: campe paberback.
     
     



    Der gesunde Menschenverstand (common sense)
    Zum gesunden Menschenverstand wurde eine eigene Seite angelegt.
    • Der gesunde Menschnverstand im Recht.
    • Der gesunde Menschenverstand in der Mathematik.






    Literatur Beweisen im Alltag  > Literatur Alltag.
    • Bochenski, Joseph M. (1988). Autorität. In (9-106): Bochenski, Joseph M. (1988). Autorität, Freiheit, Glaube. Sozialphilosophische Studien. München: Philosophia.
    • Kienpointner,  Manfred (1992)  Alltagslogik.  Struktur  und  Funktion  von  Argumentationsmustern. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog.
    • Klüver, Jürgen (1988) Die Konstruktion der sozialen Realität Wissenschaft: Allrag und System. Braunschweig: Vieweg.
    • Passmore, John (1962) Explanation in Everyday Life, in Science, and in History. History and Theory, Vol. 2, No. 2 (1962), pp. 105-123
    • Pirner, Hans J. (2018) Die Alltagswelt und die wissenschaftliche Welt. In (290-305) Virtuelle und mögliche Welten  in Physik und Philosophie, Berlin: Springer.
    • Quine, W.V. (dt. 1980, engl 1976) Alltägliche Dinge zuerst.In (17-24) Wort und Gegenstand. Stuttgart: Reclam.
    • Salmon, Wesley C. (dt. 1983, engl. 1973). Das Argument auf der Autorität. In (184-191): Logik. Stuttgart: Reclam.
    • Schlick, Moritz (1932 engl.) Kausalität im täglichen Leben und in der neueren Naturwissenschaft. In (131-155) Krüger, Lorenz (1970, Hrsg.) Erkenntnisprobleme der Naturwissenschaften. Texte zur Einführung in die Philosophie der Wissenschaft. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
    • Stanaityt MA, Greta (2005) Alltagsdefinitionen und ihre Funktionen. Inauguraldissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie der Universität Mannheim.
    • Waismann, Friedrich (1976). Logik, Sprache, Philosophie. Stuttgart: Reclam. [Darin: Die Hypothese im täglichen Leben S. 616-619 ; Die Verifikation im täglichen Leben S. 619-624 und Lassen die Aussagen des täglichen Lebens eine endgültige Verifikation zu? S. 624-627. ]
    • Walton, D. N. (1992a): Plausible Argument in Everyday Conversation. Albany: State University of New York Press. [Sekundärquelle Literaturliste Schmidt-Scheele 2020]
    • Walton, D. N. (1992b): "Rules for plausible reasoning", Informal Logic, XIV(1): 33-51. [Online]
    • Walton, D. N., Reed, Ch., and Macagno, F. (2008). Argumentation Schemes. Cambridge: Cambridge University Press.
    • Walton, S., O'Kane, P., Ruwhiu, D. (2019): "Developing a theory of plausibility in scenario building: Designing plausible scenarios", Futures, 111:42-56. https://doi.org/10.1016/j.futures.2019.03.002 [Sekundärquelle Literaturliste Schmidt-Scheele 2020]
    Querverweis: Literatur zum gesunden Menschenstand.



    Glossar, Anmerkungen, Endnoten:   > Eigener wissenschaftlicher Standort.
    GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
    __
    mit wenigen Ausnahmen.
    Waismann, Friedrich (1976). Logik, Sprache, Philosophie. Stuttgart: Reclam. Darin: Die Hypothese im täglichen Leben S. 616-619 ; Die Verifikation im täglichen Leben S. 619-624 und Lassen die Aussagen des täglichen Lebens eine endgültige Verifikation zu? S. 624-627. Aber die Arbeiten Waismanns werden - wie die der meisten PhilosophInnen hierzu - dem Thema hinten und vorne nicht gerecht. Er ist nicht in der Lage zu erklären und vermutlich auch gar nicht motiviert, wieso der Alltagsbeweis jeden Tag milliardenfach funktioniert. Stattdessen beschäftigt er sich, wie so viele PhilosophInnen, mit Möglichkeiten, die ebenso alltäglich sich milliardenfach nicht ereignen. 

    Bildnis von Waismann in den Buchtitel von mir montiert. Bildquelle: [Geier 1992, S. 44]

        Kostproben: "3. Die Verifikation im täglichen Leben. Auch ein Satz wie »Julius Cäsar ging über die Alpen« ist eine Hypothese. Fragt man, wie sie verifiziert wird, so könnte man auf Verschiedenes hinweisen: auf alte Texte, auf Inschriften auf Bauwerken etc. Was aber haben künftige Erfahrungen mit dem Satz zu tun? Daß es z. B. denkbar ist, die Leiche Cäsars noch zu finden, hängt unmittelbar mit dem Sinn des Satzes über Cäsar zusammen. Aber auch, daß es denkbar ist,
    eine Schrift zu finden, aus der hervorgeht, daß so ein Mann nie gelebt hat und seine Existenz zu bestimmten Zwecken erdichtet worden ist.". Was in Gottes Namen hat Cäsar mit unserem ganz normalen Alltag zu tun?
        "Einem Satz der Umgangssprache ist gewöhnlich die Art seiner Verifikation nicht anzusehen. Und das gilt nicht nur für Sätze wie den eben angeführten über Cäsar. Fast jede Aussage des täglichen Lebens gibt ein Beispiel dafür ab. Nehmen wir an, ich sage: »Dort steht ein Sofa.« Was ist hier die Verifikation? Daß einer, der ins Zimmer tritt, den Gesichtseindruck eines Sofas empfängt? Aber dann ist wieder nicht gesagt, wie er sich aufstellen muß (ob bei der Tür oder in der Ecke), wie das Bild aussehen soll usw. Kurz, im Wortlaut des Satzes ist die Art der Verifikation noch nicht enthalten. Dann ist sie aber durch den Satz noch nicht bestimmt, sondern muß eigens festgelegt werden." Nein, das muß sie nicht und wird sie gewöhnlich auch nicht. "D.h., wir müssen eine Bestimmung treffen, daß wir den Satz unter den und den (näher zu beschreibenden) Umständen für verifiziert ansehen." Nein, das müssen wir nicht und das tut auch gewöhnlich niemand. Und weil dies so gut wie nie jemand tut, schlußfolgern wir psychologisch und soziologisch, ist dies in den allermeisten Fällen nicht notwendig. Der Mensch ist in seinem Alltagsleben nicht so blöde, wie manche PhilosophInnen tun. Das scheint Waismann inzwischen auch selbst zu merken, wenn er fortfährt:
    "Aber das Wichtige ist: Wir brauchen keine solche eindeutige Bestimmung zu treffen und treffen sie auch in vielen Fällen nicht. Wir wissen nicht genau, was wir noch als Verifikation zulassen, und werden, selbst < 619 wenn uns verschiedene Möglichkeiten angeboten werden, nicht endgültig zwischen ihnen wählen können. Wir werden unschlüssig sein, wie in dem Beispiel von »Moses«, [FN] Wenn ich sage: »Ich habe heute dieses Buch in den Schrank geräumt« - können wir auf Verlangen eine genaue Liste aller Fehlerquellen aufstellen, die uns getäuscht haben können? Wohl kaum! Das heißt aber: Wir wissen von vornherein noch nicht, wann wir den Satz zurücknehmen würden; wir haben keine Bestimmungen getroffen." Und wie es scheint, funktioniert der Alltag trotzdem oder vielleicht sogar erst recht?
    "Mit dem Zurücknehmen eines Satzes hat es übrigens eine eigentümliche Bewandtnis. Gesetzt, man fragt mich: »Geht dort ein Mann?« Ich schaue hin und sage: »Ja, dort geht ein Manu.« Unter welchen Umständen würde ich eigentlich einen solchen Satz zurücknehmen? Das würde außerordentlich schwer sein. Wenn man mir z. B. vorhalten würde:  »Aber dort war ja kein Mann, niemand hat ihn gesehen« - würde ich da sagen: »Ach so, da habe ich mich geirrt«? Keine Rede! Ich würde sagen: »Was ? Ich habe ihn doch leibhaftig gesehen! Ich lasse mir das nicht ausreden! Die anderen müssen sich getäuscht haben.« Ich würde mit allergrößter Hartnäckigkeit auf meiner Aussage beharren, und ich wüßte gar nicht, unter was für Umständen man mich davon abbringen könnte.
    Unsere Erörterung berührt hier das Problem des [Glaubens]. Seit Hume haben sich viele Logiker mit der Induktion befaßt und mit der Frage, ob sie logisch zu rechtfertigen ist, ob wir nur glauben oder ob wir Grund haben zu glauben. Die Untersuchung der Frage aber »Was ist Glaube?, wurde gewöhnlich beiseite gelassen. ..."
        Friedrich Waismann (1896-1959) im Netz (Auswahl):
    Sprachspiele und Vagheit der Sprache: [ursprüngliche URL verändert ohne Weiterleitung]
    Über den Begriff der Identität: [ursprüngliche URL verändert ohne Weiterleitung]
    ___


    Querverweise
    Standort: Beweis und beweisen im alltäglichen Leben.
    *
    Überblick zur Psychologie des Alltags in der IP-GIPT mit einer Einführung in die Klassifikation von Lebenstagen.
      Einführung, Überblick, Verteilerseite Beweis und beweisen
      Wissenschaft in der IP-GIPT
      Überblick: Abstrakte Grundbegriffe aus den Wissenschaften
      Wissenschaft in der IP-GIPT. *Welten*Definieren*Wahrheit* "ist" *
      Überblick: Abstrakte Grundbegriffe aus den Wissenschaften
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site:www.sgipt.org
    z.B. Beweis beweisen site:www.sgipt.org * Logik site:www.sgipt.org
    *
    Dienstleistungs-Info.
    *

    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Beweis und beweisen, Beweisarten, Verfahren und Probleme im Alltag. Blicke über den Zaun zum Auftakt für eine integrative psychologisch-psychotherapeutische Beweislehre Abteilung Abstrakte Grundbegriffe aus den Wissenschaften: Analogien, Modelle und Metaphern für die allgemeine und integrative Psychologie und Psychotherapie sowie Grundkategorien zur Denk- und Entwicklungspsychologie. Internet Publikation - General and Integrative Psychotherapy   IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/wisms/gb/beweis/b_allt.htm
    Copyright & Nutzungsrechte
    Diese Seite darf von jeder/m in nicht-kommerziellen Verwertungen frei aber nur original bearbeitet und nicht  inhaltlich verändert und nur bei vollständiger Angabe der Zitierungs-Quelle benutzt werden. Das direkte, zugriffsaneignende Einbinden in fremde Seiten oder Rahmen ist nicht gestattet, Links und Zitate sind natürlich willkommen. Sofern die Rechte anderer berührt sind, sind diese dort zu erkunden. Sollten wir die Rechte anderer unberechtigt genutzt haben, bitten wir um Mitteilung. Soweit es um (längere) Zitate aus  ...  geht, sind die Rechte bei/m ... zu erkunden oder eine Erlaubnis einzuholen.


      Ende  Beweis im Alltag _Datenschutz_Überblick_Rel. Aktuelles  _Rel. Beständiges _Titelblatt_ Konzept_ Archiv_ Region_ Service_iec-verlag  Mail:  sekretariat@sgipt.org__Wichtiger Hinweis zu Links und zu Empfehlungen



    Änderungen - Wird gelegentlich vervollständigt, ergänzt überarbeitet - Anregungen und Kritik erwünscht
    14.04.22   LitErg.: Passmore.
    10.10.21   LitErg.
    01.08.21   Lit: Quine (1980) Alltägliche Dinge zuerst.
    26.06.18   Zum gesunden Menschenverstand wurde eine eigene Seite angelegt.
    20.06.18   Lit-Erg. * Sinowjews Plädoyer für den gesunden Menschenverstand.
    15.11.17   Schlick.
    25.12.15   Linkfehler geprüft und korrigiert. Lit-Erg, Link zum Alltag.
    25.01.13   Ergänzungen zum Gesunden Menschenverstand. s.b.a: Beweisen und Wissen.
    16.04.11   Literatur, Beweisen durch Berufung auf Autoritäten, ... auf Allgemeinwissen.
    21.04.09   Spezifizierungsklassen Beweisroutinen im Alltag.
     



    Stichworte zur künftigen Bearbeitung
    Vergewisserung, z.B. einer Wahrnehmung (andere fragen);