JUdenustherapie
(Oudenotherapie)
Krankheitsbegriff, Heilbarkeit
und das autistisch- undisziplinierte Denken in der Heilkunde
von
Eugen Bleuler
30.4.1857 Zollikon - 15.7.1939 Zürich
Schöpfer des Begriffes Schizophrenie (1911) und Ambivalenz (1910)
Übersicht Heilmittellehre und Heilmittel-Monographien
* Literaturhinweis * Ausführlich
zur Terminolgie * Ambivalenz
*
Fallbeispiel
Udenustherapie (partielle bei Psoriasis in Sponsel 1995, S. 480).
J Udenustherapie - Oudenotherapie
"Ich meine also, man solle medizinieren, wo man weiß, daß es nötig oder nützlich ist, sonst aber nicht, und man sollte zu erforschen suchen, nicht nur welches Mittel besser ist als ein anderes - das muß in Wirklichkeit gelegentlich heißen: welches weniger schadet als ein anderes - sondern ob überhaupt die JAnwendung eines Mittels besser ist, als die JNatur machen zu lassen. Ich habe einen Freund, der Homöopath ist und mit den Spitzen seiner Gesinnungsgenossen in engem Kontakt steht. Er ist gar nicht das, was der Mediziner gewöhnlich unter einem Homöopathen versteht, er ist ebensowenig ein Schwindler wie ein Querkopf, er ist von seinen Theorien in gleicher Weise überzeugt, wie jeder von uns von den seinigen, und er kann gute praktische Resultate zu seinen Gunsten anführen. Aber mich kann er nicht überzeugen, weil er keinen direkten Vergleich bringen kann, nicht nur mit der Allopathie, sondern, was viel wichtiger, mit der JUdenotherapie, wenn es erlaubt ist, den Ausdruck zu brauchen. ..." (S. 16 f)
"Zusammenfassend möchte ich sagen,
daß
wir viel zu wenig wissen, wie manche Krankheiten ohne ärztliche Eingriffe
verlaufen, und da wir, soweit wir es wissen, diese Kenntnis in
autistischer
Weise von unseren medizinischen Überlegungen absperren, statt sie
zur Basis unserer therapeutischen Handlungen und Forschungen zu machen.
Wir verschreiben den Patienten auf Rezepten und den Ärzten in unseren
Lehrbüchern eine Menge Mittel, von denen wir nicht wissen, ob sie
nötig oder nützlich, ja oft nicht recht, ob sie schädlich
sind und stellen sie häufig nebeneinander, ohne den relativen Wert
derselben zu kennen. Und was das Schlimmste ist, wir tun nicht alles Erdenkliche,
um aus diesem Zustande herauszukommen." (S. 17)
Nachbemerkung:
Udenustherapie ist eine ungewöhnliche und heute weitgehend in Vergessenheit
geratene Wort- und Begriffsschöpfung (Ausnahmen).
Der Sachverhalt ist ebenso einfach wie überraschend: Jnichts
tun als beste Möglichkeit, den Heilungsprozeß zu unterstützen.
Die meisten Menschen denken intuitiv, um etwas zu bewirken, muß man
handeln. Aber diese Annahme ist nicht immer richtig und schon gar nicht
zwingend. Die Idee, zu warten, die Natur ihr Werk verrichten zu lassen,
ist alt. Auch in der Psychotherapie scheint es mir eine Überlegung
wert, ob es manchmal nicht besser ist, nichts zu unternehmen und abzuwarten
[Fallbeispiel].
Aufmerksamkeit und Zuwendung können womöglich Probleme und Schwierigkeiten
fixieren und festigen, wie es sich z.B. besonders bei Phobien, Zwangsvorstellungen
und in der Hypochondrie zeigen kann.
In Habermann
& Löffler (1979, S.1) wird für die Oudenotherapie
in der Wiener Schule des 19. Jahrhunderts ein Schwerpunkt ausgemacht. Ich
vermute aber, daß die Idee bis in Frühzeit der Heilkunde zurückreicht.
Die
Idee der Natur als obersten Heilerin, die nur vom Arzt zu unterstützen
ist, wird auch stark von Paracelsus (1493-1541)
verfochten, später wird es das Leitprinzip der Homöopathie
Hahnemanns. In der Psychotherapie findet sich diese Grundidee auch,
so bei Carl Rogers Klienzentriertem Kongruenzkonzept, aber auch in
der Hypnotherapie und mehr noch in der systemischen Psycho-Therapie, wo
man von vorneherein erkennt, daß man manchmal nichts bis nur wenig
direkt bewirken, sondern nur anstoßen, anregen und auf den Weg bringen
kann.
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"C. Vom Autismus in Begriffsbildung, Ätiologie und Pathologie
Die Unklarheiten und die ungenügenden Bildungen von medizinischen Begriffen kann ich nicht eingehend behandeln; das würde ein besonderes Buch bedingen. Einige Beispiele mögen aber doch am Platze sein; und der Leser mag sich vorstellen, was man in der Physik mit so unklaren Begriffen anstellen würde. Unter genauerer Begriffsbildung verstehe ich aber gar nicht wie JASPERS in seinen sonst so verdienstlichen Arbeiten philosophische Deduktionen; ich bin im Gegenteil überzeugt, daß man damit nur schadet. Wir müssen nur nach Tatsachen suchen und daraus die nächstliegenden Zusammenhänge in begrifflicher und kausaler Beziehung ableiten. Alles, was darüber hinausgeht, ist vom Bösen. Physik und Technik haben sich vollständig von allen philosophischen Gesichtspunkten frei gemacht und befinden sich ausgezeichnet dabei.
Natürlich tadle ich nicht Begriffe, die vorläufig gebildet werden müssen, ohne daß man genügende Kenntnisse hat, um sie definitiv abzugrenzen. Solche Konstruktionen lassen sich nicht umgehen und sind kein Schaden, weil man sich des Mangels bewußt ist und versucht, ihn zu heben. ..." (S. 57)
"Aber auch bei Krankheiten, die wir als konstitutionelle Einheiten ansehen, darf man eine Gleichförmigkeit nicht mehr erwarten als bei einer Pflanzenspezies, die ja immer zusammengesetzt ist aus einer großen Menge von einzelnen Stämmen. Ein manisch - depressives Irresein in der einen Familie ist meist etwas anderes als das in einer andern Familie, und hier bei haben wir das nämliche Recht, solche Krankheitsausprägungen zusammenzufassen, wie wir die verschiedenen Stämme einer beliebigen Pflanzen - oder Tierart in eine Spezies vereinigen. ..." (S. 60)
"Noch schlechter als mit dem Begriff der Krankheit steht es mit dem der Heilbarkeit (und Unheilbarkeit). Und doch läßt man sich immer wieder zwingen, den Kassen und Beamtungen unbeantwortbare Fragen nach diesem Schema zu beantworten. Ist eine Schizophrenie heilbar? Eventuell von wann an nicht mehr? Inwiefern ist ein manisch- depressives Irresein heilbar? In unseren Anstaltsstatistiken liefern die Deliranten das größte Kontingent zu den Heilungen; medizinisch gehören sie zu den am wenigsten Geheilten, weil nach Abklingen des Delirs der chronische Alkoholismus fortbesteht wie der Typhus nach einer Darmblutung. Daß überhaupt der Begriff der Heilung bei den verschiedenen Krankheiten ein ganz ungleicher ist, wird noch zu oft übersehen. ..." (S. 61)
Quelle: BLEULER, E. (1921; hier 1975 ) Das Autistisch-Undisziplinierte Denken in der Medizin und seine Überwindung. Berlin, Heidelberg, New York: Springer. Aus den Seiten 16, 17, 57, 60, 61.
***
Falldarstellung:
Udenustherapie Segment einer Psoriasis im Rahmen einer umfassenden
Behandlung.
Segment Darstellung von und aus R. Sponsel (1995, S. 480 f)
"Anlaß & Hintergrund: Im Rahmen einer umfassenden
Behandlung ist eine Symptom Krise (1993) mit Psoriasis bei einer um ihre
Attraktivität natürlich einfühlbar und verständlich
sehr besorgten Frau in den sog. besten Jahren aufgetreten.
Persönlichkeit & Diagnostik: Attraktive Erscheinung,
intelligent, gebildet, vielseitig begabt, sensibel, leicht kränk
und verletzbar, sehr beherrscht und um ihre Wirkung und Stellung bemüht
und besorgt. Leichte Neigung zu Passivität und Bequemlichkeit. Multiple
Psychosomatik, Verstimmungen, Angst.
Aus der ausführlichen allgemeinen Anamnese (AAA):
Vater: Autoritär. Mutter: Distanziert ambivalent. Geschwister: vorgezogen,
starke Rivalität. Kindheit & Jugend: problematisch; Sinnkrise
im heran wachsenden Alter. Beziehung & Kontakt: keine richtigen
Freundschaften. Arbeit & Beruf und allgemein: Mißverhältnis
im Leistungsbereitschafts-Anspruchsniveau (hier sehr tüchtigen Partner
gewählt). Life events: Tod eines Freundes in der Jugend. Störungen
& Krankheiten: Immer Schuldgefühle den Eltern gegenüber.
Spezifische Syndromgenese (SSG): Hier die Psoriasis.
Als Ausdruck der inneren Konfliktsituation interpretiert.
Therapieplan (Archimedische Hebel, Fokus):
Ich war mir subjektiv sicher, daß es sich um eine vorübergehende
psychosomatische Erscheinung handelt und entschied mich, zu versuchen,
das Symtpom mit Udenustherapie nach E. BLEULER (> Reader), d. h. mit Nicht
Behandlung am schnellsten zum Verschwinden zu bringen. Ich habe versucht,
überzeugend darzu
legen, daß die Psoriasis im Laufe der Zeit wieder verschwinden
wird.
Therapie Einstellung: Positiv, am Anfang mehr erwartend
als realistisch ist; zunehmend dämmert die Einstellung: wenn ich an
meinem Leben nichts verändere, wird sich wenig verändern (von
mir verstärkt).
Therapieverlauf: Bislang in mehreren großen
Blöcken mit längeren Intervallen von Kommen und Nichtkommen,
was ich in Ordnung finde (ich orientierte gerne dahingehend: manche kommen
alle paar Jahre für ein paar Stunden). 1983/84: 16 h. 1991
93: 59 h, 1995: 9.
Evaluation & Therapieerfolgskontrolle: Bei Wiederaufnahme
der Therapie 1995 war die Psoriasis (zusammen mit einem jahrzehntealten
Alptraum) verschwunden und einer insgesamt viel eigenverantwortlicheren
Einstellung gewichen."
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