Internet
Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
(ISSN 1430-6972)
IP-GIPT DAS=28.04.2002
Internet-Erstausgabe, letzte Änderung 17.03.12
Impressum:
Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20
D-91052 Erlangen
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& .Copyright _
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_ Video+Opferschutz Überblick_Rel.
Aktuelles _Rel.
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_Wichtige
Hinweise Links u. Heilmittel_
Willkommen in unserer Internet-Publikation
für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Forensische
Psychologie, Kriminologie, Recht und Strafe, Bereich Opferschutz, und hier
speziell zum Thema:
Der Schutz kindlicher Opferzeugen im Strafverfahren
und die Verwendung von Videotechnologie
Warum mauern Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte
zum Schaden unserer Kinder?
Sind Suggestivfragen
rechtswidrig?
Ein Buchhinweis mit Leseprobe von Rudolf Sponsel,
Erlangen
Bericht
vom rechtspsychologischen Kolloqium 6.2.12 zum Opferschutz.
Literaturnachweis
* Aus der
Zusammenfassung * Verwendung
von Videotechnologie * Kritischer
Kommentar * Verfahrenstortur
für die kindlichen Opferzeugen * Aufruf
* Literatur
u.a.n Kipper * Querverweise
|
Kipper,
Oliver (2001). Schutz kindlicher Opferzeugen im Strafverfahren. Kriminologische
Forschungsberichte. Max- Planck- Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht. Freiburg: edition juscrim.
Dissertation an der rechtswissenschaftlichen Fakultät
der Albert Ludwigs Universität in Freiburg.
|
Aus
der Zusammenfassung (Extrakt/ Abstract)
Ausschluß der Öffentlichkeit:
Wird in 2/3 der Fälle vom Gericht selbst veranlaßt und immer
stattgegeben, wenn es das Opfer beantragt. Der Auschluß hat nichts
mit dem Alter, aber mit der Schwere des Deliktes und anwaltlichem Beistand
zu tun. [S. 289]
Begleitung
der Kinder bei den Vernehmungen: "In knapp zwei Drittel aller Vernehmungen
werden die Kinder aus der Untersuchungsgruppe durch eine Person ihres Vertrauens
begleitet." In 80% der Fälle ist einer der beiden oder beide Eltern.
[S. 284]
Berufungen: Nur in 7 (von 426 untersuchten)
Fällen kommt es zu einer Berufungsverhandlung (im Gegensatz zur Revision
ist das eine volle Verhandlung mit allen Vernehmungen und ZeugInnen).
Opferschutzmaßnahmen zu Ungunsten des Angeklagten wurden in keiner
Revision gerügt [S. 290].
Betreuung der
Kinder durch die Justiz: Nur 113 = 18,8% der Gerichte bieten echte
Beratung an. "Die Art der Betreuung variiert teilweise erheblich." [S.
279].
Dauer der Ermittlungsverfahren: Untersuchungsgruppe
181 Tage, Kontrollgruppe Kinder 193, Erwachsene 221 Tage. [S. 285]
Einstellung des Verfahrens > Verfahrenseinstellungen.
Geständnis: Ein Geständnis
des Angeklagten führt in 11 von 12 Fällen zum Verzicht der Vernehmung
der Kinder in der Hauptverhandlung. [S. 287].
Entfernung des Anklagten
in der Hauptverhandlung wird in 28.6% der Fälle angeordnet, ist aber
nach Antrag gewöhnlich erfolgreich. Nur in 5.7% der Fälle wird
eine Konfrontation des Kindes mit dem Angeklagten grundsätzlich vermieden.
Je näher die Täter- Opfer- Beziehung desto eher erfolgt der Ausschluß
des Angeklagten. [S. 288]
Hautverhandlung: Die Mehrzahl der
Verfahren kann an einem einzigen Verhandlungstag erledigt werden, 90% aller
Hauptverfahren innerhalb von 14 Tagen. [S. 285] 36% der Kinder - auch in
der Kontrollgruppe Kinder - werden nicht zur Hauptverhandlung geladen im
Vergleich zu 9.1% bei der Erwachsenenkontrollgruppe. [S. 287]
Kinderstühle: "Nur wenige Gerichte,
an denen bislang kein Kinderzeugenzimmer existiert, planen die Einrichtung
eines solchen." [S. 277]. Nur 5% aller Gerichte hat die Möglichkeit
das Mobiliar an die kindliche Anatomie anzupassen. 7.7% der Gerichte erklärten,
die Anschaffung von Kinderstühlen sei geplant [S. 278].
Kindgerechte Zeugenzimmer
haben
im Mittel nur knapp 15% aller Gerichte bundesweit. Berlin zu 100%, Bremen
zu 75%, Schleswig-Holstein zu 40.9%, Thüringen 3.1%. Amtsgerichte
haben zu 12%, Landgerichte zu 29.6% kindgerechte Zeugenzimmer. [S. 277]
Kindgerechtes
Informationsmaterial zur Zeugenaufgabe: Nur 6% aller Gerichte verfügen
über Informationsmaterial, daß geeignet ist, die Kinder auf
ihre Rolle als Zeugen vorzubereiten. Es führen Bayern, Sachsen und
Schleswig-Holstein. [S. 279] Siehe auch Zeugentraining
und Evaluation.
Mehrfachvernehmungen: 10.3%
aller Kinder wurden gar nicht, 52.8% der Kinder nur einmal befragt. Mehrfach
vernommen wurden demnach 36.9%. Die Vernehmungen, auch dritte und vierte
Vernehmungen werden meist von PolizistInnen durchgeführt [S. 284]
Nebenklage: "Das Auftreten des Opfers
als Nebenkläger wirkt sich unmittelbar auf die Art der Verfahrenserledigung
aus. In diesen Fällen steigt der Anteil der Verurteilungen auf 85%
an", "im Gegenzug geht der Anteil der Verfahrenseinstellungen auf lediglich
5% zurück". [S. 286]
Revision > Berufungen
Suggestivbefragungen
(aussagepsychologische und vernehmungstechnische Kunstfehler): keine Angaben,
nicht erhoben. Das ist insofern fatal als davon auszugehen ist, daß
selbst die besonders geschulten KriminalbeamtInnen und sogar aussagepsychologische
Sachverständige Suggestivfrageraten - wohlgemerkt bei Kindern! - von
40-50% (eigene Schätzungen aufgrund von Auswertungen von Wortprotokollen)
aufweisen. Solche durch immer vermeidbare aussagepsychologische und vernehmungstechnische
Kunstfehler Aussagen sind m.E. potentiell rechtswidrig und im Grunde bis
auf wenige Ausnahmen nicht verwertbar. Hier wäre es dringlichst wünschenswert,
daß der Bundesgerichtshof ein Machtwort spricht.
Hinweis: Falls die Vernehmungen ordentlich dokumentiert und
aufgezeichnet wurden (Wortprotokolle, Audio- oder Videocasetten) ist eine
Auszählung der aussagepsychologischen und vernehmungstechnischen Kunstfehler-Suggestivfragen
möglich und kann von der Verteidigung der Angeklagten genutzt werden.
Ausführlich zur Problematik und Unzulässigkeit von Suggestivfragen
bei Kindervernehmungen:
bitte hier klicken |
Videotechnologie: Nur jedes fünfte
Gericht erklärt, in Zukunft von den Möglichkeiten der Videotechnologie
Gebrauch machen zu wollen. Die Mehrzahl der Gerichte lehnt die Verwendung
von Videoaufzeichnungen grundsätzlich ab. [S. 280]
Verfahrenseinstellungen:
66.6% der Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs werden von den Staatsanwaltschaften
eingestellt; Kontrollgruppe Kinder [Raub, Körperverletzung] 61.4%;
Kontrollgruppe Erwachsene [Vergewaltigung, sexuelle Nötigung] 73.1%.
Bei zunehmender Nähe zwischen Täter und Opfer steigt die Anzahl
der Einstellungen. In 45% aller Fälle weigerte sich das Opfer gegen
Familienangehörige auszusagen; gegenüber nur Bekannten betrug
die Rate 15% und im Verfahren gegen Fremde 0 %. [S. 283] Nur in zwei Drittel
aller Fälle werden die Betroffenen von der Einstellung der Verfahrens
schriftlich unterrichtet. [S. 284]
Vernehmungsort: Vernehmungen in
der Polizeidienststelle sind die Regel; im vertrauten häuslichen Umfeld
wurden nur 23% befragt [Kontrollgruppe Kinder 10.1% und Kontrollgruppe
Erwachsene 13.3%].
Verurteilungen: 74% der Hauptverfahren
enden mit einer Verurteilung. In 22% der Fälle erfolgt eine Verfahrenseinstellung
nach §§ 153 II ff. StPO, nach § 206a StPO oder nach §
47 JGG. Nur in 4% aller untersuchten Verfahren wird der Angeklagte durch
das Gericht freigesprochen.
Vorabbesuche der Gerichte: Durchschnittliche
Häufigkeit 0.67 (Landgerichte 1.12; Amtsgerichte 0.57) auf einer Skala
von 0 bis 5. [S. 278]
Warten auf die Vernehmung:
Im Durchschnitt werden geladene Zeugen 56 Minuten nach dem Bestellzeitpunkt
vernommen, Kinder warten maximal eine Stunde. [S. 289/90]
Zeugenschutz: Bundesweit faktisch
gering [S. 279] mit signifikanten Schwankungen zwischen den einzelnen Bundesländern.
[S. 280]
Zeugentraining: Die Aufgabe
von Zeugen ist, Wahrnehmungen, Erleben und Erfahrungen aus der Erinnerung
zu berichten. Das ist eine schwierige Aufgabe, weil oft nicht erinnert,
sondern gedacht, erschlossen, vermutet - und auch im guten Glauben [was
dann besonders glaubwürdig erscheint !] - ergänzungsphantasiert
oder kognitive Dissonanz vermeidend persönlich kompatibilisiert
wird [Abwehrmechanismen].
Ein kindliches Zeugentraining zum Unterscheiden zwischen Erinnern, Denken,
Phantasie, Irrtum, Täuschung und Lüge wird anscheinend von niemandem
für nötig erachtet. Die Naivität in Polizei-, Justizkreisen
aber auch bei einigen Sachverständigen, was kindliche Zeugen können
und wissen, ist anscheinend grenzenlos. Bezeichnenderweise hat Prof. Rolf
Bender, juristischer Vernehmungs- und Aussageexperte, sein im Strafverteidiger
1982 veröffentlichtes Wirklichkeitsexperiment mit folgendem trefflichen
Titel versehen: „Der Irrtum ist der größte Feind der Wahrheitsfindung
vor Gericht", womit er die Aussageergebnisse von Binet (1900; in Stern
1902 im Anhang referiert) und William Stern (1902 ff) bestätigt. Kipper
berichtet nur über Informationsmaterial
für die kindlichen Zeugen, nicht aber über Trainung
und Evaluation.
VI.
Verwendung von Videotechnologie [S. 275-276]
"Im abschließenden Fragenkomplex wurde die Nutzung von Videotechnologien
durch die Gerichte erhoben. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen die
Einstellung der Gerichte zu der zum Zeithebung der Erhebung schon im Gesetzgebungsprozeß
befindlichen, aber noch nicht in Kraft getretenen Regelung der Zeugenvernehmung
mittels Videodirektübertragung offenlegen.
Wegen der bis dato fehlenden gesetzlichen Grundlage
und des auch finanziell hohen Aufwandes, der für eine solche Vernehmung
kindlicher Zeugen zu treffen ist, war nicht erwartet worden, daß
viele Gerichte von den Möglichkeiten der Videotechnologie Gebrauch
gemacht hatten. Dies wird auch durch die Ergebnisse der Befragung klar
bestätigt. Nur acht Gerichte schildern Erfahrungen mit Videotechnologie,
die sie im Rahmen von Zeugenvernehmungen gemacht hätten. Von diesen
berichten drei Gerichte von der Integration einer Videoübertragung
in die Hauptverhandlung [FN18]. Dabei erfolgt jeweils die Vernehmung des
kindlichen Zeugen durch den Richter in einem abgetrennten Raum und wird
über eine Direktverbindung in den eigentlichen Hauptverhandlungssaal
übertragent [FN19]. In den übrigen fünf Fäl-[>276]len
beschränken sich die Erfahrungen auf die Verwendung von Videoaufzeichnungen
im Rahmen der im Vorverfahren durchgeführten Vernehmungcn kindlicher
Zeugen. Nur eine dieser Videoaufzeichnungen wird jedoch schließlich
auch als Beweismaterial in die Hauptverhandlung übernommen.
Im Gegensatz zu der erwarteten geringen Anzahl von
bereits angewendeten videogestützten Kinderzeugenvernehmungen wurde
vermutet, daß das Interesse der deutschen Gerichte an der zukünftigen
Verwendung von Videotechnologie im Strafverfahren sehr ausgeprägt
sein würde. Diese Erwartung sieht sich durch die Ergebnisse der Gerichtsbefragung
allerdings nicht gestützt. Lediglich 108 Gerichte (19,3%) bekunden
den Wunsch und/oder Willen, in Zukunft von den Möglichkeiten der Videotechnologie
im Rahmen der Vernehmung von kindlichen Zeugen Gebrauch zu machen. Von
den übrigen Gerichten wird dagegen kein Interesse an dieser zusätzlichen
Spielart der Zeugenvernehmung geäußert. Aus den Anmerkungen,
die zu diesem Fragenkornplex gegeben wurden, läßt sich erkennen,
daß die geringe Resonanz im Hinblick auf die Verwendung von Videogeräten
Ausdruck eines ganz allgemeinen Mißtrauens in deren Nutzen ist. Dabei
wird vielfach angemerkt, daß gerade die Vernehmung mit einer zwischengeschalteten
Kamera nie den gleichen positiven Effekt haben könne wie persönlicher
Einsatz und Einfiihlungsvermögen des Richters in der unmittelbaren
Befragung des Kindes.
Eine signifikante Unterscheidung des an der Einführung
von Videotechnologie geäußerten Interesses, läßt
sich zwischen allen Bundesländern nicht feststellen (N= 559, Chi2=
17,4, df= 15, p= 0,295, Cramer's V= 0,176). Dagegen ist das Interesse an
videogestützten Vernehmungen an den Landgerichten signifikant höher
als an den Amtsgerichten (N=559, Chi2= 4,3, df=1, p=0,038, Cramer's V=
0,088). Diese auffällige Differenz könnte sich dadurch erklären
lassen, daß an den Landgerichten aufgrund der vermeintlich schwerer
wiegenden Delikte eher ein Bedarf für die Verwendung von Videotechnologie
gesehen wird als an den Amtsgerichten. Hinzu mag außerdem kommen,
daß an kleinen Gerichten mit wenig Personal eher befürchtet
wird, Probleme im Umgang mit der Technik nicht bewältigen zu können."
Kritischer Kommentar
Die deutsche Aussagepsychologie ist in diesem Jahr (2002) einhundert
Jahre alt geworden. In seiner berühmten experimentellen Studie Zur
Psychologie der Aussage" schreibt William Stern 1902 in der Zeitschrift
für die gesamte Strafrechtswissenschaft, S. 327: „Die fehlerlose
Erinnerung ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme." 1926 schreibt
William Stern in seinem Werk Jugendliche Zeugen in Sittlichkeitsprozessen,
ihre Behandlung und psychologische Begutachtung
(S. 47):
"Von den ersten Vernehmungen hängt also geradezu die ganze
Zukunft des Prozesses ab: In ihnen wird eigentlich fast immer der Sachverhalt
endgültig geklärt oder endgültig verschleiert"
Wir wissen also seit 1926, daß der fachkundig erhobenen Erstaussage
die allergrößte Bedeutung zukommt. Je mehr Vernehmungen erfolgen
und je länger sich ein Verfahren hinzieht, desto unübersichtlicher,
unkontrollier- und unbeurteilbarer werden die Aussagen von Kindern. Vergegenwärtigen
wir uns daher noch einmal:
Der
Zeitliche Werdegang der Aussagen in sexuellen Mißbrauchsverfahren
Bei Nahestehenden entwickelt sich ein Verdacht:
-
Erste spontane Aussagen bei Nahestehenden oder, problematisch, durch Nahestehende
aufgedeckt:
Dieser Verdacht führt zu verstärkter Beobachtung und Aufklärungs-
bzw. problematischer Aufdeckungsarbeit durch die Nahestehenden, wobei diese
„Aufklärungs- bzw. Aufdeckungsarbeit" den Verdacht auf sexuellen Mißbrauch
selbst hervorrufen kann, wie wir z.B. aus den großen Prozessen (Münster,
Mainz [Worms], und von einem Fall in Flachslanden wissen).
-
Zweite Aussage bei Hilfestellen, an die sich die Nahestehenden bei subjektivem
Verdacht wenden. (z.B. psychologische Beratungseinrichtungen, Notruf, Jugendamt,
Kinderschutzbund, Organisationen gegen sexuellen Mißbrauch, [z.B.
Wildwasser,
Zartbitter
u.ä.]),
-
Dritte Aussage und Vernehmung bei der Kriminalpolizei manchmal mit Nach-
und Zusatzvernehmungen (dann erhöht sich die Zahl jeweils)
-
Vierte Aussage beim Ermittlungsgericht.
-
Fünfte Aussage bei der aussagepsychologischen GutachterIn.
-
Sechste Aussage in der Hauptverhandlung, wenn es zur Eröffnung des
Strafverfahrens kommt.
-
Evtl. siebte Aussage durch eine neu anberaumte Begutachtung nach Berufung
in der höheren Instanz.
Und in den Zwischenzeiten erfolgen naturgemäß die verschiedenartigsten
bewußten und unbewußten Beeinflussungen, Vergessens-, Lern-
und Verarbeitungsprozesse. Der Aussagezeitraum zieht sich also nicht selten
über viele Monate oder gar mehrere Jahre hin. Bevor es zur ersten
erwarteten fachkundigen Vernehmung durch die KriminalbeamtIn - besser wären
wohl aussagepsychologisch richtig geschulte Sachverständige - kommt,
sind also schon viele Monate und nicht selten schon Jahre vergangen.
Verfahrens-Tortur
für die kindlichen Opferzeugen
Einflußnahme und Mehrfachvernehmungen sind eine
große
Belastung für die Kinder und ihre Angehörigen. Ich schätze,
daß in mindestens 50% aller Fälle der juristische Verfahrensweg
als in Kauf genommene Kindesmißhandlung bewertet werden kann.
Es kann nicht der Sinn des Rechts sein, das Recht auf Ahndung der
Kindesmißhandlung
durch die in Kauf genommene Verfahrensfolge
Kindesmißhandlung
herzustellen. Hier haftet der Justiz etwas Gefühlloses, ja manchmal
geradezu etwas Sadistisches und Starrsinniges an:
Sie wollen nicht, sie mauern; das entnehme
ich auch der wertvollen Dissertation von Kipper.
Wenigstens sechs gute Gründe sind es, die für
eine fachkundige Erstaussage-Videovernehmung sprechen:
-
aussagepsychologisch und vernehmungstechnisch fachgerecht,
-
opferschützend und schonend
-
den kindlichen kognitiven Fähigkeiten angemessen
-
die Ermittlung und Sicherung der tatsächlichen Wahrheit wird gefördert
-
der Gerechtigkeit kann mehr Genüge getan werden
-
die Kosten für im Sande verlaufende Verfahren sinken (steuerzahlerInnenfreundlich)
Es ist einfach nicht verständlich, weshalb man fehlerträchtige
und kindeswohlbelastende Mehrfachbefragungen, Beeinflussungen, Vergessen
und fehlerhafte Informationsverarbeitung ja geradezu vorsätzlich riskiert
und in Kauf nimmt. Die gesetzlichen Voraussetzungen wurden aufgrund der
großen sexuellen Mißbrauchsverfahren und der öffentlichen
wie politischen Anteilnahme in den 1990iger Jahren geschaffen, um eben
die Opfer zu schützen und eine angemessene Strafverfolgung zu fördern.
Kinder, die über Jahre hinweg mehrfach aussagen müssen, werden
nicht nur seelisch unnötig belastet - nicht selten womöglich
ein zweites Mal mißhandelt - sie werden auch aus den genannten Gründen,
und das ist die eigentlich Paradoxie, zu immer fragwürdigeren Zeugen,
woran niemand außer dem Kinderschänder und berufsbedingt sein
Anwalt ein Interesse haben kann.
Es ist daher völlig unverständlich, weshalb
Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte sich so hartnäckig weigern,
die Videotechnologie anzuwenden. Im Grunde unterlaufen Polizei, Staatsanwaltschaften
und die Gerichte damit den objektiven Geist der seit Dez. 1998 wirksamen
Gesetze zum kindlichen Zeugen- und Opferschutz. Damit entsteht sowohl eine
rechtlich als auch rechtspolitisch äußerst gefährliche
und problematische Situation, indem Polizei, Recht und Justiz den objektiven
Geist der Gesetze nicht erfüllen wollen und damit womöglich das
Recht selbst zu beugen drohen.
Warum
werden z.B. in Bayern so gut wie keine Videovernehmungen durchgeführt
?
Das bleibt, wie so vieles, das Geheimnis der bayerischen Justiz und
des Innenministeriums, obschon die technischen Voraussetzungen in Bayern
geschaffen wurden, wie mir das Bayerische Staatsministerium der Justiz
mit Schreiben vom 27.2.2002 mitteilte.
„zu Ihrer Anfrage vom 12. Dezember 2001 kann ich Ihnen nach Beteiligung
des Staatsministeriums des Innern folgendes mitteilen:
Es besteht in ganz Bayern die Möglichkeit des Videoeinsatzes im
Strafverfahren.
Alle Landgerichte sind mit Videoanlagen ausgestattet, die einen Dialog
mit Bild und Ton in zwei geteilten Räumen ermöglichen. Manche
dieser Anlagen sind transportabel und können daher bei Bedarf auch
anderen Gerichten zur Verfügung gestellt werden. Die bei den Gerichten
vorhandenen Videoanlagen dienen in erster Linie der in § 247 a StPO
geregelten Videovernehmung in der Hauptverhandlung, bei der der Vorsitzende
im Gerichtssaal verbleibt und mit dem Zeugen über eine Video-Direktschaltung
verbunden ist.
Für die von Ihnen in erster Linie angesprochenen Aufzeichnungen
einer Zeugenvernehmung in einem früheren Verfahrensstadium zur Vermeidung
von Mehrfachvernehmungen nutzt die Justiz auch die Videovernehmungszimmer
der Polizei."
Es folgt der Hinweis, daß es in allen Regierungsbezirken bereits
Videovernehmungszimmer für Kinder gibt.
Auf weitere konkrete Nachfragen zur Realisation und Häufigkeit
der Nutzung teilte mir das bayrische Staatsministerium des Innern mit Schreiben
vom 9.4.2002, eingegangen am Montag, den 15.4.2002, folgendes mit:
„Zu Frage 1: Das erste Videovernehmungszimmer in Bayern wurde beim
Polizeipräsidium München eingerichtet und im Februar 1999 in
Betrieb genommen. Beim Polizeipräsidium Mittelfranken wurde das erste
Videovernehmungszimmer im Dezember 2000 bei der Kriminalpolizeidirektion
Nürnberg eingerichtet."
Bericht
vom rechtspsychologischen Kolloquium 6.2.12 zum Opferschutz.
Als ich die Information über die rechtspsychologischen Kolloquien
- eine verdienstvolle und inzwischen traditionsreiche interdisziplinäre
Einrichtung der Juristen, (forensischen) Mediziner, Psychiater und PsychologInnen
an der Friedrich-Alexander-Universität - im Psychologischen
Institut für das Wintersemester 2011/12 erhielt, war ich sehr gespannt
auf die Veranstaltung am 6.2.12 mit Prof. Dr. Reinhard Böttcher, Präsident
i.R. des Oberlandesgerichts Bamberg, Bundesvorsitzender i.R. des WEISSEN
RINGS e.V. zum Thema "Perspektiven des Opferschutzes im Strafverfahren".
Sehr gespannt deshalb, weil ich natürlich wissen wollte, welche Fortschritte
es 10 Jahre nach dieser Internetpublikation zur schonenden und effektiveren
Videovernehmung (> William Stern) insbesondere
von jüngeren Kindern inzwischen zu vermelden gibt. Das Ergebnis war
überaus ernüchternd. Meine Frage zum Referat, da es hierzu nichts
ausführte.
Wie viele Vernehmungen kindlicher Zeugen
wurden in Bayern verglichen mit anderen Bundesländern oder Deutschland
durchgeführt und wie viele davon durch Sachkundige mit Videotechnologie? |
konnte der Referent nicht beantworten. Er denke auch, dass hierzu keine
Zahlen vorlägen. Und er vermute, ich vermutete das auch. Aus
seiner persönlichen Erfahrung als Präsident des Oberlandesgericht
Bambergs, wo es auch so einen Videoraum gebe, könne er berichten,
dass dieser seines Wissens nie genutzt worden sei. Die Richter wollten
wohl einen persönlichen Eindruck (auch) vom Opfer, etwas martialisch
ausgedrückt, "das Weiße im Auge des Opfers" sehen.
Das Referat selbst war in sieben Teile gegliedert (nach meiner Erinnerung
und Notizen):
1) Die Bedeutung Opfer zu sein
2) Opferschutz im Strafverfahren
3) Anzeige als soziale Leistung
4) Der Opferschutz ist zum Thema geworden
5) Opferschutzgesetzgebung
6) Ende der Fahnenstange (beim Opferschutz)?
7) Perspektiven
Als eine erste Arbeit zum Opferschutz/ Viktimologie wurde eine Arbeit
von Hans von Heutig (1941) in den USA erwähnt. Das Thema griff dann
der Juristentag 1984 auf und bereitete eine Plattform zur Reformgesetzgebung
vor (Täter-Opfer-Ausgleich), gefördert auch die Förderung
des Thema in der UNO-Vollversammlung und im Europarat. Warum das so lange
gedauert habe, blieb offen. Stationen: 1986 Opferschutzgesetz, 1998 Zeugenschutzgesetz,
2001 Gewaltgesetz, 2004 und 2009 Reformgesetze. 2010 Runder Tisch. An das
Referat schloss ein gute halbe Stunde Fragen und Antworten an. Es wurde
insgesamt deutlich, dass seit den 1980ern in der Tat einiges positiv auf
den Weg gebracht wurde, aber:
Es gibt gute Gesetze zum Opferschutz und
es gibt gute technische Einrichtungen zur Videovernehmung. Es war eine
große Schwäche des Referats, nicht darauf hingewiesen zu haben,
dass die besten Gesetze und technischen Einrichtungen nichts nutzen, wenn
sie nicht angewendet und umgesetzt werden. Für den juristischen Laien
erscheint dies als Rechtsbeugung durch die Justiz, weil der Wille des Gesetzgebers
nicht umgesetzt wird. Der 2002 verfasste Aufruf scheint also nach wie vor
brandaktuell zu sein: |
Aufruf
an ÄrztInnen, PädagogInnen, PsychologInnen,
ForensikerInnen, PsychotherapeutInnen, Jugendämter, RechtsanwältInnen,
Kinderschutzorganisationen und an die interessierte Öffentlichkeit:
Schreiben und befragen Sie Ihre Abgeordneten, Polizeipräsidien,
Staatsanwaltschaften, Gerichte, Ministerien, Behörden, die Öffentlichkeit
(z.B. Zeitungen, Medien) zum Thema Videovernehmung von kindlichen Zeugen
und warum die gesetzlichen Möglichkeiten von 1998 nicht umgesetzt
werden.
Helfen Sie bitte mit, die Kinder zu schützen und
die Gerechtigkeit zu fördern.
Drei Hauptgründe sprechen für Videovernehmung
möglichst frühzeitig durch sachkundige VernehmerInnen: 1) die
Qualität (Erinnerungsfrische und Unverfälschtheit) der Aussage
(kognitives Argument) und 2) damit ihre bessere rechtliche Verwertbarkeit
(juristisches Argument); 3) die Schonung der Opfer durch Ersparung der
Tortur
und der damit verbundenen weiteren Verletzungen und Beschädigungen
(viktimologisches und humanes Argument).
Literatur
Kindlicher Zeugen- und Opferschutz
Die folgende Liste ist hauptsächlich aus der Dissertation Kipper
entnommen, aber der psychologischen Zitierweise angepaßt. Teilweise
fehlen die Verlagsangaben, die im Laufe der Zeit ergänzt werden.
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22 BKA Forschungsreihe.
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_
Querverweise
Kluwe-Schleberger, Gabriele & Tammer, Johannes:
Psychologische Grundlagen des Polizeilichen Opferschutzes. Luxus oder Notwendigkeit?
Querverweis: Zeugen richtig
befragen
Querverweis: Suggestion
und Suggestivfragen
Querverweis: Aussagepsychologie
Querverweis: Überblick
Forensische Psychologie, Psychopathologie und Therapie
Querverweis: Sind
Amokläufe (Erfurt) verhinderbar?
Querverweis: Psychologie
des
Tötens
Querverweis: Die
gesellschaftlichen Ursachen von Aggressionen, Haß und Gewalt
Querverweis: Die
psychologischen Wurzeln des Krieges
Querverweis: Pathologische
Bindungsbeziehungen
Querverweis: Hörigkeit
Podcasts zum Opferschutz: https://www.podcast.de/stichwort/opferschutz/.
Zitierung
Sponsel, Rudolf (DAS). Der Schutz kindlicher Opferzeugen
im Strafverfahren und die Verwendung von Videotechnologie. Die Dissertation
von Kipper. Mit einem kritischen Kommenta und Aufruf von Rudolf Sponsel:
Mauern Staatsanwaltschaften und Justiz zum Schaden unserer Kinder?
Erlangen
IP-GIPT: https://www.sgipt.org/forpsy/opfer/oskstpo.htm
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gilt der Gerichtsstand Erlangen als akzeptiert.
Ende Video+Opferschutz
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_Rel. Aktuelles
_Rel. Beständiges
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_
_
_ _Wichtige
Hinweise Links u. Heilmittel_