Die Konzeption des Bewußtseins und des
Unbewußten in der GIPT
Einführung. „Das" Unbewußte galt lange Zeit als Domäne und Reservat von Psychoanalyse und Tiefenpsychologie. Schuld daran ist zum größten Teil eine akademische Psychologie, die von der Psychologie im engeren und eigentlichen Sinne und der Psychologie des wirklichen Lebens nichts versteht und wohl überwiegend auch nichts wissen will [FN2]. Wenn man der Psychoanalyse von seiten der akademischen Psychologie vorwirft, daß sie sich sektiererisch [FN3] abschotte, so gilt das umgekehrt ebenso: die akademische Psychologie ist weitgehend unfähig oder unwillig, die wissenschaftlichen Aufgaben der Tiefenpsychologie anzunehmen. Ja, es ist sogar so grotesk und absurd, daß sich wissenschaftliche AutorInnen sogar meinen entschuldigen (!) zu müssen, daß sie sich mit Bewußtseinsinhalten und Introspektion beschäftigen [FN4] . Kognitive Psychotherapie ist angewandte Psychologie und Psychotherapie von Bewußtseinsinhalten. Also muß man sich konsequenterweise mit den schwierigen Problemen, die eine Psychologie und Psychotherapie der Bewußtseinsinhalte mit sich bringt, gründlichst beschäftigen (>Die Psychologie des Erlebens). Daß der Behaviorismus und seine therapeutische Ableitung, die Verhaltenstherapie, hierzu nicht in der Lage war, ist klar, ist der Behaviorismus doch als Reaktion auf die Probleme der Bewußtseinspsychologie - die er nicht begriff und durch Leugnen und Flucht neurotisch zu „lösen" versuchte - um die Jahrhundertwende entstanden. So entstand von 1913 (Watsons Manifest) bis 1967 („kognitive Wende"; Neissers Buch [FN5]) die absurde Situation, daß sich in der Psychologie eine mächtige Strömung entwickelte, die tatsächlich allen Ernstes eine Psychologie ohne Bewußtsein, ohne Introspektion, ja im Grunde eine Psychologie ohne Seele aufbauen wollte. Genug der Schelte. Beginnen wir zunächst mit der Bewußtseinspsychologie der GIPT, um auf dieser Basis eine Psychologie des Unbewußten zu entwerfen. Wir verschaffen uns zunächst einen Überblick über die Vielfalt der mit dem Bewußtsein verknüpften Begriffe und verstehen von daher sehr gut, weshalb die Dinge so schwierig und kompliziert sind.
Zur Abbildung: Bewußtseinsmodell
in der GIPT (Axiom X)
Theorie des Bewußtseins, der Bewußtseins-Zustände,
Bewußtseins-Lenkung und verwandter Themen in der Allgemeinen und
Integrativen Psychotherapie
A-VIII Teleologisches Axiom: Evolutionärer Sinn des
Bewußtseins. Das Bewußtsein bedeutet Wissen um das seelische
Geschehen. Das seelische Geschehen wird auf den Ort, den wir yGIPT
Bewußtsein nennen, projiziert und zum Zwecke optimierender Lenkung
dort wahrgenommen. Dadurch, daß das seelische Geschehen am Ort des
Bewußtseins gespiegelt wird - Perzeption wird zur Apperzeption (ich
nehme wahr, daß ich wahrnehme)- kann bewußt lenkend eingegriffen
werden. Die evolutionären Möglichkeiten der Kontrolle und Lenkung
(Steuerung, Regelung) wurden damit sehr stark erweitert. Das ist der biologisch-evolutionäre
Sinn des Bewußtseins: eine viel höhere Anpassung, Reagibilität
und Lernen wird dadurch ermöglicht bzw. optimiert. Bewußtheit
schafft mehr Freiheitsgrade und Wahlmöglichkeiten. D. h. bewußte
Wesen haben auch eine bessere Überlebenschance in der Natur, weil
sie nicht nach einem starren Programm gelenkt werden, sondern durch die
reflexive „Spiegelung" im Bewußtsein jederzeit vom „Standardprogramm"
abweichen, also lernen und sich entwickeln können. Mit der Möglichkeit
des Bewußtseins wurde auch die Möglichkeit und Grundlage einer
relativen Freiheit und Verantwortung geschaffen (denken, vorstellen, erinnern,
phantasieren, wollen, machen oder tun).
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Bemerkung: Im Alltag wird oft nachlässig das Wort „denken" für Bewußtseinsfunktionen und Bewußtseinsvorgänge verwendet, was zu zahlreichen Mißverständnissen und Konfusionen führen kann. Korrekte Fragen nach Bewußtseinsinhalten lauten in der GIPT z. B.: „Was erleben Sie jetzt?" Oder: „Was geschieht in Ihnen?" Im Bewußtsein präsentieren sich die inneren und äußeren Welten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Bewußtsein ist so betrachtet ein vieldimensionaler und außerordentlich komplexer Projektionsraum des Erlebens. Als allgemein verständliche Bewußtseins-Metaphern für den Aufbau und die Funktion des Bewußtseins können die drei Analogien (1) Projektionsraum, (2) Film, (3) Gemüsetopf dienen, wobei im Gleichnis „Gemüsetopf" der Topf das Bewußtsein als Gefäß nimmt, in dem verschiedene „Elemente" („Gemüse") als hervortretende Bewußtseins-„Figuren" oder verbundene „Gestalten" (z. B. Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Phantasien, Erinnerungen, Wünsche, Bedürfnisse, Ziele, Pläne, Erfahrungen usw.) erlebt und nicht immer, aber oft auch unterschieden werden können. Das Bewußtsein nimmt als häufigste und allgemein bekannteste Zustandsformen die beiden Zustände Wachen und Schlafen an [Querverweis Bewußtseinszustände]. Wie jeder aus eigenem Erleben weiß, gibt es hier zahlreiche Übergänge. Es gehört zu den elementaren Grunderfahrungen und Selbstverständlichkeiten des Lebens, daß man grob weiß, was der Inhalt seines Bewußtseins ist, etwa der wichtigen Hauptelemente Empfinden, Fühlen [FN6] und Spüren, Wahrnehmen der äußeren Welt, Denken, Vorstellen, Brauchen und Bedürfen, Wollen, Phantasieren (tagträumen). Ausnahme: Nur in psychopathologischen Ausnahmezuständen (Psychosen und der „Alltagspsychose Rausch") ist das nicht selbstverständlich.
Allgemeine und Integrative Introspektions-Übung der psychologischen Grundfunktion und des Bewußtseinsinhalts yGIPT empfinden und nur empfinden
Schließen Sie bitte die Augen (um die innere Achtsamkeit, Konzentration
und Erlebnisfähigkeit zu fördern). Streifen Sie mit den Fingernägeln
Ihrer Führungshand über den Handrücken der anderen Hand.
Drücken Sie mal ein bißchen mehr, mal ein bißchen weniger.
Was empfinden Sie nun? Schreiben Sie es bitte zuerst auf und vergleichen
Sie es dann mit der Lösung (siehe unten). Sie sollten nun erfahren
haben, daß Empfinden nicht davon abhängt, ob wir es benennen
können oder ob die Sprache dafür Worte reserviert hat oder nicht.
Sprache repräsentiert die Welt und das Geschehen höchst unzulänglich
und - wie Sie hier gesehen haben - oft gar nicht. Die Welt der Empfindungen
ist eine eigene Welt und die Empfindungen sind zusammen mit dem Fühlen
in der Psychologie und Psychotherapie eine sehr wichtige Welt.
Wir sollten mit diesem einfachen Versuch bewiesen [FN7]
haben, daß es „das" Bewußtseinselement Empfinden gibt. Damit
sollten Sie nun auch erfahren haben, daß Empfinden und Denken Verschiedenes
sind.
Lösung: empfinden: Sie werden bei dem Versuch, Ihr Empfinden zu beschreiben auf die Schwierigkeit gestoßen sein, daß Sie kein Wort für diese Empfindung gefunden haben. Das ist beabsichtigt. Obwohl unsere Sprache für diese Art von Empfindung kein eigenes Wort und keinen eigenen Begriff anbietet, haben Sie doch ganz real etwas empfunden. Und genau das war zu zeigen.
Wofür sollten solche Unterscheidungen und Feinheiten denn nützlich sein?
Nun, wenn Sie z. B. an Alexithymie (Teilleistungsschwäche der Fühlfähigkeit), Anhedonie (Teilleistungsschwäche der Lust- und Freudefähigkeit), an Sinn- oder Wertorientierungsproblemen leiden, sich oft fragen, was sie sollen, statt zu wollen, dann kann es sehr wichtig werden, zur psychologischen Grundlage allen Wertens vorzudringen: zum Empfinden, Fühlen, Spüren. Eine besondere Bedeutung hat das Empfinden, Fühlen und Spüren im Focusing erlangt. Gendlin, einer der Wiederentdecker dieser psychologischen Grundfunktion, glaubt sogar herausgefunden zu haben, daß die Fähigkeit des Focusings eine Grundvoraussetzung für den Psychotherapieerfolg ist . Soweit würden wir zwar nicht gehen, aber ohne Zweifel gehört es mit zu den großen, nicht nur psychotherapeutisch, sondern auch kulturell und gesundheitspolitisch bedeutsamen Errungenschaften der modernen Psychotherapie, die Bedeutung des Empfindens, Fühlens und Spürens wieder erkannt zu haben. Die Vernachlässigung des Empfindens, Fühlens und Spürens in der Erziehung und Schulbildung ist eine völlig unverantwortliche Fehlleistung, die auch damit zu tun hat, Rationalität, Logik und das Denken einseitig überzubewerten. Das Denken ist ohne Zweifel sehr wichtig, aber für das Lebensglück manchmal hinderlich und störend, nämlich dann, wenn die Grundfunktionen des Empfindens, Fühlens und Spürens nicht angemessen entwickelt sind, nicht zur Verfügung stehen oder nicht angemessen beachtet und berücksichtigt werden.
Grundbegriffe und Axiome zum Unbewußten in der GIPT
A-VI Axiom verschiedener Bewußtheitsmöglichkeiten. Es gibt bewußtes, unbewußtes und nichtbewußtes, vorbewußtes und gar kein Seelenleben, d. h. „in" der Seele geschieht etwas bewußt, unbewußt, nichtbewußt oder es geschieht nichts. yGIPT Unbewußtes kann bewußt werden, yGIPT Nichtbewußtes ist per definitionem nicht bewußtseinsfähig. Viele seelischgeistige Prozesse sind dem be-wußten Erleben verborgen. Und viele, ja die meisten biologischen Prozesse sind yGIPT Nichtbewußt.
A-VII Axiom der systematischen Stellung des Unbewußten. „Das" Unbe-wußte im Sinne Freuds und der Tiefenpsychologien als eigenes Funktionssystem mit eigenen Aufgaben und Zielen gibt es im Allgemeinen und Integrativen Ansatz nicht. Das ganze Seelenleben ist zwar von vielen unbewußt ablaufenden Prozessen durchsetzt und natürlich auch - teilweise maßgeblich - beeinflußt, wird hier aber nicht als eigenes System konstituiert und gedacht.
A-IX Unabhängigkeit der Wahrnehmung vom Bewußtsein,
d. h. es gibt unbewußte Wahrnehmung. Die Wahrnehmung ist - wenigstens
teilweise - unabhängig vom Wach-Bewußtsein. Ein simpler Beweis
ist schon die Tatsache der Weckbarkeit: wie sollte der Mensch weckbar sein,
wenn er den Weckreiz nicht wahrnehmen könnte? Gelangt Wahrnehmung
ins Bewußtsein, so weiß ich, daß ich wahrnehme, das nannten
die Alten trefflich yGIPT
Apperzeption (aber wir nehmen gewöhnlich vieles wahr, ohne uns dessen
- besonders - bewußt zu sein), dies nennen wir in Anlehnung an die
klassische deutsche Psychologie y
GIPT
Perzeption .
[Weitere GIPT Axiome]
Forschungsaufgaben und Forschungsstrategien in der GIPT
Gestaltet sich schon die Erforschung der Bewußtseinsinhalte als ausgesprochen schwierig, wen mag es da wundern, daß dies bei der Erforschung des Unbewußten in noch viel höherem Maße zutrifft. Weil empirisch plausibel machen, begründen und beweisen hier besonders schwierig ist, kann endgültig jeder drauflos- und mitreden. Schon die Existenz des Unbewußten wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert . Wir wollen uns daher zunächst mit Argumenten für die Existenz unbewußter Vorgänge beschäftigen.
Beweise für die Existenz unbewußter Vorgänge
(1) Bewußtseinssupervision (Man nimmt sich etwas vor, z. B. wenn man einkaufen geht, vergißt es zwischendurch auf dem Weg, und zur gegebenen Zeit im Laden fällt es einem wieder ein. Allgemein Vorsätze und Absichten mit zwischenzeitlichem Vergessen über längere Zeit verfolgen). Das Gedächtnis funktioniert weitgehend nicht-bewusst. (2) Vergessen und wieder einfallen. (3) Wiedererlernen geht schneller (weil eben doch nicht alles vergessen ist). (4) Weckbarkeit beim Schlafen. (5) unbewußte Problemlösung („es" arbeitet in einem, ohne daß man es bemerkt); (6) Traumerleben; (7) „Vergessen"; (8) in den Hintergrund des Bewußtseins treten. (9) Polygraph und Biofeedback. (10) Carpenter Versuch (ideomotorische Bewegung [Pendel]). (11) Unterschwellige Wahrnehmung; (12) unterschwelliges Lernen. (13) Vieles geschieht in uns nicht bewußt, von dem wir nichts merken. (14) Penfield Operationsergebnisse. (15) Hypnose. (16) PET Positronen Emissions Tomograph mit dem sich Gehirnaktivitäten anzeigen lassen, von denen die ProduzentIn nichts bemerken muß. (17) Psychosomatische Konfliktlösungen. (18) Abwehrmechanismen, wie in der Einzelfallstudie Kristina gezeigt (Symptomisolierung). (19) Hintergrundgeschehen des Alltagslebens, u. a. der Phantasietätigkeit. (20) die Komplexe nach C. G. Jung, dessen Assoziationsmethode, die wir bei Kristina anwendeten und zu einem echten kontrollierten Einzelfallexperiment weiterentwickelt haben.