Internet Publikation
für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
(ISSN 1430-6972)
IP-GIPT DAS=21.03.2002
Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 25.4.18
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Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr.
20 D-91052 Erlangen
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Willkommen in der Abteilung Unbewußtes,
Vorbewußtes, Unterbewußtes, Nichtbewußtes der Allgemeinen
und Integrativen Psychotherapie, hier:
"Der Schlüssel zur Erkenntnis vom Wesen des bewußten
Seelenlebens liegt in der Region des Unbewußtseins."
1846
Carl Gustav Carus
3.1.1789 Leipzig - 28.7.1869 Dresden
Aus: CARUS, C. G. (1846, 2.A. 1851). Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte
der Seele. Neu (o. J.). Leipzig: Kröner, S. 1 - 2.
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Forschungs-Programm GIPT zum Ubw
* Allgemeines zum
Ubw
Geschichte
der Psychotherapie
* Ausführlich
zur Terminologie.
Biographien allgemeiner und integrativer
Pioniere, Wegbereiter- und PromoterInnen
_
"Der Schlüssel zur Erkenntnis vom Wesen des bewußten
Seelenlebens liegt in der Region des Unbewußtseins. ... Da
fortwährend der bei weitem größte Teil des Reiches unseres
Seelenlebens im Unbewußtsein ruht, kann der erste Blick ins innere
Leben uns lehren. Wir besitzen zu jeder Zeit, während wir nur einiger
wenigen Vorstellungen uns wirklich bewußt sind, Tausende von Vorstellungen,
welche doch durchaus dem Bewußtsein entzogen sind, welche in diesem
Augenblicke nicht gewußt werden und doch da sind, und folglich zeigen,
daß der größte Teil des Seelenlebens in die Nacht des
Unbewußtseins fällt. Späterhin, ... werden wir erkennen,
daß man in dieser Beziehung das Leben der Seele vergleichen dürfe
mit einem unablässig fortkreisenden großen Strome, welcher nur
an einer einzigen kleinen Stelle vom Sonnenlicht - d. i. eben vom Bewußtsein
- erleuchtet ist. Schon dadurch also, da der größte Teil
der Gedanken unseres Bewußtseins immer wieder im Unbewußtsein
untergeht und nur zeitweise und einzeln wieder ins Bewußtsein treten
kann, ist das unbewußte Seelenleben als Basis des bewußten
charakterisiert. Aber das Verhältnis geht noch weit tiefer. Alles
Seelenleben, die gesamte Welt unseres innersten geistigen Daseins, die
wir sehr wohl in unserem Bewußtsein von allem Äußerlichen
unterscheiden, sie ruht auf dem Bewußtlosen und bildet sich nur aus
diesem hervor. Wir brauchen nur einen Blick zu werfen auf die Heranbildung
unseres ganzen selbstbewußten geistigen Lebens, so müssen wir
gewahr werden, daß es durch und durch auf Vorstellungen, auf Gedanken
basiert ist, die längst nicht mehr für uns da, die längst
im Unbewußten untergegangen sind. Als kleine Kinder haben wir denken
gelernt an Vorstellungen und Folgen von Vorstellungen, die für damals
unerläßlich waren, uns geistig zu entwickeln, die jetzt uns
aber ganz verschwunden, ganz verloren sind und verloren sein sollen, da
wir sie nicht mehr brauchen, sondern ein Neues nun aus ihnen sich entwickelt
hat. Eine ehemals Gewußtes ist also nun ein Unbewußtes und
nichtsdestoweniger ist dieses Unbewußte die Basis unseres jetzigen
Bewußtseins." (S. 1 - 2).
Carus vertrat auch bereits die grundlegende Ansicht
(S. 430f), "daß das Kranksein seine
eigentliche Wurzel nur im unbewußtsein Seelenleben haben, die Idee
der Krankheit nur hier erzeugt werden kann, eine eigentümliche allein
im bewußten Geiste wurzelnde Krankheit unmöglich sei ..."
Kommentar
C. G. CARUS (1789 - 1869) war (später königlicher Leib-)
Arzt, Naturforscher, Philosoph, Psychologe, Maler, eine Art Universalist
und gilt als Repräsentant der deutschen Romantik, der mit der Philosophie
SCHELLINGs eng verbunden ist. Die grundsätzliche Idee des Unbewußten
- schon KANT bekannt,
das Wort wurde erstmals von Goethe
1777 verwendet - ist keineswegs eine Erfindung FREUDs, sondern wurde
längst vor diesem und der Systematik E. v. HARTMANNs (ein paar Jahrzehnte
später) von CARUS entwickelt. Auch Max Stirner
verwendet es 1844 in der Einzige und sein Eigentum bereits 15 mal. Während
bei den Vorgängern (z.B. Descartes, Kant, Reil) von Carus die Einsicht
in die Existenz des Unbewussten auf relativ kurzen Einlassungen beruht,
wird in Carl Gustav Carus’ ”Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele”
von 1846, 10 Jahre vor Freuds Geburt, eine umfassende Theorie zum Unbewussten
im ersten Abschnitt seines Buches auf 93 Seiten abgehandelt. Zum
Vergleich: Freuds (1912)
Das Unbewusste hatte einen Umfang von 43
Seiten (Fischer Studienaus-gabe 1975, Bd. III., 119 - 162). Die Erkenntnis
des Unbewußten ist zweifellos eine wesentliche Leistung der deutschen
Romantik und nicht der Psychoanalyse (FN1). Im Grunde
ist CARUS auch heute noch wissenschaftlich moderner als FREUD, da er aus
dem Unbewußten kein eigenes - falsches - strukturelles System gemacht
hat. Auch der deutschen Psychiatrie war der Begriff des Unbewußten
längst vor Freud vertraut, wie sich eindrucksvoll aus einer Arbeit
Hagens
über fixe Ideen von 1870 ergibt.
Glossar, Anmerkungen
und Endnoten
FN1 Wie auch ELLENBERGER (1973), der Historiker des
Unbewußten, einräumt, wenn er über CARUS' Buch Psyche schreibt:
"das der erste Versuch war, eine wirklich vollständige und objektive
Theorie über das unbewußte Seelenleben aufzustellen." In: Ellenberger,
H. F. (dt. 1973). Die Entdeckung des Unbewußten. 2 Bde. Bern: Huber.,
Bd. I. S. 292. Nur Freud, der große Ignorant hatte es nicht
nötig, seine Vorgänger zur Kenntnis zu nehmen. Die Entdeckung
des Unbewußten ist keine Leistung Freuds, allenfalls seine dubios-
phantastische Umdeutung (z.B. Ödipus) im Lichte seiner einseitigen
antike-
orientierten Bildung.
__
Kant zum
Unbewussten und zur Verdrängung. In der Anthropologie, 1. Buch,
(1798) überschreibt Kant § 5: "Von den Vorstellungen, die wir
haben, ohne uns ihrer bewußt zu sein". Im allgemeinen benutzt Kant
die Formulierung "dunkle Vorstellungen" für unbewusste Bewusstseinsinhalte.
Er kannte auch schon Begriff und Phänomen der Verdrängung. Constantin
Rauer (2007) hat die Psychologie Kants in seinem Buch "Wahn und Wahrheit
Kants" [IV-PDF]
untersucht und führt S. 184 aus:
"Den Vorgang der Verdrängung als einer Selektion der Wahrnehmung
beschreibt Kant im weiteren Verlauf dieser Passage der Anthropologie folgendermaßen:
„Wir spielen nämlich oft mit dunklen Vorstellungen, und haben ein
Interesse, beliebte oder unbeliebte Gegenstände vor der Einbildungskraft
in Schatten zu stellen; öfter aber sind wir selbst ein Spiel dunkler
Vorstellungen, und unser Verstand vermag nicht, sich wider die Ungereimtheiten
zu retten, in die ihn der Einfluß derselben versetzt, ob er sie gleich
als Täuschung anerkennt" (Anthr. XII 419 BA 18). Für diesen Zusammenhang
zwischen Verdrängung und Wiederkehr des Verdrängten gibt nun
Kant zwei Beispiele an, wobei er (ob bewußt oder unbewußt,
sei hier dahingestellt) das erste Beispiel aus dem Bereich des Eros (in
Analogie zu Freuds Lebens- oder Selbsterhaltungstrieb), das zweite aus
dem des Thanatos (in Analogie zu dem von Freud angenommenen Selbstzerstörungs-
oder Todestrieb) ausgewählt hat.
Das erste Beispiel: „So [daß wir unbewußt
dazu genötigt werden, etwas zu verdrängen - C. R.] ist es mit
der Geschlechtsliebe bewandt, so fern sie eigentlich nicht das Wohlwollen,
sondern vielmehr den Genuß ihres Gegenstandes beabsichtigt. Wie viel
Witz ist nicht von jeher verschwendet worden, einen dünnen Flor über
das zu werfen, was zwar beliebt ist, aber doch den Menschen mit der gemeinen
Tiergattung in so nahe Verwandtschaft sehen läßt, daß
die Schamhaftigkeit dadurch aufgefordert wird, und die Ausdrücke in
feiner Gesellschaft nicht unverblümt, wenn gleich zum Belächeln
durchscheinend genug, hervortreten dürfen" (ebd.). Es genügt
hier, uns nochmals Kants Assoziationskette vor Augen zu halten. Einen unbewußten
Vorgang der Verdrängung finden wir beim Genuß des Gegenstandes
(der Begierde) insbesondere, wenn sich dieser auf die animalische Geschlechtsliebe
(d. h. auf Sexualität) bezieht, weil hier eine Schamhaftigkeit berührt
wird, die durch Witze seitens der feinen Gesellschaft in den Schatten gestellt
und verblümt, also verdrängt werden muß. Wir bemerken,
daß das, was hier aktiv mit einem dünnen Flor überzogen,
also verdrängt wird - die Begierde, die sich auf Sexualität bezieht
-das Leben selbst betrifft. ... ..."
__
Stirner 1844 - 12 Jahre vor Freuds Geburt
Man findet die 15 Textstellen mit "unbewußt" (hier fett kursiv
mit 14p hervorgehoben) im Gutenbergprojekt Max
Stirner Der Einzige und sein Eigentum.
-
"Es gibt nun keinen Inhalt mehr, gegen welchen das Herz sich nicht auflehnte,
es sei denn, daß es unbewußt
oder ohne »Selbstbewußtsein« von ihm beschlichen würde.
-
Das Herz kritisiert alles, was sich eindrängen will, mit schonungsloser
Unbarmherzigkeit zu Tode, und ist keiner Freundschaft, keiner Liebe (außer
eben unbewußt oder überrumpelt)
fähig."
-
"Die das tun, verdienen ausgelacht zu werden, wie's ihnen wirklich geschieht,
wenn sie nicht eigentlich doch, sei's auch unbewußt,
den zum Ziele führenden Weg einschlügen."
-
"Uns von Kindheit an als Gedanken und Gefühle eingeprägt, die
kräftiger oder flauer Unser Inneres bewegen, und entweder unbewußt
Uns beherrschen, oder in reicheren Naturen zu Systemen und Kunstwerken
sich darlegen können, immer aber nicht angeregte, sondern eingegebene
Gefühle sind, weil Wir an sie glauben und an ihnen hängen müssen."
-
"Wer hätte es niemals, bewußter oder unbewußter
gemerkt, daß Unsere ganze Erziehung darauf ausgeht, Gefühle
in Uns zu erzeugen, d. h. sie uns einzugeben, statt die Erzeugung derselben
Uns zu überlassen, wie sie auch ausfallen mögen."
-
"Der Katholizismus, besonders die Jesuiten leisteten auf diese Weise dem
Egoismus Vorschub, fanden innerhalb des Protestantismus selbst einen unfreiwilligen
und unbewußten Anhang und retteten
Uns vor dem Verkommen und Untergang der Sinnlichkeit."
-
"Aber weil Egoismus, den Ihr Euch nicht gestehen wollt, den Ihr Euch selbst
verheimlicht, also nicht offenbarer und offenkundiger, mithin unbewußter
Egoismus, darum ist er nicht Egoismus, sondern Knechtschaft, Dienst, Selbstverleugnung,
Ihr seid Egoisten und Ihr seid es nicht, indem Ihr den Egoismus verleugnet.
Wo Ihr's am meisten zu sein scheint, da habt Ihr dem Worte »Egoist«
– Abscheu und Verachtung zugezogen."
-
"Als Hans wärest Du nicht Seinesgleichen, weil er Kunz, also nicht
Hans, ist; als Mensch bist Du dasselbe, was er ist. Und da Du als Hans
für ihn, soweit er nämlich ein Liberaler und nicht unbewußterweise
Egoist ist, so gut als gar nicht existierst, so hat er sich die »Bruderliebe«
wahrlich sehr leicht gemacht: er liebt in Dir nicht den Hans, von welchem
er nichts weiß und wissen will, sondern den Menschen."
-
"Unbewußt lassen sich auch selbst
die Sittlichen von diesem Grundsatze leiten, wenn es gilt, einen zu ihrer
Partei Übertretenden zu beurteilen, ja sie machen wohl Proselyten;
sie sollten nur zugleich sich darüber ein Bewußtsein verschaffen,
daß man unsittlich handeln müsse, um eigen zu handeln, d. h.
hier, daß man die Treue brechen müsse, ja selbst seinen Eid,
um sich selbst zu bestimmen, statt von sittlichen Rücksichten bestimmt
zu werden. "
-
"Ich – es muß das schreckenerregende Wort ausgesprochen werden –
Ich betrüge den Staat. Unbewußt
tut Ihr dasselbe. Ihr redet ihm von euren Tribünen aus ein, er müsse
seine Heiligkeit und Unverletzlichkeit aufgeben, er müsse den Angriffen
der Schreibenden sich preisgeben, ohne daß er deshalb Gefahr zu fürchten
brauche. Aber Ihr hintergeht ihn; denn es ist um seine Existenz getan,
sobald er seine Unnahbarkeit einbüßt. "
-
"Nicht im, sondern allein gegen den Staat kann die Preßfreiheit durchgesetzt
werden; sie ist, soll sie hergestellt werden, nicht als Folge einer Bitte,
sondern als das Werk einer Empörung zu erlangen. Jede Bitte und jeder
Antrag auf Preßfreiheit ist schon eine, sei es bewußte oder
unbewußte,
Empörung, was nur die philisterhafte Halbheit sich nicht gestehen
will und kann, bis sie zusammenschauernd es am Erfolge deutlich und unwiderleglich
sehen wird."
-
"Der Kommunismus und, bewußt oder unbewußt,
der den Egoismus lästernde Humanismus zählt immer noch auf die
Liebe."
-
"So hat also, wer denken will, allerdings eine Aufgabe, die er sich mit
jenem Willen bewußt oder unbewußt
setzt; aber die Aufgabe zu denken oder zu glauben hat Keiner. "
-
"Unbewußt und unwillkürlich
streben Wir alle der Eigenheit zu, und schwerlich wird Einer unter Uns
sein, der nicht ein heiliges Gefühl, einen heiligen Gedanken, einen
heiligen Glauben aufgegeben hätte, ja Wir begegnen wohl keinem, der
sich nicht aus einem oder dem andern seiner heiligen Gedanken noch erlösen
könnte. "
-
"All unser Streit wider Überzeugungen geht von der Meinung aus, daß
Wir den Gegner etwa aus seinen Gedankenverschanzungen zu vertreiben fähig
seien. Aber was Ich unbewußt tue,
das tue Ich halb, und darum werde Ich nach jedem Siege über einen
Glauben wieder der Gefangene (Besessene) eines Glaubens, der dann von neuem
mein ganzes Ich in seinen Dienst nimmt und Mich zum Schwärmer für
die Vernunft macht, nachdem Ich für die Bibel zu schwärmen aufgehört,
oder zum Schwärmer für die Idee der Menschheit, nachdem Ich lange
genug für die der Christenheit gefochten habe."
Literaturhinweis:
In Sponsel, R. (1995) werden S. 193 - 200 die meisten potentiellen psychologischen
Heilmittel (neudeutsch: Heilwirkfaktoren) gelistet und ca. 180 - das sind
längst nicht alle - in der Literatur beschriebenen Heilmittel S. 387
- 404 dokumentiert. Viele historisch bekannte psychologische Heilmittel
können auch dem Reader entnommen werden.
1)
Mit
dem griechischen Buchstaben Theta J
(nach Jerapeia
(therapeia): Heilung) kennzeichnen wir Psychische Funktionen, wenn sie
Heilmittel oder Heilwirkfaktoren Qualität (Funktion) annehmen,
z. B. J
einsehen, J
zulassen unterdrückter Erinnerungen, J
stellen (konfrontieren), J
sich überwindenundJ
mutig sein,
J
differenzieren, J
entspannen, J
lernen, J
loslassen, J
beherrschen ... Und um deutlich zu machen, daß wir ein Wort
nicht alltagssprachlich, sondern im Rahmen einer psychologisch-psychotherapeutischen
Fachsprache verwenden, kennzeichnen wir das Wort mit dem griechischen Buchstaben
y
(Psi, mit dem das griechische Wort für Seele = yuch,
sprich: psyche, beginnt). Viel Verwirrung gibt es in und um die Psychologie,
weil viele ihrer Begriffe zugleich Begriffe des Alltags und anderer Wissenschaften
sind. Um diese babylonische Sprachverwirrung, die unökonomisch, unkommunikativ
und entwicklungsfeindlich ist, zu überwinden, ist u. a. das Programm
der Erlanger Konstruktivistischen Philosophie und Wissenschaftstheorie
entwickelt worden: Kamlah & Lorenzen (1967).
Zu einigen psychologischen Grundfunktionen siehe bitte: vorstellen.
Ausführlich
zur Terminolgie.
Störungs Funktor. Begriffe,
die eine Störung repräsentieren sollen, kennzeichnen wir mit
dem Anfangsbuchstaben Tau (t) des griechischen
Wortes für Störung tarach (tarach).
Querverweise (Links)
zum Terminologie-Problem in der Psychologie, Psychopathologie, Psychodiagnostik
und Psychotherapie: