Abhängigkeit (Sucht) und Missbrauch
I. Substanzen und Stoffen (Alkohol, Drogen, Medikamente, Genußmittel)
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Wichtige Vorbemerkung: Wenn Sie sich in Therapie befinden, sollten Sie mit diesem Ansatz nicht einfach herumexperimentieren, sondern Ansätze oder Anwendungen, von denen Sie sich etwas versprechen, erst mit Ihrer TherapeutIn besprechen und nicht ohne ihr Einverständnis handeln. Ohne Gewährleistung. Suchtverhalten (z.B. Sex-, Arbeit, Spiel,
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Allgemeinpsychologische Grundlagen - Zentrale Arbeits- und Forschungshypothese:
Sinn, Ziel und Zweck von Suchtverhalten ist die Erzeugung von positiven Gefühlen und Stimmungen. (Zum Suchtbegriff). |
Alkohol, Drogen und Medikamente und anderes sind dabei die Mittel, um Sinn, Ziel und Zweck auf einfache und gewöhnlich chemische Weise herbeizuführen. |
Das Grundproblem hierbei ist, daß die natürlichen Fähigkeiten, Methoden und Möglichkeiten, sich positive Gefühle und Stimmungen zu verschaffen, um so mehr verkümmern, je weniger sie angewendet und praktiziert werden - wie ein Muskel, der nicht trainiert wird. Das kann in kurzer Zeit zu einem üblen Teufelskreis führen: |
Je weniger positive Gefühle und Stimmungen auf natürliche Weise erzeugt werden, desto öfter, stärker und mehr wird auf chemische Befriedigung zurückgegriffen, worauf die natürlichen Fähigkeiten noch weiter verkümmern und ... und ... und ... |
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Erste psychodiagnostische Aufgabe in der Suchttherapie
Als erste Aufgabe gilt es, herauszufinden, woran es liegt, daß die natürlichen Fähigkeiten, Methoden und Möglichkeiten genügend positive Gefühle und Stimmungen zu erzeugen, nicht ausreichen? |
Das kann viele Gründe haben und auch durch andere Störungen bedingt sein oder gefördert werden, wie z.B. AD-H-D (Aufmerksamkeits /Hyperaktivitäts- Defizit- Syndrom), Alexithymie (eingeschränkte Fühlfähigkeit), quälendes Ambivalenzerleben (Zwiespältigkeit, hin- und gerissen sein) und emotionale Irritationen, Anhedonie (Freud- und Lustlosigkeitlosigkeit) Depressionen, schizophrenoeforme Entwicklunglungen, psychosomatische Abewehrformen emotionalen Erlebens, Persönlichkeitsstörungen (zwanghafte, Negativisus, Pessismus), anti- emotionale Ideologie und Lebenskonzepte, Erziehungsfehler durch Abtrainieren emotionaler Reagibilität, überhöhtes Anspruchsniveau ("Schlaraffenland-Erwartungen"), emotionale Lerndefizite in Kindheit und Jugend. |
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Psychotherapeutischer Ansatz und Ausgangspunkt
Ist geklärt, woher das rührt oder was es damit auf sich hat, sind therapeutische Methoden zu wählen oder zu entwickeln, die dazu führen, daß die natürlichen Fähigkeiten, Methoden und Möglichkeiten, genügend positive Gefühle und Stimmungen zu erleben, entwickelt, verbessert oder vermehrt angewendet werden. Hierbei ergeben sich in Abstimmung und Zusammenarbeit mit der PatientIn folgende Aufgaben, die gemeinsam gelöst werden müssen: |
1.
Aufgabe/ 1. Ziel: wahrnehmen (identifizieren)
Aus dem Erlebnisstrom (Bewußtseinsstrom = das, was sich innerlich in mir fortlaufend ereignet), sind jene "Elemente" herauszuspüren, in den Brennpunkt des Erlebens zu rücken, auf "die Leinwand des Bewußtseins zu projizieren" („Pichelsteiner"-Gleichnis), die Gefühle und Empfindungen repräsentieren. |
3.
Aufgabe/ 3. Ziel: Verstärken (intensivieren)
Was kann man tun, um die Gefühle und Empfindungen stärker, intensiver zu erleben? |
4.
Aufgabe/ 4. Ziel: Vermehren, häufen (akkumulieren)
Was kann man tun, um viele erwünschte Gefühle und Empfindungen öfter und länger zu erleben? |
4 Die kurzfristig wunderbaren Wirkungen der Genuß- und Suchtmittel
Das Problem aller Genuß- und Suchtmittel ist, daß sie kurzfristig
betrachtet außerordentlich positive, angenehme, interessante oder
erregende Wirkungen haben. Zu diesen können gehören z.B. (Auswahl):
01 Antrieb spüren | 14 gut drauf sein | 27 Intensiver empfinden & fühlen |
02 Unternehmungslust | 15 Gehobene Stimmung | 28 Intensiver wahrnehmen |
03 Erregung spüren | 16 gut gelaunt | 29 Neues wahrnehmen |
04 Aktivität spüren | 17 beschwingt fühlen | 30 Anders wahrnehmen & fühlen |
05 angeregt fühlen | 18 Lust fühlen | 31 Außergewöhnlich wahrnehmen |
06 enthemmt fühlen | 19 Freude fühlen | 32 Tiefe und Fülle fühlen |
07 locker fühlen | 20 Positiv fühlen | 33 Selbstvertrauen fühlen |
08 lebendig fühlen | 21 Hoffnung, Zuversicht | 34 Selbst/Sicherheit fühlen |
09 frei oder freier fühlen | 22 Angenehm fühlen | 35 Verbunden fühlen |
10 gelöst fühlen | 23 Klar, wach | 36 Zugehörig fühlen |
11 entspannt fühlen | 24 ganz bei mir sein | 37 Geborgen fühlen |
12 ruhig fühlen | 25 Alles klar sehen | 38 als Besonderer fühlen |
13 gelassen fühlen | 26 Durchblick haben | 39 ... |
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Die langfristig gefährlichen bis verheerenden Wirkungen der
Genuß- und Suchtmittel
Die kurzfristig außerordentlich positiv bewerteten Wirkungen bedeuten mittel- und langfristig einen mehr oder minder schweren Eingriff in den Gehirnstoffwechsel mit den gefährlichen Folgemöglichkeiten: (1) Auslösung mitunter schwerwiegender psychischer Störungen und Krankheiten bis hin zu schweren und andauernden Psychosen; (2) Störungen oder sogar Schädigungen normaler und natürlicher Stoffwechselprozesse im Gehirn; (3) Wahrnehmungs-, Koordinations-, Bewegungs-, Antriebs-, Gefühls-, Stimmungs-, Willens-, Verhaltens- Bewußtseins-, Aufmerksamkeits-, Lenkungs-, Konzentrations-, Psychosomatische Organ-, Schlaf-, Gedächtnis- und Denkstörungen; (4) Abhängigkeit; (5) Dosiserhöhung durch Gewohnheitsbildung; (6) Störung oder Schädigung der zwischenmenschlichen Beziehungen (Verlust von Freunden, Partnern, Angehörigen); (7) Verlust des Arbeitsplatzes; (8) sozialer Abstieg und Entwurzelung; (9) letztlich Vereinsamung und Verelendung; (10) Verlust jeglicher Selbstachtung und Hoffnung: das Ende. So mancher Süchtige muß den bitteren Weg sehr lange gehen, bevor er aufwacht und umkehrt. Der Teufelskreis des biopsychosozialen Abstieges durch vermehrte Suchtmittelzuführung auf der einen Seite und Schwächung und Funktionsminderung der natürlichen Ressourcen, Fähigkeiten und Kräfte auf der anderen Seite entfaltet eine gefährliche und schwer zu durchbrechende Eigendynamik. Die Suchtgefährdung ist eine gesellschaftliche Massenerscheinung und betrifft Millionen. Der wirtschaftliche und gesundheitliche Schaden wie die Einbuße an Lebensqualität und Leiden sind unermeßlich. |
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Grundsatz: Die Funktion der Sucht erkennen
Was besonders wichtig ist in der Mißbrauchs- und Suchttherapie
Man darf dem Süchtigen nicht nur das Suchtmittel nehmen,
man muß ihm dafür etwas geben. Etwas vereinfacht kann man sagen:
Der Mißbrauchende und Süchtige sucht oder flieht etwas. Die
Mißbrauch oder die Sucht hilft ihm dabei. Es genügt daher nicht,
dem Suchtmittel nur zu entsagen und sich zu entwöhnen, sondern man
muß verstehen, was gesucht und bislang nur im Suchtmittel gefunden
wird und wovor man flieht.
Von zentraler Bedeutung ist also, nicht nur dem Suchtmittel zu entsagen lernen, das allein wird auf Dauer nicht reichen, sondern Mittel und Wege zu lernen, die primären Funktionen - z.B. positive Gefühle, Erleben von Fruede und Lust, gute Stimmung, Antrieb und Energie, Hoffnung und Zuversicht, Befriedigung und Zufriedenheit, Kompetenz - auf natürliche und gesunde Weise dauerhaft aneignen lernen. |
Sehr wichtiger psychodiagnostischer Begriff. X ist abhängig von Y, wenn die Zugänglichkeit oder Verfügbarkeit von Y eine beherrschende Rolle im Leben von X spielt, wenn Y zum Leben sehr gebraucht wird. So sind wir alle abhängig von Essen und Trinken, Schlafen, Atmung, der Ausscheidung, den Grundfunktionen unseres körperlichen Betriebssystems. Abhängigkeiten, denen alle unterliegen, werden üblicherweise nicht besonders hervorgehoben oder so genannt. Krankhafte Abhängigkeiten heißen auch > Sucht *. Die emotionale oder sexuelle Abhängigkeit von einem Menschen heißt > Hörigkeit *.
Nach Schmidt
(1986,
S. 161) 1778 von Trotter erstmals als Krankheit beschrieben. Mit Urteil
vom 18.6.1968 ist Alkoholabhängigkeit durch das Bundessozialgericht
als Krankheit anerkannt worden: „Trunksucht ist an sich und nicht erst
im ‘fortgeschrittenen Grade’ eine Krankheit im Sinne der RVO. Kriterien
für Trunksucht sind das ‘Nicht-aufhören-können’ und der
‘Verlust der Selbstkontrolle’." Im > ICD-9 wurden sinnvollerweise
zwei Hauptklassen unterschieden: (1) Alkoholabhängigkeit = Alkoholkrankheit
= Alkoholsucht = „Alkoholiker" (volksmundlich) und (2) der Alkoholmißbrauch,
also mehr oder minder gelegentliches Trinken bis zum Schwips oder Rausch.
Jeder Rausch ist psychopathologisch gesehen eine > Funktionspsychose. Abhängigkeit
ist praktisch fortgesetzter oder periodischer kaum beherrschbarer Mißbrauch
und erfordert in vielen Fällen eine Therapie. Der Entzug des Führerscheins
hat sich dabei in vielen Fällen als ein wichtiges und vielfach erfolgreiches
Motiv erwiesen, was den sozialen Kostenträgern (Krankenkassen, Rentenversicherungen)
viel Geld spart. Der Führerscheinentzug hat für viele zusätzlich
den Vorteil, auf ihr Alkoholproblem aufmerksam zu werden. Denn was Heroin
z. B. in einem halben Jahr an Abhängigkeit herstellt, dazu braucht
der Alkohol manchmal 10 - 20 Jahre, d. h. die Entwicklung ist tückisch,
weil unmerklich und schleichend. Nach allgemeiner Auffassung und herrschender
Lehre ist bei Abhängigkeit strikte und zufriedene Abstinenz das Therapieziel
und wird von den > MPU auch gefordert, und zwar für einen hinreichend
stabilen Zeitraum (meist ein Jahr strikte und zufriedene
Abstinenz). Bei Mißbrauch ist das Therapie- bzw. Beratungsziel verantwortungsvolle
Selbstkontrolle. Hierzu gehört, daß man die Promillegehalteberechnung
(Schätzwerte) perfekt beherrscht (> Alkohol, Promillegehalte).
I. Begriff. Braucht man ein Objekt, Geschehen oder Mittel X in kaum beherrschbarer und überwertiger Weise, so daß auf mittlere oder längere Sicht bio-psycho-soziale Schäden entstehen, spricht man von Sucht. Die neutrale Bezeichnung heißt Abhängigkeit.
II. Suchtarten: Man kann von fast allem abhängig oder süchtig werden. X = z. B. Medikamente, Alkohol und Rauschgifte, Süßigkeiten, Gefahr und Abenteuer, Spielen und Glücksspiel, Sex, Putzen, Menschen (Hörigkeit), Sehnsucht, Geld, Erfolg, Fernsehen, Internet, ...
III. Grenzbereiche und Übergänge (die „kleinen" und „normalen Süchte"): Leidenschaften, Begeisterung, überwertige Neigungen und Hobbies, z. B. bergsteigen und klettern, überwertiges Sammeln, tanzen, Fußball, Fernsehen; Zwänge ...
IV. Gründe und Theorie in der Allgemeinen
und Integrativen Psychotherapie der Sucht.
Psychologisch repräsentiert eine Sucht ein überwertiges und
schwer zu beherrschende Bedürfnis. Und es stellt sich die Frage, wie
solche überwertigen und schwer beherrschbaren Bedürfnisse entstehen.
Kann man diese Frage beantworten, hat man eine allgemeine kausale Behandlungstheorie
der Sucht. In der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie gehen wir
von folgender Sucht-Gleichung aus:
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wobei Dispo für eine genetische Disposition (Erbanlagen; Zerbin-Rüdin, E. 1985) steht.
Gewoh =: Gewöhnung, Gewohnheit, Gewohnheitsbildung und Lerneffekte einen formalen halbautomatischen Faktor repräsentiert. > Tun und > Verhalten führt auotmatisch zur > Programmgeneration. Ist erst einmal ein Programm im Gehirn gebildet wor-den und an viele Auslöserreize geknüpft, kann es zu selbstverstärkenden Effekten kommen: je öfter das Programm aufgerufen wird, desto besser wird es automatisiert und vernetzt, desto leichter wird es wiederum aufgerufen u.s.w. Diesen sich selbst verstärkenden „Teufelskreis" muß man aufbrechen und umkehren.
Sozio =: gesellschaftliche und milieubedingte Einflüsse, die animieren, anregen, verführen, Anreize, Auslöser und Anlässe bieten. Auch der sozialpsychologsiche und soziologische Gruppendruck gehört hierher.
Wirku =: angenehme biologisch-medizinische, psychologische und soziale Wirkungen einschließlich abhängigskeitsstiftender Faktoren und Vermeidungen von negativ erlebten Entzugswirkungen. Die wichtigsten - kurzfristig angenehmen - Wirkungen sind: Gute Laune, Stimmung, positives Befinden, gutes Gefühl, Lust, Freude, Befriedigung, Wohlbehagen, Beschwingtheit, Heiterkeit, Glücksgefühle, Beruhigung, Gelassenheit, Enthemmung, Entspannung, Hoffnung, Zuversicht, Unterrehmungsgeist, Mut, Riskobereitschaft, Zunnahme Aufmerksmakeit, Konzentration, Denkvermögen, Ideen, Einfälle, Bewußtseinsweite, Bewußtseinsfülle, Erlebnisfähigkeit, Selbstvertrauen, Selbstsicherheit, Selbstbehauptung, Durchsetzung, Vermeidungs von negativen Entzugserscheinungen, Langeweile, Sinnlosigkeitserleben und Leere, Depression, Angst, Zwängen, Unruhe.
Damit ist der allgemeine und kausale integrative Psychotherapieansatz klar: Es muß vor allem für die kurzfristig angenehmen Wirkungen Ausgleich, Ersatz und Alternativen geschaffen und angewöhnt werden. Ungünstige Milieueinflüsse sind durch günstige zu ersetzen, das kann ein annähernd gleiches Milieu aber mit anderen Werten, Zielen und Verhaltensweisen sein. V. Verbreitung und gesellschaftliche Bedeutung. Suchtver-halten ist sehr verbreitet und kostet die Gesellschaft Unsummen.
Kritisch zum Suchtbegriff besonders Harten 1991, Scheerer 1995.
II. Verhaltenssüchte [in
Vorber.]
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Sucht Abhängigkeit site:www.sgipt.org. |