Evidenz in Norbert Bischofs Psychologie
(2009)
und im Handbuch
der Psychologie (1966)
welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch (...) möglich sein? Es muß also jedes Wort (...) bekannt sein und etwas, und zwar eins und nicht mehreres, bezeichnen; hat es mehrere Bedeutungen, so muß man erklären, in welcher von diesen man das Wort gebraucht. ..." Aus: Aristoteles (384-322) Metaphysik.
11. Buch, 5 Kap., S. 244
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Leider verstehen viele Philosophen, Juristen, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler auch nach 2300 Jahren Aristoteles immer noch nicht, wie Wissenschaft elementar funktionieren muss: Wer wichtige Begriffe gebraucht, muss sie beim ersten Gebrauch (Grundregeln Begriffe) klar und verständlich erklären und vor allem auch referenzieren können, sonst bleibt alles Schwall und Rauch (sch^3-Syndrom). Wer über irgendeinen Sachverhalt etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, wie er diesen Sachverhalt begrifflich fasst, auch wenn dies manchmal nicht einfach ist. Wer also über Gewissheit etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, was er unter "Gewissheit" verstehen will. Das ist zwar nicht einfach, aber wenn die Philosophie eine Wissenschaft wäre und und die PhilosophInnen Aristoteles ernst nehmen würden, dann hätten sie das in ihrer 2300jährigen Geschichte längst zustande bringen müssen. Im übrigen sind informative Prädikationen mit Beispielen und Gegenbeispielen immer möglich, wenn keine vollständige oder richtige Definition gelingt (Beispiel Gewissheit und Evidenz). Begriffsbasis Damit werden all die Begriffe bezeichnet, die zum Verständnis oder zur Erklärung eines Begriffes wichtig sind. Bloße Nennungen oder Erwähnungen sind keine Lösung, sondern eröffenen lediglich Begriffsverschiebebahnhöfe. Die Erklärung der Begriffsbasis soll einerseits das Anfangs- problem praktisch-pragmatisch und andererseits das Begriffsverschiebebahnhofsproblem lösen. |
Aufgrund sehr spannender und beeindruckender Vorträge beim Symposion des Turms der Sinne [2012, 2013, ] habe ich mir Bischofs Psychologie gekauft und immer wieder mal darin mit Gewinn gelesen. Es ist ein Lehrbuch der besonderen Art, und deshalb habe ich es auch für die Analyse des Evidenzbegriffs mit ausgewählt, um auch einen modernen Psychologen und zugleich einen Pionier der 4. Generation nach Wundt zu berücksichtigen.
Zusammenfassung-Bischof (2009):
Sachregistereinträge Evidenz: 24, 38, 88, 91f, 110, 134-136, 568.
Die Sachregistereinträge führen zu insgesamt 18 Fundstellen.
Von den 18 Fundstellen sind 5 "Evidenzgefühl", was nahelegt, dass
Bischofs Evidenzbegriff eine deutliche bis starke Gefühlskomponente
enthält. Der Evidenzbegriff selbst wird nicht eigens erklärt,
auch nicht durch Querverweis, Fußnote, Anmerkung oder Literaturhinweis.
Das könnte man so deuten, dass Bischof den Evidenzbegriff für
allgemeinverständlich und nicht weiter erklärungs- oder begründungsbedürftig
hält, was ich aber nicht glaube. S.91 gebraucht den Begriffsverschiebebahnhof
"einleuchtend". Es gäbe falsche Evidenzen (S. 91) und Evidenzgrade
(S. 136, S. 568), die leider nicht näher ausgeführt werden. Evidenz
sei nicht zuverlässiger als ein Schwangerschaftstest (S. 91). Nachdem
der Evidenbegriff für "unerlässlich" (S.134) befunden wird, wäre
es umso nötiger gewesen, ihn genau zu erklären oder sogar zu
definieren (>Sponsel). Eine besondere
Bedeutung nimmt der Brunswik zugeschriebene Begriff der Veridikalität
(S. 91) ein, dem es nach meinem Verständnis auch an differentieller
Klarheit fehlt.
Im Detail kommentiert:
Ende der Zusammenfassung.
1-S.24: "... Kein Zweifel also: Die Intuition mag ein wertvolles Hilfsmittel
für den Praktiker sein; aber wenn sie sich als unfehlbar aufdrängt,
dann übernimmt sie sich. Sie kann genauso irren wie das rationale
Denken, ist dabei aber weniger kontrollierbar als dieses, und dazu noch
durch das begleitende Evidenzgefühl viel
leichtfertiger in ihrer Siegesgewissheit."
Kommentar-1-S.24: Evidenzgefühl wird nicht
erklärt - auch nicht durch Querverweis, Fußnote, Anmerkung oder
Literaturhinweis - , sondern anscheinend als allgemein verständlicher,
nicht weiter erklärungs- oder begründungsbedürftiger Grundbegriff
angesehen.
2-S.38: "Der Mensch sieht sich seit Beginn des abendländischen Denkens als Bewohner zweier Welten. Diese Philosophie heißt Dualismus. Sie entspringt offenbar einem tiefen menschlichen Evidenzgefühl und wurde daher in der Geistesgeschichte mehrfach formuliert."
3-S.88: "Worin liegt der Unterschied zwischen einer Erscheinung,
die als Wahrnehmung, und einer solchen, die als Vorstellung
erlebt wird? Beide sind »Repräsentationen« im Sinne der
ersten, weiteren Bestimmung des Begriffs. Aber nur Vorstellungen werden
auch als Repräsentationen erlebt! Die Produkte unseres Wahrnehmungssystems
sind
zwar eine Abbildung, erscheinen aber als die Wirklichkeit selbst.
Wahrnehmungsinhalte treten phänomenologisch mit dem Anspruch auf,
aus eigener Kraft da zu sein, sie gebärden sich als öffentlich,
als etwas, womit wir und andere uns auseinanderzusetzen haben, ob wir wollen
oder nicht. Wir müssen sie uns nicht vergegenwärtigen,
sondern wir treffen sie an. Dass hinter ihnen noch eine Transzendenz
liegt, die durch sie nur repräsentiert wird, können wir höchstens
abstrakt denken, aber es wird uns nicht unmittelbar
evident."
4-S.91f: "4.2.1 Evidenz und
Veridikalität
Bis jetzt war von »Wirklichkeit« die Rede; jetzt ist es
an der Zeit, sich der »Wahrheit« zuzuwenden. Wie lässt
sie sich in unser Schema einordnen?
Die subjektunabhängige Welt, an die wir uns anpassen müssen,
um in ihr zu überleben, haben wir »objektiv« genannt;
ihr steht die phänomenale Welt des jeweiligen Subjekts gegenüber.
Es erscheint plausibel, den Begriff »Wahrheit« für den
Fall zu reservieren, dass die beiden Welten übereinstimmen.
In diesem Sinne hatte schon THOMAS VON AQUIN veritas
als adaequatio intellectus et rei definiert, als Übereinstimmung
der Einsicht mit dem Sachverhalt.
In der Psychologie findet sich zur Kennzeichnung dieser Beziehung zuweilen
der von Egon BRUNSWIK vorgeschlagene Terminus veridikal.
Er wird von Autoren bevorzugt, die nicht einfach von »wahr«
reden wollen, weil sie fürchten, man könnte sie für epistemologisch
naiv halten. Allerdings drücken sich die meisten dann doch auch wieder
davor, dieses Kunstwort präzise zu definieren. Wir werden im nächsten
Kapitel sehen, wie schwierig das ist. [>92]
Für den Moment genügt es, einer naheliegenden Verwechslung
vorzubeugen. Wir haben soeben von der Wirklichkeit im vierten Sinn gesprochen,
vom Eindruck, das betreffende Phänomen sei ernst zu nehmen. Auch dieser
Eindruck kann gemeint sein, wenn in der erkenntnistheoretischen Diskussion
von »Wahrheit« die Rede ist. Besser ist indessen, dafür
den Terminus evident zu reservieren.
5-S.92-2: "»Evident«
ist also die epistemologische Übersetzung für den phänomenologischen
Begriff »Wirklichkeit im
vierten Sinn«. Sie bezeichnet eine vom kognitiven Apparat abgegebene
Veridikalitäts-Garantie.
Diese Garantie ist freilich ihrerseits nicht unfehlbar. Sie ist nicht verlässlicher
als ein Schwangerschaftstest.
6-S.92-3: "Der Eindruck der Untreue der Desdemona war dem Othello
evident,
aber er war gleichwohl nicht
veridikal. Die
meisten Tragödien auf der Bühne und im wirklichen Leben beruhen
auf falschen Evidenzen. Wie bereits
John Kerry im Wahlkampf gegen George W. Bush zutreffend, wenn auch vergeblich
feststellte: »You can be certain - and wrong!«"
7-S.92-4: "Es ist daher eine wesentliche Maxime der Wissenschaft,
dass man zwischen Evidenz und Veridikalität
unterscheiden muss. Das hat wiederum METZGER gültig formuliert:
»Das Verstehen wird aus einem unverbindlichen Spielen mit Möglichkeiten der Deutung zu strenger Wissenschaft erst in dem Augenblick, wo der Nachdenkende den Unterschied zwischen einleuchtend und wahr in seiner Tragweite erfasst und infolgedessen die Notwendigkeit einsieht und das Bedürfnis empfindet, jede - auch jede eigene - Vermutung auf ihre (logische und faktische) Stichhaltigkeit zu prüfen.« |
8-S92-5: "Offenkundig entsprechen die Ausdrücke »einleuchtend«
und »wahr« dabei dem, was wir »evident«
und »veridikal« genannt haben."
9-S.110: "Da im Folgenden eine kritisch-realistische Position zugrunde
gelegt wird, sollte man die Differenzierung des Begriffs wirklich
in die vier Bedeutungsaspekte »objektiv«, »unvermittelt«,
»angetroffen« und »ernst zu nehmen«, vor allem
aber den fundamentalen Unterschied von »evident«
und »veridikal« durchdacht und verstanden haben."
10-S.134: "Nicht Objektivität, wohl allerdings Evidenz
ist hier unerlässlich; daher müssen diese Fiktionen den unerbittlichen
Anspruch erheben, von allen geglaubt zu werden, daher werden Ketzer und
Ungläubige zu einer unerträglichen Gefahr für die Gemeinschaft,
die sich somit leicht davon überzeugen lässt, dass sie auf den
Scheiterhaufen gehören. ..."
11-S.135-1: "KANT hatte die Entkoppelung von Evidenz
und Objektivität auf die Spitze getrieben. Die evolutionäre Erkenntnistheorie
hat diese Kluft überbrückt, aber keineswegs geschlossen. Auch
sie hütet sich davor, dem unreflektiert Einleuchtenden naiv zu vertrauen.
Wenn Veridikalität das Ergebnis eines Selektionsprozesses ist, der
dem Erkenntnisapparat im Laufe der Phylogenese seine Funktionstüchtigkeit
angezüchtet hat, so schließt das ein, dass sich dieser Apparat
an Dimensionen der Wirklichkeit, die wir nicht verstehen müssen, um
zu überleben, auch nicht anzupassen brauchte."
12-S.135-2: "Das Doppelspalt-Experiment liefert einen
Beleg dafür, und es gibt genügend weitere. Unser natürliches
Bewegungstempo liegt beispielsweise deutlich unterhalb der Lichtgeschwindigkeit;
daraus folgt, dass Effekte, wie sie die Relativitätstheorie beschreibt,
auf unsere Wahrnehmungskategorien keinerlei Selektionsdruck ausgeübt
haben. Deshalb kann die Wissenschaft darüber zwar objektiv zutreffende
Aussagen machen, aber diese werden uns nicht mehr anschaulich evident."
13-S.135-3: "Aus dem Gegenstandsfeld der Physik sind es der Makrokosmos
im Weltall und der Mikrokosmos der Atome, bei deren Erkenntnis uns
die begleitenden Evidenzgefühle
mehr stören als nützen, weil sie uns oft genug das objektiv Richtige
als absurd und paradox zu verleiden trachten. Hinreichend verlässlich
ist unsere intuitive Physik nur im Bereich dazwischen, den Gerhard VOLLMER,
einer der namhaften Vertreter der evolutionären Erkenntnistheorie,
als »Mesokosmos«, als Kosmos mittlerer Größenordnung,
zu bezeichnen vorgeschlagen hat FN9."
Die eine Hälfte des Streifens C ist kontinuierlich, nämlich A, während der Teil B diskret mit Zwischen- räumen ist. Betrachtet man vom Streifen nur A, wird man sagen, er ist kontinuierlich. Betrachtet man nur B, wird man sagen, er ist diskret. Aber C ist beides, wenn man beide Streifen A und B betrachtet. |
16-S.136-1: "Abb. 5.22 Orthokosmos (objektiv), Parakosmos
(veridikal, aber nicht objektiv), Metakosmos (nicht veridikal). Alle drei
unterscheiden sich nicht im Grad ihrer Evidenz"
17-S.136-2: "Es ist die Tragik der Philosophie, dass ihr
nach dem Exodus der empirischen Wissenschaften letztlich nur noch gewisse
Regionen des Metakosmos als kognitives Betätigungsfeld geblieben sind,
weshalb man bei manchen ihrer Vertreter den Eindruck gewinnt, sie betrachteten
es als alleinige Aufgabe ihrer Wissenschaft, wohlklingende Akkorde aus
Evidenzgefühlen
zu komponieren, bei denen von vornherein auf jeden Versuch einer Verankerung
an Veridikalität verzichtet wird. Auch die empirische Forschung
dringt in den Metakosmos vor; aber sie ist keineswegs dazu bereit allem
Glauben zu schenken, was einleuchtend klingt. Entsprechend dem METZGER-Zitat
in Abschnitt 4.2.1 hat sie gelernt, strengere, formale Kriterien einzufordern,
bevor sie eine These, mit gleichwohl nie gänzlich unterdrücktem
Misstrauen, vorläufig akzeptiert. Hier liegen das Geburtsfeld und
der Legitimationsbereich der eleatischen Haltung der Naturwissenschaften.
Und hier wird man wohl auch die Wurzel der notorischen Unfruchtbarkeit
der meisten »interdisziplinären« Debatten zwischen Forschern
und Philosophen zu suchen haben."
18-S.568: "Wo aber die Veridikalität sich nicht aus eigener
Kraft Gehör zu verschaffen vermag, dort bilden sich automatisch kognitive
Muster minderer Qualität, die einleuchten, weil sie den denkästhetischen
Bequemlichkeiten des kollektiven Evidenzerlebens
oberflächlich entgegen-kommen oder dem Selbstschätzungsbedürfnis
der Gruppe und ihrer Wortführer schmeicheln. Wo in der Physik erst
die nicht-euklidische Geometrie den Anforderungen effizienter Naturbeschreibung
genügt, geben wir uns schon mit Kurt LEWINS »Topologie«
zufrieden. Tiefer zu bohren lohnt sich nicht; es würde ja doch keiner
verstehen."
Anmerkung: "Gewissheit" hat im Sachregister keinen Eintrag.
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Zusammenfassung-Bischof-HB-1966:
Die beiden Sachregistereinträge : Evidenz 316, 319 beziehen sich auf
das Kapitel 10 Psychophysik der Raumwahrnehmung, Abschnitt 4. Funktionale
und evidente phänomenal-räumliche Bezugssysteme und Abschnitt
5.
Physikalische und phänomenale Raumstruktur von Norbert Bischof.
Die Seiten 316-319 enthalten 25 Fundstellen zum Suchtext "eviden". Durchsucht
man das gesamte Kapitel 10 von Norbert Bischof im Handbuch mit dem Suchtext
"eviden", werden 45 Treffer erzielt. Die ersten 2 Treffer betreffen Einträge
im Inhaltsverzeichnis, so dass noch 43 Treffer im Text mit 3 in Fußnoten
übrig bleiben. Ich habe mir die ersten 17 Fundstellen näher angesehen
und gehe davon aus, was in diesen ersten 17 Fundstellen begrifflich nicht
geklärt wurde, wird auch in den weiteren Fundstellen nicht geklärt
werden.
Fazit: Bischof (1966) erklärt in den ersten 17 Fundstellen
nicht, was er unter Evidenz und unter Graden der Evidenz versteht, wie
man das feststellen und referenzieren kann.
Erste 17 Fundstellenbelege im HB-Kontext
Ich habe mir die ersten 17 Fundstellen näher angesehen und gehe
davon aus, was in den ersten 17 Fundstellen begrifflich nicht geklärt
wurde, wir es aucfh in den weiteren Fundstellen nicht.
S.310: Fußnote zu Linschoten mit Bezug zu Husserl, darin "phänomenale 1Evidenz".
S.316f: "4. Funktionale und 2evidente
phänomenal-räumliche Bezugssysteme
Ein Versuch, das in den beiden letzten Paragraphen
umrissene terminologische Dilemma aufzulösen, wird im wesentlichen
auf der durch Wertheimer (1912) begründeten, von Duncker (1929) und
Koffka (1936) ausgebauten und in systematischer Verdichtung bei Metzger
(1954) zu einem vorläufigen Abschluß gebrachten gestalttheoretischen
Lehre von den phänomenalen Bezugssystemen aufzubauen haben.
Wir sind aus Raumgründen gezwungen, speziell die Darlegungen bei Metzger
(l. c., Kap. 4) nachfolgend als bekannt vorauszusetzen, und beschränken
uns hier im Anschluß an Kleint (1940) lediglich auf die Einführung
einer bei Metzger zwar angelegten FN19), aber nicht deutlich herausgearbeiteten
Zusatzterminologie, nämlich der Unterscheidung von „funktionalen“
und 3„evidenten“ Beziehungen
im Wahrnehmungsraum (vgl. dazu ausführlich o. S. 30 ff,) FN20)."
"Die logische Schwierigkeit des sogleich zu erläuternden
Begriffspaares liegt darin, daß seine Definition ein doppeltes Einteilungsprinzip
verwendet. Wir verstehen nämlich unter 4evidenten
Beziehungen zwischen Phänomenen solche, die mit anschaulicher
Selbstverständlichkeit aus dem Wesen der Partner folgen und als qualitativ
spezifische Beziehungserlebnisse selbst Phänomen sind.
Wir bezeichnen demgemäß, wo immer Eigenschaften oder Zustände
anschaulicher Objekte als wesenhaft „abhängig von“, „verankert an“,
„bezogen auf“ oder „orientiert an“ anderen phänomenalen Gegebenheiten
erlebt werden, diese letzteren als 5„evidentes
Bezugssystem“ für jene. Der logische Gegenbegriff zur
6Evidenz
ist die 7'Nicht-Evidenz'
(oder, wie es in der gestalttheoretischen Literatur häufig heißt,
die „Unscheinbarkeit“) von Beziehungen oder Bezugssystemen, welche
im reinen Fall dort vorliegt, wo nicht Zusammenhangserlebnisse, sondern
nur Zusammenhänge zwischen Erlebnissen — in Form wesenhaft unverstandener
und (außer in eigens zu ihrer Untersuchung herbeigeführten Experimentalsituationen)
oft auch unbemerkt bleibender Wenn-Dann-Beziehungen — nachweisbar sind.
Da es unterschiedliche Grade der anschaulichen 8Evidenz
gibt, sind zwischen den beiden eben gekennzeichneten Extremfällen
Übergangsformen (s. u. S. 319) möglich. — Der Begriff des funktionalen
Bezugssystems liegt auf einer ganz anderen Ebene. Formuliert man nach Art
von Gleichung (4) (s. o. S. 42) die distale Korrelation zwischen einer
transphänomenalen Objektvariablen und deren anschaulichem Korrelat,
so werden in diese Gleichung im allgemeinen Parameter (wie etwa die Entfernung
vom Auge, die Struktur des Hintergrundes, ferner innerorganismische Faktoren
wie Aufmerksamkeit, Motivation usw.) eingehen und demgemäß die
Art der Repräsentation mitbestimmen, welche im transphänomenalen
Wirkungsfeld nicht auf die wahrzunehmende Objektvariable selbst, sondern
nur auf die ihr zugeordneten Signale außerhalb oder innerhalb
des Organismus Einfluß nehmen. Da sich [>317] nun auch diese Parameter
ihrerseits wenigstens zum Teil in der Wahrnehmungswelt abbilden, kommen
auf diese Weise Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Erlebnisinhalten
zustande, denen transphänomenal keinerlei Interaktion der Objektkorrelate
unmittelbar miteinander entsprechen. Solche Beziehungen zwischen Phänomenen
) nun nennen wir „funktional“. Als Gegenbegriff erscheint hier der des
„objektiven“ (oder genauer „objektiv bedingten“) Phänomenzusammenhanges,
d. h. eines Zusammenhanges, der durch Interaktionen der Objekte selbst
und nicht erst der Signale auf dem Übertragungsweg fundiert ist. Zwischen
funktionalen und objektiven Beziehungen gibt es keine gleitenden Übergänge.
Wegen der Verschiedenheit der Einteilungsgesichtspunkte
ist die Dichotomie 9"evident“
und „funktional“ nicht disjunktiv. Es gibt in der Wahrnehmungswelt Beziehungen,
die objektiv und 10evident
sind wie z. B. der anschaulich-kausale Zusammenhang zwischen dem Fortrollen
einer Billardkugel und dem zuvor erfolgten Anstoß mit dem Queue.
Es gibt Beziehungen, die objektiv und 11nicht-evident
sind wie etwa die wahrgenommene Ausdehnung eines Stabes bei Erwärmung
oder die gegenseitige Anziehung zweier magnetischer Metallstücke FN22).
Es gibt funktionale und 12nicht-evidente
Zusammenhänge wie etwa die anschauliche Vergrößerung eines
zuvor leeren Zimmers bei Einrichtung mit Möbeln und Teppich. Und es
gibt schließlich auch funktionale und 13evidente
Beziehungen wie etwa die anziehende oder abstoßende Wirkung eines
sympathischen bzw. unsympathischen Menschen. Wenn wir nachfolgend also
die 14„evidente“ und
die „funktionale“ Struktur des Wahrnehmungsraumes gesondert abhandeln,
so nicht, weil die jeweiligen Betrachtungsgegenstände, sondern vielmehr,
weil die Betrachtungsaspekte einander ausschließen FN23): Im ersteren
Fall versetzen wir uns „in“ die Position des naiv wahrnehmenden Subjektes
und fragen nach den erlebten Gesetzlichkeiten, in denen diesem die Struktur
seiner Erfahrungswirklichkeit „Raum“ verständlich wird;
im letzteren stellen wir uns „außerhalb“ des Subjektes und kennzeichnen
die psychologischen Gesetze, nach denen der Bewußtseinsinhalt
„Raum" sich aufbaut."
Fußnoten Bischof Handbuch
316-19) So etwa in der Trennung von „Realsystemen“ und
„abstrakten Qualitätssystemen“ (l. c., S. 132).
316-20) Kleint (1940, S. 36) unterscheidet wörtlich
zwischen „funktionalen“ und „phänomenalen“ Beziehungen; zur Vermeidung
von Mißverständnissen dürfte es sich jedoch empfehlen,
den letzteren Ausdruck als Oberbegriff zu reservieren."
317-21) Soweit funktional Einfluß nehmende Parameter
selbst keinerlei anschauliches Korrelat besitzen, können im Interesse
geschlossener Beschreibung quasi-phänomenale Hilfsbegriffe eingeführt
werden (vgl. o. S. 38).
317-22) Beobachtungen dieses Zusammenhangstyps dürften
übrigens den Anstoß zur Ausgliederung des physikalischen Weltbildes
gegeben haben, dessen Aufgabe jedenfalls in den Anfängen nicht allein
darin bestand, das Naturgeschehen voraussagbar zu machen, sondern auch
darin, durch Zuordnung geeigneter Modellvorstellungen 15nicht-evidente
auf 16evidente Kausalität
zurückzuführen; vgl. etwa die kinetische Wärmetheorie, die
den Effekt der Ausdehnung erwärmter Materie aus dem 17evidenten
Paradigma des makroskopischen Stoßes verstehbar (nicht nur „erklärbar“!)
werden läßt.
317-23) „Außen“ und „Innen“ im fünften
Sinn, vgl. o. S. 38ff.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site: www.sgipt.org
z.B. Wahn site: www.sgipt.org. * Psychopathologie Psychiatrie site: www.sgipt.org |
kontrolliert / korrigiert 07.09.22 und 09.09.22 irs siehe Änderungen unten