Axiome, Konstruktionsprinzipien, Grundbegriffe und Methoden Differentieller Psychologie der Persönlichkeit
Das Persönlichkeits- und Typus-Problem und seine Lösung in der Allgemeinen und Integrativen Psychologie, Psychodiagnostik, Psychopathologie und Psychotherapie
Originalarbeit von Rudolf Sponsel, Erlangen
Axiom 1: Potentiell unendliche Vielfalt von Merkmalen Axiom 2: Relative Stabilität der Merkmale Axiom 3: Differenzierte Gültigkeit von Merkmalem Axiom 4: Entwicklungs- und Veränderungsmöglichkeiten Axiom 5: Schichten- und Tiefendimension Kriterien zur Konstituierung und Konstruktion von Typen Konstruktionsprinzip 1: Ziele und Zwecke erläutern (Nutzen, Pragmatik) Konstruktionsprinzip 2: Erkennbarkeit (Diagnostizierbarkeit) Konstruktionsprinzip 3: Evaluation (Nachweis) Konstruktionsprinzip 4: Nutzen und Schaden-Reflexion Grundbegriffe. Methoden. Literatur * Links * Querverweise * URL, Zitierung, Copyright * Änderungen * |
Die Vielzahl der Systeme und umfangreiche eigene Erfahrungen (Sponsel 1982, 83,84) mit der Persönlichkeitsdiagnostik führen uns zum ersten Axiom der Persönlichkeitstheorie in der GIPT:
Wir postulieren eine potentiell unendliche Vielfalt möglicher Persönlichkeiten, Persönlichkeits-Typen oder Persönlichkeits- Konstruktionen durch Merkmals-Kombinationen, wobei auch nicht oder nicht sehr ausgeprägte vorhandene Merkmale wichtig für die Charakteristik sein können.
Der Grund für dieses Axiom liegt einerseits in der historisch gegebenen Vielfalt an Beschreibungen und Konstruktionen und andererseits in der tatsächlichen Vielfalt der Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten hängen unter anderem von den vielen Zielen und Zwecken ab, unter denen man eine Persönlichkeit betrachten kann.
Persönlichkeitsbeurteilungen kommen im Alltag eines jeden Menschen ständig vor. Jeder beurteilt ständig und jeder wird ständig beurteilt. Für einen Arzt stehen andere Merkmale (Gesundheit, Krankheit, Konstitution, Verfassung) im Vordergrund als für eine Erzieherin (Lenkbarkeit, Erziehbarkeit, Anpassungsfähigkeit,) einen Polier auf dem Bau (Handwerkliche Fähigkeit, Kraft, Beweglichkeit) oder einen Gastwirt, der eine Bedienung (Überblick, Freundlichkeit, Schnelligkeit, Zuverlässigkeit) sucht. Für einen Vermieter, Autohändler (Vertragsfähigkeit, Mittel), einen Musterungs- (Gesundheit, Beweglichkeit, Allgemeine Leistungsfähigkeit) oder Prüfungsausschuß für Offiziersanwärter bei der Bundeswehr, für einen Personalberater für diese oder jene Aufgaben werden wiederum ganz andere Merkmale im Vordergrund stehen. Wer auf Brautschau geht, für den sind andere Merkmale wichtig als für den, der einen Torwart, eine Sekretärin oder einen wissenschaftlichen Assistenten sucht.
Temperament, Stimmung, Antrieb und Energie, Befinden, Verfassung, Konstitution, Anlage, Begabung, Fähigkeiten, Tüchtigkeiten, Werte und Ziele, Interessen und Neigungen, Tugenden, Lenkungsfähigkeit, Wahrnehmung, Intelligenz, Aufmerksamkeit, Verhalten, Äußere Erscheinung, Haltung, Mimik, Gestik und Gebaren, Alter, Geschlecht, Bildung, Herkunft sind nur einige grobe Merkmalsklassen, aus denen Persönlichkeitssysteme konstituiert und konstruiert werden können.
Wie immer wir auch konstruieren, eine die Zeiten überdauernde Idee der Begriffe Persönlichkeit, Charakter oder Wesen ist eine gewisse Ausprägung, ein gewisses Hervortreten mit einer gewissen über- oder andauernden Konstanz. Dies führt uns zum zweiten Axiom der Persönlichkeitstheorie in der GIPT:
Merkmale, die wir der Persönlichkeit, dem Charakter oder dem Wesen eines Menschen zurechnen haben eine gewisse über- oder andauernde relative Stabilität und damit einen gewissen Veränderungswiderstand, ohne unveränderlich zu sein. Gie rliegt ein gewisser Grundwiderspruch der Persönlichkeitstheorie: die Dialektik von Stabilität und Wandel.
Auch die Formulierung "Relative
Stabilität" klingt wie ein Widerspruch, weil wir mit dem Relativen
keine Stabilität verknüpfen und umgekehrt mit dem Stabilen nichts
Relatives meinen.
Hier wird man z. B. feststellen,
daß jemand nicht allgemein und immer in jeder Situation zuverlässig
ist, sondern bevorzugt bestimmten Menschen gegenüber, anderen hingegen
nicht. Andere werden bei einer bestimmten Aktivität sehr oft die gleichen
Merkmale zur Erscheinung bringen, etwa beim Kauf relativ teuerer Güter
sehr sorgfältige Qualitätsvergleiche und Abwägungen durchführen.
Dies wird z. B. nur möglich sein, wenn eine bestimmte Selbstkontrolle
gegeben ist, so daß aus einem Merkmal (sorgfältige Abwägungen)
ziemlich sicher auf ein anderes Merkmal (Selbstkontrolle) geschlossen werden
kann.
Merkmale können also nach den Kriterien
der Gültigkeit für verschiedene Situationen und Personen gegenüber
mehr oder minder verallgemeinert werden. Die Relativität der Gültigkeit
von Merkmalen kann auch positiv als Differenzierung und Differenziertheit
beschrieben werden. Dies führt uns zum dritten Axiom der Persönlichkeitstheorie
in der GIPT:
Weltweit gibt es über 1000 Persönlichkeits-, Charakter- oder Wesenstypologien (Ruttkowski 1974). Die Mehrzahl davon dürfte wissenschaftlich und praxeologisch umstritten sein. Viele sind in der Kultur- und Wisenschaftsgeschichte untergegangen. Viele überschneiden sich. Es hat den Anschein, als ob beliebig viele Konstruktionen möglich sind - je nach unterschiedlichen Zielen und Zwecken.
Konstruktionsprinzip
1 Ziele und Zwecke erläutern (Nutzen, Pragmatik)
Wer eine Typologie entwirft, soll seine Ziele und Zwecke erläutern,
wozu diese Typologie tauglich und nützlich sein soll.
Konstruktionsprinzip
2 Erkennbarkeit (Diagnostizierbarkeit)
Hier sind operationale Kriterien und Verfahren so zu entwickeln und
zu benennen, daß die Merkmale einer Typologie möglichst objektiv
und reliabel erfaßt bzw. diagnostiziert werden können. Ein Typus
kann natürlich nur dann erkannt werden, wenn er, d.h. seine KoOnstruktion,
tatsächlich existiert. Das muss gezeigt werden
Konstruktionsprinzip
3 Evaluation (Nachweis)
Hier ist der Nachweis zu führen, daß
die Typologie für die unter 1 genannten Ziele und Zwecke tatsächlich
auch tauglich ist, daß der Typ also in der Lebenspraxis auftritt
und nach den genannten Zielen und Zwecken erkannt (diagnostiziert) und
von anderen unterschieden werden kann.
Konstruktionsprinzip
4: Nutzen und Schaden-Reflexion
Viele Menschen mögen es nicht, wenn sie in "Schubläden" eingeordnet
werden und ihre Individualität dabei verloren geht. Jaspers hat das
einst (1913) scharf formuliert: "Menschlich aber bedeutet die Feststellung
des Wesens eines Menschen eine Erledigung, die bei näherer Besinnung
beleidigend ist und die Kommunikation abbricht." [Quelle]
Das ist ernst zu nehmen. Am besten so, dass man zeigt, worin der Nutzen
besteht und welcher Schaden möglich ist. Dazu gehört auch, dass
man erklärt, welcher Erkenntnisgewinn sich ergibt, wenn ein Individuum
unter einem Typus klassifiziert werden kann.