Die wissenschaftlichen Grundlagen & Beziehungen der Integrativen Psychologischen Psychotherapie *
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Überblick: Zunächst bestimmen wir die Stellung der Psychologie in den Wissenschaften, insbesondere gegenüber Biologie und Medizin. Anschließend übernehmen wir die klassische Definition der Heilkunde und ordnen die psychologische Psychotherapie in Abgrenzung zu Beratung und Lernen in sie ein. Wir kommen dann auf die elementaren Grundsachverhalte der Heilkunde und der Psychotherapie zu sprechen und machen eine Reihe von Sprachnormierungsvorschlägen. Wir legen Wert auf die Feststellung, daß es nicht um Worte, sondern um grundlegende Begriffe und Sachverhalte geht, die existieren und intersubjektiv verständliche Namen brauchen.
2.1 Stellung und Aufgabe der Psychologie
Es gibt viele Perspektiven der Psyche.
Die Psychologie hat vielfache Beziehungen im System der Wissenschaften: sie kann sowohl in biologischer, geistes- und sozialwissenschaftlicher wie auch in technischer Perspektive (kognitive Science) aber eben natürlich auch genuin aus ihrer eigenen, autoreflexiven Perspektive - psychologisches Erleben ist eine eigene Welt (E1) - betrachtet werden. Die apodiktische Entscheidungsfrage, ist die Psychologie eine Wissenschaft vom Typ X oder nicht?, kann als überholt betrachtet werden. In diesem Sinne ist auch FREUDs Meinung, die Psychologie sei eine Naturwissenschaft und die Psychoanalyse ein (wesentlicher, konstitutiver) Teil von ihr in seiner Apodiktik falsch (E2).
Die Psychologische Welt ist eine eigene Welt
Im engeren und genuinen Sinne ist die psychologische Welt eine eigene Welt (>Axiom II) und die Seele ist natürlich nicht nur eine Funktion der Materie oder ein Appendix der Medizin. Das Erleben von Denken, Fühlen, Wünschen, Wollen, Planen, Beabsichtigen, Entscheiden, Konflikterleben, Phantasieren, Werten, Lenken, Bewußt-Sein, Befinden, Wahrnehmen, Erinnern, Einstellungen, Handeln, Machen, Tun, Verhalten, Beziehungen eingehen ist eine ureigene, nämlich die psychologische Welt, die sich grundsätzlich introspektiv erschließt.
Psychologie - eine schwierige und komplizierte Wissenschaft
Die Psychologie ist eine ausgesprochen schwierige und komplizierte Wissenschaft. Daß sie noch nicht sehr entwickelt und als prägalileisch anzusehen ist, hat eben damit zu tun: (1) Die Konstruktion der Psyche entzieht sich unmittelbarer Anschauung und Kontrolle. (2) Daher sind die Grundtermini wissenschaftlich sehr schwierig intersubjektiv operational zu normieren, erfordern enorme Disziplin, Ausdauer und Kreativität. (3) Dies hat wiederum zur Folge, daß das "autistisch-undisziplinierte Denken" (BLEULER 1919) die Regel ist. (4) Hieraus ergibt sich nahtlos, daß eine wissenschaftliche Basis, auf die die Forscher aufbauen und die sie sukzessive ausbauen könnten, nur in sehr rudimentären Ansätzen vorliegt. (5) Erschwerend kommt hinzu, daß die Psyche unter vielen Perspektiven betrachtet werden kann. (6) Und viele ForscherInnen und LehrerInnen sind philosophisch und wissenschaftstheoretisch nicht so ausgebildet oder motiviert, so daß sie gar nicht verstehen, was vor sich geht oder es interessiert sie einfach nicht. (7) Da man aber "wissenschaftlich" sein möchte, hat sich das Schlimmste ereignet, was passieren konnte: Pseudomathematik und statistischer Hokuspokus hat zu einer weitgehenden Vernachlässigung wirklich wissenschaftlicher Prinzipien und Moral geführt. Statt eine wissenschaftliche, auch statistische Methodologie und Mathematik zu entwickeln, die der Psychologie angemessen ist, hat sich die Psychologie unter eine Mathematik und Statistik pressen lassen, die für die Physik, Naturwissenschaft, Landwirtschaft und Technik entwickelt wurde (E3).
Die psychologische Welt ist an die biologische Basis, an den Körper gebunden. Das eigentümliche und schwierige an der Psychologie ist, daß man sie unter verschiedenen Perspektiven und Repräsentationssystemen betrachten kann.
Beispiel: Machen wir uns das klar am Vorgang einer "einfachen" Wahrnehmung: das Erkennen meines Nachbarn. Damit ich eine Person als meinen Nachbarn erkenne und begrüße, müssen in der Regel meine Sinnesorgane, hier meine Augen, funktionieren. Die Signale werden im Auge empfangen, codiert und über die Nerven an das Gehirn weitergeleitet. Dort gelangen sie in den sensorischen Speicher und werden ausgewertet nach der Frage, soll identifiziert werden oder nicht. Eine Schaltung in den Langzeitspeicher, das Gedächtnis, identifiziert die Person als Nachbarn. Damit ich ihn bemerken und grüßen kann, muß mein Bewußtsein angeschaltet sein. Ich registriere, aha, da ist mein Nachbar und ohne groß nachzudenken, grüße ich ihn. Mein Nachbar ist einmal physikalischer Reiz, der im Sinnesorgan empfangen und codiert wird. In den Nerven werden die Signale weitergeleitet, im Gehirn empfangen und im Gedächtnis untersucht. Streckenweise ist mein Nachbar physikalischer Code in der physiologischen Erregungsleitung. Im Langzeitspeicher Gedächtnis ist mein Nachbar schließlich chemisch codiert. Nach Entschlüsselung wird er ins Bewußtsein transportiert und dort psychologisch projiziert, d. h. bewußt wahrgenommen oder apperzipiert. Mein Nachbar durchläuft also verschiedene "Welten" oder Repräsentationssysteme: physikalisch, elektrophysiologisch, chemisch, psychologisch. Was lehrt uns das? Nun, ich kann das Erlebnis <Nachbar erkennen und begrüßen> naturwissenschaftlich (physikalisch, chemisch, biologisch, physiologisch), medizinisch oder psychologisch, soziologisch, ökonomisch, kulturell und kommunikationswissenschaftlich betrachten. Die Psychologische Betrachtung kann auch noch unter der Perspektive Wahrnehmung, Bewußtsein und Bewußtheit, Gedächtnis und Sozialpsychologie näher spezifiziert und eingeengt werden. Und jede dieser Perspektiven kann wiederum unter den verschiedensten Repräsentationen erfolgen, z. B. wie kann man die extreme Geschwindigkeit und Sicherheit, mit der das biologische System Mensch ein anderes System Mensch, z. B. einen Nachbarn <erkennt> naturwissenschaftlich technisch verstehen? Das ist das Problem der sog. "Mustererkennung", das fast jeder Mensch wie selbstverständlich beherrscht und das den ComputerwissenschaftlerInnen und kognitiven WissenschaftlerInnen solche Schwierigkeiten bereitet.
Halten wir fest: Psychologie kann naturwissenschaftlich (physikalisch, chemisch, biologisch), medizinisch, technisch (kybernetisch), geistes- und sozialwissenschaftlich: genuin psychologisch betrachtet und betrieben werden. Während die naturwissenschaftliche Perspektive Kenntnisse in genuiner Psychologie voraussetzt, ist es umgekehrt nicht so. (E4)
Wer Psychotherapie betreibt, muß für sich eine - meist
wohl implizite - Antwort auf das Leib-Seele-Problem
gefunden haben. Wir werden diese Frage in den entsprechenden Axiomen explizit
besprechen und eine klare Antwort für die allgemeine und integrative
psychologische Psychotherapie geben.
2.2 Klassifikation psychologischer Hauptleistungen
PsychologInnen in den verschiedensten Berufsfeldern erbringen viele Leistungen. Man kann sie aber nach ihren Hauptzielen wie folgt klassifizieren: (1) Beratung als Information inklusive der Mitteilung und Ausarbeitung von Problemlösungsplänen. (2) Beratung als Hilfe und Unterstützung bei der praktischen Problemlösung. (3) Beratung als Lehre zum Erwerb von Fertigkeiten und Entwickeln von Fähigkeiten; (4) Beratung als Lehre zur Optimierung und Training zur Verbesserung vorhandener Fähigkeiten und Fertigkeiten. (5) Psychotherapie (Heilkunde).
Stichwortartig können wir die psychologischen Leistungen also zusammenfassen in: (1) Information, (2) Problemlösung, (3) Kompetenzerwerb, (4) Optimierung, (5) Psychologische Psychotherapie (Heilkunde).
Die Hauptziele (1), (2), (3) und (5) spielen sowohl im engeren Psychotherapiebereich eine große Rolle als auch im nicht- psychotherapeutischen Bereich. Es ist klar, daß die Optimierungsaufgabe nicht zur Psychotherapie gehören kann (E5), sondern zu den selbst zu finanzierenden Lebensansprüchen gehört. Die Methoden sowohl im psychotherapeutischen als auch im nicht- psychotherapeutischen Bereich sind grundsätzlich gleich. Von der Art der verwendeten Methoden gibt es also zwischen der Arbeit mit nicht-kranken Menschen und der Arbeit mit kranken Menschen im Prinzip keinen Unterschied. Teilweise hat es sich im Sprachgebrauch eingebürgert, wenn von nicht-kranken Menschen die Rede ist, den Begriff der Beratung zu wählen und wenn kranke Menschen mit psychologischen Methoden behandelt werden von Psychologischer Psychotherapie zu sprechen.
(E1) nämlich genau "die" Welt,
die jeder Mensch in seiner alltäglichen Selbsterfahrung, in seiner
Bewußtheit erlebt.
_______________
(E2) Falsch aber auch deshalb, weil FREUD
für die Psychoanalyse und Psychologie zwar einen naturwissenschaftlichen
Status reklamiert, seltsamerweise sich den naturwissenschaftlichen Methoden
und dem Wissenschaftsverständnis aber nicht unterwerfen will - wie
viele seiner Nachkommen (Ausnahmen z. B. MASLOW, TOMAN)
auch nicht. Das kann man strenggenommen nur so verstehen, daß er
gar nicht wußte, worin nun das eigentliche Wesen der Wissenschaft
besteht, nämlich im rationalen empirischen Begründen vom
Idealtypus Beweis. Die feuilletonistisch- spekulativ-scholastische Art
der Erkenntnisgewinnung bei den PsychoanalytikerInnen ist allerdings keine
Alternative - höchstens ein erster Schritt - zur grundsätzlich
berechtigten Kritik an den Methoden der empirischen Sozialwissenschaften.
_______________
(E3) Das ist auch ein wichtiger Grund
für die Kluft zwischen Universität und Praxis: viele PsychologInnen
haben sich enttäuscht von diesen szientisch- magischen Ritualen eines
seelenlosen Veröffentlichungsgeschäfts abgewandt. So nimmt es
denn auch nicht Wunder, daß gerade zwischen PsychotherapeutInnen
und "WissenschaftlerInnen" ein besonderes Spannungsverhältnis herrscht.
Symptomatisch für den Zustand der Wissenschaft, die der Praxis zu
meiner Studienzeit fast nichts zu sagen hatte, ist der Zustand der
akademischen Bewußtseins- und Introspektionspsychologie. Nicht selten
entschuldigt man sich, wenn man sich mit Introspektion - dem A und O, dem
Zentralproblem und der Basis aller Psychologie und Psychotherapie - wissenschaftlich
abgibt. Zugegeben, es ist schwierig, aber wenn man sich die letzten hundert
Jahre konsequent darum gekümmert hätte, wäre es längst
gelöst. Andere klinisch wichtige Fragen wären z. B.: Ist die
Annahme eines Antriebssystem sinnvoll oder nicht? Ist eine Temperamentskonstruktion
sinnvoll oder nicht? Wie ist das mit "dem" Unbewußten? Wie spielen
die psychologische und die biologische Welt zusammen?
_______________
(E4) Während MedizinstudentInnen aber
über Psychologie fast nichts lernen und wissen, lernen die PsychologiestudentInnen
in aller Regel Physiologie, Humangenetik und Psychopathologie. Im Rahmen
der Klinischen Psychologie wäre noch eine weitere Studieneinheit mit
dem Thema "Psychosomatik" (Schwerpunkt: Innere Medizin) wünschenswert
und für die Praxis förderlich. Siehe auch Psychologie-Primat.
_______________
(E5) So gehören unserer Ansicht nach
auch die humanistischen Kreativitäts- und Selbstverwirklichungsideale
nicht in das Gebiet das Psychotherapie, sondern in das Gebiet y
Beratung_NKB, z. B. in die Erwachsenenbildung und Volkshochschulen. Wachsen,
Entwickeln, Kreativitätsentfaltung und Selbstverwirklichungsziele
gehören nicht in den Bereich der Krankenbehandlung. Bei den humanistischen
Psychotherapien gibt es daher stärkere Abgrenzungsprobleme. Praktisch
bedeutet das: soll oder muß die Krankenkasse bezahlen oder nicht?
Das kann dann sinnvoll sein, wenn man Prophylaxe und Prävention zum
Ziel hat, daß wohl kein Zweifel bestehen kann, daß die Ziele
der humanistischen Psychologie und Psychotherapien präventiven und
prophylaktischen Charakter haben.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Allgemeine und Integrapve Psychotherapie site:www.sgipt.org. |
kontrolliert: