Meinen - Eine wissenschaftstheoretische
Analyse
mit einer Materialsammlung zur
Metatheorie des Meinens und
Gebrauchsbeispielen in wissenschaftlichen
Texten
Originalarbeit von Rudolf
Sponsel, Erlangen
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Meinen ist ein überaus vieldeutiges und schillerndes Homonym. Dennoch
kann im Einklang mit der historisch- geisteswissenschaftlichen Tradition
gedeutet, werden, was man unter meinen versteht:
Definition meinen: einen Sachverhalt
behaupten (für wahr, falsch, un/glaubhaft, un/plausibel, nicht/richtig,
nicht/gegeben, ... halten) oder bewerten (für gut, schlecht,
nützlich, hilfreich, wertvoll, wertlos, ... halten) ohne Angabe prüfbarer
Begründung, Belege oder Beweise.
Anmerkung: Das Recht auf Meinungsfreiheit
ohne jede Begründung, Belege oder Beweise ist ein Grundrecht mit Verfassungsrang
(Artikel 5 GG; Begriff
der Meinung). Die Verengung "vor allem" auf Werturteile entspricht
nicht dem deutschen Sprach- und Wissenschaftsgebrauch.
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Meinen steht dem glauben nahe: für wahr halten ohne zu wissen;
allgemeiner: einen Wahrheitswert zuordnen ohne zu wissen.
Wie bei fast jedem Begriff,
gibt es auch für Sachverhalte drei Hauptaspekte: (1) die Sachverhaltsbestimmung
(Name, Inhalt/Sachverhaltsbeschreibung und Referenz, die angibt wie und
wo man in der Welt bzw. der Welten
diesen Sachverhalt finden kann), (2) Bedeutungen
im Sprachgebrauch und (3) Metatheoretische
Erörterungen, z.B. meinen im Vergleich zu glauben oder wissen, vermuten
oder annehmen.
Einfuehrung
Hier werden einerseits Aussagen zum oder über das Meinen (Meta/Theorie
des Meinens), und andererseits Gebrauchsbeispiele
aus Texten gesammelt, in denen das Wort "meinen" verwendet wird. Einerseits
also Metatheorie zur Bedeutung des Meinens in Abgrenzung von annehmen,
fürwahrhalten, glauben, vermuten, wissen, ..., andererseits sprachliche
Realanalyse zur Verwendung des Wortes "meinen" in verschiedenen Lebens-
und Wissenschaftsbereichen.
Meinungsfreiheit
im HWdP (Rosmarie Lorenz)
Lorenz, Rosmarie / Redaktion (1981) Meinungsfreiheit.
In: Ritter, Joachim & Gründer, Karlfried (1981, Hrsg.)
L-Mn. Umfangreicher Artikel mit 5 Spalten.
Kein Eintrag Meinung oder Meinungsfreiheit in Nohlens Wörterbuch
Staat und Politik, aber im Sachregister 376 (Medienpolitik), 378 (Menschenrechte),
571 (Rechtsstaat), 743 (Verfassungsgerichtsbarkeit), 749 (Verfassungsgrundsätze).
Quelle: Nohlen, Dieter (1991, Hrsg.)
Wörterbuch Staat und Politik. München: Piper.
Rechtliche Auffassungen zum Meinen und zur Meinungsfreiheit
In der juracademy.de
(Abruf 11.10.2021) wird ausgeführt:
Eine Meinung zeichnet sich dadurch aus, dass sie ein Element „der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung“ aufweist. Ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird, ist unerheblich (Vgl. BVerfGE 33, 1.). Ebenso wenig kommt es darauf an, ob mit der Meinungsäußerung öffentliche oder private Zwecke verfolgt werden (Vgl. zum Ganzen BVerfGE 61, 1.). Die Meinung kann sogar beleidigend, wie sich aus einem Rückschluss aus der Schranke „Recht der persönlichen Ehre“ in Art. 5 Abs. 2 GG ergibt (Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 650.), oder scharfe Polemik sein (Vgl. BVerfG (K) NJW 2012, 1273 – Verunglimpfung Deutschlands.). Der Begriff der Meinung ist daher grundsätzlich weit auszulegen Vgl. BVerfGE 61, 1.). Maßgeblich für das Verständnis einer Äußerung ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgangspunkt hierbei ist immer der Wortlaut der Äußerung. Der Wortlaut legt den Sinn der Äußerung jedoch nicht abschließend fest. Der Sinn der Äußerung wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt (Vgl. zum Ganzen BVerfG (K) NJW 2009, 3016). – In unserem Beispiel 1 (oben Rn. 319) formuliert W ein (Un-)Werturteil über Soldaten und den Soldatenberuf und äußert somit eine Meinung (Vgl. BVerfGE 93, 266). Das Bundesverfassungsgericht bejahte das Vorliegen einer Meinung ferner z.B. beim Aufruf zum Boykott von Filmen des nationalsozialistischen Regisseurs Veit Harlan (Vgl. BVerfGE 7, 198 – Lüth.), bei der Werbung mit dem Greenpeace-Symbol auf Briefumschlägen (Vgl. BVerwGE 72, 183.) oder dann, wenn kommerzielle Werbung meinungsbildenden Inhalt hat. (Vgl. BVerfGE 71, 162.)"
Kommentar: Die Verengung "vor allem" auf Werturteile
entspricht nicht dem deutschen Sprach- und Wissenschaftsgebrauch.
Querverweise: Recht
und Rechtswissenschaft. Eine wissenschaftstheoretisch empirisch operationale
Analyse mit Schwerpunkt Begriffswelt und Methoden aus interdisziplinärer
Perspektive * Wert und Norm: allgemeinwissenschaftlich
und rechtlich; Werturteilsstreit:
allgemeinwissenschaftlich
und Werte
rechtlich. * Überblick
Medienkritik. * Definition und definieren.
* Sprachkritik
*
Aristoteles-Logik
"23. Erkenntnis und Meinung () ;
sinnliche Wahrnehmung und Allgemeines
Der Gegenstand der Erkenntnis und die Erkenntnis unterscheidet sich
von dem Gegenstand der Meinung ()
und dem Meinen () , inwiefern das Erkennen
allgemein ist und durch Notwendiges zustande kommt, das Notwendige aber
sich nicht anders verhalten kann, — die Meinung
() indessen etwas Unsicheres ist."
Quelle S. 49: Aristoteles (Adolf Trendelenburg/
Rainer Beer) Texte zur Logik. Reinbek: Rowohlts Klassiker der Literatur
und Wissenschaft. Griechische Philosophie Band 11.
Aristoteles Meinen und
Wissen in Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen.
Dreiunddreissigstes Kapitel
Wie kann man nun dasselbe meinen und wissen und weshalb ist die Meinung () kein Wissen, wenn jemand behauptete, dass alles, was er wisse, auch gemeint werden könne? Sowohl der Wissende, wie der Meinende () wird dann seine Ansicht durch Mittelbegriffe begründen, bis er zu unvermittelten Sätzen gelangt; wenn also jener ein Wissen hat, so wird auch der Meinende () ein Wissen haben. Denn wie das Wissen, geht auch das Meinen auf das Dass und auf das Warum und das Warum ist der Mittelbegriff. Oder sollte sich die Sache nicht vielmehr so verhalten, dass, wenn man dasjenige, was sich nicht anders verhalten kann, so besitzt, wie die Definitionen, durch welche die Beweise geführt werden, man nicht meinen, sondern wissen wird? Wenn man dagegen zwar das Wahre trifft, aber nicht weiss, dass es den Dingen nach ihrem Wesen und ihrem Begriffe zukommt, so wird man zwar eine wahre Meinung, aber kein Wissen haben, und zwar wird die Meinung () dann sowohl das Dass wie das Warum enthalten, sofern dieselbe das unvermittelte mit befasst; ist dies aber nicht der Fall, so wird die Meinung () nur das Dass befassen.
Ueberhaupt geht die Meinung () und das Wissen nicht durchaus auf dasselbe, sondern nur in der Weise, wie auch das Falsche und das Wahre gewissermaassen dasselbe betreffen. Denn wenn die wahre () und die falsche Meinung () , wie Einige sagen, dasselbe beträfe, so ergäben sich widersinnige Folgen, insbesondere auch, dass der, welcher eine falsche Meinung () hat, gar nicht meint. Denn da das »Dasselbe« in verschiedenem Sinne gebraucht wird, so kann die falsche Meinung () sowohl eine Meinung () sein, als auch nicht. So ist z.B. die Meinung, welche als wahr annimmt, dass der Durchmesser mit den Seiten des Quadrats ein gemeinsames Maass habe widersinnig; allein da der Durchmesser, auf den die Meinung () geht, derselbe ist, wie bei dem Wissen, so betreffen [>63] beide in diesem Sinne dasselbe, aber in Betreff des wesentlichen Was, dem Begriffe nach, nicht dasselbe. In diesem Sinne bezieht sich also das Wissen und die Meinung () auf dasselbe; aber das Wissen z.B. von dem Geschöpfe ist der Art, dass das Geschöpf unmöglich kein Geschöpf sein kann; aber bei der Meinung () kann es auch kein Geschöpf sein. Es ist ebenso, als wenn das Wissen einen Menschen als solchen befasst, das Meinen () aber zwar einen Menschen befasst, aber nicht als Menschen; denn darin, dass ein Mensch ist, befassen beide dasselbe, aber nicht wiefern er als Mensch befasst ist.
Hieraus erhellt, dass man nicht dasselbe zugleich meinen () und wissen kann; denn dann nähme man an, dass dasselbe sich zugleich anders und auch nicht anders verhalten könnte, was unmöglich ist. In einer gewissen Beziehung kann allerdings beides dasselbe sein, wie ich gesagt habe, aber an sich selbst ist dies nicht möglich; denn man würde dann z.B. zugleich annehmen, dass etwas Mensch sei als Geschöpf, (denn dies war der Sinn davon, dass der Mensch unmöglich ein Nicht-Geschöpf sein könne) und Mensch nicht als Geschöpf; letzteres bezeichnet aber die fehlende Nothwendigkeit.
Die Frage, wie man das sonst hier Vorhandne dann denken, oder der Vernunft, oder der Wissenschaft, oder der Kunst, oder der Klugheit, oder der Weisheit zuweisen soll, gehört mehr zur Naturwissenschaft und zur Wissenschaft des Sittlichen.
Quelle: Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 62-64. Permalink: https://www.zeno.org/nid/20009147101, Lizenz: Gemeinfrei Kategorien: Attische Philosophie
Diemer, Alwin (1981) Meinen, Meinung. In: Ritter, Joachim & Gründer, Karlfried (1981, Hrsg.) L-Mn.
Meinen
1) Meinen. — Das Meinen oder
das Fürwahrhalten aus einem Erkenntnisgrunde, der weder subjektiv
noch objektiv hinreichend ist, kann als ein vorläufiges Urteilen
(sub conditione suspensiva ad interim) angesehen werden, dessen man nicht
leicht entbehren kann. Man muß erst meinen,
ehe man annimmt und behauptet, sich dabei aber auch hüten, eine Meinung
für etwas mehr als bloße Meinung
zu halten. — Vom Meinen fangen wir größtenteils bei allem unserm
Erkennen an. Zuweilen haben wir ein dunkles Vorgefühl von der Wahrheit;
eine Sache scheint uns Merkmale der Wahrheit zu enthalten; — wir ahnen
ihre Wahrheit schon, noch ehe wir sie mit bestimmter Gewißheit erkennen.
Wo findet nun aber das bloße Meinen
eigentlich statt? — In keinen Wissenschaften, welche Erkenntnisse a priori
enthalten; also weder in der Mathematik, noch in der Metaphysik, noch in
der Moral, sondern lediglich in empirischen Erkenntnissen — in der
Physik, der Psychologie u. dgl. Denn es ist an sich ungereimt, a priori
zu meinen. Auch könnte in der Tat
nichts lächerlicher sein, als z. B. in der Mathematik nur zu meinen.
Hier, so wie in der Metaphysik und Moral, gilt es: entweder zu wissen
oder nicht zu wissen. — Meinungssachen
können daher immer nur Gegenstände einer Erfahrungserkenntnis
sein, die an sich zwar möglich, aber nur für uns
unmöglich ist nach den empirischen Einschränkungen und Bedingungen
unsers Erfahrungsvermögens und dem davon abhängenden Grade dieses
Vermögens, den wir besitzen. So ist z. B. der Äther der
neuern Physiker eine bloße Meinungssache.
Denn von dieser, so wie von jeder Meinung überhaupt, welche sie auch
immer sein möge, sehe ich ein: daß das Gegenteil doch vielleicht
könne bewiesen werden. Mein Fürwahrhalten ist also hier objektiv
so wohl als subjektiv unzureichend, obgleich es, an sich betrachtet, vollständig
werden kann.
Glauben
2) Glauben. — Das Glauben oder das Fürwahrhalten aus einem
Grunde, der zwar objektiv unzureichend, aber subjektiv zureichend ist,
bezieht sich auf Gegenstände, in Ansehung deren man nicht allein nichts
wissen, sondern auch nichts meinen,
ja auch nicht einmal Wahrscheinlichkeit vorwenden, sondern bloß gewiß
sein kann, daß es nicht widersprechend ist, sich dergleichen Gegenstände
so zu denken, wie man sie sich denkt. Das übrige hierbei ist ein freies
Fürwahrhalten, welches nur in praktischer a priori gegebener Absicht
nötig ist, — also ein Fürwahrhalten dessen, was ich aus moralischen
Gründen annehme und zwar so, daß ich gewiß bin, das Gegenteil
könne nie bewiesen werden.*
Sachen des Glaubens sind also I) keine Gegenstände des empirischen Erkenntnisses. Der sogenannte historische Glaube kann daher eigentlich auch nicht Glaube genannt und als solcher dem Wissen entgegen gesetzt werden, da er selbst ein Wissen sein kann. Das Fürwahrhalten auf ein Zeugnis ist weder dem Grade noch der Art nach vom Fürwahrhalten durch eigene Erfahrung unterschieden.
II) auch keine Objekte des Vernunfterkenntnisses (Erkenntnisses a priori), weder des theoretischen, z. B. in der Mathematik und Metaphysik; noch des praktischen in der Moral.
Mathematische Vernunftwahrheiten kann man auf Zeugnisse zwar glauben, weil Irrtum hier teils nicht leicht möglich ist, teils auch leicht entdeckt werden kann; aber man kann sie auf diese Art doch nicht wissen. Philosophische Vernunftwahrheiten lassen sich aber auch nicht einmal glauben; sie müssen lediglich gewußt werden; denn Philosophie leidet in sich keine bloße Überredung. — Und was insbesondre die Gegenstände des praktischen Vernunfterkenntnisses in der Moral — die Rechte und Pflichten — betrifft : so kann in Ansehung dieser eben so wenig ein bloßes Glauben statt finden. Man muß völlig gewiß sein: ob etwas recht oder unrecht, pflichtmäßig oder pflichtwidrig, erlaubt oder unerlaubt sei. Aufs Ungewisse kann man in moralischen Dingen nichts wagen; — nichts, auf die Gefahr des Verstoßes gegen das Gesetz, beschließen. So ist es z. B. für den Richter nicht genug, daß er bloß glaube, der eines Verbrechens wegen Angeklagte habe dieses Verbrechen wirklich begangen. Er muß es (juridisch) wissen, oder handelt gewissenlos.
III) Nur solche Gegenstände sind Sachen des Glaubens, bei denen das Fürwahrhalten notwendig frei, d. h. nicht durch objektive, von der Natur und dem Interesse des Subjekts unabhängige, Gründe der Wahrheit bestimmt ist.
Das Glauben gibt daher auch wegen der bloß subjektiven Gründe keine Überzeugung, die sich mitteilen läßt und allgemeine Beistimmung gebietet, wie die Überzeugung, die aus dem Wissen kommt. Ich selbst kann nur von der Gültigkeit und Unveränderlichkeit meines praktischen Glaubens gewiß sein und mein Glaube an die Wahrheit eines Satzes oder die Wirklichkeit eines Dinges ist das, was, in Beziehung auf mich, nur die Stelle eines Erkenntnisses vertritt, ohne selbst ein Erkenntnis zu sein.
Moralisch ungläubig ist der, welcher nicht dasjenige annimmt, was zu wissen zwar unmöglich, aber voraus zu setzen moralisch notwendig ist. Dieser Art des Unglaubens liegt immer Mangel an moralischem Interesse zum Grunde. Je größer die moralische Gesinnung eines Menschen ist: desto fester und lebendiger wird auch sein Glaube sein an alles dasjenige, was er aus dem moralischen Interesse in praktisch notwendiger Absicht anzunehmen und vorauszusetzen sich genötiget fühlt.
Wissen
3) Wissen. — Das Fürwahrhalten aus einem Erkenntnisgrunde, der sowohl objektiv als subjektiv zureichend ist, oder die Gewißheit ist entweder empirisch oder rational, je nachdem sie entweder auf Erfahrung — die eigene sowohl als die fremde mitgeteilte — oder auf Vernunft sich gründet. Diese Unterscheidung bezieht sich also auf die beiden Quellen, woraus unser gesamtes Erkenntnis geschöpft wird: die Erfahrung und die Vernunft.
Die rationale Gewißheit ist hinwiederum entweder mathematische oder philosophische Gewißheit. Jene ist intuitiv, diese diskursiv.
Die mathematische Gewißheit heißt auch Evidenz, weil ein intuitives Erkenntnis klärer ist als ein diskursives. Obgleich also beides, das mathematische und das philosophische Vernunfterkenntnis an sich gleich gewiß ist: so ist doch die Art der Gewißheit in beiden verschieden. —
Die empirische Gewißheit ist eine ursprüngliche (originarie empirica), so fern ich von etwas aus eigener Erfahrung, und eine abgeleitete (derivative empirica), sofern ich durch fremde Erfahrung wovon gewiß werde. Diese letztere pflegt auch die historische Gewißheit genannt zu werden.
Die rationale Gewißheit unterscheidet sich von der empirischen durch das Bewußtsein der Notwendigkeit, das mit ihr verbunden ist; — sie ist also eine apodiktische, die empirische dagegen nur eine assertorische Gewißheit. — Rational gewiß ist man von dem, was man auch ohne alle Erfahrung a priori würde eingesehen haben. Unsre Erkenntnisse können daher Gegenstände der Erfahrung betreffen und die Gewißheit davon kann doch empirisch und rational zugleich sein, so fern wir nämlich einen empirisch gewissen Satz aus Prinzipien a priori erkennen.
Rationale Gewißheit können wir nicht von allem haben ; aber da, wo wir sie haben können, müssen wir sie der empirischen vorziehen.
Alle Gewißheit ist entweder eine unvermittelte oder eine vermittelte, d. h. sie bedarf entweder eines Beweises, oder ist keines Beweises fähig und bedürftig. — Wenn auch noch so vieles in unserm Erkenntnisse nur mittelbar, d. h. nur durch einen Beweis gewiß ist: so muß es doch auch etwas Indemonstrables oder unmittelbar Gewisses geben und unser gesamtes Erkenntnis muß von unmittelbar gewissen Sätzen ausgehen.
Die Beweise, auf denen alle vermittelte oder mittelbare Gewißheit eines Erkenntnisses beruht, sind entweder direkte oder indirekte, d. h. apagogische Beweise. — Wenn ich eine Wahrheit aus ihren Gründen beweise: so führe ich einen direkten Beweis für dieselbe; und wenn ich von der Falschheit des Gegenteils auf die Wahrheit eines Satzes schließe, einen apagogischen. Soll aber dieser letztere Gültigkeit haben: so müssen sich die Sätze kontradiktorisch oder diametraliter entgegen gesetzt sein. Denn zwei einander bloß konträr entgegengesetzte Sätze (contrarie opposita) können beide falsch sein. Ein Beweis, welcher der Grund mathematischer Gewißheit ist, heißt Demonstration und der der Grund philosophischer Gewißheit ist, ein akroamatischer Beweis. Die wesentlichen Stücke eines jeden Beweises überhaupt sind die Materie und die Form desselben; oder der Beweisgrund und die Konsequenz.
Vom Wissen kommt Wissenschaft her, worunter der Inbegriff einer Erkenntnis, als System, zu verstehen ist. Sie wird der gemeinen Erkenntnis entgegen gesetzt, d. i. dem Inbegriff einer Erkenntnis, als bloßem Aggregate. Das System beruht auf einer Idee des Ganzen, welche den Teilen vorangeht; beim gemeinen Erkenntnisse dagegen oder dem bloßen Aggregate von Erkenntnissen gehen die Teile dem Ganzen vorher. — Es gibt historische und Vernunftwissenschaften.
In einer Wissenschaft wissen wir oft nur die Erkenntnisse, aber nicht die dadurch vorgestellten Sachen; also kann es eine Wissenschaft von demjenigen geben, wovon unsre Erkenntnis kein Wissen ist.
Überzeugung und Überredung
Aus den bisherigen Bemerkungen über die Natur und die Arten des Fürwahrhaltens können wir nun das allgemeine Resultat ziehen: daß also alle unsre Überzeugung entweder logisch oder praktisch sei. — Nämlich wenn wir wissen, daß wir frei sind von allen subjektiven Gründen und doch das Für wahrhalten zureichend ist, so sind wir überzeugt und zwar logisch oder aus objektiven Gründen überzeugt (das Objekt ist gewiß).
Das komplette Fürwahrhalten aus subjektiven Gründen, die in praktischer Beziehung so viel als objektive gelten, ist aber auch Überzeugung, nur nicht logische, sondern praktische (ich bin gewiß). Und diese praktische Überzeugung oder dieser moralische Vernunftglaube ist oft fester als alles Wissen. Beim Wissen hört man noch auf Gegengründe, aber beim Glauben nicht; weil es hierbei nicht auf objektive Gründe, sondern auf das moralische Interesse des Subjekts ankommt.**
Der Überzeugung steht die Überredung entgegen; ein Fürwahrhalten aus unzureichenden Gründen, von denen man nicht weiß, ob sie bloß subjektiv oder auch objektiv sind.
Die Überredung geht oft der Überzeugung vorher. Wir sind uns vieler Erkenntnisse nur so bewußt, daß wir nicht urteilen können, ob die Gründe unsers Fürwahrhaltens objektiv oder subjektiv sind. Wir müssen daher, um von der bloßen Überredung zur Überzeugung gelangen zu können, zuvörderst überlegen, d. h. sehen, zu welcher Erkenntniskraft ein Erkenntnis gehöre; und sodann untersuchen, d. i. prüfen, ob die Gründe in Ansehung des Objekts zureichend oder unzureichend sind. Bei vielen bleibt es bei der Überredung. Bei einigen kommt es zur Überlegung, bei wenigen zur Untersuchung. — Der da weiß, was zur Gewißheit gehört, wird Überredung und Überzeugung nicht leicht verwechseln und sich also auch nicht leicht überreden lassen. — Es gibt einen Bestimmungsgrund zum Beifall, der aus objektiven und subjektiven Gründen zusammengesetzt ist, und diese vermischte Wirkung setzen die mehresten Menschen nicht aus einander.
Obgleich jede Überredung der Form nach (formaliter) falsch ist, so fern nämlich hierbei eine ungewisse Erkenntnis gewiß zu sein scheint: so kann sie doch der Materie nach (materialiter) wahr sein. Und so unterscheidet sie sich denn auch von der Meinung, die eine ungewisse Erkenntnis ist, so fern sie für ungewiß gehalten wird. —
Die Zulänglichkeit des Fürwahrhaltens (im Glauben) läßt sich auf die Probe stellen durch Wetten oder durch Schwören. Zu dem ersten ist komparative, zum zweiten absolute Zulänglichkeit objektiver Gründe nötig, statt deren, wenn sie nicht vorhanden sind, dennoch ein schlechterdings subjektiv zureichendes Fürwahrhalten gilt.
Zurückhalten und Aufschieben eines Urteils -
Vorläufige Urteile
Man pflegt sich oft der Ausdrücke zu bedienen: Seinem Urteile beipflichten; sein Urteil zurückhalten, aufschieben oder aufgeben. — Diese und ähnliche Redensarten scheinen anzudeuten, daß in unserm Urteilen etwas Willkürliches sei, indem wir etwas für wahr halten, weil wir es für wahr halten wollen. Es fragt sich demnach hier: Ob das Wollen einen Einfluß auf unsre Urteile habe?
Unmittelbar hat der Wille keinen Einfluß auf das Fürwahrhalten; dies wäre auch sehr ungereimt. Wenn es heißt: Wir glauben gern, was wir wünschen, so bedeutet das nur unsre gutartigen Wünsche, z. B. die des Vaters von seinen Kindern. Hätte der Wille einen unmittelbaren Einfluß auf unsre Überzeugung von dem, was wir wünschen: so würden wir uns beständig Chimären von einem glücklichen Zustande machen und sie sodann auch immer für wahr halten. Der Wille kann aber nicht wider überzeugende Beweise von Wahrheiten streiten, die seinen Wünschen und Neigungen zuwider sind.
So fern aber der Wille den Verstand entweder zur Nachforschung einer Wahrheit antreibt oder davon abhält, muß man ihm einen Einfluß auf den Gebrauch des Verstandes und mithin auch mittelbar auf die Überzeugung selbst zugestehen, da diese so sehr von dem Gebrauche des Verstandes abhängt.
Was aber insbesondre die Aufschiebung oder Zurückhaltung unsers Urteils betrifft: so besteht dieselbe in dem Vorsatze, ein bloß vorläufiges Urteil nicht zu einem bestimmenden werden zu lassen. Ein vorläufiges Urteil ist ein solches, wodurch ich mir vorstelle, daß zwar mehr Gründe für die Wahrheit einer Sache, als wider dieselbe da sind, daß aber diese Gründe noch nicht zureichen zu einem bestimmenden oder definitiven Urteile, dadurch ich geradezu für die Wahrheit entscheide. Das vorläufige Urteilen ist also ein mit Bewußtsein bloß problematisches Urteilen.
Die Zurückhaltung des Urteils kann in zwiefacher Absicht geschehen; entweder, um die Gründe des bestimmenden Urteils aufzusuchen; oder um niemals zu urteilen. Im erstem Falle heißt die Aufschiebung des Urteils eine kritische (suspensio iudicii indagatoria), im letztern eine skeptische (suspensio iudicii sceptica). Denn der Skeptiker tut auf alles Urteilen Verzicht, der wahre Philosoph dagegen suspendiert bloß sein Urteil, wofern er noch nicht genügsame Gründe hat, etwas für wahr zu halten. —
Sein Urteil nach Maximen zu suspendieren, dazu wird eine geübte Urteilskraft erfordert, die sich nur bei zunehmendem Alter findet. Überhaupt ist die Zurückhaltung unsers Beifalls eine sehr schwere Sache, teils weil unser Verstand so begierig ist, durch Urteilen sich zu erweitern und mit Kenntnissen zu bereichern, teils weil unser Hang immer auf gewisse Sachen mehr gerichtet ist, als auf andre. — Wer aber seinen Beifall oft hat zurücknehmen müssen und dadurch klug und vorsichtig geworden ist, wird ihn nicht so schnell geben, aus Furcht, sein Urteil in der Folge wieder zurücknehmen zu müssen. Dieser Widerruf ist immer eine Kränkung und eine Ursache, auf alle andre Kenntnisse ein Mißtrauen zu setzen.
Noch bemerken wir hier: daß es etwas anders ist, sein Urteil in dubio, als, es in suspenso zu lassen. Bei diesem habe ich immer ein Interesse für die Sache; bei jenem aber ist es nicht immer meinem Zwecke und Interesse gemäß zu entscheiden, ob die Sache wahr sei oder nicht.
Die vorläufigen Urteile sind sehr nötig, ja unentbehrlich für den Gebrauch des Verstandes bei allem Meditieren und Untersuchen. Denn sie dienen dazu, den Verstand bei seinen Nachforschungen zu leiten und ihm hierzu verschiedene Mittel an die Hand zu geben.
Wenn wir über einen Gegenstand meditieren, müssen wir immer schon vorläufig urteilen und das Erkenntnis gleichsam schon wittern, das uns durch die Meditation zu Teil werden wird. Und wenn man auf Erfindungen oder Entdeckungen ausgeht, muß man sich immer einen vorläufigen Plan machen; sonst gehen die Gedanken bloß aufs Ohngefähr. — Man kann sich daher unter vorläufigen Urteilen Maximen denken zur Untersuchung einer Sache. Auch Antizipationen könnte man sie nennen, weil man sein Urteil von einer Sache schon antizipiert, noch ehe man das bestimmende hat. — Dergleichen Urteile haben also ihren guten Nutzen und es ließen sich sogar Regeln darüber geben, wie wir vorläufig über ein Objekt urteilen sollen.
Vorurteile, deren Quellen und Hauptarten
Von den vorläufigen Urteilen müssen die Vorurteile unterschieden werden.
Vorurteile sind vorläufige Urteile, in so ferne sie als Grundsätze angenommen werden. — Ein jedes Vorurteil ist als ein Prinzip irriger Urteile anzusehen und aus Vorurteilen entspringen nicht Vorurteile, sondern irrige Urteile. — Man muß daher die falsche Erkenntnis, die aus dem Vorurteil entspringt, von ihrer Quelle, dem Vorurteil selbst, unterscheiden. So ist z. B. die Bedeutung der Träume an sich selbst kein Vorurteil, sondern ein Irrtum, der aus der angenommenen allgemeinen Regel entspringt: Was einigemal eintrifft, trifft immer ein oder ist immer für wahr zu halten. Und dieser Grundsatz, unter welchen die Bedeutung der Träume mit gehört, ist ein Vorurteil.
Zuweilen sind die Vorurteile wahre vorläufige Urteile; nur daß sie uns als Grundsätze oder als bestimmende Urteile gelten, ist unrecht. Die Ursache von dieser Täuschung ist darin zu suchen, daß subjektive Gründe fälschlich für objektive gehalten werden, aus Mangel an Überlegung, die allem Urteilen vorher gehen muß. Denn können wir auch manche Erkenntnisse, z. B. die unmittelbar gewissen Sätze, annehmen, ohne sie zu untersuchen, d. h. ohne die Bedingungen ihrer Wahrheit zu prüfen: so können und dürfen wir doch über nichts urteilen, ohne zu überlegen, d. h. ohne ein Erkenntnis mit der Erkenntniskraft, woraus es entspringen soll (der Sinnlichkeit oder dem Verstande), zu vergleichen. Nehmen wir nun ohne diese Überlegung, die auch da nötig ist, wo keine Untersuchung statt findet, Urteile an: so entstehen daraus Vorurteile, oder Prinzipien zu urteilen aus subjektiven Ursachen, die fälschlich für objektive Gründe gehalten werden.
Die Hauptquellen der Vorurteile sind: Nachahmung, Gewohnheit und Neigung.
Die Nachahmung hat einen allgemeinen Einfluß auf unsre Urteile; denn es ist ein starker Grund, das für wahr zu halten, was andre dafür ausgegeben haben. Daher das Vorurteil : Was alle Welt tut, ist Recht. — Was die Vorurteile betrifft, die aus der Gewohnheit entsprungen sind, so können sie nur durch die Länge der Zeit ausgerottet werden, indem der Verstand, durch Gegengründe nach und nach im Urteilen aufgehalten und verzögert, dadurch allmählich zu einer entgegengesetzten Denkart gebracht wird. Ist aber ein Vorurteil der Gewohnheit zugleich durch Nachahmung entstanden: so ist der Mensch, der es besitzt, davon schwerlich zu heilen. — Ein Vorurteil aus Nachahmung kann man auch den Hang zum passiven Gebrauch der Vernunft nennen; oder zum Mechanism der Vernunft, statt der Spontaneität derselben unter Gesetzen.
Vernunft ist zwar ein tätiges Prinzip, das nichts von bloßer Autorität anderer, auch nicht einmal, wenn es ihren reinen Gebrauch gilt, von der Erfahrung entlehnen soll. Aber die Trägheit sehr vieler Menschen macht, daß sie lieber in anderer Fußtapfen treten, als ihre eigenen Verstandeskräfte anstrengen. Dergleichen Menschen können immer nur Kopien von andern werden, und wären alle von der Art, so würde die Welt ewig auf einer und derselben Stelle bleiben.
Es ist daher höchst nötig und wichtig: die Jugend nicht, wie es gewöhnlich geschieht, zum bloßen Nachahmen anzuhalten.
Es gibt so manche Dinge, die dazu beitragen, uns die Maxime der Nachahmung anzugewöhnen und dadurch die Vernunft zu einem fruchtbaren Boden von Vorurteilen zu machen. Zu dergleichen Hülfsmitteln der Nachahmung gehören
1) Formeln. — Dieses sind Regeln, deren Ausdruck zum Muster der Nachahmung dient. Sie sind übrigens ungemein nützlich zur Erleichterung bei verwickelten Sätzen und der erleuchtetste Kopf sucht daher dergleichen zu erfinden.
2) Sprüche, deren Ausdruck eine große Abgemessenheit eines prägnanten Sinnes hat, so daß es scheint, man könne den Sinn nicht mit weniger Worten umfassen. — Dergleichen Aussprüche (dieta), die immer von andern entlehnt werden müssen, denen man eine gewisse Unfehlbarkeit zutraut, dienen, um dieser Autorität willen, zur Regel und zum Gesetz. — Die Aussprüche der Bibel heißen Sprüche kat' exochen.
3) Sentenzen, d. i. Sätze, die sich empfehlen und ihr Ansehen oft Jahrhunderte hindurch erhalten, als Produkte einer reifen Urteilskraft durch den Nachdruck der Gedanken, die darin liegen.
4) Canones. — Dieses sind allgemeine Lehrsprüche, die den Wissenschaften zur Grundlage dienen und etwas Erhabenes und Durchdachtes andeuten. Man kann sie noch auf eine sententiöse Art ausdrücken, damit sie desto mehr gefallen.
5) Sprüchwörter (proverbia). — Dieses sind populäre Regeln des gemeinen Verstandes oder Ausdrücke zu Bezeichnung der populären Urteile desselben. — Da dergleichen bloß provinziale Sätze nur dem gemeinen Pöbel zu Sentenzen und Kanonen dienen: so sind sie bei Leuten von feinerer Erziehung nicht anzutreffen.
Fußnoten Kant
I) Vorurteile des Ansehens. — Zu diesen ist zu rechnen:
a) das Vorurteil des Ansehens der Person. — Wenn wir in Dingen, die auf Erfahrung und Zeugnissen beruhen, unsre Erkenntnis auf das Ansehen andrer Personen bauen: so machen wir uns dadurch keiner Vorurteile schuldig; denn in Sachen dieser Art muß, da wir nicht alles selbst erfahren, und mit unserm eigenen Verstande umfassen können, das Ansehen der Person die Grundlage unsrer Urteile sein. — Wenn wir aber das Ansehen anderer zum Grunde unsers Fürwahrhaltens in Absicht auf Vernunfterkenntnisse machen: so nehmen wir diese Erkenntnisse auf bloßes Vorurteil an. Denn Vernunftwahrheiten gelten anonymisch; hier ist nicht die Frage: Wer hat es gesagt, sondern was hat er gesagt? Es liegt nichts daran, ob ein Erkenntnis von edler Herkunft ist; aber dennoch ist der Hang zum Ansehen großer Männer sehr gemein, teils wegen der Eingeschränktheit eigner Einsicht, teils aus Begierde, dem nachzuahmen, was uns als groß beschrieben wird. Hierzu kommt noch: daß das Ansehen der Person dazu dient, unsrer Eitelkeit auf eine indirekte Weise zu schmeicheln. So wie nämlich die Untertanen eines mächtigen Despoten stolz darauf sind, daß sie nur alle gleich von ihm behandelt werden, indem der Geringste mit dem Vornehmsten in so ferne sich gleich dünken kann, als sie beide gegen die unumschränkte Macht ihres Beherrschers nichts sind: so beurteilen sich auch die Verehrer eines großen Mannes als gleich, so fern die Vorzüge, die sie unter einander selbst haben mögen, gegen die Verdienste des großen Mannes betrachtet, für unbedeutend zu achten sind. — Die hochgepriesenen großen Männer tun daher dem Hange zum Vorurteile des Ansehens der Person aus mehr als einem Grunde keinen geringen Vorschub.
b) Das Vorurteil des Ansehens der Menge. — Zu diesem Vorurteil ist hauptsächlich der Pöbel geneigt. Denn da er die Verdienste, die Fähigkeiten und Kenntnisse der Person nicht zu beurteilen vermag: so hält er sich lieber an das Urteil der Menge, unter der Voraussetzung, daß das, was alle sagen, wohl wahr sein müsse. Indessen bezieht sich dieses Vorurteil bei ihm nur auf historische Dinge; in Religionssachen, bei denen er selbst interessiert ist, verläßt er sich auf das Urteil der Gelehrten.
Es ist überhaupt merkwürdig, daß der Unwissende ein Vorurteil für die Gelehrsamkeit hat und der Gelehrte dagegen wiederum ein Vorurteil für den gemeinen Verstand. —
Wenn dem Gelehrten, nachdem er den Kreis der Wissenschaften schon ziemlich durchgelaufen ist, alle seine Bemühungen nicht die gehörige Genugtuung verschaffen: so bekommt er zuletzt ein Mißtrauen gegen die Gelehrsamkeit, insbesondre in Ansehung solcher Spekulationen, wo die Begriffe nicht sinnlich gemacht werden können, und deren Fundamente schwankend sind, wie z. B. in der Metaphysik. Da er aber doch glaubt, der Schlüssel zur Gewißheit über gewisse Gegenstände müsse irgendwo zu finden sein: so sucht er ihn nun beim gemeinen Verstande, nachdem er ihn so lange vergebens auf dem Wege des wissenschaftlichen Nachforschens gesucht hatte.
Allein diese Hoffnung ist sehr trüglich; denn wenn das kultivierte Vernunftvermögen in Absicht auf die Erkenntnis gewisser Dinge nichts ausrichten kann, so wird es das unkultivierte sicherlich eben so wenig. In der Metaphysik ist die Berufung auf die Aussprüche des gemeinen Verstandes überall ganz unzulässig, weil hier kein Fall in concreto kann dargestellt werden. Mit der Moral hat es aber freilich eine andre Bewandtnis. Nicht nur können in der Moral alle Regeln in concreto gegeben werden, sondern die praktische Vernunft offenbart sich auch überhaupt klärer und richtiger durch das Organ des gemeinen als durch das des spekulativen Verstandesgebrauchs. Daher der gemeine Verstand über Sachen der Sittlichkeit und Pflicht oft richtiger urteilt als der spekulative.
c) Das Vorurteil des Ansehens des Zeitalters. — Hier ist das Vorurteil des Altertums eines der bedeutendsten. — Wir haben zwar allerdings Grund, vom Altertum günstig zu urteilen; aber das ist nur ein Grund zu einer gemäßigten Achtung, deren Grenzen wir nur zu oft dadurch überschreiten, daß wir die Alten zu Schatzmeistern der Erkenntnisse und Wissenschaften machen, den relativen Wert ihrer Schriften zu einem absoluten erheben und ihrer Leitung uns blindlings anvertrauen. — Die Alten so übermäßig schätzen heißt: den Verstand in seine Kinderjahre zurückführen und den Gebrauch des selbsteigenen Talentes vernachlässigen. — Auch würden wir uns sehr irren, wenn wir glaubten, daß alle aus dem Altertum so klassisch geschrieben hätten, wie die, deren Schriften bis auf uns gekommen sind. Da nämlich die Zeit alles sichtet und nur das sich erhält, was einen innern Wert hat: so dürfen wir nicht ohne Grund annehmen, daß wir nur die besten Schriften der Alten besitzen.
Es gibt mehrere Ursachen, durch die das Vorurteil des Altertums erzeugt und unterhalten wird. —
Wenn etwas die Erwartung nach einer allgemeinen Regel übertrifft: so verwundert man sich anfangs darüber und diese Verwunderung geht sodann oft in Bewunderung über. Dieses ist der Fall mit den Alten, wenn man bei ihnen etwas findet, was man, in Rücksicht auf die Zeitumstände, unter welchen sie lebten, nicht suchte. — Eine andre Ursache liegt in dem Umstande, daß die Kenntnis von den Alten und dem Altertum eine Gelehrsamkeit und Belesenheit beweist, die sich immer Achtung erwirbt, so gemein und unbedeutend die Sachen an sich selbst sein mögen, die man aus dem Studium der Alten geschöpft hat. — Eine dritte Ursache ist die Dankbarkeit, die wir den Alten dafür schuldig sind, daß sie uns die Bahn zu vielen Kenntnissen gebrochen. Es scheint billig zu sein, ihnen dafür eine besondre Hochschätzung zu beweisen, deren Maß wir aber oft überschreiten. — Eine vierte Ursache ist endlich zu suchen in einem gewissen Neide gegen die Zeitgenossen. Wer es mit den Neuern nicht aufnehmen kann, preiset auf Unkosten derselben die Alten hoch, damit sich die Neuern nicht über ihn erheben können. —
Das entgegengesetzte von diesem ist das Vorurteil der Neuigkeit. — Zuweilen fiel das Ansehen des Altertums und das Vorurteil zu Gunsten desselben; insbesondre im Anfange dieses Jahrhunderts, als der berühmte Fontenelle sich auf die Seite der Neuern schlug. — Bei Erkenntnissen, die einer Erweiterung fähig sind, ist es sehr natürlich, daß wir in die Neuern mehr Zutrauen setzen, als in die Alten. Aber dieses Urteil hat auch nur Grund als ein bloßes vorläufiges Urteil. Machen wir es zu einem bestimmenden: so wird es Vorurteil.
2) Vorurteile aus Eigenliebe oder logischem Egoismus,
nach welchem man die Übereinstimmung des eigenen Urteils mit den Urteilen
anderer für ein entbehrliches Kriterium der Wahrheit hält. —
Sie sind den Vorurteilen des Ansehens entgegen gesetzt, da sie sich in
einer gewissen Vorliebe für das äußern, was ein Produkt
des eigenen Verstandes ist, z. B. des eigenen Lehrgebäudes.
* * *
Ob es gut und ratsam sei, Vorurteile stehen zu lassen oder sie wohl
gar zu begünstigen? — Es ist zum Erstaunen, daß in unserm Zeitalter
dergleichen Fragen, besonders die wegen Begünstigung der Vorurteile,
noch können aufgegeben werden. Jemandes Vorurteile begünstigen
heißt eben so viel als jemanden in guter Absicht betrügen. —
Vorurteile unangetastet lassen ginge noch an; denn wer kann sich damit
beschäftigen, eines jeden Vorurteile aufzudecken und wegzuschaffen?
Ob es aber nicht ratsam sein sollte, an ihrer Ausrottung mit allen Kräften
zu arbeiten? — das ist doch eine andre Frage. Alte und eingewurzelte Vorurteile
sind freilich schwer zu bekämpfen, weil sie sich selbst verantworten
und gleichsam ihre eigenen Richter sind. Auch sucht man das Stehenlassen
der Vorurteile damit zu entschuldigen, daß aus ihrer Ausrottung Nachteile
entstehen würden. Aber man lasse diese Nachteile nur immer zu; — in
der Folge werden sie desto mehr Gutes bringen.
________________
FN* Das
Glauben ist kein besonderer Erkenntnisquell. Es ist eine Art des mit Bewußtsein
unvollständigen Fürwahrhaltens, und unterscheidet sich, wenn
es, als auf besondre Art Objekte (die nur fürs Glauben gehören)
restringiert, betrachtet wird, vom Meinen nicht durch den Grad, sondern
durch das Verhältnis, was es als Erkenntnis zum Handeln hat. So bedarf
z. B. der Kaufmann, um einen Handel einzuschlagen, daß er nicht bloß
meine, es werde dabei was zu gewinnen sein, sondern daß er's glaube,
d. i. daß seine Meinung zur Unternehmung aufs Ungewisse zureichend
sei. — Nun haben wir theoretische Erkenntnisse (vom Sinnlichen), darin
wir es zur Gewißheit bringen können und in Ansehung alles dessen,
was wir menschliches Erkenntnis nennen können, muß das letztere
möglich sein. Eben solche gewisse Erkenntnisse und zwar gänzlich
a priori haben wir in praktischen Gesetzen; allein diese gründen sich
auf ein übersinnliches Prinzip (der Freiheit) und zwar in uns selbst,
als ein Prinzip der praktischen Vernunft. Aber diese praktische Vernunft
ist eine Kausalität in Ansehung eines gleichfalls übersinnlichen
Objekts, des höchsten Guts, welches in der Sinnenwelt durch
unser Vermögen nicht möglich ist. Gleichwohl muß die Natur
als Objekt unsrer theoretischen Vernunft dazu zusammen stimmen; denn es
soll in der Sinnenwelt die Folge oder Wirkung von dieser
Idee angetroffen werden. — Wir sollen also handeln, um diesen Zweck wirklich
zu machen.
Wir finden in der Sinnenwelt auch Spuren einer Kunstweisheit; und nun glauben wir: die Weltursache wirke auch mit moralischer Weisheit zum höchsten Gut. Dieses ist ein Fürwahrhalten, welches genug ist zum Handeln, d. i. ein Glaube. — Nun bedürfen wir diesen nicht zum Handeln nach moralischen Gesetzen, denn die werden durch praktische Vernunft allein gegeben; aber wir bedürfen der Annahme einer höchsten Weisheit zum Objekt unsers moralischen Willens, worauf wir außer der bloßen Rechtmäßigkeit unserer Handlungen nicht umhin können unsre Zwecke zu richten. Obgleich dieses objektiv keine notwendige Beziehung unsrer Willkür wäre: so ist das höchste Gut doch subjektiv notwendig das Objekt eines guten (selbst menschlichen) Willens, und der Glaube an die Erreichbarkeit desselben wird dazu notwendig vorausgesetzt.
Zwischen der Erwerbung einer Erkenntnis durch Erfahrung (a posteriori) und durch die Vernunft (a priori) gibt es kein Mittleres. Aber zwischen der Erkenntnis eines Objekts und der bloßen Voraussetzung der Möglichkeit desselben gibt es ein Mittleres, nämlich einen empirischen oder einen Vernunftgrund, die letztere anzunehmen in Beziehung auf eine notwendige Erweiterung des Feldes möglicher Objekte über diejenige, deren Erkenntnis uns möglich ist. Diese Notwendigkeit findet nur in Ansehung dessen statt, da das Objekt als praktisch und durch Vernunft praktisch notwendig erkannt wird; denn zum Behuf der bloßen Erweiterung der theoretischen Erkenntnis etwas anzunehmen, ist jederzeit zufällig. — Diese praktisch notwendige Voraussetzung eines Objekts ist die der Möglichkeit des höchsten Guts als Objekts der Willkür, mithin auch der Bedingung dieser Möglichkeit (Gott, Freiheit und Unsterblichkeit). Dieses ist eine subjektive Notwendigkeit, die Realität des Objekts um der notwendigen Willensbestimmung halber anzunehmen. Dies ist der casus extraordinarius, ohne welchen die praktische Vernunft sich nicht in Ansehung ihres notwendigen Zwecks erhalten kann, und es kommt ihr hier favor necessitatis zu statten in ihrem eigenen Urteil. — Sie kann kein Objekt logisch erwerben, sondern sich nur allein widersetzen1), was sie im Gebrauch dieser Idee, die ihr praktisch angehört, hindert.
Dieser Glaube ist die Notwendigkeit, die objektive Realität eines Begriffs (vom höchsten Gut), d. i. die Möglichkeit seines Gegenstandes, als a priori notwendigen Objekts der Willkür anzunehmen. — Wenn wir bloß auf Handlungen sehen: so haben wir diesen Glauben nicht nötig. Wollen wir aber durch Handlungen uns zum Besitz des dadurch möglichen Zwecks erweitern: so müssen wir annehmen, daß dieser durchaus möglich sei. — Ich kann also nur sagen: Ich sehe mich durch meinen Zweck nach Gesetzen der Freiheit genötiget, ein höchstes Gut in der Welt als möglich anzunehmen, aber ich kann keinen andern durch Gründe nötigen (der Glaube ist frei).
Der Vernunftglaube kann also nie aufs theoretische Erkenntnis gehen; denn da ist das objektiv unzureichende Fürwahrhalten bloß Meinung. Er ist bloß eine Voraussetzung der Vernunft in subjektiver, aber absolutnotwendiger praktischer Absicht. Die Gesinnung nach moralischen Gesetzen führt auf ein Objekt der durch reine Vernunft bestimmbaren Willkür. Das Annehmen der Tunlichkeit dieses Objekts und also auch der Wirklichkeit der Ursache dazu ist ein moralischer Glaube oder ein freies und in moralischer Absicht der Vollendung seiner Zwecke notwendiges Fürwahrhalten. —
_______________________
FN**
Diese praktische Überzeugung ist also der moralische Vernunftglaube,
der allein im eigentlichsten Verstande ein Glaube genannt und als solcher
dem Wissen und aller theoretischen oder logischen Überzeugung überhaupt
entgegen gesetzt werden muß, weil er nie zum Wissen sich erheben
kann. Der sogenannte historische Glaube dagegen darf, wie schon bemerkt,
nicht von dem Wissen unterschieden werden, da er, als eine Art des theoretischen
oder logischen Fürwahrhaltens, selbst ein Wissen sein kann. Wir können
mit derselben Gewißheit eine empirische Wahrheit auf das Zeugnis
anderer annehmen, als wenn wir durch Facta der eigenen Erfahrung dazu gelangt
wären. Bei der erstem Art des empirischen Wissens ist etwas Trügliches,
aber auch bei der letztern. —
Das historische oder mittelbare empirische Wissen beruht auf der Zuverlässigkeit der Zeugnisse. Zu den Erfordernissen eines unverwerflichen Zeugen gehört: Authentizität (Tüchtigkeit) und Integrität.
_______________________
FN***
Fides ist eigentlich Treue im Pacto oder subjektives Zutrauen zu einander,
daß einer dem andern sein Versprechen halten werde — Treue und
Glauben. Das erste, wenn das Pactum gemacht ist; das zweite, wenn man
es schließen soll. —
Nach der Analogie ist die praktische Vernunft gleichsam der Promittent, der Mensch der Promissarius, das erwartete Gute aus der Tat das Promissum.
1) Akad.-Ausg.: »allein dem widersetzen«.
Quelle: https://www.textlog.de/kant-logik-modi-wissen.html
Immanuel Kant Logik Einleitung IX. D) Logische Vollkommenheit des Erkenntnisses
der Modalität nach - Gewissheit
Ende Kant
Vierzehntes Kapitel.
Von der Meinung
[275] § 1. (Da unser Wissen nicht ausreicht, brauchen wir noch etwas Anderes.) Da der Verstand dem Menschen nicht blos zu wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern auch zu seiner Führung im Leben gegeben ist, so würde er in grosser Verlegenheit sich befinden, wenn nur die Gewissheit wahren Wissens ihn zu leiten vermöchte. Bei dessen Dürftigkeit und Beschränktheit wäre er dann oft in der Finsterniss, und bei den meisten Handlungen seines Lebens in Verlegenheit, wenn er nichts hätte, was ihn in Mangel klaren und sichern Wissens leiten könnte. Wer nicht essen mag, bevor ihm nicht bewiesen worden, dass er davon ernährt werde; wer sich nicht bewegen mag, ehe er nicht sicher weiss, das Geschäft, was er vorhat, werde gelingen, wird wenig mehr anfangen können, als still zu sitzen und umzukommen.
§ 2. (Wozu man diesen Zustand des Zwielichts benutzen kann.) Gott hat sonach manche Dinge in das helle Tageslicht für uns gestellt, indem er uns einiges sichere Wissen gegeben hat, was freilich nur auf vergleichweise wenige Dinge beschränkt ist; wahrscheinlich ist es geschehen als Probe dessen, was geistige Wesen vermögen, und um damit in uns das Verlangen und Streben nach einem bessern Zustande zu erwecken. [275] Aber in den meisten Dingen, die uns angehn, hat Gott uns nur in die Dämmerung, so zu sagen, der Wahrscheinlichkeit gestellt, wie es nach meinem Vermuthen für den Zustand der Mittelmässigkeit und Prüfung passt, in den wir hier gestellt sind, damit unsere zu grosse Zuversicht erschüttert, und wir durch die tägliche Erfahrung belehrt werden, wie kurzsichtig wir sind und wie ausgesetzt dem Irrthume. Indem wir dies erkennen, soll es eine stete Ermahnung für uns sein, die Tage dieser Pilgerschaft fleissig und sorgfältig zur Aufsuchung und Verfolgung des Weges anzuwenden, der uns zu grösserer Vollkommenheit führen kann. Selbst wenn die Offenbarung hier nicht spräche, wäre die Annahme vernünftig, dass, nachdem der Mensch die ihm von Gott verliehenen Gaben hier verwendet, er den Lohn am Abend jenes Tages empfangen werde, wo die Sonne sich schliesst, und die Nacht allem Thun ein Ende macht.
§ 3. (Das Meinen ersetzt den Mangel des Wissens.) Das Vermögen, was Gott dem Menschen als Ersatz für den Mangel sichern Wissens, wo dieses nicht möglich ist, gegeben hat, ist das Meinen. Die Seele hält hier die Vorstellungen für übereinstimmend oder widersprechend, oder, was dasselbe ist, einen Satz für wahr oder falsch, ohne dass sie in den Gründen einen zwingenden Beweis dafür sieht. Die Seele übt manchmal dieses Meinen nur aus Noth, wenn klare Beweise und sicheres Wissen nicht zu haben sind; manchmal aber aus Trägheit, Ungeschick oder Eilfertigkeit auch da, wo Beweise und sichere Gründe zu haben wären. Man prüft oft nicht mühsam die Uebereinstimmung oder den Widerstreit zweier Vorstellungen, die man erkennen möchte; entweder ist man unfähig, die lange Reihe von Gründen aufmerksam zu verfolgen, oder es wird aus Ungeduld nur darüber hingeblickt, oder die Gründe werden ganz übersehen. Die Untersuchung des Beweises wird dann nicht vollendet, und man entscheidet über die Uebereinstimmung oder den Widerstreit der beiden Vorstellungen gleichsam nur aus der Ferne und nimmt das Eine oder das Andere an, wie es bei einem so flüchtigen Blicke am wahrscheinlichsten erscheint. Dieses Vermögen heisst das Meinen, wenn es unmittelbar für Dinge geübt wird; für die durch Worte mitgetheilten Wahrheiten [276] heisst es meist Zustimmung oder Widerspruch. Da die Seele in diesen beiden Arten am meisten Anlass hat, dieses Vermögen zu gebrauchen, so will ich die Untersuchung nach diesen Bezeichnungen, die am wenigsten dem Missverständnis unterliegen, führen.
§ 4. (Das Meinen ist ein Vermuten über Dinge, ohne dass man sie wahrnimmt.) Somit hat die Seele zwei Vermögen in Bezug auf Wahrheit und Unwahrheit; das eine ist das Wissen, wo man sicher auffasst und vollständig von der Übereinstimmung oder dem Widerspruch zweier Vorstellungen überzeugt ist; das andere ist aus Meinen, wo die Seele Vorstellungen verbindet oder trennt, obgleich deren Übereinstimmung oder Gegensatz nicht sicher erkannt ist, sondern nur angenommen wird, ohne dass eine Gewissheit dafür vorhanden ist. Geschieht diese Verbindung oder Trennung, so wie die Dinge sich wirklich verhalten, so ist es ein richtiges Meinen.
Quelle: John Locke: Versuch über
den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 2, Berlin 1872, S.
275-277.
Permalink: https://www.zeno.org/nid/20009208569 Lizenz:
Gemeinfrei
Mittelstrass (1984) Meinung in
der Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, EWTP
(1984), Bd. 2:
Meinung (griech. ..., lat. opinio, engl./franz.
opinion), im Gegensatz zu >Wissen, ebenso wie Glaube (> Glaube (philosophisch)),
eine häufig subjektive Orientierungsweise ohne methodische Begründungen,
die stets unter Irrtumsverdacht (> Irrtum) steht und gleichwohl >Gewißheit
(in Form von subjektiver Gewißheit) beanspruchen kann. M.
unterliegt daher auch im Unterschied zum Wissen keinem strengen Überprüfbarkeitspostulat;
von ihr wird erwartet, daß sie plausibel, wenn auch nicht vollständig
begründet bzw. begründbar ist.
In der philosophischen Tradition ist mit dem Begriff
der M. in der Regel eine Skalierung von Gewißheiten verbunden,
die im Sinne eines > polar-konträren Gegensatzes zwischen M.
und Wissen von den (bloßen) M.en über
Formen der Überzeugung zu begründetem Wissen reicht. Maßgebend
dafür ist Platons im Rahmen der > Ideenlehre (>ldee (historisch))
vorgenommene Einordnung der M. (Doxa) zwischen
Wissen und Nichtwissen (vgl. Pol. 447b, 478a) und der dabei gebildete (wohl
schon Sokratische) Begriff der »richtigen M.« ..., der
in weiter ausgearbeiteter Form als >Orthos logos den konzeptionellen Kern
der Aristotelischen Ethik bildet. Für die Platonische Auffassung ist
es dabei charakteristisch, daß M. einerseits
durch ihren »Abstand« zum Wissen bestimmt wird, andererseits
in gewissen pragmatischen Zusammenhängen, die etwa politischer oder
juristischer >Urteilskraft unterliegen, durch Wissen nicht ersetzt werden
kann (vgl. W. Wieland 1982, 289). Die vor allem im >Liniengleichnis explizierte
»erkenntnistheoretische« Reihung Einsicht (>Nus) - Wissen -
Wahrnehmung wird in der Entwicklung der Ideenlehre zur >Ideenzahlenlehre
mit der »mathematischen« Reihung Zahl - Linie - Fläche
- Körper bei der Bildung der >Weltseele im »Timaios« parallelisiert
(vgl. Arist, de an. A2.404bl6ff.). Bei Aristoteles geht im erkenntnistheoretischen
Rahmen M. auf das, »was auch anders sein
kann« (Met. Z15.1040al); im Rahmen der >Syllogistik ist der sogenannte
»dialektische Syllogismus« (>Syllogismus, dialektischer) dadurch
definiert, daß über die Geltung der Prämissen nur mehr
oder weniger begründete, vom Argumentationskontext und den Orientierungen
der Beteiligten abhängige M.en gebildet
werden können. Die Stoa definiert Erkenntnis über den Begriff
der >Katalepsis als zwischen (theoretischem) Wissen und M.
im Platonischen Sinne stehend (vgl. Sextus Empiricus, Adv. Math. VII, 151-152
[ = SVF II, 90]).
Die platonisch-aristotelischen Bestimmungen von M.
und Wissen bleiben in der weiteren philosophischen Entwicklung im wesentlichen
unverändert. Sie werden z.B. lexikalisch auch in der neuzeitlichen
Philosophie festgehalten (vgl. J. E. Walch, Philosophisches Lexicon [1726],
I-II, Leipzig *1775 [repr. Hildesheim 1968], II, 87-88) und von I. Kant
auf die Unterscheidungen zwischen M. als einem
subjektiv und objektiv unzureichenden Fürwahrhalten, Glauben als einem
zwar subjektiv zureichenden, aber objektiv unzureichenden Fürwahrhalten
und Wissen als einem sowohl subjektiv als auch objektiv zureichenden Fürwahrhalten
gebracht (KrV B 850f.). Entsprechend ist man nach Kant bei der M.
»noch frei (problematisch), beim Glauben assertorisch (man erklärt
sich), beim Wissen apodiktisch (unwiderruflich)« (Reflexionen zur
Logik, Akad.-Ausg. XVI, 372f. [Nr. 2449]). Auch für G. W. F. Hegel
steht M. als Ausdruck der >Unmittelbarkeit, zwischen Nichtwissen
und Wissen (vgl. Phänom. des Geistes, Sämtl. Werke II, 84ff.),
darin zugleich (auf dem Hintergrund der Hegelschen Vorstellung von >Philosophiegeschichte)
ungeeignet, philosophische Entwicklungen zu charakterisieren (»Eine
M.
ist eine subjektive Vorstellung, ein beliebiger Gedanke, eine Einbildung,
die ich so oder so, und ein Anderer anders haben kann; - eine M.
ist mein, sic ist nicht ein in sich allgemeiner, an und für sich seiender
Gedanke. Die Philosophie aber enthält keine M.en,
- es gibt keine philosophischen M.en«, Vorles. Gesell. Philos.,
Sämtl. Werke XVII, 40). Probleme der >Intentionalität
(im Sinne der Gerichtetheit aller Bewußtseinsakte auf einen Gehalt)
bilden bei F. Brentano und in der >Phänomenologie E. Husserls einen
neuen Schwerpunkt der begrifflichen Analyse von M.
und Wissen, desgleichen (im Anschluß an L. Wittgenstein) sprachanalytische
Rekonstruktionen im Begriffsfeld »wissen«,
»glauben« und »meinen«
(>Termini, noologische). Im Rahmen der epistemischen Logik (> Logik,
epistemische) bildet der Begriff der M. (in der Regel nicht unterschieden
vom Begriff des Glaubens, engl, belief) den Gegenstand der sogenannten
»doxastischen Logik«, d.h. einer Logik der Glaubensaussagen
im Unterschied zu einer Logik der Wissensaussagen (epistemische Logik im
engeren Sinne). Dabei wird häufig eine definitorische Reduktion der
doxastischen auf die epistemische Logik (im engeren Sinne) vorgeschlagen
(>a weiß glaubt A und A ist der Fall«).
Literatur: A. Diemer. Meinen, M„ Hist.
Wb. Ph. V (1980). 1017-1023; T. Ebert, M. und Wissen in der Philosophie
Platons. Untersuchungen zum »Charmides«,,
»Menon«, und »Staat«, Berlin/New
York 1974; J. Hintikka, Knowledge and Belief. An Introduction to the Logic
of the Two Notions, Ithaca N.Y. 1962; Y. Lafrance, La théorie platonicienne
de la doxa, Montreal, Paris 1981; J. Sprute, Der Begriff der Doxa in der
platonischen Philosophie, Göttingen 1962; E. Tielsch, Die Platonischen
Versionen der griechischen Doxalehre. Ein philosophisches Lexikon mit Kommentar,
Meisenheim 1970; W. Wieland, Platon und die Formen des Wissens, Göttingen
1982, bes. 280ff.; weitere Literatur unter den Stichwörtern, auf die
im Text verwiesen wird. J.M.
Materialien zum realen Sprachgebrauch des Meinens
Überblick Sprachgebrauch in der deutschen Sprache
persönliche Ansicht, Überzeugung, Einstellung
o. Ä., die jemand in Bezug auf jemanden, etwas hat (und die sein Urteil
bestimmt)
Beispiele
Wendungen, Redensarten, Sprichwörter
jemandem die/(seltener:) seine Meinung sagen/(salopp:) geigen (jemandem
unmissverständlich seinen Unwillen zu erkennen geben; jemanden wegen
etwas scharf zurechtweisen) im Bewusstsein der Allgemeinheit [vor]herrschende
Auffassungen hinsichtlich bestimmter [politischer] Sachverhalte
Beispiele
Meinung
9.2
9.12
9.14
9.17
12.4
12.22
12.24
13.17
19.15
— beibringen 12.33
— beitreten, einer 12.47
—, die gute — verlieren 16.33
—, die — erschüttern 9-7
—.eigene 12.22 —, eine gute — von jem. haben 16.30 —, fremde 9.7
— gründen 12.22
— hegen 12.22
— hohe 16.30
— huldigen, einer 12.22
— jem. ordentlich die — sagen 16.33
— kundgeben 12.49
— meiner 12.22
13.48
—.öffentliche 16.95
Meinungsaustausch 13.30
Meinungsverschiedenheit 12.48
16.67
Meinungswechsel 9.9
12.22
Begründen
12.15
Gebrauchsbeispiele
in wissenschaftlichen Texten
Fette Hervorhebung zum schneller Erkennen in 14pt Schrift RS.
AristotelesNikomEthik Verwendung
des Ausdrucks meinen in der Nikomachischen Ethik
1. Kritik herrschender Ansichten
[161] Nun sind manche der Meinung, keine
Art von Lustgefühl sei ein Gut; sie sei es weder an sich noch unter
besonderen Umständen; denn ein Gut sein und Quelle der Lust sein sei
nicht dasselbe. Andere meinen, es gebe zwar Lustgefühle die schätzbar
seien; die meisten aber seien nichts wert. Eine dritte Ansicht kommt dazu,
wonach, mögen auch alle Lustgefühle etwas Gutes sein, die Lust
gleichwohl unmöglich das höchste Gut sein kann.
Quelle: Aristoteles: Nikomachische
Ethik. Jena 1909, S. 161-164. Permalink: https://www.zeno.org/nid/20009150684
Lizenz: Gemeinfrei Kategorien: Attische Philosophie
__
Aristoteles/Organon/Ueber die
sophistischen Widerlegungen/33. Kapitel [Philosophie]
... auf ein Nebensächliches sich stützen, aber nach der Meinung
des Anderen auf die Ausdrucksweise und nach der Meinung
eines Dritten wieder auf Anderes, weil es nicht gleich klar ... ... Eine
für alles dasselbe bedeuten, oder Verschiedenes. Manche meinen,
beide Worte bezeichneten dasselbe; Andere lösen die Begründung
...
Quelle: Volltext Philosophie: Aristoteles:
Sophistische Widerlegungen. Heidelberg 1883, S. 61-64.: 33. Kapitel
https://www.zeno.org/Philosophie/M/Aristoteles/Organon/Ueber+die+sophistischen+Widerlegungen/33.+Kapitel?hl=meinen+meinung
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Augustinus seine falsche Meinung über
die geistigen Dinge
XV.
Nicht sah ich ein, daß das Wesentliche des Schönen in deiner
kunstvollen Vorsehung liege, Allmächtiger, der du allein Bewundernswerthes
hervorbringst. Die einzelnen Körperformen durchgehend, versuchte ich
zu erklären, zu unterscheiden und mit [82] Beispielen zu belegen,
was schön an sich ist und was durch sein einem Andern Angepasstes
schicklich ist. Hierauf wandte ich mich zur Betrachtung der Natur der Seele;
aber meine falsche Meinung über die geistigen
Dinge ließ mich auch hier das Wahre nicht erkennen. Nur das Sinnliche
hielt ich für wahr, daher richtete ich meinen schwankenden Verstand
statt aufs Körperliche, seine Umrisse, Farben und Größen.
Und weil ich das am Geiste nicht schon konnte, so glaubte ich meinen Geist
nicht erkennen zu können.
Quelle: Augustinus: Die Bekenntnisse.
Stuttgart 41863, S. 63-89. Permalink: https://www.zeno.org/nid/20009151095
Lizenz: Gemeinfrei. https://www.zeno.org/Philosophie/M/Augustinus,+Aurelius/Bekenntnisse/Viertes+Buch?hl=meinen+meinung
__
BaconFrancis/Große Erneuerung der
Wissenschaften/Vorrede [Philosophie]
... Seele aufrecht erhalten, sowohl gegen die Gewalt und die geordneten
Schlachtreihen der Meinung wie gegen die eigenen
und inneren Zweifel und Bedenken und gegen die Finsterniss ... ... Alterthums,
oder durch Anwendung der Autorität, auch nicht durch den Schleier
der Dunkelheit meinen Entdeckungen ein besonderes Ansehen zu geben und
zu ...
Quelle: Volltext Philosophie: Francis
Bacon's Neues Organon. Berlin 1870, S. 36-50.: Vorrede
https://www.zeno.org/Philosophie/M/Bacon,+Francis/Gro%C3%9Fe+Erneuerung+der+Wissenschaften/Vorrede?hl=meinen+meinung
__
Boehne 3.2 Umgang mit der Unendlichkeit,
aus: Auf dem Weg zu einer Definition der Mathematik. Forschungsseminar
(551): Was ist Mathematik? (2011), S. 12f
"3.2.3 Eigene Meinung
Für mich ist schon der Begriff 'Existenz' eine vage Floskel.
Zwar möchte ich der Existenz von Dingen im Allgemeinen nicht widersprechen,
aber diese Existenz besagt dann nur, dass irgendein Ding an sich irgendetwas
anderes auslöst, das bei mir wiederum durch den Filter der Wahrnehmung
zu einer Vorstellung wächst. Genaue Trennmöglichkeiten, also
insbesondere eine Aufzählung genau der Elemente eines solchen Dinges
scheinen mir nicht möglich. Mit anderen Worten: Schreibt man Mengen
eine reale Existenz zu, so kann meines Erachtens nicht zwischen {a,b,c}
und {{a, b}, c} unterschieden werden. Feststehende Mengen existieren daher
für mich weder im Endlichen noch im Unendlichen. Die mathematische
Handhabung stellt schon im Endlichen eine Idealisierung dar.
Wenn aber schon die mathematische Menge im Endlichen
eine Idealisierung darstellt, so ist der Schritt in die Unendlichkeit leicht
zu gehen. Ich verstehe sie als ein Gedankenspiel. Für dieses Gedankenspiel
sehe ich keinerlei grundsätzliche Begrenzungen. Ich kann mir sowohl
die Existenz solcher Mengen in diesem Sinne wie auch die Nichtexistenz
von ihnen in einem gewissen Sinne vorstellen. Auch der Argumentation, dass
man sich nur potentiell unendliche Mengen vorstellen könne, kann ich
nicht folgen. Ich möchte behaupten, dass ich mich mir die Menge der
reellen Zahlen (also eine überabzählbare Menge) weit besser vorstellen
kann als z.B. die Menge aller Kugelschreiber, obwohl letztere endlich ist.
Denn nicht die Konstruierbarkeit stellt den Prüfstein zur Denkbarkeit
dar, sondern die von der Konstruktion im Allgemeinen unabhängige Struktur,
die Beziehungen der Elemente untereinander usw.
Ich bin also der Auffassung, dass mathematische
Objekte stets Idealisierungen bilden, also eine mögliche Idee des
Verstandes bilden. Dies steht im Gegensatz zu Hilbert und Kant, bei denen
dies eine spezielle Eigenschaft des Unendlichen ist. Ich glaube aber auch,
dass es dem Verstand möglich ist, diese Ideen zu verneinen, d. h.
unendliche Mengen allgemein zu verneinen, bestimmte Eigenschaften unendlicher
Mengen zu verneinen (z.B. die Kontinuumshypothese) oder aber auch einfach
alle Inhalte zu verneinen (es gibt keine Objekte). Keine dieser Möglichkeiten
scheint mir per se mehr begründet zu sein als eine andere. Die Mathematik
sollte daher die verschiedenen Auffassungen über das Unendliche repräsentieren."
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Darwin, Charles/Über die Entstehung der
Arten/9. Bastardbildung [Philosophie]
... Vermengung aller organischen Formen miteinander zu verhindern.
Diese Meinung hat auf den ersten Blick gewiss
grosse Wahrscheinlichkeit für sich; denn in ... ... Nun wird bei künstlicher
Befruchtung der Pollen ebenso oft zufällig (wie ich aus meinen eigenen
Versuchen weiss) von den Antheren einer andern wie von ... ... Arten herrühren.
Im Ganzen aber bin ich der Meinung von PROSPER
LUCAS, welcher nach der Musterung einer ungeheuren ...
Quelle: Volltext Philosophie: Charles
Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl
oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein.
Stuttgart 1899, S. 319-357.: 9. Bastardbildung
https://www.zeno.org/Philosophie/M/Darwin,+Charles/%C3%9Cber+die+Entstehung+der+Arten/9.+Bastardbildung?hl=meinen+meinung
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Engels, Friedrich/Die Lage der arbeitenden
Klasse in England/Vorwort [Philosophie]
... vorliegender Schrift verarbeitet. Ich bin darauf vorbereitet, meinen
Standpunkt nicht nur, sondern auch die gegebenen Tatsachen von vielen Seiten
her ... ... die Klasse, welche in Frankreich und England direkt und in
Deutschland als »öffentliche Meinung«
indirekt im Besitze der Staatsmacht ist. So habe ich auch die Ausdrücke
...
Quelle: Volltext Philosophie: Karl
Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 232-235,237.: Vorwort
https://www.zeno.org/Philosophie/M/Engels,+Friedrich/Die+Lage+der+arbeitenden+Klasse+in+England/Vorwort?hl=meinen+meinung
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Feuerbach, Ludwig/Grundsätze der Philosophie
der Zukunft [Philosophie]
... dem Wesen ist Wesen als Objekt gegeben. Die Meinung
hat nach Plato nur die unbeständigen Dinge zum Objekt, aber darum
ist sie selbst das unbeständige, veränderliche Wissen – eben
nur Meinung. Das Wesen der Musik ist dem Musiker das höchste Wesen
... ... ist folglich kein kritischer Unterschied zwischen dem Gegenstand
und meinen Gedanken von ihm. Aber wenn es sich lediglich um ...
Quelle: Volltext von »Grundsätze
der Philosophie der Zukunft«. Ludwig Feuerbach: Kleine philosophische
Schriften (1842-1845). Leipzig 1950, S. 87-171. https://www.zeno.org/Philosophie/M/Feuerbach,+Ludwig/Grunds%C3%A4tze+der+Philosophie+der+Zukunft?hl=meinen+meinung
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Freytag-Löringhoff
Logik ihr System und ihr Verhältnis zur Logistik.
S. 24: "Die erste Unterscheidung
ist ontologisch und jedenfalls nicht logisch. Versteht man nämlich
als konkret das ontologisch Selbständige, das, was für sich selbst
bestehen und gemeint werden kann, wie ein Mensch
oder ein Haus, so heißt abstrakt alles, was nur an Anderem existieren
und nur als Produkt einer gedachten Loslösung von diesem gemeint
werden kann, wie etwa die Schönheit, die Lage oder sonstige Eigenschaften
des Hauses. Man urteilt über Konkretheit oder Abstraktheit nach einem
ontologischen Kriterium: Das ontologisch Selbständige ist real teilbar
und abtrennbar, das ontologisch Unselbständige ist nur gedanklich
differenzierbar und vom Selbständigen, von dem es abstrahiert wird,
unterscheidbar. Dabei wird ihm um der Meinbarkeit
willen eine ideelle Selbständigkeit verliehen. Doch gehört all
das in die Ontologie des geistigen Seins und nicht in die reine Logik.
Die Logik der Konkreta ist dieselbe wie die der Abstrakta.
Um so wichtiger ist die zweite
Unterscheidung für die Logik.
Als Individuum kann
schlechthin alles gemeint werden. " ....
S. 25: "... Es ist wichtig,
diese logische „Allgemeinheit“ von der ontologischen Allheit zu unterscheiden,
um die es geht, wenn z. B. „Alle existierenden Gaglianos“ gemeint
werden. ...."
S. 58f: "V. Die Lehre von
den Urteilen
Auch aus der Urteilslehre müssen
wir eine Anzahl von Themen ausschließen, die in bisherigen Darstellungen
breiten Raum einnahmen und den rein logischen Kern verhüllten. Dabei
wird von der ganzen Urteilslehre nicht sehr viel übrig bleiben.
Die logische Lehre vom Urteil
handelt nicht vom Urteilen als einem psychischen oder gar erkenntnispraktischen
Akt, sondern. nur vom Inhalt des Urteils, das als fertiges hingenommen
wird, und von dessen Beziehung zum beurteilten Sachverhalt.
Zunächst kommt
es nur auf den Inhalt des Urteils, das darin Gemeinte,
an. Akt und auch sprachlicher Ausdruck sind dem gegenüber nur Vehikel
seiner Realisierung und Mitteilung und [>60] müssen vom Inhalt unterschieden
und nötigenfalls getrennt werden. Wie Tinte und Papier eines Briefes,
ja seine genauen sprachlichen Wendungen den allein von seinem Inhalt ergriffenen
Leser nicht kümmern, so verschwinden für den reinen Logiker am
Urteil die Probleme des Aktes und Ausdruckes vor denen allein des Sachverhaltes,
der in der Urteilsaussage mitgeteilt wird. Das bedeutet es, daß die
Logik vom Urteil und nicht von der Aussage handelt.
Bei allem Meinen,
auch schon beim bloßen Meinen eines Begriffes, sind Inhalt und gemeinter
Sachverhalt zu unterscheiden. Inhalt ist das Gemeinte als Gemeintes, Sachverhalt
ist identisch dasselbe als unabhängig vom Meinen
Seiendes. In der Begriffslehre ist diese Unterscheidung unnötig, in
der Urteilslehre aber ist sie unentbehrlich.
Denn was unterscheidet das
Urteil vom Begriff?
Begriffe waren Meinbares
als Gemeintes. Urteile aber sind Meinungen
überMeinbares, das als Sachverhalt vom Urteil selbst
jeweils verschieden ist. Worte usw. als Begriffsausdruck haben nur Bedeutung,
Aussagen als Urteilsausdruck haben Sinn.
Nicht etwa die Zusammengesetztheit
aus mehreren Begriffen unterscheidet das Urteil vom Begriff. Denn auch
Begriffe können, und zwar in derselben Weise, aus anderen zusammengesetzt
erscheinen. „Der viereckige Tisch“ enthält die Begriffe „der Tisch“
und „viereckig“ in derselben Verbindung wie das Urteil „der Tisch ist viereckig“.
Dieses Urteil unterscheidet sich äußerlich von jenem Begriff
durch das „ist“. In anderen Urteilen zeigen Flexionsendungen der Verben
den Urteilscharakter an. Oft tut das nur Tonfall oder Miene des Sprechenden,
oder die Situation, in der etwas geäußert wird, läßt
erkennen, daß ein Urteil ausgesprochen wurde. Es mag Sprachen geben,
die gar kein besonderes Ausdrucksmittel für den Urteilscharakter haben.
Aber auch in ihnen wird geurteilt und damit, wenn auch unausgedrückt,
der Urteilscharakter gemeint, für den wir unter anderen Ausdrücken
das „ist“ verwenden. Weil es die Begriffsausdrücke der Aussage, im
Beispiel „Tisch“ und „viereckig“, verbindet, copuliert, nennt man es die
Copula
der Aussage, seine Bedeutung die Copula des Urteils."
Quelle: Freytag-Löringhoff,
Bruno Baron von (1961). Logik ihr System und ihr Verhältnis zur Logistik.
Stuttgart: Kohlhammer.
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Glasersfeld,
Ernst von (1987) Wissen, Sprache und Wirklichkeit: Arbeiten zum radikalen
Konstruktivismus. [GB]
5 Auf den ersten Blick könnte man meinen
11 ... der Satzstruktur meinen ...
19 Wenn ... meinen
25 Was meinen wir denn, wenn wir fordern ...
37 Ich würde außerdem meinen ...
55 im üblichen Kontext ... dann meinen wir
62 Die Art von Element, die wir mit dem Begriff der Orange meinen,
ist von Bronowski und Bellugi (1970) mit bewundernswerter Klarsichtigkeit
erörtert worden.
131 dann meinen wir
160 ... dann wissen wir, was wir meinen ...
198 die Welt, in der wir zu leben meinen
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Haeckel Die Welträtsel/14. Einheit
der Natur [Philosophie]
... Form der Gottesverehrung gelten; nach der herrschenden Meinung
ist sie die weitestverbreitete Grundlage der Religion und beherrscht namentlich
den Kirchenglauben der ... ... es auch heute noch nicht wenige Naturforscher,
welche diesen Satz bestreiten und welche meinen, die alte theistische Beurteilung
des Menschen mit dem pantheistischen Grundgedanken des Substanzgesetzes
...
Quelle: Volltext Philosophie: Ernst
Haeckel: Gemeinverständliche Werke. Band 3, Leipzig und Berlin [o.J.],
S. 261-302.: 14. Einheit der Natur: https://www.zeno.org/Philosophie/M/Haeckel,+Ernst/Die+Weltr%C3%A4tsel/14.+Einheit+der+Natur?hl=meinen+meinung
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Herkner Attribution - Psychologie der Kausalität
"l Einleitung
Gegenstand der Attributionsforschung sind Meinungen
über Kausalzusammenhänge, sowie das Zustandekommen und die Auswirkungen
solcher Meinungen. Die Untersuchungsobjekte
der Attributionsforschung sind jedoch nicht wissenschaftliche Aussagen
über Kausalbeziehungen, sondern laienhafte Kausalwahrnehmungen, wie
sie im täglichen sozialen Leben außerordentlich häufig
vorkommen."
Quelle (S. 11): Herkner, Werner (1980,
Hrsg.) Attribution - Psychologie der Kausalität. Bern: Huber.
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Janet (1894) in Der Geisteszustand der Hysterischen
"Nachdem man früher die Hysterischen aller erdenklichen Zauberkünste
beschuldigt und ihnen vorgeworfen hatte, dass sie jeden Sonnabend mit dem
als Bock verkleideten Teufel geschlechtlichen Umgang pflegen, so ist es
nicht verwunderlich, dass sich eine nebelhafte Erinnerung an diesen Aberglauben
erhalten hat, und sich die Meinung entwickelte,
dass diese Kranken einen äusserst sinnlichen Charakter besässen.
Diese Anschauung stand mit der Lehre vom uterinen Ursprunge der Hysterie
in Verbindung, die Briquet endgiltig abgeurtheilt hat. Nachdem gegenwärtig
diese Streitfrage entschieden ist, kann man den Sachverhalt kaltblütiger
untersuchen. Der Liebeswahn kann, meiner Ansicht nach, bei der Hysterie,
gerade so wie alle anderen fixen Ideen auftreten. Ich habe unter 120 Beobachtungen
nur 4 sammeln können, in denen derselbe eine ganz vorherrschende Rolle
spielt"
Quelle S. 190: Janet, Pierre (1894)
Der Geisteszustand der Hysterischen. (Die psychischen Stigmata). Mit einer
Vorrede von Professor Charkot. Leipzig: Deuticke.
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Mach-1 Relativitaet der Bewegung bei Galilei
"Zur Charakteristik von Apelts189 Standpunkt diene noch
folgende Stelle: »Niemand ist dem Grundsatze der Relativität
aller Bewegung vielleicht näher gekommen als Kepler bei den zahlreichen
Umformungen seiner Konstruktionen aus dem einen in das andere Weltsystem,
aber das Verdienst, dieses Gesetz zuerst erkannt zu haben, gebührt
Galilei. Und wie und wodurch hat er es erkannt? Nicht durch einen Beweis
aus Tatsachen, sondern durch bloßes Nachdenken über die Natur
der Bewegung (!) und über das Verhältnis unserer Beobachtung
der Bewegung zum Raum (!), der selbst zwar ein Gegenstand der reinen Anschauung,
aber dennoch kein Gegenstand der Beobachtung für uns ist.« »Der
Grundsatz der Relativität aller Bewegung dagegen kann nur eingesehen,
aber nicht bewiesen werden: man ist von seiner Wahrheit unmittelbar überzeugt,
sobald man ihn in abstracto gefaßt und verstanden hat, ohne daß
er eines anderen Satzes weder zu seinem Verständnis noch zu seiner
Begründung bedürfte.« Deshalb meint Apelt, konnte wohl
der abstrahierende Galilei, nicht aber der induzierende Kepler den Grundsatz
finden. Ich bin nun der Meinung, daß
Galilei den fraglichen Grundsatz allerdings durch Abstraktion erkannt hat,
aber durch Vergleichung beobachteter Fälle. Nachdem er die Bewegung
frei fallender Körper durchschaut und analysiert hatte, mußte
ihm auffallen, daß die Fallbewegung neben einem ruhenden Turm ebenso
vorzugehen scheint, wie die Fallbewegung neben dem Mastbaum eines schnell
bewegten Bootes für den Beobachter auf demselben, wodurch sich zunächst
die bekannte Auffassung [139] der Wurfbewegung als Kombination einer gleichförmigen
Horizontalbewegung mit einer beschleunigten Fallbewegung ergab. Die weiteren
Verallgemeinerungen und Anwendungen bereiteten keine Schwierigkeiten mehr.
– Apelt190 hat sogar die Neigung, Galileis Entdeckung des Fallgesetzes
für eine deduktive zu halten. Aus Galileis Schriften geht aber deutlich
hervor, daß er die Form des Fallgesetzes als Hypothese aufgestellt,
vermutet, richtig erraten und durch das Experiment bestätigt hat.
Eben indem er sich auf die Beobachtung stützt, wird Galilei zum Begründer
der modernen Physik."
Quelle: Ernst Mach: Erkenntnis und
Irrtum. Leipzig 31917, S. 126-144. Permalink: https://www.zeno.org/nid/20009213430
Lizenz: Gemeinfrei https://www.zeno.org/Philosophie/M/Mach,+Ernst/Erkenntnis+und+Irrtum/Der+Begriff?hl=meinen+meinung
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Mach-2 Erkenntnis und Irrtum/Empfindung, Anschauung,
Phantasie [Philosophie]
... einheitliche physikalische Theorie zu gewinnen. Meine Meinung
über diesen Punkt ist folgende. Ich denke mir alle organischen Wesen,
wenigstens ... ... Anblick betauten Grases ausruft: »Der Rasen weint«,
ist mir nach Erfahrungen an meinen eigenen Kindern recht fraglich. 205
Das Kind im Stadium der Sprachentwicklung hat ...
Volltext Philosophie: Ernst Mach: Erkenntnis und Irrtum. Leipzig 1917,
S. 144-164.: Empfindung, Anschauung, Phantasie
https://www.zeno.org/Philosophie/M/Mach,+Ernst/Erkenntnis+und+Irrtum/Empfindung,+Anschauung,+Phantasie?hl=meinen+meinung
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Mach-3 Erkenntnis und Irrtum/Die Wucherung
des Vorstellungslebens [Philosophie]
... verschieden, aber darum nicht minder streng ist, wird ihm von der
öffentlichen Meinung vorgeschrieben, welche
wohl erkennt, was dem Gemeinwesen dient oder nicht zuträglich ist.
Bei Verstößen gegen diese Ethik hat er sich mit dieser öffentlichen
Meinung und deren Folgen abzufinden. Sein Verhalten regelt sich in natürlicher
...
Quelle: Volltext Philosophie: Ernst
Mach: Erkenntnis und Irrtum. Leipzig 1917, S. 88-108.: Die Wucherung des
Vorstellungslebens
https://www.zeno.org/Philosophie/M/Mach,+Ernst/Erkenntnis+und+Irrtum/Die+Wucherung+des+Vorstellungslebens?hl=meinen+meinung
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Philosophie Lexikon
der Argumente [Online]
Meinen findet sich in 412 [Online],
der Begriff in 24 Einträgen [Online]
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Russell in Kausale Gesetze der Psychologie
und der Physik in Die Analyse des Geistes (1921, dt. 1927),
S. 110:
"Man meinte, daß die Beziehung zwischen
Ursache und Wirkung derart sei, daß die Wirkung unter keinen denkbaren
Umständen ausbleiben könnte, wenn die Ursache eingetreten wäre."
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Voss Mentale Konzepte im Deutschen
Quelle (S. 188): https://repositorium.uni-muenster.de/document/miami/baa0e63e-ba83-43de-b16a-4f29a5d62bbd/diss_voss_buchblock.pdf
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Wittgenstein
McGinn I 108 Meinen/Wittgenstein: Zettel § 16: der Irrtum
ist zu sagen, das Meinen bestehe in etwas.
Quelle: McGinn I Colin McGinn Die Grenzen vernünftigen
Fragens Stuttgart 1996 [Sekundärquelle]
Nach Hintikka I 38/39
Quelle: Jaakko Hintikka & Merrill B. Hintikka (1996)
Untersuchungen zu Wittgenstein Frankfurt: Suhrkamp. [Sekundärquelle]
Meinen/Wissen/
Wittgenstein: wenn man aber sagt: Wie soll ich wissen, was er meint,
ich sehe doch nur seine Zeichen? so sage ich: Wie soll er wissen, was er
meint, er hat ja auch nur seine Zeichen".
"Die Sprache kann man nur durch gesprochenes erklären darum kann
man die Sprache nicht erklären." (Ms.108, 277f.)
I 266
Meinen/Kriterium/Wittgenstein/spät: Philosophische Untersuchungen
§ 146 und § 190: "Man kann nun sagen, wie eine Formel gemeint
wird, bestimmt welche Übergänge zu machen sind. "Was ist das
Kriterium dafür, wie eine Formel gemeint ist? Etwa die Art und Weise,
wie wir sie ständig gebrauchen, wie uns gelehrt wurde, sie zu gebrauchen".
II 212
Meinen/Wittgenstein: "hast du das was du gesagt hat, gemeint?"
Oder: "was hast du gemeint?" Zwei verschiedene Verwendungen von "meinen".
Alle möglichen Dinge können die Behauptung rechtfertigen,
dass man meint, was man sagt, doch keines dieser Dinge braucht ein geistiger
Vorgang zu sein, der die Wörter begleitet.
II 317
Vorstellung/Absicht/Meinen/Wittgenstein: es ist eine Täuschung
zu glauben, man erzeuge das Gemeinte im Geiste
des anderen durch ein indirektes Verfahren: durch die Regel und die Beispiele.
III 220
Verstehen/Wittgenstein/spät/Flor: dafür ist nicht mehr notwendig,
als ein Wort im gegebenen Situationen korrekt anwenden zu können.
Kein mentaler Zustand (Geisteszustand) oder psychischer Prozess. (Das gleiche
gilt für das Meinen).
IV 39
Abbildung/Darstellung/Ähnlichkeit/Bezeichnen/Meinen/Wahrheit/Negation/Umkehrung/Tractatus:
4.062 Kann man sich nicht mit falschen Sätzen, wie bisher mit wahren,
verständigen?
Nein! Wenn wir mit "p" ~p meinen, und es
sich so verhält, wie wir es meinen, so
ist "p" in der neuen Auffassung wahr und nicht falsch. 4.0621 Dass aber
die Zeichen "p" und "~p" das gleiche sagen können, ist wichtig, denn
es zeigt, dass dem Zeichen "~" in der Wirklichkeit nichts entspricht.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site: www.sgipt.org
z.B. Wissenschaft site: www.sgipt.org. |
korrigiert: irs Rechtschreibprüfung 12.10.2021