Differentielle Psychologie, Psychodiagnostik, Psychopathologie und Psychotherapie der Persönlichkeiten:
Einführung in das Thema der Hochstapelei
Kennzeichnungs- und
Definitionsprobleme
Die normalpsychologischen Grundlagen der Hochstapelei
Hochstapelei - Psychologie und Psychopathologie der HochstaplerIn
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Zum Geleit:
Wir hochstapeln alle
mehr oder minder
Wie interessant das Thema für die Gesellschaft ist,
kann man z.B. am Erfolg von Thomas Manns Felix Krull ablesen.
Einführung
und Überblick in das Thema der Hochstapelei
Das Thema Hochstapelei erfreut sich wahrscheinlich immerwährenden
Interesses und ist daher vermutlich zeitlos attraktiv. Das rührt wahrscheinlich
daher, daß es in uns allen mehr oder weniger hochstaplerische und
auch kriminelle Motive [EN01a,b,c]
gibt und die HochstaplerIn wegen ihres frechen Mutes und ihrer Geschicklichkeit
vielfach bewundert wird. Sie traut sich etwas, lebt etwas, das wir uns
vielfach versagen und nicht trauen. So wagen und leben sie ein Stück
von uns selbst: Mehr sein als wir sind, das wünschen sich die meisten
von uns, und deshalb werden es die meisten als angenehm empfinden, wenigstens
mehr zu gelten und zu scheinen als sie sind. Täuschend echt, groß
und selbstbewußt auftreten, wer wünschte sich das nicht? Die
Fähigkeit zu täuschen, läßt die HochstaplerIn als
tüchtige SchauspielerIn und ZauberIn erscheinen, auch zwei Berufe
und Rollen, die vielfach Bewunderung hervorrufen. Und häufig sind
die Geschädigten an ihrer Täuschung mitbeteiligt, offenbaren
Schwächen und Fehler, die ihnen nicht eben zu Ruhm und Ehre gereichen.
Hochstapeln ist, wenn es gelingt, ein gut inszeniertes und sehr wirkungsvolles
Schauspiel, das anscheinend leicht und mühelos zu Vorteilen, Geld
und zu gesellschaftlichem Rang und gesellschaftlicher Stellung führt.
HochstaplerInnen gebrauchen keine Gewalt, wirken charmant, zeigen meist
sehr gute Manieren, und sie sind an der Oberfläche sehr anpassungsfähig
und einfühlsam und haben einen sicheren Instinkt für ihr Gegenüber.
Sie sind MeisterInnen der Blendung und des Bluffs. Eigentlich sollten sie
auch gute PolitikerInnen, VerkäuferInnen, WerbeagentInnen, SchauspielerInnen
oder MedienpräsentatorInnen sein können, denn Show und Schein
sind ihr Metier und eigentliches Kerngeschäft. Doch es fehlen ihnen
hierzu oft die formalen Voraussetzungen und die richtige Einstellung zur
Arbeit, Anstrengung und damit die Ausbildung. Im allgemeinen fliegt der
Erfolg niemandem zu, meist ist viel Arbeit und Training und letztlich auch
noch das nötige Glück erforderlich, um nach oben zu kommen und
dort zu bleiben. Und es ist nicht einmal so schwer, zu täuschen oder
getäuscht zu werden. Wir alle müssen im Alltag notwendigerweise
vertrauen und verlassen uns vielfach auf einige wenige Zeichen, die uns
die HochstaplerInnen natürlich geschickt anbieten. Wer eine Briefträgeruniform
an hat, wird für einen solchen gehalten, wie der Monteur in seiner
Montur, der Arzt im weißen Kittel, mit Stethoskop und Reflexhämmerchen.
Es ist sehr leicht, einen falschen Eindruck hervorzurufen und es ist sehr
leicht, einem falschen Eindruck zu erliegen. Das ist das Grundkapital
der HochstaplerIn. Doch nicht alle sind nur charmant, nett und geschickt.
Darunter sind rücksichtslose, ja manchmal sogar sadistische SoziopathInnen,
die nicht die geringsten Skrupel haben, andere Menschen bis in den Tod
hinein zu vernichten oder auch mal, mit dem Rücken an der Wand, in
ganz gewöhnliche erpresserische und räuberische kriminelle Verhaltensmuster
abzudriften [EN02].
Die akzeptierten Formen der Hochstapelei in der bürgerlichen Gesellschaft
Höflichkeit, Wohlverhalten, sog. gute Manieren, Formen und Diplomatie
sind vielfach allgemein akzeptierte Formen der Hochstapelei. Erziehung
zu Sozialverhalten kann vielfach als Erziehung zur Hochstapelei angesehen
werden.
Weniger akzeptiert, aber doch hingenommen, sind
die Phrasen und Lügengebäude der PolitikerInnen, die über
weite Strecken als BerufshochstaplerInnen gleich neben der Werbeindustrie,
den Medien und den Abgesandten Gottes auf
dieser Erde plaziert werden können. Religions- und Kirchenrepräsentanten
sind aber weitgehend akzeptierte Hochstapler und auch so betrachtet eine
besondere Gattung.
In der Wirtschaft gehört die Hochstapelei mit der Werbung
zum Kerngeschäft des Kapitalismus, natürlich höchstrichterlich
für gut und nötig erkannt. Der Wettbewerb ist eine zivilisierte
Form des Krieges und freier Wettbewerb ist mörderisch und echte Selbstbehauptung.
Deshalb ist kein Konzern an echtem Wettbewerb oder an Freiheit wirklich
interessiert, sondern nur an einer marktbeherrschenden Stellung, was zwangsläufig
zu Oligopolen, Monopolen und Kartellen führen muß. Die sog.
freie
Marktwirtschaft bedeutet daher in Wahrheit die Aufhebung des freien
Wettbewerbs; sie ist immer in der Gefahr, ihre sog. freien Wettbewerbsgrundlagen
selbst aufzuheben.
Auch vor Gericht spielen Form und Formen eine extreme
Rolle und damit sind JuristInnen und Gerichte offenbar auch besonders anfällig
für Hochstapelei, was der falsche Arzt und falsche Psychiater Gert
Postel eindrucksvoll vorführte. Auch Roben und andere Rituale
unterstreichen die juristische Schwäche für das Schauspiel und
das Hochstapeln. Und letztlich ist ja die ganze Rechtsprechung vom Anspruch
her sehr nahe an der Hochstapelei, vergegenwärtigt man sich, daß
das eigentliche Ziel Gerechtigkeit heißen sollte. In den USA ist
es schon zu einem entwürdigenden Handelsgeschäft und Spiel verkommen.
Old Europe hat eigene Wege der Aushöhlung gefunden.
Im Krieg gelten Hochstapeleien mitunter als besonders
dekorierungswürdig. Die Kriegslist kann
Schlachten gewinnen und zu Weltruhm führen. Hier gelten Tücke,
Verschlagenheit, Täuschung als hohe und ordensverdächtige Tugenden,
ebenso bei der Kriminalpolizei, den Geheimdiensten und im Spionagewesen.
Man kann sagen: Es gibt grundsätzlich zweierlei Rechtsauffassungen,
nämlich das Recht für Freunde, Gegner oder gar Feinde (Auserwählt
im Normalpsychologischen), Sieger und Besiegte, Herrscher und Beherrschte,
Oben und Unten, ein Recht für die Feinen und eins für die Kleinen.
Was in einem Fall verboten, kriminalisiert und verfolgt wird, ist im anderen
Fall eine höchst ehrwürdige Tugend. So leiden alle Rechtssysteme
und Gesellschaften an diesem zweierlei Maß - und wirkliche Zivilisationen
sollten dem Rechnung tragen und sich schützen.
Das Ambiente, Atmosphäre, Form, Verpackung,
Oberfläche und Präsentation spielen eine extreme Rolle in der
ganzen Gesellschaft, sie durchdringen alle Bereiche. Und je mehr und nachhaltiger
sie das tun, desto leichter haben es HochstaplerInnen, sich diese Formen
und Verpackungen anzueignen und zu simulieren. Erfolgreiche HochstaplerInnen
sind Erscheinungs-, Verpackungs- und PräsentationskünstlerInnen.
Es kommt nicht so sehr darauf an, ob und was man kann, als vielmehr darauf,
den entsprechenden Eindruck, die richtige Illusion hervorzurufen. Der Schein
ist zwar nicht alles, aber doch sehr wesentlich und sehr oft das Sesam
öffne Dich dafür, daß es überhaupt weiter und
vorwärts geht.
Alltags-Hochstapeleien
jedermanns
abschreiben; anpassen; ausschmücken; diplomatisch sein, schmeicheln,
einseifen; sagen, was das Gegenüber hören möchte, nach dem
Mund reden; flunkern,
frisieren; verdrehen, manipulieren, was vormachen,
gute Miene zum bösen Spiel machen; höflich sein; schwindeln;
Spickzettel;
türken; verschweigen; vorteilhaft präsentieren;
weglassen.
Die normalpsychologischen Grundlagen der Hochstapelei: Die Grenzen sind sehr fließend [EN01]
Die akademische Psychologie - mit Ausnahme der ForensikerInnen (Aussagepsychologie) - kennt das Phänomen der Hochstapelei, der Lüge und der LügnerInnen nicht. Wie so oft, wenn es um Lebensfragen geht, sucht man in den Elfenbeintürmen der Universitäten vergeblich. Vielleicht bedeutet das aber auch nur (Arbeits-Hypothese), daß das Phänomen in Hochstapler- Gesellschaften mit psychologischen Lehrstühlen so alltäglich und normal ist, daß es gar keiner besonderer Erwähnung bedarf . Vielleicht gehört dies aber auch zur spezifisch akademisch psychologischen Hochstapelei, daß man sich um die Lebensfragen - Liebe, Freundschaft, Gerechtigkeit, Echtheit, Schwindel, Betrug, Lüge, ... - nicht kümmert ;-). Dies sei aber, bevor ich meine Arbteits-Hypothesen zur Hochstapelei vorstelle, zunächst belegt:
Im „Dorsch Psychologisches Wörterbuch“ (12. A. bis
1994) findet sich kein Eintrag „Hochstapler“.
Das „Wörterbuch der Psychologie“, Kröner, (Hehlmann 1965) hat keinen Eintrag „Hochstapler“. Im „Kleines Psychologisches Wörterbuch“ von Michel & Novak (1990), Herder, findet sich kein Eintrag „Hochstapler“. Das „dtv Wörterbuch zur Psychologie“ von Fröhlich (20. A. bis 1994) hat keinen Eintrag „Hochstapler“. Das „abc Fachlexikon Psychologie“, Harry Deutsch, hrsg. von Clauß et al. (1995) hat keinen Eintrag „Hochstapler“. Das „Lexikon der Psychologie“, Kröner, von Städtler (1998) hat keinen Eintrag „Hochstapler“. Das „Lexikon der Psychologie“, Faktum / Bertelsmann (1995) hat keinen Eintrag „Hochstapler“. Auch in den Nachbar- und Grenzgebieten sieht es nicht viel besser aus: Das „Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie“, Urban & Schwarzenberg, von Peters (3. A. 1984) hat keinen Eintrag „Hochstapler“. Das Wörterbuch der Soziologie von Hartfiel & Hillmann (1972), Kröner, hat keinen Eintrag „Hochstapler“. In „Das Vokabular der Psychoanalyse“ von LaPLanche & Pontalis (dt. 1972) findet sich kein Eintrag „Hochstapler“. Das „Lexikon der Ethik“ von Höffe (1997, Hrsg.), C.H. Beck, hat keinen Eintrag „Hochstapler“. Wie steht es nun mit der differentiellen Psychologie der Persönlichkeit?
In Allport, G. W. (dt. 1959, 2. A.). Persönlichkeit gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“. In Lersch, Ph. (1956, 7. A.). Aufbau der Person gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“. In Lersch, Ph. & Thomae, H. (1960, Hrsg.). Persönlichkeitsforschung und Persönlichkeitstheorie. Handbuch der Psychologie, Bd. 4. gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“. Auch „Lüge“ oder „Lügner“ sucht man vergeblich. Das Phänomen scheint die akademische Psychologie nicht zu kennen. In Wellek, Albert (1966, 3. A.). Die Polarität im Aufbau des Charakters. System der konkreten Charakterkunde. gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“. Aber er thematisiert immerhin „Echtheit und Maske“, S. 351-361. In Guilford, J. P. (1970, 4. A.). Persönlichkeit gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“. In Hofstätter, P. R. (1971). Differentielle Psychologie gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“. In Meili, R. (5. A., 1971). Lehrbuch der Psychologischen Diagnostik gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hoch¬stapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“. In Heiss, R. (3. A. 1971, Hg.). HBdPsychol Bd. 6, Psychologische Diagnostik gibt es auf über 1040 Seiten keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“, aber wenigstens „Lügen-Fragen“. In Graumann, C.F. (1969 I., 1972 II., Hrsg.). Handbuch der Psychologie. Sozialpsychologie I. u. II. (zusammen 2060 Seiten) gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“. In Bd. II. kennt man aber wenigstens den Begriff der "Täuschung" (Auswertung im Detail). In Herrmann, Theo (1976, 3. A.). Lehrbuch der empirischen Persönlichkeitsforschung gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“, aber immerhin einen Eintrag zur „Lügenskala“ und Querverweis zu „Beantwortungsstil“. In Asendorpf, Jens (1988). Keiner wie der andere gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“ auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“. In Amelang, Manfred & Bartussek, Dieter (1990, 3.A.). Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung. gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“. In Fisseni, H.-J. (1990). Lehrbuch der psychologischen Diagnostik gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“, aber wenigstens ein Eintrag „Lügenskala“ mit Querverweis zu Offenheit, Verschlossenheit. Fisseni, H.-J. (1992, 2. A.). Persönlichkeitsbeurteilung gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“. In Jäger, R. S. & Petermann, F. (1992, Hg.). Psychologische Diagnostik. Ein Lehrbuch gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“, wohl aber „Lügendetektor“. In Amelang, M. (1996, Hrsg.). Enzyklopädie der Psychologie [C, VIII, 3]. Temperaments und Persönlichkeitsunterschiede gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, auch nicht „Lüge“ oder „Lügner“ und nicht "Täuschung" oder "täuschen", obwohl gleich das erste Kapitel "Generalisierte Einstellungen" zum Thema hat. Selbst in Fiedler, P. (1997, 3.A.). Persönlichkeitsstörungen gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, und der einzige Eintrag "Lügner und Schwindler" ist nicht etwa Ausdrucks seiner Realitätsauffassung, sondern S. 16 zitiert er nur Kraepelin - mit erhobenem moralischen Zeigefinger, der allerdings Kraepelin, nicht den Lügnern und Schwindlern gilt. Auch in Undeutsch, U. (1967, Hrsg.). Handbuch der Psychologie. Bd. 11 Forensische Psychologie. gibt es keinen Sachregister-Eintrag „Hochstapler“, aber ein paar Einträge zu „Lüge“ und „Lügendetektion“. Die akademische Psychologie erweist sich damit
als ein erstaunlicher Ort und Hort der Naivität und Lebensfremdheit.
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Eigene Arbeitshypothesen
Die normalpsychologische Grundlage der Hochstapelei beruht nach meiner
Auffassung auf folgenden natürlichen Bedürfnissen (Wünschen,
Motiven): (1) etwas zu gelten, etwas zu haben
und zu sein und zwar (2) auf möglichst angenehme
Weise (einfach, schnell, leicht, viel, mühelos). (3)
Vielen macht es auch Spaß, eine Rolle zu spielen und zu täuschen,
anderen einen "Streich" zu spielen, sie hochzunehmen und zu verulken; hier
kommt auch eine verbrämte aggressive Komponente ins Spiel, weil der
Lustgewinn auf Kosten des oder der anderen erfolgt. (4) Schließlich
kommt mit dem Hochstapeln als Risikospiel eine erhöhte Grundspannung
und Erregung in das Leben, es wird abenteuerlicher, aufregender, ereignis-
und erlebnisreicher. (5) Hochstapeln kann bei entsprechender Befriedigung
auch zu einer Gewohnheit werden und in einen Wiederholungszwang oder in
Sucht ausarten, wobei auch reizvolle oder gewohnte Milieufaktoren eine
begünstigende Rolle spielen können.
Motivationsanalyse
des Hochstapelns
Am Hochstapeln können zahlreiche Motive beteiligt sein (Brainstorming):
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Diese Definition ist sehr weit und reicht von der kleinen Angeberei, vom etwas ausschmücken und sich selbst ein bißchen erhöhen durch weglassen, hinzufügen oder verändern bis hin zum schweren Betrug mit erheblichen Folgen und Schäden für Menschen und ihre Gemeinschaften. Die Grenzen sind also sehr weit und fließend, und die Bewertungen hängen auch sehr von Kultur, Gesellschaft, Milieu und Sozialisation ab. In gewisser Weise sind fast alle Menschen zumindest hin und wieder, mehr oder minder, HochstaplerInnen, weil wir fast alle gelegentlich etwas ausschmücken, uns erhöhen, unsere Geschichten ein bißchen "verändern", das eine so erzählen, das andere so, ein bißchen weglassen, ein bißchen hinzufügen; weshalb auch eigentlich kaum jemand vor Gericht beschwören kann, die ganze und nichts als die - subjektive - Wahrheit zu sagen: man kann sich bestenfalls bemühen. Und daher kann sich im Grunde auch fast jede(r) sehr leicht mit HochstaplerInnen identifizieren, besonders dann, wenn sie entsprechende Bewunderung und Wertschätzung erfährt und man es den Geschädigten "gönnt". Hier greifen dann die berühmt-berüchtigten Abwehr- und Neutralisationsmechanismen, die Unrecht bagatellisieren (herunterspielen, klein machen), rationalisieren (mit falschen Gründen rechtfertigen) oder gar verdrehen und mit dem Robin- Hood- Mechanismus ins Gegenteil verkehren und auf den Kopf stellen (das geschieht dem aber recht, verdient hat er es, warum ist er auch so dumm, eitel oder gierig usw.)
"Sei ein guter Zuhörer; zeige niemals,
daß du dich langweilst; warte, bis dein Gesprächspartner seine
politischen Ansichten enthüllt, und stimme ihm dann bei; lasse ihn
religiöse Themen anschneiden und teile ihm mit, daß du ebenso
denkst; fange vorsichtig an, von Liebesgeschichten zu erzählen, aber
verfolge das Thema nur, wenn der andere besonderes Interesse zeigt; sprich
nicht von Krankheiten, es sei denn, der andere ist fasziniert davon; stelle
keine persönlichen Fragen - früher oder später machen
die Menschen ja immer auch unverlangte Enthüllungen über ihr
Privatleben; protze nicht - die ganze Persönlichkeit muß deine
Wichtigkeit ausstrahlen; sei niemals schlampig gekleidet; und betrinke
dich nie.
Nur ein Mann von starkem Charakter und hoher Willenskraft ist imstande, sich in jeder Lebenslage strikt an derartige Disziplinarregeln zu halten. Graf Lustig gelang es." |
[EN01] Es ist eine weit verbreitete
Wunschvorstellung (vermeintlich) gut-bürgerlicher Kreise, daß
es so etwas wie die geborene VerbrecherIn gibt, von der sich der "anständige"
und "ordentliche" Mensch wohlabgesetzt dünken und denken kann, dies
betrifft doch ziemlich sicher nur eine kleine Minderheit kriminell handelnder
Menschen. So gibt es zwar ziemlich sicher auch einige genetisch vorbelastete
PsychopathInnen, die dieser Wunschvorstellung entsprechen, das ist aber
im weiten Feld der Kriminalität, die zu allererst eine sehr weit verbreitete
soziokulturelle Erscheinung ist, ein eher seltener Fall. Im Regelfall ist
fast jeder Mensch zu kriminellen Handlungen, die ja zum Teil auch nur durch
seltsame und fragwürdige Gesetze zu solchen definiert werden, fähig
und motiviert und er vollzieht sie auch. Die meisten Straftaten werden
wahrscheinlich gar nicht entdeckt - bis hin zum Mord, da bereits die Todesursachenfeststellung
vielfach sehr nachlässig und fehlerhaft erfolgt. Ähnlich äußerte
sich schon 1923 der berühmte Staatsanwalt Wulffen
in seiner Schrift Der Hochstapler (S.5):
"Vielmehr behaupten wir neueren Kriminalisten, daß die Charaktere
der Verbrecher in ihrer Umgebung sich bilden und körperlich wie seelisch,
genau oder modifiziert, je die Grundeigenschaften der Gesellschafts- und
Volksklasse wiedergeben, in welcher sie geboren wurden. Es gibt keine besonderen,
ausdrücklichen verbrecherischen Strebungen, welche die Natur der Menschenseele
eingepflanzt hätte. Wenn sich seelische Strebungen verbrecherisch
im Sinne der Strafgesetze auswirken, so handelt es sich um Instinkte, Triebe
oder Eigenschaften, die unter günstigeren Umständen oder in geringerer
Stärke eine für den Menschen lebensnotwendige, wohltätige,
soziale Bestätigung finden. Die Psychologie, welche das menschliche
Gefühls- und Vorstellungsleben im allgemeinen ergründet, weist
bei diesen Instinkten, Trieben und Strebungen Breiten von Übergängen
nach, wo die soziale Betätigung allmählich oder plötzlich
in die unsoziale überfließt. Die fließenden Übergänge
zeigen die interessantesten Gebiete der Kriminalpsychologie auf."
Auch von Cleric
schreibt schon 1926, S. 38: "Es ist vielfach mit Recht darauf hingewiesen
worden, daß die psychischen Eigenarten des Hochstaplers und
besonders auch des pathologischen Schwindlers, zu denen häufig
der Hochstapler zählt, zunächst aus psychischen Erscheinungen
des Normalmenschen abzuleiten sind." [FN4: Hinweise auf Wulffen,
Aschaffenburg, Hinrichsen, Strauss] "So zeigen sich schon im Seelenleben
des normalen Menschen oft gewisse Parallelen zur hochstaplerischen
Denkweise. Auch der Normalmensch hat häufig seine Tagträume.
Und auch er besitzt vielfach einen besonderen Trieb und ein grosses Talent,
sich zu verstellen und zu schwindeln. In gewissem Umfange regiert überhaupt
ein Gesetz des Scheines
Leben und Welt (Wulffen, Hochstapler 23). ..."
Der Untertitel von Delbrücks
berühmter Schrift - Die pathologische Lüge und die psychisch
abnormen Schwindler. Eine Untersuchung über den allmählichen
Übergang eines normalen psychologischen Vorgangs in ein pathologisches
Symptom für Ärzte und Juristen - weist ebenfalls auf die Nähe
und enge Verwandtschaft des Normalen und des Pathologischen hin.
___
[EN02]. Siehe von Hentig
(1957), Kapitel V, Abschnitt IV "Zerstörer".
___
Kriegslist. Hierzu: Kriegslisten in : Time
Life Bibliothek erstaunlicher Fakten und Phänomene: Schwindel und
Betrug (1992, Hrsg. Philips, Ellen). Deutsche Erstausgabe, München.
Zu Krieg,
Kriegspsychologie
und zur Psychologie
des Tötens.
___
Arschkriecherei. Buch von Alphons Silbermann:
"Von der Kunst der Arschkriecherei" (Abbildung
Buchtitelblatt). Bibliographischer Hinweis
zum Buch.
___
Aronsons Liebesbedingungen:
Aronson (1969) hat die sieben Antworten, die die Forschung in diesem Gebiet
bisher geben kann, zusammengefaßt. Wir mögen Menschen, die (a)
uns physisch näher sind, (b) unserer Meinung sind, c) ihrer Persönlichkeit
nach uns ähnlich sind, (d) unsere Bedürfnisse befriedigen und
Bedürfnisse haben, die wir befriedigen können, (e) über
Fähigkeiten und Kompetenz verfügen, (f) 'angenehm' sind und 'schöne'
Dinge tun, (g) uns mögen. Kurz gesagt, 'wir mögen Menschen,
die uns maximale Befriedigung bei minimalem Aufwand verschaffen.'" Zitiert
nach: Ruch & Zimbardo (dt. 1975 und ff) "Lehrbuch der Psychologie".
Berlin: Springer. S. 332. Zur Liebe: [1,2]
___
Täuschung. Die Sachregister im
HBdP, Sozialpsychologie, weisen folgende Fundstellen beim Eintrag "Täuschung"
auf: Bd. I. 336, 360ff. Bd. II, der mit S. 861 beginnt, ist nicht einmal
konsistent zu Bd. I, weist folgende Fundstellen auf: 240, 248, 249, 336,
341, 349, 360ff, 1229, 1571, 1666, 1769 f.
Der Eintrag S. 336 beschäftigt sich mit Fehlern
in Experimenten (Rosental-Effekt u.a.), zu deren Erforschung auch Versuchspersonen
getäuscht wurden (also Lügen der Wissenschaft im Dienste der
Wissenschaft), dies wird S. 360 ff näher ausgeführt. Dies betrifft
auch den Eintrag auf S. 240 (Asch-Phänomen) , das 248/249 noch einmal
erwähnt wird. Auch der Eintrag S. 341 und 349 beschäftigt sich
mit experimenteller Kontrolltechnik in der Sozialpsychologie. Der Eintrag
im II. Bd. S. 1229 thematisiert Kleidung, Selbst und Identität. S.
1571 erörtert wieder experimentelle Designs. S. 1666 erörtert
das Studium von Gruppen, Führungs- und Kommunikationsstrukturen. S.
1769 f bespricht den Milgram-Versuch,
bei dem 62% der Versuchteilnehmer zu maximalen Sanktionen durch Elektroschocks
bereit waren (40 befragte Psychiater schätzten 0,1%, das ist ein Irrtum
um das 620fache). Summa Summarum: Die akademische Sozialpsychologie kennt
offenbar nur eigene, nämlich wissenschaftliche Hochstapelein
und Lügen; draußen in der wirklichen sozialen Welt scheint Hochstapeln,
Lüge und Lügner für sie keine Relvanz zu besitzen.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Hochstapler site:www.sgipt.org * |
korrigiert: irs 09.04.05