Begriff, Begriffsanalyse und Gebrauchsbeispiele in der Psychologie
Originalarbeit von Rudolf Sponsel, Erlangen
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Begriffsanalysen (Überblick).
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Begriffsanalyse Begriff.
Definition
Begriff.
Signierung
Begriffe und Begriffsmerkmale (BM).
*
Definition: Ein Begriff repräsentiert einen Sachverhalt. Er besteht aus einem Namen oder einer Wieder- erkennung (Ersatz für den Namen), dem Begriffsinhalt, der den Sachverhalt repräsentieren soll, und der Referenz, d.h. Angaben wo und wie man den Begriffsinhalt, den Sachverhalt, in der Welt finden kann. |
Begriff in Woerterbüchern
und Lexika der Psychologie
Arnold et al., Clauß
et al., Dorsch, Fröhlich,
Hehlmann,
Signierungs-Status in den Texten: k:= korrigiert, m: = markiert (), s:= signiert, t = teils
Arnold et al. (1987) im Lexikon der Psychologie
Begriffsbildung
(BMDefiniendum):
Prozeß
der lernabhängigen Klassifikation von Objekten, Erscheinungen nach
ihren Merkmalen. Im Prozeß der B.
(BMBBproz) wird eine Entscheidungsregel,
Identifizierungsregel erworben, nach der auch bisher unbekannte Objekte
als relevant, d. h. als zur Klasse gehörig klassifiziert werden können,
wenn die begriffsbestimmende Struktur (>Begriff)
(BMBstruk) einschließlich
der relevanten Merkmale (BMmerkwes)
vorhanden ist. Auf diese Weise wird das Objekt als zum Begriffsinhalt
(BMinhalt) gehörig
erkannt und führt zur entsprechenden Verhaltensweise des Menschen
(BMBspGeg?) — und
in dem eingeschränkten Sinne (> Begriff
(BMBVerh)) auch des Lebewesens
— bezüglich des Objekts (BMBspGeg?).
Dadurch ist zugleich die Begriffsbedeutung
(BMInRve) bestimmt. Die
zeitliche Dauer des Prozesses der B.
(BMBBzeit) kann sehr unterschiedlich
sein. Unter entwicklungstheoretischen Gesichtspunkten kann sie den Zeitraum
der Artentwicklung und mehr umfassen. Derartige „phylogenetische
B.en (SBBphygen)“
liegen bei den rezenten Lebewesen als eine Art klassifikatorische
Artausstattung vor und werden vornehmlich auf der elementaren kognitiven
oder perzeptiven Ebene wirksam (Zeichenerkennung, > Mustererkennung). Auf
der perzeptiven Ebene entspricht die Klassifikation daher mehr einem Prozeß
der Begriffsfindung (BMBfind)
zum Unterschied von der B. (BMBB),
da phylogenetisch weitgehend vorgeformte Entscheidungsregeln zur Objektkategorisierung
angewendet werden.
Die B. (BMBeigS)
im eigentlichen Sinne ist jedoch an kürzere zeitliche Erstreckung
gebunden. Man spricht von ontogenetischer B.
(SBBontgen) wenn sie
im Zeitraum der Individualentwicklung abläuft, und von aktualgenetischer
B.,
(SBBaktgen), wenn es
sich um einen — methodisch am leichtesten handhabbaren und daher gut kontrollierbaren
— kurzen Teilabschnitt dieses Zeitraumes handelt (>
Begriffsbildungsforschungsmethoden
(BMBBForM) ). Die B.sforschung
(BMBB)
sieht ihr Ziel in einer Komponentenanalyse und -synthese begrifflicher
Klassifikationsprozesse (BMklasse)
im sprachlichen und außersprachlichen Bereich. Wesentliche Komponenten
sind z. B. die Mechanismen der > Hypothesenbildung, in denen Vorbegriffe
gebildet und geprüft werden. Bedeutsam sind auch die B.sstrategien
(BMBBstrat), in denen
sich die Bedingungen des Prüfverhaltens zeigen. Zur Erklärung
interner Klassifikationsmechanismen wurden verschiedene > B.smodelle
(BMBBmod) entwickelt. Zur
Prozeßdarstellung und als Basis von Computersimulationen sind schließlich
verschiedene B.salgorithmen (BMBBalgo)
aufgestellt worden. Die Bedeutung derartiger Analysen und Synthesen
begrifflicher
Klassifikationen (BMklasse)
besteht darin, daß es durch sie möglich ist, zur Rationalisierung
geistiger Prozesse, z, B. natürlicher Diagnoseprozesse (> Computerdiagnostik),
beizutragen. Das hat seine Begründung darin, daß Diagnoseprozesse
ihrem Wesen nach als Klassifikationsprozesse, d. h. als Prozesse der Begriffsfindung
(BMBfind) und B.
(BMBB)
angesehen werden können.
B .suntersuchungen
(BMAnalyse) bilden auch
die Basis für Methodenentwicklung zu Diagnosezwecken, da die
Komponenten begrifflicher Klassifikationsprozesse auf diagnostische Valenz
hin geprüft werden können und im positiven Falle verlaufsdiagnostische
Methoden geistiger Prozesse darstellen. Weiterhin lassen sich Analogien
zwischen dem Problem der Merkmalsbildung und Merkmalsgruppierung und dem
klinisch-psychologischen Bereich der Symptombildung und Symptomgruppierung
angeben, die die Relevanz derartiger Untersuchungen für Fragen der
Nosologie
und Zustandsklassifikation andeuten. Zu pädagogisch-psychologischen
Problemen bestehen Beziehungen, z. B. in Fragen der Entwicklung von Belehrungsstrategien
(> Begriffslernen (BMBlern)).
Damit ist zugleich der Bezug zu arbeits- und ingenieurpsychologischen Fragestellungen
hergestellt, wie sie bei der Entwicklung von Anlern- und Trainingsprogrammen
bestehen."
Begriffsbildung (conception,, concept, formation).;
Bezeichnung für den zur Bildung von Begriffen führenden
bewußten Vorgang, der durch Experimente der Zuordnung von Begriffsnamen
() zu Gegenständen und Sortierversuchen demonstriert werden kann,
wobei die Komplexität des Ausgangsmaterials und die Materialqualität
von entscheidender Bedeutung sind.
LIT. KAINZ (1964); MEILI (1968).
Begriffsrealismus > Nominalism
Begriffsverständnis > Intelligenz.
Behalten > Gedächtnis, > Retention."
Siegler, Robert; Eisenberg, Nancy; DeLoache, Judy
& Saffran, Jenny (2016) Entwicklungspsychologie im Kindes- und
Jugendalter. Deutsche Ausgabe herausgegeben von Sabina Pauen. Berlin: Springer.
Ich fasse den von den AutorInnen öfter verwendeten Ausdruck "Konzept"
als synonym zu "Begriff" auf.
S. 184f Kognition(BMBentw)
"Es ist klar, dass Säuglinge und Kleinkinder auf vielerlei Weise
lernen können. Aber denken sie auch? Diese Frage fasziniert Eltern
und Entwicklungspsychologen gleichermaßen. Die Eltern von Baby Benjamin
haben ihr Kind zweifellos mit Staunen betrachtet und sich gefragt: „Was
denkt er? Denkt er überhaupt?“ Im Verlauf etwa der vergangenen 20
Jahre haben Entwicklungsforscher große Anstrengungen unternommen,
um herauszufinden, in welchem Umfang sich Säuglinge kognitiv betätigen
(wissen (BMwissen),
denken (BMEntDen),
schlussfolgern (BMEntDen)).
Es gab geradezu eine Explosion von faszinierenden Forschungsarbeiten mit
dem Ergebnis, dass die kognitiven Fähigkeiten in der frühen Kindheit
weit beeindruckender sind, als man zunächst annahm. Der Ursprung und
das Wesen dieser eindrucksvollen Fähigkeiten blieb jedoch Gegenstand
heftiger Debatten. Insbesondere gehen die Meinungen von Theoretikern zur
Rolle von Anlage und Umwelt (BMBAnUm)
in der kognitiven Entwicklung auseinander, insbesondere bei der Frage,
ob Entwicklung von
angeborenen Wissensstrukturen
(BMangeb), (BMdiff)
und zielspezifischen Lernmechanismen
(BMEntLer) oder allgemeinen
Lernmechanismen (BMEntLer)
geleitet wird, die in allen Bereichen relevant sind. Wieder einmal entzündet
sich die Debatte hauptsächlich zwischen Nativisten und Empiristen.
Einige Nativisten behaupten, dass Säuglinge in wichtigen Bereichen
über ein angeborenes Wissen verfügen (Carey und Spelke 1994;
Gelman 2002; Gelman und Williams 1998; Scholl und Leslie 1999; Spelke 2000;
Spelke und Kinzler 2007). Wie in ? Kap. 7 noch näher erläutert
wird, halten diese Nativisten daran fest zu behaupten, dass Kinder mit
einigem Wissen über die physikalische Welt geboren werden, beispielsweise
über die Tatsache, dass zwei Objekte nicht den-[>185]selben Ort einnehmen
können oder dass physikalische Objekte sich nur bewegen, wenn sie
durch eine Kraft in Bewegung gesetzt werden. Sie nehmen auch an, dass Kinder
ein rudimentäres Verständnis
(BMEntWis) im Bereich
von Biologie und Psychologie haben. Andere Nativisten betonen, dass Kinder
über
spezialisierte Lernmechanismen verfügen, mit deren
Hilfe sie Wissen in diesen Bereichen schnell und effektiv erwerben können
(Baillargeon 2004; Baillargeon et al. 1996). Empiristen wiederum betonen
die allgemeinen Lernmechanismen, durch welche die mentalen Repräsentationen
der physikalischen Welt von den Kindern nach und nach erworben und angereichert
werden (Munakata et al. 1997). Auf diese Debatte werden wir in Kap. 7 im
Zusammenhang mit der Entwicklung von Konzepten
(BMBentw) im Detail zurückkommen.
In den verbleibenden Abschnitten dieses Kapitels wollen wir die Befunde
zu den kognitiven Fähigkeiten und Grenzen diskutieren, an deren genauer
Erklärung Nativisten und Empiristen gleichermaßen arbeiten."
S. 185: Gegenstandswissen
(BMEntWis)
"Ein großer Teil dessen, was wir über die Kognition von
kleinen Kindern wissen, hat seinen Ursprung in Forschungsarbeiten über
die Entwicklung des Objektwissens; solche Forschungen waren ursprünglich
durch Jean Piagets Theorie der sensomotorischen Intelligenz
(BMBP1smi) inspiriert.
Wie Sie in Kap. 4 erfahren haben, nahm Piaget an, dass das Verständnis
der Welt bei Kleinkindern stark durch ihre Unfähigkeit eingeschränkt
ist, Dinge, die sie im jeweiligen Moment nicht sehen, hören, anfassen
etc. können, mental zu repräsentieren und über sie nachzudenken.
Seine Tests zur Objektpermanenz (BMBPOPerm)
führten Piaget zu dem Schluss, dass ein Säugling nach einem Objekt,
das aus dem Blickfeld verschwunden ist, nicht sucht – nicht einmal dann,
wenn es sein Lieblingsspielzeug ist –, weil dieser Gegenstand auch aus
dem Bewusstsein des Kindes verschwunden ist."
S. 190f Zusammenfassung
"Wahrnehmung
(BMEntWah)
- Das visuelle System des Menschen ist bei Geburt relativ unreif; Kleinkinder
besitzen eine geringe Sehschärfe, eine geringe Kontrastempfindlichkeit
und minimales Farbensehen. Neuere Forschungen haben jedoch nachgewiesen,
dass Neugeborene schon Minuten nach der Geburt damit beginnen, die Welt
visuell abzutasten, und dass sehr kleine Kinder stark kontrastive Muster
bevorzugen, dieselben Farben präferieren wie Erwachsene und insbesondere
eine Vorliebe für menschliche Gesichter aufweisen.
- Einige Sehfähigkeiten, einschließlich der Wahrnehmung
von Größen- und Formkonstanz, liegen bereits bei Geburt vor;
andere entwickeln sich schnell im Verlauf des ersten Lebensjahres. Das
beidäugige Sehen (Stereopsis) entwickelt sich mit etwa vier Monaten
recht plötzlich; in diesem Alter ist auch die Fähigkeit zur Identifikation
von Objektgrenzen – die Objekttrennung – vorhanden. Mit sieben Monaten
sind Kinder für eine Vielzahl von Tiefenhinweisen in Bildern oder
beim monokularen Sehen sensitiv; die Musterwahrnehmung hat sich so weit
entwickelt, dass die Kinder – so wie Erwachsene – Scheinkonturen wahrnehmen
können.
- Das auditive System ist bei Geburt vergleichsweise gut entwickelt,
sodass Neugeborene schon ihren Kopf drehen, um ein Geräusch zu lokalisieren.
Die bemerkenswerte Fähigkeit von Kleinkindern, in akustischen Reizen
Muster zu erkennen, liegt ihrer Empfindlichkeit für musikalische Strukturen
zugrunde.
- Kinder empfinden von Geburt an Gerüche. Sie lernen ihre Mutter
unter anderem an ihrem einzigartigen Geruch zu erkennen.
- Durch aktives Berühren mithilfe von Mund und Hand erkunden und
erfahren Kinder sich selbst und ihre Umwelt.
- Forschungen zum Phänomen der intermodalen Wahrnehmung ließen
erkennen, dass Kinder vom frühesten Alter an Informationen der verschiedenen
Sinnesmodalitäten integrieren, indem sie ihre visuellen Erfahrungen
mit ihrem akustischen, olfaktorischen und taktilen Erfahrungen verknüpfen.
Motorische Entwicklung
- Die motorische Entwicklung, die Entwicklung der Handlungsmöglichkeiten,
erreicht in der frühen Kindheit eine Reihe von „motorischen Meilensteinen“
und schreitet rapide voran, angefangen mit den starken Reflexen neugeborener
Babys. Neuere Forschungsarbeiten haben nachgewiesen, dass das regelmäßige
Entwicklungsmuster bis hin zum freihändigen Laufen aus dem Zusammentreffen
vieler Faktoren resultiert, einschließlich der Entwicklung der Körperkraft,
der Haltungskontrolle, des Gleichgewichts und der Wahrnehmungsfähigkeiten.
Dieses Muster der motorischen Entwicklung variiert jedoch in den verschiedenen
Kulturen je nach ihren speziellen kulturellen Praktiken.
- Jede neue motorische Errungenschaft, vom Greifen bis zur Fortbewegung
aus eigener Kraft, erweitert die Erfahrung des Kindes und bietet gleichzeitig
neue Herausforderungen. Kleinkinder verwenden eine Vielzahl von Strategien,
um sich erfolgreich und sicher in der Welt umherzubewegen. In diesem Prozess
machen sie eine ganze Reihe überraschender Fehler.
Lernen (BMEntLer)
- In der frühen Kindheit liegen verschiedene Arten des Lernens
vor. Kinder habituieren auf Reize, die sich wiederholen, und bilden Erwartungen
bei wiederkehrenden Regelmäßigkeiten von Ereignissen. Wahrnehmungslernen
kommt durch aktive Exploration zustande. Kinder lernen auch durch klassisches
Konditionieren, was die Bildung von Assoziationen zwischen natürlichen
und neutralen Reizen einschließt, und durch operantes Konditionieren,
bei dem das Lernen der Kontingenzen zwischen dem eigenen Verhalten und
dessen Konsequenzen eine Rolle spielt. Sie können auch Erfahrungen
nutzen, um Erwartungen für die Zukunft zu entwickeln.
- Ab der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres wird das Beobachtungslernen
– das Betrachten und Nachmachen der Verhaltensweisen anderer Menschen –
eine zunehmend bedeutsame Informationsquelle. Was Kinder imitieren, hängt
auch davon ab, wie sie die Absichten eines Modells einschätzen.
Kognition
(BMEntKog)
- Mit leistungsfähigen neuen Forschungsverfahren – besonders mit
der Methode der Erwartungsverletzung – wurde nachgewiesen, dass Säuglinge
eindrucksvolle kognitive Fähigkeiten an den Tag legen. Ein großer
Teil dieser Arbeiten zur mentalen Repräsentation und zum kindlichen
Denken wurde ursprünglich von Jean
Piagets Konzept der Objektpermanenz
(BMBPOPerm) inspiriert.
Im Gegensatz zu den Annahmen Piagets zeigte sich jedoch, dass bereits Kleinkinder
nicht sichtbare Objekte mental repräsentieren und aus beobachteten
Ereignissen sogar einfache Schlussfolgerungen
(BMEntDen) ziehen können.
- Weitere Forschungsarbeiten konzentrierten sich auf die Entwicklung
des Wissens über die physikalische Welt und zeigten, dass Kleinkinder
bereits einige Auswirkungen der Schwerkraft verstehen. Babys brauchen mehrere
Monate, um die Bedingungen herauszufinden, unter denen ein Objekt eine
stabile Stütze für ein anderes Objekt bieten kann.
- Was Kleinkinder von Menschen verstehen, wird rege erforscht. Klar
ist der Befund, dass Kleinkinder den Absichten anderer besondere Aufmerksamkeit
schenken.
- Wenngleich viele faszinierende Phänomene im Bereich der Kognition
der frühen Kindheit entdeckt wurden, bleiben grundlegende Fragen der
kognitiven Entwicklung unbeantwortet. Es gibt markante Unterschiede darin,
wie Theoretiker die Fähigkeiten und die Defizite im kindlichen Denken
erklären."
_
S. 254 Kategorien
(BMKateg),
Klassifikationen (BMklasse),
Verstehen (BMBverst)
"In Kürze (BMBentw)
Von frühester Kindheit an bilden Kinder Kategorien
(BMKateg) ähnlicher
Objekte (BMAehnl). Mithilfe
solcher Klassifikationen (BMklasse)
können sie die Eigenschaften unbekannter Objekte innerhalb einer Kategorie
besser erschließen. Wenn Kinder beispielsweise lernen, dass es sich
bei einem neuen Objekt um ein Tier handelt, dann wissen sie bereits, dass
es wächst, sich bewegt und frisst. Kinder bilden neue Kategorien
(BMKateg) – und weisen
neue Objekte bestehenden Kategorien
(BMKateg) zu – auf der
Basis von Ähnlichkeiten (BMAehnl)
in Aussehen und Funktion des neuen Objekts mit anderen Objekten, deren
Klassenzugehörigkeit sie bereits kennen.
Eine besonders wichtige Kategorie
(BMKateg) sind Menschen.
Von den ersten Tagen ihres Lebens an interessieren sich Kinder für
andere Menschen und verwenden sehr viel Zeit darauf, sie anzusehen. Mit
drei Jahren bilden sie eine einfache alltagspsychologische Theory of Mind,
die ein gewisses Verständnis der Kausalbeziehungen
(BMKauGes) zwischen Intentionen,
Wünschen, Überzeugungen und Handlungen einschließt. Aber
erst mit vier oder fünf Jahren können die meisten Kinder Aufgaben
vom Typ „falsche Überzeugung“ erfolgreich meistern, die ein Verständnis
dafür voraussetzen, dass andere Menschen entsprechend ihren Überzeugungen
handeln, und zwar auch dann, wenn diese Überzeugungen aus der Sicht
des Kindes falsch sind. Die Entwicklung des Verstehens
(BMBverst) der psychischen
Funktionen anderer Menschen im Verlauf der Vorschuljahre wurde der biologischen
Reifung eines Theory-of-Mind-Moduls zugeschrieben, alternativ aber auch
der Erfahrung im Umgang mit anderen Menschen oder der Entwicklung der Informationsverarbeitungsfähigkeiten,
mit deren Hilfe Kinder immer komplexere soziale Situationen verstehen können.
Eine weitere wichtige Kategorie
(BMKateg) betrifft Lebewesen.
Im Vorschulalter gewinnen Kinder ein Grundverständnis von den Eigenschaften
biologischer Sachverhalte wie Wachstum, Vererbung, Krankheit und Genesung.
Aber erst im Schulalter zählen die meisten Kinder Pflanzen zur Klasse
der lebenden Dinge. Erklärungen für den relativ schnellen Erwerb
biologischen Wissens beziehen sich auf die ausgiebige Konfrontation mit
biologischen Informationen vonseiten der Familien und der umgebenden Kultur
ihrer Gesellschaft ebenso wie auf ihrem eigenen Frageverhalten, das informative
Antworten auslöst, und schließlich die Existenz von Gehirnmechanismen,
die Kinder dahin führen, an Lebewesen interessiert zu sein und schnell
und leicht mehr über sie zu lernen."
S. 267f: ZusammenfassungVerstehen
des eigenen Erlebens (BMBentw)
"Zusammenfassung
- Um zu verstehen (BMBverst),
was sie erleben, müssen Kinder lernen
(BMBlern), dass die Welt
verschiedenartige
Typen von Objekten enthält (BMBdif):
Menschen, andere Lebewesen und unbelebte Gegenstände. Auch benötigen
Kinder ein Grundverständnis von Kausalität
(BMKauGes), Raum
(SBPhyRaum), Zeit
(SBPhyZeit) und Zahl
(SBMZahl), sodass sie in
der Lage sind, ihre Erfahrungen danach zu codieren, warum, wo, wann und
wie oft Ereignisse auftreten.
Die Dinge verstehen: Wer oder
was (BMBentw)
- Die ersten Objektkategorien von Kindern beruhen größtenteils
auf perzeptueller Ähnlichkeit (BMAehnl),
insbesondere auf Formähnlichkeit. Zum Ende des ersten Lebensjahres
bilden sie auch
Klassen von Objekten
(BMklasse) mit gleicher
Funktion
(BMfunktion).
- Im Alter von zwei oder drei Jahren bilden Kinder Klassenhierarchien
(BMhierar) vom Typ Tier
– Hund – Pudel oder Möbel – Stuhl – Barhocker.
- Ab der frühen Kindheit verhalten sich Kinder gegenüber
Menschen anders als gegenüber Tieren oder unbelebten Objekten. Zum
Beispiel lächeln sie Menschen mehr an als Kaninchen oder Roboter.
- Mit vier oder fünf Jahren entwickeln Vorschulkinder eine elementare,
aber wohlorganisierte alltagspsychologische
Theory
of Mind (BMToM),
in der sie ihr Verständnis von menschlichem Verhalten strukturieren.
Eine wichtige Prämisse besteht darin, dass Wünsche und Überzeugungen
bestimmte Handlungsweisen motivieren.
- Dreijährigen fällt es sehr schwer zu begreifen, dass andere
Menschen aufgrund ihrer Überzeugungen handeln, insbesondere auch dann,
wenn diese Überzeugungen falsch sind; viele Kinder verstehen das vor
dem fünften Lebensjahr noch nicht.
- Tiere und Pflanzen, besonders aber Tiere, sind für kleine Kinder
von größtem Interesse (BMBBFint).
Wenn Tiere anwesend sind, werden sie mit großer Aufmerksamkeit
(BMBBFaufm) betrachtet.
- Mit vier Jahren haben Kinder ein recht differenziertes Verständnis
von Lebewesen (SBLLonS)
entwickelt, das kohärente Vorstellungen über unsichtbare Prozesse
wie Wachstum (SBLWachs),
Vererbung
(SBLVererb),
Krankheit
(SBLKrank)
und Heilung (SBLHeil) einschließt.
Sowohl ihre natürliche Begeisterung für Lebewesen als auch der
Informationsinput, den sie aus der Umwelt erhalten, trägt zur Erweiterung
ihres Wissens über Pflanzen und Tiere bei.[>268]
Die Umstände verstehen: Wo,
wann, warum und wie viel
- Die Entwicklung des kausalen Denkens
(BMKauGes) beginnt bei
physikalischen Ereignissen ebenfalls in der frühen Kindheit. Zwischen
sechs und zwölf Monaten verstehen Kinder, was vermutlich passieren
wird, wenn zwei Objekte kollidieren. Das Verständnis der kausalen
Beziehungen zwischen Handlungen hilft einjährigen Kindern, diese Handlungen
im Gedächtnis zu behalten.
- Mit vier oder fünf Jahren scheinen Kinder zu erkennen, dass
Ursachen
(BMKauGes) notwendig sind,
damit Ereignisse eintreten. Wenn keine Ursache offensichtlich ist, suchen
sie nach einer. Im Vorschulalter glauben Kinder jedoch sowohl an Magie
(BMMagie)
und Zauberei (BMZaub)
als auch an Ursache-Wirkungs-Beziehungen
(BMKauGes).
- Menschen sind, wie andere Tiere auch, biologisch darauf vorbereitet,
räumliche
Sachverhalte (SBPhyRaum)
zu codieren. In frühester Kindheit codieren sie die Orte anderer Objekte
hauptsächlich relativ zu ihrer eigenen Position und zu externen Orientierungspunkten.
Mit dem Erwerb der Fähigkeit, sich aus eigener Kraft fortzubewegen,
bekommen sie ein Gefühl für Raumpositionen
(SBPhyRaum) relativ zur
allgemeinen Umgebung wie auch relativ zu ihrer aktuellen Position.
- Blind geborene Kinder (BMBehBli)
besitzen überraschend gute räumliche Repräsentationen
(SBPhyRaum);
einige Aspekte ihrer Verarbeitung von räumlichen Informationen, insbesondere
die Verarbeitung von Gesichtern, erreichen jedoch nicht das normale Maß,
selbst wenn in früher Kindheit chirurgisch eingegriffen wurde, um
die Sehbehinderung zu korrigieren.
- So wie Kinder mit der Fähigkeit auf die Welt kommen, bestimmte
Aspekte des Raumes zu codieren, so sind sie auch mit der Fähigkeit
geboren, bestimmte Aspekte der Zeit zu codieren. Schon mit drei Monaten
codieren sie die Reihenfolge, in der Ereignisse auftreten. Säuglinge
dieses Alters können auch anhand von regelmäßigen Abfolgen
vergangener Ereignisse zukünftige Ereignisse antizipieren.
- Mit fünf Jahren können Kinder in gewissem Sinn logisch
über Zeit nachdenken; wenn zwei Ereignisse gleichzeitig begannen und
eines später endete als das andere, können sie erschließen,
dass das später endende länger gedauert haben muss. Kinder sind
zu solchen Schlüssen aber nur in der Lage, wenn sie in ihrer Wahrnehmung
nicht durch störende Reize abgelenkt sind.
- Ein elementares Verstehen von sehr kleinen Zahlen existiert schon
in frühester Kindheit. Säuglinge bemerken Unterschiede in der
Anzahl sehr kleiner Mengen von Objekten und zwischen Ereignissen, die unterschiedlich
oft wiederholt werden. Sie erkennen auch bereits Unterschiede zwischen
Mengen von Objekten oder Ereignissen, wenn die Anzahlen der Mengenelemente
relativ zueinander stark abweichen, also in einem großen Verhältnis
zueinander stehen.
- Im Alter von drei Jahren lernen die meisten Kinder, bis zu zehn Objekte
abzuzählen. Ihr Zählen scheint ein Verständnis der Prinzipien
widerzuspiegeln, die dem Zählen zugrunde liegen, beispielsweise dass
jedes gezählte Objekt nur mit einem einzigen Zahlwort bezeichnet werden
darf. Wie schnell Dreijährige dann über 10 hinaus zählen
lernen, ist auch ein Spiegel kultureller Einflüsse durch die sprachliche
Struktur von Zahlwörtern und die Wertschätzung mathematischen
Wissens.
- Kinder verfügen in einem Alter von neun Monaten über eine
allgemeine Repräsentation von Größe in Bezug auf die Dimensionen
Raum, Zeit und Zahl."
"Komplexität der Begriffsentwicklung ()
Es erscheint sinnvoll, im Vorgriff einige Komponenten der Begriffsbildung etwas näher zu betrachten; vielleicht weckt dies ein besseres Verständnis für die komplexen Leistungen, die das Kind (aber auch der Erwachsene) auf diesem Gebiet erbringt.
1. Klassifikationsregeln: Unter formalen Gesichtspunkten kann man die Bildung eines Begriffs (BMBB) als Klassifikation (BMklasse) umschreiben. Objekte, die unter einem bestimmten Aspekt bedeutungsgleich sind, können unter Vernachlässigung anderer Merkmale in einer Äquivalenzklasse zusammengefaßt werden. Die Zuordnung von Objekten nach Bedeutungsäquivalenten kann als Anwendung einer Klassifikationsregel bezeichnet werden. So ist es möglich, den Klassenbegriff (BMklasse) ,Tiere‘ zu bilden durch die konjunktive Verbindung (= Regel): „ ,Hunde‘ und ,Katzen‘ und ,Pferde‘ ... etc.‘‘. Andere klassifikatorische Regeln, die bei der Begriffsbildung (BMBB) zur Anwendung kommen, sind beispielsweise disjunktive (,oder‘), implikative (,wenn-dann‘), negierende (,nicht'), relationale (,zwischen‘, ,größer als‘) oder quantifizierende (,alle‘, ,keine‘) Verbindungen (BMmerkV). Solche Regeln müssen gelernt werden (BMBlern).
2. Kriteriumsmerkmale und Bedeutung: Um einen
Begriff
() bilden zu können, braucht man
neben Regeln auch Kriteriumsmerkmale
(BMBKrit) (= Begriffsinhalt
(BMinhalt) ), mit deren
Hilfe jene Objekte, auf die diese Merkmale zutreffen, einer Klasse ( =
Begriffsumfang
(BMumfang)) zugeordnet
und andere Objekte, auf die sie nicht zutreffen, ausgeschlossen werden
können. Die formale Definition von ,Begriff
(BMDefiniendum)(B)
lautet deshalb B äquivalent R (x, y, ..,), wobei R eine Regel
und x, y ... relevante Merkmale darstellen (Bourne 1974) (BMDefiniens).
Die Bedeutung eines Kriteriumsmerkmals (oder genauer:
die Bedeutung der einzelnen semantischen Komponenten = ,features‘) ist
identisch mit der spezifischen Information, die es ermöglicht, ein
Objekt vom anderen zu un-[>446]terscheiden. Dieses Unterscheiden
(BMunters) kann als Grundlage
für den Aufbau semantischer Bedeutungen angesehen werden.
Ein Kind muß daher lernen, bei einzelnen Objekten
(oder Personen) Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zu identifizieren, um
dann nur bestimmte Eigenschaften verallgemeinernd als Kriteriumsmerkmale
zu verwenden. (Für Ansätze, die dabei von einer ,generativen
Semantik‘, von ,semantischen Kontrasten‘ oder von einer ,Semantik der Handlung‘
ausgehen, siehe u. a. Fodor & Katz 1963, Leech 1974, Clark 1973, 1979,
Fillmore 1968, Aebli 1980. Zur Entwicklung von Bedeutungen siehe auch Grimm
et al. 1975, Bruner 1975, Bowermann 1978; Wannenmacher & Seiler 1981),
Die Wahl von Kriteriumsmerkmalen
(BMBKrit) in der Begriffsentwicklung
(BMBentw) verläuft
beim Kind in einer spezifischen Weise und gibt Aufschluß darüber,
welche Bedeutung ein Begriff (BMInRve)
für es hat.
3. Begriffe (BMBons) und Namen (BMName): So stehen beim Bedeutungserwerb zunächst aktionale und gegenständlich-figurative Merkmale im Vordergrund. Das erschwert den Prozeß des Unterscheidens zwischen Individual- und Klassenbegriffen, sowie den richtigen Gebrauch von Eigen- (BMeignam) und Gemeinnamen (BMallgB). Deshalb greift das Kind zu ,Vor‘- und ,Misch‘-Begriffen (BMBBVuM), So kann es beispielsweise alle Hunde und Katzen, Wau-Wau nennen oder sog. ,thematische Gruppierungen‘ vornehmen. Umgekehrt bedeutet die Verwendung von Gemeinnamen nicht unbedingt, daß ein Klassenbegriff gemeint ist. Der konkrete Aufbau von Begriffspyramiden (vgl. Abb. 6b.3) verläuft daher keineswegs bei allen Kindern oder für alle Begriffe einheitlich und richtungsgleich.
4, Abstraktionen und Dimensionen: Je näher
man der ,Spitze‘ einer Begriffspyramide
(BMhierar) kommt, desto
weniger anschaulich werden die Kriteriumsmerkmale (Hayakawa 1970). Deshalb
liegt im Erfassen ihrer Bedeutung eine besondere Schwierigkeit. Sie müssen
als Name (,Obst‘), als Funktion (,Werkzeug‘) oder als analytische Abstraktion
(,Wert‘) erst gelernt werden. Wächst beim Kind die Anzahl der Kriteriumsmerkmale,
dann wird nicht nur die begriffliche Bedeutung
(BMdiff) differenzierter;
es vergrößert sich auch die Spanne der Bedeutungs- und Zuordnungsmöglichkeiten.
Je nachdem, ob es beim Wort ,Hund‘ das Merkmal ,Spielkamerad‘, ,Fleischfresser‘
oder ,Haustier‘ im Auge hat, wird es anders klassifizieren. So wird die
gleichzeitige Beachtung mehrerer Abstraktionsebenen und Dimensionen möglich
und damit ein rascher Wechsel innerhalb wie zwischen den einzelnen Begriffspyramiden
(BMhierar). Jetzt kann
das Kind auch verstehen, daß ein Wort in Abhängigkeit vom Kontext
völlig verschiedene Begriffe (BMhomonym)
bedeuten kann (Homonymie und pragmatische Bedeutung).
Das Denken in Begriffen (BMBdenk)
reduziert sich daher nicht auf formale Klassifikationsleistungen, sondern
umfaßt viele andere Operationen
(BMkogF) wie Selegieren
(BMausw),
Diskriminieren (BMunters),
Abstrahieren (BMabsgen),
Generalisieren (BMabsgen)
sowie kontextuelles Interpretieren. Hat ein Kind einmal die invarianten
Züge eines Gegenstandes (den Bedeutungskern) und damit die Beziehungen
zu anderen Objekten erkannt, dann kann es künftig diesen Gegenstand
„durch den Begriff (BMBdenk)'
hindurch sehen (Holzkamp 1973) und dementsprechend mit ihm umgehen; er
steht dann als kognitives Werkzeug (BMkogF)
zur Verfügung (Abb. 6b.3).
"
_
Bullens, Hendrik (1983) Begriffsentwicklung
in der Kindheit als Aufbau Kognitiver Strukturen Forschungskonzepte und
Ontogenese. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der
Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität zu München.
S. 119: "Kapitel 6
WAS SIND BEGRIFFE?
6.1 DAS PROBLEM DER DEFINITION ALS DEFINITION DES PROBLEMS
Wer sich mit Theorie und Empirie der Begriffsentwicklung beschäftigt, hat es (mindestens) mit den drei folgenden Fragen zu tun:
"Zu den ersten beiden Fragen gibt es eine unüberschaubare
Menge an Daten, während man vernünftige Antworten auf die dritte
Frage in der experimentellen Literatur mit der Lupe suchen muß. (BMKritik)
Das mag daran liegen, daß die 'wie' und 'wann'-Fragen
durch empirische Feststellungen beantwortbar sind, die letzte hingegen
nicht.
So kann der Prozeß der Begriffsentwicklung
(BMBentw) beispielsweise
erforscht werden, indem bestimmte Formverläufe in der Anordnung von
Gegenständen oder im Wortverständnis festgehalten werden; und
ob ein Kind etwa über den Begriff der Mengeninvarianz verfügt,
läßt sich mit einer der einschlägigen Konservierungsaufgaben
feststellen.
Aber weder mit dem einen, genetisch-deskriptiven, noch mit dem anderen,
experimentellen Verfahren würde man [>120] etwas mehr darüber
erfahren, was ein Begriff ist. Das muß exakt festgelegt werden und
ist eine Frage der Theorie: zumindest sollte sie es sein. Da Theorie, besonders
im Experimentalbereich, nicht sehr gefragt ist, Denken bekanntlich mühsam
und 'schnüffeln' bequemer scheint ("We have all become a little tired
of methodology ... To a greater extent than before, psychologists within
and without the (lerntheoretische;d.V.) tradition are following their noses
..." WHITE 1970, 687) und das Denken außerdem in der Forschungspraxis
weniger den Gesetzen der 'Wahrheitsfindung' als der Zeitökonomie unterliegt,
wurde das theoretische Begriffsproblem
(BMTheoSys) der Philosophie
überlassen und bediente man sich in der praktischen Experimentpsychologie
anderer Verfahren. Die übliche Vorgehensweise, ein Nachdenken über
den Gegenstand der Untersuchung, hier Begriffe
(BMKritik),. zu umgehen,
besteht darin, es konventionalistisch oder dezisionistisch abzukürzen:
Diese Art von 'Begriffsdefinitionen'
(BMDefCha) gibt es freilich
genügend. Im einen Fall wird einem gängigen experimentellen Paradigma
(welches durch die Versuchsanordnung selbst die Bedeutung von 'Begriff'
(BMDefOp) operational festlegt)
gefolgt; im anderen Fall wird irgendeine Begriffsbestimmung
(BMDefCha) festgesetzt
- wobei der Übergang zwischen beliebiger Setzung und geflissentlichem
Übergehen einer Begriffserläuterung
(BMKritik) oft sehr fließend
ist, was aber durch die Metasprache gut kaschiert werden kann."
Bullens kommt S. 147f zu dem Ergebnis:
"2. Begriffe
() sind keine universell gültigen Abstraktionen, keine rein logischen
Idealisierungen, noch sind sie zufällig festgelegte und willkürlich
erweiterbare Klassenwörter. Sie sind vielmehr
Ordnungsgesichtspunkte,
Perspektiven im Wissen, die auf Grund der mannigfaltigen Eigenschaften
und Beziehungen zwischen den Dingen zu einem bestimmten Zweck hergestellt
werden können; beispielsweise um jemanden mitzuteilen, was ich meine,
um einen unklaren empirischen Sachverhalt aus verschiedenen Perspektiven
untersuchen zu können, oder um Informationen aus der Umwelt, die für
mein
Handeln wichtig sind, entsprechend einordnen und 'begrifflich'
() sehen zu können. "Die Abhängigkeit der Klassifikation von
den Interessen der klassifizierenden Leute bedeutet also nicht Willkür
der Klassifikation; und die Klassifikation nach Ähnlichkeit bedeutet
nicht etwa Unabhängigkeit von den Interessen der klassifizierenden
Leute" (SAVIGNY 1969, 257). Dafür gibt es zahllose Beispiele in der
Ethnologie: die vielen Wörter der Eskimos für 'Schnee'; die vielen
Bezeichnungen für 'Palme' in Abhängigkeit der Verwendung als
Material bei den Südseeinselbewohnern; aber auch, verglichen mit [>148]
unserer Kultur, fehlende Sprachkategorien zur Unterscheidung bestimmter
Farben bei den Zuni-Indianern, den Navahos oder Hopi; die großen
Differenzierungsunterschiede in der Wahrnehmungs- und Sprachklassifikationen
bei Küstenbewohnern verglichen mit Stämmen, die das Inland der
amerikanisch - kanadischen Nordwestküste bewohnen; oder das begriffliche
'Etak'- System (BMEtak)
der Puluwatader, das der Navigation dient usw. (vgl. LINDESMITH
& STRAUSS 1974, WHORF 1956, HENLE 1965, LENNEBERG 1967, BROWN 1956,
NEISSER 1976 u.v.a. ) (BMHZitS)
Entwicklungspsychologisch gesehen bedeutet dies
nichts anderes als daß:" Indem ein Kind ... die üblichen Bezeichnungen
lernt, lernt es dort zu unterscheiden, wo die Eltern unterscheiden und
dort nicht zu unterscheiden (BMunters),
wo dies nach dem Vorbild der Eltern und der anderen Sprachbenutzer in diesem
Kulturkreis nicht nötig ist" (HÖRMANN 1970, 330) .
Ändert sich der Zweck, so kann sich auch der
Ordnungsgesichtspunkt ändern: Aspekte, die zuvor irrelevant waren,
werden jetzt wichtig. Daraus ergibt sich: eine endgültige Definition
durch die Zuordnung von Exemplaren zu einer begrifflichen
Klasse (BMklasse),
oder durch eine eindeutige und umfassende Unterscheidung von relevanten
und irrelevanten Merkmalen ist nicht möglich. Begriffe
(BMBons), und insbes. die
Alltagsbegriffe
(BMAlltag) welche die
kognitive Entwicklungspsychologie untersucht, sind inhärent unscharf
(BMunscharf).
Daher greift eine Definition von 'Begriff(BMKritik)'
als abstrahiertes, isomorphes Abbild der Wirklichkeit zu kurz; und die
gängigen
(lexikalischen) Begriffsdefinitionen
(BMDefLex) sind selber
zu verstehen als nachträgliche Rekonstruktionen einer der vielen Möglichkeiten,
nach denen begriffliche Bedeutungen als Ordnungs-[>149]perspektiven unseres
Wissens in der Sprache verwendet werden. In diesem Fall ist ihr Zweck eben,
lexikalische Definitionen herzustellen. Man sollte das aber nicht identifizieren
mit dem Prozeß der realen Begriffsbildung
(BMBBdif), (BMvergl)
in der Ontogenese oder gar mit dem Aufbau der begrifflichen
Struktur (BMBstruk)
des semantischen Gedächtnisses, die offenbar sehr viel reichhaltiger
und weniger eindimensional sind."
Fett, kursiv und 14pt sind Hervorhebungen
von R. Sponsel, nur fett ist bei Bullens g e s p
e r r t geschrieben.
_
Pseudobegriff
nach Wygotski
Aus: Wygotski, L. S. (1981; russ 1934) Denken und Sprechen. Frankfurt
aM: Fischer.
Zum Pseudobegriff finden sich im Sachregister
unter dem übergeordneten Begriff "Komplexe" folgende Einträge:
5. Phase - Pseudobegriff 131 bis 136, 140, 142,
149-153, 158.
Die letzte Form des komplexen Denkens, die sowohl
im Experiment als auch im wirklichen Leben für das Denken des Kindes
von großer Bedeutung ist, beleuchtet alle Stufen des komplexen Denkens
und stellt die Brücke, den Übergang zu einer neuen, höheren
Stufe - zur Begriffsbildung (BMBB)
- dar.
Wir nennen diesen Komplextypus Pseudobegriff
(BMBpseu),
weil die kindlichen Verallgemeinerungen ihrer äußeren Form nach
an den Begriff (BMBpseu)
des erwachsenen Menschen erinnern, aber ihrer psychologischen Natur nach
etwas völlig anderes darstellen.
Wir haben es hier mit einer komplexen Verbindung
einer Reihe konkreter Dinge zu tun, die phänotypisch, d. h. in ihrer
äußeren Form mit dem Begriff
(BMunklar)
zusammenfällt, die aber genetisch, also nach den Bedingungen ihrer
Entstehung und Entwicklung bzw. nach ihren kausal-dynamischen Grundlagen
keinen Begriff (BMBpseu)
darstellt. Darum bezeichnen wir ihn als Pseudobegriff
(BMBpseu).
Im Experiment bildet das Kind immer dann einen
Pseudobegriff
(BMBpseu),
wenn es zu der gegebenen Vorlage eine Reihe von Gegenständen wählt,
die auch als Grundlage irgendeines abstrakten Begriffs zusammengestellt
und miteinander vereinigt werden könnten. Die Verallgemeinerung könnte
also echt begrifflich erfolgen, tatsächlich entsteht sie aber durch
komplexes Denken.
Nur im Endergebnis fällt die komplexe mit
einer
begrifflichen Verallgemeinerung
(BMunklar)
zusammen. Das Kind stellt beispielsweise zu der gegebenen Vorlage - einem
gelben Dreieck - alle im Versuchsmaterial vorhandenen Dreiecke zusammen.
Einer solchen Gruppe könnte auch der Begriff
(BMBspGeg )
oder die Idee des Dreiecks zugrunde liegen. Wie die weitere Untersuchung
aber zeigt, hat das Kind die Gegenstände in Wirklichkeit auf Grund
ihrer konkreten und anschaulichen Verbindungen (BMunklar)
vereinigt, also lediglich einen begrenzten assoziativen Komplex (BMunklar)
gebildet, und ist dabei zu dem gleichen Ergebnis gekommen, obgleich es
einen ganz anderen Weg gegangen ist.
Dieser Komplextypus ist für das reale Denken
des Kindes von domi-[>132]nierender Bedeutung. Wir müssen deshalb
etwas ausführlicher auf ihn eingehen, da hier ein Einschnitt vorliegt,
der das komplexe vom begrifflichen
Denken (BMdiff)
trennt und gleichzeitig beide Stufen
der Begriffsbildung (BMBstuf)
verbindet.
X
Die Pseudobegriffe
(BMBpseu)
sind die verbreitetste und oft fast ausschließliche Form des komplexen
Denkens im Leben des Vorschulkindes. Ihre Verbreitung und Vorherrschaft
hat ihre Ursache darin, daß sich die der Wortbedeutung entsprechenden
Komplexe nicht frei, nicht spontan in irgendwelchen vom Kinde selbst umrissenen
Bahnen entwickeln (BMunklar),
sondern in Richtung der in der Sprache der Erwachsenen bereits festliegenden
Bedeutungen der Wörter."
Zusammenfassende Interpretation
des Strukturalistischen Konstruktivismus Piagets
Anlage, Verhalten, Kognitionen, Lernen und Umwelt wirken auf das engste
zusammen. Die geistigen Prozesse und die geistige Entwicklung sind von
Geburt an in einem ständigen Wechselspiel sehr mit dem Handeln verbunden.
Subjekt und Objekt sind nicht unabhängig voneinander (interaktiver
Konstruktivismus). Kognition, Handlung und Umwelt bilden letztlich eine
vielfach miteinander verbundene untrennbare Einheit (Struktur). Erst allmählich
kann das Denken unabhängig von konkreten Situationen und Handlungen
genutzt werden. Lebewesen sind ständig bemüht, ein Gleichgewicht
(Äqulibration) zwischen (Selbst-) Anforderungen und Bewältigungen
herzustellen. Dieses Gleichgewichtsstreben ist das Grundmotiv für
angeborene (z.B. saugen, bewegen) und erworbene Anwendungen (Assimilation)
des kognitiven und Handlungsrepertoires sowie Anpassungen und Weiterentwicklungen
(Akkomodation) von Fähigkeiten und Fertigkeiten, wo die vorhandenen
nicht ausreichen. Diese Entwicklung vollzieht sich in Stufen, die aufeinander
aufbauen und auseinander hervorgehen. Diese Konzeption Piagets ist im Großen
und Ganzen trotz fremdartiger und schwer verständlicher Terminologie
sehr lebensnah und durch außerordentlich viele empirische Beobachtungen,
Operationalisierungen, Experimente und Analysen fundiert. Definitionen,
wissenschaftstheoretische und methodische Klarheit sind nicht seine Stärke.
Es ist sehr schwierig, sich durch seine vielen Schriften und Varianten
hindurch zu arbeiten, denn es stellen sich immer mehr Fragen.
Begriffsbildung und Begriff in der 1. Phase/1. Stufe sensumotorischer
Intelligenz (0-18/24 Monate)
Begriffsbildung und Begriff in der 2. Phase/2. Stufe präoperationales
Stadium (18/24 Monate - 4 Jahre)
Begriffsbildung und Begriff in der 3. Phase/3. Stufe konkrete Operationen
(4-11/12 Jahre)
Begriffsbildung und Begriff in der 4. Phase/4. Stufe der formalen Operationen
(ab 11/12 Jahren)
Begriffsbildung und Begriff beim anschauliches Denken
Begriffsbildung und Begriff beim Egozentrisches Denken
Begriffsbildung und Begriff der Objektpermanenz
Begriffsbildung und Begriff der Subjekt-Objektunterscheidung
Piaget Begriffshilfen
Piaget hat mit seinem großen empirisch-experimentellen
Werk kognitive Entwicklungspsychologiegeschichte geschrieben, grundlegende
und bleibende Ideen, Begriffe und operationale Methoden geschaffen. Aber
sein Vokabular und seine Terminologie sind nicht einfach und meist
nicht oder nicht sehr gut und verständlich erklärt. Man behilft
sich am besten mit Sekundärliteratur, Wörterbüchern und
Lexika. So z.B. Montada (1982), S. 410f: "Schema, Struktur, Assimilation
und Akkomodation" (Anmerkung: es wird zwar Akkomodation erklärt, aber
nicht Assimilation). Ich erstelle mir zur Zeit ein eigenen Glossar zur
kognitiven Entwicklungspsychologie Piagets.
BegriffPF
- siehe Konzept
Konzept (Begriff)PF
- (BMDefiniendum)
Im logischen Sinne: eine innere Konstruktion
(BMKonstruk) des generalisierbaren
(BMabsgen) Aspekts eines
erkannten Gegenstandes; es hat eine Intension
(BMinhalt) (oder Komprehension),
die die Frage nach seinem Wesen (BMWesen),
und eine Extension (BMumfang),
die die Frage, welche Gegenstände Exemplar des Konzepts sind, beantwortet.
In psychologischem Sinne ist ein Konzept
(BMBPonS) mit der inneren Struktur (BMunklar)
oder dem internen Plan (BMunklar)
eines Individuums identisch und entspricht der Ebene jener Struktur (z.
B. »praktisches« Konzept, »praktischer« Begriff
(BMBPprak)) (BMzirtau).
In seinen sprachlichen Manifestationen ist ein Konzept
ein verbalisierter Ausdruck (BMWort),
(BMName) eines logischen
Konzepts (BMLogB)
zusammen mit seiner verbalisierten Komprehension;
indes, dem logischen Konzept als solchem ist die sprachliche Verkörperung
äußerlich (BMWort).
(BMDefiniens)
AkkommodationPF
(BMDefiniendum) "Der
nach außen gerichtete Prozeß eines operativen Aktes, der sich
auf einen besonderen Realitätszustand
(BMunklar), (BMBeleg-)
bezieht. Die Akkommodation (BMBPAkom),
(BMautonS) wendet eine
allgemeine
Struktur (BMunklar)
auf eine besondere Situation an; als solche enthält sie immer ein
Element von Neuheit. In einem eingeschränkten Sinne führt die
Akkommodation
(BMBPAkom),(BMautonS)
an eine neue Situation zur Differenzierung einer schon ausgebildeten Struktur
und somit zum Auftreten neuer Strukturen." (BMDefiniens)
AssimilationPF (BMDefiniendum) - "Der inkorporierende Prozeß (BMunklar) eines operativen Aktes. Ein In- sich-Aufnehmen von Umweltdaten, nicht in einem kausalen, mechanistischen Sinne, sondern als Funktion einer internen Struktur (BMunklar), (BMBeleg-), die kraft ihrer eigenen Natur (BMunklar), (BMBeleg-) - durch Assimilation (BMzirtau) potentiellen Materials aus der Umwelt - nach Betätigung strebt." (BMDefiniens)
ÄquilibrationPF (BMDefiniendum) - "Der interne Regulationsfaktor einer biologischen Organisation; er manifestiert sich in allen Lebensäußerungen (BMBeleg-), besonders deutlich in der Entwicklung der Aktivität der Intelligenz. Die Intelligenz macht die einer Organisation immanenten Regulationen explizit. Als Prozeß ist die Äquilibration (BMBPÄqui), (BMautonS) der Regulationsfaktor (BMBPÄqui), der Evolution und Entwicklung miteinander verbindet, als Zustand (als ein Gleichgewicht) ist sie ein immer neues Ausgleichen aktiver Kompensationen (BMunklar), (BMBeleg-)." (BMDefiniens)
KreisreaktionPD (BMDefiniendum)"Kreisreaktion (= K.) [engl. circular reaction], [EW], Jean Piaget hat das Konzept der K. (BMBPkreis) für das sich entwickelnde Zusammenspiel von Assimilation (BMBPAssim) (Assimilationsschema) und Akkommodation (BMBPAkom) verwendet und das vor allem für die sensu-motorische Entwicklungsstufe (BMBP1smi); es ist aber auf allen Entwicklungsstufen analog verwendbar (Repräsentationsstufen).?" (BMDefiniens)
Begriff symbolisches oder vorbegriffliches
Denken
In Piaget, Jean & Inhelder, Bärbel (orig. 1966, dt. 1978/90)
Die Entwicklung des inneren Bildes beim Kind. Frankfurt aM: Suhrkamp:
Begriffsbildung und Begriff beim Synkretischen
Denken
Begriffsbildung und Begriff bei der Zweck-Mittel-Relation
Weitere Begriffe und Begriffsquellen
bei Piaget
sind die Inhaltsverzeichnis und Sachregister - sofern welche vorliegen
- der Werke Piagets.
Kritik an Piagets
kognitiver Entwicklungstheorie
Piaget hat mit seinem großen empirisch-experimentellen
Werk
kognitive Entwicklungspsychologiegeschichte geschrieben, grundlegende
und bleibende Ideen, Begriffe und operationale Methoden geschaffen. Inzwischen
wird sein Werk auch kritisch rezipiert, was natürlich zur Wissenschaft
dazugehört. Er erklärt seine neue, fremdartige Terminologie und
Begriffe nicht gut, aber auch die Mitteilungen wie die Kinder instruiert
wurden und die Versuchsbeschreibungen, lassen zu wünschen übrig
(>Kritik Flammer).
Kritik von Flammer (2009)
in Entwicklungstheorien
"Kindliches Sprachverständnis- eine methodologische Kritik
Aus den vielen Untersuchungsprotokollen Piagets wird sichtbar, wie
sehr sich Piaget geradezu damit vergnügte, mit den Kindern zu sprechen,
ihnen zu widersprechen und ihre Aussagen zu hinterfragen. So berichtete
er viele amüsante Kinderantworten, z. B. auf die (an sich sehr anspruchsvolle)
Frage, warum es in Genf zwei Salèves, d. h. einen hohen und einen
niedrigen Berg namens Salève, gebe. Eine kindliche Antwort
war, dass der hohe Salève für die langen und der niedrige Salève
für die kurzen Späziergänge sei. Schon in diesem Beispiel
kann man sich fragen, was das kleine Kind denn unter «warum»
verstanden hat. Natürlich wollte Piaget damit einmal mehr demonstrieren,
dass die finale Denkkategorie vor der kausalen auftrete, wozu er eben gezielt
das etwas zweideutige Wort «warum» verwendete. Er hätte
aber auch fragen können: «Wie kommt es, dass es hohen und einen
niederen Salève gibt? Dann hätte das Kind vielleicht wirklich
kausal wortet, vielleicht aber dennoch final, etwa im Sinn des Artifizialismus,
wonach eben jemand z.B. Gott, einen hohen und einen Salève hatte
machen wollen.
Noch deutlicher wird der Einfluss des Sprachverständnisses, wenn
das Kind im Knetwurstbeispiel unter «mehr» das eine Mal die
Dicke und das andere Mal die Länge versteht. Piaget nämlich die
Knetkugel zur Wurst auswalzte, wollte er eigentlich wissen, ob die Masse
noch die gleiche sei. Aber der technische Begriff der Masse hätte
das kindliche Sprachverständnis bestimmt überfordert."
Quelle S. 160: Flammer, August (2008). Entwicklungstheorien.
Psychologische Theorien der menschlichen Entwicklung. Bern: Huber.
Siegler et al. kritisch
zu Jean Piagets Konzept der Objektpermanenz.
Sponsel:
Kritischer Kommentar-1 Symbolisches Denken.
Sponsel:
Kritischer Kommentar-2 Symbolisches Denken.
Ende Piaget
Furth Denkprozesse ohne Sprache.
Furth, Hans G. (dt. 1972, engl. 1966). Denkprozesse ohne Sprache. Düsseldorf:
Schwann.
Für die Grundlagenkritik, hier S. 203ff,
wurden wichtigere Begriffe 14pt-fett-kursiv
von mir hervorgehoben.
"In der Vergangenheit versuchte man Begriffe
- so als ob sie unabhängig existierende Gegenstände des Denkens
wären - durch die Vorstellung,
insbesondere die visuelle Vorstellung
des Individuums zu erklären. Man glaubte, daß diese Vorstellungen
verwischt und ziemlich vage seien und daher eine Art allgemeinen
Begriff darstellten, auf den alle möglichen Beispiele
von Begriffen abgebildet werden konnten.
Dieser Standpunkt, der mit aller Ernsthaftigkeit von führenden Wissenschaftlern
vertreten wurde, ist inzwischen weitgehend aufgegeben worden, aber nicht
wegen seiner inhärent falschen Argumentationsweise über die Natur
von Begriff und Vorstellung,
sondern weil es empirisch offenbar wurde, daß sich verschiedene Leute
enorm in ihrer Vorstellungskraft unterscheiden.
Das Schicksal der Schule der introspektiven Psychologie und die Kontroverse
über das »vorstellungslose Denken«
bewiesen die Sinnlosigkeit der Ansicht, das Denken
an Vorstellungen binden zu wollen. Abgesehen von der Tatsache,
daß manche Menschen blind geboren
werden und offensichtlich logisches Denken entwickeln, und andere, scheinbar
normale Leute berichten, daß sie sich innerlich nichts bildlich vorstellen
können, gibt es einfach zu viele Begriffe,
bei denen eine Übersetzung in Bilder
übertrieben willkürlich und völlig erzwungen wäre.
Wir behaupten, daß Vorstellungen
oder Arten der Vorstellungskraft nicht
besonders zum Verständnis der Funktionsweise der Intelligenz beitragen,
außer vielleicht bei besonderen Fertigkeiten, die eine visuelle oder
auditive Darstellung erfordern. Es ist bemerkenswert, daß sich das
logische Denken bei einem blinden Kind
genauso wie bei einem normal sehfähigen Kind entwickelt, bei einem
bewegungsunfähigen [>204] Gelähmten
genauso wie bei einem Kind, das sich normal bewegen kann. Was die intellektuelle
Fähigkeit betrifft, so hat Galton schon vor vielen Jahren festgestellt,
daß kein Unterschied zwischen einem visuell begabten und einem Menschen
des sogenannten kinästhetischen Typs der Vorstellung besteht.
Die Wissenschaftler, die versuchten, das Denken
im Sinne von Vorstellungen zu erklären, hatten genau ausgearbeitet,
wie sich die Denkvorgänge im Gehirn abspielten. Es gab Rezeptoren,
die uns Empfindungen vermitteln, und diese Empfindungen wurden zu Wahrnehmungen
zusammengefaßt. Die Wahrnehmungen wurden auf die Nervenstruktur des
Gehirns abgebildet und blieben dort als bildliche Vorstellungen bestehen,
die das Individuum »betrachten« konnte, ähnlich wie man
ein Photoalbum betrachtet. Wenn man z. B. eine Menge verschiedener Hunde
gesehen hatte, so bildete sich allmählich ein inneres
Bild des »allgemeinen« Hundes heraus, und dieses
Bild »betrachtete« das Individuum, wenn es an den Begriff
Hund dachte. In dieses Schema paßte auch das Erlernen
der Sprache recht gut. Die Lautfolge »Hund« generierte die
auditive Vorstellung dieses Wortes. Diese Lautfolge brauchte nur mit dem
visuellen, am besten dem allgemeinen visuellen Bild verbunden zu werden,
und so hatte das Kind die Bedeutung des Wortes
»Hund« gelernt.
Heute würde kein Wissenschaftler eine derartig
vereinfachte »Bild«-Theorie
mehr aufrechterhalten. Aber es besteht die Gefahr, daß Sprache oder
das sprachliche Symbol mehr und mehr so begriffen
wird, daß sie die Rolle übernehmen, die die bildliche Vorstellung
vorher spielte. Auf den ersten Blick hat Sprache gegenüber subjektiven
bildlichen Vorstellungen viele Vorteile; sie ist - außer
bei Gehörlosen - allgemein seit der frühen Kindheit vorhanden;
sie ist in dem Sinne objektiv, als das Sprechen beobachtet und schriftlich
festgehalten werden kann; sie ist außerdem insofern objektiv, als
sie für lokalisierbar in bestimmten Bereichen des Gehirns gehalten
wird; und schließlich ist ein Name per definitionem ein verallgemeinerter
Begriff, so daß man nicht auf das künstliche Produkt eines »allgemeinen«
Bildes zurückzugreifen braucht. Aber wenn man eine Beschreibung der
Aneignung logischer Begriffe liest,
wie sie von modernen Psychologen, die sich auf verbale Erklärungen
verlassen, dargestellt wird, so erkennt man, daß eine falsch konzipierte
Theorie dadurch nicht besser wird, daß sie plausibler wird. Piaget
(1960, S. 32) hat vor der Faszination des Gedankens gewarnt, daß
sich das Bewußtsein aus der Leichtigkeit verbalen
Denkens ableite: [>205]
»Die größte Schwierigkeit besteht für die Introspektion
darin, daß sie mit ihren eigenen Methoden feststellen muß,
daß sie selbst ein Teil des Verhaltens ist; verbales Verhalten ist
eine Handlung, ohne Zweifel eine verkleinerte Handlung, die auf das Innere
beschränkt bleibt, ein grober Entwurf für eine Handlung, der
ständig Gefahr läuft, nichts mehr als nur ein Plan zu sein; aber
es ist trotzdem eine Handlung, die einfach Dinge durch Zeichen ersetzt
und Bewegungen durch ihr Hervorrufen, und die fortfährt, in den Gedanken
mit Hilfe dieser Stellvertreter zu operieren. Aber die Introspektion, die
diesen aktiven Aspekt verbalen Denkens
außer acht läßt, sieht darin nur Reflektion, Sprechen
und begriffliche Darstellung, wodurch sich der irrtümliche Glaube
der introspektiven Psychologen erklärt, daß Intelligenz auf
diese bevorrechtigten Endzustände zurückführbar sei, und
ebenso die Täuschung der Logiker darüber, daß das adäquateste
logische Muster unbedingt eine Theorie der »Propositionen«
sein müsse.
Es ist daher wichtig, um die wirkliche Funktionsweise
der Intelligenz zu erklären, diese natürliche Bewegungsrichtung
des Geistes umzukehren und Denken im Sinne von Handlung selbst zu betrachten;
nur auf diese Weise wird die Rolle der inneren Handlung, der Operation,
klar werden können; und eben diese Tatsache zwingt uns zur Anerkennung
der Kontinuität, welche die Operation mit echter Handlung, dem Ursprung
und Medium der Intelligenz, verbindet.«
Wenn wir uns reflektierend selbst beobachten und
uns während einer Phase des Problemlösens einer privaten inneren
Sprache bewußt werden, sind wir - wie Piaget sagt - leicht versucht,
das Denken begrifflich als das Betrachten einer inneren
Leinwand aufzufassen oder als das, was der Philosoph Price
(1953) als »Inspektion« bezeichnet. Durch die augenscheinliche
innere Gewißheit getäuscht, halten wir die innere
Sprache für den Gegenstand dieser Inspektion und identifizieren
das verbale Symbol mit dem Denkprozeß selbst.
Der grundlegende Fehler jeder Theorie, die das Denken
durch verbale oder andere symbolische Einheiten zu erklären versucht,
liegt in drei falschen Hypothesen. Das
erste ist die Annahme, daß Begriffe wirkliche Einheiten des Denkens
sind, das zweite, daß Begriff und Symbol, besonders verbales Symbol,
identisch sind und als drittes ist die Hypothese falsch, daß Symbole
übertragen werden und wie Signale funktionieren oder Stimuli ersetzen.
Anstatt die symbolische Darstellung der Denktätigkeit in Betracht
zu ziehen, folgen diese Theorien unserer trügerischen Introspektion
und erachten diese symbolisierten Halteplätze irgendwie für wirklich
und vorhanden. ..."
Psychologische-Begriffsforschung
Resultate der psychologischen Begriffsforschung findet man in den Lexika,
Wörterbüchern, Handbücher, Enzyklopädien. Die Begriffsbildungsforschung
gehört zur Denkpsychologie.
Definition: Ein Begriff repräsentiert einen Sachverhalt. Er besteht aus einem Namen oder einer Wieder- erkennung (Ersatz für den Namen), dem Begriffsinhalt, der den Sachverhalt repräsentieren soll, und der Referenz, d.h. Angaben wo und wie man den Begriffsinhalt, den Sachverhalt, in der Welt finden kann. |
Bunge, Mario & Ardila, Ruben (1987 dt. 1990) Begriffsbildung In (304-312) Philosophie der Psychologie. Tübingen: Mohr.
Aus S. 17 und 31f: Oerter, Rolf (1980)
Psychologie des Denkens. 6.A. Donauwörth: Auer.
ZUR DEFINITION
Unter Begriffen () versteht man gewöhnlich
logische
Klassen, die durch Wörter benannt sind, Sprache und Logik als konstituierende
Merkmale des Begriffs () schränken
aber das Feld viel zu sehr ein, da sie die Fülle der vorlogischen
und vorsprachlichen Klassifizierungen unberücksichtigt lassen. Man
könnte im Anschluß an Hunt (1962) und andere vielmehr
schon dann von einem Begriff () sprechen,
wenn das Individuum eine identifizierende Antwort (Reaktion) auf einen
Satz von Reizen produziert, die nicht vollkommen gleich sind. Diese Umschreibung
des Begriffs () ist nun wieder zu weit,
da alle generalisierenden Reaktionen auf ein Kontinuum ähnlicher Reize
als Benutzung von Begriffen () anzusehen
wären.
Hat ein Tier, das lernte, auf das Merkmal rot zu reagieren, und Futter
bei Objekten mit verschiedenen Rottönungen erwartet, einen Begriff
() gebildet?
Wir können diese Frage nicht ohne weiteres verneinen, sträuben
uns aber dagegen, bereits dann von Begriffsbildung
() zu sprechen, wenn einfache Reiz-Reaktions-Koppelung vorliegt. Vielmehr
erwarten wir, daß jemand, der Begriffe
() besitzt und verwendet, Klassifikationsregeln gefunden hat, die er auf
Eindrücke verschiedenster Art anwenden kann. Zwischen Eingabe (Reiz)
und Antwortverhalten müssen also vermittelnde Prozesse treten, die
eigentlich den Begriff () ausmachen.
Der Begriff () wäre
demnach am einfachsten als Regel oder System von Regeln zu umschreiben,
mit deren Hilfe Ereignisse (Eindrücke, Reize, Erlebnisse) klassifiziert
werden."
S. 31f: "Zusammenfassung
Begriffe () können psychologisch
verstanden werden als Klassifikationsregeln für die Zusammenfassung
von Objekten nach Merkmalen. Solche Regeln lassen sich erst mit Hilfe von
Leistungen der Repräsentation bilden. Der dem Kind anfänglich
ausschließlich zur Verfügung stehenden aktionalen Repräsentationsform
von Ereignissen (Vergegenwärtigung durch motorische Aktivität
im Umgang mit Objekten) folgt die imaginäre (ikonische) Repräsentation,
die mit Wahrnehmungsaspekten der Objekte zu operieren vermag. Für
Begriffsbildung
() und Denken erweist sich die sprachlich-symbolische Repräsentationsform,
bei der das Objekt durch unanschauliche Symbole (vor allem sprachliche
Zeichen) vertreten wird, als entscheidend. Repräsentierende Prozesse
können allgemein als Vermittler zwischen Eingabe (Reiz, Information)
und Antwortverhalten verstanden werden. Durch ihr Dazwischentreten ergeben
sich neue Zuordnungsmöglichkeiten von Reiz und Reaktion.
Kinder entwickeln zuerst primitive Klassifikationsregeln, die beispielsweise
nur zwei Objekte zusammenfassen. Sie bevorzugen Wahrnehmungskriterien und
gruppieren nach „Oberflächen“-Merkmalen. Die Suche nach einer gemeinsamen
Funktion der Objekte führt allmählich zu umgreifenderen adäquaten
Klassifikationsregeln. Die imaginative Repräsentation erweist sich
dabei als vorteilhaft für mechanische Gedächtnisleistungen, erschwert
aber die Begriffsbildung () oft, weil
das Kind zu viele Details gespeichert hat.
Begriffsbildung () als didaktische
Aufgabe ist nur sinnvoll, wenn das [>32] Repräsentationsniveau des
Kindes berücksichtigt wird. Imaginativ repräsentierende Kinder
sollten Objekte nach Wahrnehmungskriterien gruppieren und erst dann Begriffe
() mit „tiefer liegenden" allgemeinen Merkmalen erlernen, wenn sie die
symbolisch-sprachliche Repräsentationsform einsetzen können."
3.2 Begriffsbildungsprozesse (BMBB)
Aus der Definition von Bourne lassen sich zwei Vorgehensweiseri zur
Untersuchung der Prozesse bei der Bildung bzw. Identifikation von Begriffen
(BMBons) ableiten: a) bei
bekannter Regel sind die definierenden Merkmale zu bestimmen und b) bei
bekannten Merkmalen sind die merkmalsverbindenden Regeln zu finden. Die
folgenden Kapitel, überschrieben mit Merkmalsidentifikation (auch
Attributlernen genannt) bzw. Regelidentifikation (auch Regellernen genannt),
beschäftigen sich mit den Prozessen, die bei diesen beiden; Vorgehensweisen
beobachtbar sind, und mit Theorien, die sie zu erklären suchen."
N27: "... Trotzdem, der Leser eines Buches mit dem Titel „Kognitive Psychologie“ erwartet mit Recht auch eine Erörterung des Denkens, der Begriffsbildung (), der Erinnerung, des Problemlösens usw. Sie sind traditionelle Bestandteile dieses Bereichs."
Da einige Leser vielleicht peinlich überrascht sind, daß
ich solches Gewicht auf ein so animistisches Konzept (BMfragl)
wie „Aufmerksamkeit“ (BMBBFaufm)
gelegt habe, ist es vielleicht am Platze, seine Basis nochmals darzulegen.
Wenn wir mehrere Figuren auf einmal erscheinen lassen, ist die Zahl der
möglichen Konfigurationen der Eingangsinformation so ungeheuer groß,
daß ein gänzlich paralleler Mechanismus, welcher für jede
Konfiguration ein eigenes Erlebnis liefern würde, undenkbar ist. Um
diese Schwierigkeit zu überwinden, muß sogar ein mechanisches
Wiedererkennungs-System
(BMerk) über irgendeine
Möglichkeit verfügen, Teile der eingehenden Information für
eine genauere Analyse auszuwählen
(BMausw). Das bedingt sofort
zwei Ebenen der Analyse: Die präattentiven Mechanismen, welche isolierte
Objekte bilden und die weitere Verarbeitung steuern helfen, und den Akt
der fokalen Aufmerksamkeit (BMBBFaufm),
welcher genauere Analysen der ausgewählten Objekte leistet. Die Erkenntnis,
daß sogar für einen leistungsfähigen Automaten Prozesse
der Figurbildung und der Aufmerksamkeit benötigt würden, läßt
uns verstehen, warum diese Prozesse explizit oder implizit in so vielen
psychologischen Theorien aufgetaucht sind.
Das bedeutet, daß die detaillierten Eigenschaften
und Züge, welche wir normalerweise an einem Objekt unserer Aufmerksamkeit
sehen, in einem gewissen Sinn „frei gewählt“ sind. Sie entstehen nicht
automatisch, einfach weil die relevante Information im Gedächtnisabbild
vorhanden ist, sondern nur, weil Teile der Eingangsinformation als Objekt
der Aufmerksamkeit ausgewählt und darauf dann gewisse Operationen
ange-[>124]wandt wurden. Weder das Aufmerksamkeitsobjekt noch die Art der
Analyse ist unausweichlich gegeben, und beide können je nach Beobachter
und Zeitpunkt wechseln. Es kann sogar sein, daß das Wort „Analyse“
selbst ungeeignet ist. Es legt eine Analogie zur Chemie nahe: Ein Chemiker
„analysiert“ unbekannte Substanzen, um herauszufinden, was sie „wirklich“
sind. Eine andere Metapher würde uns zu einem anderen Begriff
(BMBons) führen: Wir
sagen normalerweise nicht, ein Bildhauer „analysiere“ einen Marmorblock,
bis er die Statue finde, die „wirklich“ darin enthalten sei. Aber die Bildhauer-Analogie
wäre sogar noch weiter vom Angestrebten entfernt als die Analogie
mit dem Chemiker. Die visuelle Eingangsinformation auferlegt dem Beobachter
meistens engere Beschränkungen, als die meisten Bildhauer dulden würden.
Treffender als die beiden obigen ist HEBBS (1949, S. 47) Vergleich des
Betrachters mit einem Paläontologen, der aus nichtssagenden Erdklumpen
sorgfältig einige Fragmente herauslöst, welche Knochenteile sein
könnten, und den Dinosaurier „rekonstruiert“, der dann schließlich
im naturhistorischen Museum stehen wird. Es ist wichtig, die fokale Aufmerksamkeit
in diesem Sinne als eine konstruktive, synthetisierende
Aktivität (BMKonstruk)
und nicht als bloße Analyse aufzufassen. Man prüft nicht nur
die Eingangsinformation und fällt dann eine Entscheidung, sondern
man schafft ein passendes visuelles Objekt.
Die Vorstellung, daß die Wahrnehmung im Grunde eher ein konstruktiver
Akt (BMKonstruk)
sei als ein rezeptiver oder bloß analytischer, ist ziemlich alt.
Sie geht mindestens bis auf BRENTANOS „Aktpsychologie“ und BERGSONS „Kreative
Synthese“ zurück und wurde beredt von WILLIAM JAMES (1890) vorgebracht.
Sie wird hier jedoch nicht um ihrer historischen Referenzen willen vorgeschlagen.
Gibt es empirische Beobachtungen, zu deren Erklärung sie beitragen
könnte?
Solange es um Probleme der Mustererkennung geht, ist Synthese kaum
mehr als ein Metapher. Statt zu fragen, wie der Input einer richtigen Kategorie
zugewiesen wird, fragen wir, wie es kommt, daß die richtige Art von
Wahrnehmungsobjekt gebildet wird, und das scheint nur ein semantischer
Unterschied zu sein. Wir brauchen immer noch die weiter oben entwickelten
Begriffe: Präattentive Prozesse, Kodierungspriorität, fokale
Aufmerksamkeit, Mechanismen der Stimulusanalyse, und ähnliche. Der
Begriff
der Synthese () wird jedoch bei der Behandlung gewisser
weiterer Fragen nützlich. Viele davon drehen sich um Halluzinationen
und Illusionen: Jemand, der Dinge sieht, die nicht vorhanden sind, muß
diese wohl für sich konstruieren. Die nächsten zwei Kapitel werden
sich zum Teil mit solchen Phänomenen befassen. In Kapitel 5 wird sich
zeigen, daß Leser oft Wörter und Buchstaben sehen, die nicht
vorliegen, und Ka-[>125]pitel 6 wird ausführlich von normaler und
abnormaler visueller Einbildung handeln. ..."
N126f: "... Was geändert hat, sind gewisse
nichtivisuelle
kognitive
Operationen (), welche ablaufen, nachdem die visuelle Synthese
abgeschlossen ist und von deren Produkten Gebrauch machen. Aus diesem Grunde
gehört die
Begriffsfindung () nicht
in eine Besprechung der visuellen Kognition. Andererseits gleichen sich
die verschiedenen Versionen des Buchstabens A in Abb. 10 tatsächlich
ein Stück weit, und deshalb müssen sich ihre Synthesen irgendwie
entsprechen. Wenn die Erscheinung eines Dings durch Wahrnehmungslernen
() verändert wird (GIBSON, 1953; s. auch die sprachlichen Beispiele
im nächsten Kapitel), muß die visuelle Synthese selbst betroffen
sein. Dieser Unterschied ist schwierig in Theorien einzubringen, die keinen
Synthesebegriff haben. Analytische Modelle wie SELFRIDGES Pandämonium
und HEBBS Phasensequenzen scheinen für wahrnehmungsmäßige
Klassifikation
und Begriffsfindung (BMBfind)
gleichermaßen zu passen. Beide Aufgaben beinhalten das Aufspüren
gewisser Merkmale () und entsprechende
Zuweisung zu Kategorien (). Werden jedoch
visuelle Objekte konstruiert () und
nicht bloß analysiert, so ist klar, wo der Unterschied liegt.
Was synthetisiert wird, muß nicht klar und deutlich sein. Weiter
oben, als fokale Aufmerksamkeit als die Zuweisung kognitiver Hilfsmittel
auf einen Teil des visuellen Feldes definiert wurde, betonte ich die größere
Genauigkeit,
welche eine solche Anordnung erlauben würde. Es wäre aber irreführend,
nur diese größere Schärfe zu betonen. Aufmerksamkeit auf
etwas richten heißt nicht bloß, dieses sorgfältig analysieren;
vielmehr handelt es sich um einen konstruktiven Akt
(BMKonstruk). In dieser
Synthese können wir auf Genauigkeit abzielen, müssen aber nicht.
Was wir aufbauen, hat nur die Dimensionen, die wir ihm gegeben haben.
In dieser Weise interpretiert, könnte der Begriff
der figuralen Synthese () zur Klärung eines Phänomens
beitragen, welches oft „physiognomische Wahrnehmung“ (WERNER, 1948, S.
69; KOFFKA, 1935, S. 359) genannt wurde. Jeder hat schon Züge wie
unterdrückten Ärger in einem Gesicht, Fröhlichkeit in einer
Bewegung oder friedliche Harmonie in einem Bild bemerkt. Diese Wahrnehmungen
sind oft sehr unmittelbar. Wir bemerken nicht zuerst die gespannten Backenmuskeln
und schließen daraus auf Ärger; oft ist es gerade umgekehrt.
Solche Reaktionen sind nicht so selten, daß die kognitive Psychologie
sie mißachten könnte. Nach vielen Entwicklungspsychologen sind
sie bei Kindern eher die Regel als die Ausnahme. Es ist unzweifelhaft,
daß sie bei speziellen Psychosen und unter dem Einfluß bestimmter
Drogen quälend intensiv werden können. Unter gewissen Umständen
kann jeder sichtbare Gegenstand ein drohendes, ein erschreckendes oder
ein unansehnliches Aussehen annehmen; es kann auch [>127] vorkommen, daß
alles unbeschreiblich schön und anmutig erscheint. Solche gefühlserfüllten
Erfahrungen können als das Resultat spezieller Arten von Konstruktionen
(BMKonstruk) aufgefaßt
werden. Dieselben Knochenteile, die den einen Paläontologen dazu führen,
ein genaues Modell einer unspektakulären Kreatur zu entwerfen, könnten
einen anderen, möglicherweise ängstlicheren oder dramatischer
veranlagten dazu bringen, ein Alpträume erregendes Ungeheuer zu „rekonstruieren“.
Die präattentiven Prozesse sind an sich weder „physiognomisch“ noch
„geometrisch“, weder gefühlshaft noch kühl. Sie sind konstruktiv
(BMKonstruk), aber sie
bereiten nur Klumpen von Rohmaterial vor, aus welchen die fokale Aufmerksamkeit
viele verschiedene Produkte synthetisieren kann.
Übrigens kann der Begriff der Synthese
() auch auf andere Wahrnehmungsmodalitäten angewandt werden, und es
ist möglich, daß Information von nichtvisuellen Stimuli bei
der Konstruktion (BMKonstruk)
eines ganz oder teilweise visuellen Objektes einen Beitrag leistet. Wenn
wir einmal eine bestimmte Figur (BMFigur)
konstruieren
(BMKonstruk) können,
so können wir sie aus fast jedem den Sinnen zugänglichen Material
„hervorbringen“ oder sogar, wie in der Vorstellung
(), ohne alles Material. Das trifft insbesondere auch für das Problem
des Buchstabenschreibens auf der Haut zu. Wie schon früher bemerkt,
ist die Anpassungsfähigkeit des Mustererkennungsprozesses unserer
ebenso eindrücklichen Fähigkeit vergleichbar, ein einmal gelerntes
Bewegungsschema auf alle Glieder unseres Körpers zu übertragen.
Der Vergleich scheint nun nicht mehr zu weit hergeholt. Einen Buchstaben
wahrnehmen und ihn schreiben sind synthetische Aktivitäten derselben
Art."
Wiedererkennung (BMerk)
Der Begriff der Synthese () kann auch auf eine andere Art des „Erkennens“ angewandt werden. Bis jetzt haben wir dieses strapazierte Wort als Synonym für „Kategorisierung“ () gebraucht. Es hat aber auch eine andere verbreitete Bedeutung, welche in Bemerkungen wie „Ich erkenne diesen Menschen“ sichtbar wird. Die zwei Erkennungsarten fallen oft zusammen; sie müssen es aber nicht. Man kann einen Menschen richtig klassifizieren (), vielleicht anhand des Namensschildes auf seinem Pult, ohne ihn persönlich wiederzuerkennen; man kann jemanden wiedererkennen, ohne zu wissen, wo man ihn schon gesehen hat oder wer er ist. In diesem Sinne meint „wiedererkennen« () (familiarity recognition) eine spezielle subjektive Erfahrung, diejenige der Vertrautheit. Solche Erfahrungen können manchmal irreführen (man erkennt vielleicht einen Bekannten nicht oder meint fälschlicherweise, einen Fremden wiederzuerkennen), aber sicher ... [>128]"
N356: "Die Wiedererscheinungshypothese
() dominierte nicht nur Theorien über das Gedächtnis, sondern
auch die zu dessen Studium verwendeten experimentellen Techniken. Untersuchungen
über das Auswendiglernen setzen
voraus, daß dieselbe sinnlose Silbe immer und immer wieder als Reaktion
hervorgerufen werden kann, und fragen nur danach, wie ihr Wiedererscheinen
von gewissen Variablen abhängt. Ähnlich wird in Untersuchungen
der „Begriffsbildung“ (BMBB)
fast immer die Annahme gemacht, daß dieselbe klassifikatorische
Reaktion () wiederholt auftreten kann; die Versuchsperson
braucht nur an den richtigen Stimulus „anzuhängen“. Diese theoretische
Voreingenommenheit erschwert die Interpretation der meisten dieser Untersuchungen
von einem kognitiven Standpunkt aus. Wenn „Assoziationen“
(BMassozi) (im Sinne von
Beziehungen zwischen wiedererscheinenden Spuren oder Reaktionen) nicht
existieren, ist es wenig sinnvoll, zu fragen, ob sie in einem einzigen
Durchgang gelernt werden oder ob sie in homogenen Listen langsamer oder
bei verteilter Übung schneller gelernt werden. Experimente, die sich
mit solchen Fragen befassen, haben manchmal interessante Phänomene
ans Licht gebracht, aber sie werden hier nicht betrachtet.
Natürlich gibt es im operationalen Sinne keine
Zweifel, daß Reaktionen tatsächlich wiedererscheinen. Man kann
beobachten, daß Versuchspersonen denselben Hebel wiederholt drücken
oder in vielen verschiedenen Durchgängen eine offenbar gleiche Silbe
aussprechen. Mit zunehmender Übung kann so viel Stereotypie erreicht
werden, daß die aufeinanderfolgenden Reaktionen in jeder Hinsicht
ununterscheidbar
(BMununt) werden, sogar
im Bewußtsein der Versuchsperson selbst. Aber die Tatsache, daß
einfache Operationen nicht zwischen einem komplizierten Problemlösungsprozeß
eines Laien und der gelangweilten Stereotypie einer sachlich kompetenteren
Versuchsperson unterscheiden können, macht diesen Unterschied nicht
unwichtig. Eher bedeutet dies, daß wir uns nach besseren Operationen
umsehen sollten."
N361: "Jedermann kennt die enge Beziehung zwischen Interessen (BMBBFint) und Gedächtnis, die sich aus den ausführlichen Schemata zu ergeben scheint, welche wir für Material aufbauen, das uns interessiert. Wir alle kennen oder waren selbst Knaben, die alles über Fußball oder Fischen wußten, aber keinen Deut über Geschichte. Als Erwachsene können wir eine endlose Menge neuer Fakten lernen, die zu unserem Beruf oder unserem Hobby in Beziehung stehen, während alles andere zum einen Ohr hinein und zum anderen hinaus zu gehen scheint."
Ausgelagert Protokolliertes Denken.
Aus der Geschichte der Psychologie:
Aus der Logik Wundts (1890),
S. 86ff:
"Erstes Capitel.
Die allgemeinen Eigenschaften der Begriffe
().
1. Bestimmtheit und Allgemeingültigkeit als Begriffsmerkmale.
Wenn wir von dem Begreifen
(BMbegreif) eines Gegenstandes
reden, so meinen wir damit ein Erkennen und Verstehen desselben, wie es
immer erst als Resultat der Untersuchung und des Nachdenkens sich ergeben
kann. Schon das dem Tastsinn entnommene Bild weist darauf hin, dass wir,
um einen Begriff () zu haben, mit dem Object des Erkennens in die unmittelbarste
Berührung kommen müssen. Die philosophische Definition aber,
indem sie die geläufige Wortbedeutung noch übertreibt, sieht
die Aufgabe des Begriffs () darin, dass
wir in ihm das Wesen( des Gegenstandes erfassen sollen.
Welche dieser Ansichten man auch bevorzugen möge,
sobald nur überhaupt die Begriffe
() als Resultate einer Erkenntniss aufgefasst werden, wird man zugestehen,
dass sie, wie unser Erkennen selbst, sich entwickeln müssen. So sieht
man denn in der That sich veranlasst, nicht erst das letzte Ergebniss dieser
ganzen Entwicklung, von dem ohnehin immer zweifelhaft bleibt, ob es nicht
doch noch überschritten werden kann, als Begriff
() zu bezeichnen, sondern man schreibt diesem alle
möglichen Stufen der Vollkommenheit () zu. Schon den
ersten Schritt, den wir in der denkenden Erfassung eines Gegenstandes thun,
nennen wir einen Begriff (), wenn auch
vielleicht in diesem keine andere Erkenntniss enthalten sein sollte, als
die, dass das Object unseres Denkens von andern verschieden sei.
In diesem Sinn nun sind uns in jenen Vorstellungen,
welche in den ursprünglichen Bezeichnungen der Sprache ihre Verkörperung
gefunden haben, offenbar auch die ersten Begriffe
() gegeben. Da sich in dem Wort ursprüng[>87]lich nur eine herrschende
Vorstellung spiegelt, so wird auch der Begriff
() selbst vorzugsweise an dieser haften. An ihre Stelle tritt aber in dem
entwickelteren Denken der Sprachlaut selbst. War die herrschende Vorstellung
das Resultat einer ersten höchst unvollkommenen Erkenntniss gewesen,
welche aufs Gerathewohl irgend ein Merkmal herausgriff, so sagt das Wort
nicht mehr und nicht weniger, als dass überhaupt ein bestimmt unterschiedener
Gegenstand dem Denken gegeben sei. Sobald sich die ursprüngliche sinnliche
Bedeutung des Wortes verwischt hat, liegt daher der Erkenntnisswerth des
letzteren nur noch in seiner allgemeingültigen Anwendung. Was uns
heute noch an Wörtern wie Mensch, Thier, Baum u. s. w. von Werth scheint,
ist lediglich die Gewissheit, dass die Andern, mit denen wir denkend verkehren,
unter diesen Worten die nämlichen
Begriffe
() verstehen. Wenn aber auch in dem Wort stets eine Vorstellung sich verkörpert,
so sucht doch nicht jede Vorstellung ein Wort zu ihrem Ausdruck. Damit
dies überhaupt geschehen könne, muss als erste logische
Bedingung die erfüllt sein, dass die Vorstellung von dem übrigen
Inhalt unseres Bewusstseins durch bestimmte, der Bezeichnung fähige
und constant wiederkehrende Merkmale sich unterscheide, und als eine zweite
muss die Voraussetzung hinzutreten, dass das bezeichnende Wort in Andern
annähernd die nämliche Vorstellung erwecke, dass also die Vorstellung
selbst eine allgemeinere Geltung besitze. Weder die Sprache noch irgend
ein anderes künstliches Zeichensystem würde möglich sein
ohne die Voraussetzung einer gewissen Allgemeingültigkeit.
Wie die Bestimmtheit das subjective, so ist daher die Allgemeingültigkeit
das objective Merkmal (), das den
Begriff
() von andern Vorstellungen unterscheidet.. Beide Merkmale darf man aber
nicht etwa in dem Sinne auffassen, als wenn die Allgemeingültigkeit
auf einen fest bestimmten Inhalt des Begriffs
() sich beziehen müsste. Das Einzige, was dem letzteren nothwendig
zukommt, ist dies, dass in ihm Bestimmtheit und Allgemeingültigkeit
vorausgesetzt
werden; inwiefern er mit dem Inhalt, den er in einem individuellen Bewusstsein
besitzt, eine allgemeinere Geltung nun auch wirklich beanspruchen darf,
ist eine von weiteren Bedingungen des Erkennens abhängige Frage.
Bestimmtheit
() und Allgemeingültigkeit () in
diesem Sinne schreiben wir dem Begriff
() auf jeder seiner Entwicklungsstufen zu. Für die allerersten Anfänge
der Begriffsscheidung (), wie für
den allseitig durchforschten wissenschaftlichen Begriff
() gilt das Postulat, dass jedes andere Bewusstsein, wenn es den gleichen
Bedingungen der Erkenntniss unterworfen werde wie das unserige, auch zu
einem übereinstimmenden Begriff
() gelangen müsse. Will man aber Anfang und Ende der Entwicklung,
die ein Begriff durchlaufen kann, unterscheiden, so lässt sich wohl
sagen, der beginnende Begriff
() enthalte Bestimmtheit und Allgemeingültigkeit als blosse Forderungen,
und in dem vollendeten
Begriff () seien
diese zur Erfüllung gelangt. Insofern die Logik zunächst das
am Begriff () zu erfassen hat, was ihm
unter allen Umständen zukommt, mag man auch jene Begriffe
(), in denen die beiden ent-[>88]scheidenden Merkmale zunächst nur
als Postulate gedacht sind, logische Begriffe
() im engeren Sinne des Wortes, jene Begriffe
() dagegen, in denen die beiden Postulate mehr oder minder vollkommen erfüllt
sind, wissenschaft1iche Begriffe
() nennen. ... "
Fett, kursiv und 14Punktschrift
sind Hervorhebungen von R. Sponsel, nur kursiv ist bei Wundt g e s p
e r r t geschrieben.
b) Begriff (BMdiff)
und Denkobjekt (BMvergl).
Um diese schwierige Entscheidung vorzubereiten, machen wir uns klar,
daß Namen (BMRef?)
auch dann auf Denkobjekte anwendbar sind, wenn diese mehr als die den Begriff
(BMunklar) konstituierenden
Merkmale aufweisen. Z. B. kann [>76] ich einen Vogel, Hund, Affen „Tier"
nennen oder gar „Wesen" bzw. „Etwas". Damit ist gesagt, daß für
die Anwendung eines Namens keine Deckung zwischen Begriff
und Objekt erforderlich ist (BMunklar).
D. h. insbesondere der Begriff (BMunklar)
kann inhaltsärmer sein, als das benannte Objekt, und damit zugleich
um fangreicher, in seiner Anwendung umfassender. Ferner reden Märchen,
Sage, Mythus von Centauren, Nymphen, Drachen u. dgl., als wenn es sie gäbe.
Ebenso verfahren Romane und Drama mit ihren Helden und Handlungen. Die
Anwendbarkeit von Namen ist somit auch dann möglich, wenn Denkobjekte,
die ihnen entsprechen, nicht existieren (BMunklar),
obwohl sie existieren könnten (BMunklar).
Daraus müssen wir offenbar schließen, daß die Existenz
oder Realität nicht schlechthin zu den Bedingungen der Anwendbarkeit
eines Namens gehört.
Damit hängt es zusammen, daß ich jederzeit
Begriffe
(BMBB)
miteinander verbinden und voneinander trennen kann, ohne auf Denkobjekte,
die ihnen entsprechen, Rücksicht zu nehmen. So kann ich durch Determination
(BMdeterm) und Abstraktion
(BMabsgen) neue Begriffe
(BMBB)
bilden, z. B. glattes Eis in „glatt" und „Eis" zerlegen oder „roter Rabe",
„blaue Katze" u. dgl. mehr zusammensetzen. Denkobjekt und Begriff
(BMunklar) haben somit
ein selbständiges Leben1) für
sich, womit nicht ausgeschlossen ist, daß sie sich auch decken oder
zusammenfallen können. Darum kann trotz der präzisesten Definition,
der genauesten Feststellung der den Begriff eines Namens bildenden Merkmale
die Anwendung richtig oder falsch sein, cl. h. auf adäquate oder inadäquate
Denkobjekte treffen.
Aus alledem geht hervor, daß Namen anwendbar
sind auch ohne Denkobjekte, oder daß diese und deren besondere Beschaffenheit
nicht zu den Bedingungen der Anwendbarkeit von Namen gehören. Dann
kann auch aus dem Begriff eines Namens
(BMunklar) nichts auf
ihnen entsprechende Denk-[>77]objekte geschlossen werden. Nur wenn und
sofern der Begriff (BMunklar)
mit dem Denkobjekt zusammenfällt, von ihm gar nicht verschieden ist,
wie das in den Formalwissenschaften der Fall sein kann, gehört das
Denkobjekt zu den Bedingungen der Anwendung eines Namens. Dann ist es nämlich
selbst nichts anderes als diese Bedingungen. Dann kann man von erzeugenden
Definitionen reden, indem die Angabe der Merkmale das Denkobjekt hervorbringt.
Hat es gegen eine selbständige, von der Anwendung des Namens unabhängige
Bedeutung, wie in den Realwissenschaften, so kann aus der Anwendung des
Namens selbst kein weiterer Schluß auf die Beschaffenheit des Denkobjekts
gezogen werden.
Von hier aus läßt sich die Gültigkeit
von Kants Behauptung prüfen. 100 wirkliche Taler sind in der Tat dasselbe
wie 100 mögliche Taler, wenn nur auf die Anwendung des Namens „100
Taler" geachtet wird. Dagegen sind die Bedingungen für die Anwendung
des Namens „100 wirkliche Taler" nicht dieselben, wie für die Anwendung
des Namens „100 mögliche Taler". Aber auch mit dem Namen „100 wirkliche
Taler" ist die Wirklichkeit von 100 Talern nicht gegeben, d. h. es brauchen,
um den Namen anwenden zu können, nicht 100 Taler vor mir zu liegen."
Kommentar: (1) Külpe verschiebt das Problem des Begriffs auf
die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Namen, wobei die
notwendigen und hinreichenden Bedingungen für die Namen nicht
mitteilt werden. Külpe trennt nicht klar und konsequent zwischen Namen,
Begriffsmerkmalen und Referenz, obwohl die Referenz bestens in sein Zentralthema
"Realisierung" passt. (2) "Denkobjekt" wird nicht erklärt, insbesondere
nicht der Unterschied zum Begriff (dem widmet sich eine Arbeit von Gottlieb
Friedrich Lipps, 1901, Die Theorie der Collectivgegenstände
gleich im § 1, S.79-83; PDF).
Im 1. Bd. kommt das Wort "Denkobjekt" nicht vor. Im 2. Bd. erstmals in
einer Fußnote S. 58, auch ohne Erklärung. Es bleibt uns also
nicht anderes als die Deutung, was Külpe meinen könnte. Ich mutmaße,
Külpe nennt alles, was man denken kann, ein Denkobjekt, das synonym
zu Gedanke sein könnte. Im Beispiel mit "Vogel, Hund, Affen" wären
Vogel, Hund, Affen Denkobjekte oder Gedanken. Aber sind das nicht auch
Begriffe?
Gottlieb Friedrich Lipps, 1901, Die Theorie der Collectivgegenstände
gleich im § 1, S.79-83; PDF).
Fett, kursiv und 14Punktschrift
sind Hervorhebungen von R. Sponsel, nur kursiv ist bei Störring
g e s p e r r t geschrieben.
Lipps, Gottlieb Friedrich (1901) Die Theorie der Collectivgegenstände. Philosophische Studien 17: 78-184, hier: S. 79-
"Die inductive Wahrscheinlichkeitserkenntniss
§ 1. Denkgegenstand und Begriff ().
Ein beliebiger, aber bestimmter Gegenstand des Denkens, der durch A
bezeichnet werden möge, sei gegeben (BMBspGeg).
Da A als gegeben angenommen wird, bleibt seine Herkunft
unerörtert Es ist jedoch klar, dass A einerseits in der ursprünglich
und schlechthin gegebenen Welt des Bewusstseins wurzelt und anderseits
der Beteiligung des Denkens sein Dasein verdankt. Denn niemand wird daran
zweifeln, dass es weder aus Nichts erschaffene, noch von vorn herein vorhandene
Gegenstände des Denkens gibt. Die Annahme von A setzt demnach voraus,
dass an irgend einem, aus Empfindungen und Gefühlen bestehenden, räumlich
und zeitlich geformten Inhalte des Bewusstseins das Denken sich irgendwie
bethätigt habe und so zu A gelangt sei.
Ein Bewusstseinsinhalt liegt somit zu Grunde. Er
gibt dem Denkgegenstande die reale, psychische Existenz. Es ist jedoch
gleichgültig, von welcher Art er ist, und ob der Inhalt in seiner
räumlichen und zeitlichen Wirklichkeit oder ob nur ein durch das Denken
abgesonderter und hervorgehobener Bestandtheil jenes Inhalts zum Gegenstande
des Denkens gemacht wird.
Wie dem auch sein mag: in jedem Falle muss eine
angebbare Beschaffenheit vorhanden sein. Denn A ist ein bestimmter, von
anderen unterscheidbarer Gegenstand des Denkens. Die Bestimmtheit beruht
auf dem Denken, durch das A in seiner Besonderheit erfasst und unterschieden
wird. Da nun das Denken im Urtheilen
sich vollzieht (BMfragl),
(BMBeleg), so muss
es möglich sein, die Beschaffenheit von A durch Urtheile, deren logisches
Subject A ist, anzugeben. Jedes Urtheil aber, das nicht bloß das
Vorhandensein von A behauptet, das also nicht ein bloßes Existentialurtheil
ist, setzt A zu anderen Denkgegenständen in Beziehung. In solchen
Beziehungen besteht die logische Bestimmtheit von A. In ihnen bietet sich
das von A Erkannte oder Begriffene (BMbegreif)
- der Begriff () von A dar. Mit der
Annahme eines bestimmten A wird daher zugleich ein Begriff
() von A vorausgesetzt. Der Begriff
() bestimmt oder definirt A.
Die zum Erfassen und Begreifen
(BMbegreif) von A führende
Denkarbeit (BMDefCha-),
(BMBeleg-) [>80] lässt
den zu Grunde liegenden Bewusstseinsinhalt unverändert. Es haften
nur die Denkacte an jenem Inhalte, so dass Denkgegenstand und Begriff
(BMBB)
sich bilden. Der Vollzug dieses Denkprocesses ist durch die Bedürfnisse
und die Fähigkeiten des nach Erkenntniss strebenden Geistes bedingt.
Dabei kann eine größere oder geringere Vollständigkeit
erreicht werden. Es werden darum im allgemeinen Besonderheiten des vorliegenden
Bewusstseinsinhaltes unberücksichtigt bleiben; einestheils, weil das
Denken an ihnen kein Interesse hat, anderntheils, weil das Denken ihre
Bedeutung nicht zu erkennen vermag. Dies wäre nur dann ausgeschlossen,
wenn der zu Grunde liegende Bewusstseinsinhalt in allen denkbaren Beziehungen
klargestellt wäre, so dass er selbst in seiner Individualität
den Denkgegenstand A bildete, und zugleich der Begriff
() des individuellen Bewusstseinsinhaltes
gewonnen würde. So lange dies nicht der Fall ist, dürfen die
außer Acht gelassenen Besonderheiten als abstufbar und veränderlich
vorausgesetzt werden, so dass andere Bewusstseinsinhalte an Stelle das
vorhandenen treten können, die alle in gleicher Weise das Erfassen
und Begreifen (BMbegreif)
von A gestatten. Jeder einzelne der eine begrenzte oder unbegrenzte Mannigfaltigkeit
bildenden Bewusstseinsinhalte fällt unter den Begriff
(BMumfang) von A; und
man kann diese Mannigfaltigkeit als den Umfang des Begriffs
(BMumfang) bezeichnen,
während unter dem Inhalt des Begriffs
() die Gesammtheit der A bestimmenden Beziehungen zu verstehen ist.
Wird den im vorliegenden Begriff
() zusammengefassten Beziehungen eine neue beigesellt, so verändert
sich mit dem Begriff () zugleich der
Denkgegenstand. Sein psychisches Substrat (BMfragl),
(BMBeleg) bleibt allerdings
dasselbe; aber seine logische Bestimmtheit wird anders und somit ist er
selbst nicht mehr der alte. Weil er aus dem vorhandenen A entsteht, möge
er A' heißen. Da A die Voraussetzung für A' ist, so ist klar,
dass jeder Bewusstseinsinhalt, der das Erfassen und Begreifen
(BMbegreif) von A' gestattet,
nothwendig auch das Erzeugen von A ermöglicht. Es kann aber sehr wohl
ein Bewusstseinsinhalt mit den für A geltenden Beziehungen behaftet
sein, ohne zugleich die neue, A charakterisirende Beziehung zu zeigen.
Der
Begriff (BMabstr)
von A' hat darum keinen größeren Umfang
als der Begriff (BMumfang)
von A: er kann aber einen ebenso großen oder kleineren Umfang haben.
Ist der Begriffsumfang von A gleich demjenigen von A' so dass jeder Bewusstseins-[>81]inhalt,
der als A gedacht werden kann, auch die zu A' führende Beziehung aufweist,
so hat A' als der im Vergleich zu A vollkommener bestimmte Denkgegenstand
zu gelten: der Begriff (BMergB)
von A' stellt sich als eine Ergänzung des Begriffs
(BMergB) von A dar. Dann
ist kein Anlass, den Unterschied von A' und A in der sprachlichen Bezeichnung
hervorzuheben, sondern dasselbe Wort wird im allgemeinen sowohl A' als
auch A bezeichnen. Gibt es hingegen Bewusstseinsinhalte, die unter den
Begriff
() von A fallen, ohne jener neuen Beziehung
theilhaftig zu sein, so ist der Begriffsanfang
() von A' kleiner als derjenige von A. Der Uebergang von A zu A' führt
alsdann zu einer Verengerung des Begriffs
() von A und es ist nothwendig, auch sprachlich A' von A zu unterscheiden.
In dem einen wie in dem andern Falle kann A' das durch die neue Beziehung
näher bestimmte A genannt werden.
Folgendes Beispiel diene zu Erläuterung:
Ein Blatt Papier, auf dem drei sich schneidende
gerade Linien ausgezogen sind, kann den Bewusstseinsinhalt bilden, an dem
das Denken sich bethätigt und durch alleiniges Beachten der Form des
allseitig umgrenzten Ebenentheils das Dreieck als Denkgegenstand A erzeugt.
Das deutliche Erfassen dieses A hat zur Voraussetzung, dass die Dreiecksform
von anderen geometrischen Formen unterschieden und durch Besonderheiten,
die nur dem Dreieck zukommen, gekennzeichnet wird. Der so zu Stande kommende
Begriff
() des Dreiecks findet in der Definition: »das Dreieck ist ein von
drei Geraden vollständig umgrenzter Ebenentheil« seinen Ausdruck.
»Ebenentheil« »vollständige Umgrenzung«, »gerade
Linie«, Anzahl »drei« sind somit die Denkobjecte, mit
denen das Denkobject »Dreieck« in Beziehung steht. Diese Beziehungen
sind enthalten in den Urtheilen: das Dreieck ist ein Ebenentheil, ist allseitig
begrenzt, hat geradlinige Grenzen, hat drei Grenzlinien. Wird das Dreieck
in dieser Weise begriffen (BMbegreif),
so sieht man ein, dass nicht nur der vorliegende, sondern jeder andere,
durch drei Gerade vollständig umgrenzte Ebenentheil ebenso bestimmt
ist und unter den Begriff () des Dreiecks
fällt. Denn die Lage und Größe der Seiten und Winkel, durch
welche sich die einzelnen Dreiecke unterscheiden, bleibt unbeachtet. Jede
die Lage und der Seiten und Winkel betreffende Bestimmung verändert
daher den angegebenen Begriff () des
Dreiecks. Wird z. B. festgesetzt, dass [>82] zwei Seiten einander gleich
oder senkrecht zu einander gerichtet sein sollen, so wird der Begriffsumfang
verengert. Denn von der ursprünglichen Mannigfaltigkeit der Dreiecke
werden alle diejenigen, welche drei verschieden große Seiten oder
keinen rechten Winkel haben, ausgeschieden. Wird hingegen erkannt, dass
die Winkelsumme des Dreiecks gleich zwei Rechten sei, so tritt keine Verengerung,
wohl aber eine Ergänzung des Begriffs
() vom Dreieck ein. Der Begriff () wird
nicht verengert, weil alsdann die drei Winkel eines jeden, von drei Geraden
vollständig umgrenzten Ebenentheils zusammen zwei Rechte betragen.
Der Begriff () wird hingegen ergänzt,
weil die ursprüngliche Definition des Dreiecks, wie die Nicht-Euklid'sche
Geometrie lehrt, sich auch mit der Annahme, dass die Summe der Dreieckswinkel
kleiner oder größer als zwei Rechte sei, verträgt. Denn
der Satz: »die Winkelsumme ist gleich zwei Rechten« steht und
fällt mit der Voraussetzung, dass es zu einer gegebenen Geraden durch
einen gegebenen Punkt eine und nur eine Parallele gibt.
Es zeigt sich so, dass Denkgegenstand und Begriff
() unlöslich mit einander verbundene Erzeugnisse des Denkens sind.
Der
Denkgegenstand ist das an einem zu Grunde liegenden Bewusstseinsinhalt
durch das Denken Erfasste und Hervorgehobene. Der Begriff
() ist die Definition eines Denkgegenstandes,
d. h. die einen Denkgegenstand bestimmende Erkenntniss.
Diese enge Zusammengehörigkeit kann Anlass
sein, Denkgegenstand und Begriff ()
mit einander zu vermengen. Die Beachtung des Unterschieds dient aber, wie
ich glaube, wesentlich zur Klärung und Sicherung der mannigfachen
Schwankungen1) unterworfenen Auffas[>83]sungsweise des
Begriffs
(). - So ist ja auch ein räumlich wahrgenommener Gegenstand nothwendig
räumlich bestimmt oder umgrenzt. Man wird aber den räumlich umgrenzten
Gegenstand nicht mit der räumlichen Umgrenzung des Gegenstandes verwechseln.
Ueberdies muss schon aus dem Grunde Denkobject und Begriff
() unterschieden werden, weil der Begriff
() selbst zum Denkobjecte werden kann. Denn wenn in der Geometrie das Dreieck
Gegenstand der Untersuchung ist, so kann in der Logik und Erkenntnisslehre
der Begriff des Dreiecks oder auch die Entstehung dieses Begriffs
() zum Forschungsobjecte werden.
Indessen ist hier nicht der Ort, auf die Bedeutung
der hervorgehobenen Unterscheidung für die logische Lehre vom Urtheil
und Begriff () einzugehen. Die soeben
angegebene Auffassungsweise des Begriffs
() muss aber beachtet werden, weil auf ihr die folgenden Darlegungen über
deductives und inductives Erkennen im allgemeinen und über inductive
Wahrscheinlichkeitserkenntniss insbesondere beruhen.
FN-S.82-1). Sigwart (Logik, 1, 2. Aufl. 1869, S. 316 ff unterscheidet eine dreifache Bedeutung des Wortes »Begriff ()«: eine empirische, für welche der Begriff () ein durch ein Wort bezeichnetes natürliches psychologisches Erzeugniss in der Gestalt einer allgemeinen Vorstellung ist; eine ideale, metaphysische, wonach der Begriff () den Zielpunkt des Erkenntnissstrebens angibt und der Ausdruck des Wesens der Dinge ist; eine zwischen der empirischen und metaphysischen Bedeutung liegende logische, welche Bestimmtheit und allgemeine Gültigkeit der Vorstellungen ohne Rücksicht auf die Übereinstimmung zwischen Gedachtem und Seiendem fordert. — Wundt (Logik I. 2. Aufl. 1893, S. 94 ff) bezeichnet als logischen Begriff () jeden Denkinhalt. der aus einem Urtheil durch Zergliederung desselben gewonnen werden kann, und als wissenschaftlichen Begriff () das aus einer Reihe von Urheilen sich ergebende Resultat einer Erkenntniss, wonach der logische () und der wissenschaftliche () Begriff () als Anfang und Abschluss in der Ent-[>83]wicklung des Denkens sich gegenüberstehen — Ohne auf solche Unterscheidungen einzugehen, nennt Th. Lipps (Grundzüge der Logik 1898. S. 124): den Begriff die Bedeutungssphäre () eines Wortes. Der Begriff () ist »die Sphäre möglicher Bewusstseinsobjecte, die und sofern sie in einem sprachlichen Ausdruck ihren zusammenfassenden Mittelpunkt und damit zugleich ihre Abgrenzung gefunden haben«. — Schuppe hingegen (Erkenntnisstheoretische Logik, 1878, S.121) sagt: »Der Begriff () im eigentlichen Sinne kann überhaupt nur gedacht werden als das Zusammen eines Subjectes mit Prädicaten«. Er entsteht nicht nur, sondern er besteht aus Urtheilen; und er ist »nicht das abgesondert von dem hervorbringenden Urtheil existirende Resultat desselben, sondern er ist selbst dieses Urtheil, resp. eine Mehrheit solcher Urtheile«.
Fett, kursiv und 14Punktschrift sind
Hervorhebungen von R. Sponsel, nur kursiv ist bei Lipps
g e s p e r r t geschrieben.
"I. Teil. Elementarlehre.
1. Die Begriffe ().
§ 31. Der Begriff () und seine
Merkmale.
Der Begriff () ist die durch ein Wort repräsentierte Einheit aller in einer Gemeinvorstellung gedachten wesentlichen Merkmale (s. o. § 13). Er entsteht durch Abstraktion von den ungleichartigen Merkmalen und Reflexion auf die gleichartigen. Was im [S. 70] Begriff () gedacht wird, gilt als das Wesen der Gegenstände, die unter ihn fallen, und so nennt man diejenigen Merkmale, ohne welche der Begriff () nicht gedacht werden kann, wesentliche, und diejenigen, die auch fehlen können, außerwesentliche oder zufällige. So sind wesentliche Merkmale des Begriffs () Mensch: Vernunft, Sprache, aufrechter Gang; außerwesentliche: Schönheit, Gelehrsamkeit, Bosheit. Es scheint wohl gleichartige Merkmale zu geben, die nicht wesentlich sind, die in keinem inneren Zusammenhang zum Wesen des betreffenden Gegenstandes stehen. Dies ist aber nur auf einer unvollkommenen Stufe der Erkenntnis möglich; der Fortschritt der Wissenschaft muß entweder die Gleichartigkeit auf einen inneren Wesenszusammenhang zurückführen oder als eine nur scheinbare nachweisen. In der Mathematik gibt es kein gleichartiges Merkmal, das nicht zugleich wesentlich ist; z. B. der Begriff () des gleichseitigen Dreiecks schließt die Gleichheit der Winkel nicht unmittelbar in sich, kann aber doch nicht ohne dieses Merkmal gedacht werden.
Die wesentlichen Merkmale eines Begriffs () werden auch eingeteilt in eigentümliche (notae propriae), welche denselben ausschließlich eigen sind, und gemeinsame (n. communes), welche auch andern Begriffen zukommen, ferner in ursprüngliche und abgeleitete Merkmale. Ein ursprüngliches Merkmal des Parallelogramms ist die Parallelität der Gegenseiten, von diesem abgeleitet: die Gleichheit derselben.
Die Reihe von Individualvorstellungen, aus welchen der Begriff () gebildet wird, muß nicht notwendig von verschiedenen Individuen herrühren, sondern sie kann auch auf dasselbe Individuum zu verschiedenen Zeiten sich beziehen, und dann erhalten wir den Individualbegriff (). So machen wir uns besonders von menschlichen [S.71] Individuen Individualbegriffen (), indem wir die verschiedenen Individualvorstellungen, die wir von ihnen aus verschiedenen Zeiten haben, zu einem Begriff () zusammenfassen.
§ 32. Inhalt und Umfang des Begriffs ().
An jedem Begriff () wird unterschieden: der Inhalt, d. h. die Gesamtheit der darin gedachten Merkmale, und der Umfang, d. h. die Summe der Gegenstände oder Vorstellungen, die in sein Gebiet fallen. So bilden den Inhalt des Begriffs Parallelogramm (): die Merkmale Viereck und Parallelität der Gegenseiten, den Umfang desselben: die Quadrate, Rechtecke, Rhomben und Rhomboide; den Inhalt des Begriffs () Tier: organisches Wesen, Empfindung, freie Bewegung, den Umfang: Säugetiere, Vögel, Amphibien, Fische, Würmer u. s. w.
Werden in den Begriff () neben den wesentlichen noch zufällige Merkmale aufgenommen, so wird der Umfang desselben zu klein, der Begriff () ist zu eng. Wenn nicht alle wesentlichen Merkmale aufgenommen werden, so wird der Umfang zu groß, d. h. der Begriff ist zu weit. Der BegriffParallelogramm () wird zu eng, wenn er das Merkmal gleichseitig erhält, denn aus seinem Gebiet werden dadurch das Rechteck und das Rhomboid ausgeschlossen; er wird zu weit, wenn das wesentliche Merkmal: Parallelität der Gegenseiten weggelassen wird, denn dann fällt er mit dem Begriff des Vierecks () zusammen.
Je größer der Inhalt eines Begriffes (), desto kleiner der Umfang, und je größer der Umfang, desto kleiner der Inhalt. Begriffsumfang () und Begriffsinhalt () stehen also ihrer Größe nach in umgekehrtem Verhältnis zueinander. So ist der Umfang () des Begriffs () Geld größer als der Umfang des [S. 72] Begriffs Silbergeld (), denn er umfaßt auch das Kupfergeld, Goldgeld und Papiergeld, dagegen sein Inhalt ist kleiner, nämlich um das Merkmal Silber. Der Umfang eines Begriffs () wird also durch Hinzufügung von Merkmalen beschränkt (Determination), durch Weglassung von Merkmalen erweitert (Abstraktion).
§ 33. Klarheit und Deutlichkeit der Begriffe ().
Von dem Grade der Einsicht () in den Inhalt () und Umfang () des Begriffs () hängt die Klarheit () und Deutlichkeit () desselben ab. Ein Begriff () ist klar (), wenn man das, was zu seinem Umfang gehört, genau von dem unterscheiden kann, was in den Umfang anderer Begriffe () fällt, so daß keine Verwechslung möglich ist. So ist der Begriff Logik klar (), wenn man ihn von Psychologie, Erkenntnistheorie, Metaphysik genau unterscheiden kann. Ein Begriff ist deutlich (), wenn die Merkmale, die seinen Inhalt bilden, für sich klar sind. So hat derjenige einen deutlichen Begriff der Logik (), der von der Wissenschaft überhaupt und von den Gesetzen des Denkens eine klare Vorstellung hat (BMversch).
§ 34. Die Arten der Begriffe.
Nach dem Inhalt unterscheidet man einfache und zusammengesetzte Begriffe (), je nachdem dieselben nur ein einziges oder mehrere Merkmale enthalten. Einfache Begriffe () sind: Etwas, Sein, Punkt, Raum; zusammengesetzte: Löwe, Sechseck, Urteil.
Nach dem Verhältnis des Umfangs der Begriffe () unterscheidet man untergeordnete (subordinierte), übergeordnete (superordinierte) und nebengeordnete (koordinierte) Begriffe (). Denjenigen Begriff (), der unmittelbar aus Individualvorstellungen entstanden ist, nennt [S. 73] man Artbegriff (), z. B. den Begriff Nachtigall (); denjenigen, der selbst wieder aus Artbegriffen () entstanden ist und deshalb die Individualvorstellungen nur mittelbar in sich befaßt, den Gattungsbegriff (), z. B. Singvogel. Der Gattungsbegriff heißt auch der höhere oder weitere und der Artbegriff () der niedere oder engere Begriff (). Aus Gattungsbegriffen () können wieder andere höhere Gattungsbegriffe () gebildet werden, so fällt der Begriff () Singvogel unter die höheren Gattungsbegriffe (): Vogel, Tier, organisches Geschöpf, Körper, von denen jeder wieder einen weiteren Umfang hat, als der vorhergehende, so daß ein Gattungsbegriff () im Verhältnis zum folgenden höheren immer wieder als Artbegriff betrachtet werden könnte; doch wird diese Stufenleiter von Art- und Gattungsbegriffen () häufig durch besondere Ausdrücke bezeichnet, wo dann auch Art und Gattung ihre ganz bestimmte Stelle haben. So konstruiert besonders die Naturwissenschaft von oben nach unten folgendes Schema: Reich, Kreis, Gruppe, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung, Art, Individuum.
Begriffe (), die demselben nächsthöheren Gattungsbegriff () untergeordnet sind, stehen im Verhältnis der Beiordnung oder Koordination, z. B. Frühling, Sommer, Herbst, Winter, innerhalb der Gattung Jahreszeiten. Da die beigeordneten Begriffe () sich ausschließen, so stehen sie in einem gewissen Gegensatz und zwar im kontradiktorischen Gegensatz (Widerspruch), wenn es nur zwei Begriffe sind, die miteinander den Umfang des höheren Begriffs () ausfüllen, so daß der eine geradezu die Verneinung des anderen ist, z. B. Mensch und Nichtmensch, zeitlich und ewig, Bewegung und Ruhe, schuldig und unschuldig; im konträren Gegensatz (Widerstreit), wenn es [S. 74] mehrere Begriffe () sind, so daß sie sich zwar auch gegenseitig ausschließen, aber mit anderen Begriff () sich in den Umfang des höheren Begriffes () teilen. Was sich nicht bewegt, ruht; daraus aber, daß es nicht Frühling ist, folgt nicht, daß es Sommer sein muß, es kann auch Herbst oder Winter sein, nur keines von beiden zugleich.
Zwei Begriffe () sind identische
oder Wechselbegriffe (), wenn sie nach
Inhalt und Umfang sich decken, z. B. der Begriff
() eines gleichseitigen und der eines gleichwinkligen Dreiecks, Aristoteles
und der Begründer der Logik. Der Unterschied besteht dann nur im sprachlichen
Ausdruck, der nur je nach dem Zusammenhang eine der Seiten des Begriffes
() besonders hervorhebt. Zwei Begriffe
() kreuzen sich, wenn sie nur einen
Teil ihres Umfanges gemeinsam haben, z. B. Neger und Sklaven; sie sind
einstimmig, wenn sie an demselben Gegenstand vorkommen können, z.
B. rechtwinklig und gleichseitig an dem Begriff
() Quadrat. Disparate Begriffe () nennt
man diejenigen, welche überhaupt nicht im Umfang eines beiden gemeinsamen
höheren Begriffs () untergebracht
werden können, z. B. Dreieck und Tapferkeit."
_
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site: www.sgipt.org
z.B. Wissenschaft site: www.sgipt.org. |
Rechtschreibprüfung über den Rest und Bunge & Arila gelesen irs 14.10.22 / teil korrigiert: irs 26.10.18
Aus dem Register Philosophische Studien I-XX:
Bd-1: Begriffe I, 114 (Wundt Math.Induc), 367 ff. (Wundt, Lehre v.
Willen),
Bd-3: III, 173, 179 (Nedich Prädikatenlogik), Definition eines Bs. III, 337 f., Entwicklungsgeschichte eines Bs. III, 337 f. (Wundt Biol.Prob.), V, 403, VIII, 331,
XIII, 322, XX, 154, 161, 167, 173, 193 ff., 323 ff.,
B. bei Herbart I, 163 f.,
B. bei Steinthal I, 176,
abstr. B. I, 266 f.,
logische und psychologische Entw. eines Bs. X, 6,
Geschichte und Theorie der abstrakten Begriffe II, 161 ff.,
kategoriale Verschiebung III, 171, 190,
feste und scharf begrenzte Be. II, 246 ff.,
Konstanz I, 143,
Gefühlswirkung XII, 297 ff.,
Begriffsgefühl XX, 327 f.,
Be. als Größen III, 193,
Be. als Namen (Hobbes) VI, 126,
absolute Forderungen VII, 37,
Bsbildung I, 25, 204 f., X, 119,
Bsbildung bei Locke I, 285,
Willkür der Bsbildung X, 2, Reformbedürftigkeit X, 5,
Bskonstruktionen und reine Anschauung IX, 173,
Bsdichtung XIII, 84 f., 87, 429,
Bsformen II, 175,
Bsentwicklung unabhängig von der Erfahrung V, 27,
Bsqualität VII, 97,
Bsschrift IX, 166,
allgemeine Bssprache (Charakteristika universalis bei Leibniz) VIII,
311,
Bsumfang XX,121,
Bsvorstellung VII, 108 ff.,
Be. und Anschauung I, 110, VII, 24 ff.
B. und Denkgegenstand XVII, 79 ff.,
B. und Empfindungsinhalt VII, 33,
begrifflicher Charakter der physischen Kausalität X, 109 f.
[Zusätzlich aufgefallen: Wundt, Wilhelm. 1883. Ueber die Methode
der Minimaländerungen. Philosophische Studien 1: 556-572; leider nicht
downloadbar: http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/library/data/lit29430?]
Hierzu aus Dorsch: "Psychophysische Methoden
[engl. psychophysical methods], [BIO, DIA, WA], Psychophysik, 1860
von Fechner (Fechner, Gustav Theodor; Elemente der Psychophysik) zus.gestellte
drei klassische Methoden, um das Verhältnis zw. (eindimensionalen)
physikal. Reizgrößen und ihrer Eindrucksbeurteilung (Empfindung)
zu messen. Dazu benutzte er Schwellenbestimmungsmethoden, die, verglichen
mit den direkten Methoden (Skalierung, Psychophysik), indirekte Verfahren
sind. Ferner beschrieb er wesentliche Fehlerquellen (Raum-, Zeitfehler).
(1) Methode (= M.) der ebenmerklichen Unterschiede;
Grenzverfahren, Methode der kleinsten wahrnehmbaren Unterschiede [engl.
method of limits]. (a) Feststellung der (absoluten) Schwelle: Der physikal.
Reiz (z.B. die Intensität eines Schalls) wird mehrmals in kleinen
«unterschwelligen» Schritten von unhörbar bis hörbar
gesteigert (aufsteigendes Verfahren) bzw. von hörbar bis unhörbar
gemindert (absteigendes Verfahren). Die Vp gibt zu jedem Reiz ein Urteil
ab, z.B. hörbar, nicht hörbar. Die errechneten Reizgrößen,
die beim aufsteigenden und absteigenden Verfahren jew. in der Mitte liegen,
werden gemittelt, und dieser Wert ist die Schwelle. Diese Methode wird
hauptsächlich zur Bestimmung der unteren und oberen Schwelle, d.h.
(Hör-)Grenze genutzt, und daher leitet sich der Name Grenzverfahren
ab. (b) Zur Feststellung der ebenmerklichen Unterschiedsschwelle wird ein
Vergleichsurteil erhoben. Ein Standardreiz wird vorgegeben. Die Vp soll
vom Vl mehrmals auf- und absteigend vorgegebene Vergleichsreize danach
beurteilen, ob sie größer, gleich oder kleiner sind als der
Standardreiz. Die Vorgabe des Vergleichsreizes erfolgt im Regelfall nicht
gleichzeitig mit der Vorgabe des jew. Standards. Es wird ein Unsicherheitsintervall
berechnet als Differenz zw. dem Mittelwert der Reize, die in die Kategorienmitte
zw. Größer- und Gleichurteile fallen, und dem Mittelwert der
Reize, die in die Kategorienmitte zw. Kleiner- und Gleichurteile fallen.
Die Hälfte dieses Unsicherheitsintervalles ergibt die ebenmerkliche
Unterschiedsschwelle. Der Mittelpunkt des Unsicherheitsintervalles ist
der Punkt subj. Gleichheit, dessen Größe üblicherweise
nicht mit der des Standardreizes übereinstimmt. Die Differenz zw.
Standardreiz und Punkt subj. Gleichheit wird als konstanter Fehler bez.
... ...."
Lange, Ludwig. 1886. Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes und ihr voraussichtliches Endergebniss. Philosophische Studien 3: 337-419
Lipps, Gottlieb Friedrich. 1893. Untersuchungen über die Grundlagen
der Mathematik. Philosophische Studien 9: 151-175
Vorstellung
und Begriff
Definition: "Untery
vorstellen
verstehen
wir die sinnliche Präsentation einer aus dem Gedächtnis aufgerufenen
Wahrnehmung im Bewußtsein. y
vorstellen
heißt
sozusagen "wahrnehmen" ohne äußere Wahrnehmungsquelle mit dem
Wissen, daß many
vorstellt-
und
nicht y
halluziniert
odery
pseudo-halluziniert
(siehe).
Die
vertrauteste Vorstellung im Alltag ist die visuelle;y
vorstellen
heißt
hier praktisch: "sehen"
mit geschlossenen Augen. Es können aber alle sinnlichen und wahrnehmbaren
Funktionen y
vorgestellt
werden:riechen,
schmecken, hören, bewegen, Anspannung, Entspannung, Kälte, Wärme
(Autogenes Training) ..."
Bewusstseinsanalyse Vorstellung und Begriff zum Schlossgartenspaziergang
Seit vielen Jahren mache ich meinen Mittagsspaziergang, gewöhnlich
nach dem Essen, durch den Schlossgarten, so dass ich diesen Weg in-- und
auswendig kenne. Ich kann also die einzelnen Stationen vor meinem geistigen
Auge entstehen lassen, d.h. vorstellen, nicht fotographisch
genau, also nicht eidetisch,
aber ziemlich genau. Ich komme vom Osten von der Krankenhausstr. herein,
bewege mich zur Mitte zum Reiterdenkmal, laufe dann am Brunnen vorbei und
herum in Richtung Schloss (Univerwaltung), wende in einem großen
Halbkreis, wobei rechts die Orangerie, liegt.
Beschreibung der Vorstellungen
: Ich "sehe", besser
wahrnehme in der Vorstellung, den Weg, die Bänke,
die Abfallkörbe, links und rechts (etwas weiter weg
vom Weg, den ich gehe), die Sträucher und Bäume,
die Wiesen, Blumenbete, zur Zeit noch Reste
des Sturms Fabienne,
den Hugenotten-Brunnen, das Schloss, die beiden
Ausgänge
zum Marktplatz, die Orangerie, das Reiterstandbild
des
Markgrafen, danach die Säule oder Stele (Schrebersäule);
und meist auch einige Leute, die ebenfalls durch den Schlossgarten
gehn.
Auf dem Rückweg am Rückert-Brunnen vorbei, rechts
Man muss nun unterscheiden zwischen den "reinen"
Vorstellungen und der Beschreibung. Die Frage ist: repräsentieren
die Vorstellungen schon Begriffe? Die Frage lässt sich auch für
die Wahrnehmung beim Spaziergang stellen: repräsentieren die Wahrnehmungen
schon Begriffe?
Als das entscheidende Kriterium, ob Begriff oder
nicht, werte ich das Erkennen und Identifizieren von Vorstellungs- oder
Wahrnehmungsobjekten, durch Klassifizierung oder Benennung (Namen).
Wie ist das, wenn Gegenden wahrgenommen werden,
die man noch nicht kennt, in denen man sozusagen das erste Mal ist?
Satz: Wohlunterscheidbare Objekte der Wahrnehmung oder Vorstellung sind
beschreibar und bilden damit einen Begriff.