Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=03.10.2018 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 01.01.20
    Impressum: Diplom-Psychologe  Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Allgemeine Psychologie,
    Bereich Denkpsychologie, und hier speziell zum Thema:

    Protokolliertes lautes Denken bei Duncker (1935)
    Zur Haupt- und Verteilerseite Protokolliertes Denken.
    Ausgelagert von der Hauptseite Denken (Kap 4.3.2).

    Originalarbeit von  Rudolf Sponsel, Erlangen
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    Inhaltsverzeichnis

    Duncker Lautes Denken (1935).
    § 2. Versuchsverfahren.
    § 3. Ein Protokoll der „Bestrahlungs“aufgabe.
    § 4. Nichtpraktikable „Lösungen“.
    Duncker ueber Protokolle. 
    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    Literatur * Links * Querverweise * Zitierung & Copyright * Änderungen. 

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    Duncker Lautes Denken (1935)

    S. 2: "§ 2. Versuchsverfahren. Die Experimente gingen so vor sich: den Versuchspersonen (Vpn) — im allgemeinen waren es Studenten oder Gymnasiasten — wurden allerlei Denkaufgaben gestellt mit der Bitte, laut zu denken. Diese Instruktion „laut denken“ ist nicht identisch mit. der bei Denkexperimenten sonst üblichen Aufforderung zur Selbstbeobachtung. Während der Selbstbeobachtende sich selbst als Denkenden zum Gegenstand macht, also — der Intention nach — verschieden vom denkenden Subjekt ist, bleibt der laut Denkende unmittelbar auf die Sache gerichtet, läßt sie nur gleichsam „zu Worte kommen“. Wenn jemand beim Nachdenken unwillkürlich vor sich hin spricht „da müßte man doch einmal zusehen, ob nicht ...oder „es wäre schön, wenn man zeigen könnte, daß ....“, so wird man das nicht „Selbstbeobachtung“ nennen wollen; und doch zeichnet sich in solchen Äußerungen das ab, was wir weiter unten als „Entwicklung des Problems“ kennen lernen werden. — Die Versuchsperson (Vp) wurde nachdrücklich ermahnt, keine noch so flüchtigen oder törichten Einfälle unverlautbart zu lassen. Wo sie nicht hinreichend orientiert zu sein glaube, dürfe sie ruhig Fragen an den Versuchsleiter (VI) richten. Doch seien an und für sich zur Lösung der Aufgaben keine speziellen Vorkenntnisse nötig.
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    § 3. Ein Protokoll der „Bestrahlungs“aufgabe. Beginnen wir mit der „Bestrahlungs“aufgabe (S. 1). Gewöhnlich wurde dieser Aufgabe die in Abb. 1 abgebildete schematische Skizze beigegeben.

    So etwa habe sich’s jemand im allerersten Moment vorgestellt (Querschnitt durch den Körper, in der Mitte die Geschwulst, links der Strahlenapparat). Aber so ginge es ja offenbar nicht.
        Aus den mir vorliegenden Protokollen wähle ich das eines Lösungsprozesses, der an typischen Einfällen besonders reich, dafür aber auch besonders lang und umständlich war. (Der durchschnittliche Prozeß verlief weniger unstet und konnte erheblich mehr sich selbst überlassen bleiben.) ,

    Protokoll:

    1. Strahlen durch die Speiseröhre schicken.
    2. Die gesunden Gewebe durch chemische Einspritzung unempfindlich machen.
    3. Freilegen der Geschwulst durch Operation.
    4. Man müßte die Strahlenintensität unterwegs herabsetzen, z. B. — ginge das ? — die Strahlen erst dann voll einschalten, wenn die Geschwulst erreicht ist (VI: falsches Modell, ist doch keine Spritze).
    5. Etwas Unorganisches (Strahlenundurchlässiges) zu sich nehmen zum Schutz der gesunden Magenwände (VI: es sind nicht bloß die Magenwände zu schützen).
    6. Entweder müssen doch die Strahlen in den Körper hinein oder aber die Geschwulst muß heraus. — Man könnte vielleicht den Ort der Geschwulst ändern, aber wie ? Durch Druck ? Nein.
    7. Eine Kanüle einsetzen. — (VI: Was tut man denn ganz allgemein, wenn man mit irgend einem Agens an einer bestimmten Stelle einen Effekt erzielen will, den man auf dem Weg bis zu jener Stelle vermeiden möchte ?)
    8. (Antwort): Man neutralisiert unterwegs. Das habe ich aber schon die ganze Zeit versucht.
    9. Die Geschwulst nach außen bewegen (vgl. 6). (Der VI wiederholt die Aufgabe und betont „bei genügend großer Intensität“.)
    10. Die Intensität müßte verändert werden können (vgl. 4).
    11. Abhärtung des gesunden Körpers durch vorausgehende schwache Bestrahlung. (VI: Wie ließe sich erreichen, daß die Strahlen nur das Gebiet der Geschwulst zerstören?)
    12. (Antwort): Sehe eben nur zwei Möglichkeiten: entweder den Körper schützen oder die Strahlen unschädlich machen. (VI: Wie könnte man die Intensität unterwegs herabsetzen? [Vgl. 4]).
    13. (Antwort): Irgendwie ablenken — diffuse Strahlung — zerstreuen — halt: ein breites und schwaches Strahlenbündel so durch eine Linse schicken, daß die Geschwulst in den Brennpunkt und also unter intensive Bestrahlung fällt . (Gesamtdauer etwa 1/2 Stunde.)

    § 4. Nichtpraktikable „Lösungen“. Aus dem mitgeteilten. Protokoll ist zunächst einmal folgendes zu ersehen: der ganze Prozeß, wie er von der ursprünglichen Problemstellung zur endgültigen Lösung führt, stellt sich dar als eine Reihe mehr oder weniger konkreter Lösungsvorschläge. Praktikabel (wenigstens dem Prinzip nach) ist allerdings nur der letzte. Alle vorausgehenden werden dem Problem in irgendeiner Hinsicht nicht gerecht, weswegen der Lösungsprozeß bei ihnen nicht halt machen kann. Sie mögen nun aber noch so primitiv sein, das eine ist sicher, von sinnlosen, blinden „Probierreaktionen“ kann dabei keine Rede sein. Nehmen wir z. B. den ersten Vorschlag: „die Strahlen durch die Speiseröhre schicken“. Der Sinn dieses Vorschlags ist klar. Die Strahlen sollen über einen gewebefreien Weg in den Magen geleitet werden. Nur liegt dem Vorschlag offensichtlich ein unzutreffendes Modell der Situation zugrunde (als ob die Strahlen eine Art Flüssigkeit wären, als ob die Speise-[>4]röhre einen gradlinigen Zugang zum Magen darstellte usw.). Jedoch — innerhalb dieses gewissermaßen versimpelten Situationsmodells wäre der Vorschlag eine wirkliche Erfüllung der Aufgabeforderung. Er ist also in der Tat die Lösung eines Problems, nur freilich nicht des faktisch gestellten. — Ähnlich verhält es sich mit den übrigen Vorschlägen. Der zweite setzt voraus, es gäbe ein — z. B. chemisches — Mittel, organische Gewebe für die Strahlen unempfindlich zu machen. Gäbe es so etwas, dann wäre alles in Ordnung und der Lösungsprozeß schon hier zu Ende. Auch der vierte Vorschlag (die Strahlen erst voll einschalten, wenn die Geschwulst erreicht ist), zeigt sehr deutlich seine Abkunft von einem falschen Modell, etwa dem einer Spritze, die erst nach Einführung in das Injektionsobjekt in Tätigkeit gesetzt wird. Der sechste Vorschlag schließlich behandelt den Körper gar zu sehr nach Analogie eines Gummiballs, der sich ohne Schaden deformieren läßt. — Kurz, man sieht, solche Vorschläge sind alles andere als völlig sinnlose Einfälle. Nur in der faktisch vorliegenden Situation scheitern sie an gewissen vorher noch nicht bekannten bzw. beachteten Situationsmomenten. — Manchmal ist es nicht so sehr die Situation wie die Forderung, auf deren Entstellung, Versimpelung die praktische Untauglichkeit eines Vorschlags beruht. Beim dritten Vorschlag z. B. („Freilegung der Geschwulst durch Operation“) scheint dem Denkenden abhanden gekommen zu sein, wozu die Strahlentherapie eigentlich eingeführt wurde. Eine Operation sollte ja gerade vermieden werden. Ähnlich wird im fünften Vorschlag vergessen, daß ja nicht nur die gesunden Magenwände, sondern der ganze von den Strahlen durchquerte gesunde Körper zu schützen ist.
        Hier dürfte eine prinzipielle Bemerkung am Platze sein. Den nach der Lösungsentstehung und nicht nach dem Wissensschatz fragenden Psychologen interessiert nicht primär, ob ein Lösungsvorschlag tatsächlich praktikabel ist, sondern nur, ob er formal, d. h. im Rahmen der gegebenen Voraussetzungen des Denkenden „praktikabel“ ist. Wenn ein Ingenieur bei einem Entwurf mit falschen Formeln oder mit nicht-existenten Materialien rechnet, so kann dieser Entwurf dennoch ebenso klug aus seinen falschen Voraussetzungen hervorgehen wie ein anderer aus seinen richtigen. Er kann ihm „denkpsychologisch äquivalent“ sein. Kurz, es kommt uns darauf an, wie ein Lösungsvorschlag aus dem System seiner subjektiven Voraussetzungen hervorgeht und diesem gerecht wird
     

      2- FN1 Vgl. die einschlägigen Protokolle in meiner früheren (übrigens theoretisch noch sehr unentwickelten) Arbeit „A qualitative study of productive thinking“, The Pedagogical Seminary, Vol. 33, 1926.
      3-FN1 Dieser Vorschlag ist eng verwandt mit der „besten“ Lösung: Kreuzung mehrerer schwacher Strahlenbündel in der Geschwulst, so daß nur hier die zur Zerstörung nötige Strahlenintensität erreicht wird. — Daß übrigens die in Frage kommenden Strahlen nicht durch gewöhnliche „Linsen“ gebrochen werden, ist ebenso wahr wie für uns (denkpsychologisch) belanglos. Vgl. u. § 4."
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    Duncker ueber Protokolle (S. 12 f)
    "Hier ist der Ort, um einiges Grundsätzliche über Protokolle zu sagen. Ein Protokoll ist — so könnte man es formulieren — nur für das, was es positiv enthält, einigermaßen zuverlässig, nicht dagegen für das, was in ihm fehlt. Denn auch das gutwilligste Protokoll ist nur eine höchst lückenhafte Registrierung dessen, was wirklich geschieht. Die Gründe für diese Unzulänglichkeit eines auf lautem Denken beruhenden Protokolles interessieren uns gleichzeitig als Eigenschaften des Lösungsgeschehens. Häufig werden vermittelnde Lösungsphasen dort nicht extra zu Protokoll gegeben, wo sie sofort ihre konkrete Endgestalt finden, wo also zwischen ihnen und ihren Endlösungen keine deutliche Phasengrenze besteht. Sie verschmelzen dann zu sehr mit ihren Endlösungen. Dort hingegen, wo sie eine Weile lang als Aufgaben existieren müssen, ehe sie ihre endgültige „Anwendung“ auf die Situation finden, sind die Chancen für ihre Verlautbarung größer. — Ferner treten viele übergeordnete Phasen deshalb nicht im Protokoll auf, weil die Situation dem Denkenden nicht versprechend genug für sie ausschaut. Sie werden deshalb sofort wieder zurückgezogen. M. a. W. sie sind zu flüchtig, zu provisorisch, zu tastend, u. U. auch zu „töricht“, um über die Schwelle des gesprochenen Wortes zu treten. — In sehr vielen Fällen werden vermittelnde Phasen deswegen nicht genannt, weil die Vp gar nicht merkt, wie sie die ursprüngliche Problemforderung bereits modifiziert hat. Sie hat gar nicht das Gefühl, bereits einen Schritt zurückgelegt zu haben — so selbstverständlich kommt ihr die Sache vor. (Dies ist besonders bei ,,Bereichbestimmungen“ der Fall, vgl. o. S. 11). Das kann so weit gehen, daß die Vp sich selbst auf eine gefährliche Weise die Bewegungsfreiheit raubt, indem sie unversehens der gestellten eine viel engere Aufgabe unterschiebt und daher im Rahmen dieser engeren Aufgabe verbleibt — eben weil sie sie mit der ursprünglichen verwechselt."

    Literatur (Auswahl) > Literaturliste Hauptseite.

    • Duncker, Karl (1935) Zur Psychologie des produktiven Denkens. Berlin:




    Links(Auswahl: beachte)
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    • Überblick Denken in der IP-GIPT.
    • Kann die literarische Erzählform "Bewusstseinsstrom" den Bewusstseinsprozess repräsentieren?
    • Das Bewusstseinsthema in der IP-GIPT.




    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:  >  Eigener wissenschaftlicher Standort.
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Neue Krankheiten Blech, Jörg (2003). Die Krankheitserfinder: Wie wir zu Patienten gemacht werden. Frankfurt: S. Fischer.
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    Querverweise
    Standort: Lautes Denken Duncker.
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Protokolliertes lautes Denken Duncker 1935. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/allpsy/denk/DPr_Duncker.htm

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     korrigiert: irs 03.10.2018



    Änderungen wird gelegentlich überarbeitet, ergänzt und vertieft * Anregungen und Kritik willkommen
    03.10.18    Nach einigen Tagen Vorarbeit eingestellt.