Protokolliertes lautes Denken
bei Duncker (1935)
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Denken (Kap 4.3.2).
Originalarbeit von Rudolf
Sponsel, Erlangen
_
S. 2: "§ 2. Versuchsverfahren.
Die Experimente gingen so vor sich: den Versuchspersonen (Vpn) — im allgemeinen
waren es Studenten oder Gymnasiasten — wurden allerlei Denkaufgaben gestellt
mit der Bitte, laut zu denken. Diese Instruktion „laut denken“ ist
nicht identisch mit. der bei Denkexperimenten sonst üblichen Aufforderung
zur Selbstbeobachtung. Während der Selbstbeobachtende sich selbst
als Denkenden zum Gegenstand macht, also — der Intention nach — verschieden
vom denkenden Subjekt ist, bleibt der laut Denkende unmittelbar auf die
Sache gerichtet, läßt sie nur gleichsam „zu Worte kommen“. Wenn
jemand beim Nachdenken unwillkürlich vor sich hin spricht „da müßte
man doch einmal zusehen, ob nicht ...oder „es wäre schön, wenn
man zeigen könnte, daß ....“, so wird man das nicht „Selbstbeobachtung“
nennen wollen; und doch zeichnet sich in solchen Äußerungen
das ab, was wir weiter unten als „Entwicklung des Problems“ kennen lernen
werden. — Die Versuchsperson (Vp) wurde nachdrücklich ermahnt, keine
noch so flüchtigen oder törichten Einfälle unverlautbart
zu lassen. Wo sie nicht hinreichend orientiert zu sein glaube, dürfe
sie ruhig Fragen an den Versuchsleiter (VI) richten. Doch seien an und
für sich zur Lösung der Aufgaben keine speziellen Vorkenntnisse
nötig.
_
§
3. Ein Protokoll der „Bestrahlungs“aufgabe. Beginnen wir mit der „Bestrahlungs“aufgabe
(S. 1). Gewöhnlich wurde dieser Aufgabe die in Abb. 1 abgebildete
schematische Skizze beigegeben.
So etwa habe sich’s jemand im allerersten Moment vorgestellt (Querschnitt
durch den Körper, in der Mitte die Geschwulst, links der Strahlenapparat).
Aber so ginge es ja offenbar nicht.
Aus den mir vorliegenden Protokollen wähle
ich das eines Lösungsprozesses, der an typischen Einfällen besonders
reich, dafür aber auch besonders lang und umständlich war. (Der
durchschnittliche Prozeß verlief weniger unstet und konnte erheblich
mehr sich selbst überlassen bleiben.) ,
Protokoll:
§ 4. Nichtpraktikable „Lösungen“.
Aus dem mitgeteilten. Protokoll ist zunächst einmal folgendes zu ersehen:
der ganze Prozeß, wie er von der ursprünglichen Problemstellung
zur endgültigen Lösung führt, stellt sich dar als eine Reihe
mehr oder weniger konkreter Lösungsvorschläge. Praktikabel (wenigstens
dem Prinzip nach) ist allerdings nur der letzte. Alle vorausgehenden werden
dem Problem in irgendeiner Hinsicht nicht gerecht, weswegen der Lösungsprozeß
bei ihnen nicht halt machen kann. Sie mögen nun aber noch so primitiv
sein, das eine ist sicher, von sinnlosen, blinden „Probierreaktionen“ kann
dabei keine Rede sein. Nehmen wir z. B. den ersten Vorschlag: „die Strahlen
durch die Speiseröhre schicken“. Der Sinn dieses Vorschlags ist klar.
Die Strahlen sollen über einen gewebefreien Weg in den Magen geleitet
werden. Nur liegt dem Vorschlag offensichtlich ein unzutreffendes Modell
der Situation zugrunde (als ob die Strahlen eine Art Flüssigkeit wären,
als ob die Speise-[>4]röhre einen gradlinigen Zugang zum Magen darstellte
usw.). Jedoch — innerhalb dieses gewissermaßen versimpelten Situationsmodells
wäre der Vorschlag eine wirkliche Erfüllung der Aufgabeforderung.
Er ist also in der Tat die Lösung eines Problems, nur freilich nicht
des faktisch gestellten. — Ähnlich verhält es sich mit den übrigen
Vorschlägen. Der zweite setzt voraus, es gäbe ein — z. B. chemisches
— Mittel, organische Gewebe für die Strahlen unempfindlich zu machen.
Gäbe es so etwas, dann wäre alles in Ordnung und der Lösungsprozeß
schon hier zu Ende. Auch der vierte Vorschlag (die Strahlen erst voll einschalten,
wenn die Geschwulst erreicht ist), zeigt sehr deutlich seine Abkunft von
einem falschen Modell, etwa dem einer Spritze, die erst nach Einführung
in das Injektionsobjekt in Tätigkeit gesetzt wird. Der sechste Vorschlag
schließlich behandelt den Körper gar zu sehr nach Analogie eines
Gummiballs, der sich ohne Schaden deformieren läßt. — Kurz,
man sieht, solche Vorschläge sind alles andere als völlig sinnlose
Einfälle. Nur in der faktisch vorliegenden Situation scheitern sie
an gewissen vorher noch nicht bekannten bzw. beachteten Situationsmomenten.
— Manchmal ist es nicht so sehr die Situation wie die Forderung, auf deren
Entstellung, Versimpelung die praktische Untauglichkeit eines Vorschlags
beruht. Beim dritten Vorschlag z. B. („Freilegung der Geschwulst durch
Operation“) scheint dem Denkenden abhanden gekommen zu sein, wozu die Strahlentherapie
eigentlich eingeführt wurde. Eine Operation sollte ja gerade vermieden
werden. Ähnlich wird im fünften Vorschlag vergessen, daß
ja nicht nur die gesunden Magenwände, sondern der ganze von den Strahlen
durchquerte gesunde Körper zu schützen ist.
Hier dürfte eine prinzipielle Bemerkung am
Platze sein. Den nach der Lösungsentstehung und nicht nach dem Wissensschatz
fragenden Psychologen interessiert nicht primär, ob ein Lösungsvorschlag
tatsächlich praktikabel ist, sondern nur, ob er formal, d. h. im Rahmen
der gegebenen Voraussetzungen des Denkenden „praktikabel“ ist. Wenn ein
Ingenieur bei einem Entwurf mit falschen Formeln oder mit nicht-existenten
Materialien rechnet, so kann dieser Entwurf dennoch ebenso klug aus seinen
falschen Voraussetzungen hervorgehen wie ein anderer aus seinen richtigen.
Er kann ihm „denkpsychologisch äquivalent“ sein. Kurz, es kommt uns
darauf an, wie ein Lösungsvorschlag aus dem System seiner subjektiven
Voraussetzungen hervorgeht und diesem gerecht wird
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korrigiert: irs 03.10.2018