Segals Versuche Ueber das Vorstellen von Objekten und
Situationen
(1911/12 durchgeführt, berichtet 1916)
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Denken (Kap 4.3.2).
Originalrecherche von Rudolf
Sponsel, Erlangen
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Versuchsbeschreibung S. 300-302,
Instruktionen (14p, fett kursive 14p Hervorhebung RS) und TeilnehmerInnen:
"Wir bemühten uns in unseren Vpn. die Vorstellungsgegebenheiten
verschiedener Typen hervorzurufen. Als Mittel dazu dienten uns einzelne
Wörter, die vom Versuchsleiter (VI.) laut ausgesprochen wurden. Es
kamen sieben Versuchsreihen zur Ausführung und zwar dienten in der
ersten Reihe als Reizwörter Namen von Straßen, Gebäuden,
Städten und Personen, welche den Vpn. zumeist bekannt waren; ihre
Anzahl betrug 30—35. In den Reihen III—VII dienten als Reizwörter
Namen von verschiedenen Objekten und zwar waren es Begriffe von verschiedenen
Abstraktionsstufen, wie z. B. Eiche, Baum, Pflanze usw. Außerdem
kamen in diesen Reihen Worte vor, die in den Vpn. Erinnerungen von ein-[>301]drucksvollen
Ereignissen aus ihrem Leben auftauchen lassen, also z.B. Examen, Manöber,
Immatrikulation, Antrittsvorlesung usw.
Die Anzahl der Reizwörter, welche in diesen Reihen dargeboten
wurden, betrug 80-100. Die Instruktion in alle diesen Reihen lautete:
„Sie bekommen ein Reizwort und Sie haben die Aufgabe
sich den entsprechenden Gegenstand mvorzustellen. Nachdem das geschehen
ist, geben Sie mir ein Signal (z. B. „Ja“) und beschreiben Sie schlicht
und naiv das Erlebte"“ Es wurde mit dem Zusatz "schlicht
und naiv" bezweckt die Vp,, ohne ihr von der Gegenüberstellung der
phänomenologischen und psychologischen Analyse etwas zu sagen,
zu veranlassen die Vorstellungsgegebenheit als solche so zu schildern,
wie man etwa jemandem einen Traum erzählt und sich nicht bloß
auf die rein psychologische Beschreibung der in der Selbstbeobachtung bemerkten
Teilinhalte zu beschränken. Die Zeit von dem Ausspreehen des Reizwortes
(Rw.) bis zum Signal der Vp. wurde mit der Fünftelsekundenuhr gemessen.
In allen Versuchsreihen hielten alle Vpn. die Augen geschlossen. In den
Reihen VI und VII, wo die Reizwörter überwogen, welche auf das
Hervorrufen der Erinnerungen berechnet waren, wurde die Versuchsdauer von
dem VI. bestimmt. Sie betrug zehn Sekunden. Nur mit einer Vp. (X) wurden
ein paar Versuche gemacht, in welchen die Reproduktionszeit 15 Sekunden
dauerte. In diesen Versuchen hatten die Vpn. die Aufgabe sich ganz passiv
dem Spiel der Vorstellungen zu überlassen. Durch diese Versuche war
die Möglichkeit geschaffen, die Entwicklung der Vorstellungsgegebenheit
und das Phantasieren näher zu studieren und die Beziehungen kennen
zu lernen, welche zwischen dem Phantasieren und dem Erinnern bestehen.
Es ist hier zu bemerken, daß die echten Erinnerungen hie und da auch
bei anderen Reizwörtern auftraten.
In der zweiten Reihe waren bei jedem Versuch von
dem VI. nacheinander Namen von drei mehr oder weniger voneinander entfernten
Straßen in Bonn und in der Umgebung von Bonn oder auch in anderen
der Vp. bekannten Städten genannt, wobei die Vp. folgende Aufgabe
bekam: „Sie haben die Aufgabe durch folgende Straßen
(oder Örtlichkeiten) in der Vorstellung zu wandern! “
Den Ausgangspunkt des Wanderns bildete die zuerst genannte Straße.
Der Weg zu der an letzter Stelle genannten Straße [>302] sollte durch
die an zweiter Stelle genannte Straße führen. Diese Reihei umfaßte
zwanzig Wanderversuche. Die Dauer der Versuche war selbstverständlich
davon abhängig, wie schnell die Vp. mit der Aufgabe fertig wurde.
Der Wert dieser Versuche liegt darin, daß sie das Verhalten während
des Phantasierens und Wachträumens gut nachbilden. Sie eignen sich
deshalb sehr zur Untersuchung der Phantasievorgänge. Wir sehen hier
im Kleinen die typischen Teilvorgänge, welche für das Phantasieren
charakteristisch sind. Mit ihnen glauben wir einen weiteren Schritt in
der experimentellen Untersuchung der Phantasie getan zu haben.
An den Versuchen beteiligten sich die Vpn.: Miss
Tucker und die Herren: Dr. Behn, Dr. Bühler, Dr. Grünbaum, Prof.
Külpe, etud. phil. Noltein, cand. phil. Pohl, cand. phil. Rangette,
cand. phil. Rüster, Dr. Silberstein und Dr. Wirtz. Ihnen allen soll
auch an dieser Stelle ein herzlicher Dank ausgesprochen werden. Außer
diesen Vpn. fungierte auch der Verfaßer als Vp. Die Vpn. sind im
Folgenden mit den Zahlen I—XII bezeichnet, wobei zu bemerken ist, daß
die Zahlen nicht der Reihenfolge entsprechen, in der die Vpn. oben genannt
worden sind. Wir möchten hier betonen, daß manche Vpn. die Anonymität
ausdrücklich gewünscht haben. Vp. XII ist der Verfasser. Alle
Vpn. zusammen reagierten auf 1977 Reizwörter, nämlich die Vp.
I auf 182, II auf 200, III auf 76, IV auf 200, V auf 182, VI auf 188, VII
auf 181, VIII auf 157, IX auf 206, X auf 212, XI auf 90 und XII auf 103
Rw."
"Zur Illustration des Gesagten lassen wir ein paar Protokolle folgen.
[Herr X. in seinem Sprechzimmer
]
Vp. X. Rw. Herr X. „Ich suche mir sein Bild zu vergegenwärtigen,
wie er im Sprechzimmer sitzt. Ich wundere mich, daß es mir schwer
ist, das mir bekannte Gesicht vorzustellen. Dann bricht diese Kette ab.
Es ist, als ob mir zugerufen würde: er ist nicht hier! Und nun beginne
ich ihn zu suchen. Ich sehe mich, wie ich ihn suche. Ich gehe mit großer
Geschwindigkeit an alle Orte nacheinander, wo er sich befinden könnte
und zwar zunächst nach seiner Wohnung, dann drüben ins Institut,
dann ins Restaurant und da breche ich ab, als ob ich ihn nirgends finden
würde.— Jetzt nachträglich kann ich ihn mit großer Deutlichkeit
im Seminar sitzen sehen“ *).
[Rw Hauptpost ]
Rw. Hauptpost. „Ich begebe mich in der Vorstellung von hier weg zur
Hauptpost. Dabei taucht aber die Vorstellung der Post sofort am richtigen
Ort auf. Ich sehe sie von hier gewissermaßen schon. Nun gehe ich
durch das Stockentor, die Fürstenstraße und Remigiusstraße
und über den Platz zum Haupteingang und trete ein...“
[X Wandern ]
In einem Wanderversuch sollte das Wandern von einer Bonner Straße
den Anfang nehmen. Die Vp. X findet sich nun nicht sofort an der gewünschten
Straße. Sie muß sich erst zu ihr begeben. Sie erzählt;
„Ich finde mich der Türe und ich gehe sehr schnell durch den Korridor
und die Treppe hinunter. Auf der Treppe höre ich das Geräusch,
das ich mache. Ich gehe zu der großen Türe hinaus und höre,
wie sie zuschlägt. Nun gehe ieh durch die Hundsgasse bis an die Ecke
der Brückenstraße. Dann den Trambahnschienen nach. Die Bahn
führt zum Friedrichsplatz. Dabei kreuze ich natürlich die Bonngasse“
(d. h. die Straße, die den Anfangspunkt des Wandems bilden sollte).
[XII: Rw Kurszimmer]
Vp. XII. Rw. Kurszimmer (d. h. das Zimmer im Psycholog. Institut, in
welchem die Übungen abgehalten werden. Der Versuch fand in einem Zimmer
statt, das von dem Kurszimmei’ durch zwei andere Zimmer getrennt ist).
„Schnell nacheinander zwei Richtungen erlebt. Zuerst versuchte ich auf
dem direkten Wege, d. h. durch die Wände hindurch zum Kurszimmer zu
gelangen. Das wollte mir aber nicht gelingen. Es war mir so, als ob der
Blick durch die Wände abgestoßen würde. Ich mußte
nun den normalen Weg durch den Korridor nehmen. Ich ging den Korridor entlang
bis zur Tür des Kurszimmers, durchschritt die Tür und blickte
in das Zimmer hinein. Das Erleben war derart, als ob das Gehen durch den
Korridor, das Durchschreiten der Tür und das Blicken ins Zimmer kontinuierlich
wäre. In Wirklichkeit kann ich aber einzelne Etappen unterscheiden.
Es war nämlich ein ganz unbestimmtes Bild von einem Stück [>306]
Korridor gegeben, dann der Eindruck der Wendung nach rechts zur Tür
und dann das Bild des Zimmers. Diese Kontinuität hatte etwas Kinematographisches:
objektiv fehlten die Zwischenstadien. So wurden z. B. die beiden Türen,
die sich auf dem Wege zum Kurszimrner befinden, nicht gesehen. Hervorzuheben
sind noch die eigentümlichen Richtungen und Bewegungen nach vorne
beim Versuch die Wände zu durchdringen, dann nach links zum Korridor,
dann nach rechts — ins Zimmer. Es war wie eine Nachahmung des Prozesses
wie er in der wahrnehmungsmäßigen Wirklichkeit gegeben wird.“
[Rw. Remigiusstraße]
Rw. Remigiusstraße. „Ich konnte nicht gleich die Straße
sehen. Ich mußte zu ihr gehen. Ich ging durch die Fürstenstraße,
dann sah ich den Römerplatz. Dort schaute ich mich um, um die Remi¬giusstraße
zu sehen. Ich sah sie und zwar in der Richtung zum Markt. Von der Fürstenstraße
habe ich etwas rötlich-gelbes gesehen. Es müssen Uni- versitätsmauem
gewesen sein. Darin war das ganze Gehen durch die Fürsten¬straße
enthalten. Gleich danach den Römerplatz gesehen. Das Ganze kam wohl
von selbst. Ich mußte mich zwingen, dorthin zu gehen.“
[Rw. Neue Wohnung]
Rw. Ihre neue Wohnung. „Zuerst Pause. Dann war ich plötzlich in
der Poppelsdorfer Allee und ging sie herunter bis zur Kaiserstraße.
Dann ging ich nach links bis zum Venusbergweg. Dann nach rechts und nach
oben (das Zimmer liegt auf dem I. Stock) und dann befand ich mich in meinem
Zimmer. Das Gehen war durch Bewegungsrichtungen charakterisiert: zuerst
geradeaus, und das bedeutete das Gehen bis zur Kaiserstraße, dann
ein Einbiegen nach links und das bedeutete, daß ich in die Kaiserstraße
komme, dann das Einbiegen nach rechts und dies bedeutete, daß ich
auf dem Venusbergweg bin, und dann die Richtung nach oben. Diese Richtungen
waren durch Bewegungsvorstellungen symbolisiert, welche in meinem linken
Arm lokalisiert waren. Visuell ziemlich deutlich war nur die Poppelsdorfer
Allee gegeben. Da die Bewegungsvorstellungen im Arm das Gehen ersetzten,
kam ich zu dem Haus blitzschnell. Gesehen — äußerst wenig. Mit
diesen Bewegungsvorstellungen war ein deutliches Bewußtsein der Straße
gegeben, durch die ich gehe. Das Ganze war wie eine verkürzte Nachahmung
der Wahrnehmungskontinuität.“
[VII. Rw. Koblenzer Straße]
Vp. VII. Rw. Koblenzer Straße. „Die Tendenz zum Fenster hinauszusehen.
Ich bin herumgegangen. Aufstehen und Gehen — nicht im Bewußtsein.
Wohl aber die Richtung und Tendenz nach rechts herüinzugehen. Dann
sehe ich in Schattenumrissen sich dunkel abhebend eine Gestalt — das war
ich, der durch das Fenster schaut. Danach erst die Pflasterung gesehen
vom Fenster aus.“
*) Dieses Beispiel ist dadurch kompliziert, daß außerdem, daß die Vp. sich an einen Ort erst begeben muß, noch das Suchen stattfindet, welches einem entsprechenden Vorgang in der Wahrnehmung außerordentlich ähnlich ist. Wir werden bei anderen Vpn. auch ein ähnliches Suchen finden, welches aber viel mehr reduziert und rudimentär ist."
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