Internet
Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
(ISSN 1430-6972)
IP-GIPT DAS=08.06.2009
Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 08.04.15
Impressum:
Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20
D-91052 Erlangen
Mail:_sekretariat@sgipt.org__
Zitierung
& Copyright
Anfang Bewusstseinsstrom-Literatur_Überblick
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_ Wichtige
Hinweise zu Links und Empfehlungen
Willkommen in unserer Internet Publikation für Allgemeine und
Integrative Psychotherapie, Abteilung Kunst,
Bereich Literatur, und hier speziell zum Thema:
Kann die literarische Erzählform "Bewusstseinsstrom"
den Bewusstseinsprozess repräsentieren?
mit einer Literaturtextliste
Innerer Monolog und stream of consciousness
Reader William James: Der
Strom des Bewusstseins.
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Hommage an
die Kunst und an die Phantasie
Einführung:
Literatur und Kunst - Psychologie und Psychotherapie. Man kann mit
Kunst sehr viel ausdrücken, viel mehr als z.B. die wissenschaftliche
und experimentelle Psychologie. Doch erscheint es mir falsch, einen Gegensatz
zu konstruieren. Mathematik, Experiment, Empirie, Beobachtung, strenge
Definition auf der einen Seite und Intuition, Fantasie, idiografisches
Einfühlen und analoge, ganzheitliche Erfassung auf der anderen Seite
können und müssen sich ergänzen, wobei Kreativität
und Phantasie
sowohl in der Kunst als auch in der Wissenschaft und Mathematik
nötig ist. Das eine ist ohne das andere im wahrsten Sinne des Wortes
nur die Hälfte. Viele Dichter und Künstler gewähren Einblicke
in menschliches Erleben, seine Hintergründe und Tiefen wie sie die
Wissenschaft kaum jemals zustande bringen könnte, obwohl auch hier
die bildgebenden Verfahren und neuere Konzepte wie etwa die der Spiegelneuronen
(Rizzolatti) Brücken zum Idiografischen bauen. Noch erscheint als
eines der ewigen Rätsel auch das, was William James als erster "Bewusstseinsstrom"
nannte. Anders gesagt: wie erlebt sich ein Mensch und wie könnte sein
Erleben aus seiner subjektiven Perspektive und Erfahrung abgebildet werden?
Merkwürdigerweise ist m. W. dieser Frage seit William James nie mehr
so ernsthaft und realistisch erlebensbezogen nachgegangen worden, obschon
wir alle doch anderen von unserem Erleben erzählen (> Wie
geht es Ihnen?). Er war wohl der erste und vermutlich auch vorläufig
der letzte, der diese Fragestellung so eindringlich und ausgiebig formulierte
und in einem ganzen Kapitel seiner grundlegenden Werke 1890/92 darlegte
(>Reader). Und von der
Neurowissenschaft ist für die Literatur des Bewusstseinsstroms nichts
zu erwarten, weil sie gar keine Erlebnispsychologie - das Bindeglied zwischen
neurobiologischer und literarischer Betrachtung - zur Verfügung hat.
Den LiteratInnen und KünstlerInnen darf man zutrauen, dass sie auf
ihre intuitive und praktische Weise, Möglichkeiten gefunden haben,
dem Phänomen "Bewusstseinsstrom" näher zu kommen. Davon können
wir PsychologInnen und PsychotherapeutInnen möglicherweise einiges
lernen.
Um meine doch recht spärlichen
und unzureichenden autodidaktisch angeeigneten Kenntnisse zur Literatur
des Inneren Monologs und zum Stream of consciousness etwas
professioneller anzureichern, konnte ich im Sommersemester 2008 die Gelegenheit
nutzen, an der Gastvorlesung - Stream of Consciousness. Bewusstseinsabbildung
als erzähltheoretisches Problem - von Prof. Hanuschek
teilzunehmen (danke), von der ich in der Bibliothek der Germanisten
zufällig erfuhr (danke) als ich gerade eine Ausgabe von "Geschnittener
Lorbeer" suchte.
Grundprobleme
der Abbildung des Bewusstseinsstroms in die Sprache.
Im Bewusstsein geschieht gleichzeitig vieles: wahrnehmen äußerer
Reize (sehen, hören, riechen, schmecken, spüren ...) und innerer
Erlebnisinhalte (empfinden, fühlen, denken, vorstellen, fantasieren,
wünschen, wollen, ...). Es bedarf also bei realistischer Repräsentation
einer Paralleldarstellung des vielen annähernd gleichzeitig gegebenen.
Die verschiedenen Erlebensdimensionen erzeugen das jeweilige Bewusstsein,
das fortwährend im Bewusstseinsstrom dahin fließt. Erzählen
und Sprache geht aber nur nacheinander, nicht gleichzeitig. Schon deshalb
können Erzählungen, Sprache und Literatur den Bewusstseinsstrom
- sozusagen grundsätzlich gesehen - gar nicht angemessen realistisch
repräsentieren, weil Sprechen und Erzählen eben nur Wort für
Wort, eins nach dem anderen geht. Das betrifft natürlich auch die
psychologische Forschung und die Psychotherapie, wenn Menschen gebeten
werden, über ihr Innenleben Auskunft zu erteilen. Aber die literarischen
Erzählformen des sog. Inneren Monologes und des Bewusstseinsstroms
(stream of consciousness) versuchen eine Näherung und mehr geht auch
nicht, auch nicht in Psychologie und Psychotherapie.
Bei der Repräsentation des Bewusstseinsstroms
gibt es eine ganze Reihe von Problemen, die ich mit folgenden Stichworten
charakterisieren möchte: Parallelfluss, Beobachtungsaporie, Flüchtigkeit
und Unschärfe, Sprachmängel, Figur und Hintergrund, Ganzheit.
-
Parallelfluss: Sprache ist ein sequentieller
Prozess - ein Wort nach dem anderen - und der Bewusstseinsstrom ist einerseits
ein paralleler (Bewusstsein vieler gleichzeitiger Erlebnisse) und andererseits
sequentieller Prozess (fortlaufender Strom vieler paralleler Erlebnisse
in der Zeit).
-
Beobachtungsaporie: Die Beobachtung
und Erfassung der Bewusstseinsvorgänge unterbricht den normalen Erlebensprozess,
verändert ihn oder zerstört ihn sehr oft. Hier scheint eine grundlegende
Aporie
vorzuliegen, so dass bestenfalls Umwege und Näherungen die einzigen
Möglichkeiten sind.
-
Flüchtigkeit und Unschärfe:
Viele Bewusstseinsvorgänge sind schon im Erleben sehr flüchtig
und unscharf.
-
Sprachmängel: Die Sprache ist für
viele Bewusstseinsvorgänge ungenau und für viele Erlebnisinhalte
gibt es gar keine Worte (die "Kleider" der Begriffe). Für die Erforschung
der Bewusstseinsvorgänge liegt bislang noch keine normierte Standardisierung
für das normale Erleben im Alltag oder gar in einer besonderen Untersuchungssituation
vor.
-
Figur
und Hintergrund: Erleben ist in eine Geschichte, in einen Hintergrund
und in eine Situation eingebettet und durch diese gefärbt.
-
Ganzheit: Erleben findet ganzheitlich statt,
d.h. die verschiedensten Bewusstseinsinhalte werden zu mehr oder minder
typischen, wiederholbar-ähnlichen Ganzheiten integriert und verschmolzen.
Beschreibungen
und Kennzeichnungen Innerer Monolog und Bewusstseinsstrom in der Literatur
Im folgenden sollen zunächst einige Beschreibungen der Literaturwissenschaft
zum Inneren Monolog und Stream of consciousness deren Sicht
verdeutlichen, wobei man berücksichtigen muss, dass die Beschreibungen,
Charakterisierungen und Kennzeichnungen nicht einheitlich verwendet werden
(Vogt, S. 191). In Anlehnung und frei nach Vogt (S. 191) lässt sich
charakterisieren: Direkte Rede, syntaktisch minimale Sätze, Eindruck
freier Assoziation, d.h. ungefilterter, d.h. unzensierter Bewusstseinsinhalte
wie sie sich ereignen (können); es fehlen Verba
dicendi oder credendi; was gesagt oder
gedacht wird, muss aus dem Kontext erschlossen werden. Die Identifikation
mit dem Erlebenden und Handelnden wird hierdurch maximiert und zudem strukturierend-erläuternde
Beiwerke gespart.
Literaturbrockhaus:
"Stream of consciousness [...], von dem amerikan. Philosophen und
Psychologen William James (1842-1910), Bruder von H. James, mit Bezug auf
E. Dujardins Roman »Geschnittener
Lorbeer (1888, dt. 1966) geprägte Bez. für eine Erzähltechnik,
die anstatt äußeren, in sich geschlossenen Geschehens die scheinbar
unmittelbaren, unkontrollierten, sprunghaften und assoziativen Bewußtseinsvorgänge
von Romanfiguren wiedergibt, ohne daß diese auf einen bestimmten
Handlungszusammenhang ausgerichtet sind. Diese Darstellungstechnik wurde,
oft unter Verwendung von Formen des > inneren Monologs bestimmend für
die Struktur der Romane von u.a. D. Richardson, J.
Joyce, V. Woolf, W. Faulkner,
A. Döblin.
Literatur: FRIEDMAN, M. J. S.
of c. New Haven (Conn.) 1955. - HUMPHREY, R. S. of c. in the modern novel.
Berkeley (Calif.) 31962."
Der Brockhaus
multimedial 2007: "Stream of Consciousness [ »Bewusstseinsstrom«]
der, ungeordnete Folge von Bewusstseinsinhalten (Empfindungen, Erinnerungen,
Reflexionen, Wahrnehmungen); der Begriff wurde mit Bezug auf É.
Dujardins Roman »Geschnittener Lorbeer« (1888) von dem amerikanischen
Psychologen W. James in seinem Werk »The principles of psychology«
(2 Bände, 1890) geprägt. Bewusstseinsinhalte des Stream of Consciousness
fanden mit der Erzähltechnik des inneren Monologs Eingang in die Literatur,
wobei sprunghafte und assoziative Bewusstseinsvorgänge einer literarischen
Gestalt wiedergegeben werden. Literarische Bewusstseinsströme finden
sich bei A. Schnitzler, J. Joyce, Virginia Woolf, M. Proust, A. Döblin
u. a."
(c) Bibliographisches Institut
& F. A. Brockhaus AG, 2007
Literaturbrockhaus:
"innerer Monolog, Erzähltechnik bes. des modernen Romans, durch
die eine Romanfigur im stummen, rein gedankl. Gespräch mit sich selbst
vorgeführt wird; der i. M. gibt die spontanen, sprunghaft-assoziativen
Gedanken und durch keine äußeren Zwänge und Normen reglementierten
Gefühle der Romanfigur in ihrer ganzen Unmittelbarkeit wieder und
versucht so, Dimensionen, Schichten und Bewegungen menschl. Bewußtseins
(Unbewußtes, Tabuisiertes o. ä.) darzustellen, die in dieser
Weise nicht in bewußter, nach außen gewandter Rede zum Ausdruck
gebracht werden. Der i. M. findet sich u. a. schon bei A. S. Puschkin (>Der
Mohr Peters des Großen, Romanfragment, gedr. 1837, dt. 1952, erstmals
1837), häufiger dann gegen Ende des 19. Jh. (W. M. Garschin, >Vier
Tage<, 1877, dt. 1878; E. Dujardin, >Geschnittener Lorbeer<, 1888,
dt. 1966; H. Conradi, >Adam Mensch<, 1889; A. Schnitzler >Lieutenant
Gustl<, 1901); als Gesamtstruktur wurde der i. M. in den großen
Romanen von J. Joyce (>Ulysses<, 1922, dt. 1927; >Finnegans wake<,
1939, Teilausg. dt. 1970 u.d.T. >Anna Livia Piurabelle<) und M. Proust
(>Auf der Suche nach der verlorenen Zeit<, 1913-27, dt. 1953-57, erstmals
dt. 1926-30) entwickelt. Der i. M. ist seitdem in verschiedensten Varianten
wesentlicher Bestandteil der Technik des > Stream of consciousness, durch
welche die Erzählliteratur des 20. Jh. ihre entscheidende Bereicherung
erfahren hat. Seit Mitte des 20. Jh. nutzt v. a. auch das >Hörspiel
die Möglichkeiten des inneren Monologs.
Literatur: DUJARDIN, E.: Le monologue
intérieur. Paris 1931. - HÖHNISCH, E.: Das gefangene Ich. Studien
zum i. M. in modernen frz. Romanen. Hdbg. 1967.- FISCHER, TH.: Bewußtseinsdarst.
im Werk von James Joyce. Ffm. l973. - ZENKE, J. : Die dt. Monologerzählung
im 20. Jh. Köln 1977."
Der Brockhaus
multimedial 2007: "innerer Monolog, [zu griechisch monológos
»allein redend«, »mit sich redend«], Erzähltechnik,
die den Gedankengang des Erzählers im stummen, rein gedanklichen Gespräch
mit sich selbst wiederzugeben versucht. Sie findet sich v. a. in seit dem
späten 19. Jahrhundert entstandenen Romanen (u. a. von Édouard
Dujardin, Arthur Schnitzler, Marcel Proust, James Joyce) und in Tagebuchaufzeichnungen.
Sie steht in der ersten Person Singular Präsens (im Gegensatz zur
erlebten Rede, die in der dritten Person Präteritum steht). Der innere
Monolog dient dem Ziel einer Identifikation des Lesers mit der erzählenden
Person. Im Unterschied zu der von William James beschriebenen Erzählform
des »Stream of consciousness« (»Bewusstseinsstrom«)
weist der innere Monolog eine intensiver reflektierende Beschäftigung
der Person mit sich auf und folgt strengeren syntaktischen und grammatikalischen
Regeln. (c) Bibliographisches Institut & F. A.
Brockhaus AG, 2007.
Die
Abbildung des Bewusstseinsstroms in Sprache in der Psychologie.
Das Bewusstsein ist meist - nicht immer - in stetem Fluss, wobei sich
Figur
und Hintergrund der Bewusstseinselemente verändern und abwechseln.
Elemente können zeitweise verschwinden, teilweise am Rande (Bewusstseinsrand)
mitbekommen werden. Mehr oder weniger, zuweilen sogar viele Bewusstseinselemente
sind dem Erleben nach fast gleichzeitig gegeben und formen damit eine mehrdimensionale
Erlebniseinheit, die aneinandergereiht ungefähr das wiedergeben, was
mit Bewusstseinsstrom gemeint ist. Aber dieser Strom kann auch Lücken
und Löcher haben. Manchmal scheint das Bewusstsein im Nirgendwo, wenn
leichte (alltägliche) Absencen stattfinden. Fast jeder kennt das Phänomen,
dass man etwas liest und plötzlich merkt, dass man ganze Teile des
vorhergehenden Textes gar nicht bewusst aufgenommen hat. Dann war man ganz
"woanders" und meist weiss man gar nicht mehr "wo". Wir alle kennen das
Phänomen, dass wir mehr oder minder bei der Sache sein können,
zerstreut oder ablenkbar sind oder gar gelegentlich in kurze Absencen abdriften.
Graphik
Bewusstseinsinhalte
Eine Möglichkeit, die verschiedenen Erlebniselemente zu kennzeichnen,
wären verschiedene Farben für die verschiedenen Erlebnisklassen,
z.B.:
-
Dunkelgrün: Aufmerken, konzentrieren, fokussieren.
Metasprachlich-explizit: X wendet(e) sich Y zu; X konzentriert(e) sich,
X betrachtete ...; X sah ... Implizites fahren: Bäume flitzten vorbei;
eine Auto nach dem andern verschwand hinter uns. Implizites Beschleunigen:
der Motor heulte auf, alles vibrierte. Impliziter Schub: ich wurde in den
Sitz gedrückt. > Psychologie
der Aufmerksamkeit.
-
Hellgrün: Empfindungen und Wahrnehmungen
(sehen, hören, riechen, schmecken, spüren).
-
Gelb: Gefühle und Stimmungen.
-
Orange: Wünsche, Bedürfnisse, Motive.
-
Blau: Gedanken, Vorstellungen, Phantasien.
-
Hellblau: Erinnerungen.
-
Grau: Pläne, planen, vornehmen, abstimmen,
abwägen.
-
Violett: Entscheiden, Entschliessen, Lenken.
-
Rot: Verhalten, machen, tun, handeln.
Dem Bewusstseinsstrom sehr nahe kommt auch die Technik
des freien Assoziierens.
Links (Auswahl: beachte)
> Literaturliste Bewusstsein.
William James:
Bewusstseinsstrom: [W]
Literaturwissenschaft: [ ,W,]
Textinterpretation: [ ,W,]
Innerer Monolog [W]
[RG]
Strukturbegriffe epischer Prosa [Sam]
Beispiele für Formen der Rede- und Bewusstseinswiedergabe. [ ,
Uni-Essen,
]
Das
Bewusstsein in der IP-GIPT:
Literatur (Auswahl)
> Literaturliste
Psychologie des Bewusstseins. > Literaturliste
Phantasie.
Literatur über
die Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms
-
Höhnisch, Erika (1967). Das gefangene Ich. Studien zum
inneren Monolog in modernen französischen Romanen. Winter, Heidelberg
1967. (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte; F. 3,3)
-
Martinez, Matias & Michael Scheffel (1999). Einführung
in die Erzähltheorie. München: Beck.
-
Simon, Claude (1999). Bilder des Erzählens. Heft Nr.
691 von: du. Die Zeitschrift für Kultur, Zürich Januar. [ISBN
3-908515-24-6] ???
-
Surowska, Barbara (1982). Schnitzlers innerer Monolog im
Verhältnis zu Dujardin und Dostojewski. In (549-558.): Brinkmann,
Richard u.a. (1982, Hrsg.): Theatrum Europaeum. München: Fink.
-
Vogt, Jochen (1998). Aspekte erzählender Prosa. Eine
Einführung in Erzähltechnik und Romantheorie. Opladen: Westdeutscher
Verlag.
-
Walzel, Oskar (1926). Das Wortkunstwerk. Mittel seiner Erforschung.
Nachdruck: Darmstadt: WBG. [UB Germ.: 07DS/B 6 wa 3]
-
Zuschlag, Katrin (2002). Narrativik und literarisches übersetzen.
O?: Narr. ISBN 3823358898
Verwandte
Themen: Echtheit, Authentizität, Echtzeit, Repräsentation ...
-
Danner, Stefan (2001). Ist Authentizität möglich?
Dynamik, Volume 32, Nr. 4, 443-459
Zusammenfassung: Der Begriff der Authentizität
ist in der Regel mit hohen Erwartungen an die Erkenntnis- und Ausdrucksfähigkeit
der Interaktionspartner verknüpft. Es wird überprüft, ob
diese Erwartungen berechtigt sind. Dabei werden Argumente für die
folgende These vorgelegt: Deutliche Mitteilungen über eigene innere
Erlebnisprozesse lassen nicht darauf schließen, dass diese Prozesse
in übersichtlichen Bahnen verlaufen; die genauere Betrachtung zeigt
vielmehr, dass sich der innere Erlebnisprozess als ein dynamisches Ineinander
von Geordnetem und Ungeordnetem, von Komplettem und Fragmentarischem, von
Kontinuierlichem und Diskontinuierlichem darstellt. Insgesamt ergibt sich
eine neue Sicht auf den Authentizitätsbegriff.
Literaturtexte
des Inneren Monologs und Bewusstseinsstroms
Die folgende Literaturliste ist nicht vollständig, teilweise fehlen
noch wichtige bibliographische Angaben (Ort, Jahr, Verlag), und die Zuordnung
ist wahrscheinlich bei den einen oder anderen AutorInnen auch strittig.
Ich selbst sah mich beispielsweise nicht in der Lage Andersch'
Sansibar
oder der letzte Grund als Repräsentation für Bewusstseinsstromliteratur
zu erkennen. Aufgrund der wahrscheinlich vielfachen Problematik, ob und
wie genau ein Werk einzuordnen ist, habe ich meine jeweilige Zuordnungsquellen
mit angegeben. Informationen, Anregungen und Kritik erwünscht.
Abkürzungen
zur Klassifikation und ihrer Quellen
BS := Klassifikation Bewusstseinsstrom
IM := Klassifikation Innerer Monolog
BMM07 := Brockhaus Multimedia 2007
DLB := Der Literatur Brockhaus
Hanuschek08 := Vorlesung Erlangen SS 2008
KLL := Kindlers Literatur Lexikon (CD 2000)
PG := Projekt Gutenberg.
V = Vogt, Jochen (2005). Aspekte erzählender Prosa. Wiesbaden:
V.f. Sozialwissenschaften.
W := deutsche Wikipedia
W.en := englische Wikipedia, W.en.SoCnm
(SoCnm = Stream of consciousness narrative mode). Internal monologue.
W.es := spanische Wikipedia. flujo de conciencia; Monólogo interior:
[W.es.mi]
W.fr := französische Wikipedia. courant de conscience = flux de
conscience. [W.fr.cdc]
W.it := italienische Wikipedia. Flusso di coscienza. [W.it.Fdc]
W.nl := niederländische Wikipedia [W.nl.Soc]
_
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Sansibar oder der letzte Grund. [BS, W]
-
Andersch, Alfred (1974). Winterspelt. [Hanuschek08]
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Antunes, António Lobo (1996). Das Handbuch der Inquisitoren
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aus Rumänien [BS, KLL] [IM, KLL]
-
Mann, Thomas (1939). Lotte in Weimar. [BS, KLL, Hanuschek08]
-
Mayröcker, Friederike (1984). Reise durch die Nacht. [BS, KLL]
-
McCabe, Patrick (1992). The Butcher Boy. [W.en.SoCnm]
-
Miller, Arthur (1964). Nach dem Sündenfall. [BS, KLL]
-
Miller, Arthur (1968). Der Preis. [BS, KLL]
-
Müller, Robert (1915). Tropen. Der Mythos der Reise. Urkunden eines
deutschen Ingenieurs. [BS, KLL]
-
Mysliwski, Wieslaw (1984). Stein auf Stein. [IM, KLL]
-
Oliveira, Carlos De (1953). Eine Biene im Regen. [BS, KLL]
-
Osorgin, Michail Andreevic (1937). Der Freimaurer. [BS, KLL]
-
Paludan, Jacob (1924). Einen Winter lang. [IM, KLL]
-
Pareja Díez-Canseco, Alfredo (1944). Die drei Ratten. [IM, KLL]
-
Paso, Fernando Del (1987). Nachrichten aus dem Imperium. [BS, KLL]
-
Pil'njak, Boris Andreevic (1925). Maschinen und Wölfe. [BS,
KLL]
-
Pound, Ezra (1920). Hugh Selwyn Maerley. [IM, KLL] ? (Ein Gedicht „“Maerly“
in „Dichtung und Prosa 79-85: ist es das - vollständig?)
-
Proust, Marcel (1913-27). Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. [IM,
DLB] [IM, W] [1. In Swanns Welt. 2. Im Schatten junger Mädchenblüte.
3. Die Welt der Guermantes. 4. Sodom und Gomorra. 5. Die Gefangene. 6.
Die Entflohene. 7. Die wiedergefundene Zeit. [W]
-
Puschkin, A. S. (1827; unvollendet). Der Mohr Peters des Großen.
[IM, DLB] [PG] [W]
-
Rabe, David [William] (1971). Die Grundausbildung Pavlo Hummels.
[BS, KLL]
-
Ráz, Roman (1966). Der Lehrer des Vogelgesangs. [IM, KLL]
-
Rebatet, Lucien (1952). Weder Gott noch Teufel. [IM, KLL]
-
Revueltas, José (1943). Des Menschen Trauer. [BS, KLL]
-
Richardson, Dorothy
(1915-28). Pilgrimage. [W.en.SoCnm]
-
Rivière, Jacques (1922). Aimé. [IM, KLL]
-
Roth, Gerhard (1980). Der stille Ozean. [Hanuschek08: Bewusstseinsabbildung
aus der Distanz des personalen Erzählens]
-
Saroyan, William (1934). Der waghalsige junge Mann auf dem fliegenden Trapez.
[BS, KLL]
-
Schmidt, Arno (1960). KAFF auch Mare Crisium. [Hanuschek08: Joyce redivivus?]
-
Schnitzler, Arthur (1900). Lieutenant Gustl. [IM, KLL]
-
Schnitzler, A. (1924). Fräulein Else. Novelle. 1.-11. Tausend. Berlin:
Zsolnay. [BS, W] [Online: PG]
-
Selby, Hert (1971). Mauern. [BS, KLL]
-
Selby, Hert Jr. (1964). Last Exit to Brooklyn. [W.en.SoCnm]
-
Selby, Hert Jr. (1978). Requiem for a Dream. [W.en.SoCnm]
-
Seymour, J.D. Salinger (1963). An Introduction. [W.en.SoCnm]
-
Shahnon, Ahmad (1966). Dornen am Wegesrand. [BS, KLL]
-
Selvon, Sam (1956). The Lonely Londonders. [W.en.SoCnm]
-
Simenon, Georges (1970). Als ich alt war. Tagebücher 1960–63 [BS,
KLL]
-
Simenon, Georges (1963). Die Glocken von Bicêtre. [IM, KLL]
-
Simon, Claude (). [W] (noch unklar, welche Werke zum BS bzw. IM zählen)
-
Sinclair, May Mary Olivier (1919). Ein Leben. [BS, KLL]
-
Škvorecký, Josef (1972). Das Mirakel. (1972). Politischer Kriminalroman
[BS, KLL]
-
Sokolov, Saša (1976). Die Schule der Dummen. [BS, KLL]
-
Solzenicyn, Aleksandr Isaevic (1962). Ein Tag im Leben des des Iwan Denissowitsch.
[BS, KLL]
-
Sterne, Laurence (1759 en 1767). The Life and Opinions of Tristram Shandy,
Gentleman ('Tristram Shandy'). [W.nl_Soc
Biogr: [W.de, W.nl, W.en, ]
-
Stramm, August (1916). Der Letzte. [expressionistischer Monolog n.
Hanuschek08]
-
Streeruwitz, Marlene (2004). Jessica. [Hanuschek08]
-
Strindberg, August (1906). Richtfest. [IM, KLL]
-
Styron, William (1951). Lie Down in Darkness. [W.en.SoCnm]
-
Svevo, Italo [eigentlich: Hector Aron Schmitz, genannt Ettore Schmitz]
(ital. 1923). La coscienza di Zeno (1923) - Zeno Cosini, Neuübersetzung
"Zenos Gewissen". [W.it_Soc]
-
Tammsaare, Anton Hansen (1926-1933). Wahrheit und Recht. [IM, KLL]
-
Tatarka, Dominik (1942). Verzweifeltes Suchen. [IM, KLL]
-
At-Tayyib Salih (1966). Die Jahreszeit der Auswanderung nach Norden. [BS,
KLL]
-
Tennyson, Alfred Lord (19. Jh.). Das Lyrische Werk von Alfred Lord Tennyson.
-
Tolstoj, Lev Nikolaevic, Graf (1854). Knabenjahre. [IM, KLL]
-
Tsirkas, Stratis (1961-65). Städte ohne Herrscher. [IM, KLL]
-
Urban, Milo (1927). Die lebende Peitsche. [IM, KLL]
-
Vestdijk, Simon (1936). Meneer Visser's hellevaart. [W.nl.Soc]
-
Walter, Otto F. (1959). Der Stumme. [IM, KLL]
-
Wang, Meng (1987). Das Verwandlungsbilderbuch. [BS, KLL] [IM, KLL]
-
Weiss, Peter Ulrich (1975-81). Die Ästhetik des Widerstands. 3 Bde.
[BS, BMM07]
-
White, Patrick (1948). Die Geschichte der Tante. [BS, KLL]
-
Wilson, Robert Anton & Shea, Robert (1975). Illuminatus! [W.en.SoCnm]
-
Wohmann, Gabriele (1970). Ernste Absicht. [BS, KLL]
-
Woolf, Virginia (1925, dz. 1986). Mrs. Dalloway. Frankfurt: Fischer. [IM,
KLL] [BS, DLB] [BS, W]
-
Woolf, Virginia (1927). To the Lighthouse. [W.en.SoCnm]
-
Woolf, Virginia (1931, dt. 1986). Die Wellen (The Waves). Frankfurt:
Fischer. [BS, DLB] [BS, W]
-
Yáñez, Agustín (1947). An der Wasserscheide [BS, KLL]
[IM, KLL]
Glossar, Anmerkungen
und Endnoten
GIPT= General and
Integrative
Psychotherapy,
internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
___
Andersch:
Sansibar oder der letzte Grund
In W[080301]
wird Andersch' Sansibar oder der letzte Grund zu den "berühmten"
Romanen für die Verwendung der Technik des Bewusstseinsstroms
bewertet. Sieht man sich den Roman an, fragt man sich, was W
wohl veranlasst haben mag, eine solche Falschwertung in die Welt zu setzen.
Tatsächlich erfährt man dann unter dem Eintrag W[080301]
zum Roman selber (fett-kursiv RS): "Die erzählerischen Mittel
Die Erzählung ist in 37 Kapitel eingeteilt, die sich nach dem
Wechsel der Personenkonstellation richten, aber immer in dem Schema Junge
- andere Person - Junge - andere Person abläuft. Der Aufbau ähnelt
also Auftritten in einem Theaterstück. Die erzählte Zeit beträgt
27 Stunden.
Typisch für Andersch ist die Darstellung der
Ereignisse aus der Sicht der jeweiligen Beteiligten, auch in ihrer charakteristischen
Sprache, jedoch nicht in Ich-Form, sondern in der Personalen Erzählsituation.
Bei
dem Jungen ist auffällig, dass seine Gedanken in einem so genannten
Bewusstseinsstrom erzählt werden: Seine Gedanken werden durch Assoziationen
verknüpft. Die Sprache ist den jeweiligen Personen angepasst,
wie zum Beispiel bei Judith, die ein gehobenes Deutsch, und Knudsen, der
eher eine Umgangssprache spricht.
Ebenfalls der Perspektive der Figuren entnimmt Andersch eine ebenso
einfache wie eindrucksvolle Symbolik: Das Tagtraum-Sansibar des Jungen;
die Schrift an der Wand des Pastors Helander; die Bedrohlichen Türme,
die die Flüchtlinge und Widerstandskämpfer zu beobachten scheinen;
die Offene See, die für alle Personen die Freiheit bedeuten kann."
Die Darstellung "Der Junge" im Roman der
Fischerausgabe 1970 (meist eine halbe bis 3/4 Seite): 7, 10, 13, 18, 23,
28, 36, 41, 48, 56, 64, 76, 88, 102, 110, 130, 143, 156-158, 169-171 (Schluß)
enthält fast durchgängig Verba credendi
("...dachte der Junge ...", S. 7) oder Verba
dicendi ("...sagte der Junge...", S. 41) und repräsentiert damit
den ganz "normalen" Erzähltyp Präteritum und gerade keinen stream
of consciousness.
___
Duell Proust / Lorrain:
February 5, 1897 in History Event: Marcel Proust meets Jean Lorrain in
a pistol duel. [SQ]
Zwei Kugeln werden ohne Ergebnis ausgetauscht. [SQ,
2,
] Lorrain, seinerzeit der bestbezahlte Journalist in Paris, soll
Proust beleidigt haben. Beide sollen nicht die Absicht gehabt haben, sich
zu töten.
Alden, Douglas W. (1938). Marcel Proust's
Duel. Modern Language Notes, Vol. 53, No. 2 (Feb., 1938), pp. 104-106.
___
Epischer Imperfekt. > Präteritum.
___
Erlebte Rede:
[LiGo]
"-> Erlebte Rede: Erzählerische Redewiedergabe in der 3. Person Präteritum
Indikativ, mit Innensicht und der Möglichkeit kommentierender Einmischung,
aber ohne ‚verba dicendi et sentiendi’, in vollständiger Syntax (Ausnahme:
Interjektionen) und mit unbeschränkter Interpunktion, jedoch ohne
Anführungszeichen.
In erlebter Rede bleiben zwar der Wortlaut und die
Ausdrucksqualität des von der Figur Gesagten weitgehend erhalten,
werden aber (mitunter in fließenden Übergängen) in den
Erzählerbericht samt dessen Tempus und Syntax eingebettet. Erlebte
Rede ist somit zwar weniger narrativ als indirekte Rede, auch sie bleibt
aber letztlich formal dem Erzähler zugeordnet. [Beispiel
für erlebte Rede] "
[grammis],
[W]
___
Erzähltempus. > Epischer Imperfekt,
Präteritum.
___
Faulkner: Schall und Wahn.
|
"Zerfall einer Familie und Zerfall der Sprache.
Der Buchtitel ist ein Shakespeare-Zitat: Das Leben, heißt es in Macbeth,
ist "eines Toren Fabel nur, voll Schall und Wahn, jedweden Sinnes bar".
Die Schlüsselbegriffe aus dem Buchtitel verwandelt Faulkner im Text
auf eindrucksvolle Weise in (moderne) Literatur. Thematisch geht es um
den völligen Niedergang, ja Zerfall alles Menschlichen einer ehemals
bedeutenden Südstaatenfamilie im Bundesstaat Mississippi. Die Art
und Weise, wie dieses Thema aufgearbeitet wird, ist das Besondere und Herausfordernde
des Romans; vor allem die ersten beiden der insgesamt vier Romanteile sind
eine extrem anspruchsvolle Lektüre. Wie bei abstrakten Gemälden
ist auf den ersten Blick rein gar nichts klar und eindeutig zu erkennen.
Es gibt keinen chronologischen oder logischen Zusammenhang, der Leser wird
in ein Säurebad von Andeutungen, Erinnerungsfetzen und innerem
Monolog getaucht - streckenweise im Wortsinn ohne Punkt und Komma.
Insofern handelt es sich bei Schall und Wahn um eines der bahnbrechenden
Werke moderner, hochartifizieller Literatur in der Tradition von James
Joyce. Faulkner ist die Anerkennung für sein Schaffen nicht versagt
geblieben: Er erhielt 1949 den Nobelpreis." [SQ] |
___
Geschnittener Lorbeer (Dujardin
1887, dt. 1966).
Inhalt: Daniel Prince, ein Student der Rechte mit offensichtlich
viel Muße, hat sich in Lea, eine junge Schauspielerin und Tänzerin
der zweiten Reihe verliebt. Dieses sexuell ambivalent gehemmte und nicht
ausgelebte Verliebtsein ist Gegenstand der ganzen Erzählung, die letztlich
hauptsächlich darum kreist, wann es denn endlich so weit ist, dass
sie ihn ins Bett lässt, was bis zum Ende nicht geschieht. Stattdessen
hält sie ihn hin und beutet ihn, obwohl er selbst nicht so viel hat,
finanziell aus, was er gelegentlich dumpf zu ahnen scheint und was ihn
ein wenig in seichte Wut versetzt. Er realisiert die Einseitigkeit des
Verliebtseins nicht und erkennt nicht klar, wie sie sein Verliebtsein missbraucht.
Mal fehlt es hier (z.B. die Miete), mal fehlt es da (z.B. Schuld zurückzahlen),
mal ist ganz dringend der Schmuck vor der Verpfändung im Leihhaus
zu retten. So zahlt und zahlt er, kümmert sich, schreibt, besucht
und trifft sie, aber der heimlich ersehnte und auch ein wenig erwartete
Gegenwert, ihn ins Bett zu lassen, bleibt aus. So zieht sich das über
151 Seiten hin.
Prince gibt sich sexuell sehr ambivalent und macht
sich selbst vor, anders zu sein, anders zu lieben, nicht wie die gewöhnliche
Masse, sondern ganz edel: platonisch. Er ist eben ein ganz besonderer.
Hierdurch wertet er seine Liebe und seine Haltung auf und kann auf die
Trauben, die Lea für ihn zu hoch hängt, zumindest streckenweise
leichter verzichten. Er ist eben nicht so einer.
Leseprobe (S. 37, Auf dem Weg zu Lea): "...,
schaut mich an, lacht, schneidet Grimassen, die Wilde; welche Freude! in
ihrem schwarzen Kleid mit der schwarzen Korsage aus Kaschmir; nicht groß;
aber auch nicht klein, obwohl sie klein erscheint; nein, sie ist nicht
klein, aber jung sieht sie aus, ganz jung; und gut proportioniert; ihre
sich wölbenden, breiten Hüften unter der dünnen Taille,
die weich absinken; ihre hohe Brust, die in den großen Augenblicken
so heftig wogt; und ihr Gesicht wie das eines boshaften Kindes; die blonden
Haare und die großen Augen; anbetungswürdige Lea. Ach, die Arme,
ich will sie lieben, mit einer demütigen Liebe, so wie man lieben
soll und nicht wie die anderen es tun. Wenn wir zurückkommen, wird
es mindestens schon zehn Uhr sein. Sieben Uhr fünfunddreißig
auf der Normaluhr. Die Oper. Die Terrasse des Café de la Paix ist
voll; niemand, den ich kenne; die Oper; die Rue Auber; das Haus von Herrn
Vaudier; habe schon seit zwei Monaten nicht mehr bei ihm gegessen; vielleicht
ist er auf Reisen; ist reich! ach, so viel Geld haben! wieviel hat er?
man sagt eine Million Rente; das ist im Minimum ein Kapital von zwanzig
Millionen; beinahe hunderttausend Francs im Monat; nein; eine ..."
Charakterisierung des Übersetzers Günter
Herburger (S. 157): "Geschnittener Lorbeer ist in der direkten Rede
des Daniel Prince, einem Dujardin-Ich und der geliebten Schauspielerin
Lea von Arsay sowie einigen Nebenpersonen geschrieben. Sobald Daniel in
Aktion gerät, die Handlung vorantreibt und verständlich machen
will, benützt Dujardin die Präsenzform des inneren Monologs,
das heißt, er schildert, was er gerade tut, denkt, riecht, hört,
sieht und was er früher getan und empfunden hat. Dieses abgekürzte
Tagebuchverfahren hat Vorteile. Man muß nicht den ganzen epischen
Apparat bewegen, um eine Handlung zu formen. Sofort wird man ins Zentrum
eines Ichs versetzt, das seine Umgebung nur mittels der subjektiven Optik
schildert. Die Verführung des Lesers wird rigoros betrieben, ohne
den Widerstand objektiver Sachverhalte."
___
Hanuschek Vorlesung "Der Innere
Monolog wird meist erzähltheoretisch als Kunstgriff eines ,Erzählers'
modelliert. Damit ignoriert die Theorie eine Vorgabe der Fiktion, die den
Inneren Monolog ja gerade in eine Figur verlegt und den Erzähler ausdrücklich
ausschließt. Diesem Problem wird im Verlauf der Vorlesung nachgegangen,
die wenigen literaturwissenschaftlichen Lösungsversuche werden diskutiert.
Vor allem werden klassische und weniger klassische, kanonische und misslungene
Versuche der Bewusstseinsabbildung vorgestellt: von den Gründervätern
Edouard Dujardin, Arthur Schnitzler und James Joyce über Arno Schmidt,
Alfred Andersch und Hans-Jürgen Fröhlich bis in die Gegenwartsliteratur,
die den sogenannten autonomen radikalen Inneren Monolog mit einigen Ausnahmen
(Thomas Hettche, Marlene Streeruwitz) eher marginalisiert hat. Empfohlene
Literatur: Textliste in der ersten Vorlesung; zur Vorbereitung empfiehlt
sich die Lektüre der einschlägigen Artikel im Reallexikon." [Ursprungsadresse]
___
Innerer Monolog. [W]
___
Mathematik. So wird von dem berühmten
Mathematiker David Hilbert (1862 - 1943) gern das bon mot zitiert, dass
er einmal auf die Frage, was aus einem Studenten geworden sei, geantwortet
haben soll: "Er ist jetzt Schriftsteller - er hatte zu wenig Phantasie."
[Q]
___
Präteritum. [Info]
___
Spiegelneurone.
___
Ullysses von James Joyce.
Der Brockhaus multimedial 2007: "Joyce. Der irische Schriftsteller James
Joyce (*1882, 1941) ist einer der einflussreichsten Romanciers des 20.
Jahrhunderts. Seine Erzähltechnik wie überhaupt seine formalen
und sprachlichen Experimente waren für viele zeitgenössische
und spätere Autoren vorbildlich.
»Ulysses«, 1922 erschienen und
neben »Finnegans wake« der bedeutendste und bis heute nicht
völlig entschlüsselte Roman des Iren, schildert einen einzigen
Tag, den 16. Juni 1904, im Leben des Dubliner Anzeigenmaklers Leopold Bloom,
seiner Frau Molly und des jungen Stephen Dedalus, weitet jedoch das Geschehen
mithilfe von Zitaten und Anspielungen, vor allem in der Parallelisierung
zu Homers »Odyssee«, ins Universelle aus. Mit der von ihm weiterentwickelten
Technik der Versprachlichung des Bewusstseinsstroms der drei Hauptfiguren,
besonders ihrer vor- und unbewussten psychischen Prozesse, erschloss Joyce
der Romankunst - in Abkehr von der traditionellen, handlungsorientierten
Erzählweise des an Abbildung äußerer Realität interessierten
realistischen Romans - neue Wirklichkeitsbereiche. »Ulysses«
war lange wegen angeblicher Obszönitäten in den USA und Großbritannien
verboten."
(c) Bibliographisches Institut &
F. A. Brockhaus AG, 2007
Lesebeispiel aus dem letzten Kapitel (Molly bewusstseinsströmt
ca. 80 Seiten lang ohne Punkt und Komma im Bett so vor sich hin): "...
lieber die Lampe bißchen runterdrehn und nochmal versuchen daß
[>1012] ich früh auch aus den Federn komme ich werde zu Lambe gehn
da neben Findlater daß sie uns paar Blumen schicken die ich in der
Wohnung aufstellen kann für den Fall daß er ihn morgen mit nach
Hause bringt heute meine ich nein nein Freitag ist ein Unglückstag
zuerst will ich mal etwas sauber machen in der Wohnung ich glaube der Staub
wächst sogar während ich am schlafen bin dann können wir
etwas musizieren und Zigaretten rauchen ich kann ihn begleiten aber zuerst
muß ich noch die Tasten vom Klavier säubern mit Milch was zieh
ich denn an soll ich eine weiße Rose tragen oder haltmal diese schönen
Kuchen bei Lipton also ich liebe ja diesen Duft in einem reichen großen
Laden zu 7 1/2d das Pfund oder die andern mit den Kirschen drin und der
rosa Zucker 11d das Kilo und natürlich eine schöne Topfpflanze
für mitten auf den Tisch die krieg ich doch billiger bei Moment wo
war das doch ich hab sie doch kürzlich erst gesehn noch ich liebe
ja Blumen am liebsten hätt ich die ganze Wohnung täte in Rosen
schwimmen Gott im Himmel es geht doch nichts über die Natur die wilden
Berge dann das Meer und die Wellen wie sie am rauschen sind und das schöne
Land mit Hafer und Weizenfeldern und allen möglichen Sachen und das
ganze schöne Vieh am weiden das täte einem so richtig gut mal
wieder Flüsse zu sehen und Seen und Blumen alle möglichen Formen
und Düfte und Farben sogar in den Gräben sprießen die überall
Schlüsselblumen und Veilchen das ist die Natur und wenn die sagen
es gibt keinen Gott dann kann ich bloß sagen ich pfeif auf ihre ganze
Gelehrsamkeit wieso gehn sie nicht hin und schaffen selber mal was hab
ich ihn oft schon gefragt diese Atheisten oder wie die sich nennen solln
doch erstmal vor ihrer eigenen Haustür kehren aber dann heulen sie
nach dem Priester wenns ans sterben geht und warum ja warum weil sie Angst
vor der Hölle haben wegen ihrem schlechten Gewissen ah ja mir machen
die nichts vor wer war denn das erste Wesen im Weltenraum bevor daß
sonst jemand da war der alles geschaffen hat wer denn ah das wissen sie
nicht genau so wenig wie ich da sitzen sie da sie könnten [>1013]
ebenso gut versuchen daß sie die Sonne am aufgehn hindern morgen
früh die Sonne die scheint für dich allein hat er damals gesagt
an dem Tag wo wir unter den Rhododendren lagen oben auf dem Howth in dem
grauen Tweedanzug und mit dem Strohhut an dem Tag wo ich ihn so weit kriegte
daß er mir den Antrag gemacht hat ja zuerst hab ich ihm ein bißchen
von dem Mohnkuchen aus meinem Mund gegeben und es war Schaltjahr wie jetzt
ja vor 16 Jahren mein Gott nach dem langen Kuß ist mir fast die Luft
ausgegangen ja er sagte ich wäre eine Blume des Berges ja das sind
wir alle Blumen ein Frauenkörper ja da hat er wirklich mal was Wahres
gesagt in seinem Leben und die Sonne die scheint für dich allein heute
ja deswegen hab ich ihn auch gemocht weil ich gesehn hab er versteht oder
kann nachfühlen was eine Frau ist und ich hab auch gewußt ich
kann ihn immer um den Finger wickeln und da hab ich ihm die ganze Lust
gegeben die ich konnte und hab ihn so weit gebracht daß er mich gebeten
hat ja zu sagen und zuerst hab ich gar keine Antwort gegeben hab bloß
so rausgeschaut aufs Meer und über den Himmel ich mußte an so
viele Sachen denken von denen er gar nichts wußte ..."
Querverweis: Analyse
der Phantasieelemente in dieser Passage.
___
Unterscheidung
Erzählung - Novelle - Roman.
Kriterium / Epischer Typus |
Erzählung |
Novelle |
Roman |
Längsschnitt Entwicklung |
Jein |
Nein |
Ja |
Gesamtbild |
Jein |
Nein |
Ja |
Umfang |
Kleiner |
Kleiner |
Größer |
Strukturierte Form |
Jein |
Ja |
Jein |
___
verba dicendi. Verben des Sagens,
Redens, Sprechens, z.B. "sie sagte ... ". [grammis]
___
verba credendi. Verben des
Denkens, Meinens, Glaubens, z.B. "er dachte ...".
___
verba sentiendi. Verben des Wahrnehmens,
z.B. er sah, roch, ..."
___
Querverweise
Standort Bewusstseinsstrom-Literatur.
*
Reader William James: Der
Strom des Bewusstseins.
Überblick
Psychologie des Bewusstseins in der IP-GIPT.
Psychologische
Analyse des Phantasiebegriffs.
Überblick
Kunst in der IP-GIPT.
*
*
Information für Dienstleistungs-Interessierte.
*
Zitierung
Sponsel, Rudolf (DAS). Kann
die literarische Erzählform "Bewusstseinsstrom" den Bewusstseinsprozess
repräsentieren? Internet Publikation für
Allgemeine und Integrative Psychotherapie IP-GIPT. Erlangen:
https://www.sgipt.org/lit/LitTheo/LBeWuSt.htm
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Hinweise zu Links und Empfehlungen
korrigiert: irs 07.06.09
Änderungen Kleinere
Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet
und ergänzt.
30.08.17
Querverweise zu Psychologische
Analyse des Phantasiebegriffs.
08.04.15
Linkfehler geprüft und korrigiert.