Der Deutsche "Nationalcharakter"
- Gibt es den?
Materialien zu Geschichte und Zeitgeist
des deutschen "Nationalcharakters"
recherchiert von Rudolf Sponsel, Erlangen
Einführung
in das Problemfeld Nationalcharaktere.
Bibliothek
der Deutschen Werte (satirisch).
Historisches
Wissenschaftlich betrachtet
ist es sehr fraglich, ob es so etwas wie einen Nationalcharakter gibt.
Dies herauszufinden wäre die Aufgabe einer anthropologischen Persönlichkeits-
Psychologie, die notwendigerweise Vergleiche mit anderen Nationen und Völkern
einbeziehen müßte (> Wilhelm
von Humboldt). Klare Definitionsregeln und Operationalisierungen, wie
ein "Nationalcharakter" zu konstruieren und empirisch zu beweisen
ist, liegen bislang kaum vor [Überblick
und Hinweise hier]. Wahrscheinlich verteilen sich die Charakter- und
Persönlichkeitstypen über die meisten Völker und Kulturen
hinweg.
Gute Charaktertypisierungen findet man in der deutschen Wehrmachtspsychologie. Die deutsche Gründlichkeit findet man hier etwa in dem Charaktertypus des sog. "Grundtoffels". Neuer, gängiger und etwas abweichend wird in der Persönlichkeitstypologie der Begriff des zwanghaften Menschen - deftiger: Zwangscharakters - verwendet. Diese Persönlichkeitstypen gibt es aber überall auf der Welt, unter autoritär orientierten Erziehungsumgebungen dürfte dieser Typus aber gehäuft vorkommen. Gründlich und kritisch wird die ganze Problematik inzwischen in meiner Arbeit "Mitglied und Gruppe" bearbeitet. |
Bibliothek der Deutschen Werte
Möglicherweise sind Satire,
Kabarett, Witz und Überzeichnung gute Möglichkeiten für
Hypothesen zu Nationalcharakteren.
Beispiel: Die deutsche Gründlichkeit.
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Leseprobe aus Die deutsche Gründlichkeit
Müller zu Helmut Kohl Dissertation
Quelle: Chronik der Deutschen (3.A. 1995), S. 46
Wikipedia.
zur Darstellung (Abruf 16.10.17):
"Darstellung Sein auffallendstes Attribut ist seine Schlaf- bzw. Zipfelmütze.
Die frühesten bildhaften Darstellungen des Michels datieren auf die
erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seine bildliche Ausformung bezieht
sich auf literarische Vorläufer bzw. ein volkstümliches Verständnis
der Figur. Den eigentlichen Höhepunkt seiner Popularität erreichte
der Michel bereits in den 1840er Jahren.
Eigenschaften und Wesen der Figur sind bis heute
ein Politikum. Die Ansicht, der Michel würde auf den Erzengel Michael
(Schutzpatron Deutschlands seit der Schlacht auf dem Lechfeld im Jahr 955)
oder den Reitergeneral Hans Michael Elias von Obentraut zurückgehen,
ist bis heute weit verbreitet. Es finden sich für beide Behauptungen
keine stichhaltigen Belege. Hinsichtlich der Einflüsse durch die Figur
des Heiligen Michael existieren zumindest interessante Hypothesen (Stichwort:
Pilgerfahrten zum Mont-Saint-Michel oder die Rolle des Schutzheiligen bei
der Christianisierung Norddeutschlands). Die früheste belegte Überlieferung
findet sich in einem von Sebastian Franck 1541 herausgegebenen Sprichwörterbuch
– also einige Jahrzehnte vor Obentrauts Geburt. Der deutsche Michel bezeichnet
hier einen Dummkopf, Tölpel und Fantasten. Auch in anderen zeitgenössischen
Quellen findet sich ein ähnliches Verständnis."
Und hieraus Adolph Freiherr von Knigge mal ganz anders:
Personen, die in solchem Ämtern und Würden stehen, welche
man in freien Staaten für unbedeutend, unnütz oder gar für
verächtlich und schädlich hält, Hofschranzen und andre besoldete,
pensionierte und bepfründete Müßiggänger, können
den Gedanken nicht ertragen, daß ein System Anhänger finden
mögte, das ihre ganze Existenz vernichtet, indem es nur dem Fleiße
und dem wahren Verdienste Achtung, Vorrechte und Vorteile einräumt.
Solche Fürsten und Edelleute, die sich bewußt sind, daß
sie gar nichts mehr sein würden, wenn sie aufhören sollten, Fürsten
und Edelleute zu sein;
Auch manche bessere, verdienstvollere Männer unter diesen, die aber von Jugend auf mit den Vorurteilen ihres Standes aufgewachsen und gewöhnt sind, Dinge, deren Wert jetzt in [176] Frankreich gänzlich verrufen ist, wo nicht wie Schätze voll inneren, echten Gehalts, wenigsten wie eine, durch den Stempel der Konvention gewürdigte, nützliche Ware zu betrachten;
Geadelte Bürger und alle solche Personen; die es sich haben Mühe
und Geld kosten lassen, in eine Klasse hinaufzurücken, mit Ständen
in Verbindung zu kommen, die sie außerdem vielleicht verachten würden;
Hohe und niedre Geistliche aller Bekenntnisse, die so gern Religion
und Gottes-Verehrung, Theologie, Dogmatik, Kirchen-System und Christuslehre
mit einander verwechseln, ihr Amt zu einem besondern Stande im Staate erheben
und ihre Sache zur Sache Gottes machen;
Solche Menschen, die überhaupt gegen jede Neuerung eingenommen
sind und es gern beim Alten lassen;
Schmeichler; feile, kriechende Schriftssteller, und alle solche Insekten,
die unbemerkt herumkriechen und sich fürchten müßten, zertreten
zu werden, wenn sie sich nicht in das Unterfutter der Großen dieser
Erde einnisteten; an Leib und Seele arme Schlucker, die sich von den Brosamen
nähren, welche von der Herren Tische fallen;
Gutmütige, furchtsame, mitleidige, gefühlvolle und sanguinische Menschen, welche durch die Schilderung der vernübten Gewalttätigkeiten erschüttert und empört werden;
Untertanen guter Fürsten, besonders in dem nördlichen Teile von Teutschland, die, unter milden Regierungen, bei dem Genusse ihres Eigentums und ihrer Freiheit, gar keinen Begriff vom Despotendrucke haben und - o! der glücklichen Unwissenheit! - das Bedürfnis einer andern Verfassung nicht kennen;
Alle diese stimmen mehr oder weniger lebhaft die allgemeine Meinung gegen die französische Revolution. Man kann ihnen, was die nachteiligen Eindrücke betrim, welche sie bewirken, noch diejenigen zugesellen, die, aus unvernünftigem Eifer, ohne Kenntnis der Sache, aus unbändigem Freiheitssinne, aus [177] ungerechter Unzufriedenheit mit den Regierungen , welche nicht so hohe Begriffe, wie sie selbst, von ihren Verdiensten haben, sich unberufen zu ungeschickten Verteidigern aufwerfen."
Germaine de Staël-Holstein, Tochter des Schweizer Bankiers und ersten bürgerlichen Finanzministers unter Ludwig XVI., Jacques Necker, wurde 1766 in Paris geboren und lebte bis 1817. |
Der Insel-Verlag:
"De l'Allemagne, »die bedeutendste Kulturgeschichte
der Goethe-Zeit« (R. Minder), 1813 im Londoner Exil erschienen, nachdem
Napoleon die französische Auflage von 1810 hatte einstampfen lassen,
ist neben Tacitus' De Germania und Heines ebenfalls De l'Allemagne
überschrifteter Artikelserie das international bekannteste Buch über
Deutschland. Außer einer Fülle scharfsinniger Beobachtungen,
die die Verfasserin während ihrer beiden ausgedehnten Deutschlandreisen
(1803/04 und 1807/08) machen konnte, entfaltet sie hier das durch die Norm
der französischen Salonkultur gefilterte Resultat ihrer Gespräche
mit Goethe, Schiller, Fichte, Schelling, A. Müller, F. v. Gentz wie
auch ihrer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit den Gebrüdern Schlegel,
B. Constant, W. v. Humboldt, Sismondi, Ch. de Villers und vielen anderen.
Gelobt und bewundert, aber auch geschmäht und kritisiert,
beförderte diese wagemutige Schrift, ein Grundtext der deutsch-französischen
Beziehungen, die Ausprägung der Romantik in Frankreich und markierte
den Eintritt der deutschen Literatur ins europäische Bewußtsein.
Den spezifischen Charakter dieses historischen Dokuments
erhellt auf vorzügliche Weise die vollständige deutsche Erstübersetzung
aus dem Jahre 1814, welche hier in einer neu durchgesehenen Fassung dem
deutschen Leser erstmals wieder zugänglich gemacht wird."
Ein wichtiges historisches Buch über die Deutschen und ihre Eigenarten (von Marcel Reich-Ranitzki manipulativ sophistisch mißbraucht).
Was "ein" Deutscher "ist",
wird - falls es überhaupt möglich ist, dies nationalcharakterlich
zu fassen - wesentlich durch die Geschichte "der" Deutschen beeinflußt.
Aber auch hier bedarf es natürlich des Vergleichs,
um nicht etwas für "deutsch" zu halten, das ebensogut auf andere Völker
und Nationen zutrifft. Einen hilfreichen Überblick geben die Chronik
Bände, etwa der Vergleich Chronik der Deutschen mit Chronik
der Menschheit.
Hier 3.A. Ausgabe 1995, mit: Sachregister Personenregister Bildquellenverzeichnis Vorwort Hans-Dietrich Genscher |
Ur- und Frühgeschichte 800 v. Chr-101 v. Chr.
Rom und Germanien 100v.Chr.181 n.Chr. Das Reich der Merowinger 482-749 Das Reich der Karolinger 750-918 Das Kaisertum der Ottonen 919-1024 Die Salier und der Investiturstreit 1024-1137 Das Stauferimperium 1138-1250 Interregnum und Wahlkönigtum 1251-1355 Das Spätmittelalter 1356-1516 Reformation und Gegenreformation 1517-1617l Der Dreißigjährige Krieg 618-1648 Die deutschen Fürstenstaaten 1649-1714 Das Zeitalter der Aufklärung und des Absolutismus 1715-1788 Deutschland und die Französische Revolution 1789-1815 Wiener Kongreß und Restauration 1816-1829 Vormärz und Deutsche Revolution 1830-1849 Industrialisierung und soziale Folgen 1850-1869 Das Zeitalter Bismarcks 1870-1890 Das Zeitalter des Imperialismus 1891-1913 Der Erste Weltkrieg 1914-1918 Die Weimarer Republik 1919-1932 Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg 1933-1945 Der kalte Krieg und die Teilung Deutschlands 1946-1965 Alter Konflikt und Neue Ostpolitik 1966-1988 Ende des kalten Krieges und Wiedervereinigung ab 1989 |
Eine außerordentlich wertvolle Anthologie 18. Jahrhundert bis zum Ende des 20. Jahrhunderts der Bundeszentrale für Politische Bildung. Hieraus die Begriffsbestimmungen (S. 128):"
Nation
Der Begriff Nation bezeichnet eine soziale Großgruppe, die bestimmt
wird durch gemeinsame Abstammung, Wohngebiet, Sprache, Religion, Rechts-
und Staatsordnung, Kultur, Welt- und Gesellschaftsvorstellungen, Geschichte
sowie durch die Intensität der Kommunikation. Entscheidend dabei ist,
daß die Angehörigen einer Nation vom Andersund Besonderssein
im Vergleich zu allen anderen Nationen überzeugt sind, da nicht immer
alle oben genannten Merkmale vorhanden sind. Unterschieden wird u.a. zwischen
Staats-, Kultur- und Willensnation. Versuche, Nation anhand objektiver,
allgemeingültiger Merkmale zu definieren, bleiben bis heute umstritten.
Begriffsgeschichtlich standen bis ins 18. Jahrhundert hinein regionale
und soziale Bezeichnungen der Nation gleichberechtigt neben anderen Definitionen.
So bezeichnete lateinisch "natio" in der Antike und weit ins Mittelalter
hinein die Abstammung oder den Herkunftsort einer Person. Im 19. und 20.
Jahrhundert wird Nation, ausgehend von Europa, zu einem Zentralbegriff
politischer Integration.
Nationalismus
Nationalismus ist eine Ideologie, die - beruhend auf einem bestimmten
Nationalbewußtsein - den Gedanken der Nation und des Nationalstaats
militant nach innen und außen vertritt. Soziale Großgruppen
werden zu einer inneren Einheit verbunden, um sie gegen eine als anders
empfundene Umwelt abzugrenzen. Dies geschieht durch überzogene nationale
Identifikation, aber auch durch Assimilation oder gewalttätige Gleichschaltung.
Der Nationalismus ist an keine bestimmte Staats- oder Gesellschaftsform
gebunden. Oft vereint sich im Nationalismus das Bewußtsein eines
Anders- oder Besondersseins mit einem starken Sendungsbewußtsein.
Dies kann zur Abwertung oder Geringschätzung anderer Völker oder
nationaler Minderheiten im eigenen Staatsgebiet führen.
Nationalstaat
Im Nationalstaat besteht eine weitgehende Identität von Nation
und Staatsvolk. Im Gegensatz zum Nationalitäten- oder Vielvölkerstaat
sind die Staatsangehörigen im Nationalstaat alle oder die überwiegende
Mehrheit
Angehörige ein und derselben Nation. Das Zusammengehörigkeitsbewußtsein
der Nation und der politische Wille derselben zu einem eigenen und selbständigen
Staat ist die politische Grundlage eines Nationalstaats.
Patriotismus
Patriotismus ist die Liebe zum Vaterland, zur Heimat und bedeutet Verehrung
und gefühlsmäßige Hingabe an Traditionen, Werte und historisch-kulturelle
Leistungen des eigenen Volkes bzw. der eigenen Nation. Außerlich
zeigt sich Patriotismus z. B. in der Wertschätzung von Symbolen (Hymnen,
Flaggen) oder Institutionen (Verfassung, Parlament), aber auch in der Bereitschaft,
sich für das eigene Volk einzusetzen. Er orientiert sich primär
am Staatswesen und unterscheidet sich vom Nationalismus, der sich stärker
auf die Interessen eines Volkes oder einer Nation bezieht. Die Ubergänge
sind allerdings fließend.
Rassismus
Rassismus ist ein Begriff aus der politischen und sozialen Sprache
des 20. Jahrhunderts. Er wird aber auch, was nicht unumstritten ist, zur
Bezeichnung bestimmter Erscheinungen in der Vergangenheit herangezogen.
Rassismus kennzeichnet im engeren Sinne die im 19. Jahrhundert ausformulierten
Ideologien der Rassenunterschiede, die bis in die Gegenwart in jeweils
unterschiedlichen Bezügen (u. a. Kolonialismus, Nationalsozialismus,
Antisemitismus, Apartheid, neue Rechte) die Basis der dort gerechtfertigten
oder praktizierten Diskriminierung von Menschen bildet.
Staatenbund
Als Staatenbund bezeichnet man einen losen völkerrechtlichen Zusammenschluß
von Staaten zu gemeinsamen politischen Zwecken (Beispiel: der Deutsche
Bund 1815 -1866). Die Souveränität liegt nicht beim Gesamtstaat,
sondern bei den Gliedstaaten. So bleiben die Gliedstaaten im Staatenbund
zum Beispiel Völkerrechtssubjekte, unterhalten eigene diplomatische
Vertretungen und können selbst Staatsverträge abschließen.
Gegenteil des Staatenbundes ist der Bundesstaat.
Zusammengestellt nach: Dieter Nohlen (Hrsg.): Worterbuch Staat und
Politik, Bonn 1995.
Brockhaus Enzyklopädie, 19. und 20. Auflage, Mannheim 1991/
1998"
Die Nachkriegs-Deutschen
(Perspektive
1958)
|
Hieraus (S. 10):"Der Einzelne: Das
Individuum läuft weg. Politik ist eine Angelegenheit der Berufspolitiker.
Europa eine Angelegenheit der Berufseuropäer, Innenpolitik eine Sache
der Funktionäre, Außenpolitik eine der Diplomaten und die Steuer,
jener echte Zweikampf des Staates gegen den Bürger, ist eine Sache,
in der man nur mit Kenntnis der Geheimregeln weiterkommt oder auch nicht.
Deshalb ist das Individuum, das sich entzieht, heute eine so moderne Sache.
Es ist auf der Flucht. Das »Ohnemich« des Einzelnen gegenüber
dem Staat oder anderen höheren Formen der Existenz hatte sich in fast
antiker Weise wie eine Seuche ausgebreitet und predigte einmal Gleichmut,
dann die Neutralität gegenüber den Verschlingungen der Weltmächte.
Auch dem Mittelalter ist dieser Rückzug des Herzens vor der Welt nicht
fremd. Wir wollen hier die moderne Abart bestimmen. Wer ist dieser moderne
»Mensch, der sich entzieht« ?
Ohwohl sich hier zunächst unser deutsches Erlebnis abzeichnet, geht dieser Vorgang weit über unsere Grenzen hinaus. Das Individuum, das sich entzieht, ist ein Bestandteil aller Massengesellschaften. Es reicht nicht in die Bezirke der Macht. Es spürt, es kann nicht heran und herein. Der Hebelarm fehlt. Das Element der Demokratie, heißt es — aber es heißt nur so —, sei der gemeine Mann, der mit dem Stimmschein in der Hand seinen Willen überträgt und die Welt danach ordnet. Es ist nach der philosophischen Übereinkunft von zwei Jahrhunderten eine harmonische, wenn auch nicht konflikttreie Welt, in der der Viille der Meisten zum Besten wirkt. Dieser Glaube wird durch die Veränderungen der Gegenwart angegriffen. Wir nennen die Punkte. ..." |
Inhaltsverzeichnis "Deutschland Heute" (Perspektive 1958)
IM KÄFIG DES KOMFORTS
ZWISCHEN ELBE UND ODER
DER MENSCH VON DER STANGE
DAS BILDUNGSGEFECHT
NACHHUT DER AVANTGARDE
Pross, Helge (1982) Was ist heute deutsch? Wertorientierungen in der Bundesrepublik. Reinbek: Rowohlt. |
Aus dem "Schluss", S. 133f:
"Was ist heute deutsch? Sicher nicht die Konzeptionen der wünschenswerten
sozialen Beziehungen und der wünschenswerten sozialen Zustände,
sicher nicht die Tugendideen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts und in
der Spätphase der Weimarer Republik dominierten. Verhaltensweisen
wie fragloser Gehorsam, Disziplin und Unterordnung werden nicht mehr als
Tugenden angesehen. Pflicht als ständige Arbeit an sich selbst und
an der Qualität der Aufgabenerfüllung gilt nicht als moralischer
Imperativ. Ebensowenig werden andere asketische Arbeitsauffassungen prämiert.
Auch der Gedanke, der einzelne habe einer übergeordneten Idee oder
einer übergeordneten Institution zu dienen, hat seine Geltung verloren.
Eine obrigkeitliche Regierung wird nicht gewünscht. An die Stelle
dieser Orientierungen sind innerhalb des Privatbereichs Werte des Individualismus
getreten. Der Terminus «Individualismus» wird hier freilich
nicht im emphatischen Sinn des 18. Jahrhunderts verwendet, er meint in
unserem Zusammenhang nicht die Entfaltung des Menschen zur mündigen,
nach Autonomie, Humanität und umfassender Urteilskraft strebenden
Person. «Individualismus» steht viel- [>134] mehr für
das Verlangen nach persönlicher Unabhängigkeit, Selbstbehauptung,
Durchsetzung der eigenen Interessen, Partizipation. Es ist ein Individualismus
der Selbst-bezogenheit, im modischen Jargon auch «Selbstverwirklichung»
genannt. ... ..."
"Wir lieben unsere harte D-Mark, wir sind stolz auf die deutsche Ordnung
und Stabilität, aber auf Fragen nach unserer Nationalität antworten
wir eher vage und verschämt. Nationalgefühl und Heimatstolz sind
in Deutschland immer noch untrennbar mit Fremdenhaß und Antisemitismus
verknüpft. Gibt es sie also nicht, die gemeinsame deutsche Identität?
Mit Hilfe von Nationalmythen und Aussprüchen von Politikern, Intellektuellen
und Künstlern
versucht Ulrich Wickert, die deutsche Identität aufzuspüren.
Er zeigt, wie die Deutschen aus ihrer dunklen Geschichte lernen können,
ohne in ihrem Schatten zu stehen, und beschreibt seine Vision von einem
zukünftigen, selbstbewußteren Deutschland."
Quelle: Rückumschlagklappentext. Wickert, Ulrich
(1999) Deutschland auf Bewährung. Der schwierige Weg in die Zukunft.
München: Heyne.
Heimat - nicht Vaterland
Wie ich zum Deutschen wurde 15
Angst vor Deutschland 26
Was ist nationale Identität? 31
Stolz und Zweifel 40
Vom Selbstverständnis der anderen 50
Mensch sein - oder Deutscher? 65
Aus Zufall: Deutscher werden 76
Vergangenheitspolitik 93
Das schwierige Erbe
Von Blut und Boden 113
Nation und Heimat 131
DDR - das deutschere Deutschland? 156
Symbole und Rituale 165
Erinnern heißt wissen 207
Wider die Tabus 242
Wider die Tabus Der Hermann-Mythos 255
Das selbstbewußte Volk
D-Mark - Mythos oder Symbol 273
Schuld, Scham oder Freispruch? 286
Der humane Staat 297
Anhang
Anmerkungen 309
Literaturhinweise 322
Personenregister 327
Über
die Ängstlichkeit der Deutschen vor dem Neuen
Helmut Schmidt (Bundeskanzler 1974-1982)
"Eine der wichtigsten Aufgaben für Politik und Wissenschaft und Unternehmen und für alle ist, daß wir uns mit ganz langem Atem darum bemühen, die Deutschen aufzuklären, damit die psychotischen deutschen Ängste vor technischer Innovation überwunden werden. Die Deutschen sind heute die Europameister der Angst. Alles, was neu ist, begegnet bei uns Ängsten, und die Ängste werden ausgebeutet von irgendwelchen Politikern oder Verbänden oder Bürgerinitiativen. Zuerst waren sie gegen Kernkraft, dann waren sie dagegen, daß weiterhin Kohle und Öl verbrannt wird, denn das schafft Abgase in die Luft, was ja auch stimmt. Dann sind sie aber nun neuerdings auch gegen Windspargel (Windkraft [93] Generatoren), denn die verschandeln ja die Landschaft. Alles Neue macht Angst, deshalb muß man dagegen sein. So denken viele. Aber in Wahrheit muß die Nation begreifen, und dazu müssen wir alle beitragen: Ohne Innovationen verurteilen wir uns selbst zu Verlust weiterer Arbeitsplätze und zu Verlust weiterer Teile unseres allgemeinen Lebensstandards." Quelle (S. 93-94)
Helmut Schmidt zu den Fehlern bei der Wiedervereinigung
Zur Ära Kohl und dem absoluten Niedergang deutscher Politik informiert
Mit Kohls Dissertation beschäftigt sich auch Hans-Christian Müller in "Die deutsche Gründlichkeit" (S. 71ff):
Man beginnt zu verstehen, warum die Hollywooddemokratie weniger als alle anderen reformierbar sind: Römisches Brot und Spiele sind hier stahlbetonperfektioniert. Die Demokratie muß daher mit der Kontrolle der Medien beginnen.
Querverweise: Überblick Kultur in der
IP-GIPT * Überblick
und Verteilerseite Kunst.
"Gesellschaft und Verfassung Interview 01.05.2017 Leitkultur
für Deutschland - Was ist das eigentlich?
BILD am Sonntag vom 30.04.2017
Ein Diskussionsbeitrag von Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière
zur Frage, "was uns im Innersten zusammenhält"
Wer sind wir? Und wer wollen wir sein? Als Gesellschaft. Als Nation. Die Fragen sind leicht gestellt, die Antworten schwer: Neil McGregor versucht sie in seinen "Erinnerungen einer Nation" auf über 600 und Dietrich Borchmeyer in "Was ist Deutsch?" gar auf über 1000 Buchseiten.
Einige Dinge sind klar. Sie sind auch unstreitig: Wir achten die Grundrechte und das Grundgesetz. Über allem steht die Wahrung der Menschenwürde. Wir sind ein demokratischer Rechtsstaat. Wir sprechen dieselbe Sprache, unsere Amtssprache ist deutsch. Für all das haben wir ein Wort: Verfassungspatriotismus. Ein gutes Wort. Aber ist das alles? Demokratie, Achtung der Verfassung und Menschenwürde gilt in allen westlichen Gesellschaften.
Ich meine: Es gibt noch mehr. Es gibt so etwas wie eine "Leitkultur für Deutschland". Manche stoßen sich schon an dem Begriff der "Leitkultur". Das hat zu tun mit einer Debatte vor vielen Jahren. Man kann das auch anders formulieren. Zum Beispiel so: Über Sprache, Verfassung und Achtung der Grundrechte hinaus gibt es etwas, was uns im Innersten zusammenhält, was uns ausmacht und was uns von anderen unterscheidet.
Ich finde den Begriff "Leitkultur" gut und möchte an ihm festhalten. Denn er hat zwei Wortbestandteile. Zunächst das Wort Kultur. Das zeigt, worum es geht, nämlich nicht um Rechtsregeln, sondern ungeschriebene Regeln unseres Zusammenlebens. Und das Wort "leiten" ist etwas anderes als vorschreiben oder verpflichten. Vielmehr geht es um das, was uns leitet, was uns wichtig ist, was Richtschnur ist. Eine solche Richtschnur des Zusammenlebens in Deutschland, das ist das, was ich unter Leitkultur fasse.
Wer ist "wir"? Wer gehört dazu? Auch diese Frage wird oft gestellt und viel diskutiert. Für mich ist die Antwort klar: Wir - das sind zunächst einmal die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Nicht jeder, der sich für eine gewisse Zeit in unserem Land aufhält, wird Teil unseres Landes. In unserem Land gibt es darüber hinaus viele Menschen, die seit langer Zeit hier leben, ohne Staatsbürger zu sein - auch sie gehören zu unserem Land. Wenn ich aber von "wir" spreche, dann meine ich zuerst und zunächst die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger unseres Landes.
Wenn wir eine Leitkultur für Deutschland beschreiben, sind wir den Bedenken einer undifferenzierten Verallgemeinerung ausgesetzt. Wer Grundsätze benennt, muss sich die Ausnahmen vorhalten lassen. Das ist so. Und es stimmt: Es gibt viele Unterschiede in unserem Land. Aber wer will bestreiten, dass es hier erprobte und weiterzugebende Lebensgewohnheiten gibt, die es wert sind, zu erhalten? Wohl kaum jemand.
Überzeugungen und Lebensgewohnheiten hat auch kein Land nur für sich allein. Was in Deutschland gilt, kann genauso in Frankreich gelten. Umgekehrt ist auch richtig: Andere Länder, andere Sitten. Wenn eine Lebensgewohnheit im Ausland anders ist, ist sie eben anders als in Deutschland, nicht besser oder schlechter. Es ist die Mischung, die ein Land einzigartig macht und die letztlich als Kultur bezeichnet werden kann. Und ist es nicht auch genau das, was wir suchen, wenn wir reisen - die Kultur des dann anderen Landes; das Erfahren eines anderen Kulturkreises, der uns den eigenen dann auch immer wieder bewusst macht?
Ich will mit einigen Thesen zu einer Diskussion einladen über eine
Leitkultur für Deutschland.
Was folgt nun aus dieser Aufzählung? Manches mag fehlen, anderes
kann hinzukommen. Ist das ein Bildungskanon, den alle wissen und lernen
müssen, z.B. in den 100 Stunden der Orientierung in unserem Integrationskurs?
Schön wär‘s. Kann eine Leitkultur vorgeschrieben werden? Ist
sie verbindlich? Nein. Wie der Name Kultur schon sagt, geht es hier nicht
um vorgeschriebene Regeln. Die Leitkultur prägt und soll prägen.
Sie kann und soll vermittelt werden.
Leitkultur kann und soll vor allem vorgelebt werden. Wer sich seiner Leitkultur sicher ist, ist stark. Stärke und innere Sicherheit der eigenen Kultur führt zu Toleranz gegenüber anderen. Leitkultur ist also zunächst und vor allem das, was uns ausmacht. Wenn sie uns im besten Sinne des Wortes leitet, dann wird sie ihre prägende Wirkung auf andere entfalten. Auch auf die, die zu uns kommen und bleiben dürfen. Ihnen reichen wir unsere ausgestreckte Hand.
Was aber geschieht nun mit denjenigen, die zu uns gekommen sind, die hier eine Bleibeperspektive haben, die dennoch aber eine solche Leitkultur weder kennen, vielleicht nicht kennen wollen oder gar ablehnen? Bei denen wird die Integration wohl kaum gelingen. Denn zugehörig werden sie sich nicht fühlen ohne Kenntnis und jedenfalls Achtung unserer Leitkultur.
In unserem Umgang mit diesen Menschen sollte uns eine Unterscheidung leiten: Die Unterscheidung zwischen dem Unverhandelbaren und dem Aushaltbaren. Das Unverhandelbare werden wir nicht aufgeben, wir müssen auf deren Einhalten bestehen. Dazu gehören neben den Forderungen nach Straflosigkeit und Achtung unserer Grundwerte auch die Einhaltung von Respekt im Miteinander und die Herrschaft des Rechts vor der Religion. Wir bleiben - unverhandelbar - Teil des Westens, stolze Europäer und aufgeklärte Patrioten. Vor allem die Menschenwürde ist für uns unverhandelbar, auch im Umgang der Menschen untereinander.
Aushalten müssen wir dagegen sicher einiges. Das lässt unsere Toleranz auch zu. Wenn wir aber darauf achten, dass wir uns unserer Leitkultur bewusst sind und sie vorleben, dann wissen wir um die Stärke dieser Leitkultur, können einiges aushalten und müssen weniger aushalten, je überzeugender unsere Leitkultur wirkt. Wenn wir uns klar darüber sind, was uns ausmacht, was unsere Leitkultur ist, wer wir sind und wer wir sein wollen, wird der Zusammenhalt stabil bleiben, dann wird auch Integration gelingen - heute und in Zukunft." [Quelle: bmi-bund]
1) GIPT=
General
and
Integrative
Psychotherapy, internationale Bezeichnung
für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
__
Wilhelm von Humboldt.
Wagner, Hans-Josef von (2002) Wilhelm von Humboldt, Wilhelm
Anthropologie und Theorie der Menschenkenntnis. Darmstadt: WBG.
Theorie der Menschenkenntnis. Aus der Schrift:
Das 18. Jahrhundert 38
I. Allgemeines Bedürfniss der Menschheit sich von
Zeit zu Zeit von den Umwandlungen ihres Charakters Rechenschaft zu
geben 41
II. Nothwendigkeit und Zweckmässigkeit einer Charakteristik
des achtzehnten Jahrhunderts insbesondre. 41
III. Wesen und Begriff der nothwendigen Charakteristik
unsrer Zeit 42
IV. Bemerkungen über einige schwer zu erfüllende
Erfordernisse jeder Charakteristik überhaupt. - Erörterung der
Frage, worin der Charakter eigentlich besteht?. 42
V. Erörterung der Frage, wie das Zufällige
im Charakter von dem Wesentlichen desselben unterschieden werden kann?
71
Interpretation
Humboldts Anthropologie und Theorie der Menschenkenntnis
Grundlegung einer vergleichenden Anthropologie
97
6 Inhalt
Einleitung 97
„Plan einer vergleichenden Anthropologie“97
„Theorie der Menschenkenntnis“.122
Gesamtbetrachtung beider Studien.148
Konstitutionstheorie S. 148 - Gegenstandsbereich S. 149
- Methodologie
und Methode S. 150 - Strukturale Hermeneutik S. 152 -
Universalität und Historizität S. 156
Kritische Bemerkungen zum Schluss 157
Literaturverzeichnis 159
Primärliteratur 159
Briefe 159
Sekundärliteratur 159